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​Banditen in Bighorn Springs

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von Heinz Squarra

Western

IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E‑Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author

Korrektorat: Kerstin Peschel

© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

Klappentext:

Vier Fremde werden des Falschspielens beschuldigt und aus Bighorn Springs fortgejagt. Kurz darauf kommt ein Reiter in den Saloon und verbreitet die Nachricht, dass William Bronsons Ranch überfallen und dabei ein Mann getötet wurde. Zudem ergeben erste Untersuchungen, dass zusätzlich eine erhebliche Menge Geld spurlos verschwunden ist. Die vier Fremden werden der Tat beschuldigt, doch waren sie es wirklich? Eine Lawine der Gewalt, die immer stärker ins Rollen kommt, wird losgetreten. US-Marshal John Slade nimmt die Ermittlungen auf und wird plötzlich selbst verfolgt, denn er macht eine Entdeckung, die lieber im Verborgenen geblieben wäre …

***

Der kühle Nachtwind heulte von den Bighorn Mountains herunter, wehte über die Hügel und blies durch die ausgefahrene Straße von Bighorn Springs, der kleinen Stadt in der weiten Wyomingprärie. Sand wurde in die Luft geschleudert, verhüllte den Mond und trieb über die Dächer der Holzhäuser.

Drüben, in McDowells Saloon, verstärkte sich der Lärm plötzlich. Ein Krachen war zu hören, ein Mädchen schrie gellend, dann zerbrach ein Fenster mit einem berstenden Knall.

US-Marshal John Slade zog die Jacke seines schwarzen Lederanzuges gerade und rückte den tiefgeschnallten Revolver zurecht. Schnell überquerte er die Straße, sprang auf den Bretterfußweg vor dem Saloon und stieß die Schwingflügel der Tür auf.

Tabaksqualm und der Geruch nach Schweiß und Schnaps schlugen ihm entgegen. Im trüben Licht von einem halben Dutzend Lampen sah er die beiden Barmädchen im Hintergrund, den Rancher Bronson, schrankbreit, an der Theke, den dicken Wirt und die sechs Cowboys, die mit Revolvern in den Händen vor einem Spieltisch standen, auf dem Karten und ein paar Münzen lagen.

Zwei Männer in ziemlich abgerissener Kleidung saßen hinter dem Spieltisch, und zwei weitere lehnten an der Wand. Alle blickten auf die sechs Cowboys.

„Was ist denn los?“, fragte Marshal John Slade.

William Bronson, der Rancher, grinste ihn scharf an. „Was soll schon sein, Marshal? Die vier Fremden haben so getan, als wollten sie mit meinen Leuten spielen. Aber tatsächlich wollten sie betrügen.“

John ging langsam weiter. Er sah einen zur Seite geschobenen Tisch und einen in den Trümmern eines Fensters hängenden Stuhl. Dann stand er an dem Tisch, schob die Karten auseinander und warf einen Blick auf das Geld. Es waren ungefähr zehn Dollar.

„Wir haben nicht betrogen“, sagte der Mann, der John gegenüber saß. Er war von großer, sehniger Gestalt, etwa dreißig Jahre alt und hatte kalt blickende Augen. Unter seinem ramponierten schwarzen Anzug trug er ein schmutziges Hemd.

John Slade schob die Karten noch weiter auseinander. „Sind das alle?“

„Bis auf die, die er im Ärmel hat“, brummte einer der Cowboys und ließ seinen Revolver sinken.

Die anderen Cowboys senkten die Waffen ebenfalls.

„Los, ziehen Sie die Jacke aus!“, befahl John barsch.

Der schwarzgekleidete Mann stand langsam auf, griff dann jäh nach der Tischkante und schleuderte John den Tisch entgegen.

John Slade sprang zur Seite. Der Tisch sauste an ihm vorbei, traf einen Cowboy und warf diesen zu Boden.

John sprang vorwärts und schmetterte dem Kerl die Faust ins Gesicht, bevor der die Hand heben konnte. Es knallte, der Mann stieß einen Schrei aus und wurde gegen seine beiden Freunde an der Wand geworfen.

Der vierte Kerl war ebenfalls aufgesprungen, trat zurück und hob unaufgefordert die Hände. Karten flatterten noch durch den Saloon, und Münzen rollten über den Boden.

„Mach keinen Blödsinn, Kervin!“, knurrte einer der Männer an der Wand. „Zeig ihm deine Jacke!“

Der im ramponierten schwarzen Anzug fluchte, zog die Jacke aus und warf sie auf die Kante des umgekippten Tisches. Ein Cowboy schnappte die Jacke sofort und drehte sie um, aber es fielen keine Karten aus den Ärmeln.

„Aber er hat eine Karte aus dem Ärmel gezogen!“, zischte ein Cowboy. „Das hab ich doch gesehen, verdammt! – Zählen Sie die Karten nach, Marshal! Es muss eine mehr da sein.“

„Es ist eine mehr“, sagte John. „Zumindest ist die Kreuz neun doppelt. Aber eigentlich hat nur ein Verrückter eine Kreuz neun im Ärmel!“ John blickte den Cowboy scharf an. Sie nannten ihn Jed. Er war ein kleiner, verschlagen aussehender Kerl.

„Wollen Sie meine Leute vielleicht verdächtigen, die Karte auf den Tisch geworfen zu haben?“, schimpfte der Rancher an der Theke.

John wandte sich um und ging ein paar Schritte auf Bronson zu. Der Rancher war fünfundfünfzig Jahre alt, ein stiernackiger Mann mit schrankbreiten Schultern, dem der dicke Kopf direkt auf den Schultern zu sitzen schien. Er hatte kurzgeschorenes graues Borstenhaar, eine dicke Nase, gletscher-farbene Augen und ein breites Kinn. Bronson trug einen derben Anzug von brauner Farbe. Seine Jacke war doppelreihig geknöpft und bauschte sich dort auf, wo er den Revolver unter ihr an der Hüfte trug.

„Ihre Leute machen seltsame Späße“, erklärte John. „Das weiß in dieser Stadt jeder, Mr. Bronson. Aber noch ist ja nichts passiert. – Wollen wir es nicht bei dem belassen, was bis jetzt war?“

„Jagen Sie die Halunken fort“, zischte der Rancher, „bevor meine Leute Brei aus ihnen machen!“

John blickte an Bronson vorbei und sah sich in dem großen Spiegel neben dem Flaschenregal hinter der Theke. Er war ein großer Mann, dunkelblond mit blauen Augen, und er war jetzt fünfunddreißig Jahre alt. Der silberne Stern an seiner schwarzen Lederjacke funkelte im Lampenlicht mit den Geschosshülsen in den Schlaufen seines Gürtels um die Wette, und als er den Kopf bewegte, blitzten auch die silbernen Schnallen an seinem Hut. Er blickte auf den dicken Keeper, dem das Doppelkinn herabhing, und dann auf die beiden Mädchen, denen wieder Farbe in die Gesichter zurückkehrte.

Er wandte sich um und sagte: „Es ist besser, ihr verschwindet jetzt. Die Cowboys mit ihrem Boss, das sind sieben gegen euch.“

„Und ich hab noch zwei Leute auf meiner Ranch!“, rief der Rancher brummig.

„Wir haben nicht betrogen“, sagte der große Mann im ramponierten Spieleranzug.

„Versteht ihr denn nicht?“, fragte John. „Sie sind sieben gegen euch. Und hier hilft euch keiner.“

„Sie auch nicht, was?“, zischte der große Mann, den der andere Kervin genannt hatte.

„Ich weiß nicht, wer von euch die Karten auf den Tisch geworfen hat.“ John blickte auf die Cowboys, die noch immer ihre Revolver in den Fäusten hatten. „Aber ich weiß etwas anderes: Der von euch, der den ersten Schuss abfeuert, landet mit Sicherheit drüben in meiner Zelle!“

„Ich denke, wir verschwinden, Kervin“, murmelte einer der vier Männer.

John ging rückwärts, bis er neben dem Rancher an der Theke stand.

Ina, das rotblonde Barmädchen mit den bernsteinfarbenen Augen, kam auf ihn zu und lehnte sich gegen ihn, legte ihm die eine Hand auf die Schulter und tat, als würde sie von ihm Besitz ergreifen.

Die vier Fremden schoben sich an der Wand entlang. Kervin blieb stehen und blickte zurück, aber die anderen schoben ihn weiter, hinaus aus dem Saloon und vom Bretterweg. Jemand rief nach dem Stallmann.

Rancher Bronson lachte polternd, drehte sich um und donnerte die Faust auf die Theke. „Los, McDowell, Whisky!“

„Und wer bezahlt den Schaden?“, fragte der Salooner keifend.

„Nehmen Sie, was auf dem Boden herumliegt“, sagte John Slade. „Das reicht sicher.“

„Los, Whisky jetzt!“, polterte Bronson. Er schlug wieder auf die Theke und lachte.

Seine Männer und das andere Mädchen drängten heran. Der Keeper zeterte noch, schenkte aber die Gläser voll. Ein stämmiger Cowboy schnappte sich June Silver, das schwarzhaarige Mädchen mit der grauen Strähne, und stellte sie auf den nächsten Tisch. June lachte wild und begann mit klappernden Sohlen auf dem Tisch zu tanzen.

Bronson schob John Slade ein volles Glas zu, aber der gab es an Ina weiter, machte sich von ihr frei und wandte sich ab.

„Was ist denn, trinken Sie nicht mit mir?“, schimpfte der Rancher.

„Nein.“ John ging an dem Mann vorbei und verließ den Saloon.

Die vier Fremden kamen gerade aus dem Hof des Mietstalles und zogen ihre Pferde hinter sich her. Auf der breiten Straße saßen sie auf und ritten am Saloon vorbei. Der kalte Nachtwind hüllte sie in Staub ein, sodass sie nur noch schemenhaft in verschiedenen Lichtbahnen zu sehen waren. Dann verschluckte sie die Dunkelheit, und der Hufschlag ihrer Pferde ging im Sausen des Windes unter.

*

Als Ina Gillam das Office betrat, lehnte John an der Rückwand und paffte eine Zigarette. Das fünfundzwanzigjährige Mädchen lächelte, schob die Tür zu und lehnte mit der Schulter dagegen. Ina trug ein rotes Samtkleid, das bis zum Gürtel ausgeschnitten war, in der Länge jedoch bis auf ihre Schuhe reichte. Sie strich sich das vom Wind zerzauste Haar glatt und blickte sich um.

„Ich wollte mal sehen, wie du hier lebst“, sagte sie und blickte sich in dem halbdunklen Raum um.

Eine Lampe hing an einer Schnur über dem aus Brettern zusammengenagelten Tisch, hinter dem ein schäbiger, uralter Sessel stand. Der Raum hatte rechts und links der Tür kleine Fenster, ein Gewehrständer befand sich neben der Ecke, dann ein Schrank und ein Regal mit teilweise vergilbten Akten. Eine Tür führte in einen Nebenraum, und dann war da noch ein langes Gitter, hinter dem sich die Zelle befand. An die Wände waren stellenweise Steckbriefe genagelt, welche die nicht vorhandene Tapete ersetzten. Ansonsten bestanden die Wände aus rohen Brettern.

„Ziemlich hässlich, was?“ Das Mädchen legte den Kopf schief.

„Ja, ziemlich.“ John ging zu dem schäbigen Sessel und ließ sich hineinfallen. „Gefällt es dir drüben nicht mehr?“

„Sie haben June ausgezogen. Ich habe mich dünngemacht, bevor ich an der Reihe war. Ich kann diese wilden hirnlosen Kerle nicht leiden, das weißt du doch.“

John zog an seiner Zigarette und streifte die Asche in dem Becher auf dem Tisch ab.

„Kann man sich nicht setzen?“

John Slade ging in den Nebenraum, holte einen Stuhl und stellte ihn vor den Tisch.

Ina setzte sich und schlug ein Bein über das andere. „Ich bin jetzt schon zwei Wochen hier und hatte nie Gelegenheit, mal allein mit dir zu reden, John!“

„Worüber willst du denn mit mir reden?“ John ging hinter den Tisch zurück und setzte sich. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und lehnte die Ellenbogen auf den rohen Tisch.

Ina strahlte ihn an. „Wir haben uns Jahre nicht gesehen. Und ich dachte, ich sehe nicht richtig, als du plötzlich mit dem Stern da vor mir gestanden hast.“

„Das kann ich mir denken.“

Ina lachte. „Wie bist du nur auf so was Verrücktes gekommen, John?“

„Irgendwie“, sagte er abweisend und scharf.

„Mein Gott, wenn ich bedenke, wie das früher war!“

John stand auf. „Früher ist für mich lange vorbei, Ina.“

„So? – Dann wissen sie wohl auch nicht, dass man dich John Colt genannt hat.“

„Nein, sie wissen es nicht. Aber möglicherweise würde es sie interessieren. Willst du es ihnen sagen?“

„Unsinn, John!“

„Es wäre auch nicht sehr wichtig.“

John Slade lehnte sich zurück. „Ich bin US-Marshal. Man hat mich von Cheyenne aus hier eingesetzt. Die Bürger haben mir nichts zu sagen. Und mein Vorgesetzter in Cheyenne weiß, wie ich einmal genannt wurde.“

„Ich wollte mit dir reden und nicht streiten, John.“ Inas Augen strahlten ihn an. „Bestimmt! – Kennst du Bronsons Frau eigentlich?“

„Ich habe sie hier öfter gesehen. Und man hat mir erzählt, sie sei noch nicht lange mit ihm verheiratet. Was ist denn mit ihr?“

„Sie war in Julesburg bei den Mädchen, die mit einem Zug nach Omaha abgeschoben wurden. Damals, als Casement so gewütet hat. Sie besaß eine Kneipe in der Stadt.“

„So?“ John blickte Ina Gillam scharf an.

„Hast du das wirklich nicht gewusst?“

„Nein. Sie war mir vollkommen fremd, als ich sie hier sah. – Hat sie dich erkannt, als sie heute hier war?“

Ina schüttelte den Kopf. „Als ich sie sah, habe ich mich sofort verdrückt. Ich dachte erst, Bronson würde sie mit in den Saloon bringen. Was denkst du, wie froh ich war, als er sie mit dem Vormann wegschickte. Sie hätte mich bestimmt erkannt.“

John stand auf und ging um den Tisch herum zu einem der Fenster. Er blickte hinaus. Der Wind hatte nachgelassen, und es wehte weniger Staub durch die kleine Stadt.

Gegenüber flog die Schwingtür auf, und ein Cowboy kam aus dem Saloon. Undeutlich sah John Slade das nackte Mädchen drüben bei den anderen Männern.

„He, Stallmann, unsere Pferde!“, rief der Cowboy vor dem Saloon.

John wandte sich um. „Sie reiten fort. – McDowell wird dir ganz schön was erzählen, weil du weggelaufen bist. Schließlich hat er dich für seine Gäste kommen lassen.“

„Soll er meinen Vertrag doch zerreißen!“, zischte Ina und stand auf. „Ich wollte dir noch etwas sagen.“

„Ja.“ Er blickte sie an.

„Sie wird ja noch öfter in die Stadt kommen.“

„Vera Bronson?“

„Wer denn sonst? Ich könnte mir denken, dass sie dem fetten Geldsack nichts von ihrer Vergangenheit erzählt hat, verstehst du?“

„Dass sie dann Angst vor dir haben könnte?“

„Nicht nur Angst. Dass sie vielleicht irgendwie versucht, mich mundtot zu machen. Von ihrer Kneipe in Julesburg hat man tolle Sachen erzählt. Und auch davon, wie sie zu der Kneipe gekommen sein soll.“

„Ich werde auf dich aufpassen, Ina“, versprach John.

„Du solltest vielleicht mal mit ihr reden und ihr sagen, dass ich hier bin und dass sie von mir nichts zu befürchten hat. Ich werde dem fetten Geldsack bestimmt nichts erzählen. – Vielleicht glaubt sie es eher, wenn du es ihr sagst.“

„Und vor allem wüsste sie dann, dass ich auch ein paar Dinge gehört habe, was?“ John grinste das Barmädchen an. „Das wäre dir doch vor allem wichtig!“

Ina stand auf. Kälte leuchtete auf einmal wie Eis in ihren Augen.

„Du kannst es auch lassen“, sagte sie schroff. Sie wollte zur Tür, aber John hielt sie am Arm fest und zog sie zurück.

„Warte, bis die Mannschaft weggeritten ist“, sagte er gepresst. „Und nimm es nicht wichtiger, als es wirklich ist. Bronson wird sich selbst denken können, dass seine Frau nicht aus einem wohlbehüteten Heim zu ihm gekommen ist. Im Übrigen soll sie hier bei McDowell gewesen sein, genauso wie du jetzt. Da hat er sie kennengelernt.“

Irgendwo schnaubten Pferde.

„Bleib hier!“ John schob das Mädchen auf den Stuhl zurück und verließ das Office.

Vor dem Saloon stand der bullige Rancher mit seinen sechs Männern und wartete auf die Pferde.

„Da ist ja der Marshal!“, rief einer der Cowboys. „Also ich würde es übelnehmen, wenn sich einer weigert, mit mir zu trinken, Boss!“

„Sagen Sie ihm, er soll sein Maul halten, Bronson!“, rief John über die Straße.

„Hast du es gehört, Cass?“ Der Rancher lachte polternd.

