Читать книгу Miko Li und das gestohlene Zauberbuch - Kendra Li - Страница 4

Erstes Kapitel - Erwachen

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Miko wacht Mitten in der Nacht auf. Irgendetwas hat sie aufgeweckt. Eine leise Stimme, die ihren Namen rief. Oder hat sie sich das bloß eingebildet?

Sie knipst die Nachttischlampe an und rutscht von der Bettkante. Mit nackten Füßen durchquert sie das Kinderzimmer. Da stolpert sie über etwas. Sie guckt zu Boden und entdeckt ihren Teddy Domino. Seine treuen Knopfaugen schauen zu ihr hoch. Schnell hebt sie ihn auf und drückt ihn ganz fest an ihre Brust.

Sein schokoladenbraunes Fell fühlt sich weich und flauschig an. Sie hat ihn so lieb! Domino hat ihr schon so oft in ihrem Leben Trost gespendet. Vor allem, wenn sie sich mal wieder fremd und anders vorkam.

Miko drückt ihre Nase in das weiche Fell und meint jetzt einen Hauch von Aftershave zu riechen.

So hatte ihr Vater immer gerochen. Sie schluckt schwer und ihre Augen fangen an zu brennen.

Vor zwei Jahren ist ihr Vater bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen. Er ist ein erfolgreicher Architekt gewesen. Ständig ist er in der Welt herum gereist. Manchmal hat Miko ihn drei Monate lang nicht zu Gesicht bekommen. Sie erinnert sich an die Wut, die sie empfunden hat, weil ihr Vater nicht wie andere Väter zu Hause geblieben ist.

Zudem ist er nie da gewesen, wenn sie ihn ganz dringend gebraucht hat.

Doch nun wird er nie mehr Zeit haben. Er wird nicht einmal mehr Zeit haben, um ihr zu sagen, dass er keine Zeit für sie hat. Denn er ist für immer fort. Mama sagt, er ist im Himmel. Doch was bedeutet das schon? Miko kann sich darunter nichts vorstellen. Wo ist das? Der Himmel.

Mit Domino auf dem Arm legt sie sich wieder ins Bett und starrt hoch an die Decke. Morgen wird sie neu eingeschult. Sie kommt jetzt in die fünfte Klasse und auf eine neue Schule. Sie verspürt ein leises Ziehen in ihrem Herzen. Ihr Vater wird nicht da sein.

Der hat im Himmel sicher Besseres zu tun. Er hat ja immer etwas Besseres zu tun...

Miko drückt ihren Teddy noch fester an sich. Domino ist alles, was ihr von ihrem Papa noch geblieben ist. Den hat sie vor vier Jahren zum Geburtstag von ihm geschenkt bekommen.

Sie gähnt. Vielleicht klappt es ja jetzt mit dem Einschlafen.

Als sie das Licht ausknipst, starren ihre Augen noch eine Weile in die Dunkelheit. Weshalb ist sie eigentlich aufgewacht? Ja richtig. Eine Stimme hat nach ihr gerufen. Oder?

Bevor sie jedoch weiter darüber nachdenken kann, ist sie auch schon wieder eingeschlafen. Und so bekommt sie gar nicht mit wie ein helles Licht über ihrem Körper erscheint und sich ganz langsam auf die Bettdecke neben ihr nieder lässt. Dort sitzt es, um über Miko zu wachen.

Miko sitzt auf dem Beifahrersitz, neben ihrer Mutter, im Auto. Sie sind auf dem Weg nach Hause. Die Mutter hat ihre Tochter gerade von der Schule abgeholt.

Jetzt fahren sie langsam durch die Nachbarschaft und Miko sieht wie Herr Müller gerade seinen Garten gießt, Frau Zimmermann ihren Briefkasten leert und der kleine Hund von Schmitges mal wieder im Nachbargarten herum buddelt. Das gibt später sicher Ärger!

Sie betrachtet die Bäume, die aus ihrem Winterschlaf erwacht sind und nun zu blühen anfangen. Das Gras ist bereits saftig grün und die Vögel stimmen sich auf den Frühling ein. Es herrscht eine äußerst friedliche Atmosphäre.

Nur sieht es in Miko drin ganz und gar nicht friedlich aus. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und macht ein unglückliches Gesicht. Auf der ganzen Heimfahrt hat sie ihrer Mutter von ihrem schrecklichen Tag erzählt.

