Читать книгу Edorei und die Tochter des Zauberers - Kerstin Hornung - Страница 6
2. Nieswurz
ОглавлениеAls der Wecker leise und abgehakt piepste, gelang es ihr noch dieses Geräusch in ihre Träume einzubauen, doch dann wurde der Ton schriller und beständiger und riss sie aus dem Schlaf.
Sie spürte den gewohnten Hass auf diesen Störenfried und hatte das dringende Bedürfnis, ihn aus dem Fenster zu werfen.
Knurrend drückte sie den Knopf und wusste, dass er in nur fünf Minuten wieder piepsen würde.
Träge überlegte sie, wie viel Zeit sie vertrödeln konnte, ohne auf ihren Kaffee und die Dusche verzichten zu müssen. Da fielen ihr die Wichte von letzter Nacht ein. Schlagartig hellwach, setzte sie sich im Bett auf, aber in der Wohnung war nichts von einem Wicht zu sehen. Sie musste geträumt haben. Selbst die Wasserlache unter dem Tisch fehlte. Sie hatte geträumt.
Sie träumte immer noch!!! Auf dem Tisch standen frische Blumen, das Frühstücksgeschirr in einem Kranz aus Blättern.
„Zoe“, klang eine fiepende, erfreute Stimme aus der Küche. Zoe musterte den Wicht aufmerksam, aber sie konnte nicht genau erkennen, ob es Krazug, Brendas oder Herdis war.
„Guten Morgen“, sagte sie und streckte sich. „Habt ihr das alles hier vorbereitet?“ Die Frage war völlig überflüssig. Wer hätte sonst ihre Wohnung aufräumen sollen. Der Kleine nickte, und plötzlich war sie sich sicher, dass es Herdis war.
„Wir haben nichts gefunden, woraus wir dir ein schmackhaftes Frühstücksgetränk hätten brauen können“, wisperte Herdis beschämt. „Was willst du trinken?“
„Kaffee“, sagte Zoe und fühlte sich wie in einem fünf Sterne Hotel.
„Das?“, fragte Krazug. Er verneigte sich vor Zoe und hielt ihr den Rest aus ihrer Kaffeemaschine entgegen.
„Genau das“, antwortete Zoe. „Nur etwas mehr und heiß.“
Krazug machte ein eigenartiges Gesicht. Zoe lachte. Wann hatte sie zum letzten Mal gleich nach dem Aufstehen gelacht? Sie war ein Morgenmuffel - oder etwa doch nicht?
Barfuß lief sie ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Als sie nach dem Handtuch griff, merkte sie, dass es nach frischer Frühlingswiese duftete. Der Badteppich war auch flauschiger, als sie ihn in Erinnerung hatte und selbst die Zahnpaste schmeckte heute besser.
Aus dem Zimmer drang ein angenehmer Duft nach Kaffee.
Was für ein Morgen.
Als sie auf Socken aus dem Bad kam, stand ein geknickter Kräuterwicht neben dem Tisch und hielt schuldbewusst eine Kaffeetasse in der vierfingerigen Hand.
„Es tut mir Leid, Zoe“, sagte er zerknirscht. „Ich habe wirklich versucht, es gut zu machen, aber …“ Er streckte ihr verzweifelt die Tasse entgegen und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Zoe nahm die Tasse. Eine mittelbraune cremige Schicht bedeckte den nachtschwarzen Kaffee. Das war Caffécrema wie in der Werbung.
„Es ist perfekt“, hauchte sie anerkennend.
„Es ist grauenvoll“, widersprach Krazug.
„Nein, es ist perfekt“, versicherte Zoe, kippte einen Schuss Milch in den Kaffee und führte ihn an die Lippen. Noch ehe sie den ersten Schluck genommen hatte, roch sie das köstliche Aroma und den Beigeschmack von Zimt. Nie hatte man ihr einen so ausgezeichneten Kaffee vorgesetzt. Mit dem schwarzen Gebräu, das sie sonst immer morgens vor der Arbeit zu sich nahm, hatte dieses Getränk rein gar nichts gemein.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich beeilen musste, aber da kam Brendas mit einem Teller Pfannküchlein um die Ecke.
