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2.

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An Bord des schwarzen Seglers herrschte Gewitterstimmung, obwohl der Sturm vorbei war.

Das Gesicht Siri-Tongs war weiß vor Wut. Thorfin Njal, der Wikinger, stand breitbeinig neben ihr, die mächtigen Fäuste in die Hüften gestemmt, und stauchte mit seinem rollenden Baß den Mann zusammen, der für das Sichern der Kanonen an Deck verantwortlich gewesen war.

Mike Kaibuk hörte sich das Gebrüll mit zusammengepreßten Lippen an. Er wußte verdammt genau, daß er das nicht richtig festgezurrte Brooktau hätte bemerken müssen. Und er wußte auch, daß die Kanone, die wie ein stählernes Ungeheuer über Deck gesaust und durch das Schanzkleid gebrochen war, leicht ein paar Männer hätte mit in den Tod reißen können.

Mike Kaibuk war wütend, wütend auf sich selbst. Und er wußte, was auf ihn zukam, was folgen mußte: eine drakonische Strafe, der niemand entging, der durch Leichtsinn und Disziplinlosigkeit die Sicherheit des Schiffs und das Leben seiner Kameraden gefährdet hatte.

„Und jetzt scher dich an die Pumpe, du Mistkerl!“ schloß der Wikinger sein Wutgebrüll. „Du wirst lenzen, bis dir das Wasser im Hintern kocht und die Bilge knochentrocken ist. Und anschließend kannst du dich bis morgen früh in der Vorpiek erholen!“

„Ay, aye“, sagte Kaibuk und sah zu, sich zu verdrücken. Für seine Begriffe war es glimpflich abgegangen: die Lenzpumpe und die Vorpiek waren immer noch besser als die Neunschwänzige. Die Rote Korsarin schoß dem Wikinger einen rasiermesserscharfen Blick zu. Ihre dunklen Mandelaugen funkelten vor Wut, aber sie sah ein, daß Thorfin recht hatte. Der Sturm hatte dem schwarzen Segler übel mitgespielt. Sie konnten jetzt keinen Mann gebrauchen, der drei Tage lang in seiner Koje auf dem Bauch liegen mußte. Und Mike Kaibuk würde sich mächtig ins Zeug legen, um seinen Fehler auszubügeln.

„Tammy, Hilo, Jonny – Deck aufklaren!“ peitschte Siri-Tongs helle Stimme. „Juan, du inspizierst die Laderäume! Boston-Mann, was ist mit der Fockrah los?“

„In Ordnung. Nur das Fall gebrochen.“

Der Boston-Mann beschränkte sich wie immer auf wenige Worte. Siri-Tong nickte zufrieden. Das Fall zu reparieren, würde nicht schwer sein. Die zerfetzte Fock mußte ersetzt werden, doch auch das ließ sich mit Bordmitteln bewerkstelligen. Ein, zwei Tage würden sie brauchen, um alle Schäden zu reparieren. Aber Schließlich befanden sie sich hier in einem Teil des Pazifik, wo sie kaum mit irgendwelchen Störungen zu rechnen brauchten.

Das glaubten sie wenigstens.

Den Ausguck ließ Siri-Tong nur deshalb besetzen, weil sie die „Isabella“ und die Seewölfe in der Nähe vermutete. Sie machte sich Sorgen. Der Sturm, der hinter ihnen lag, hatte es in sich gehabt. Da half dann unter Umständen auch das seemännische Können eines Philip Hasard Killigrew nicht mehr weiter, wenn die Vorsehung nicht mitspielte. Und der Gedanke an das, was in den letzten zwei Tagen geschehen sein konnte, setzte der Roten Korsarin mehr zu, als sie es sich eingestehen mochte.

Die Crew des schwarzen Seglers war dabei, schwitzend und fluchend die Decks aufzuklaren, als Jonny, der Kreole, plötzlich senkrecht im Großmars hochschoß.

„Deck!“ schrie er. „Mastspitzten querab Steuerbord! Ein Spanier!“

Siri-Tong wirbelte wie von einer Bogensehne abgeschnellt herum.

Ihr Gesicht war weiß und gespannt, als sie das Spektiv hochnahm und die Kimm absuchte. Keine Rede von Mastspitzen! Was da von Norden heranrauschte, war mehr, war schon nah genug, um es als spanische Galeone zu erkennen. Das Schiff führte keine Flagge, aber am Bugspriet baumelte das große hölzerne Kreuz, Symbol des Christentums, in dessen Namen die Spanier über die neue Welt hergefallen waren wie räuberische Teufel.