Die Einschulung war ja noch einigermaßen verlaufen. Aber als der Unterricht begonnen hatte, musste Miko mit Entsetzen feststellen, dass die anderen Schüler viel schlauer waren als sie. Jeder schien mit dem Unterrichtsstoff klar zu kommen, doch sie selbst hatte das furchtbare Gefühl ein Brett vor dem Kopf zu haben.

Der Lehrer war ihr auch unsympathisch. Er blickte streng und schien für niemanden ein Lächeln übrig zu haben, was sie nur noch mehr einschüchterte. Miko hatte gedacht, sie würde schnell neue Freunde finden. Doch in der großen Pause wurde sie von keinem ihrer Schulkameraden beachtet. Die Schüler schienen sich untereinander alle zu kennen, während Miko noch immer die Neue war.

Nach der Schule hatte Miko traurig auf dem oberen Treppenabsatz zum Schuleingang gesessen und auf ihre Mutter gewartet. Mit hängenden Schultern und schlurfenden Schritten war sie später zu ihr ins Auto gestiegen.

„Du wirst schon noch Anschluss finden, mein Schatz,“ sagt ihre Mutter jetzt mit beruhigender Stimme. „Das war doch dein allererster Schultag. Hab noch ein bisschen Geduld. Das wird schon.“

Das wird schon. Miko kann es nicht mehr hören. Immer, wenn Erwachsene nicht weiter wissen, fertigen sie einen mit diesem Spruch ab.

Seit Papas Tod scheint ihre Mama in ihrer eigenen Welt zu leben und nicht mehr offen für Miko`s Probleme zu sein. Sie hat genug eigene Probleme, sagt die Mutter oft in letzter Zeit.

Sie sagt es nicht zu Miko, aber zu ihren Freunden, am Telefon oder sogar zu sich selbst, wenn sie Selbstgespräche führt. Miko traut sich kaum noch sich ihrer Mutter anzuvertrauen, denn sie will ihr nicht auch noch zur Last fallen.

Sie fühlt sich plötzlich überflüssig und leer!

„Zu Hause wollen wir uns die Nudeln mit Tomatensoße schmecken lassen. Dein Leibgericht!“ sagt die Mutter jetzt augenzwinkernd.

Normalerweise wäre Miko vor Freude in die Luft gesprungen, denn sie liebt Nudeln mit Tomatensoße über alles. Doch sie kann sich heute nicht dafür begeistern.

Sie muss an Anita denken, ihre beste Freundin, die diesen Winter weggezogen ist. Mit ihr hätte sie über ihre Probleme sprechen können.

Miko möchte am liebsten laut heraus weinen, doch dann strafft sie die Schultern. Es hilft alles nichts. Da muss sie jetzt durch.

Miko betritt ihr Kinderzimmer und wirft den Schulranzen in die nächstbeste Ecke.

Die Schule war heute mal wieder der reinste Horror gewesen. Der Lehrer hat sie wissen lassen für wie dumm er sie hält und ihre Mitschüler haben sie daraufhin auch noch ausgelacht. Sie will sich gerade die Hausschuhe anziehen, da ruft ihre Mutter nach ihr.

„Komme gleich,“ sagt sie und freut sich schon auf das Mittagessen, denn sie hat mächtig Hunger. Als sie jedoch unten die Küche betritt findet sie keinen gedeckten Tisch und keine feinen Essensgerüche vor, sondern nur ihre Mutter die mit verschränkten Armen und verstörter Miene vor ihr steht.

„Oje,“ denkt Miko. „Die Sorgenfalten kenne ich bereits. Und das verheißt nichts Gutes.“

„Dein Lehrer hat mich gerade angerufen.“

„Herr Haller?“ will Miko wissen.

„Ja genau.“

„Was wollte er denn?“

„Setz dich.“

Miko lässt sich beklommen auf den Stuhl am Esstisch nieder und sieht ihre Mutter fragend an. Die Mama sieht müde aus und traurig, aber auch besorgt.

„Er sagt, du passt im Unterricht nicht auf.“

„Ich komme nur nicht mit,“ verteidigt sich Miko sofort. „Ich verstehe nicht, was er da auf die Tafel schreibt.“

„Dann frag ihn doch einfach. Dazu ist er schließlich da.“

„Das mach ich doch.“

„Und?“

Miko lässt die Schultern hängen. „Ich verstehe es trotzdem nicht.“

„Dann frag ihn halt nochmal.“

„Das will ich nicht.“

„Warum, nicht?“

„Weil mich dann die anderen auslachen.“

„Weshalb sollten sie?“

„Weil sie alles, was der Lehrer erklärt, sofort verstehen. Nur ich nicht. Sie sagen, ich bin dumm.“

„Wer sagt das?“

„Alle.“

„Das glaube ich nicht.“ Die Mutter verschränkt die Arme vor der Brust. „Das kann ich einfach nicht glauben,“ sagt sie dann kopfschüttelnd.

