Читать книгу Perry Rhodan 70: Die letzten Tage von Atlantis - K.H. Scheer - Страница 4
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Es war eine Welt ohne Horizont; ein mit unvorstellbaren Mitteln der Technik erbauter Himmelskörper.
Hochintelligente Lebewesen hatten etwas konstruiert und montiert, was mir in den ersten Augenblicken meines Hierseins Worte der Bewunderung abgenötigt hatte.
Weit über mir, nahe des kaum erkennbaren Schutzschirmes, glitt der strahlende Glutball einer künstlich erzeugten Atomsonne auf seiner vorgezeichneten Bahn entlang. Auf Wanderer, wie Perry Rhodan diesen künstlichen Planeten genannt hatte, herrschte die technisch-wissenschaftliche Perfektion. Ich hatte mich in den Räumen der verschiedenartigen Schaltzentralen umgesehen. Das Wissen und Können meines ehrwürdigen Volkes erschien mir danach minderwertig und längst überholt.
Ein offenbar uraltes galaktisches Volk hatte in dieser Kunstwelt all das verewigt, was wir, die Arkoniden, eines Tages noch zu entdecken hofften.
Bei dem Gedanken an Arkon, meine ferne Heimat, überwältigte mich wieder die Wehmut, jedoch stellte ich bei genügender Selbstbeobachtung fest, dass meine Sehnsucht nach den drei Planeten nicht mehr so brennend war.
Knapp einen Kilometer von meinem Standort entfernt, ragte der gigantische Stahlrumpf eines Raumschiffes in den blauen, von einer mächtigen Energieglocke umschlossenen Himmel der synthetischen Welt. Es war die DRUSUS; ein Superschlachtschiff, das nach den Plänen meines Volkes entworfen, jedoch auf der Erde erbaut worden war.
Nichts hatte mich von dem Aufstieg der ehemals so barbarischen Menschenrasse mehr überzeugen können, als dieser letzte und moderne Flottenneubau der Terraner. Fünfzehnhundert Meter durchmaß die Kugelhülle ohne den ausladenden Ringwulst in Höhe der Äquatorebene. Wahrscheinlich waren es dieses Raumschiff und andere Vertreter seiner Art, die mein Verlangen nach einer endlichen Heimkehr weniger drängend hatten werden lassen. Mein langes Dasein auf dem Planeten der Menschen hatte die Eindrücke verwischt. Die Erinnerungen an Arkon waren weniger gegenständlich geworden.
Ich blinzelte zu dem künstlichen Zentralgestirn hinauf und überlegte dabei, mit welchen technischen Tricks die Atomsonne auf ihrer Umlaufbahn gehalten wurde. Natürlich befand sie sich noch innerhalb des glockenförmigen Energiefeldes, das Wanderer gegen die Leere des Raumes abschirmte.
Schaudernd dachte ich an die letzten Tage zurück. Wanderer war von einer Überlappungsfront der anderen Zeitebene eingefangen worden. Die Beherrscher des fremden Raumes hatten die künstliche Welt nicht gutwillig entlassen, und so war es geschehen, dass das eigenartige Kollektivlebewesen all seine technischen Machtmittel eingesetzt hatte, die schließlich ein transitionsähnliches Hinausspringen aus der Druufebene bewirkt hatten.
Perry Rhodan und auch ich hatten anschließend vor dem Problem gestanden, die auf normaler Position nicht mehr auffindbare Welt dennoch zu entdecken. Dabei hatten wir physikalische Phänomene bewältigt, die folgerichtig zu verarbeiten mein Gehirn sich nunmehr sträubte.
Ich fühlte mich innerlich leer und ausgebrannt. Es war zuviel gewesen, was wir in dem durch und durch unstabilen Gebilde des Halbraumes zwischen den begreifbaren Dimensionen erlebt hatten. Nur ein Zufall, von uns weder rechtzeitig erkannt noch indirekt herbeigeführt, hatte die Auffüllung jenes Energiegehaltes bewirkt, der schließlich in schwer erfassbarer Realität zur Stabilisierung des Zwischenraumes beigetragen hatte.
Mir schwindelte, wenn ich an die mathematischen Probleme zurückdachte. Nachdem ich aus meinem bleischweren Erschöpfungsschlaf erwacht war, hatte Oberstleutnant Sikerman die im Einsteinuniversum wartende DRUSUS bereits gelandet.
Ich spähte nochmals zu dem Gebirge aus Arkonstahl und Panzerplastik hinüber. Das Superschlachtschiff war von meinem Standort aus nicht in voller Größe zu übersehen. Mir war, als stünde ich am Fuße eines Höhenzuges, dessen Gipfel in unerreichbarer Ferne lag. Dennoch flog dieses Monstrum von Raumschiff mit erstaunlicher Sicherheit.
Das leichte Pochen auf meiner Brust erinnerte mich an meinen eigroßen Zellaktivator, der den biologischen Alterungsprozess meines Körpers über die Jahrtausende hinweg verhindert hatte.
Seitdem ich wusste, dass auch Perry Rhodan und einige Männer aus seinem Stab eine biochemische Zellkonservierung erhalten hatten, war in mir brennende Neugierde erwacht. Ich erinnerte mich noch genau an jenen Tag, der mir das unbegreifliche Geschenk eines Unbekannten gebracht hatte.
Es lag lange zurück; fast zehntausend Jahre irdischer Zeitrechnung. Während meiner Wanderung durch die verschiedenartigen Entwicklungsepochen der Erde hatte ich es fast vergessen, über die Herkunft des Zellaktivators nachzudenken. Als ich jedoch mit Perry Rhodan zusammengetroffen war, hatte mich das Problem erneut beschäftigt.