Cass kam vom Fußweg herunter und sprang über die Zügelstange hinweg. Er war ein drahtiger junger Bursche, der den Revolver fast am Knie hängen hatte. „Sagen Sie das noch einmal, Marshal!“

Die anderen lachten.

John ging über den kurzen Bretterweg und betrat die staubige Fahrbahn.

„Na los, wenn Sie ein Kerl sind!“, zischte Cass und schob die Schlaufe vom Hammer seines Revolvers. „Es ist doch sicher nicht verboten, einen vorlauten Marshal aus den Stiefeln zu schießen, was?“

John spürte, wie sein Handballen den Kolben des Revolvers berührte.

Hinter ihm wurde die Tür geöffnet, und eine lange Lichtbahn fiel bis mitten auf die Straße.

Ein paar Männer waren aufgetaucht, und der Stallmann stand mit vier Pferden am Zaun des Mietstalles.

„Bronson, sagen Sie Ihrem Cowboy, dass er gegen den Marshal keine Chance hat!“, rief das Barmädchen.

„Woher willst denn du das wissen?“, knurrte der Rancher.

„Ich weiß es eben. Und zwar ganz genau!“

Bronson fluchte unsicher, dann knurrte er: „Genug, Cass.“

Aber Cass lachte nur, machte eine jähe Bewegung und duckte sich.

Da hatte John Slade den Revolver in der Hand, die Mündung auf den Cowboy gerichtet und den Daumen auf dem Hammer.

Cass stand wie erstarrt auf der Straße und hatte den Mund offen. Langsam entfernten sich seine Hände von den Oberschenkeln, wanderten seitlich in die Höhe und verharrten dann über seinem Kopf.

„Teufel“, sagte einer der Cowboys. „Hast du das gesehen, Boss?“

„Ich bin nicht blind“, knurrte der Rancher. „Wo bleiben denn die Pferde, zur Hölle!“

John ging rückwärts, den Colt 45 immer noch auf den Cowboy mit den erhobenen Händen gerichtet. Er stieg rückwärts zum Bretterweg hinauf und ließ die Waffe sinken.

Cass ging zurück und senkte die Arme.

„Die Pferde, verdammt!“, brüllte der Rancher.

Goring, der alte krumme Stallmann, kam mit den vier Pferden auf die Straße und führte sie vor den Saloon.

John schob den Revolver in das Holster zurück und drehte den Kolben etwas nach außen, um ihn schnell und leicht erneut ziehen zu können, wenn es notwendig werden sollte. Er ging noch weiter zurück und verschwand im schwarzen Schlagschatten des Vordaches.

Der Stallmann lief zurück. Bronson und seine Männer kamen vom Fußweg herunter und waren hinter den Pferden nicht mehr zu sehen.

„Warum hast du ihn denn gewarnt?“, fragte John das Mädchen neben sich.

„Weil ich nicht wollte, dass sie dich abknallen. Oder denkst du, sie hätten zugesehen? Für die zählt nicht die Schnelligkeit eines Mannes, sondern die Menge der Revolver!“

„Dann vielen Dank, Ina, murmelte John.

Bronson schwang sich auf sein großes Pferd und blickte hinüber. John vermochte sein Gesicht nur ungenau erkennen.

Plötzlich war Hufschlag zu hören, der von Osten kam.

Der Hufschlag wurde lauter. Drüben vor dem Saloon schnaubten die Pferde. Männer kamen aus den Häusern. Eine Frau schimpfte.

Wie ein Schemen tauchte ein Reiter auf, verschwand und war dann erneut zu erkennen.

„Es ist der Vormann!“, rief ein Cowboy.

In diesem Augenblick sah John Slade einen zweiten Reiter durch die Lichtbahn kommen, verschwinden und anschließend erneut auftauchen. Inzwischen erreichte der Vormann den Pulk vor dem Saloon und zügelte sein Pferd so hart, dass es auf die Hinterhand stieg.

„Was ist denn los?“, rief der Rancher.

„Wir sind überfallen worden“, sagte der Vormann hastig.

Der zweite Reiter kam näher. Hellblondes Haar flog im Nachtwind, und Ina sagte: „Das ist sie!“

John erkannte Vera Bronson nun in dem Licht, das aus dem großen Fenster des Stores fiel. Dann war sie am Saloon und parierte ihr scheuendes Pferd.

„Was, überfallen?“, fragte Bronson. „Das gibt es doch gar nicht!“

„Ein paar Kerle!“, rief die junge Frau schrill. Sie war groß und schlank, trug Levishosen und eine helle Lederjacke. „Sie haben Matt erschossen, William!“

„Wie viele Banditen?“, fragte der Rancher, an seine junge Frau gewandt.

Diese blickte auf den schlanken Vormann, der vor ihr angekommen war, und es sah aus, als würde sie seine Hilfe erwarten.

„Vier“, sagte Vormann Hollag. „Es waren vier, Boss!“

„Vier?“

„Ja, vier.“ Der Vormann nickte heftig. „Sie kamen in den Hof und haben Matt vor dem Haus einfach zusammengeschossen. Ich konnte deine Frau gerade noch in Sicherheit bringen.“

„Sie hätten uns beide umgebracht, wenn Flint sich ihnen nicht in den Weg gestellt hätte“, sagte die Frau hastig. „Sie sind ins Haus eingedrungen und haben alles durchsucht, William. Auch deinen Schreibtisch.“

„Meinen …“ Bronson brach ab.

„Ja“, sagte die Frau kleinlaut. „Und dann waren sie wie die Teufel nach Süden fort.“

Ein neuer Windstoß kam von den Bergen und jagte durch die Stadt. Staub flog in die Höhe und hüllte die Reiter ein.

„Worauf warten Sie denn, Marshal?“, zischte der Rancher. „Ach was, ich brauche Sie ja gar nicht. Vorwärts, Leute!“ Bronson trieb sein Pferd mit den Sporen so scharf an, dass es schrill und gequält wieherte und mit einem Satz an dem Vormann vorbelflog.

Die drei Cowboys auf ihren Pferden schrien und sprengten hinter ihrem Boss her. Der Vormann und die junge Frau mit den hellblonden Haaren folgten. Die drei anderen rannten auf den alten Stallmann zu und rissen ihm die Zügel aus der Hand.

John Slade lief an der Hauswand entlang zum Stall.

Die letzten Cowboys donnerten im Galopp mit dem Wind die Straße hinauf.

*

Er hatte die wilde Reiterschar erst kurz vor der Ranch wieder eingeholt. Der Wind blies hier draußen zwischen den flachen Hügeln heftiger als in der Stadt. Dichter Staub hing überall in der Luft. Auf dem Boden wanderte der Sand.

Schemenhaft tauchten Lichtpunkte vor den Reitern auf. Dann war das Haupthaus mit seinen großen erleuchteten Fenstern zu erkennen. Auch im langen Bunkhaus brannte eine Lampe, die Tür stand offen und wurde vom Wind gegen die Wand geschlagen. Wie riesige Schatten standen die beiden Scheunen, der Schuppen und der Stall im Dunkel.

John Slade ritt an den anderen vorbei, die ihre Pferde am Brunnen gezügelt hatten. Er blickte auf die breite Freitreppe, die von der Veranda vor dem Haupthaus herunter in den Hof führte. Die Haustür stand offen, und das Licht fiel auf den toten Cowboy mitten auf der Treppe.

Bronson trieb sein Pferd wieder an, ritt bis zur Freitreppe, sprang dort aus dem Sattel und rannte die Treppe hinauf.

John stieg ab und blickte auf den Toten, dessen Augen ihn leer und glasig anstarrten. Er war von mehreren Kugeln in der Brust und im Hals getroffen worden und hatte dunkelrote Flecke auf dem Hemd.

John ging die Treppe hinauf, betrat das Haus, sah umgeworfene Stühle, einen ausgeräumten Schrank, zerschlagenes Geschirr auf dem Boden, Papier wüst durcheinander, herausgerissene Schubladen, ein umgeworfenes Tintenglas und ein Messer, das in die schöne Schreibtischplatte gerammt worden war.

Der Rancher kniete auf dem Boden und wühlte alles herumliegende Papier durch. Seine Flüche wurden immer grimmiger und seine Bewegungen zerfahrener, bis er aufstand, sich umwandte und John anstarrte. „Es ist weg!“

„Reden Sie von Geld oder wovon sonst?“, fragte John Slade.

„Natürlich von Geld!“, schrie Bronson. „Was zählt denn sonst noch auf der Welt?“

„Wie viel war es denn?“

„Viertausendfünfhundert Dollar!“

John pfiff durch die Zähne.

„Was gibt es denn da zu pfeifen, verdammt?“

„Viertausendfünfhundert Dollar sind für die meisten Menschen ein Vermögen“, erwiderte John. „Warum haben Sie denn so viel Geld einfach zwischen Ihren Papieren herumliegen? Die Poststation in Bighorn Springs ist auch eine Bank der Wells Fargo. Und die Wells Fargo haftet für alles, was dort liegt.“

„Ich hab mein Geld dort, wo es mir passt, verstanden?“, schrie der Rancher zornig. Er wandte sich um, kniete und durchwühlte wieder alles, was auf dem Boden herumlag. Er warf die ausgeleerten Schübe nacheinander gegen die Wand, riss ein Fenster auf und schrie: „Alles nach Spuren absuchen! Bewegt euch schon, faule Bande!“

John ging um die umgestürzten Möbel herum. Bronson lebte hier nicht wie ein armer Mann. Von weither war das kostbare Inventar herangeschafft worden und hatte sicher ein Riesenvermögen gekostet.

Draußen jagten Reiter schreiend über den Hof. Der Vormann gab Kommandos. Bronsons junge Frau kam herein und blieb stehen.

John blickte sie an und dachte an das, was Ina Gillam von Julesburg erzählt hatte. Vera Bronson war eine stattliche Frau. Das weißblonde Haar reichte ihr bis auf die Schultern und war vom Wind zerzaust. Sie hatte ein schmales, schönes Gesicht, große Augen, eine schmale Nase und schön geschwungene Lippen. Ihre Schultern waren schmal, ihre Arme lang, ihre Hände feingliedrig und mit blitzenden Ringen geschmückt.

Vera zog die Jacke aus und warf sie über die Kante des umgestoßenen Tischs.

Draußen auf der Treppe waren harte Schritte zu hören. Der Vormann stürmte herein. „Sie suchen überall, Boss. Aber der Sand wandert so schnell, dass man seine eigene Spur nach Sekunden schon nicht mehr sieht!“

Bronson richtete sich auf. „Du hast also keinen Schuss abgefeuert, was?“ Er ging auf seinen Vormann zu, das Kinn vorgeschoben und ein fiebriges Glimmen in den kalten Augen.

„Wir waren doch froh, dass sie dachten, Matt wäre allein!“, rief die junge Frau.

Bronson blickte sie nur einen Moment an, dann starrte er wieder auf seinen Vormann, der zurücktrat. „Du feiges Schwein!“ Er wollte sich auf den Mann werfen, aber die junge Frau sprang dazwischen, sodass er gegen sie prallte.

„Sie hätten ihn abgeknallt wie Matt“, sagte sie schroff. „Oder denkst du, er hätte gegen vier Männer eine Chance gehabt? Sie hätten ihn einfach niedergeschossen. Und was wäre dann mit mir passiert?“

Bronson fluchte, trat zurück und strich sich über die Stirn.

„Sie hätten deine Frau vergewaltigt und dann vielleicht umgebracht“, sagte der Vormann. „Oder ist es vielleicht nicht so, Marshal?“

„Oft genug ist es so“, gab John Slade zu. „Können Sie die Männer beschreiben?“

„Die haben wir doch gar nicht so richtig gesehen“, sagte die junge Frau sofort. „Oder denken Sie, wir wären sonst unbemerkt hinten aus dem Haus und in den Schuppen gekommen?“

„Natürlich nicht. Aber vom Schuppen aus, haben Sie da nichts gesehen? Die Wände haben doch sicher Ritzen!“

Die junge Frau blickte den Vormann fragend an.

„Was hätten wir denn da groß erkennen sollen?“, zischte Flint Hollag.

John wandte sich um. „Einen besseren Tag hat sich niemand aussuchen können.“

„Aussuchen?“ Bronson blickte über die Schulter. „Das waren die vier Halunken. Woher sind die eigentlich gekommen?“

„Was denn für vier Halunken?“, fragte die junge Frau und starrte den Rancher verständnislos an.

„Na, die vier Fremden, die wir im Saloon trafen!“, schimpfte Bronson. „Wer denn sonst?“

Die junge Frau blickte auf den Vormann, der auf einmal eine steile Falte auf der Stirn stehen hatte.

„Boss, es ist absolut nichts zu finden!“, rief draußen im Hof ein Cowboy.

Bronson blickte seine Frau an. „Nach Süden?“

„Ja. Als wir den Hufschlag hörten, sind wir aus dem Schuppen gelaufen und sahen sie noch. – Sie sind doch nach Süden, Flint?“

„Ja, nach Süden.“ Der schlanke Vormann nickte. Er war groß und sehnig und hatte mattschwarzes Haar, das ihm bis in den Nacken reichte. Er trug eine Levishose wie die Frau, ein buntes Hemd und eine Lederweste. In einem schwarzen Holster an seinem Patronengurt steckte ein Single Action 45.

„Dann bleibt nichts anderes übrig, wir müssen es auf Verdacht versuchen!“, stieß der Rancher hervor. Bronson lief hinaus und schrie seinen Männern zu, sie sollten zurückkommen.

John verließ das Haus. Der Tote lag immer noch unbeachtet auf der Treppe. Er konnte für Bronson das Gewehr nicht mehr heben und schien damit unwichtig geworden zu sein.

John Slade blieb unten auf der letzten Treppenstufe stehen und griff nach dem Zügel seines Rappen, der neben ihm stand.

Bronson kam zurück.

„Wussten die vier denn, dass Ihre Ranch hier ist?“, fragte John.

„Natürlich wussten die das! Die waren doch den ganzen Tag in der Stadt, schon lange vor mir und meinen Leuten.“

„Deshalb mussten sie nicht unbedingt wissen, wo man die Ranch finden kann.“

Bronson kniff die Augen zusammen. „Was soll denn das heißen?“

„Ich will nicht, dass jemand verurteilt wird, bevor er überführt ist“, erwiderte John Slade. „Und noch etwas, Bronson: Wenn wir die vier Männer finden, werden sie in die Stadt gebracht!“

„Warum?“

„Es geht außer um Ihr Geld auch um Mord. Und der gehört vor den Richter.“

Bronson grinste. „In Bighorn Springs wird man die Banditen auch hängen, Marshal. Dafür kann ich mich verbürgen.“

„Es geht nicht darum, ob die fraglichen Banditen gehenkt werden oder nicht, sondern nur darum, dass es nach dem Gesetz zugeht. – Bestimmen Sie zwei Leute, die hier bei Ihrer Frau bleiben und den Toten beerdigen, Bronson.“ John stieg auf sein Pferd und lenkte das Tier zum Korral hinüber.

Noch immer blies der kalte Wind von Westen über die Hügel und heulte durch das lange Tal, in dem die Ranch lag. Im Korral standen Pferde, zusammengedrängt zu einer dichten Herde.

Zwei Reiter kamen am Zaun entlang.

„Jed und Melvin, ihr bleibt hier!“, bestimmte der Rancher. „Und du, Vera, gehst ins Haus und lässt dich hier draußen nicht mehr sehen. Und beerdigt Matt, den armen Hund.“

*

Als der Morgen graute, war der Wind vollkommen abgeflaut, und der Staub hatte sich weitgehend gesenkt. Dunstschwaden zogen über das Prärieland.

Sie hielten in einer weiten Talsenke an einem Creek, der nur wenig Wasser führte. Der Vormann und ein Cowboy suchten das Ufer auf beiden Seiten ab, fanden aber keine Spuren.

Fluchend schlug der Rancher auf sein Sattelhorn und rieb sich dann mit der Faust über das raue zerfurchte Gesicht.

„Weiter“, sagte John Slade und trieb seinen Rappen an.

Außer dem Rancher und seinem Vormann waren die vier Cowboys Cass, Brad, Joe und Jeff bei ihm. Es waren eisenharte Kerle, die am Abend eine Menge Whisky getrunken und die ganze Nacht nicht geschlafen hatten. Es war ihnen kaum anzumerken.

Sie ritten am Creek entlang durch das lange Tal und über einen Hügel hinweg.

Im Osten flammte jetzt Morgenrot am Himmel, sodass es schien, als würde die Prärie in der Ferne brennen. Im Tal vor ihnen standen ein paar erbärmliche Holzhütten, stellenweise mit Fellen und Blech benagelt. In einem kleinen Korral befanden sich zwei Pferde, ein paar Herefords und schwarze Schweine zusammen.

„Da fragen wir mal“, brummte der Rancher, trieb sein Pferd an und ritt an John Slade vorbei.

John beschleunigte die Gangart des Rappen ebenfalls und holte Bronson bald wieder ein. Sie kamen den Hütten näher, ritten dann am Korral vorbei und hatten einen sandigen Platz vor sich.

Die Tür der größeren Hütte sprang auf, und ein alter Mann mit einem Sharpsgewehr in der Armbeuge kam heraus.

