Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 208 - Kelly Kevin - Страница 5

2.

Оглавление

„Verdammter Mist!“

Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, fluchte im allgemeinen nur selten. Das lag daran, daß er – daher auch sein Name – früher einmal Kutscher bei dem Arzt Sir Freemont in Plymouth gewesen war und sich die Ausdrucksweise besserer Herrschaften angeeignet hatte. Heute erschien ihm eine Welt ohne Decksplanken wie ein ferner Traum.

Daß er sich einst mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, von einer Preßgang zwangsweise auf Kapitän Francis Drakes „Marygold“ verfrachtet zu werden, mochte er nicht mehr recht glauben. Inzwischen waren ihm Seebeine gewachsen und dazu Muskeln genug, um seine gußeisernen Bratpfannen notfalls auf feindliche Köpfe zu schmettern. Nur die leicht gehobene Ausdrucksweise war ihm geblieben. Vor allem, wenn er in die Rolle des „Doc“ schlüpfte und Patienten zu verarzten hatte.

Wenn er fluchte, wurde es ernst.

So wie jetzt, als er sich über den hageren blonden Mann in der Hängematte beugte. Keiner der anderen hatte bemerkt, daß Gary Andrews im Logis zurückgeblieben war, weil niemand mit so etwas rechnete. Und der hagere Fockgast schlief ja auch nicht, jedenfalls keinen normalen Schlaf, sondern atmete schwer, bewegte unruhig den Kopf hin und her und glühte vor Fieber.

Der Seewolf stemmte die Fäuste in die Hüften. In seinen eisblauen Augen lag jener harte Glanz, der signalisierte, daß er sich sorgte.

„Was kann das sein, Kutscher?“ fragte er gepreßt.

Der Feldscher zögerte und benagte heftig seine Unterlippe.

„Keine Ahnung, Sir“, gab er schließlich zu. „Irgendein verdammtes tropisches Fieber ist es, soviel dürfte feststehen. Aber was genau, kann ich auch nicht sagen.“

„Und was wirst du dagegen tun, du Kombüsenwanze?“ grollte der Profos.

„Das Übliche. Ich hoffe …“

„Kannst du Kakerlakenjäger dich nicht klarer ausdrücken?“

„Halt mal die Luft an, Ed“, sagte Hasard sanft. „Der Kutscher ist der Doc an Bord. Also?“

„Ich kann nur versuchen, das Fieber herunterzudrücken, Sir“, sagte der Kutscher mit einem giftigen Seitenblick auf den Profos. „Das müßte mit dem Rest von dem Pulver aus der getrockneten Baumrinde gehen.“

„Meinst du dieses Zeug aus der neuen Welt?“ fragte Dan O’Flynn, der zusammen mit seinem alten Vater ebenfalls im Logis erschienen war.

„Genau das. Damit habe ich mich nämlich damals eingedeckt. Frag mich nicht, wie schwierig es war, das Pulver immer schön trocken zu halten, damit es nicht verschimmelte.“ Der Kutscher atmete tief durch. „Vielleicht geht es ihm ja schnell wieder besser“, meinte er hoffnungsvoll. „Aber wenn es eine von den verdammten Dschungelkrankheiten ist …“

Er sprach nicht weiter.

Das brauchte er auch nicht. Was es mit den „verdammten Dschungelkrankheiten“ auf sich hatte, das wußten die Seewölfe, auch wenn sie bisher in dieser Hinsicht von eigenen Erfahrungen verschont geblieben waren. Und Gary Andrews, halb bewußtlos und im Fieber wirr vor sich hin murmelnd, sah gar nicht gut aus. Das erkannte nicht nur der Kutscher, sondern auch jeder andere.

„Bringt ihn in die Mannschaftsmesse in eine der Kojen“, ordnete Hasard an. „Bill wird dem Kutscher helfen: Dann möchte ich, daß sich jeder meldet, dem es irgendwie nicht gut geht, damit wir wissen, woran wir sind. Märtyrer können wir nicht gebrauchen – damit das klar ist.“

„Werde ich den Rübenschweinen schon beibiegen“, versprach der Profos grimmig. „Wer auch nur ein Ohr hängen läßt, wandert in die Koje. Und wenn ich ihm vorher eigenhändig die Gräten richten muß.“

Hasard lächelte matt. Es war ein flüchtiges Lächeln, das sofort wieder verschwand.