Seltsame Parallelitäten im Ablauf der Geschehnisse hatten einwandfrei darauf hingewiesen, dass mein kleines Gerät nur von jenem eigenartigen Lebewesen stammen konnte, das auch Rhodan eine gewisse Unsterblichkeit verliehen hatte.
Wie relativ dieses »ewige Leben« aufgefasst werden musste, hatten wir erfahren, als wir wenige Tage zuvor verzweifelt bemüht waren, den Kunstplaneten Wanderer zu finden. Nur dort gab es das so genannte Physiotron, in dem ein menschlicher Körper die erforderliche Zellaktivierung erhalten konnte.
In Rhodans Fall hielt die Zelldusche, wie der komplizierte Vorgang einfach genannt wurde, etwa 62 Jahre lang an. Nach Ablauf dieser Zeit waren die derart Behandelten gezwungen, das Physiotron erneut aufzusuchen, wenn sie nicht einen sofortigen Alterungsprozess erleben wollten.
Rhodan hatte es im letzten Augenblick geschafft. Er und Reginald Bull hatten die Aufladungskammer betreten, in deren Entstofflichungsfeld etwas geschah, was ich mit dem besten Willen nicht definieren konnte. Jedenfalls war es kein schöpfungsgebundener Vorgang, sondern ausschließlich das Produkt einer als vollendet anzusehenden biochemischen Technik, die das Geheimnis des Lebens bis an die Grenze des Möglichen ausgeschöpft hatte.
Seltsam war dabei nur die unleugbare Tatsache, dass ich niemals gezwungen worden war, in regelmäßigen Intervallen auf dem synthetischen Planeten zu erscheinen, um eine Zelldusche zu erhalten. Trotzdem war ich nicht gealtert, sondern auf jener Daseinsstufe verblieben, die ich bei der Übergabe des kleinen Gerätes erreicht hatte.
Naturgemäß suchte ich nach einer Erklärung. Ich war hierher gekommen, in der Erwartung, von dem Beherrscher des Planeten Wanderer nähere Auskünfte zu erhalten. Dabei interessierte mich das rein technische Problem erst in zweiter Hinsicht. Wichtiger erschien mir das Warum!
Weshalb hatte mir das Geistwesen etwas überreicht, was mich für immer jung und elastisch erhielt? Als ich Es danach fragen wollte, war Es zu beschäftigt gewesen. Es war darum gegangen, Wanderer aus dem »Halbraum« zu befreien.
Nachdem uns das gelungen war, ließ Es oder Er nichts mehr von sich hören. Das Kollektivwesen schwieg, als wäre es niemals daran interessiert gewesen, mit Menschen und Arkoniden zu spielen.
Das Pochen auf meiner Brust verstärkte sich. Ein Strom belebender Impulse schien meinen Körper zu durchrieseln. Es gab nur eine logisch klingende Erklärung:
Der Aktivator musste eine Abart des großen Physiotrons sein. Auf meine Individualschwingungen abgestimmt, begann er immer dann zu arbeiten, wenn Zellkernteilung und Stoffwechsel labil wurden. Da ich dabei niemals entmaterialisiert wurde, wie es in der großen Dusche geschah, konnte es sich nur um sorgsam gesteuerte Reizimpulse handeln, die meinen natürlichen Lebensablauf lenkten und wunschgemäß korrigierten. Eine andere Erklärung hatte ich nicht gefunden.
Ich blickte auf die vollautomatische Spezialuhr an meinem Handgelenk. Made on Terra war auf der Außenseite des wasserdicht schließenden Deckels eingraviert worden.
»Made on Terra« – wie das klang! Alles, was ich am Leibe trug, war auf der Erde hergestellt worden; sogar die arkonidischen Admirals-Schulterstücke und das Symbol meiner ehrwürdigen Familie waren in irdischen Fabriken von menschlichen Händen erzeugt worden.
Mein langer Irrweg durch die Frühgeschichte der Menschheit war damit beendet. Rhodan, den ich zwei Jahre zuvor als Feind angesehen hatte, war ein Freund geworden. Nun kam es nur noch darauf an, diese Bindung zu festigen und ihm zu beweisen, dass ich meine Fluchtpläne aufgegeben hatte. Ich wusste nun, dass unser altes Arkonidenreich von einem Robotgehirn beherrscht wurde. Naturgemäß war sich Rhodan darüber klar, dass ich in letzter Konsequenz mehr an mein eigenes Volk dachte als an das seine, was aber in unserem Verhältnis keine Missstimmung hervorrufen konnte.
Ich hatte etwa zehntausend Jahre lang auf Terra gelebt. Jetzt war die Zeit gekommen, den Ort meiner Geburt wieder aufzusuchen. Rhodan würde mir dabei behilflich sein, das war sicher. Also lag es an mir, dem Herrn des Solaren Imperiums nach bestem Wissen und Können unter die Arme zu greifen, vorausgesetzt, er benötigte meine Hilfe überhaupt noch! Ich konnte der terranischen Wissenschaft nicht mehr viel bieten, obwohl mich die frühen Vorfahren der heutigen Menschen einmal als göttliches Wesen verehrt hatten.
Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die fugenlose Mauer und sah zur fernen DRUSUS hinüber.
Sie waren groß und mächtig geworden, die kleinen Barbaren vom dritten Solarplaneten. Ich hatte ihr Erwachen miterlebt, ihre Ängste und Freuden, Verirrungen und ihr stilles Heldentum. Sie waren es wert, von einem klarsichtigen Mann auf den rechten Weg geführt zu werden.
Ein tiefes Donnern riss mich aus meinen rückschauenden Grübeleien. Irgendwo im riesenhaften Rumpf des Superschlachtschiffes hatte sich eine Waffenkuppel geöffnet.