„Könnt ihr zaubern?“, fragte Zoe und griff nach einem dieser Küchlein. Es duftete nach Apfel und Zimt, schmeckte leicht säuerlich und erinnerte entfernt an die Pfannkuchen mit Zucker und Zitrone, die sie als Kind so gerne gegessen hatte.
„Wir können nicht zaubern“, versicherten die Wichte. „Die Gabe des Zauberns ist nur wenigen verliehen. Die Weise Isbilde beherrscht die Kunst. Der Zauberer Derdoran bedient sich ihrer dunklen Seite. Aber wir Wichte können nicht zaubern“, fügte Krazug hinzu.
„Darüber müsst ihr mir später mehr erzählen“, sagte Zoe und stopfte sich einen weiteren Pfannkuchen in den Mund. „Ich muss jetzt los“, kaute sie und spülte den Bissen mit dem letzten Schluck Kaffee hinunter. „Wir sehen uns nachher.“
Eilig schlüpfte sie in ihre Schuhe, schnappte sich die Jacke und die Tasche vom Haken und lief hinaus zu ihrem Auto.
Erst als sie den Motor anließ, wurde ihr bewusst, wie unwirklich das alles war.
Der Alltag holte Zoe ein, noch ehe sie um die nächste Ecke bog. Der Verkehr war bereits dichter, als sie erwartet hatte und so wie es aussah, würde sie mindestens fünf Minuten zu spät zur Schichtübergabe kommen. Claudia, die Stationsleiterin, würde sich wieder maßlos aufregen und ihr dieses kleine Vergehen im kommenden Dienstplan zehnfach heimzahlen. Mindestens zehn Spätdienst-Frühdienst Wechsel, zwischen denen Zoe nicht mehr als fünf bis sechs Stunden Schlaf ergattern würde, tippte sie.
Acht Stunden später saß sie geschlaucht in ihrem Auto. Fünf Neuzugänge, zwei Notfälle und eine Reanimation. Dann natürlich der Ärger mit Claudia und das, obwohl Zoe nur drei Minuten zu spät gekommen war. Aber gut. Jetzt hatte sie erst mal zwei Tage frei. Das war Luxus, denn meist streute Claudia Zoes freie Tage vereinzelt über den Dienstplan.
Sie steuere ihr Auto in die schmale Seitengasse, in der sie wohnte, und parkte es mit zwei Rädern auf dem Bürgersteig.
„Fräulein Müller“, rief ihr jemand nach.
Fräulein! So sprach sie nur ein einziger Mensch auf dieser Welt an, und das war ihr alternder Macho-Vermieter. Zoe rollte die Augen und drehte sich zu ihm um.
„Sie haben doch eine Garage, warum parken sie auf der Straße?“
Das ging ihn wirklich gar nichts an.
„Ich muss nachher nochmal los“, sagte sie und ärgerte sich, weil es so entschuldigend klang.
„Um Katzenfutter zu kaufen?“, fragte er scheinheilig.
„Herr Baumgärtner“, zischte Zoe. „Ich habe keine Katze.“ Sie klang wütender, als beabsichtigt. Die Katze war ein Reizthema.
Vor etwa einem Jahr hatte Zoe ein Kätzchen am Straßenrand gefunden. Von Anfang an war ihr klar, dass sie das Tier nicht behalten konnte. Dies verboten ihr ihre unmöglichen Dienstzeiten. Aber ihre neugierige Nachbarin, Frau Huber, hatte den Baumgärtner natürlich sofort angerufen, und der war wie ein Irrer in ihre Wohnung gestürzt und hatte mit dem Mietvertrag gewedelt. Keine Haustiere!