Die Galeone lag hart am Wind und wandte dem schwarzen Segler den schmalen Bug zu. Jetzt luvte sie an, um zu wenden, und auch der letzte an Bord des schwarzen Seglers war sich darüber klar, daß die Spanier das nicht taten, um ihnen freundlich zuzuwinken.

Die Galeone ging durch den Wind, um dem schwarzen Segler eine volle Breitseite verpassen zu können.

„Hölle und Verdammnis!“ knirschte der Wikinger.

„Klar Schiff zum Gefecht!“ peitschte Siri-Tongs Stimme. „An die Brassen und Fallen! Heißt Großsegel und Marssegel! An die Geschütze! Holt die Brandsätze!“

Im Blitztempo rasten die Männer auf ihren Gefechtsstationen.

Thorfin Njal sprang vom Achterkastell und tobte wie ein entfesselter Wirbelsturm über das Geschützdeck, um mit zuzupacken. Die kleine Gruppe, die die bronzenen Gestelle zum Abfeuern der Brandsätze bediente, bewies einmal mehr, daß Siri-Tong sie ausgezeichnet gedrillt hatte. Rasselnd öffneten sich die Stückpforten.

Der schwarze Segler zeigte die Zähne, recht beachtliche Zähne immerhin. Den Spaniern auf der Galeone, die jetzt schwerfällig herumschwang, würde der Anblick sicher gar nicht gefallen, aber das änderte nichts daran, daß die Lage für den schwarzen Segler bedrohlich werden konnte.

Unter normalen Umständen war er schneller, wendiger und stärker als der Spanier.

Aber jetzt? Ohne Fock? Zerrauft vom Sturm, mit einer erschöpften, total übermüdeten Besatzung?

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihr Blick prüfte die Stellung von Groß- und Marssegel und wanderte dann wieder zu der Galeone hinüber. Acht geöffnete Stückpforten. Die drohenden schwarzen Rohre von Siebzehnpfünder-Culverinen. Und jetzt war auch der Name des Schiffs an der Bordwand zu erkennen: „Maria Mercedes“.

„Klar zum Anluven! Ruder hart über!“

„Aye, aye!“

Knirschend schwangen die Rahen herum. Der schwarze Segler ging über Stag und wandte der Galeone genau in der Sekunde den Bug zu, in der sich krachend die Kanonen entluden.

Feuerzungen leckten aus den Stückpforten. Rauch wölkte auf, die schweren Eisenkugeln rissen die Wasserfläche auf und ließen Fontänen hochspritzen. Schwerfällig schnitt die dickbauchige Galeone am Bug des schwarzen Seglers vorbei – und genau das war der Moment, auf den Siri-Tong gewartet hatte.

Scharf wie eine Damaszener-Klinge schnitt ihre Stimme durch den Lärm.

„Abfallen auf Raumschotskurs! Klar bei Backbordgeschütze!“ Und mit einem tiefen Atemzug: „Einzeln schießen, Männer! Wir rasieren ihnen erst mal die achteren Drehbassen, dann sehen wir weiter.“

Über der Insel, die die Spanier Sala-y-Gomez nannten, schien die Luft zu kochen.

Nichts drang von dem Gefechtslärm herüber, das Rollen der Kanonen trug nicht bis hierher. Auf der Insel herrschte eine fast gespenstische Stille, nur die Geräusche der Natur waren lebendig. In einer geschützten Senke stand ein Dutzend primitiver Hütten, aber auch in diesen Hütten war alles still.

Es lag noch nicht lange zurück, daß auf der Insel ein kleiner Eingeborenenstamm zu Hause gewesen war.

Friedliche Polynesier, die vom Fischfang lebten. Menschen, die freundlich in ihrem Wesen waren, gastfrei, aber auch kriegerisch, wenn es sein mußte. Ihre Waffen waren jedoch primitiv, sie hatten keine Kanonen, keine Musketen, keine Pistolen, und als eines Tages ein Schiff am Horizont auftauchte und die Insel anlief, waren sie wehrlos.

Die Spanier, die über die Eingeborenen herfielen, kannten kein Erbarmen.

Für sie waren die Bewohner der Neuen Welt keine Menschen, sondern Wilde, die noch unter den Tieren rangierten. Gnadenlos metzelten sie die Polynesier nieder und rotteten in einem grausamen Massaker fast die gesamte Inselbevölkerung aus. Einige wenige nur blieben übrig. Hübsche junge Mädchen und Frauen vor allem. Und ein paar Männer, die den neuen Herren als Sklaven zu dienen hatte und sich fügen mußten, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, auf bestialische Weise umgebracht zu werden.