„Kennen Sie mich?“, fragte Bronson barsch.

Der Farmer zuckte mit den Schultern. „Vielleicht sind Sie der Rancher Bronson, Mister“, sagte er mürrisch. „Es interessiert mich nicht.“

„So, das interessiert Sie nicht“, knurrte Bronson, dem auf der Stirn eine Ader anschwoll.

Der Farmer blickte auf den Stern an Johns Jacke. „Was wollen Sie denn, Marshal?“

„Wir suchen nach vier Männern, die vielleicht in der Nähe vorbeikamen“, erklärte John.

Eine verhärmte Frau, die ein altes verwaschenes Kattunkleid trug, kam hinter dem Farmer aus dem Haus.

„Wir haben keine Reiter gesehen“, sagte der Farmer. „Aber wir haben auch die Nacht über geschlafen. Da kann man nichts sehen, Marshal.“

John tippte an seinen Hut. „Vielen Dank. – Könnten wir noch Wasser von Ihnen bekommen? Wir bezahlen dafür.“

„Das Wasser kostet nichts“, brummte der Farmer. „Ich muss dafür auch nicht bezahlen.“

John stieg ab, machte seine Flasche vom Sattel los, ging zum Brunnen und bewegte die auf die Mauer montierte Winde. Ein Eimer kam aus dem Brunnenschacht, den John auf den Mauerrand zog. Mit der Kelle füllte er die Flasche, verkorkte sie, ging zu seinem Pferd zurück und befestigte die Flasche am Sattel.

„Nehmt euch Wasser mit“, sagte John zu den Männern. „Der Tag wird heiß, das steht fest.“

Sie stiegen alle ab und gingen zum Brunnen.

„Wir haben auch keine Verpflegung mitgebracht“, sagte der Rancher barsch. „Es ging alles, zu schnell. Die Halunken haben meine Ranch überfallen und mein Geld geraubt.“

„Und sie haben einen Cowboy erschossen“, sagte John. „Vergessen Sie das nicht, Bronson.“

Der Rancher fluchte. „Also los, Verpflegung für mich, den Marshal und meine Leute.“ Bronson warf dem Farmer ein paar Münzen zu, die der so schnell nicht auffangen konnte.

Die silbernen Geldstücke rollten durch den Hof und blieben in der Nähe der Hüttenwand im Sand liegen.

John schüttelte den Kopf, lenkte sein Pferd herum und ritt am Korral vorbei.

*

„Da!“, rief Joe, der drahtige Texaner. Er sprang mit einem Satz aus dem Sattel und kniete auf den Boden, wo er zwischen den Büffelgrasnarben verschwand.

Zwei Männer sprengten im Galopp zu ihm hinüber und glitten von den Pferden.

„Natürlich, vier Pferde!“, schrie der eine, stand auf und winkte heftig. „Hier, Boss! Hier sind die Banditen geritten!“

Sie sprengten alle zu den Cowboys hinüber. John ritt langsam hinter ihnen her und blickte auf die Spur, die im Norden aus dem Gestrüpp kam und im Süden zu einem Hügel in der Ferne führte.

„Ja, vier Pferde“, bestätigte der Vormann. „So ein Zufall.“

„Was denn für ein Zufall?“, fragte Bronson scharf.

„Was?“ Flint Hollag duckte sich. „Na ja, ich meine, es ist doch ein ziemlicher Zufall, dass wir die Spur der Kerle doch noch finden. Oder etwa nicht?“

„Dafür haben wir uns auch genug angestrengt“, knurrte der Rancher. „Wie lange ist es her, dass sie hier geritten sind, die Stinktiere?“

Joe folgte der Spur ein Stück, kniete immer wieder nieder und tastete die Ränder der Eindrücke ab. „Vielleicht zwei Stunden“, sagte er schließlich.

„Dann los!“ Bronson trieb sein Pferd mit den Sporen an und schlug ihm die Faust gegen den Hals. Schrill wieherte das Tier, stob vorwärts und schleuderte den feinen Staub in die Luft.

Als sie nach einer halben Stunde den Hügel erreichten, ritt John wieder mit dem Rancher an der Spitze. Sie zügelten auf der Hügelkuppe die Pferde und sahen vor sich ein kleines Tal, in dem verkrüppelte Cottonwoods und Sagebüsche standen. Langes Büffelgras bedeckte weite Flächen des Tales. Aber das sahen sie alles nicht. Sie blickten nur auf das Feuer vor einer Gruppe von Cottonwoods. Um das Feuer saßen vier Männer. Dahinter an den Bäumen standen vier gesattelte Pferde.

„Da haben wir euch ja.“ Bronson spuckte in den Sand und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Dann zog er das Gewehr aus dem Sattelschuh und repetierte es mit einer schlenkernden Handbewegung.

„Die Kommandos gebe ich!“, sagte John scharf. „Haben Sie gehört, Bronson?“

Der Rancher grinste ihn an und nickte. Dann schnalzte er mit der Zunge und ritt langsam die Hügelflanke hinunter.

John ritt neben ihm, zog die Winchester aus dem Scabbard und legte sie quer über die Knie.

Die vier Männer am Feuer standen auf, als der Reitertrupp sich auf hundert Yards genähert hatte und immer noch auf sie zuhielt.

John sah nun, dass es die vier Männer waren, die er aus der Stadt geschickt hatte.

Alle Cowboys zogen nun die Gewehre und luden durch. Im Sonnenlicht blitzten die Beschläge der Waffen.

„Die wollen was von uns, Kervin!“, rief ein mittelgroßer braunhaariger Bursche und lief zu den Pferden.

„Weg da!“, brüllte Bronson, hob das Gewehr an und feuerte.

Die Kugel schlug über den Pferden in den Baum und warf Rinde auf die Tiere.

Da riss der Mann die Zügel vom Ast los, warf sich auf den Rücken des Pferdes und trieb es an.

„Roger, mach keinen Quatsch!“, schrie der, den sie Kervin nannten. „Roger, halt an!“

Bronson lachte, schlug das wieder durchgeladene Gewehr an und feuerte abermals.

Der Reiter flog auf den Hals seines Pferdes, und während das Knallen noch durch das Tal wehte, rutschte er zur Seite, stürzte ab, rollte über den Boden und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen.

John starrte den Rancher wütend an, aber der grinste nur und sagte: „Wer zu fliehen versucht, ist vogelfrei, Marshal. Den kann man auch von hinten abknallen!“

„Los, die Hände hoch, ihr Banditen!“, rief der Vormann.

Die drei Männer am Feuer hoben die Hände.

Das ledige Pferd sprengte durch das Tal, war aber nach Osten abgeschwenkt und wurde bereits langsamer.

John ritt an den Männern vorbei und auf die reglose Gestalt im Sand zu. Als sein Schatten auf den Mann fiel, erkannte John an den verkrampften Händen, dass Bronson gut gezielt hatte.

Er stieg ab, wälzte den Toten mit dem Fuß herum und sah ein verzerrtes, schmutziges Gesicht mit starren Augen. John Slade bückte sich und drückte dem Toten die Augen zu.

Ein Cowboy galoppierte vorbei und folgte dem Pferd, das auf der Ostseite des Tales verschwunden war.

John stieg in den Sattel und ritt langsam zurück.

Bronson saß noch immer auf seinem Pferd. Die anderen waren abgestiegen und näherten sich den drei Männern mit den erhobenen Händen.

„Was wollt ihr denn von uns?“, fragte Kervin. „War es euch nicht genug, dass wir eure Stadt verlassen haben?“

„Die können sich vielleicht anstellen“, schimpfte Joe, der Texaner. „Sag bloß, ihr hättet keine Ahnung, was wir von euch wollen.“

„Woher sollen wir die haben?“, fragte Kervin, der gegen ein Pferd prallte und nicht mehr weiter zurück konnte.

„Denk mal scharf nach!“, Joe lachte wild, sprang vorwärts, hob das Gewehr und schlug es Kervin gegen den Hals.

Die Wucht des Schlages ließ den Getroffenen auf der Stelle zusammenbrechen.

Die beiden anderen starrten bleich auf die Cowboys und deren Gewehre. Sie hoben die Hände noch höher.

Joe wirbelte herum und wollte die Waffe wieder anheben, aber da fiel sein Blick auf John Slade, der die Winchester 66 auf ihn richtete. „Schlag nur zu, Joe“, sagte John gedehnt. „Aber das sage ich dir, den Knall hörst du nicht mehr.“

Joe schluckte, trat zurück und ließ das Gewehr sinken.

„Schnallt die Patronengurte ab, legt eure Messer auf den Boden und setzt euch auf diese Seite!“, befahl John und zeigte mit dem Gewehr vor das Feuer.

„Was wollt ihr denn von uns?“, knurrte einer der beiden anderen, ein untersetzter Mann von etwa dreißig Jahren.

„Wir nehmen an, dass ihr Mr. Bronsons Ranch überfallen habt“, sagte John.

„Viertausendfünfhundert Dollar habt ihr gestohlen, mein Haus verwüstet und einen Cowboy ermordet!“, schrie der Rancher.

Die beiden blickten sich entsetzt an. Dann sagte der eine, an John gewandt: „Ihr seid verrückt! Wir wissen doch gar nicht, wo Bronsons Ranch ist!“

„Das werden wir ja sehen!“, John winkte wieder mit dem Gewehr.

Die beiden gingen zögernd vorwärts und schnallten die Patronengurte ab. Der eine ließ seinen Gurt fallen, der andere zerrte den Revolver aus dem Holster.

John sprang ihn vom Sattel aus an, bevor einer der anderen reagieren konnte. Er schnappte den Kerl an der Schulter und donnerte ihm die Faust ans Kinn. Der Mann verlor die Waffe und brach auf der Stelle zusammen.

„Bindet sie“, befahl John, „damit ihr sie nicht zu töten braucht.“

„Wir sollten es gleich hier erledigen.“ Bronson blickte über die Bäume hinweg. „Stabiles Zeug, das trägt die Kerle schon!“

„Ihr sollt sie binden!“, wiederholte John scharf.

Zwei der Männer gingen daran, die beiden zu binden. Der andere kroch über den Boden, setzte sich und rieb seinen Hals. Bronson grinste ihn gnadenlos an.

Cass kniete mit einem Strick hinter Kervin, riss ihm die Hände auf den Rücken und wollte sie zusammenschnüren. Der Mann wehrte sich, riss sich los und sprang auf. Er wollte nach John schlagen, aber der blockte den Hieb ab und knallte dem Mann die Faust ins Gesicht. Röchelnd taumelte der Fremde zurück, trat ins Feuer und stürzte zu Boden. Er rollte aus den Flammen, wurde von Cass weiter zur Seite gezerrt und gefesselt.

Bronson blickte John Slade aus zusammengezogenen Augen an und sagte: „Sie sind schneller mit dem Revolver als alle anderen, die ich bis jetzt sah, Marshal. Und Sie scheinen außerdem Eisen in der Faust zu haben. Es wundert mich, dass ich früher nie von Ihnen gehört habe.“

„Zerbrechen Sie sich nur nicht den Kopf über mich“, erwiderte John. „Ich bin der Marshal von Bighorn Springs – weiter nichts.“

Bronson stieg ab und ließ den Zügel zu Boden fallen. Er schob sein Gewehr in den Sattelschuh, ging um das Feuer herum und durchsuchte die auf dem Boden liegenden Taschen der vier Fremden. Dann leerte er sie alle aus, sein Geld fand er jedoch nicht. Also ging er zu den Pferden und suchte nach weiteren Taschen, suchte unter den Sätteln, kam schließlich zurück und durchsuchte die Gefesselten.

Rot im Gesicht richtete er sich auf und sagte: „Bindet sie einzeln los und zieht sie aus. Irgendwo muss es sein!“

Zwei Cowboys zerrten den einen Mann in die Höhe, schnitten ihm die Fesseln durch und rissen ihm die schäbige Kleidung herunter. Das Hemd des Mannes ging dabei in Fetzen. Sie zogen ihn total aus und durchsuchten alles, aber sie fanden nichts.

Cass schaute seinen Boss an und zuckte die Schultern.

„Den nächsten!“, befahl der Rancher barsch.

Der Gefangene zog sich wieder an, wurde erneut gefesselt und auf den Boden gestoßen.

John Slade folgte der Szene mit gemischten Gefühlen. Er hatte die vier Männer von Bighorn Springs aus nach Osten reiten sehen und fand sie nun im Süden wieder. Aber andererseits waren sie keiner Spur gefolgt. Die hatten sie erst viele Stunden nach dem Verlassen der Ranch gefunden.

Als alle drei Gefangenen und auch der Tote durchsucht waren, hatten sie das Geld dennoch nicht gefunden.

Da tauchte Brad mit dem vierten Pferd auf, an dessen Sattel eine weitere Tasche geschnallt war.

„Dort drin ist es!“, rief der Rancher.

Der Vormann schnallte die Tasche ab und warf sie seinem Boss zu.

Bronson schüttete die Tasche neben dem Feuer aus. Ein altes Hemd, ein Messer, ein Handtuch, Seife und ein paar Durango-Sporen kamen zum Vorschein – weiter nichts.

Bronson ließ die Tasche aus den Händen fallen und stieß sie mit dem Fuß ins Feuer.

„Die Sättel“, sagte Cass. „Sie können es in die Sättel genäht haben, Boss!“

„Natürlich!“, rief der Rancher. „Los, Flint, alle Sättel auftrennen!“

„Wann hätten sie denn das machen sollen?“, fragte John. „Wenn ihnen so viel Vorsicht geboten gewesen wäre, hätten sie bestimmt hier nicht gerastet! Seht euch doch die Pferde an. Die wären ohne Mühe noch zehn bis fünfzehn Meilen ohne Rast gelaufen.“

„Trennt die Sättel auf, irgendwo muss es sein!“, zischte der Rancher.

Sie sattelten die Pferde ab, schnitten die Sättel auf, aber Geld fanden sie nicht.

Bronsons Fluchen wurde immer wütender. Er trat einem der Männer gegen die Brust, sodass der auf den Rücken fiel. „Los, heraus mit der Sprache!“, schrie der Rancher. „Wo habt ihr Saukerle mein Geld versteckt?“

„Wir haben kein Geld!“, schrie der Mann.

„Sie haben uns gesehen“, sagte Cass. „Als wir auf dem Hügel waren. Oder sie sahen vorher schon den Staub und hörten den Hufschlag. Es ist irgendwo versteckt. In den Büschen, hinter den Bäumen! Irgendwo. Vielleicht sogar auf den Bäumen.“

Sie blickten alle in die niedrigen Kronen der verkrüppelten Cottonwoods, sogar John Slade.

„Alles absuchen!“, befahl der Rancher. „Egal, wie lange es auch dauern mag, wir suchen hier alles ab und drehen jeden Stein um!“

*

Am späten Nachmittag hatten sie alles abgesucht, aber nichts gefunden.

John Slade hatte den Toten beerdigt, ging zu dem erloschenen Feuer zurück, wischte sein breites Kampfmesser im Gras ab und schob es in den Schaft des einen Texasstiefels.

Bleich und hohlwangig, die nackte Angst in den Augen, saßen die drei Gefesselten vor ihm und starrten ins Nichts.

„Am besten, wir hängen sie auf“, sagte der Vormann gerade. „Wenn der Erste baumelt, fällt es dem Zweiten vielleicht doch noch ein. Oder wenigstens dann dem Dritten.“

John richtete sich auf. Er blickte sich um und erkannte den brutalen Willen zum Töten in den Augen der Männer.

„Wir müssten sie eigentlich laufen lassen“, sagte er an Bronson gewandt.

„Was?“ Der Rancher blickte den Marshal an, als würde er an dessen Verstand zweifeln.

John zuckte die Schultern. „Es sieht doch ganz so aus, als hätten wir die falschen Männer erwischt, Bronson, und Sie den Falschen hinterrücks erschossen!“

Dem Rancher schwoll die Zornesader wieder an, und die Röte in seinem Gesicht wurde dunkler.

John begriff, dass es wirklich keinen Weg gab, die Fremden jetzt laufen zu lassen. „Dann bringen wir sie eben in die Stadt. Der Friedensrichter muss eine Jury zusammenstellen, und dann werden wir ja sehen.“

„Warum denn so viel Mühe?“, schimpfte der Vormann grimmig.

„Weil es deinem Boss nichts nützt, wenn sie tot sind“, sagte John. Er wollte einen Keil zwischen sie treiben. „Dein Boss will schließlich sein Geld wiederhaben. Dir kann das ja egal sein.“

„Ich würde einen hängen, dann spucken es die anderen vielleicht aus“, entgegnete der Vormann stur.

„Und dann den zweiten und den dritten.“ John Slade nickte. „Dann sind sie alle tot, und Bronson bekommt sein Geld nie mehr.“

Bronson blickte durch das Tal. „Wo könnte es nur sein? – Ob sie es vielleicht unterwegs versteckt haben?“

Der Gedanke kam John verrückt vor. Er wandte sich um und sagte: „Wo kommt ihr eigentlich her?“

„Von Kanada“, erwiderte der Anführer. „Das geht euch aber einen Dreck an!“

John ging in die Hocke. „So, von Kanada also. Und was habt ihr dort gemacht?“

„Gold gesucht.“ Kervin spuckte vor John auf den Boden.