„Frau Huber hat wieder seltsame Geräusche aus ihrer Wohnung gehört.“
„Frau Huber“, sie verdrehte die Augen. „Sagen Sie ihr; die Geräusche, die sie hört, stammen von den Mäusen, die in ihrer Wandverkleidung wohnen. Auf Wiedersehen.“
Damit ließ sie ihren Vermieter stehen und ging ins Haus. Als sie den Schlüssel ins Türschloss steckte, vermied sie es noch einmal nach hinten zu sehen. Eilig schloss sie die Tür auf und schlüpfte durch einen kleinen Spalt hinein. Sie wusste, dass ihr der Baumgärtner immer noch hinterher starrte. Nicht nur um zu sehen, ob sie nicht doch eine Katze in ihrer Wohnung versteckte, sondern, weil er ihr immer auf den Hintern glotzte oder auf den Busen. Je nachdem ob er vor oder hinter ihr stand.
„Ich bin wieder da“, flüsterte sie und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, als wollte sie die Welt von draußen nicht hereinlassen. Ihre Wohnung war ihr noch nie so heimelig erschienen. Meist war sie nur ein Ort, an dem Zoe ihre Sachen aufbewahrte und an den sie sich flüchtete, wenn die Widrigkeiten des Lebens über ihrem Kopf zusammen schlugen. Doch sobald sie die Tür zu machte, war sie alleine. Das ständig dudelnde Radio und der flimmernde Fernseher änderten nichts daran. Lange hielt Zoe es nie zuhause aus. Mit dem Ergebnis, dass die Küche immer unordentlich war, sich die Wollmäuse unter dem Bett stapelten und auch sonst immer eine gehörige Portion Chaos herrschte.
Nicht so heute. Selbst das Licht war anders als sonst. Fremde, einladende Musik erfüllte den Raum. Sie war wie der Duft, der Zoe in die Nase stieg. Harmonisch, allgegenwärtig und doch nicht vorhanden. Zoes Schuhe standen in Reih und Glied. Die Wohnung schien gründlich geputzt worden zu sein. So gründlich, wie sie es niemals tat, und sie ertappte sich bei dem Gedanken, zumindest einen dieser Wichte für immer hier behalten zu wollen.
Krazug kam ihr entgegen.
„Du warst lange fort, Zoe. Du siehst müde aus.“
„Ich hatte einen anstrengenden Tag“, gestand sie.
Krazug führte sie zu ihrem Bett, das mit einer Tagesdecke zugedeckt worden war. Die Kissen waren ordentlich und einladend aufgeschüttelt und Krazug machte ihr ein Zeichen, es sich bequem zu machen.
„Können wir dir etwas Gutes tun?“
Zoe ließ sich in die Kissen sinken.
„Höchstens seine Tasse Kaffee“, sagte sie verträumt.
„Kaffee?“, fragte Krazug zweifelnd.
„Nur wenn es keine Umstände macht“, meinte Zoe. „Schließlich müssen wir bald los. Ich habe euch doch versprochen, dieses Kraut zu suchen.“
„Keine Umstände, keine Umstände“, rief Herdis aus der Küche.
„Was habt ihr heute den ganzen Tag über gemacht?“, wollte Zoe wissen. „Ich meine, außer meine Wohnung in den schönsten Platz auf Erden zu verwandeln.“
„Die Weise Isbilde war kurz hier, um zu erfahren, ob wir erfolgreich waren“, sagte Brendas mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand.
„Eure Hexe war hier? In meiner Wohnung? Hat Frau Huber sie gesehen?“
„Wer ist Frau Huber?“, fragte Brendas.
„Meine überaus neugierige Nachbarin. Wenn sie euch sieht, hetzt sie mir diesen dämlichen Baumgärtner auf den Hals. Ihr dürft die Tür nicht öffnen, wenn ich nicht da bin. Keiner darf euch sehen.“
„Wir öffnen die Tür nicht“, versicherte Brendas.
„Aber wie ist sie dann … Ich meine …“ Erst jetzt fiel Zoe auf, dass sich noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie diese seltsamen Geschöpfe in ihre Wohnung gelangt waren.