Er wußte, was so ein tropisches Fieber bedeuten konnte. Als er durch den Niedergang an Deck marschierte, um die beigedrehte Galeone wieder an den Wind bringen zu lassen, hatte sich sein Gesicht zur Maske verhärtet.

Wie Schatten tauchten die drahtigen Mon-Krieger aus dem Dickicht.

Lautlose braunhäutige Gestalten schwangen sich auf die dicken Mangrovenäste, turnten durch das Gewirr von Luftwurzeln und Schlinggewächsen und blieben dann wartend stehen. Leises Plätschern mischte sich in das stete unruhige Blubbern der Sumpfgase. Über den schwarz schillernden Wasserarm schob sich ein kleines Boot, das zwei Männer mit langen Stangen vorwärtsstakten.

„Weiter“, murmelte Kyan Ki, während er eine der Lianen packte, um sich auf die nächste knorrige Wurzel hinüberzuziehen.

Die kleine Gruppe folgte ihm.

Minuten später hatten sie den Rand des Mangrovendickichts erreicht. Vor ihnen dehnte sich das Meer silbern im Mondlicht. Kyan kniff die Augen zusammen vor der plötzlichen, fahlen Helligkeit. Ohne hinzusehen, öffnete er Waffengürtel und Schärpe, nahm den Turban ab und schüttelte das lange dunkle Haar.

Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er an die Stunden dachte, die sie gewonnen hatten.

Der große Strom hatte viele und schnelle Wege. Und für die Mon hatte das Delta keine Geheimnisse. Es war nicht schwer, den unregelmäßigen Verlauf der Küste abzuschneiden und sogar ein Schiff zu überholen. Ein wenig Glück, dachte der junge Krieger. Wenn die Geister es gut meinten, würde das Volk der Mon schon bald seine Gegner schlagen.

Schweigend sah Kyan zu, wie seine Gefährten das winzige Boot mit Mast und Segel bestückten.

Es würde schnell sein, schnell wie der Strom, wenn er zürnte. Kyans Blick glitt zu dem funkelnden Sternenhimmel hinauf, um sich ein letztes Mal zu orientieren. Rasch kletterte er ins Boot und kauerte sich auf die Ducht. Mit ein paar Riemenschlägen trieb er das Fahrzeug ins offene Wasser, dann trimmte er das kleine Segel.

Hart am Wind ließ er sich nach Westen tragen – dorthin, wo er im spitzen Winkel den Kurs der „Isabella“ kreuzen mußte.

Die Küste versank hinter ihm. Reglos wie eine Statue saß der junge Mann auf der Ducht. Seine Augen suchten die Kimm ab und wanderten von Zeit zu Zeit nach Osten, wo die Sterne verblaßten und der Himmel bereits einen leichten Grauschimmer zeigte.

Die ersten Sonnenstrahlen verwandelten den dünnen Morgendunst in einen spinnwebfeinen goldenen Schleier, als Kyan Ki die Mastspitzen erspähte.

Seine Schultern strafften sich, die dunklen Augen leuchteten triumphierend. Seine Faust schloß sich um das kurze Handbeil, das er mitgenommen hatte. Mit drei, vier wuchtigen Schlägen kappte er den Mast und ließ ihn samt Segel über Bord gehen. Den Stumpf bearbeitete er mit dem Beilschaft, bis es aussah, als sei der Mast von selbst gebrochen. Mit den Fingern zerrte Kyan den Holzkeil aus dem kleinen Leck, das sorgfältig in die Beplankung getrieben worden war. Gurgelnd sickerte Wasser ins Boot. Gerade so viel, daß es genügte, mit einer zerbeulten Muck zu lenzen, um das Boot nicht absacken zu lassen.

Als letztes griff Kyan Ki nach dem kurzen Dolch.

Sein Gesicht blieb unbewegt, als er mit der Spitze die eigene Schulter berührte und sich eine lange Schnittwunde beibrachte. Blut rann über seine Brust. In kurzer Zeit würde es trocknen und ihm zusammen mit seiner zerfetzten Kleidung und dem wirren Haar das Aussehen eines Mannes geben, der knapp einem Kampf entronnen war.

Kyan Ki warf Beil und Dolch über Bord und begann, das eindringende Wasser aus dem Boot zu schöpfen.

Der Wind war fast eingeschlafen.