Ich sah den gleißenden Energiestrahl gen Himmel rasen. Weit über mir traf die Glut gegen den überstarken Energieschirm des Kunstplaneten. Ehe die warme Druckwelle bei mir ankam, lag ich bereits deckungsuchend auf dem Boden und tastete nach meinem Mikro-Bildsprechgerät.
Ich drückte den Schalter nach unten und wartete auf das Grünzeichen. Als es aufleuchtete, erschien gleichzeitig Rhodans Gesicht auf dem nur briefmarkengroßen Bildschirm, ein Zeichen dafür, dass er vor den Aufnahmen saß.
»Eh, Barbar, was ist los?«, sprach ich in das Mikrophon.
Ich bemerkte, dass er flüchtig die Lippen verzog. Etwas schrill klang seine Antwort aus dem winzigen Lautsprecher: »Überhaupt nichts, Arkonide! Es war die einzige Möglichkeit, dich darauf aufmerksam zu machen, dass es hier auch noch andere Leute gibt.«
Ich war für einen Augenblick verblüfft! Also hatte dieser grauäugige Terraner ganz einfach ein schweres Energiegeschütz der DRUSUS losdonnern lassen, nur um mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich mein MBG-Gerät abgeschaltet hatte.
»Das ist eine grobe Methode, um gute Freunde zu rufen«, sagte ich vorwurfsvoll.
Sein Lachen ließ den Mikrolautsprecher vibrieren.
»Ansichtssache«, entgegnete er gelassen. »Darf man fragen, wo du dich momentan aufhältst? Ich rufe seit fünfzehn Minuten.«
»Nahe der DRUSUS, hinter dem Hauptsteuerraum des Kraftwerkturmes. Ich habe mir die Umlenkschaltungen angesehen. Jemand ist auf die Idee gekommen, die Glockenfeldprojektoren mit den Auswertungsgehirnen der Strukturtaster zu koppeln. Ergebnis: wenn im Halbmesser von zehn Lichtjahren eine Phasenerschütterung stattfindet, schalten die Automaten das Feld hoch auf schätzungsweise zehn Milliarden kWh.«
»Wie bitte?«
Rhodans Gesicht erschien mir etwas fassungslos.
»Zehn Milliarden Kilowattstunden«, wiederholte ich. »Ein hübscher Stromverbrauch, was? Nein, nein, ich bin nicht verrückt geworden. Dieser Planet, der aussieht wie ein flacher Kuchenteller mit übergestülpter Käseglocke ist eine Welt der Superlative. Tut mir leid, wenn dein Urmenschenverstand nicht mehr mitmachen sollte.«
Wir grinsten uns gegenseitig an. Kleine Spitzfindigkeiten zwischen Rhodan und mir waren fast zur lieben Gewohnheit geworden. Ich konnte es einfach nicht lassen, ihn gelegentlich darauf hinzuweisen, dass seine Vorfahren während der arkonidischen Blütezeit noch in Höhlen gehaust hatten.
»Bist du zu Fuß gegangen?«, fragte er unvermittelt.
Der eigenartige Unterton in seiner Stimme machte mich stutzig. Ich nickte einfach. Rhodan musste es auf seinem großen Bildschirm sehen.
»Okay, ich schicke dir einen Gleiter aus der DRUSUS. Wenn du damit augenblicklich zur Physiotronhalle kommen könntest, wäre ich Euer Erhabenheit sehr verbunden.«
»Zur Dusche? Warum?«, fragte ich atemlos.
»Ich schicke den Gleiter«, lenkte er ab. »Bis gleich, Ende.«
Der Bildschirm meines Armbandgerätes wurde dunkel. Rhodan war verschwunden.
Ich blieb für einige Augenblicke flach auf dem Boden liegen und starrte blicklos zur DRUSUS hinüber. Perry hatte sich sehr eigentümlich verhalten. Es war etwas geschehen, ich ahnte es!
Nervosität begann mich zu quälen. Ich dachte an den Halbraum mit seinen verblüffenden Effekten und anschließend an Perry Rhodan, der während einer unstabilen Achsenverschiebung in den Zellduschkonverter gegangen war. Wir hatten keine Zeit mehr gehabt, länger zu warten. Fraglos wäre Rhodan jetzt schon ein hinfälliger und psychisch erschöpfter Greis gewesen, wenn wir die Zellaufladung nicht riskiert hätten.
Gespannt wartete ich auf die Landung des scheibenförmigen Antigravgleiters, dessen Pilot mir sicherlich nähere Auskünfte erteilen konnte. In der mächtigen Stahlhülle des Superschlachtschiffes rührte sich aber nichts. Bei der geringen Distanz hätte ich den hellen Lichtfleck nahe der Schleusen sehen müssen.
Ich richtete mich langsam auf und begann automatisch, den Staub von meiner terranischen Uniform zu klopfen. Erst Sekunden später fiel mir ein, dass es auf Wanderer keinen Staub gab; wenigstens nicht in den Bezirken der wenigen Städte, die Er nach Lust und Laune erbaut hatte. Es war kein technisches Problem, Staubpartikel elektrisch leitfähig zu machen. Waren sie es erst einmal, konnte man sie leicht mit gesteuerten Magnetfeldern absaugen.
Ich wartete noch einige Sekunden voller Ungeduld, bis ich plötzlich aus den Augenwinkeln eine irrlichternde Leuchterscheinung gewahrte. Knapp zehn Meter von mir entfernt war dicht über dem Boden ein kleiner Körper entstanden.
Dem paraphysikalischen Problem der Teleportation stand ich noch immer etwas fassungslos gegenüber. Die Prinzipien der Massentransportation durch die gesteuerten Kräfte des Geistes waren bereits der altarkonidischen Wissenschaft bekannt gewesen, nur war es uns niemals gelungen, ähnliche Dinge auszuführen.