„Setzt euch zu mir. Wir haben einiges zu besprechen.“ Sie klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich. Scheu näherten sich Krazug, Herdis und Brendas und setzten sich. Ihre übergroßen Hände kneteten sie unsicher im Schoß. Offensichtlich waren sie es gewohnt Befehle entgegen zu nehmen und konnten ganz selbstverständlich dienen, doch wenn sie untätig herumsitzen und sprechen sollten, fühlten sie sich unwohl.
„Wie seid ihr in meine Wohnung gekommen?“, fragte Zoe.
„Die Weise Isbilde öffnete uns ein Tor. Sie sagte, wir sollen in dieser Welt nach Nieswurz suchen. Deine Welt ist unserer Welt am ähnlichsten. Zumindest sagt das Isbilde“, erklärte Herdis.
„Die Weise Isbilde“, verbesserte ihn Krazug und Herdis nickte beschämt.
„Und wieso glaubt Isbilde, in meiner Küche auf Nieswurz zu stoßen?“
„Bei uns weiß jeder, dass in dieser Welt Nieswurz überall anzutreffen ist. In jeder Küche soll er stehen.“
Nun es gab gewiss viele Dinge, die in jeder Küche standen, nur in Zoes Küche nicht, aber von Nieswurz hatte sie noch nie etwas gehört.
„In keiner Küche werdet ihr Nieswurz finden. Ich bin bestimmt keine begeisterte Köchin, aber Nieswurz in der Küche gibt es nicht.“ Sie schüttelte den Kopf.
Die Wichte waren entsetzt. Man sah ihnen deutlich an, dass sie nicht wussten, wie sie eine solche Neuigkeit ihrer weisen Gebieterin nahebringen konnten.
„Aber es gibt Möglichkeiten herauszufinden, wo wir dieses Kraut finden“, beruhigte Zoe sie.
Sie zog ihr Laptop aus dem Regal und fuhr den Rechner hoch, dann klickte sie sich ins Internet und gab Nieswurz ein. Überrascht stellte sie fest, dass es eine Pflanze, die diesen Namen trug, tatsächlich gab. Schnell überflog sie einige Überschriften und sagte: „Wir werden in den botanischen Garten gehen müssen.“ Über den Rand des Monitors konnte sie die erstaunten, fragenden Augen sehen. „Wir – ist nicht ganz richtig“, verbesserte sie sich. „Ihr solltet besser nicht auf die Straße gehen. Es würde morgen zweifellos in jeder Zeitung stehen. Ich gehe alleine und bringe euch das Kraut mit.“ Wenn ich es finde, fügte sie in Gedanken hinzu.
Nieswurz. Hoffentlich stand ein Schild neben dem Gewächs, ansonsten würde sie es zweifellos niemals finden. Aber zumindest versuchen musste sie es. Das war sie den Dreien für die geputzte Wohnung schuldig. Sie leerte ihre Tasse auf einen Zug und stellte sie ab.
„Ich werde so schnell wie möglich wieder hier sein.“
Zoe hatte zwar wenig Lust ihre behagliche Wohnung zu verlassen. Aber versprochen war versprochen.
Als sie den Botanischen Garten betrat, dachte sie bereits traurig daran, dass, sollte ihre Mission erfolgreich sein, die Wichte wieder aus ihrem Leben verschwinden würden. Und sie konnte niemandem von diesem kleinen Abenteuer erzählen, ohne für verrückt gehalten zu werden.
Nachdem sie eine Weile planlos zwischen den Blumen entlang geschlendert war, traf sie auf einen der Gärtner und beschloss ihn zu fragen, wohin sie sich wenden musste.
Er grübelte kurz, dann erklärte er ihr den Weg.
„Vielen Dank, Sie waren mir eine große Hilfe“, versicherte ihm Zoe.
Beschwingten Schrittes steuerte sie auf das Beet zu, das er ihr gewiesen hatte. Alle Blumen waren beschildert, deshalb machte sie sich keine Sorgen, die richtige Pflanze zu finden.