Sala-y-Gomez gehörte den Spaniern.

Einer Handvoll Spaniern nur, die ein festes Lager errichtet hatten und in ihren Hütten im Grunde recht primitiv lebten.

Sehr selten nur sichteten sie ein anderes Schiff, das sie kaperten, um die lohnende Beute erleichterten und dann versenkten. Manchmal segelten sie auch zur Nachbarinsel hinüber, um unter den dortigen Eingeborenen zu morden, zu plündern und zu brandschatzen. An Tagen wie diesem, wenn das Schiff ausgelaufen war, herrschte in dem kleinen Lager auf der Insel tiefe Stille.

Es war Mittag, als ein großer, hagerer Mann eine der Hütten verließ und leicht schwankend über den freien Platz ging.

Er hatte getrunken. Seine Augen waren glasig, die Hitze benebelte zusätzlich sein Hirn. In der Linken hielt er eine halbgeleerte Rumflasche, und sein Gesicht verzerrte sich zu einem Ausdruck dumpfer Gier, als er sich nach rechts wandte und weiterstolperte.

Am Rand des Lagers kauerte reglos eine dunkle Gestalt zwischen den Büschen. Sie hatte ein braunes, breitflächiges Gesicht, dunkles Haar, das glatt und dicht in die Stirn fiel, breite Schultern und einen geschmeidigen, muskulösen Körper. Der Polynesier war jung, fast noch ein Knabe. Aus brennenden Augen beobachtete er den Spanier. In dem braunen Gesicht preßten sich die geschwungenen Lippen zu einem Strich zusammen, als der hagere Kerl vor einer bestimmten Hütte stehenblieb.

Luana, dachte der junge Polynesier.

Luana!

Der betrunkene Spanier rülpste, dann verzog er die Lippen zu einem schmierigen Grinsen. Seine Augen begannen zu funkeln. Ohne hinzusehen, schob er die halbleere Flasche in eine seiner Taschen. Verstohlen sah er sich nach allen Seiten um, dann trat er rasch auf die Tür der Hütte zu und begann, an dem primitiven Riegel zu nesteln.

Der junge Polynesier ballte die Hände zu Fäusten.

Er wußte, was der Kerl dort vorhatte. Er wußte es so genau, als habe der Bursche es ihm gesagt. Er konnte es in dem verzerrten Gesicht lesen, in dem dünnen, glänzenden Schweißfilm auf der Stirn und dem gierigen Glitzern der Augen. Der braunhäutige Junge grub die Zähne in die Unterlippe, bis er Blut schmeckte. Sein Herz trommelte in einem wilden Wirbel gegen die Rippen, Angst schnürte ihm die Kehle zu. Alles in ihm drängte danach, sich einfach abzuwenden, lautlos davonzuschleichen und Augen und Ohren zu verschließen vor dem, was geschehen würde, aber er brachte es nicht fertig.

Er konnte es nicht geschehen lassen!

Er mußte etwas tun!

Jetzt! In dieser Sekunde!

Seine Hände waren feucht, Schweiß perlte auf seinem braunen, jetzt fast fahlen Gesicht. Vorsichtig, geschickt und lautlos wie eine Schlange, glitt er ein Stück zur Seite. Erst als er sich im Sichtschutz der Hütte befand, richtete er sich behutsam auf und verließ die Deckung des Buschwerks.

Vier, fünf gleitende Schritte, dann hatte er die Rückwand der Hütte erreicht.

Er hörte, wie der Spanier die Tür öffnete und eine Mädchenstimme erschrocken aufstöhnte. Der Spanier stieß ein heiseres, gemeines Kichern aus. Der Junge biß die Zähne zusammen. Sein Blick zuckte in die Runde. Hastig bückte er sich, hob einen faustgroßen Stein auf und schlich weiter.

Die Tür der Hütte stand offen.

Lautlos auf seinen nackten Füßen glitt der Junge näher. Im Innern der primitiven Behausung herrschte Halbdunkel. Zuerst konnte der Polynesier nur das schmutzige, zerfetzte Hemd des Spaniers entdecken, den knochigen Rücken, das ölig glänzende schwarze Haar, doch nach und nach schälten sich auch die anderen Einzelheiten aus dem Schatten.

Ein einfaches Strohlager.

Und ein schlankes braunhäutiges Mädchen, das hilflos auf diesem Strohlager kauerte, an Händen und Füßen gefesselt.

Ihre Augen waren weit aufgerissen.