Bei Rhodans Mutanten schien sich diese komplizierte, mathematisch überdimensionale Paramechanik zu einem Sport entwickelt zu haben. Ich hatte zwei menschliche und einen nichtmenschlichen Teleporter kennengelernt; aber alle schienen sie die Freude am so genannten »Springen« gemeinsam zu haben. Es war eine bequeme Art der Fortbewegung, oder der Versetzung, wenn man es verstand, die natürlichen Kräfte des Geistes folgerichtig einzusetzen. Ich würde dazu niemals fähig sein!
Betont gleichmütig schaute ich zu dem kleinen, nur ein Meter großen Geschöpf hinüber, das gleich mir nicht auf der Erde geboren worden war.
»Gucky« hatte Rhodan die Riesenmaus mit dem löffelartigen Biberschwanz wegen ihrer großen, glänzenden Augen genannt. Das Intelligenzwesen stand auf zwei kurzen Beinchen, die in zierlichen Spezialstiefeln steckten.
Überdies trug Gucky wieder die zartgrüne Raumkombination des Solaren Imperiums. Auf der linken Schulter glänzten die Rangabzeichen eines Leutnants des Geheimen Mutantenkorps.
Der possierliche Bursche hatte es faustdick hinter den abstehenden Ohren. Seitdem ich ihn während meiner Flucht auf Venus kennengelernt hatte, verband uns eine etwas eigentümliche Freundschaft, die zumeist in hintergründigen Bemerkungen und spitzfindigen Streitgesprächen ihren Ausdruck fand.
»Hallo, Angeber!«, begrüßte ich den Kleinen. »Bist du etwa der von Perry versprochene ›Gleiter‹?«
Die lange Mauseschnauze öffnete sich. Ich blickte fasziniert auf Guckys einzigen, dafür aber um so größeren Nagezahn, den er bei jeder Gelegenheit zu zeigen pflegte.
Das schrille Gelächter des Nichtirdischen peinigte mein Gehör. Als es plötzlich verstummte, wurde ich aufmerksam. Seitdem ich Gucky auf der Venus ein Stück faulendes Holz an den Kopf geworfen hatte, wusste ich, dass er normalerweise länger und ausgiebiger zu lachen pflegte. Die Wesen seiner Rasse besaßen einen nahezu unersättlichen Hang zum Spiel. Das Lachen und Herumalbern gehörten dazu.
»Ich bin der Gleiter!«, behauptete der Mausbiber mit großartig wirkender Handbewegung. »Gib mir deine Hand, Spion!«
Ich runzelte die Brauen und blickte auf den behäbig näherwatschelnden Kleinen hinunter. Für ihn war ich immer noch ein Arkonidenspion.
Als er dicht unter mir stand, bückte ich mich und nahm ihn wortlos auf den Arm. Er war leicht, fast zu leicht für seine Größe. Wahrscheinlich besaßen die Intelligenzen des Planeten Tramp einen sehr feinen Knochenbau. Um so kräftiger war ihr Gehirn entwickelt.
Guckys große Augen hefteten sich auf mein Gesicht. Der Nagezahn war irgendwo im spitzen Mund verschwunden. Wir musterten uns einige Sekunden lang. Dabei fühlte ich, dass der Kleine vor innerer Unruhe bebte. Er versuchte nicht erst, mittels seiner telepathischen Gaben in meinen Bewusstseinsinhalt vorzudringen. Ich war seit vielen Jahren daran gewohnt, die Impulse meines Hirns durch einen Monoschirm unter Kontrolle zu halten.
»Was ist los?«, fragte ich. »Du erscheinst mir etwas eigenartig. Seit wann begnügst du dich damit, mich lediglich Spion zu nennen? Meistens kommen doch noch einige bösartige Kommentare hinzu. Also ...?«
Ich sah, dass sich seine zierlichen Hände verkrampften. Plötzlich umfassten sie meinen Arm.
»Weißt du, wie die Zelldusche funktioniert? Ich meine – kannst du die Effekte berechnen, oder die Maschine umbauen?«
Guckys Stimme klang schriller als sonst. Er hatte sehr hastig und überraschend ernsthaft gesprochen. Der Druck der kleinen Hände steigerte sich. Der Mausbiber war zutiefst erregt.
»Die technische Konzeption ist einigermaßen klar«, entgegnete ich vorsichtig. »Das Wissen über die Funktion eines Auflösungsfeldes bedeutet aber noch lange nicht, dass man auch die nachfolgenden biochemischen Prozesse begreift. Ich ...«
»Halte mich fest, wir springen zusammen«, unterbrach er mich. »Du musst zur Duschhalle. O, ich kann mich kaum konzentrieren.«
Ich bemerkte, dass er sich außerordentlich bemühen musste. Ich fragte nochmals nach dem Grund seiner Unruhe.
»Bully, es ist Bully«, sagte der Kleine bebend. »Er war in der Zelldusche, als die Phasenverschiebung begann. Er hat etwas mitbekommen. Mit ihm geht etwas vor. Nein, nicht so intensiv denken. Du strahlst Störimpulse aus. Es ist für einen Teleporter sehr schwierig, dich zu versetzen. Denke an nichts, verstärke deinen Abwehrschirm.«
Mir war, als bräche plötzlich das Ende dieser verrückten Welt an. Rhodan ließ ein schweres Schiffsgeschütz ins Blaue feuern, und der fraglos fähigste »Mann« des Mutantenkorps zitterte vor Furcht um Reginald Bull.
Ich bezwang meine Nervosität und bemühte mich, meine Zellstrahlungen abzuschirmen. Augenblicke später fühlte ich ein kurzes, schmerzhaftes Ziehen. Gucky war mit mir »gesprungen«, wie er den komplizierten Vorgang über den Aufbau eines individuellen Manipulationsfeldes auf fünfdimensionaler Ebene nannte.
Als ich wieder stofflich wurde, erkannte ich die Umrisse des säulenförmigen Physiotrons.