„Gold gesucht?“

„Gesucht und nicht gefunden!“

John richtete sich auf. „Ihr lügt, und das noch nicht einmal sehr gut“, gab er zurück.

„Was?“ Kervin hob den Kopf.

„Männer, die Gold gesucht und nichts gefunden haben, sehen noch viel erbärmlicher aus als ihr. Die laufen in zerrissenen Jacken und durchgescheuerten Hosen herum. Ihr habt wohl nie Goldsucher gesehen, was?“

„Wir haben Gold gesucht“, sagte der Nächste. „Und wenn ihr was anderes von uns wollt, dann müsst ihr es erst mal beweisen. Nach dem Gesetz müsst ihr unsere Schuld – und nicht wir unsere Unschuld beweisen! So ist es doch!“

„Das ist es!“, rief der Vormann. „Darauf wollen die hinaus! Boss, ich würde sie auf der Stelle an den Baum hängen!“

„Und auf das Geld pfeifen“, setzte John gedehnt hinzu.

„Verdammt, verdammt.“ Der Rancher schlug mit der Faust gegen seinen Sattel.

„Wir reiten jetzt in die Stadt“, fuhr John Slade fort. „Dann sehen wir weiter. Vielleicht fällt auch dem Richter noch was ein.“

Unschlüssig blickte der Rancher auf den stärksten der Bäume, der ein paar dicke Äste hatte, die zwar nicht sehr hoch, aber immerhin hoch genug aus dem Gewirr ragten.

„Oder habt ihr etwa Angst, sie könnten uns durchbrennen?“, fragte John verächtlich. „Drei Männer ohne Waffen und noch dazu gefesselt gegen uns alle!“

„Ich würde sie hängen!“, beharrte der Vormann. „Die geben das nie zu, ist doch klar! Und wer weiß schon, was sich ein Richter denkt.“

„Wenn wir sie hängen, wird der Marsahl uns alle dafür verheizen“, murmelte Cass nachdenklich.

„Was?“, fragte der Rancher, aus seinen Gedanken geschreckt.

„Ich sehe dem Marshal doch an, was er denkt. Der schreibt einen langen Bericht nach Cheyenne. Und dann passiert irgendwas. Also, ich wäre jetzt dafür, dass sich der Richter über die Halunken den Kopf zerbrechen soll.“

„Feigling!“, knurrte der Vormann. „Bis Cheyenne sind es von Bighorn Springs aus zweihundertzwanzig Meilen. Die interessieren sich dort doch nicht für Banditen, die hier gehenkt werden!“

Der Rancher war immer noch unentschlossen, stieg aber schließlich auf und sagte: „Also los, entkommen können sie uns ja nicht. Aber wir reiten bei meiner Ranch vorbei. Vielleicht hat Vera doch einen der Kerle erkannt.“

*

Es war spät in der Nacht, als sie die Ranch erreichten und vor dem klotzigen Haupthaus die Pferde zügelten.

„Fackeln!“, rief Bronson den beiden Cowboys zu, die aus dem Bunkhaus kamen. „War jemand hier, Melvin?“

„Es war niemand hier“, antwortete der Cowboy und folgte dem anderen, der schon zurückging.

Sie kamen mit Fackeln wieder, die sie anzündeten und vor den Pferden in die Höhe hielten. Die Tiere schnaubten und wollten ausbrechen.

„Weiter zurück, ihr Narren!“, schrie der Rancher. „Vera, verdammt, wann kommst du denn nun?“

Im Haus flammte Licht auf, und Vera Bronson war hinter einem Fenster zu sehen.

„Komm heraus!“, schrie Bronson wild.

Die Frau verschwand, die Tür öffnete sich, und Vera Bronson kam heraus. Sie trug einen langen roten Morgenmantel und hatte Pantoffeln mit Goldfäden im Stoff an den Füßen.

„Vera, denke nach!“, befahl der Rancher scharf. „Könnten es die hier gewesen sein?“

Die junge Frau blickte verwirrt auf die drei gefesselten Männer.

„Was ist denn?“, schrie Bronson.

Sie zuckte zusammen. „Warum brüllst du mich so an? – Ich habe keinen der Banditen gesehen, das sagte ich doch schon. Vielleicht waren es die. Vielleicht waren es auch andere.“

„Du weißt es also nicht?“, fragte der Rancher lahm.

„Nein, ich weiß es nicht!“, rief die Frau heftig, wandte sich ab und ging ins Haus zurück.

„Wir reiten nach Bighorn Springs“, sagte John schnell.

„Jemand muss sich um die Rinder kümmern und den Korral kontrollieren“, mischte sich der Vormann ein. „Wir haben seit zwei Tagen nicht mehr danach gesehen, Boss.“

„Die Rinder sind im Korral hinter dem Hügel, und der Korral ist in Ordnung“, knurrte Bronson. „Los, Marshal, reiten wir! Ich will die Sache erledigt wissen.“

John lenkte sein Pferd zurück und winkte den Gefangenen, denen sie die Hände so gebunden hatten, dass sie die Zügel selbst führen konnten. John hatte während des ganzen Rittes befürchtet, der eine oder andere von ihnen könnte zu fliehen versuchen. Aber sie hatten offenbar selbst begriffen, dass ihnen so ein Versuch nur den Tod bringen konnte.

Sie ritten alle zusammen über den Ranchhof hinaus in die Nacht. Im dichten Pulk umgaben sie die drei Gefangenen, die Waffen in den Händen. Das Sattelleder knarrte, und manchmal gab es einen klirrenden Ton, wenn Sporen und Steigbügel zusammenschlugen.

„Na los, schneller!“, zischte der Vormann auf einmal und stieß dem Gefangenen vor sich die Mündung des Gewehres in den Rücken. „Wir wollen noch ein paar Stunden schlafen, bevor wir euch hängen!“

„Du scheinst es ja gar nicht erwarten zu können, Flint“, sagte John Slade schleppend.

„Ich habe es noch nie erwarten können, Banditen zu hängen!“ Hollag grinste John herausfordernd an. „Hast du etwas dagegen, Marshal?“

„Allerdings. Aber ich will mich nicht mit dir streiten.“

*

„Marshal, Marshal!“, rief die kehlige Stimme des Schneiders und Schuhmachers, der außerdem der Friedensrichter war.

John wälzte sich in seinem Bett herum und blickte auf die Brettertür. Helles Sonnenlicht flutete durch das kleine Fenster in die enge Kammer.

„Wo sind Sie denn?“, fragte der Mann.

„Er schläft“, sagte der Stallmann im Office.

John schlug die Decke zurück, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Er zog sich an, nahm seinen Patronengurt, hob Strümpfe und Schuhe auf und ging ins Office. Gähnend blickte er auf den Friedensrichter Josuah Baile, der ihn fast strafend anschaute.

John ließ Strümpfe und Stiefel fallen, legte den Patronengurt auf den Brettertisch und raufte sich die Haare. „Wie spät ist es denn?“

„Mittag gewesen“, brummte der Stallmann, der neben dem Gitter auf einem Stuhl als Wache saß und das Gewehr quer über den Knien hielt.

„So. – Ist Bronson mit seinen Leuten noch in der Stadt?“

„Denken Sie, der reitet fort, bevor das Urteil gesprochen ist?“, fragte der Friedensrichter.

Hinter dem Tisch setzte John sich in den schäbigen Sessel und blickte auf Josuah Baile.

Der Friedensrichter war über fünfundsechzig Jahre alt, ein großer dürrer Mann mit einem Gesicht voller Falten. Er hatte scharfblickende Augen und langes weißes Haar, auf dem er einen flachen schwarzen Hut trug, so einen, wie John Slade sie schon bei den Heiligen der Letzten Tage gesehen hatte. Trotz der Hitze hatte der Friedensrichter einen langen schwarzen Tuchmantel an, aber John konnte sich nicht erinnern, Josuah Baile schon einmal anders gesehen zu haben.

Der Friedensrichter legte ein dickes Gesetzbuch mit schwarzem Deckel auf den Schreibtisch und räusperte sich.

John schnallte den Waffengurt um und blickte in die Zelle.

Die drei Gefangenen waren nicht mehr gefesselt. Sie standen an der Wand neben dem vergitterten Lichtschacht, durch den Sonnenlicht fiel.

„Setzen Sie sich doch, Mr. Baile“, sagte John.

„Euer Ehren!“, verbesserte der Friedensrichter schroff. „In diesem Amt bin ich immer Euer Ehren, Marshal.“

„O, entschuldigen Sie, Euer Ehren!“, John verkniff sich das Grinsen, ging zu der Zelle und blickte zu den drei Männern.

Sie sahen bleich und übernächtigt aus und Angst hatten sie außerdem.

John ging zurück und setzte sich hinter den rohen Tisch.

Der Richter räusperte sich wieder und nahm würdevoll Platz. Er war als Handwerker ein umgänglicher Mann, der in eine andere Haut zu schlüpfen schien, wenn er sein Gesetzbuch in die Hand nahm. „Wenn ich alles richtig gehört habe, ist bei den Gefangenen weder Geld gefunden worden, noch hatten Sie auch nur die Spur eines Beweises an der Schuld dieser Männer, denen Sie von Mr. Bronsons Ranch aus folgten. – War es so, Marshal?“

„Ja, so war es, Euer Ehren.“ John lehnte sich zurück, bemerkte, dass er Strümpfe und Stiefel immer noch nicht angezogen hatte und holte es rasch nach.

Der Friedensrichter räusperte sich wieder. „Können Sie mir vielleicht dann sagen, wessen ich die drei Männer anklagen soll?“

„Nein, ausgeschlossen, das kann ich nicht.“ John lehnte sich wieder zurück und lächelte Josuah Baile an.

„Können Sie nicht?“

„Nein.“

„Und warum haben Sie diese Männer dann hierher gebracht, Marshal?“

„Ach, das ist furchtbar einfach“, erklärte John Slade. „Ich hatte die Möglichkeit, sie hier heraufbringen und einzusperren, oder ich konnte zusehen, wie Bronson und seine Männer sie aufhängten.“

„Es waren anfangs vier“, fuhr John fort. „Einen hat Bronson einfach abgeknallt. Hinterrücks. Allerdings konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass wir bei den Männern sein Geld nicht finden würden.“

Der Richter hustete dünn und hielt sich die Hand vor den Mund. Er hatte eine Hand, so schmal wie die von Vera Bronson, aber sie sah wie Leder aus. Er ließ die Hand langsam sinken, blickte auf sein schwarzes Buch, in die Zelle und dann zu John. „Und nun?“

John grinste ihn an. „Jetzt ist die Reihe an Ihnen, Euer Ehren. Was das Gesetz und was Bronson erwartet, das wissen Sie ja. Ob Sie es unter einen Hut bringen können, das ist Ihre Sache.“

Baile stand auf und schlug seinen schwarzen Tuchmantel zurück. Er hatte darunter einen Revolver großen Kalibers hinter dem Hosenbund stecken. „So, das wollen Sie mir also überlassen?“

„Das Richten ist nicht meine Aufgabe“, sagte John. „Sie haben doch nicht etwa Angst, Euer Ehren?“

„Schenken Sie sich Ihren Spott!“, stieß Baile scharf hervor. „Der Saloon wird auf Mr. Bronsons Betreiben bereits in einen Gerichtssaal um funktioniert. Und ich weiß, dass viele meiner Geschworenen tun werden, was Mr. Bronson erwartet. Zu viele in Bighorn Springs sind von seiner Ranch in sehr starkem Maße abhängig.“

John stand auf, ging zu der Zelle und blickte durch das Gitter.

„Was meinen Sie denn?“, fragte der Friedensrichter drängend. „Sind diese Kerle es denn wenigstens gewesen?“

John drehte sich um. „Vielleicht waren Sie es, Euer Ehren – vielleicht aber auch nicht.“

„Wo könnte denn das Geld geblieben sein?“

John zuckte die Schultern. „Wenn das verschwundene Geld nicht im Spiel wäre, würden wir bestimmt alle überzeugt sein, die Mörder des Cowboys gefasst zu haben. Aber so …“

Baile nahm seinen steifen schwarzen Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Schimpfend setzte er sich den Hut wieder auf und blickte finster in die Zelle.

Einer der Männer kam ans Gitter und sagte: „Ich bin Kervin Calling, Mister. Und wenn Sie mich dazu verurteilen, hier in diesem miesen Nest gehenkt zu werden, wird Sie der Teufel holen!“

Baile ging auf das Gitter zu und schlug seinen Mantel, wieder zurück.

John war mit einem Satz bei ihm und riss ihn zurück, bevor Kervin Calling durch das Gitter nach der schweren Waffe des Richters greifen konnte.

„Sind Sie verrückt geworden?“, fragte John gepresst.

„Wollten Sie etwa nach meinem Revolver greifen?“, fragte Baile erschrocken.

Calling grinste ihn hämisch an.

„Wenn man Männer zu Wölfen macht, dann zeigen sie die Zähne, egal ob sie vorher, schon Wölfe waren oder nicht“, erklärte John. „Es ist doch ganz natürlich, dass die drei einen Weg in die Freiheit suchen.“

„So würden sie aber nicht einmal aus der Stadt kommen.“

„Ich weiß.“ John setzte sich wieder. „Aber diese Männer denken vielleicht anders darüber.“

„Wir haben Bronsons Ranch in dieser Nacht zum ersten Mal gesehen“, sagte Calling. „Und wir haben noch nie viertausendfünfhundert Dollar besessen. Und dieser großspurige Rancher hat Roger Bogart hinterrücks ermordet, Euer Ehren! Ich bin gespannt, ob Sie ihn dafür anklagen werden.“

„Zeugen haben Sie genug dafür!“, rief einer der beiden anderen.

„Das ist allerdings wahr“, sagte John. „Wenngleich es durch die Flucht und unser derzeitiges Unwissen gewiss eine ganze Reihe mildernder Umstände zu berücksichtigen gäbe.“

„Ihr redet, als wüsstet ihr nicht, dass es um euren Kopf geht und nicht um den von Mr. Bronson“, erwiderte der Friedensrichter. „Der lässt keinen mehr los, den er einmal in der Hand hat. Wissen Sie das nicht, Marshal?“

„Ich kann es mir denken, obwohl ich ihn bis jetzt nur wenig kenne.“

„Er hat vor zwei Jahren Viehdiebe gestellt. Arme Kerle, die im Winter von Norden kamen und ein Rind schlachteten, das Bronson davongelaufen war. Er hat die Männer nicht einmal bis hierher gebracht. Und wir haben es überhaupt nur erfahren, weil ein Fremder in die Stadt kam, der die Leichen unterwegs an einem Baum gesehen hatte.“

John nickte. „Ja, so habe ich ihn eingeschätzt, Euer Ehren.“

Der Friedensrichter fluchte plötzlich lästerlich und schlug auf sein schwarzes Buch. „Der Himmel soll auf mich stürzen, wenn ich einen Menschen verurteile, dessen Schuld ich nicht beweisen kann. – Finden Sie die Tasche mit dem Geld oder die Kerle, die es haben, Marshal!“

„Sie haben Nerven, Euer Ehren. So viel Zeit lässt Ihnen Bronson nie im Leben. Der will es doch heute noch wissen.“

Baile nahm sein Buch und klemmte es unter den Arm. „Dann werde ich die Männer freisprechen müssen, Marshal. Es ist dann Ihre Aufgabe, sie heil aus der Stadt zu bringen. – Nehmen Sie jetzt das Protokoll auf, ich hole es in einer halben Stunde.“

*

Der Richter hatte das Office verlassen, und seine Schritte waren draußen auf dem Bretterweg verklungen.

John stand hinter dem Schreibtisch und blickte auf die drei schmutzigen, abgerissenen Kerle in der Zelle, die ihn finster musterten. Irgendwie sahen sie schon zum Fürchten aus. Aber dass sie Bronsons Geld unterwegs zurückgelassen haben sollten, darin konnte John keinen Sinn erkennen.

„Verdammt noch mal, wir waren es nicht!“, zischte Calling.

„Wie heißen die beiden anderen?“, fragte John.

Calling blickte über die Schulter und dann wieder zu John. „Der mit den finsteren Brauen ist Brian Shafter. Und der andere Reno Atkins. Denken Sie vielleicht, das hilft Ihnen weiter?“

„Nein. Aber ich muss es wissen. Warum seid ihr denn erst nach Osten geritten und dann nach Süden?“

„Habe ich das nicht schon mal gesagt? Wir hatten uns überlegt, dass es günstiger und vernünftig ist, nach Medicine Bow zu reiten und nicht nach Fort Reno.“

„Kann sein.“ John setzte sich. „Und ihr habt die Ranch nicht gesehen? Nicht mal von Weitem?“

„Nein, zum Teufel! Wir waren doch keine Meile von der Stadt weg, als wir nach Süden ritten.“

John lehnte sich zurück. Auf der Straße sah er Ina Gillam, die herüberkam und das Office betrat. Sie schob die Tür hinter sich zu und blickte von John zu den Gefangenen in der Zelle. Dann kam sie an den Tisch und setzte sich.

„Streiten sie es immer noch ab?“

„Sie waren es vermutlich nicht“, sagte John. „Oder leuchtet dir ein Grund ein, warum sie das Geld unterwegs irgendwo hätten zurücklassen sollen? Bei diesem Sauwetter, wo man keine Spuren fand und wir sie sowieso nur noch durch Zufall getroffen haben! Und da lagerten sie ausgerechnet noch, als hätten sie unendlich viel Zeit.“

„Armer John“, sagte das Mädchen.