Voller Angst starrte sie den Spanier an. Ihre Lippen zitterten, ihre Brust hob und senkte sich unter schnellen, angstvollen Atemzügen – und das war ein Anblick, der den betrunkenen Spanier vollends in Erregung versetzte.

„He, Täubchen“, sagte er. „Nun schau mich nicht so an, als ob ich dich auffressen wollte! Ich tu dir doch nichts! Nur ein bißchen Spaß will ich mit dir haben.“

Weder das Mädchen in der Hütte noch der junge Polynesier draußen vor der Tür verstanden die spanischen Worte.

Aber sie hörten den Tonfall. Sie wußten beide, was gemeint war und daß es nichts gab, was den Betrunkenen jetzt noch von seinem Vorhaben abbringen konnte.

Nichts – außer Gewalt.

Das Mädchen in der Hütte atmete schneller und wich so weit gegen die Wand zurück, wie sie es vermochte. Der Spanier lachte nur. Blindlings tastete seine Rechte nach der Rumflasche. Mit den Zähnen zog er den Korken heraus und setzte die Flasche an den Mund, um sich noch mit einem kräftigen Schluck zu stärken.

Der junge Polynesier hob vorsichtig die Hand, in der er den Steinbrocken hielt.

Seine Muskeln spannten sich. Hoch aufgerichtet stand er da, der schlanke, muskulöse Körper glänzte im Sonnenlicht. Für die Dauer eines Herzschlags wirkte er fast wie eine Statue, dann explodierte er.

Blitzartig schlug er zu.

Es gab ein dumpfes Geräusch, als der Stein den Schädel des Mannes traf. Ein scharfer, zischender Atemzug drang über seine Lippen, das war alles. Von einer Sekunde zur anderen erschlafften seine Muskeln. Die Rumflasche entglitt ihm, zerklirrte auf dem Boden, und im nächsten Moment brach er zusammen wie vom Blitz getroffen.

Über den reglosen Körper hinweg starrte das Mädchen zur Tür. Ihre Augen waren weit aufgerissen, die Lippen zitterten.

„Guma“, flüsterte sie. „Guma!“

„Luana.“

Er lächelte ihr zu. Rasch ließ er den Stein fallen und wollte die Hütte betreten, um das Mädchen von den Fesseln zu befreien. Viel zu spät hörte er das winzige Geräusch in seinem Rücken.

„Bastardo! Cobarde!“

Es war eine spanische Stimme.

Wie unter einem Peitschenhieb zuckte der Junge zusammen. Auf dem Absatz wirbelte er herum, aber er schaffte es nicht einmal mehr, die beiden Männer zu erkennen, die dort im heißen Staub vor der Hütte standen.

Der junge Polynesier mit dem Namen Guma sah nur noch eine rote Lohe auf sich zurasen, und der verzweifelte Schrei des Mädchens Luana mischte sich mit dem Donnern der beiden Musketen, die sein Leben auslöschten.

In einem blitzschnellen Manöver hatte der schwarze Segler der spanischen Galeone den Bug gezeigt – jetzt fiel der „Eilige Drache über den Wassern“ leicht ab und zog mit rauem Wind nach Nordwesten. Dicht am Heck der „Maria Mercedes“ scherte er vorbei, und die Männer an den Kanonen hielten sich genau an Siri-Tongs Befehle.

„Kanone Backbord Bug Feuer!“ brüllte der Wikinger mit dröhnender Stimme.

Bill the Deadhead war es, der die Lunte auf die Zündpfanne drückte. Donnernd entlud sich das schwere Geschütz, die mächtige Eisenkugel fuhr ins Achterkastell der spanischen Galeone.

„Feuer!“ brüllte Thorfin Njal, und die zweite Kanone auf der Backbordseite spuckte Tod und Verderben.

Zwölfmal in rascher Folge schienen an der Bordwand des schwarzen Seglers gespenstische Feuerblumen aufzublühen, brüllte der Kanonendonner auf, flogen die mörderischen Kugeln. Eine der beiden achteren Drehbassen des Spaniers erwischte es sofort. Aus dem zweiten schwenkbaren Rohr leckten Feuerzungen, aber der Spanier schoß zu überhastet und traf nicht. Zwei, drei Kugeln fuhren in die Takelage der Galeone, ein Loch klaffte im dreiekkigen Besan, das sich rasch zu einem yardlangen Riß erweiterte. Zwei Kugeln, die der schwarze Segler auf die Reise schickte, trafen voll die zweite achtere Drehbasse, und mit der letzten Kanone auf der Backbordseite rasierte der Boston-Mann den Besanmast der „Maria Mercedes“ weg.