Ein hochgewachsener, hagerer Mann kam langsam auf mich zu. Rhodans Augen strahlten eine erschreckende Kühle aus. So hatte ich ihn gesehen, als wir auf einer Wüstenwelt um unser Leben kämpften.
Er blieb dicht vor mir stehen. Dann trafen sich unsere Blicke.
»Wie gut kannst du rechnen, Admiral?«, fragte er. »Meine Kunst ist am Ende.«
Er trat einen Schritt zur Seite und gab mir damit den Blick auf den Zellaktivierungskonverter frei.
Dicht vor dem farbig markierten Ring der Sicherheitszone stand ein junger Offizier mit rostroten Borstenhaaren und weichen, faltenlosen Wangen. Ich musste genauer hinsehen, bis ich davon überzeugt war, Reginald Bull vor mir zu haben.
Etwas würgte in meiner Kehle. Schwankend schritt ich auf die Gefahrenzone zu. Der Mann mit den wasserblauen Augen rührte sich nicht.
Ich suchte nach den scharfen Falten, die sich während der letzten Jahre auf Bulls Stirn eingegraben hatten. Die ersten waren nach der Mondlandung entstanden, die er im Jahr 1971 zusammen mit dem Expeditionschef Perry Rhodan ausgeführt hatte. Bull würde am 14. Mai 2042 sein hundertviertes Lebensjahr vollenden. Zur Zeit schrieben wir den 5. Mai des gleichen Jahres. Es fehlten also nur noch wenige Tage bis zu seinem Geburtstag.
Vor 62 Jahren hatte er gleichzeitig mit Rhodan die erste Dusche auf Wanderer erhalten. Vor fünf Tagen war er zum zweiten Male in das Physiotron gestiegen, um die unerlässliche Zellaktivierung über sich ergehen zu lassen.
Ich riskierte noch einen Schritt, ehe ich stehenblieb. Dieser junge Mann mit den faltenlosen, nur wenig ausgeprägten Zügen – war das Reginald Bull, Rhodans Stellvertreter?
»Reginald, sind Sie es wirklich?«, fragte ich stockend.
Er bewegte kaum die vollen, weichen Lippen. Sein untersetzter, breitschultriger Körper zeigte nahe der Hüften weniger Speck, als ich es gewohnt war.
»So habe ich ungefähr ausgesehen, als ich Mitte der sechziger Jahre von einem gewissen General Pounder auf die neue Raumakademie geschickt wurde«, entgegnete er tonlos. »Damals war ich siebenundzwanzig Jahre alt!«
Ich fühlte Entsetzen in mir aufsteigen. Gleichzeitig meldete sich mein vor vielen tausend Jahren auf Arkon aktiviertes Extrahirn. Der Logiksektor machte es kurz:
Vorsicht, Panne bei der zweiten Dusche. Regenerierung, Rückwärtsentwicklung. Er wird jünger!
Die Erkenntnis war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich rang um meine Selbstbeherrschung. Mein Lächeln musste etwas kläglich wirken. Bully, wie wir ihn allgemein nannten, reagierte nicht darauf. Ich ahnte, dass dieser tatkräftige Mann innerlich mit dem Leben abgeschlossen hatte.
Ich sah mich aufmerksam um. Außer Rhodan waren nur die leitenden Wissenschaftler und Offiziere der DRUSUS erschienen. Dr. Arnulf Sköldson, Chefmediziner des Schiffes, stand dicht neben Dr. Ali el Jagat, dem Leiter der mathematischen Abteilung.
Jagats schmales Gesicht blieb unbewegt, als er mir einen Diagrammstreifen aus Kunststoff überreichte.
Er begann übergangslos mit seiner Erklärung. Ich ahnte, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Es wäre sinnlos gewesen, des langen und breiten über Bulls Schicksal diskutieren zu wollen. Es entsprach auch Jagats Art, die Tatsachen beim Namen zu nennen.
»Die erste Auswertung, Admiral. Bully befindet sich zur Zeit in einem Stadium, das dem seines zweiunddreißigsten Lebensjahres entspricht. Die Spitzzacken zeigen den Beginn des rückläufigen Prozesses an. Die Flachkurven beinhalten die abgelaufene Standardzeit nach der zweiten Aktivierung. Das Diagramm sagte aus, dass der Vorgang bei kontinuierlicher Weiterentwicklung nach dreimal vierundzwanzig Stunden ein akutes Stadium erreicht. Bieten wir der Sache keinen Einhalt, wird er in etwa drei Wochen ein plärrendes Baby sein.«
Die Vorstellung, Bull als strampelndes Kleinkind zu erleben, wäre andernorts und bei weniger tragischer Situation äußerst spaßig gewesen. Hier jedoch gab es niemand, der auch nur eine Miene verzogen hätte.
Das Diagramm war das Ergebnis eines kleinen Rechenexempels. Man benötigte keine höhere Mathematik, um ungefähr zu ermitteln, wann die Sache kritisch wurde.
Ich blickte den Mediziner forschend an. Sköldson bewegte nur hilflos die Hände. Sein strohblondes Haar hing unordentlich in die gerunzelte Stirn hinab. »Sie haben keine Lösung, Doktor?«, fragte ich.
»Keine! Was in diesem Gerät geschehen ist, entzieht sich meinem Begriffsvermögen. Die rein physikalischen Vorgänge verstehe ich ohnehin nicht. Was die biochemischen Veränderungen betrifft, sehen Sie mich ebenfalls ratlos. Für mich ist es unvorstellbar, einen ausgewachsenen Menschen jünger werden zu sehen. Das geht gegen alle Naturgesetze.«
»Wie alles auf diesem künstlichen Planeten«, warf Bull tonlos ein. »Okay, reden wir nicht mehr lange. Ehe ich zum Säugling werde, sterbe ich lieber.«
Sein pausbäckiges Gesicht war verkniffen. Ohne jede Hoffnung sah er uns der Reihe nach an. Schließlich richtete sich seine Aufmerksamkeit auf eine hochgewachsene, schlanke Gestalt ganz im Hintergrund der Eingangshalle. Ich spähte hinüber.