„Was denn?“

„Du musst nun zusehen, wie du sie wieder aus der Stadt hinausbringst.“

„Ja. – Während der Verhandlung werden alle Leute im Saloon sein, bestimmt auch die Frauen und Kinder. Die lassen sich so was bestimmt nicht entgehen. Kannst du von deinem Zimmer aus in den Stall kommen, ohne durch den Saloon zu gehen?“

„Was?“, fragte Ina und beugte sich über den Tisch.

John stand auf. „Ich wüsste sonst niemanden, der mir helfen könnte. Aber ich brauche jemanden, der die Waffen dieser Männer in den Stall bringt und ihre Pferde gesattelt bereitstellt. Bronson kommt bestimmt nicht darauf, dass es eine Frau gewesen sein könnte.“

„Aber wenn doch alle anderen im Saloon sind!“

„Vergiss es wieder. Es war ein dummer Gedanke, Ina.“

Calling ging in die Zelle zurück. „Irgendwie ist der Marshal in Ordnung, was?“

„Ohne ihn wären wir schon tot“, brummte Brian Shafter. „Der sieht alles und hört das Gras wachsen.“

Ina blickte wieder zu den Männern in der Zelle. „Darauf kommt Bronson sicher wirklich nie. Und wenn schon …“

„Er kommt nicht darauf“, sagte John schnell. „Der traut Frauen nichts zu.“

„Ich meine, ich würde dir wirklich gern mal einen Gefallen tun, John. Du hast damals …“

„Was damals war, ist tot“, unterbrach John Slade sie wieder.

Sie lächelte ihn strahlender an, als er es jemals bei ihr gesehen hatte. Er sah sie jetzt mit ganz anderen Augen, obwohl er sich fragte, wie er auf den Gedanken gekommen war, sie ausgerechnet das zu fragen.

„Also gut, John.“

„Du kommst hier und auch im Stall von hinten herein. Die Tür wird offen sein, Ina. Und die Waffen lege ich auf den Tisch. – Und noch etwas: Du musst die richtigen Pferde satteln! Sonst jagen sie die drei, weil sie Pferde gestohlen haben.“

„Und wie soll ich die richtigen Pferde finden?“

„Es sind drei Braune, die am Ende des Stalles stehen. Die Sättel sind aufgeschlitzt und hängen über der letzten Wand.“

„Gut, John.“

„Und lass dir nichts anmerken, wenn du zurückkommst, Ina. Am besten, du bleibst in deinem Zimmer und stellst dich krank. Oder, wenn dich jemand fragt, sagst du, solcher Rummel würde dich langweilen, und sie sollten dich wecken, wenn sie die Banditen gehenkt hätten. Dann merkt kein Mensch etwas.“

„Gut. Ich schaffe das schon!“ Ina ging zur Tür. Sie verließ das Office und überquerte die Straße.

John ging ein Stück auf die Zelle zu, blieb stehen und musterte die finsteren Kerle, die jetzt grinsten. „Ihr müsst reiten wie die Teufel“, sagte er. „Mehr als ein paar Minuten Vorsprung habt ihr nicht. Lange kann ich die nicht aufhalten. Und noch etwas: Wenn sie euch schnappen und ihr sagt ein Wort von dem Mädchen, dann sorge ich dafür, dass euch der Teufel frisst!“

„Wenn die uns schnappen, frisst uns der Teufel so und so“, erwiderte Calling. „Das ist eine verdammt komische Gerechtigkeit hier, was?“

„Nicht komischer als in den meisten Städten, in denen es nur einen reichen Mann gibt“, entgegnete John. „Ich halte Bronson so lange auf, wie ich nur kann. Vielleicht gelingt es mir länger, als ich glaube.“

„Und wenn das Barmädchen es Bronson jetzt schon erzählt?“, fragte Calling.

„Ihr könnt euch wohl gar keinen Menschen vorstellen, dem man vertrauen kann, was?“ John Slade grinste die drei verächtlich an.

Dann ging er zum Gewehrständer, suchte in seiner Tasche nach dem Schlüssel, ging aber zurück, weil er ihn nicht fand.

Der Schlüssel lag in der Schublade des Tisches. John Slade ging damit abermals zu dem Ständer, schloss die Kette ab, zog sie durch die Abzugsschutzbügel der ersten Gewehre und nahm die Parker heraus. Er sicherte die anderen Gewehre wieder, zog den Schlüssel ab, ging zurück und legte den Schlüssel in das Schubfach zurück. Dann setzte er sich hinter dem Tisch in den lädierten Sessel, nahm Patronen aus der Lade, klappte die Läufe der Parker ab und schob zwei Patronen in die Läufe. Er steckte den Rest der Patronen in die Taschen und ließ das Gewehr zusammenschnappen.

Draußen ging der alte Goring vorbei, öffnete die Tür und blickte herein. „Was ist denn nun mit Ihrem Frühstück, Marshal?“, fragte er mit seiner krähenden Stimme.

„Ja, sehen Sie mal zu, dass Sie etwas für mich bekommen!“

Der alte Mann verschwand und die Tür fiel zu.

John stand auf und ging hin und her. Er musste noch Protokolle aufnehmen, obwohl das ein Witz war. Er würde dadurch weder der Wahrheit näherkommen, noch konnte er mit den Protokollen etwas vorlegen, wofür Bronson sich interessierte.

Er ging wieder zu der Zelle und sagte: „Ihr reitet nach Südwesten und verschwindet in den Bergen. Sie finden dann keine Spuren mehr. Ich wette mit euch, sie haben die Nase dann schnell voll und kehren um.“

„Und dann wird Bronson verlangen, dass Steckbriefe gedruckt werden“, erwiderte Calling. „Die schicken sie dann mit der Wells Fargo überall hin!“

„Hier in Bighorn Springs kann man nichts drucken. Im Übrigen sorge ich dafür, dass man in Cheyenne die Wahrheit erfährt. Die Sache ist mit eurer Flucht nicht erledigt und wird nicht im Sande verlaufen. Aber ich brauche Zeit, um die Sache erledigen zu können. – Ihr reitet fort und lasst euch hier nicht mehr sehen.“

„Jetzt reden Sie, als wären wir schon entkommen“, brummte Shafter. „Dabei sitzen wir mitten drin in diesem verdammten Feuer.“

„In diesem Dreck“, verbesserte Reno Atkins. „Aber wenn wir hier herauskommen, sieht Bronson uns noch mal wieder. Für Roger!“

Kervin Calling nickte finster. „Das walte Hugo, Marshal!“

„Damit rechnet Bronson dann vielleicht sogar“, sagte John gedehnt.

„Ob er damit rechnet oder nicht, dafür sieht er uns noch mal“, wiederholte Atkins.

„Komische Sache mit so einem Stern an der Jacke, was?“ Calling grinste abfällig.

„Wieso?“

„Na, hören Sie mal, Sie vertreten doch Interessen und nicht das, was man Recht und Gesetz nennt.“

„Jeder redet, wie er es versteht.“ John wandte sich ab und setzte sich hinter den Tisch.

Der Stallmann kam über die Straße gehastet, stieß die Tür auf und rief: „Ihr Essen kommt in einer Viertelstunde, Marshal! Und dann soll ich Ihnen von Mister Bronson sagen, dass es in einer Stunde losgeht!“

„Danke, Goring.“

Der Stallmann brummte noch etwas Unverständliches, schloss die Tür und entfernte sich.

*

Neben der Treppe, die hinauf zur Galerie führte, hatten sie eine riesige Fahne mit Sternen und Streifen zwischen zwei Pfosten genagelt. Davor standen ein paar zusammengeschobene Tische. In der Mitte der Tische stand eine Flasche mit Wasser und ein leeres Glas. Neben dem Glas lag Josuah Bailes aufgeschlagenes Gesetzbuch. Der weißhaarige Friedensrichter stand hinter dem Tisch, den Tuchmantel offen, sodass der Griff seines schweren Revolvers zu sehen war. Die Hände hatte er auf die Tischplatte gestützt.

Im Saloon waren links Stühle zu Reihen aufgestellt, und dort saßen sie alle, die außer dem Richter und John Slade noch in diese Stadt gehörten: zehn Frauen, siebzehn Männer und fünf Kinder.

Die drei Angeklagten saßen ebenfalls auf Stühlen direkt vor der Theke. Auf der Theke saßen Bronsons Cowboys, der Vormann und der Rancher selbst. Bronson hatte die Arme vor der Brust gekreuzt.

John Slade stand neben der Schwingtür und hatte die mörderische Parker unter dem Arm. Er hatte die anderen davon überzeugt, dass es unnötig war, die waffenlosen Gefangenen zu fesseln, und der Richter hatte gesagt, das würde sich auch nicht gehören.

Der Friedensrichter räusperte sich und sagte: „Beweise, Mr. Bronson! Wo sind Ihre Beweise?“

Bronson grinste überheblich. „Ich habe Beweise. Reiten Sie hinaus zu meiner Ranch, dann finden Sie das durchwühlte Haus und das Grab von Matt.“

„Das sind keine Beweise für die Schuld dieser Männer!“, rief der Friedensrichter scharf.

„Soll das heißen, die Banditen würden zu Dutzenden hier herumreiten? Fragen Sie den Marshal, ob wir auch nur noch einen Reiter unterwegs gesehen haben!“ Bronson lachte dunkel. „Außerdem sollten die Geschworenen entscheiden, ob das ausreichende Beweise sind!“

John warf einen Blick auf die erste Stuhlreihe. Dort saßen die elf Männer der Stadt, welche die Geschworenen darstellten. Einige von ihnen nickten jetzt, als wollten sie die Worte des Ranchers bekräftigen.

Plötzlich keifte eine Frau: „Seht euch die Kerle doch an! Da sieht man gleich, was das für welche sind!“

Zustimmendes Murmeln erfüllte den Saloon.

„Na also, da habt ihr es gehört“, sagte Bronson zufrieden. „Natürlich sieht man denen gleich an, was es für welche sind. Wer weiß, was die in Kanada ausgefressen haben, dass sie hierher kamen!“

John schob sich an der Tür vorbei zur anderen Seite, um in einen besseren Winkel zu den Männern auf der Theke zu kommen. Langsam spannte er die beiden außenliegenden Hähne des Gewehres und hob die dollargroßen Mündungen an, bis sie auf die Ranchmannschaft zielten. Er hatte nicht damit rechnen können, dass sie sich so günstig für ihn aufbauen würden.

„Das sind keine Beweise für die Schuld dieser Männer!“, rief der Friedensrichter, der offenbar immer noch nicht begreifen wollte, dass es hier nicht um seine Auffassung von Recht, sondern um Bronsons Auffassung ging.

Ein Mann in der ersten Reihe stand auf und sagte: „Mr. Bronson hat doch recht, Josuah! Es rei…“

Baile hieb mit der Hand durch die Luft und schnitt dem Mann das Wort damit ab. „Euer Ehren, wenn ich sehr bitten darf!“

„Nun mach doch keinen Quatsch, Josuah!“, rief der Mann. „Und überhaupt, was sollen die Umstände? Wir werden entscheiden, ob sie schuldig sind, und du fällst dann das Urteil.“

„Wobei wir an ein Urteil denken, das uns keine Umstände macht“, mischte sich ein anderer Mann ein.

Einige Leute lachten.

„Und dann gibt es Whisky, den ich bezahle!“, brüllte der Rancher.

John Slade blickte suchend über die Galerie, soweit er sie überblicken konnte. June Silver stand unten auf der Treppe und lächelte, seit das Wort vom Whisky erklungen war. Von Ina war nichts zu sehen. John fragte sich, ob sie die Waffen schon in den Stall gebracht und die Pferde gesattelt haben konnte und bereits in ihrem Zimmer war.

„Wenn ihr meine Würde als Richter missachtet, breche ich die Verhandlung ab!“, rief Josuah Baile.

„Nein, nein, Euer Ehren!“ Bronson lachte polternd. „Fahren Sie nur fort, Euer Ehren!“

Baile hustete und blätterte in seinem Buch. „Nach dem Gesetz muss einem Beschuldigten die Tat nachgewiesen werden. Und zwar lückenlos. Der Marshal hat aber ausgesagt, dass sie auf der Ranch keine Spuren fanden. Die Beschuldigten sind auch von Vera Bronson und dem Vormann nicht als die Banditen erkannt wurden. Wir brauchen …“

Der Vormann gähnte so laut, dass Baile abbrach. Dann sagte Flint Hollag, der Vormann: „Der langweilt mich so sehr, dass ich gleich einschlafe, Boss.“

John blickte wieder zur Wand hinauf, weil es ihm war, als würde sich an der Wand zwischen den Türen etwas bewegen. Da sah er Ina Gillams Gesicht. Sie schien ihm zuzunicken, schob sich weiter und verschwand. Lautlos bewegte sich auf der Galerie eine Tür und schloss sich wieder.

„Euer Ehren, Ihre Zuhörer langweilen sich“, sagte Bronson grinsend.

„Dann seht mal her, vielleicht macht euch das munter!“, rief John scharf.

Sie warfen die Köpfe herum und sahen das mörderische Gewehr auf sich gerichtet.

„Na los, die Hände hoch!“, rief John schroff. „Wird’s bald, Bronson?“

„Verdammt, der macht keinen Spaß!“, zischte ein Cowboy.

„Niemand verlässt seinen Platz!“, rief John. „Bronson, ich zähle bis drei! – Eins …“

Bronson und die Männer auf der Theke hoben die Hände über die Köpfe.

„Los, haut ab und seht zu, dass ihr Land gewinnt!“, rief John.

Die drei fremden Männer sprangen von den Stühlen vor der Theke auf und rannten hinaus.

„Marshal, das ist ungeheuerlich“, sagte der Friedensrichter. „Sie maßen sich Rechte an, die Sie nicht haben!“

„Heben Sie die Hände, Euer Ehren!“, gab John kalt zurück.

Der Friedensrichter hob die Hände über den Kopf. „Das ist ungeheuerlich! Das werde ich Ihren Vorgesetzten in Cheyenne melden, Marshal!“

Draußen waren die Schritte der drei Männer bereits verklungen.

Flint Hollag blickte über die Schulter.

„Bis hinter die Theke kommst du nicht“, sagte John. Er versuchte, sie alle im Auge zu behalten, weil er nicht genau wusste, wie verrückt sie darauf waren, das zu tun, was Bronson wollte.

„Das bricht Ihnen das Genick, Marshal“, sagte der Rancher. „Dafür werde ich sorgen!“

Plötzlich sprang der Vormann von der Theke und warf sich zu Boden. John konnte ihn nicht mehr sehen. Bronson blickte hinunter zu dem Mann.

„Sagen Sie ihm, dass ich auf euch schieße“, sagte John gepresst.

„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, knurrte Bronson. „Hier geht doch alles nach dem Gesetz zu, dem Sie dienen sollen, Mann!“

„Ihrem Gesetz kann ich nicht dienen, Bronson. – Sagen Sie Hollag, er soll aufstehen und die Hände heben!“

„Wenn Sie seinetwegen auf uns schießen, muss Euer Ehren Sie aufhängen lassen!“, zischte der Rancher. „Das wissen Sie hoffentlich.“

John Slade brach langsam der Schweiß aus, lief ihm über das Gesicht, den Hals, den Rücken und die Brust. Er wusste, dass er auf niemanden schießen würde, weil es dafür keine Handhabe für ihn gab, aber er hoffte, dass er sie doch noch eine Weile hinhalten und bluffen konnte.

Flint Hollag war immer noch nicht aufgetaucht.

John bewegte sich langsam auf die Stuhlreihen zu.

Da sprang Hollag mit dem Revolver in der Hand vor ihm auf.

John schlug mit dem Gewehr zu. Die Läufe trafen den Vormann gegen die Schulter und warfen ihn auf eine Frau, die einen gellenden Schrei ausstieß.

Da sprangen sie alle gleichzeitig von der Theke und fielen über ihn her. Er schlug den ersten mit dem Gewehr nieder, dann fiel ihm die Waffe aus der Hand und ging mit einem solchen Donner los, dass er meinte, es würde den Saloon in Fetzen reißen. Das gehackte Blei fuhr neben der Theke in die Wand und verletzte niemanden.

John sah ein verzerrtes Gesicht vor sich, wollte zuschlagen und bekam eine Faust ins Gesicht. Er flog zurück, verlor den Halt und stürzte zu Boden. Der Cowboy wollte sich auf ihn werfen, aber John fing ihn mit den angezogenen Füßen auf und streckte sich mit aller Kraft. Der Kerl flog schreiend zurück und gegen den nächsten.

Kreischend waren Frauen aufgesprungen. Männer schrien wüst durcheinander.

John sprang auf und warf sich dem Rancher entgegen. Aber als er zuschlagen wollte, traf ihn Hollags Faust von der Seite gegen die Schläfe. Er taumelte gegen die Wand, hatte das Gefühl zu schweben und stürzte auf die schmutzigen Dielen zurück. Ein Tritt traf ihn, er wurde aufgehoben, mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert, und vor ihm war Bronsons vom Hass verzerrtes Gesicht.

„Darüber reden wir noch, Freundchen“, zischte der Rancher und schlug zu.