Hasard stand auf dem Achterkastell, beobachtete die Segel, die sich nur träge blähten, und fluchte in sich hinein. Die Mangrovenküste war ein grüner Strich Steuerbord querab. Der Seewolf hatte das Gefühl, den fauligen Pesthauch des Dschungels zu spüren, doch das war natürlich Einbildung. Mochte der Wind auch seinen Namen nicht verdienen, er säuselte immer noch auflandig.

Gary Andrews Zustand war unverändert.

Zwei weitere Männer hatte es ebenfalls erwischt: Bob Grey und Will Thorne, den weißhaarigen Segelmacher. Ein paar andere liefen mit wütenden, verbiesterten Gesichtern herum. Das mochte daran liegen, daß sie sich Sorgen bereiteten, konnte aber genausogut von dem Kampf herrühren, den sie gegen die ersten Anzeichen von Schwäche und Krankheit führten.

Der Kutscher und Bill entfalteten eifrige Tätigkeit, doch vorerst sah es nicht so aus, als ließe sich das Fieber eindämmen.

Diesmal nutzte auch das Pulver aus der Rinde des Baums nichts, den die Spanier einem sprachlichen Mißverständnis zufolge „China-Baum“ nannten, obwohl er in Peru beheimatet war. Vermutlich hatten die lange Lagerung oder die feuchte Hitze den Vorräten des Kutschers zu sehr zugesetzt. Jedenfalls zeigte sich nur eine geringfügige Wirkung, und das Gesicht des hageren, etwas schmalbrüstigen Feldschers verriet, daß er der Resignation nahe war.

Sir John, der Papagei hockte in den Toppen und krähte ausdauernd „Alle Mann an Deck!“ – vielleicht, weil er sich in seinem Vogelhirn zurechtlegte, daß er dadurch die gedrückte Stimmung an Bord etwas heben könne.

Es war vergebliche Mühe. Ed Carberry raffte sich nicht einmal dazu auf, den Vogel wie üblich als „Blindhuhn“ oder „Nebelkrähe“ zu beschimpfen.

Donegal Daniel O’Flynn senior, dieser Kerl aus Granit und Eisen, stützte sich auf seine Krücken und scharrte unruhig mit dem Holzbein.

„Willst du ein Loch in die Planken bohren, du dämlicher Rochen?“ raunzte ihn Carberry an.

„Du Großmaul solltest lieber mal am Mast kratzen, damit wir mehr Wind kriegen“, entgegnete Old O’Flynn. „Ich sage euch, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Oder kann mir vielleicht jemand verraten, wo wir uns das verdammte Fieber geholt haben, he? Das haben uns die Dschungelgeister herübergeschickt, jawohl!“

„Selber Dschungelgeist“, sagte O’Flynn junior respektlos.

„Mißratener Bengel! Willst du deinem alten Vater vielleicht erzählen …“

„Wir waren oft genug an Land, um dieses Fieber irgendwo einzufangen, Donegal“, sagte der Seewolf. „Also hör auf mit deiner Geisterseherei, verstanden?“

„Und wenn du es nicht verstanden hast, nagele ich dir dein Holzbein gleich an der Galion fest“, fügte Big Old Shane hinzu. „Da kannst du dann schmoren, bis du nicht nur die Dschungelgeister, sondern auch noch sämtliche Engelchen im Himmel singen hörst.“

Old Donegal warf dem graubärtigen Riesen einen erbitterten Blick zu. Der furchte drohend die buschigen Brauen. Schwarzmalereien gingen dem ehemaligen Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack nämlich mächtig gegen den Strich. Das hatte schon in Cornwall angefangen, wo die Leute die Köpfe voller keltischer Mythen hatten und hinter jedem Findling der Geist eines Druiden hervorlugte. Diese Abneigung gegen abergläubischen Unsinn hatte er damals auch dem jungen Hasard eingeprägt, um den er sich kümmerte, weil der alte Sir John Killigrew ein biestiges Ekel war, der den Namen Vater auch nicht verdient hätte, wenn er tatsächlich Hasards Erzeuger gewesen wäre.

Big Old Shane wollte seiner Drohung noch ein paar weitere Freundlichkeiten hinzufügen, wurde aber davon abgehalten.

„Treibendes Boot genau voraus!“ meldete Luke Morgan aus dem Großmars.

Der Seewolf schnappte sich das Spektiv. Mit dem Kieker brauchte er nur wenige Sekunden, um die treibende Nußschale im leichten Wellengang zu entdecken. Deutlich sah er den einzelnen Riemen, der im Wasser nachschleifte, den zerfetzten Maststumpf – und die halbnackte Gestalt, die über der Ducht zusammengebrochen war.