Endlich. Ein Schild sagte ihr, dass sie vor der Familie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae), zu denen der Nieswurz gehörte, stand. Aber welche Pflanze war die, die sie brauchte?
Da gab es Orientalischen Nieswurz, Korsischen Nieswurz, Purpurnen und Grünen, Tibetischen, Stinkenden… und die Christrose – die einzige Pflanze, die ihr zumindest einigermaßen bekannt vorkam – gehörte auch dazu.
Welcher Nieswurz war wohl der Richtige? Irgendwie hatte sie sich das alles einfacher vorgestellt. Warum hatte sie den kleinen Wichten nicht die Bilder gezeigt, die es im Netz sicherlich gegeben hätte?
Sie legte ihren Rucksack neben sich und packte das kleine Messer aus, dann blickte sie sich hastig um und schnitt von jeder Pflanze einige Stängel ab. Mit schlechtem Gewissen und dem untrüglichen Gefühl nicht die richtigen Pflanzen gefunden zu haben, machte sie sich auf den Heimweg. Am Supermarkt blieb sie stehen, denn sie hatte weder Brot noch Butter im Haus. Außerdem musste sie sich irgendwann in den nächsten Tagen, auch wieder etwas kochen. Die Flasche Olivenöl war leer, Milch hatte sie bloß noch eine angebrochene Packung, Käse, Kaffee, Pfeffer, Gemüse, Obst. Der Einkaufswagen war voll und sie hatte natürlich mal wieder keine Tragetasche im Auto, was hieß, dass sie hinterher durch den ganzen Kofferraum krabbeln musste, um das Zeug zusammenzusuchen.
Zu Hause angekommen, parkte sie wieder auf der Straße, auch wenn dies dem Baumgärtner nicht passte. Sie schulterte den Rucksack und klemmte sich so viel wie möglich von ihrem Einkauf unter die Arme. Die Salatgurke steckte sie in den Hosenbund, den Pfeffer in die Hosentasche, das Netz mit den Äpfeln erwischte sie mit den Zähnen. Damit war der Kofferraum leer und sie jonglierte mit dem Schlüssel. Eine Weile ging das gut, doch vor der Wohnungstür rutschte der Käse unter ihrem Arm heraus und fiel gemeinsam mit der Milch zu Boden. Zoe sperrte die Tür auf, kickte den Käse und die Milch in den Flur und huschte hinterher. Mit einem wohl dosierten Hüftschwung schloss sie sie hinter sich.
Erst einmal wollte sie den Einkauf in die Küche bringen. Sie hatte jedoch noch keinen Schritt ins Zimmer gemacht, da ließ sie erschrocken alles fallen und starrte fassungslos auf den gutaussehenden, seltsam gekleideten Mann, der auf ihrem Bett saß und sie verwundert musterte.
„Was zum …“, Teufel hätte sie beinahe gesagt, aber der Mann erhob sich wie ein Schauspieler in einem Bühnenstück, verneigte sich leicht und sagte:
„Sehr erfreut.“
Der spinnt, dachte Zoe. Benimmt sich wie King Lear, aber er sieht unverschämt gut aus.
Eilig kam Brendas herbeigelaufen.
„Zoe, gut das du da bist. Es ist ein Notfall. Das ist Prinz Edorei. Die Weise Isbilde hat ihn hierher gebracht.“
Prinz? Vornehm geht die Welt zu Grunde, dachte Zoe. Brendas senkte die Stimme.
„Er hat fast alles vergessen. Derdoran hat ihn verhext. Einmal ist es Isbilde … der Weisen Isbilde - gelungen ihn aus dem Bann des Zauberers zu befreien, aber ohne Nieswurz …“
Zoe sah von Brendas zu Herdis und Krazug, die ihre Köpfe gerade aus der Küche herausstreckten und dann wieder zu dem Prinzen.