John Slade bekam den Schlag mitten ins Gesicht. Jäher Schmerz zuckte wie Feuer durch seinen Körper, in seinem Kopf schien etwas zu explodieren, und das hassverzerrte Gesicht des Ranchers tauchte in einer schwarzen Wand unter. Wie er zu Boden stürzte, merkte John Slade nicht mehr.

Fluchend trat der Rancher zurück. Zwei seiner Männer waren schon hinausgelaufen. Einer schrie: Da hinten reiten sie, Boss!“

„Los, alle mitkommen!“, bellte Bronson und stürmte hinaus.

*

Er wälzte sich stöhnend herum, öffnete die Augen und sah Inas Gesicht verschwommen über sich. Das Mädchen lächelte ein wenig.

John Slade blickte weiter, erkannte eine weiße Decke, eine Lampe, die an einer Schnur aus großen Perlen hing, und dann das mürrische Gesicht des Keepers.

„Sie müssen doch von allen guten Geistern verlassen worden sein“, sagte McDowell finster.

John hob die Hände und rieb sie über das immer noch schmerzende Gesicht.

„So was macht doch nur ein Verrückter!“, schimpfte der Salooner.

„Ich weiß gar nicht, was Sie haben, Boss“, sagte das Mädchen. „Den Männern war doch der Überfall offensichtlich nicht nachzuweisen. Die hätte man gehenkt, ohne zu wissen, ob sie es auch wirklich gewesen sind!“

„Das ist Männersache, verstanden!“, knurrte der Keeper.

John rieb sich wieder den Kopf. „Etwas leiser reden könnten Sie schon, McDowell.“

„Sie werden schon sehen, was Sie davon haben!“, zischte der Keeper. „Warten Sie nur, bis Bronson zurückkommt!“

Er fluchte wütend, ging zur Tür und verließ das Zimmer.

John setzte sich stöhnend auf und sah sich um. Er war in Inas Zimmer, einem geräumigen Raum mit dunklen Tapeten an den rauen Holzwänden, einem Schrank, einem Frisiertisch mit verschnörkeltem Goldrahmenspiegel und anderen Gegenständen.

John stand auf, schleppte sich bis zur Waschschüssel, tauchte die Hände in das laue Wasser und wusch sich vorsichtig das Gesicht.

Ina Gillam schenkte ihm ein Glas Whisky ein und strahlte ihn an.

„Die haben nichts gemerkt. Ich habe von hier aus gesehen, wie die drei die Pferde ein Stück weggeführt haben. Bronson denkt sicher, die haben die Tiere selbst gesattelt.“

„Ja.“ John nahm seinen Hut vom Bett und stülpte ihn auf den Kopf.

„Komm, trink das, dann wird es gleich besser.“

„Ja, Ina.“ Er nahm das Glas und trank es aus. Der Whisky brannte wie pures Feuer in der Kehle, aber die Schmerzen in seinem Kopf ließen wirklich nach. John stellte das Glas auf den Tisch zurück und ging zum Fenster.

Von hier aus konnte er über die anderen Häuser hinwegblicken.

„Viel Vorsprung haben deine Freunde ja nicht“, sagte Ina, die langsam ans Fenster kam. „Aber vielleicht reicht es ihnen.“

„Es sind nicht meine Freunde, Ina.“

„Entschuldige, ich habe es nicht so gemeint.“

John wandte sich um, ging zum Tisch, schenkte das Glas wieder voll und trank es aus. „Sind alle Männer außer McDowell mitgeritten?“

„Fast alle. Aber seinen Vormann hat Bronson zurückgeschickt. Der soll sich um die Ranch kümmern.“

„Und wo ist er jetzt?“

„Fortgeritten. Zur Ranch.“

John ging um den Tisch herum und setzte sich auf das Bett.

„Die nehmen bestimmt an, die Kerle hätten sich die Pferde selbst gesattelt und ihre Waffen auch allein geholt“, sagte Ina Gillam abermals.

„Sicher denken sie das. Du musst bestimmt kein Angst haben, Ina. – Und vielen Dank noch!“

Das Mädchen strahlte ihn an. „Ich helfe dir gern, das weißt du doch, John!“

„Ja, ich weiß.“

Ina kam zu ihm und setzte sich neben ihm auf das Bett. Sie legte die Hand auf seine Schulter, strahlte ihn an und küsste ihn. „Wollen wir verschwinden? Ich habe genug Geld, um ein Pferd kaufen zu können. Wir sind in zehn Minuten unterwegs, wenn du willst.“

„Wohin denn?“

Sie lachte und küsste ihn wieder.

„Jetzt tust du, als würdest du nicht genau wissen, dass dieses Land riesengroß ist, John! – Es ist doch besser, dass Bronson dich hier nicht mehr antrifft, nicht wahr?“

„Vielleicht wäre das besser.“ John machte sich von ihr frei und stand auf.

„Soll das heißen, du wirst bleiben?“ Ina stand auf. Das Strahlen in ihren Augen war verschwunden.

„Das soll es heißen“, gab er zurück.

„Und was willst du tun?“

„Das weiß ich noch nicht, Ina.“

„Du willst das Geld und die Mörder von dem Cowboy finden, was?“

John drehte sich um und blickte sie an.

„Vielleicht waren die drei Kerle es doch und haben das Geld wirklich unterwegs versteckt“, fuhr das Barmädchen heftig fort. „Sie wussten doch, dass man bei dem Wind keine Spuren hinterlässt.“

„Sie wussten auch, wer Bronson ist“, sagte John. „Den haben sie hier kennengelernt. – War denn im Saloon die Rede davon, dass Bronson so einen Haufen Geld auf seiner Ranch aufbewahrt?“

Ina dachte nach, dann zuckte sie die Schultern. „Meines Wissens nicht. Aber ich höre nicht immer zu und war auch nicht immer dabei. Bronson ist ein Angeber. Kann schon sein, dass er von dem Geld geredet hat. Vielleicht zu McDowell. – Aber auch wenn es eine andere Bande war, wie willst du sie denn noch finden? Die sind jetzt schon mindestens fünfzig Meilen von hier weg!“

„Das ist es. – Also, jedenfalls vielen Dank, Ina.“ John nickte ihr zu und verließ das Zimmer. Von der Galerie aus sah er Baile unten im Saloon in dem Durcheinander von Stühlen und an der Wand aufgetürmten Tischen.

John stieg die Treppe hinunter und lehnte sich an die Theke. „Wer hat mich denn zu Ina gebracht?“, fragte er.

„Der Wirt und ich.“ Der Richter hustete dünn. „Wie kann man denn nur als US-Marshal so die Nerven verlieren.“

„Ich habe doch nicht die Nerven verloren.“ John lächelte. „Ich habe Sie davor bewahrt, Ihr Gewissen mit Mord zu belasten, Euer Ehren.“

„Jetzt bin ich Josuah Baile!“, schimpfte der Richter. „Wir haben keine Verhandlung mehr!“

„Wie Sie wollen.“

„Ich hätte mein Gewissen schon nicht übermäßig belastet“, sagte Baile, während er an die Theke kam.

Der Keeper war nicht zu sehen.

„Die Geschworenen hätten die drei schuldig gesprochen.“

„Das weiß ich selbst.“

„Na also.“ John griff nach einer Flasche und schenkte zwei Gläser voll. Er schob das eine dem Richter zu.

Baile schob das Glas mit verzogenem Gesicht ins Spülbecken weiter.

„Wenn die Geschworenen schuldig sagen, müssen Sie die Männer verurteilen. Dafür sind doch die Geschworenen da.“

„Verurteilen ja“, gab Josuah Baile zu. „Aber das Strafmaß bestimme ich!“

„Ach?“ John trank den Whisky, stellte das Glas auf die Theke und legte ein paar Cent daneben. „Und zu was hätten Sie die drei Männer verurteilt?“

„Zu einer Strafe von einem Dollar, der durch die erlittene Haft bereits abgegolten ist.“

John blickte den Mann scharf an und erkannte in dessen Augen, dass Baile die Wahrheit sagte.

„Daran hätte niemand etwas ändern können“, fuhr Baile fort.

„Es wäre trotzdem ein ungerechtfertigtes Urteil geblieben“, erwiderte John Slade. „Und es hätte den drei Männern auch nicht viel genützt. Bronson hätte dafür gesorgt, dass sie die Stadt nicht lebend verlassen. Er ging um Baile herum und hob sein Schrotgewehr auf, das noch auf dem Boden lag.

„Dann hätte er sich eindeutig ins Unrecht gesetzt!“, schimpfte der Richter.

John klemmte das Gewehr unter den Arm. „Und wie sehr hätte das Bronson interessiert?“

„Das hätte ihn interessieren müssen!“

„Reden Sie doch nicht solchen Unsinn!“, sagte John schroff. „Sie kennen den Kerl doch viel länger als ich.“ Er wandte sich ab, verließ den Saloon und blieb am Rande des Bretterweges stehen.

Ein paar Frauen standen mit dem alten Stallmann drüben vor dem Store und blickten finster zu ihm herüber. Sie dachten alle das Gleiche, und was sie dachten, das konnte John in ihren Augen lesen.

Er überquerte die Straße und betrat das Office. Neben dem Tisch lag noch eine Schachtel mit Patronen, die John zu den Waffen gelegt und Ina in der Eile verloren haben musste. Er hob sie auf, steckte sie in die Schublade des Tisches und setzte sich in den lädierten Sessel, während er das Schrotgewehr vor sich legte.

*

Die Dämmerung kroch langsam bis in den letzten Winkel des Raumes und hüllte alles ein.

John saß noch immer hinter seinem rohen Brettertisch und blickte auf das abgefeuerte Schrotgewehr. Er hörte draußen Schritte, die Tür öffnete sich, und Ina kam herein.

„Willst du denn gar nichts essen?“, fragte sie. „Du musst doch Hunger haben, John!“

„Ich hab keinen Hunger, Ina.“

Sie kam langsam näher, blickte zu leeren Zelle hinüber und setzte sich auf den Stuhl vor dem Brettertisch. „Was willst du denn nun tun?“

„Wenn ich das nur wüsste.“

Ina stand wieder auf und lief hin und her. „Die sind immer noch nicht zurück.“

„Ich weiß.“

„Und die Weiber reden sich die Köpfe heiß. Die würden jetzt am liebsten dich verurteilen und hängen.“

„Dumm genug dazu sind sie offenbar. Aber sie haben ja auch nie etwas anderes gelernt, als die Phrasen zu wiederholen, die ihre Männer in ihrem blindwütigem Hass und ihrer Gier nach Geld und Einfluss von sich geben.“

„Ich wollte noch mal mit dir darüber reden, John.“

„Worüber?“

„Wir können jetzt immer noch wegreiten. Morgen früh sind wir schon viele Meilen weiter. – Zumindest sollten wir nach Cheyenne reiten! Du hast doch nicht die geringste Chance, wenn Bronson zurückkommt.“

„Ja, ich weiß.“ John stand auf.

„Das ist auch keine Flucht in dem Sinne, John!“, sagte das Mädchen drängend. „Das wird dein Vorgesetzter bestimmt verstehen!“

„Natürlich würde er das verstehen. Er hat überhaupt etwas dagegen, dass einer seiner Männer sinnlos Kopf und Kragen riskiert.“

„Na also!“

Er ging um den Tisch herum, griff nach ihrem Arm und zog sie an sich. Es fiel ihm erst jetzt auf, dass sie Angst um ihn hatte.

„Das mit dem Stern ist doch auch nichts für dich“, sagte Ina verächtlich. „Die Männer sind doch überall in den Städten gleich. Das, was Josuah Baile unter Gerechtigkeit versteht und in seinem schlauen Buch stehen hat, das gibt es nirgendwo. Als Marshal kann nur einer überleben, der das einkalkuliert und sich entsprechend verhält.“

„Der korrupt ist, meinst du.“ John schob sie zurück und rieb sich die Stirn. „Ich müsste in Bronsons Haus einmal nachsehen.“

„Was?“

„Na ja, ich müsste mal nachsehen, ob ich nicht doch noch einen Hinweis auf die Bande finden kann.“

„Wie soll das denn aussehen, John? Selbst wenn die Banditen etwas verloren hätten, woher willst du wissen, wem es gehört? Das waren doch Fremde.“

„Fremde, die genau wissen, dass Bronson mit dem größten Teil seiner Mannschaft in der Stadt ist, und dass sie in seinem Haus einen Haufen Geld finden können. Das müssen verdammt komische Fremde sein, Ina!“

„Du denkst …“ Ina Gillam brach ab und starrte ihn durch das immer schwärzer werdende Dunkel an.

„Ich denke gar nichts. Ich will einfach mal sehen, was gewesen sein könnte. – Da ist auch noch etwas anderes, das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“

Ina kam wieder näher und starrte ihn an. „Was?“

„Als wir mit den drei Gefangenen zur Ranch kamen. Bronsons Frau hat die Männer angestarrt, als würde Bronson sie vom Mond bringen. Als hätte sie nie im Leben damit gerechnet, dass er jemanden bringt.“

„Und was könnte das bedeuten?“

Er zuckte die Schultern. „Das weiß ich eben auch nicht. – Vielleicht …“

„Was?“

„Vielleicht sollte ich sie danach fragen.“ John ging zurück, holte den Schlüssel für den Gewehrständer, nahm seine Winchester 66 heraus und stellte die Parker hinein. Er schloss die Kette wieder an und steckte den Schlüssel ein.

„Und wenn Bronson umkehrt und gleich zu seiner Ranch reitet?“

„Nein, Ina, der kommt sicher erst hierher. Der will doch noch was von mir.“ John lächelte das Barmädchen an.

„Er kann auch von hier aus gleich weiterreiten, wenn er hört, wohin du bist!“

„Das müsstest du ihm aber sagen, Ina. Sonst weiß es nämlich niemand. – Ich finde es reizend, dass du dir Sorgen um mich machst. Aber übertreibe es bitte nicht.“

„Ich mache mir doch keine Sorgen um dich.“ Ina Gillam ging rückwärts zur Tür. „Wie kannst du dir nur so was einbilden.“

Er lächelte, obwohl sie es jetzt nicht mehr sehen konnte.

Ina verließ das Office und rannte über die Straße. John folgte ihr und ging zum Stall, in dem eine Lampe brannte. Der alte Stallmann stand mit seiner Sharps in der Hand vor der Tür. Es war hier draußen noch hell genug, sodass John Slade den alten Goring deutlich erkannte.

„Wollen Sie wegreiten?“, fragte der Stallmann brummig.

„Ja.“

„Und wohin?“

„Irgendwohin“, erwiderte John.

„Wenn Bronson zurückkommt und es von Ihnen wissen will, dann sagen Sie, ich hätte es nicht verraten.“

*

Der Mond war noch nicht aufgegangen, als John sich im Schutz der tiefen Dunkelheit den Ranchgebäuden näherte. Er ritt so langsam, dass kaum Hufschlag zu hören war.

Lichtschein fiel aus einem hohen Fenster im Haupthaus. Sonst war es überall dunkel.

John hielt am Schuppen an und stieg mit der Winchester in der Hand ab. Er ließ den Zügel los, schob sich bis zur Ecke weiter und lehnte die Schultern gegen die Bretterwand.

Hinter dem erleuchteten Fenster erschien die Silhouette einer Frau. John war sicher, dass es sich um Vera Bronson handelte. Er schaute erneut zum Bunkhaus hinüber. Es war noch zu früh, als dass die zurückgebliebenen Cowboys bereits schlafen konnten. John vermutete deshalb, dass sie gar nicht auf der Ranch, sondern bei den Rindern waren.

Er blickte wieder auf das Haupthaus und sah eine zweite Silhouette, die mit der der Frau verschmolz.

John packte das Gewehr fester, stieß sich von der Bretterwand ab und ging langsam und geduckt über den Hof.

Die verschmolzenen Silhouetten verschwanden vom Fenster.

John erreichte die Verandatreppe, blickte zurück und stieg die Treppe hinauf. Er schob sich an der Fensterfront der Wohnhalle vorbei und stand in kurzer Zeit neben dem Fenster, hinter dem Licht brannte. Die untere Hälfte des Fensters war nach oben geschoben, um die Hitze des Tages aus dem Raum zu treiben.

„Hast du keine Angst, dass sie zurückkommen?“, fragte Bronsons Frau hinter dem Fenster.

„Unsinn“, sagte der Vormann. „Und wenn sie wirklich kommen, dann hören wir sie. Du kennst ihn doch. Der macht alles mit Pauken und Trompeten!“

Die Frau lachte perlend. „Wir wollen wenigstens das Licht ausmachen, Flint!“

„Dann sehe ich dich nicht mehr.“

„Und wenn Melvin oder Jed kommen?“

„Denen hab’ ich befohlen, die ganze Nacht bei der Herde zu wachen“, erklärte der Vormann. „Die kommen nicht. Deshalb bin ich doch extra hergeritten. – Na komm, lass die Umstände. Du hast dich doch noch nie so geziert!“

„Es war auch nie hier im Haus!“

John glitt von der Wand zum Geländer hinüber und sah erst jetzt, dass sich hinter dem Fenster ein grobmaschiger Store befand. Er trat noch etwas weiter nach rechts und kam mit dem Gesicht in den herausfallenden Lichtschein. Zugleich konnte er das Zimmer übersehen.