„Es ist aber so.“

„Herr Haller meint, du könntest eine gute Schülerin sein. Aber du willst nicht.“

„Das ist nicht wahr,“ begehrt Miko auf.

„Er sagt auch, dass du dich nicht genug anpasst. Das könnte auch der Grund sein, weshalb du keine Freunde findest.“

„Weil ich mich nicht anpasse?“ Miko ist empört und wütend. Sie findet das alles so ungerecht. Niemand versteht sie. „Warum muss ich mich denn überhaupt anpassen?“ will sie wissen. „Weshalb kann ich nicht einfach so sein wie ich bin?“

„Es gibt eben gewisse Regeln, Miko. Das ist nun einmal so.“

„Aber warum denn?“

Die Mutter seufzt. „Miko, nun mach es mir doch nicht so schwer.“ Sie fährt sich müde über die Stirn und macht ihr vertrautes Kopfschmerz-Gesicht. Doch Miko ist nicht bereit das Thema so einfach fallen zu lassen. Nicht heute.

„Warum muss ich eigentlich immer alles tun, was die Erwachsenen von mir verlangen? Warum muss ich mich zwingen Mathe zu lernen oder Deutsch, obwohl ich das eigentlich gar nicht will?“

„Ach! Und was willst du denn statt dessen gerne tun?“ fragt die Mama herausfordernd.

„Ich will auf meinem Skateboard durch die Stadt fahren. Ich will malen und zeichnen, weil mir das Spaß macht. Ich will das tun, was mich glücklich macht. Aber vor allem will ich, dass keiner mir ständig vorschreibt, was ich zu tun oder zu lassen habe.“

„Hör auf damit, Miko. Du weißt, das ist völliger Humbug!“ Ihre Mutter guckt jetzt sehr streng.

Da platzt Miko der Kragen. Sie stampft mit dem Fuß auf und über ihre Wangen laufen bittere Tränen.

„Ich will das nicht mehr.“

„Und weißt du, was ich nicht mehr will?“ brüllt die Mutter auf einmal und ihre Stimme überschlägt sich dabei. „Ich will, dass du endlich mal Ruhe gibst und mir nicht ständig solche Sorgen machst.“

Rumms! Das hat gesessen.

Miko`s Unterlippe zittert. Mit einem lauten Schluchzer dreht sie sich um und rennt die Treppe hoch.

„Miko,“ ruft ihre Mutter reumütig hinterher. „Kleines, komm bitte zurück.“

Doch Miko hört sie nicht mehr. Sie ist blind vor Tränen und schlägt die Tür des Kinderzimmers lautstark hinter sich zu. Dann wirft sie sich auf das Bett und weint bittere Tränen. Sie versteht das alles nicht. Sie versteht so vieles nicht. Aber ist sie deshalb dumm?

Zum wiederholten Mal muss sie sich fragen, weshalb sie sich von den anderen Kindern ihres Alters so unterscheidet.

„Was ist nur los mit mir?“ ruft sie weinend aus. „Stimmt etwas nicht mit mir?“ Sie greift noch immer schluchzend nach ihrem Teddy Domino und drückt ihn fest an ihre Brust. „Es ist so schwer.“

„Und dabei kann es doch so einfach sein,“ meint eine fremde Stimme plötzlich.

Miko zuckt erschrocken zusammen und hebt den Kopf. Sie erblickt einen dunkelhäutigen Jungen mit schokoladenbraunen Augen, der vor ihrem Bett steht. Er trägt ein seltsames Gewand aus gelben Leinen und sieht sie mitfühlend an.

Sie rubbelt sich mehrmals die Augen, weil sie davon überzeugt ist, dass sie träumt. Doch der Junge steht weiterhin vor ihr und lächelt sie jetzt freundlich an. Miko weicht vor ihm zurück, den Teddy drückt sie noch fester an sich.

„W-wer bist du?“ fragt sie mit ängstlicher Stimme.

„Ich bin Taboa.“

Ein Duft steigt Miko in die Nase und sie muss dabei an ein Feld voller Wildblumen denken. Sie fühlt sich mit einemmal seltsam.