Wir hatten den biopositronischen Roboter »Homunk« genannt. Er war das Erzeugnis einer als abgeschlossen anzusehenden Wissenschaft. Vollendeter konnte nicht mehr gebaut werden, ohne den Versuch zu machen, dem Weltenschöpfer selbst ins Handwerk zu pfuschen.
Homunks biosynthetische Gesichtsfolie zeigte ein verbindliches Lächeln. Unter dem wirklich lebenden Kunstgewebe seiner äußeren Körperverkleidung bewegte sich ein Mechanismus, der nichts seinesgleichen in der bekannten Galaxis hatte.
Das vollpositronische Mikrogehirn war derart leistungsfähig, wie ich es bei unseren besten Maschinen noch nicht erlebt hatte. In diesem komplizierten Rechengerät waren solche Schaltelemente in einem Raum von knapp einem Kubikzentimeter montiert, zu deren funktionstüchtiger Unterbringung wir wenigstens einen Kubikmeter benötigt hätten. Das mechanische Gehirn arbeitete mit einer Impulsgebung von etwa achtzig Millionen Reflexsteuerungen pro Sekunde. Wie groß die Speicherkapazität war, wussten wir nicht. Auf alle Fälle war Homunk das, was man als perfekt bezeichnen konnte.
Er war von seinem Erbauer äußerlich einem Menschen oder Arkoniden nachgebildet worden. Sein Sprechmechanismus war eine biologische Schablonenarbeit mit einem positronischen Vibrationsgeber, der die elektromagnetischen Lenkimpulse mit Hilfe der halborganischen Stimmbänder in verständliche und einwandfrei modulierte Worte umwandelte. Homunk war ein Wunderwerk; aber nun schien es kläglich zu versagen.
Rhodan winkte den Robot herbei. Er näherte sich mit ausholenden, elastischen Schritten. Sein stereotypes Lächeln reizte mich zu einer unfreundlichen Bemerkung.
»Mir scheint, dein großer Meister ist ebenfalls am Ende seiner Kunst angelangt. Wo ist jenes Geschöpf, dessen brüllendes Gelächter sonst alle Augenblicke zu hören war?«
Homunk blieb stehen. Seine nachgebildeten Augen richteten sich auf mich. Er nannte mich »Sir«, so wie er jedermann Sir nannte.
»Er hat seit der Flucht aus dem Zwischenraum nichts mehr von sich hören lassen, Sir. Ich bin beunruhigt.«
Ein kosmonautischer Offizier der DRUSUS lachte humorlos auf. Dann wurde es wieder still in der großen Halle.
Ich dagegen wusste in diesem Augenblick, dass die zweite Katastrophe ebenfalls eingetreten war. Es war verschwunden! Das Lebewesen, in dem sich der Geist von Millionen entstofflichter Intelligenzen vereinigt hatte, um eine ungeheure, konzentrierte psychische Kraft zu bilden, schien das Chaos der Rückkehr aus dem Halbraum nicht gut überstanden zu haben. Praktisch waren wir augenblicklich die Beherrscher des Kunstplaneten Wanderer.
Perry Rhodan sah mich nur an. Er schien seine entscheidenden Fragen bereits vor meiner Ankunft gestellt zu haben. Jetzt überließ er mir die Initiative.
Ich begann innerlich zu verzweifeln. Männer meiner Rasse transpirieren selten. Dafür fühlte ich meine Augen feucht werden. Mein Logiksektor schwieg beharrlich. Anscheinend sah auch das Extrahirn keinen gangbaren Weg.
Als ich beharrlich schwieg, warf Rhodan endlich ein: »Homunks Vorschlag geht dahin, das gesamte Experiment zu wiederholen. Wanderer geriet vor Wochen in eine Überlappungszone der Druuf-Ebene. Beim gewaltsamen Ausbruch landete der Planet in einer unstabilen Zwischendimension. Wenn wir nun bewusst in die Zeitmauer eindringen und die Flucht noch einmal unter genau gleichartigen Umständen riskieren, müssten wir eigentlich im Zwischenraum landen. Dort könnte Bully unter Umständen nochmals in die Zelldusche steigen.«
Rhodans eigenartiges Lächeln bewies mir, dass er den Plan für nicht erfolgversprechend hielt.
»Unmöglich«, wehrte ich schroff ab. »Wie willst du die riesige Masse des Himmelskörpers durch das Spiegelfeld bringen?«
»Wir könnten mit den mächtigen Maschinen dieser Welt eine entsprechend große Linsenöffnung erzeugen.«
Ich winkte ab. Es war sinnlos, darüber zu diskutieren.
»Bis ihr das geschafft hättet, wäre ich erledigt«, warf Bully gefasst ein. »Atlan, haben Sie eine bessere Idee? Ich erinnere mich gut an Ihre Arbeit während und vor dem Ausbruch.«
»Noch einmal in den Konverter steigen und auf Biegen oder Brechen versuchen, den Prozess aufzuhalten«, meinte Oberstleutnant Sikerman.
Ich schüttelte den Kopf. Nein, das war auch kein Weg. Das Problem lag in unserer Unkenntnis über die Funktionsart des Physiotrons. Bull war während seiner Aufladung für nur kurze Zeit von den Verzerrungskräften einer Phasenverschiebung erfasst worden. Wir wussten nun, dass die instabile Existenz des Planeten im Halbraum eine Frage des Energiegehaltes war. Fraglos war die Zwischenebene mit der Druufzone wesentlich näher verwandt als mit unserem vierdimensionalen Einsteinuniversum.