Krachend stürzten Masten, Spieren und Stage an Deck, zerfetzten einen Teil des Schanzkleids und ließen die Galeone schwer nach Steuerbord krängen.

Verwundete schrien. Männer sprangen hinzu, hackten wie die Wilden auf Wanten und Pardunen ein, um den abgeknickten Mast in die Tiefe fahren zu lassen. Auf dem Achterkastell fuchtelte ein großer, knochiger Mann aufgeregt mit beiden Armen. Siri-Tong, die ihn aus schmalen Augen beobachtete, lächelte dünn.

Sie konnte die Befehle nicht verstehen, die dort drüben gebrüllt wurden, aber sie wußte auch so, was die Spanier tun würden.

Die Galeone ging mit dem Heck durch den Wind.

Sie mußte es tun, um ihre Steuerbord-Breitseite einsetzen zu können. Dabei hätte der Capitan voraussehen müssen, daß seine Gegner genau das gleiche vorhatten, doch er konnte oder wollte nicht einsehen, daß der schwarze Segler ihm überlegen war.

„Weiter abfallen!“ peitschte die Stimme der Roten Korsarin. „Herum mit dem Schiff!“

Drüben auf der Galeone sah der Kapitän, daß sein Gegner das Manöver wesentlich schneller beenden würde als er, und gab überhastet den Feuerbefehl.

Die Breitseite der „Maria Mercedes“ krachte, aber die Kugeln ließen nur Wasser aufspritzen.

„Steuerbordkanonen Feuer!“ dröhnte genau zwei Sekunden später die Donnerstimme des Wikingers, und diesmal erwischte die „Maria Mercedes“ eine volle Breitseite über der Wasserlinie.

Für die Spanier war das Gefecht damit entschieden.

Sie drehten in den Wind, setzten die Bugdrehbassen ein und verpaßten dem schwarzen Segler einen Treffer in die Bordwand, doch dann war der „Eilige Drache über den Wassern“ bereits außer Reichweite.

Siri-Tong ließ anluven, wollte wenden und von neuem angreifen, doch dem spanischen Capitan schien der Schrecken mächtig in die Glieder gefahren zu sein. Er hatte sich die Sache zu leicht vorgestellt. Eben noch war er entschlossen gewesen, sich auf seinen Gegner zu stürzen wie ein Habicht auf eine Maus, jetzt ließ er abfallen, legte die Galeone in einem hastigen Manöver vor den Wind und sah zu, unter allen noch verbliebenen Segeln nach Westen zu entwischen.

Siri-Tong schickte ihm einen eisernen Gruß nach, aber da war die „Maria Mercedes“ bereits außer Reichweite der Kanonen.

Der schwarze Segler verfolgte sie nicht.

Ramponiert, wie er war, stand es durchaus nicht fest, ob er die Galeone einholen würde. Auch wenn den Spaniern der Besanmast fehlte. Zwar brannten die Männer des „Eiligen Drachen“ förmlich darauf, die heimtückischen Angreifer endgültig zu den Fischen zu schicken – aber im Moment war es einfach wichtiger, die Schäden zu reparieren, um für alle Fälle wieder gefechtsklar zu werden.

Die Rote Korsarin preßte die Lippen zusammen.

Ihre Augen versprühten Blitze, als sie der davonrauschenden Galeone nachsah. Auch Thorfin Njal schäumte vor Wut, als er über den Niedergang zurück auf das Achterkastell stampfte.

„Diese Hunde!“ knirschte er. „Diese Satansbraten! Diese dreimal verdammten …“

„Schon gut, Thorfin! Was wir ihnen hinübergeschickt haben, werden sie bestimmt so schnell nicht vergessen.“

„Das will ich meinen!“ Der Wikinger nickte grimmig, starrte nach Westen und kratzte sich ausdauernd an seinem zerbeulten Helm. „Ich möchte nur wissen, woher, bei allen Teufeln der Hölle, in dieser verdammten Gegend Spanier kommen.“

Siri-Tong nickte nur.

Auch sie sah der Galeone nach, die im Westen allmählich kleiner wurde. Die Rote Korsarin hatte die Lider zusammengekniffen, und ihre Augen waren sehr schmal und sehr nachdenklich.

„Genau das frage ich mich auch“, murmelte sie. Und mit einem tiefen Atemzug fügte sie hinzu: „Warte es ab! Wenn wir diesen Kahn erst wieder flott haben, werden wir es schon herausfinden.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 96

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