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Kapitel 1
ОглавлениеKim Bradley
Sehnsucht am See
Teil 1
Sommer
In „Sehnsucht am See“ entfaltet Kim Bradley ein Universum der Liebe, von dem, wie am nächtlichen Himmel, zuerst die hellsten Sterne sichtbar sind. Doch diese bleiben nicht alleine, sie sind eingebettet in ein System von Anziehung und Abstoßung, dessen Ausmaß erst nach und nach begreifbar wird.
Als Jenny sich vor der malerischen Kulisse der Konstanzer Altstadt am Bodensee in den attraktiven Unbekannten verliebt, ahnt sie noch nicht, wie folgenschwer diese Begegnung sein würde. Aber greifen wir nicht zu weit vor! Es ist Sommer und im ersten Teil der Tetralogie „Sehnsucht am See“ knospt eine junge Liebe, die nicht in ihre Zukunft sehen kann...
„Nein, das gibt’s ja nicht!“, brach es aus der kleinen drallen Frau heraus. Ihre Apfelbäckchen wurden noch rosiger, „drei Päpste auf einmal? Das gibt’s ja nicht!“
Die Gruppe musste herzlich lachen und auch Jenny lachte, obwohl sie sich immer auch ein bisschen schämte für ihre Mutter, wenn sie wieder einmal das Herz auf der Zunge trug. „Ja, kaum zu glauben, liebe Frau Obergärtner, aber es stimmt! Und um aus diesem historischen Dilemma herauszukommen, wurde das Konstanzer Konzil einberufen...“ Der Stadtführer führte seine Erklärungen fort und die Gruppe lauschte aufmerksam. Er kannte den Namen von Jennys Mutter, denn sie hatte die Führung durch die Konstanzer Altstadt in der Zeitung gewonnen. Als Begleitung hatte sie Jenny, ihre liebste und einzige Tochter eingeladen, die diese Abwechslung willkommen annahm.
Während der Stadtführer in die historischen Tiefen des Jahres 1514 vordrang, glitt Jennys Blick vom eindrucksvollen Gebäude des Konstanzer Konzils über die kleinen Hafenanlagen auf den Bodensee, dessen Oberfläche in der Sonne glitzerte. Es war ein warmer Sommertag, eine angenehme Brise umspielte ihren Körper, wirbelte durch ihre braunen Haare, die sie heute offen trug. Sie fühlte sich seltsam leicht und geborgen in diesem Moment. Da bemerkte sie, dass sie nicht die einzige war, die den Ausführungen des Stadtführers nicht volles Gehör schenkte. Ein Augenpaar ruhte auf ihr. Sie fühlte den Blick, traute sich aber nicht, selbst zu schauen. Vielleicht, weil sie Angst hatte, dass sie sich die Blicke nur vorstellte...
Schon zu Beginn der Führung war ihr ein junger sportlicher Mann aufgefallen, der spontan und ohne Begleitung erschienen war. Er trug Radfahrkleidung, die seine athletische Figur betonte. Er mochte keine 30 Jahre alt sein. Jenny war sofort beeindruckt gewesen durch seinen selbstsicheren Auftritt und seine unaufdringliche Art, mit der er sich unter die Reisegruppe mischte. Tatsächlich hatte sie den Reaktionen des Unbekannten mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den Ausführungen des Stadtführers! Was war sie nur für eine Träumerin, sie musste über sich selbst lachen und wollte schon den Kopf schütteln, wie es ihre liebe Mutter oft genug tat, da passierte es: Ihre Blicke trafen sich. Die wachen Augen des Unbekannten hatten die ganze Zeit über auf ihr geruht, ein fragendes Lächeln huschte über sein Gesicht. Jenny fragte sich warum, bis sie verstand, dass sie ja lächelte. Jennys Knie wurden seltsam weich, mit einer schnellen Bewegung drehte sie den Kopf wieder zum Stadtführer. Ihren Blick richtete sie konzentriert auf dessen Lippen, die sich zwar bewegten, aber in Jenny Ohren kamen keine Worte an. In ihrem Kopf rauschte es, sie hörte ihr eigenes Blut, wie eine Meeresbrandung und gleichzeitig tummelten sich tausend kleine Krebse in ihrer Magengegend, die sie von innen kitzelten und zwickten. Was war das für ein Gefühl? Ausgelöst durch den Blick eines Fremden?
Zum Glück setzte sich die Gruppe in Bewegung zur nächsten Station. Jennys Mutter hakte sich bei ihr ein und strahlte. Sie genoss die gemeinsame Zeit mit ihrer Tochter an einem so sonnigen Tag. Hinter dem Konzil überquerten sie eine Straße, dann begann die wunderschöne Altstadt. Die kleinen Gässchen schenkten schattige Kühle. Jenny liebte die Altstadt und sie liebte den See. Sie war jetzt 19 Jahre alt und freute sich jedes Jahr wie ein kleines Kind auf die Badesaison. Den Stadtführer hatte ein pensioniertes Lehrerehepaar in Beschlag genommen, eine Gruppe älterer Damen kommentierte die Auslagen eines Juweliergeschäfts. Jennys Mutter gesellte sich zu ihnen. Wo war der Unbekannte? Seit dem Konzil hatte sie ihn nicht mehr gesehen und aus Furcht, ihre Knie könnten wieder so nachgeben, auch nicht nach ihm gesucht. Sie blickte sich um und sah einen Blumenladen mit einladend farbenfroher Auswahl. Sie schlenderte hinüber.