Vera Bronson und der Vormann standen eng umschlungen mitten im Raum. Flint Hollag küsste den Hals der Frau und strich mit der Hand über ihre Brust, während die Frau den Kopf zurückbeugte, sodass ihr Haar bis auf den Rücken reichte.

„Komm“, sagte Flint Hollag flüsternd und zog die Frau auf das Bett zu.

„Es ist doch besser, du machst das Licht aus“, sagte die Frau und strich sich das Haar zurück.

„Na ja, wenn es sein muss.“ Der Vormann drehte den Docht der Lampe herunter. Das Licht verlosch.

John trat sofort zur Seite, um nicht gesehen zu werden.

„Was hast du denn?“, fragte Vera Bronson auf einmal scharf.

„Ich weiß auch nicht. Irgendetwas macht mich unsicher. Vielleicht hören wir sie doch nicht, wenn sie kommen.“

John schob sich an die Wand und presste die Schulter dagegen. Er war noch immer überrascht über seine plötzliche Entdeckung, aber worauf er jetzt noch wartete, wusste er selbst nicht. Dennoch war er entschlossen, zu bleiben.

„Warum sind wir eigentlich noch hier?“, fragte der Vormann im Zimmer. „Warum haben wir nicht das Geld genommen und sind fort, wie es unser Plan war? Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verschwinden. Das haben wir doch ausgemacht, Vera!“

John Slade zog den Kopf ein. Er spürte ein Prickeln unter der Haut und das Pochen seines Blutes in den Schläfen.

„Er konnte jede Stunde zurückkommen“, entgegnete die Frau. „Woher sollten wir denn wissen, dass er nicht so bald zurückkommt.“

„Wir könnten jetzt verschwinden!“

„Nein, das wäre ein Fehler, Flint“, sagte die Frau beschwörend. „Uns kann doch nichts passieren. Er hat seine Banditen, die er entweder bekommt oder die ihm entgehen. Aber jedenfalls weiß er, wer die Ranch überfallen, das Geld geraubt und Matt erschossen hat. Der kommt nie mehr darauf, dass wir es gewesen sein könnten.“

Einige Sekunden war es hinter dem offenen Fenster still.

Dann sagte der Vormann: „Ich dachte, es haut mich um, als ich die vier Kerle vor den Bäumen sah. Ausgerechnet vier. Wir hätten ja auch sagen können, es wären fünf oder sechs oder drei gewesen.“

„Man muss eben Glück haben, Flint. Komm, leg dich wieder her, er wird schon jetzt nicht kommen.“

John hörte ein leises Knarren.

„Manchmal habe ich das Gefühl, du willst gar nicht mehr weg“, meldete sich der Vormann wieder. „Sind dir die viertausendfünfhundert Dollar nicht mehr genug, Vera?“

„Ich will eine günstigere Gelegenheit abwarten, Flint. Es wird ein Tag kommen, da reitet er für längere Zeit weg, für ein paar Tage oder eine ganze Woche.“

„Und bis dahin verschimmelt das Geld unter dem Baum hinter dem Korral!“

John blickte hinaus in das Dunkel, das über dem Hof und den Gebäuden lag. Undeutlich, eigentlich nur wie ein Schatten, sah er ein kurzes Stück des Korralzaunes.

„Unsinn“, sagte die Frau. „Wir müssen ihm irgendwie beibringen, dass es jetzt angebracht wäre, im Fort Reno Pferde zu verkaufen. Wir müssen vielleicht in der Stadt das Gerücht unter die Leute bringen, die Armee würde jetzt wieder neunzig Dollar für erstklassige Reitpferde geben.“

„Du stellst dir das zu einfach vor“, schimpfte der Vormann leise.

„Das ist auch einfach. Bis er von Fort Reno zurück ist, sind unsere Spuren kalt, Flint. – Was hast du denn? Rück doch näher heran.“

John Slade schob sich an der Wand rückwärts an den Fenstern der Wohnhalle vorbei, über die Veranda und die Treppe hinunter.

Am Fuß der Treppe blickte er zurück. Jetzt war von den beiden im Zimmer nichts mehr zu hören, dafür war er schon zu weit vom Fenster entfernt. Er ging langsam weiter, erreichte den Korral und lief am Zaun entlang.

Am Ende des Zaunes sah er den breitkronigen Baum.

Er schaute noch einmal zurück, dann lief er zu dem Baum hinüber, kniete sich nieder, legte das Gewehr aus der Hand und zog das Kampfmesser aus dem Stiefelschaft.

Der Boden war hart, sodass die Klinge abprallte und Sand gegen Johns Hose spritzte. Er kroch auf dem Boden um den Baum und stieß das Messer immer wieder in den Sand, bis er eine Stelle fand, an der die Klinge tief ins Erdreich drang.

Schnell wühlte er den Sand beiseite, grub tiefer, hob den Sand mit den Händen aus und berührte Leder. Er legte es frei, zog es heraus und hatte eine abgeschabte Satteltasche in der Hand.

*

Es war Papiergeld, wie es jetzt im Osten gedruckt wurde; Papiergeld, von dem hier viele Männer behaupteten, es wäre Betrug. John hatte es aus der Tasche geschüttet und blickte darauf. Der Mond war eben aufgegangen und warf kaltes Licht auf die buntbedruckten Scheine, um derentwillen der Cowboy Matt sein Leben auf der Freitreppe hatte aushauchen müssen. Eiskalt hatten sie ihn mit ein paar Schüssen niedergestreckt und dann verbluten lassen.

John stopfte das Geld zusammengeknüllt in die Tasche und schloss den Riemen. Er schob das Messer in den Stiefelschaft, nahm die Winchester und stand auf.

John ging entschlossen am Korral entlang, schlich über den Hof und die Treppe hinauf. Die Tür des Haupthauses war nicht verschlossen. Er schob sie geräuschlos auf, ging hinein und blickte sich in der Wohnhalle um. Im hereinfallenden Licht waren die Gegenstände ungenau zu erkennen.

John ging durch das Zimmer und stieß die nächste Tür auf.

Der jähe Schrei der Frau gellte durch das Haus. Sie fuhr im Bett in die Höhe und starrte zu John, den sie sicher nicht erkannte, weil ihn das Licht von hinten traf.

Der Vormann sprang auf. „Das ist …“ Er brach ab.

„Es ist John Slade“, sagte der Marshal.

Flint Hollag ging rückwärts, hatte aber nach zwei Yards die Wand erreicht. Er war unsicher und gehemmt, weil er sich ertappt fühlte und seine Kleider auf dem Boden lagen.

„Was wollen Sie?“, stieß die Frau hervor. Sie war selbstbewusster und hatte offenbar keine Hemmungen wie Flint Hollag.

„Los, ins nächste Zimmer!“, kommandierte John. „Und lasst die Klamotten liegen!“

„Was wollen Sie denn von uns?“, stieß die Frau hervor.

„Das werdet ihr schon sehen. – Los, Hollag!“ John klemmte die Tasche unter den linken Arm und fasste das Gewehr nun auch mit der anderen Hand.

Als Hollag sich immer noch nicht bewegte, feuerte John. Ein Blitzstrahl fuhr durch das Zimmer und riss es aus dem fahlen Dunkel. Neben Hollag fetzte das Geschoss in die Wand.

Die Frau schrie auf, und der Vormann machte einen Satz zur Seite.

„Wird’s bald?“, fragte John eisig.

Die Frau kletterte aus dem Bett, raffte vom Boden ihre Kleider zusammen und ging in den anderen Raum, gefolgt von dem Vormann, der ebenfalls seine Kleider aufhob. Als Hollag auf der Türschwelle stand, stieß John ihm die Gewehrmündung in den Rücken. „Den Revolver lassen wir fallen“, sagte er.

Hollag ließ den Waffengurt fallen. John schob ihn weiter und stieß den Gurt in das angrenzende Zimmer zurück.

„Licht!“, befahl John.

„Jetzt bildet er sich ein, Wunder was entdeckt zu haben“, sagte die Frau verächtlich.

„Für Bronson wird es bestimmt eine Überraschung sein“, erwiderte John. „Machen Sie Licht, los!“

Die Frau suchte nach Schwefelhölzern, kletterte auf einen Stuhl und rieb ein Streichholz an. Jäh sprang Licht auf. Die Frau hielt die Flamme an den Docht einer Lampe. Sofort wurde die Flamme größer.

Die Frau kletterte vom Stuhl und lächelte John gewinnend an, als wollte sie ihn locken. Aber dann sah sie die Tasche unter seinem Arm und ging rückwärts.

„Was ist denn?“, fragte Flint Hollag, der John noch den Rücken zukehrte.

„Er weiß es!“

Hollag wirbelte herum.

John warf die Tasche auf den Tisch.

Hollag wurde bleich und starrte auf die Tasche.

„Er weiß es“, murmelte die Frau noch immer bis ins Innerste erschrocken.

„Wer von euch hat Matt erschossen?“, fragte John.

Die Frau blickte auf den Vormann, der etwas zu verschlucken schien. Danach schaute sie John von Neuem an. „Wir geben Ihnen tausend Dollar davon, Marshal! Tausend Dollar, hören Sie! Kein Mensch wird etwas erfahren.“

„Wer hat Matt erschossen?“, fragte John noch einmal. „Es ist für mich viel wichtiger als Bronsons verdammtes Geld.“

„Sie Narr!“, rief die Frau wütend. Ihre Augen blitzten wild.

„Es spielt sicher auch keine Rolle“, sagte John. „Den Mord und den Raub habt ihr sicher zusammen geplant und durchgeführt. Es ist nicht so wichtig, wer geschossen hat. – Ihr zieht euch jetzt an, wir reiten weg.“

„Nach Bighorn Springs?“, fragte Hollag.

„Nicht nach Bighorn Springs.“ John schüttelte den Kopf. „Ich bin doch nicht dumm, Hollag. Wir finden schon ein Gericht, auf das Bronson keinen Einfluss nehmen kann.“

Die Frau hob plötzlich den Kopf.

John hörte die Geräusche ebenfalls.

„Reiter“, sagte der Vormann kratzig.

Er wollte die Hose anziehen, aber John schlug sie ihm mit dem Lauf des Gewehres aus der Hand. „Wenn wir sowieso von hier nicht mehr wegkommen, dann soll er euch jedenfalls so schön vorfinden, wie ihr seid!“

„Dieses Schwein!“, sagte die Frau verächtlich. „Warum tust du denn nichts, Flint?“

„Was soll ich denn tun? Der knallt mich doch glatt ab!“

„Du Feigling! Und ausgerechnet auf dich hatte ich mich verlassen.“

Der Hufschlag war lauter geworden.

John ging rückwärts, bis er an der Wand war. Er hatte das Gewehr noch immer auf den Vormann gerichtet, und diesmal war er entschlossen, zu schießen, wenn Hollag noch irgendeinen faulen Trick versuchen sollte.

„Nehmen Sie das ganze Geld und verschwinden Sie damit!“, rief die Frau kreischend.

„Hör doch nur auf damit!“, schimpfte der Vormann. „Den scheint Geld nicht zu interessieren. Der ist so ein verbohrter Narr wie Josuah Baile. Er ist nur viel gefährlicher.“

John gab keine Antwort. Es war zu spät, mit den beiden von der Ranch zu kommen, und er musste nun sehen, wie sich die Dinge entwickelten. Wie Bronson das aufnahm, was als Wahrheit ganz leicht zu durchschauen war und sich hier dem Blick mit gnadenloser Deutlichkeit offenbarte.

Laut hallend dröhnte der Hufschlag durch die große Wohnhalle.

Der Frau lief Schweiß über die Haut, und der Vormann bückte sich nach seiner Hose.

John drückte ab.

Hollag sprang zurück, als die Kugel an seinem Gesicht vorbei in den Boden fuhr. Das Krachen hallte noch durch den Raum und ließ die Fensterscheiben klirren. Pulverdampf kroch in einer Wolke zur Lampe hinauf.

Pferde wieherten. Draußen im Hof verklang der Hufschlag.

„Was ist da los?“, brüllte Bronson.

Dann waren polternde Schritte auf der Freitreppe zu hören.

Bronson hatte die Tür mit solcher Wucht aufgestoßen, dass sie an die Wand geknallt war. Ein Windstoß ging durch das Zimmer und ließ die Flamme der Lampe flackern.

Bronson stand geduckt auf der Türschwelle und blickte von einem zum anderen.

Hinter ihm drängten seine Leute die Treppe herauf, aber er schrie über die Schulter: „Schert euch zurück! Wartet drüben im Bunkhaus, bis ich euch rufe!“

John war sicher, dass die Männer auf der Treppe die Frau und den Vormann sehen konnten.

Vera Bronson hatte sich hinter einen Stuhl mit hoher Lehne gestellt und bedeckte die Brüste mit den Händen.

Bronson kam herein und hieb die Tür zu. Die Lampe flackerte wieder. Der Rancher blickte zu seinem Vormann, seiner Frau, zu John und anschließend auf die Tasche. Sein Kopf reckte sich vor.

„Sie sehen richtig, es ist Ihr Geld“, sagte John. „Calling und die anderen haben damit und mit Matts Tod nichts zu tun. – Sind die drei Ihnen wenigstens entkommen?“

Bronson fluchte und starrte noch immer auf das Geld. Dann schaute er seine Frau an und schrie: „Los, mach das Maul auf. Warum springst du so hier herum?“

„Das ist meine Schuld“, sagte John. „Ich wollte, dass Sie die beiden so antreffen, wie ich sie angetroffen habe. Mich konnten die zwei nicht hören, als ich kam. Sie lagen in dem Bett, das nebenan steht.“

„Er lügt!“, rief die Frau gellend. „Es ist alles gelogen, William!“

Bronson ging auf sie zu, zerrte sie um den Stuhl herum und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Zugleich ließ er sie los. Sie schrie auf und taumelte gegen die Wand.

„Alles kannst du ihm nachsagen!“, brüllte der Rancher. „Aber lügen tut er nicht!“

Er wandte sich um und blickte den Vormann wütend an. „So bedankst du dich also für mein Vertrauen, du Drecksau!“ Er stampfte auf den nackten Mann zu und schmetterte ihm die Faust ins Gesicht.

John setzte sich in einen Sessel, das Gewehr angeschlagen und die Beine ausgestreckt.

Bronson schlug auf seinen Vormann ein, bis der zusammenbrach.

Nackte Angst entstellte das Gesicht der Frau.

Bronson zerrte den Vormann in die Höhe und schlug ihn wieder zusammen. Hollag rollte stöhnend über den Boden. Blut lief aus seinem Mund.

Schnaufend ging der Rancher zurück und rückte seinen großen Hut zurecht.

Die Frau starrte ihn noch immer voller Angst an, und John sah, wie an ihrem schlanken Hals eine Ader heftig pochte.

Bronson fluchte, wirbelte herum und schlug ihr ins Gesicht. Sie schrie auf und ließ sich zu Boden fallen. Dann ging Bronson rückwärts, zerrte an der Samtschleife an seinem Hemd herum und riss sich den Kragen so heftig auf, dass der Knopf abplatzte.

„Zählen Sie jetzt das Geld und geben Sie mir eine Quittung, dass Sie es zurückbekommen haben“, sagte John.

Bronson wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte erneut auf die Tasche.

Die Frau richtete sich wieder auf. Der Vormann lag noch ohne Bewusstsein auf dem Boden.

„Er verheizt dich“, sagte die Frau unsicher und kleinlaut. „Du hast einen Mann hinterrücks vom Pferd geschossen!“

Bronson wirbelte herum und schlug ihr wieder ins Gesicht. Sie ließ sich schreiend auf den Boden zurückfallen.

Bronson richtete sich auf, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, ging zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Es machte auf ihn keinen Eindruck, dass John Slades Gewehr auf ihn gerichtet war, vielleicht sah er es auch gar nicht.

„Hören Sie nicht zu?“, fragte John. „Ich will eine Quittung, dass Sie das Geld bekommen haben.“

Bronson rieb sich über den Mund und stützte sein fettes Kinn in der Hand.

An der Wand stand seine Frau auf.

Er sah sie und zischte: „Zieh endlich etwas an!“

Sie griff nach ihrer Hose, zog sie an und nahm dann die Bluse.

Hollag stöhnte, hob den Oberkörper, fiel aber auf die Dielen zurück.

„Die drei sind uns entkommen“, sagte Bronson. „In den Bighorn Mountains haben wir die Spuren verloren. Und die anderen Männer sind wieder in der Stadt.“

John blickte ihn nur an.

Bronson wischte sich über die Stirn.

Der Vormann ächzte, richtete sich wieder auf und saß dann auf den Dielen. Sein Blick erfasste die Frau, die sich die Bluse zuknöpfte.

Bronson stand auf und, ging auf Hollag zu. „Hast du Matt erschossen, Flint?“, fragte er leise.

„Es ist doch alles gelogen!“, schrie der Vormann.

Bronson trat ihm brutal ins Gesicht. Hollag schrie gellend auf und fiel auf den Rücken.

Bronson kam zurück. „Hat er ihn erschossen?“, wandte er sich an die Frau.

Ihr Blick irrte zwischen Bronson und dem Marshal hin und her.

Bronson ging um den Sessel herum und auf sie zu.

„Ja, er war es!“, rief die Frau ängstlich und hob abwehrend die Hände.