Er sah gar nicht so aus, als hätte er alles vergessen. Zumindest hatte er nicht vergessen, dass er ein Prinz war. Gebieterisch machte er den Wichten ein Zeichen sich zu entfernen und musterte missbilligend Zoe und den Einkauf zu ihren Füßen. Eilig klemmte sie sich alles unter den Arm und folgte Brendas in die Küche.
„Was soll ich tun?“, fragte sie leise. „Wie lange bleibt er hier?“
Die Wichte sahen sie ratlos an.
„Warum ist er hier?“, fragte Zoe weiter
„Wegen des Zaubertranks“, antwortete Herdis.
„Leute, ich verstehe überhaupt nichts. Seit ihr hier seid, höre ich immer nur Zaubertrank und Isbilde, aber aus all dem werde ich einfach nicht schlau.“
Die Wichte tauschten einen vielsagenden Blick, dann begann Herdis, zu erzählen:
„Seit Anbeginn der Zeit sind Isbilde und Derdoran verfeindet. Derdoran lebt in den nördlichen Bergen und Isbilde im Tal der Blumen neben dem Heinzelwald. Aus diesem Grund begegnen sich die beiden nicht häufig. Viele Jahrhunderte herrschte ein trügerischer Frieden. Doch nun ist Derdorans Tochter Luriella erwachsen und er wünscht, sie zu verheiraten. Sie soll sehr schön sein. Keiner von uns Wichten hat sie je gesehen, aber die menschlich aussehenden Wesen sind sich einig, dass sie das schönste Geschöpf unter der Sonne ist. Die Zwerge behaupten, sie sei schön wie ein Diamant und genau so scharfkantig. Die Schneefeen sagen, sie sei schillernd wie ein Eiskristall im Nordlicht, doch genau so kalt und alle Geschöpfe des Tales behaupten, sie sei schön wie der Himmel, doch genau so unnahbar.“
„Und wo ist das Problem?“
„Das Problem ist, dass Derdoran sie mit dem Prinzen Edorei verheiraten will.“
Zoe warf einen Blick aus der Küche und musterte den Prinzen auf ihrem Bett. Er sah selbst unnahbar aus und passte wahrscheinlich ausgezeichnet zu der Tochter dieses Zauberers. Wenn sie nur halb so schön war, wie sie ihr beschrieben worden war, gaben die beiden bestimmt ein Traumpaar ab.
Der Prinz war sehr attraktiv. Er hatte eine gerade Nase, ein markantes Kinn und wellige Haare. Groß und gut gebaut schien er auch zu sein.
Zoe verspürte nicht den geringsten Wunsch, ihn kennenzulernen. Er war offensichtlich ein Lackaffe. Der Typ Mann, der sich selbst sehr wichtig nimmt. Hochnäsig und aalglatt.
„Prinz Edorei ist ein Halbelf“, erklärte Herdis. „Sein Vater ist der König der bekannten Welt, seine Mutter ist die Tochter des Elfenfürsten. Eines Tages wird die Macht über alle Völker in seinen Händen liegen. Nach dieser Macht strebt Derdoran.“
„Ich fasse zusammen“, sagte Zoe. „Er darf auf keinen Fall die Tochter des Zauberers heiraten, weil der Zauberer dann die Macht über euer Land erhält.“
Die Wichte nickten. Gut, dachte Zoe, das ist Klatsch und Tratsch auf hohem Niveau. „Und was soll ich mit ihm anfangen?“, fragte sie.
„Die Weise Isbilde sagt, dass er hier bleiben muss, bis der Zaubertrank gebraut ist, der den Bann des Zauberers löst.“
Zum Glück. Zoe hatte schon befürchtet, dass dieser Prinz nun bei ihr einziehen würde.
„Ich habe den Nieswurz.“ Sie griff nach dem Rucksack, öffnete ihn und kippte das ganze Sortiment an Nieswurz Pflanzen auf den Boden. Doch statt der erwarteten Begeisterung sah sie nur Ratlosigkeit in den Gesichtern der Wichte.
„Das sind Ranunkeln“, flüsterte Herdis enttäuscht.
„Was?“, rief Zoe.