Ein Schiffbrüchiger!

Keine Frage, daß sie ihn auffischen würden.

Die „Isabella“ luvte etwas an, um das Boot in Lee zu haben. Unendlich langsam trug der schwache Wind sie darauf zu. Gespannt starrten die Männer zu der Nußschale, die jetzt Steuerbord voraus trieb. Für eine Weile wurden ihre Sorgen in den Hintergrund gedrängt.

Minuten später konnten sie den Unbekannten schon mit bloßem Auge erkennen.

Sein Oberkörper war blutverschmiert. Einmal bewegte er sich matt, doch es schien klar, daß er nicht dazu in der Lage war, aus eigener Kraft an der Jakobsleiter aufzuentern.

Hasard ließ ein Beiboot abfieren.

Nach ein paar weiteren Minuten trieben Ed Carberry, Ferris Tucker und der schwarze Herkules Batuti die Jolle mit kräftigen Riemenschlägen auf das fremde Boot zu und gingen längsseits.

Der Profos runzelte die Stirn, als er das eindringende Wasser glucksen hörte und die zerbeulte Muck sah, die den Fingern des Unbekannten entglitten war. Offenbar hatte er bis zum Umfallen gelenzt, um sein lekkes Fahrzeug vor dem Sinken zu bewahren. Die Seewölfe waren buchstäblich in letzter Minute erschienen.

Edwin Carberry langte nur mal eben mit seiner mächtigen Pranke hinüber und hievte die schlaffe Gestalt mühelos in die Jolle.

Das Boot konnten sie getrost absaufen lassen, das war so oder so nicht mehr zu gebrauchen. Der Unbekannte stöhnte leise, als er auf die Planken gebettet wurde, schlug die Augen auf und blickte verwirrt um sich.

Carberry grinste beruhigend.

Jedenfalls sollte das, was er produzierte, ein beruhigendes Grinsen darstellen. Leute mit schwachen Nerven pflegten allerdings eher vor Schreck in den Boden zu kriechen, wenn der Profos sein wüstes Narbengesicht verzog und die Zähne fletschte. Aber der Schiffbrüchige hatte offenbar keine schwachen Nerven. Er lächelte, wenn auch mühsam, zurück.

Damit hatte er sich in den Augen von Ferris Tucker und Batuti bereits als harter Bursche bewährt.

Einen weiteren Beweis lieferte er, als er sich aufrappelte und höchst eigenhändig an der Jakobsleiter aufenterte. Auf der Kuhl mußte er sich dann allerdings ans Schanzkleid lehnen. Der Seewolf, der vom Achterkastell hinuntergestiegen war, betrachtete ihn prüfend.

Getrocknetes Blut aus einer Schnittwunde an der Schulter bedeckte seine Brust. Er war nur mittelgroß und schlank, aber muskulös und geschmeidig wie ein Panther. Außer einem zerfetzten Lendentuch trug er nichts am Körper. In Statur, Hautfarbe und Gesichtsschnitt glich er den Menschen, die die Seewölfe in den beiden Flachbooten gesehen hatten. Aber seine Haltung spiegelte keine Furcht, sondern einen wilden, fast anmaßenden Stolz, der nicht recht zu seinem Zustand paßte.

Mit einer zeremoniell anmutenden Gebärde legte er die Hand auf seine blutverschmierte Brust.

„Kyan Ki“, sagte er laut und deutlich.

Der Seewolf erwiderte die Geste. „Philip Hasard Killigrew. Wir sind Engländer.“ Und als keine Reaktion erfolgte: „Sprechen Sie Spanisch?“

Offenbar nicht.

Auch nicht Türkisch, wie ein Versuch mit den Zwillingen erbrachte. Der junge Eingeborene hörte unbewegt zu, dann wies er wieder auf sich.

„Kyan Ki“, wiederholte er. „Mon!“ Und noch einmal, jetzt mit einer umfassenden Handbewegung in Richtung Küste: „Mon!“

Hasard nickte. So ungefähr hatte er begriffen. Blieb nur noch, die Gesten des Friedens und des Willkommens zu vollführen, die offenbar auch dieser Fremde verstand, der Kyan Ki hieß und zu einem Volk namens Mon gehörte oder jedenfalls in einer Gegend dieses Namens zu Hause war.

Er lächelte, verneigte sich und murmelte etwas in seiner Heimatsprache, das vermutlich ein Dank sein sollte.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 208

Подняться наверх