Die Angst vor dem fremden Jungen, der wie aus dem Nichts erschienen ist, weicht einer neuen Emotion. Ein liebevolles und sanftes Gefühl breitet sich in ihr aus und sie weiß auf einmal, dass ihre Furcht ganz unbegründet ist. Sie lockert ihren Griff um Domino und betrachtet den Jungen jetzt neugierig.

„Was tust du hier?“ fragt sie.

„Dich besuchen,“ sagt der Junge, ganz so als wären sie alte Freunde. Miko weiß darauf nichts zu sagen und starrt ihn einfach nur sprachlos an. Taboa setzt sich zu ihr an den Rand des Bettes.

„Ich dachte, es ist an der Zeit mich dir vorzustellen.“ Er lächelt breit und entblößt dabei eine Reihe schneeweißer Zähne.

„Woher kommst du?“

„Ich komme direkt aus deinem Herzen.“

Miko fasst sich unwillkürlich an die Brust.

„Ich weiß, du bist dabei deinen Glauben zu verlieren,“ fährt er jetzt fort. „Ich will dir helfen ihn wieder zu finden.“

„Welchen Glauben?“

„Den Glauben an dich selbst.“ Taboa mustert sie eingehend. „In deinem Leben gab es in letzter Zeit einige einschneidende Veränderungen. Richtig?“

Miko nickt und ihre Miene verdüstert sich. „Mein Papa ist vor zwei Jahren gestorben,“ haucht sie leise. „Und in der Schule läuft es nicht so richtig. Mama ist deshalb wütend auf mich.“

„Deine Mama ist vor allem wütend auf sich selbst, weil sie denkt, dass sie es nicht verdient hat, glücklich zu sein.“

Ihre Augen weiten sich. „Weshalb sollte sie so etwas denken?“

„Es hat mit alten Mustern in ihrem Leben zu tun, doch das erkläre ich dir ein anderes Mal.“ Taboa rutscht von der Bettkante. „Erst einmal möchte ich dir gerne etwas zeigen.“ Er reicht ihr die Hand. „Möchtest du mit mir kommen?“

Miko spürt eine treibende Kraft in ihrem Innern. Ein Urvertrauen zu dem Jungen, das tief aus ihrem Herzen zu kommen scheint. Sie nickt und greift nach seiner Hand.

„Ja,“ sagt sie entschlossen.

„Und was ist mit mir?“ erklingt eine empörte Stimme hinter ihr. Miko wirbelt erschrocken herum und blinzelt mehrmals hintereinander, weil sie kaum glauben kann, was sie da sieht. Domino, ihr Teddy, rappelt sich hoch und tapst mit plüschigen Beinchen auf sie zu. Er verschränkt die kleinen Ärmchen vor seiner Brust und sieht sie aus anklagenden Knopfaugen an.

„Ich will auch mit,“ sagt er schmollend.

„Domino,“ haucht Miko und ist ganz aus der Fassung. „Du kannst ja sprechen.“

„Natürlich kann ich sprechen.“ Er zwinkert ihr zu.

Miko ist völlig aus dem Häuschen. Ihr langjähriger, treuer Freund ist zum Leben erwacht. Sie nimmt ihn auf den Arm und drückt ihn fest an sich. „Oh, Domino. Du weißt ja gar nicht wie glücklich ich bin.“ Sie schmiegt ihre Wange an sein flauschiges Gesicht und Domino lässt sich das nur zu gerne gefallen.

„Taboa, darf Domino mitkommen?“

„Die Entscheidung liegt ganz bei dir.“

„Dann kommst du natürlich mit,“ sagt sie zu ihrem Teddy, der vor Freude in die Luft springt.

„Wohin gehen wir denn überhaupt?“ will sie jetzt wissen.

„Wir machen eine kleine Reise,“ antwortet Taboa.

„Eine Reise,“ wiederholt Miko mit großen Augen. „Dann muss ich ja noch einen Koffer packen.“

„Nein, nein, das ist nicht nötig.“ Er schüttelt den Kopf.

„Aber meinen Rucksack, den will ich schon mit nehmen.“

Noch bevor Taboa widersprechen kann, hüpft Miko auch schon aufgeregt umher. Sie kramt ihren Rucksack hervor, packt eine Taschenlampe, eine Packung Kaugummis, ihr Tagebuch und einen bunten Schal hinein. Zu guter Letzt schlüpft Domino in die Tasche, so dass nur noch sein Köpfchen heraus guckt.

„Ich bin fertig und startklar,“ sagt Miko jetzt.

„Dann kann`s ja losgehen.“

Miko Li und das gestohlene Zauberbuch

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