Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 168 - Kelly Kevin - Страница 5
2.
ОглавлениеWie ein Spuk glitt es durch den Nebel.
Die schwarze Flagge flatterte. Fahl schimmerten die leicht geblähten Segel: gelbliche Fetzen, die der Galeone kaum Fahrt gaben, sie aber um so unheimlicher wirken ließen und vollends an ein Totenschiff erinnerten, dessen Besatzung längst dahingerafft war.
Bei der ersten Begegnung, erinnerte sich Hasard, war der Kahn besser besegelt gewesen. Da hatte er ja auch die „Isabella“ kapern wollen. Jetzt wollte er vermutlich nichts anders, als jedem, dem er begegnete, einen heiligen Schrecken einzujagen.
Hasard biß die Zähne zusammen.
Der Gedanke, daß seine Söhne irgendwo dort draußen mit dem Boot herumirrten, krampfte seine Magenmuskeln zusammen. Wenn es der verdammten Galeone einfiel, sie anzugreifen, war die Hölle los.
Nein, sie glitt vorbei.
Niemand ließ sich an Deck sehen, auch der Rudergänger war nicht zu erkennen. Schon schlossen sich die Nebelschwaden wieder. Die „Geister“ dieses Schiffs kämpften nur gegen Gegner, die vor Angst fast den Verstand verloren. Und an die „Isabella“ mußten sie sich erinnern: die Seewölfe hatten ihnen schon einmal gezeigt, daß sie bereit waren, auch ein Totenschiff mit einem Kugelhagel zu empfangen.
Aber wenn die Kerle auf ein Boot mit zwei Kindern stießen …
Hasard ballte die Hände. Von der Galeone mit der schwarzen Flagge war nichts mehr zu sehen. Immer noch hallte die Schiffsglocke: dumpfe, eigentümlich verzerrte Töne, die sich im Nebel verloren und sicher nicht besonders weit reichten.
„Fiert die Beiboote ab!“ knirschte Hasard. „Ed, nimm den Handkompaß mit. Wir bleiben auf Rufweite in Verbindung und bilden eine Kette.“
„Aye, aye, Sir. Abfieren, ihr müden Säcke! Habt ihr Bohnen in den Ohren, was, wie? Hopphopp, ihr Heringe, oder ich zieh euch die Haut ab!“
Das erste Boot klatschte bereits aufs Wasser.
Hasard wollte sich gerade über das Schanzkleid schwingen und abentern, als Dan O’Flynn, der die schärfsten Augen der Crew hatte, einen triumphierenden Schrei ausstieß.
„Das Boot! Da sind sie!“
Wie ein Schemen tauchten die Umrisse des Fahrzeugs aus dem Nebel.
Hasard junior tauchte den verbliebenen Riemen abwechselnd an Backbord und Steuerbord ein. Philip hielt die Hand hoch und befeuchtete ab und zu seinen Finger mit der Zunge. Der Wind hatte sich mit den wenigen kräftigen Böen schon wieder erschöpft und war nur noch ein schwaches Säuseln. Aber er war immerhin spürbar, und die Zwillinge hatten ihn als einzige Orientierungshilfe in dem weißen Gewoge benutzt.
Sie waren beide ziemlich blaß um die Nasenspitzen.
„Das Geisterschiff!“ rief Philip von unten. „Die Galeone der Toten! Wir haben sie gesehen!“
„Wir auch, ihr grünen Heringe!“ schnauzte Carberry. „Stenmark! Blacky! Hievt doch endlich das verdammte Boot wieder hoch, zum Henker!“
Die Taljen knirschten.
„Wahrnehmen!“ brüllte der Profos, als das erste Beiboot an seinem Platz lag und die Trossen wieder abgefiert wurden. „Aufentern, ihr abgebrochenen Riesen, oder habt ihr vielleicht weiche Knie, was, wie?“
Die Zwillinge hatten sichtlich keine Lust, je im Leben wieder aufzuentern, vor allem nicht, solange der Profos da oben stand wie das leibhaftige Unheil. Aber daß sie weiche Knie hatten, wollten sie sich nun auch nicht nachsagen lassen. Also enterten sie auf. Gar nicht eilig. Und die Art, wie sie über das Schanzkleid kletterten, sah auch danach aus, als klebten ihnen Klötze an den Füßen.