Ich erfuhr erst später, dass ich länger als eine Stunde wie erstarrt vor dem perfekten Roboter gestanden hatte. Die Männer der DRUSUS schwiegen auch noch, als ich infolge einer schmerzhaft harten Impulsgebung meines Logiksektors aus den Grübeleien erwachte.
Ich hatte eine vorläufige Lösung gefunden; aber ob sie auch in der Praxis bestand, war eine andere Frage.
»Du hast ein Ergebnis«, stellte Rhodan fest. »Was können wir tun?«
Ich fühlte mich erschöpft. Die mathematischen Probleme wurden auch für ein Arkonidengehirn zu groß. Ich konnte vorerst nur allgemeine Auskünfte geben.
Als ich mich aufmerksam umblickte, bemerkte ich, dass meine Augen mir den Dienst fast versagten. Rhodan trat näher. Besorgnis zeichnete seine Züge.
»Du bist noch erschöpft von den letzten Anstrengungen«, sagte er leise. »Kannst du dich noch einmal konzentrieren? Ich habe von der Sache eine gewisse Vorstellung. Warten wir ab, was du ausgeknobelt hast. Vielleicht stimmen unsere Meinungen überein.«
Ich lächelte ihn an. Dabei fragte ich mich, warum ich diesen Mann einmal für meinen Feind gehalten hatte. Auf Hellgate hätte ich ihn beinahe getötet. Die Menschen in Rhodans Umgebung erinnerten mich mehr und mehr an die alten Arkoniden, die vor vielen tausend Jahren unter meinem Kommando im irdischen Sonnensystem gekämpft und gelitten hatten.
Es waren wunderbare Freunde und harte Soldaten gewesen; ebenso liebenswert, wie es die Terraner allmählich für mich wurden. Reginald Bull zum Beispiel war die Beherrschung in Person. Vor wenigen Minuten hatte er damit begonnen, dem Schicksal zu trotzen. Ich las in seinen Augen, dass er fest entschlossen war, keine Schwäche zu zeigen. Natürlich wusste er ganz genau, dass er bei einem fortlaufenden Rückentwicklungsprozess auch seine hohen Geistesgaben verlieren würde. Um eine einfache Konzentration oder Zusammenballung seiner Zellen und Molekülverbindungen konnte es sich nicht handeln. Wäre es so gewesen, hätten wir wahrscheinlich seinen Körper schrumpfen sehen.
So aber wurde er jünger! Es war etwas, was ich weder verstehen noch in mathematische Symbole kleiden konnte. Vom größten Geheimnis des Universums, dem des Lebens an sich, wusste ich so gut wie nichts. Ich war Hochenergieingenieur und Spezialist für kosmische Kolonisation, die das Wissensgebiet der Kosmos-Psychologie in sich einschloss. Ich konnte nicht ahnen, was mit Bullys Zellen geschah. Dennoch hoffte ich auf ein Wunder, das auf Grund einer flüchtigen Wahrscheinlichkeitsberechnung herbeiführbar erschien.
Ich betrachtete das relativ kleine Physiotron. Es war ein säulenförmiges Gerät mit einer dicken kreisrunden Plattform. Weiter hinten erkannte ich einige Hochleistungsreaktoren, wie sie auf Wanderer überall zu finden waren. Die Energieversorgung der Zelldusche geschah drahtlos.
»Bist du in der Lage, das Physiotron folgerichtig zu bedienen?«, erkundigte ich mich bei Homunk. Er bestätigte.
»Welche Kraftstationen sind zum einwandfreien Betrieb erforderlich? Welche Spezialschaltungen müssen mitgenommen werden?«
»Mitgenommen?«, wiederholte Rhodan gedehnt. »Arkonide, ich glaube, du bist auf den gleichen Gedanken gekommen wie ich. Mache nur weiter so, ich höre!«
Homunk erklärte die technische Funktion. Sie war relativ einfach zu verstehen, bis er zu den Impulsumformern kam, die im Sockel des Gerätes eingebaut waren. Von da an begann mein Begriffsvermögen zu streiken. So konnte ich mir beispielsweise nicht exakt vorstellen, wie der von dem Robot erwähnte Stabilisierungseffekt entstand.
Auch ein lebender Organismus besteht aus Atomen, aus denen sich Moleküle zusammensetzen. Das Prinzip des Physiotrons beruhte auf einem katalysatorischen Kreislauf, durch den die Atomballungen für etwa 62 Jahre unverändert stabil gehalten wurden.
Also war es prinzipiell klar, was mit der Maschine erreicht wurde. Man hatte den Prozess der Zellalterung nicht am Zellkern direkt angegriffen, sondern am Ursprünglichsten überhaupt: dem Atom!
Nachdem Homunk meine zahlreichen Fragen beantwortet hatte, sah ich etwas klarer. Ich blickte auf die Uhr. Anschließend trat ich näher zu Reginald Bull.
»Bully, bisher habe ich eine nur vage Idee: Wir werden die Zelldusche mitsamt der Kraftstation mittels Antigravstrahlern aus dem Fundament reißen. Dabei ist es wichtig, die mechanischen Einrichtungen nicht zu beschädigen. Das funktionsfähige Gesamtaggregat wird auf einer großen Lastenplattform montiert, die wir mit einem verstärkten Vibrationstriebwerk ausrüsten. Die DRUSUS baut ein fünfhundert Meter durchmessendes Linsenfeld auf, durch das wir den Normalraum verlassen. Wir dringen in die Druufebene ein, wo wir versuchen werden, den instabilen Halbraumzustand durch eine energetische Ballung innerhalb eines zu errichtenden Schutzschirmes nachzuahmen. Wir wissen, dass der Halbraum eine instabile Zustandsform der fünften Dimension ist, etwa vergleichbar mit dem unbrauchbaren Isotop eines Elementes. Eine Annäherung dürfte möglich sein, jedoch benötige ich zur Berechnung dieser Effekte sämtliche Elektronengehirne der DRUSUS. Sind Sie damit einverstanden?«
Bully rührte sich nicht, als er fragte: »Die Sache dauert schätzungsweise vier bis fünf Tage. Woher nehmen Sie im Druufraum die Energie für die Kontinuumsauffüllung?«
Er hatte vollkommen begriffen, worauf es ankam. Rhodan hatte auch schon eine Lösung gefunden.