Der Duft der Blumen war überwältigend. Von einer Blüte zur nächsten erschloss sich ein Aroma, das perfekt zu diesem Tag passte. „Hortensien sind meine liebsten Blumen, und Deine?“, fragte eine angenehm tiefe Stimme hinter ihr. Jenny drehte sich um, es war der Unbekannte! Seine haselnussbraunen Augen strahlten Herzlichkeit und Interesse aus. „Ich mag sie auch am liebsten“, gab sie verblüfft zu und er lächelte. „Darf ich Dir einen Strauß schenken?“, fragte er, „Das Blau würde so gut zu Deinem Kleid passen!“ Jenny blickte an sich herunter, sie wusste auf einmal nicht mehr, was sie anhatte. Verlegen antwortete sie: „Aber bei den Temperaturen verwelken sie ja sofort!“, und biss sich auf die Lippe. Was für eine dumme Antwort, dachte sie noch bei sich, da stand schon ihre Mutter in der Tür. „Ach, hier habt ihr euch versteckt!“, schallte es durch den Laden, „Jetzt ist genug geturtelt, die Führung geht weiter!“ Jenny hätte im Erdboden versinken können, so sehr schämte sie sich gerade über das flotte Mundwerk ihrer Mutter. Unsicher blickte sie nach oben zum Unbekannten, wie er wohl reagieren würde. Er lachte schelmisch und trat beherzt auf Jennys Mutter zu, „Wir kommen ja schon, Frau Obergärtner! Und sie haben diese Führung also in der Zeitung gewonnen?“ Bevor er den Laden ganz verließ, drehte er sich zu Jenny um und zwinkerte ihr zu. Erleichtert folgte sie den beiden Plaudernden ins Freie.
Bis zur nächsten Station folgte Jenny dem Unbekannten, der angeregt mir ihrer Mutter sprach auf einigen Metern. Von hinten konnte sie seine breiten Schultern und seine muskulösen Beine sehen, die durch die Sportkleidung besonders zur Geltung kamen. Was die beiden wohl reden, fragte sie sich und war gleichzeitig froh, dass sie sich offenbar gut verstanden. Mamas Apfelbäckchen glühten, wie sonst wenn sie Komplimente bekam, und die beiden lachten auch viel.
„Ich bedanke mich recht herzlich, dass Sie mir so aufmerksam gefolgt sind...“, begann der Stadtführer, um die letzte Station und das Ende der Stadtführung einzuleiten. Ein Zucken durchfuhr Jennys Bauch. So schnell waren die zwei Stunden vergangen? Der Traum eines Sommertages mit dem glitzernden Bodensee und dem Duft von Blumen sollte schon zu Ende gehen? Sie hatte nur wenige Worte mit dem Unbekannten gewechselt, aber die Vorstellung, ihn nie wieder zu sehen, machte sie für einen Moment unglaublich traurig. „Kommen Sie gut nach Hause oder ins Hotel und genießen Sie diesen wunderbaren Sommertag!“, schloss der Stadtführer seine Abschlussrede, die in einen allgemeinen Applaus mündete. Jenny applaudierte mit, obwohl ihr gar nicht danach zumute war. Da trat der Unbekannte dicht an ihre Seite. „Entschuldige, Jenny ist Dein Name, richtig? Es scheint vielleicht ein bisschen überfallartig, aber ich muss Dich unbedingt wiedersehen! Darf ich Dich heute Abend auf ein Eis einladen? Neunzehn Uhr bei der Konzertmuschel im Stadtgarten? Bitte sag' ja! Mein Name ist übrigens Carl.“ Er hatte die Stimme gesenkt und kein anderer hatte ihrem Gespräch folgen können. Die Nähe und der geheimnisvolle Tonfall lösten in Jenny mit einem Schlag eine unfassbare Hitze aus. „Ja, sehr gern“, brachte sie hervor, bevor der Applaus abebbte und sich die Gruppe in alle Himmelsrichtungen zerstreute. Es fühlte sich an wie in einem Traum! Hatte sie gerade wirklich eine Verabredung mit dem Unbekannten ausgemacht? Carl war sein Name, Carl... Sie stand da wie angewurzelt, da riss die Stimme ihrer Mutter sie aus der Trance: „Himmel, was für eine Hitze, komm Jenny, Liebes, lass uns nach Hause fahren!“. Behutsam setzte Jenny einen Fuß vor den anderen, sie konnte ihren Knien nicht mehr wirklich trauen und machte sich mit ihrer Mutter auf den Heimweg.