„Das Geisterschiff …“, begann Hasard junior.
„Wir haben es gesehen“, sagte Hasard senior sanft.
Diese besondere Art von Sanftheit kannten sie, die war gefährlich. Kunststück! Sie hatten einen Riemen der See geopfert, waren beinahe im Nebel verlorengegangen und hatten das ganze Schiff in Aufruhr versetzt, ganz zu schweigen von dem Streich, den sie jetzt gar nicht mehr so lustig fanden wie vorher. Das Segeltuch, das dem „Nebeldämon“ als Kutte gedient hatte, war auch beim Teufel, fiel dem kleinen Hasard ein. Und sein Bruder dachte daran, daß die Kokosnuß geklaut gewesen war und der Kutscher das unter Umständen glatt als Mundraub auslegen konnte.
„Verdammt“, murmelte Smoky. „Diesmal sah der Kahn aber wirklich wie ein Totenschiff aus mit all den zerfetzten Segeln.“
„Jedenfalls schaffen sie es damit nicht weit“, brummte Will Thorne, der weißhaarige Segelmacher. „Da können sie genausogut Bettsäcke setzen.“
„Klar!“ Stenmark nickte. „Wir könnten sie mit Leichtigkeit einholen und …“
„Und sie im Nebel rammen?“ fragte der Seewolf. „Oder auf ein Riff laufen? Ganz abgesehen davon, daß der Wind schon wieder einschläft, falls dir das entgangen sein sollte?“
Die Zwillinge wechselten einen vorsichtigen Blick.
Verblüfft stellten sie fest, daß wenigstens im Augenblick nicht von ihrer Untat die Rede war. Auch der Kutscher mischte sich ein: Wenn sie noch lange bekalmt hier herumlägen, erklärte er, werde es mit Wasser und Vorräten zu Ende gehen, so daß sie erst einmal die nächste Küste anlaufen müßten. Hasard zuckte nur mit den Schultern. Die Küste mit ihren Riffen war auf jeden Fall nicht ungefährlich und außerdem ziemlich öde, das wußten sie alle.
Die Zwillinge wechselten noch einen Blick.
Philip flüsterte seinem Bruder etwas zu. Der seufzte und nickte.
„Verdammich“, sagte er laut und deutlich. „Wann gibt’s denn nun endlich Dresche?“
Der Seewolf hob die Brauen. „Ihr seid wohl wild drauf, was?“
„Nee. Aber je früher wir’s hinter uns haben, desto besser.“
Auch ein Standpunkt, dachte Hasard und unterdrückte ein Grinsen.
„Seht ihr ein, daß ihr es verdient habt?“ fragte er.
„Klar“, sagte Philip etwas unschlüssig.
„Klar“, sagte sein Bruder mit Todesverachtung.
„Profos?“
Carberry kratzte sich am Kopf. „Sie konnten ja nicht wissen, daß es im Nebel so verdammt schwierig ist, irgend etwas wiederzufinden“, wandte er ein. „Und der dämliche Wind war für uns alle überraschend.“
„Außerdem habt ihr ihnen alle die Ohren mit den verdammten Gespenstergeschichten vollgehängt“, knurrte Smoky und übersah großzügig, daß er dabei tatkräftig mitgewirkt hatte.
Jeder fand plötzlich irgend etwas, das sich als mildernder Umstand für die beiden Missetäter anführen ließ. Big Old Shane war neben Hasard getreten und grinste.
„Kannst du dich erinnern, wie du deine Musterexemplare von Brüdern mal mit einer Kerze in einem ausgehöhlten Kürbis erschreckt hast?“ fragte er leise.
„Na und?“ sagte Hasard. „Hat mich Sir John dafür etwa nicht mit seinem verdammten Krückstock verdroschen?“
Aber Sir John war ja auch ein biestieges Ekel und ein mißratenes Rabenaas von einem Vater gewesen, dachte er bei sich. Mit gefurchter Stirn musterte er seine Söhne, die ziemlich gelassen des Strafgerichts harrten.
„Eine Woche Kombüsendienst“, entschied er salomonisch. „Aber wenn mir Klagen vom Kutscher kommen, ziehe ich euch eigenhändig die Haut ab, klar?“
„Aye, aye, Sir!“ erklang es im Chor.