»Mit einer zweiten Antigravplattform werden wir einen Großreaktor des Planeten mitnehmen. Homunk, kannst du das besorgen?«, fragte er.
Der Robot rechnete schnell. Nach einer halben Sekunde kam die Antwort: »In zwölf Stunden und vierzehn Minuten steht ein Kompritormlader transportfertig bereit!«
»Himmel, was ist ein Kompritormlader?«, fragte Sikerman ärgerlich.
Der Robot lächelte nur. Zu einer anderen Mimik schien er nicht fähig zu sein.
»Ein Spezialkonverter zur Überdosierung eines in sich gekrümmten und geschlossenen Außenringfeldes, von dem vierdimensionale Einflüsse reflektiert werden.«
Damit wussten wir es sehr genau! Ich sah allmählich ein, dass die Technik des Kollektivwesens unvergleichlich höher entwickelt war als die unsere.
»Wir können es in fünf Tagen schaffen«, sagte Rhodan nach einer kurzen Kopfrechnung. »Major Forster, Sie kümmern sich um die Triebwerksverstärkung der Antigravplattform. Sikerman und Sie, Aurin, berechnen die Zugstrahlstärke für die Saugprojektoren. Homunk wird Ihnen sagen, wie die Geräte am besten aus den Fundamenten zu lösen sind. Atlan, wir sehen zu, dass wir einwandfreie Schaltungswerte erhalten. Fangen wir an.«
Der schlanke Mann drehte sich einfach um. Für Perry war die Sache einstweilen erledigt.
»Und ich?«, rief Bull ihm nach.
Der Chef des Solaren Imperiums blieb stehen. Dabei wendete er uns den Rücken zu.
»Ich habe bereits mit Dr. Sköldson gesprochen. Du bleibst bis zur Fertigstellung der Ausrüstung in der medizinischen Abteilung. Ein biochemischer Tiefschlaf setzt die normalen Körperfunktionen um fast achtzig Prozent herab. Es mag sein, dass der Verjüngungsprozess darauf reagiert. Sköldson wird das machen. Nun, worauf warten wir noch?«
Ja, worauf warteten wir eigentlich noch! Es gab nicht mehr viel zu bereden. Gucky, das seltsame Lebewesen vom Planeten Tramp, heftete sich an meine Fersen.
»Soll ich dich zur DRUSUS bringen?«, fragte der Kleine kläglich. Seine großen Augen schienen in einem Meer von Tränen zu schwimmen. Fast war mir, als kämpfte er mit aufsteigender Übelkeit.
Ich bückte mich und nahm ihn auf die Arme. So schritten wir ohne zu sprechen auf die großen, gewölbten Tore der Physiotronhalle zu.
Hinter uns entwickelte sich ein hektisches Treiben. Sikermans laute Stimme war unüberhörbar. Homunk, der perfekte Roboter, stand reglos und aufreizend liebenswürdig lächelnd zwischen den hastenden Besatzungsmitgliedern des irdischen Superschlachtschiffes.
Als ich den freien Platz vor dem Bauwerk erreichte, öffnete Rhodan soeben die Tür eines kleinen Impulsgleiters. Stumm deutete er auf den Rücksitz.
Ich blieb dicht vor ihm stehen und musterte ihn eingehend. Nein, bei ihm schien sich nichts geändert zu haben. Er wirkte so jung, kräftig und elastisch wie immer.
Sein Lächeln verriet mir, dass er meine Gedanken ahnte.
»Glück gehabt«, sagte er abwesend. »Meine Zellaktivierung war am 1. Mai, 17:24 Uhr beendet. Ich bin von der Phasenverschiebung nicht betroffen worden. Bully kam erst um 19:30 Uhr aus der Maschine. Die Verformungskräfte müssen ihn noch während der totalen Entmaterialisierung angegriffen haben.«
»Die Tatsachen sind bekannt«, antwortete ich nachdenklich. »Ebenso wichtig erscheint mir aber die Frage, was mit Ihm geschehen ist! Wo ist das Kollektivwesen geblieben?«
Rhodans Auflachen klang unecht. Gucky schmiegte sich leise wimmernd an meine Schulter.
»Das dürfte unser zweites Problem sein, Atlan. Du möchtest von ihm einige Auskünfte, wie?«
Ich nickte bedächtig. Natürlich hätte ich gerne erfahren, weshalb man mir vor etwa zehntausend Jahren Terrazeit ein seltsames Gerät überreicht hatte. Ich tastete unwillkürlich das Bruststück meiner Uniformkombination ab. Der Aktivator hing fest an seiner unzerreißbaren Gliederkette.
»Gehen wir«, meinte Rhodan mit einem Unterton der Hoffnungslosigkeit in der Stimme. »Ich möchte nicht gerne einen Freund verlieren. Dabei wäre es hochinteressant, zu sehen, wie der Prozess der Rückentwicklung abläuft. Wo, oder wie müsste das enden? In der Keimzelle?«
Mir schwindelte, wenn ich nur andeutungsweise an solche Möglichkeiten dachte. Eins war sicher: die Natur hatte der hochentwickelten Biophysik eines überintelligenten Lebewesens einen Streich gespielt.