Es klang ziemlich kleinlaut. Denn der Kombüsendienst war eine harte Strafe für zwei ewig hungrige Jungen, die es im Interesse ihrer Kehrseiten nicht riskieren durften, etwas zu stiebitzen.
Der Wind schlief wieder ein.
Immer noch hüllte der Nebel die „Isabella“ ein wie „der Schaum auf einem gigantischen Bierglas“. Smoky hütete sich, weiter von Nebeldämonen zu faseln. Old O’Flynn hinkte mit grimmigem Gesicht herum und war miserabelster Laune. Er hatte die verdammte Kokosnuß einen Moment wirklich für einen Geist mit glühenden Augen gehalten. Die Tatsache, daß er auf einen Dummejungenstreich hereingefallen war, setzte ihm außerdem schwer zu.
Philip und Hasard widmeten sich mit allmählich erlahmendem Eifer dem Kombüsendienst.
Der Kutscher war angesichts der schwindenden Vorräte schlechter Laune und ließ sich durch keinerlei begehrliche Blicke in Richtung Rosinen erweichen.
Sie hatten sich reichlich mit Batate eingedeckt, jenen kartoffelartigen Wurzelfrüchten, die in der Karibik offenbar schon seit ewigen Zeiten angebaut wurden. Jetzt begannen die Knollen in der alles durchdringenden Feuchtigkeit zu schimmeln und mußten rasch verbraucht werden. Es gab Batate zum Frühstück, Batate mittags, Batate abends. Es gab Batate gebraten, gekocht und zu Brei gestampft, Batate mit Salz, mit Zitronensaft, mit Fisch und den letzten Resten Pökelfleisch und am Ende aller Weisheit auch noch mit Rosinen, Kokosnuß und Aniskörnern.
Blacky schlug vor, die Dinger doch mit einem ordentlichen Schuß Rum als Soße genießbar zu machen. Worauf er eilig aus der Kombüse flüchten mußte, weil ihm der Kutscher eine Batate-Knolle an den Kopf warf.
Eine gekochte, wohlgemerkt. Daß sich der Kutscher dabei die Finger verbrannte, ließ seine Laune noch mieser werden. Außerdem zerplatzte das Wurfgeschoß nicht an Blackys Schädel, sondern auf der Kuhl, und die Zwillinge zweifelten an der Gerechtigkeit der Welt, weil sie es waren, die das Deck schrubben mußten.
Nach drei Tagen briste es wieder auf.
Arwenack, der Schimpanse, gebärdete sich wie toll und enterte kekkernd die Wanten hinauf und hinunter, als habe er mit dem Ende der Flaute ein bedrückendes Gewicht abgeschüttelt. Sir John, der Papagei, wiederholte kreischend das, was er in den letzten Tagen am meisten gehört hatte: „Gottverdammter Nebel! Gottverdammter Nebel!“ Ed Carberry schob den Vogel schließlich kurzerhand in seine Tasche, wo er beleidigt, aber gedämpft weiterpalaverte.
Stunden später begannen sich die Nebelschwaden mit einem matten rosafarbenen Schimmer zu überziehen.
Hasard hob den Kopf und blickte zum Zentrum dieses seltsamen Leuchtens: eine riesige, verschwimmende Scheibe in dunstigem Karmesin, umgeben von einer Aureole aus Nebelschleiern, die in allen Abstufungen von Rot, Orange und Violett glommen. Der Dunst wurde durchsichtig, zerfaserte im Wind, und es dauerte nur noch Minuten, bis die Luft klar war und strahlendes Sonnenlicht die Dünung glänzen ließ wie mit Quecksilber übergossen.
Die Männer atmeten auf, als sich endlich wieder Segel über ihnen blähten.
Ringsum war die Kimm leer. So leer wie die Vorratsschnapps, versicherte der Kutscher düster. Sie würden nicht umhinkommen, Neuschottland oder Neufundland anzulaufen und eine Niederlassung zu suchen, um Wasser und Proviant zu übernehmen.
Mit raumem Wind über Backbordbug glitt die „Isabella“ unter Vollzeug westwärts, der nächsten Küste zu.