„Über dich reden wir noch“, knurrte Bronson und setzte sich wieder. „Du hast mich also nur geheiratet, um mich ausplündern zu können. Und dazu war Hollag dir gerade recht, was?“

Sie schob sich an der Wand zurück. „Ich packe meine Sachen und gehe“, sagte sie.

Bronson sprang auf, folgte ihr, packte ihr Handgelenk und schleuderte sie bis in den Sessel neben dem Kamin. „Das könnte dir so passen. Du verfluchtes Luder gehst einfach und suchst dir ein anderes Opfer, was?“

Er zerrte sie aus dem Sessel und schlug auf sie ein. Sie flog zurück, über den Sessel hinweg und schreiend auf John, der dabei das Gewehr verlor.

John Slade stieß sie hastig zurück und sprang auf, aber Bronson hatte schon reagiert. Er stand keuchend hinter dem Tisch und hatte den Revolver in der Hand.

„Los, abschnallen, Marshal!“, kommandierte der Rancher.

John erkannte den Ernst der Drohung in den wütend funkelnden Augen des Ranchers. Er griff nach dem Schloss seines Waffengurtes, öffnete es und ließ den Gurt neben den Sessel fallen.

Bronson winkte mit dem Revolver. „Los, an die Wand! Dort steht auch noch ein Sessel!“

Die Frau setzte sich auf die Lehne des Sessels am Kamin. Der Vormann richtete stöhnend den Oberkörper auf. Sein Gesicht war blutverschmiert.

„Steh auf!“, zischte der Rancher.

Hollag kämpfte sich auf die Beine.

Bronson richtete den Revolver auf ihn, drückte ab, und als der Vormann getroffen zusammenzuckte und röchelnd aufschrie, feuerte der Rancher schon wieder. Ein zweites Zucken ging durch Hollags Körper, Blut brach ihm wieder aus dem Mund. Er taumelte und brach zusammen.

Bronson war schon herumgefahren und hatte die Waffe wieder auf John gerichtet. Rauch quoll aus der Mündung. Bronson war grau im Gesicht.

Der Vormann krallte die Hände zusammen und stöhnte noch einmal, dann lag er still.

„Mein Gott, du hast ihn umgebracht!“, murmelte die Frau mit blutleeren Lippen.

„Soll ich mich etwa bei ihm bedanken?“, zischte der Rancher und richtete die Waffe auf sie.

Die Frau duckte sich im Sessel.

John dachte an das Messer in seinem Stiefelschaft, aber es war von seiner Hand viel zu weit entfernt. Und so, wie er hier saß, konnte er es auch nicht werfen. Er würde aufstehen müssen.

Bronson richtete die Waffe erneut auf ihn.

„Boss, was ist los?“, rief Cass draußen.

„Kommt herein!“, brüllte der Rancher. „Alle!“

Im Hof waren Stimmen zu hören, dann polterten derbe Stiefel die Treppe herauf, und Sporen rasselten. Die Tür flog auf.

Joe, der junge drahtige Texaner, kam herein, gefolgt von Cass, Brad und Jeff, der die Tür schloss.

„Habt ihr eure Revolver mit?“, fragte der Rancher. „Wenn ihr sie dabei habt, dann richtet sie auf den Marshal. Und schießt, wenn er eine dumme Bewegung macht!“

Die Männer zogen ihre Revolver, ihr Blick hing aber auf dem reglosen Vormann.

„Auf den Marshal!“, schrie Bronson, der über die Schulter blickte.

*

„So, nun wisst ihr alles“, sagte Bronson barsch.

Die junge Frau war noch blasser geworden und hatte schwarze Ringe unter den Augen. Eine Falte stand auf ihrer hohen Stirn.

„Das ist ungeheuerlich, Boss“, murmelte der junge Texaner. „Das kann man kaum glauben!“

„Was?“ Bronson stand auf und drehte sich mit finsterer Miene um. „Heißt das, ich würde lügen?“

„Nein, nein!“, wehrte Joe ab.

Cass ging durch das Zimmer, hob Johns Gewehr auf und schob den Revolver ins Holster. Er richtete das Gewehr auf John Slade und sagte: „Aber was machen wir mit ihm, Boss? Der posaunt es in die Welt hinaus. Dabei geht das außer dir keinen Menschen was an!“

„Ja, was machen wir mit ihm?“, murmelte Bronson. „Einen verschwundenen Marshal vermissen sie natürlich. Und sie werden ihn suchen.“

„Er könnte von hier weggeritten sein“, sagte Cass.

Bronson blickte zu seiner junge Frau. „Das müssten dann nur auch alle gesehen haben und bestätigen.“

„Ich werde sagen, was du willst!“, rief die Frau und sprang auf.

„Du lügst, wenn du das Maul aufmachst. Mit dem Halunken von Vormann und meinem Geld wolltest du verschwinden!“

Die Frau setzte sich wieder.

„Daran habe ich gar nicht gedacht“, sagte Cass schleppend. „Die würde dich am Ende verpfeifen, Boss.“

„Zuzutrauen ist es ihr auf jeden Fall“, murmelte der Rancher schleppend. „Und wenn sie bis nach Cheyenne reiten müsste, um ihr Wissen loszuwerden.“

„Ich werde keinem Menschen etwas sagen!“, rief die Frau. „Ich schwöre es, William!“

Der Rancher schnaufte verächtlich.

John blickte umher und suchte die Lücke. Er hatte befürchtet, dass am Ende alles auf diesen einen Gedanken hinauslaufen würde. Aber er sah keine Chance. Sie hatten zu viele Revolver und konnten nicht alle danebenschießen, wenn er zum Beispiel versuchte, ein Fenster zu erreichen.

Der Rancher kam näher. „Du musst das verstehen, Marshal, ich muss mich schützen. Wie stehe ich denn da, wenn herauskommt, dass mich meine eigene Frau mit dem Vormann betrogen hat und mein Geld stehlen wollte?“

Alle blickten auf die Frau, und John sagte sich in diesem Augenblick, dass es egal war, wann sie ihn töten würden.

Er sprang auf, warf sich gegen Cass und riss ihn um. Mit dem nächsten Satz war er am Fenster, hob die Arme vor den Kopf und warf sich gegen die Scheibe und den dünnen Mittelrahmen. Berstend zerplatzte die Scheibe, das Holz splitterte, und John flog hinaus auf die Veranda und stürzte auf die Bretter. Er sprang wieder auf, flankte über das Geländer und rannte über den Hof.

Schießend kam die wilde Horde aus dem Haus gestürzt.

Da war John schon am Schuppen. Kugeln jagten singend an ihm vorbei, zogen Furchen in den Boden und warfen ihm Sand gegen die Beine. Er rannte um die Schuppenecke herum und blieb stehen.

Der Rappe war, nicht mehr da.

Der Gedanke, dass sie das Tier gesehen und weggebracht haben könnten, war ihm gar nicht gekommen. Er rannte weiter. Hinter sich hörte er das Geschrei der wilden Horde. Sie waren Cowboys, die nicht darüber nachdachten, wenn sie zu Banditen wurden. Sie taten, was ihr Boss von ihnen verlangte.

John erreichte das Ende des Schuppens, als der drahtige Texaner als Erster am anderen Ende auftauchte und feuerte. Er rannte um die Ecke herum, blieb keuchend stehen und zog das Messer aus dem Stiefelschaft. Er hörte Joe kommen und nach den anderen rufen. Dann war der junge Bursche an der Ecke.

John sprang vorwärts und stieß mit dem Messer zu. Aber Joe war so schnell, dass er der Klinge um Haaresbreite entging und mit dem Revolver nach Johns Kopf schlagen konnte, bevor der ein zweites Mal ausholen konnte.

Der wilde Schlag auf den Kopf ließ John Slade zurücktaumeln. Er verlor das Messer, spürte einen zweiten Schlag und brach bewusstlos zusammen.

*

Als er wieder richtig bei sich war, hatten sie ihn an den Korralzaun gefesselt. Ein paar Lampen wurden von Cass in den Hof gestellt. Das grelle Licht blendete John. Er zerrte an den Fesseln, die ihm das Blut abzuschnüren drohten, aber seine Mühe war zwecklos.

Bronson schaute ihn mit nach unten gezogenen Mundwinkeln an. Er hatte seine Überheblichkeit verloren, aber Wut und Hass waren geblieben. Er kam auf John zu und donnerte ihm die Faust in den Leib.

John stöhnte und krümmte sich zusammen, soweit es die Fesseln gestatteten.

„Hast du verdammter Idiot mich denn in solche Schwierigkeiten bringen müssen?“, schrie der Rancher bellend.

John richtete sich ächzend auf.

Da traf ihn der nächste Schlag in den Leib. Er schrie auf und rutschte wieder zusammen.

„Dummer Idiot!“, zischte Bronson.

John hob den Kopf, bekam einen Schlag ins Gesicht und knallte mit dem Rücken gegen die Latten, den Kopf nach hinten in den Korral gebogen.

„Es ist doch egal, ob ich ihn hinter dem Schuppen umgelegt hätte oder ob wir es hier tun!“, stieß der junge Texaner hervor.

„Sie muss es doch nicht sehen“, knurrte der Rancher.

„Wenn wir ihn fortschaffen, weiß sie es auch!“, widersprach Joe. „Oder etwa nicht?“

„Man weiß immer nur das, was man gesehen hat“, gab der Rancher zurück. „Alles andere sind Vermutungen. Es ist gut, dass du ihn hinter dem Schuppen nicht erschossen hast, Joe.“

John Slade bekam den Kopf langsam wieder nach vorn. Er hatte am ganzen Körper Schmerzen. Der Schweiß hatte ihm das schmutzige Hemd auf die Haut geklebt.

„Holt drei Pferde“, befahl der Rancher. „Joe und Cass, ihr zwei erledigt das. Und nehmt seinen Rappen mit. Und noch etwas: Nicht von hinten erschießen! Das wirbelt unnötig viel Staub auf.“

Der junge Texaner grinste triebhaft.

„Ich erschieße ihn von vorn“', sagte Cass schleppend. „So, wie ich es schon mal vorhatte.“

„Da warst du aber nicht schnell genug!“, stieß John krächzend hervor.

Cass grinste ihn wie ein Teufel an. „Diesmal bin ich schnell genug, Marshal, darauf kannst du Gift nehmen!“

„Und reitet weit genug weg“, sagte der Rancher. „Denkt auch an die Fesseln. Die darf natürlich keiner finden.“

„Wir denken sicher an alles“, versprach der junge Texaner.

„Es ist für keinen umsonst“, fuhr Bronson fort. „Jeder von euch bekommt seinen Lohn dafür, auch die, die nicht mitreiten können. Reitet bei Melvin und Jed vorbei. Sie sollen zur Ranch kommen!“

Der junge Texaner und Cass gingen nach rechts, hängten die Fenz aus und verschwanden im Korral.

Ein Pferd wieherte und galoppierte durch die Umzäunung.

„Tut mir leid, Marshal“, brummte der Rancher. „Du hättest dich aus der ganzen Geschichte von Anfang an heraushalten sollen. Ich hab’ mich um meine Angelegenheiten immer selbst gekümmert.“

„Ich hab’ eben nicht gewusst, dass Sie nicht das sind, was man unter einem rechtschaffenen Mann versteht, Bronson.“

Im Korral wieherte abermals ein Pferd. Joe rief: „Komm, mach nicht solche Umstände, verrückter Gaul!“

Cass führte ein Pferd am Lasso aus dem Korral und band es an den Zaun.

John Slade richtete sich keuchend auf. Bronson trat so dicht an ihn heran, dass sein Atem Johns Gesicht streifte. Er löste ihm den silbernen Stern von der Jacke und sagte: „Vielleicht finden sie dich erst, wenn Geier und Wölfe dafür gesorgt haben, sodass dich keiner mehr erkennt.“

Cass ging an den Corral zurück. Joe kam mit dem Rappen heraus und band ihn an den Zaun.

„Los!“, sagte der Rancher, steckte den Stern in die Jackentasche und trat grinsend zurück.

Brad hob den Revolver und schlug John Slade die Waffe über den Kopf.

John brach sofort in den Fesseln zusammen. Sie schnitten ihn vom Korralzaun los, ließen ihn zu Boden fallen und traten nach ihm.

*

„Ihr sollt sofort zur Ranch kommen“, sagte Joe zu den beiden Cowboys, die am Korral entlanggeritten kamen und anhielten.

„Das ist der Marshal“, meinte Melvin.

„Du merkst aber auch alles“, brummte Cass. „Der Boss wird euch schon sagen, was gelaufen ist. Und noch was: Grinst nicht blöd, wenn ihr es hört. Bronson hat es einen ziemlichen Schlag versetzt.“

„Was denn nur?“, fragte Jed drängend.

Cass spuckte auf den Boden. „Das will er euch sicher selbst sagen. Also los, haut ab!“

John blickte in den großen Korral, der sich zwischen ein paar flachen Hügeln in einem Tal befand. Ein weiß-gesichtiger Herefordstier stand in der Nähe der Umzäunung und blickte herüber. Verschwommen waren die Rinder in der Dunkelheit zu sehen.

Die beiden Cowboys ritten vorbei und entfernten sich.

Cass spuckte wieder auf den Boden. „Also los, weiter!“

Sie trieben die Pferde an und nahmen den Rappen mit, auf den John gebunden war. Er saß in seinem Sattel, die Hände an das geschwungene Horn gebunden und die Beine an die Steigbügel. Sie hatten ihm sogar das Gewehr in den Sattelschuh geschoben, und Joe hatte seinen Patronengurt und den Revolver dabei. Sie wollten ihn sicher so hinterlassen, als sei er von irgendeinem Wegelagerer angefallen und niedergeschossen worden.

Das Mondlicht beleuchtete die Prärie nur noch schwach, sodass der Blick nicht weit reichte. Plötzlich heulte ein Wolf in der Ferne.

„Hörst du es?“, Joe lachte wild. „Die riechen dich schon!“

„Warum hasst du mich eigentlich, Joe?“, fragte John.

„Ich dich hassen? Wie kommst du denn darauf, Marshal?“

„Tötest du etwa nur, weil es dir Spaß macht? Oder weil Bronson es so will?“

„Bronson ist mein Boss, Marshal. Wohin sollen wir denn kommen, wenn nicht mehr geschieht, was der Boss will.“

Der Hügel blieb hinter ihnen zurück. Ein paar Bäume tauchten in der Dunkelheit auf.

Näher als vorher heulte der Wolf in der Nacht.

Die Bäume vor ihnen wurden deutlicher. Sie standen so dicht zusammen, dass einzelne Stämme nicht zu erkennen waren.

Joe zügelte sein Pferd und hielt auch den Rappen an. „Sind wir nicht weit genug, Cass?“

„Bist du verrückt? Wenn sie ihn hier finden, vermuten sie doch gleich, dass es mit der Ranch zu tun hat. Nein, wir müssen schon noch ein paar Meilen weiter.“

Joe zuckte die Schultern und trieb die Pferde wieder an.

Sie ritten an den Cottonwoods vorbei.

John versuchte immer wieder die Fesseln an den Händen zu lockern, aber es gelang ihm nicht. Cass grinste ihn jedes Mal tückisch an, weil ihm offenbar nichts entging.

„Weiß in der Stadt niemand, wohin du geritten bist?“, fragte Joe plötzlich.

„Das werdet ihr ja sehen“, gab John zurück. „Pass nur immer schön auf, Joe, falls du mal genauso schnell aus Wyoming wie aus Texas verschwinden musst.“

„Es waren ja nur noch alte Weiber in der Stadt“, meinte Cass.

„Und der Stallmann. Und der komische Richter! Und der Keeper auch.“

„Und wenn schon“, brummte Cass. „Der Boss hat ganz recht. Beweisen kann man nur, was man gesehen hat.“

„Ihr vergesst Vera“, gab John Slade zu bedenken. „Die weiß, dass ihr mit mir weggeritten seid.“

„Aber sie sieht nichts.“ Joe lachte. „Und wer weiß, wie lange die es noch macht. Das lässt sich der Boss nicht gefallen, was die sich geleistet hat. Für sie braucht er nur einen besonderen Dreh.“

„Und wenn der Boss vor ihr stirbt, ist sie der Boss.“

Joe blickte mit offenem Mund zu Cass und hielt die Pferde wieder an.

Cass parierte seinen Falben ebenfalls.

„Hast du schon mal daran gedacht?“, fragte Joe.

„Nein“, bekannte Cass. „Dann müssten wir …“

„Dann müsst ihr schön stillhalten und tun, was sie sagt“, erklärte John, als Cass sich unterbrach. „Weil sie dann das Geld und die Macht hat. Und auch das, was sich für euch mit dem Begriff Boss außerdem verbindet. Das ist ja sicher irgendwas, das man nicht anfassen kann.“

„Verdammt, daran habe ich wirklich nicht gedacht“, murmelte Joe. „Raffiniert genug wäre die vielleicht, Cass.“

„Vielleicht. Komm weiter. Wir werden es dem Boss sagen.“

Sie ritten weiter durch die Dunkelheit nach Süden.

Schaurig wiederholte sich das Heulen des Wolfes, der irgendwo im Osten sein musste.

Ein paar verfilzte Büsche tauchten auf, wanderten vorbei und versanken in der Finsternis. Sie ritten wieder über einen Hügel und sahen zehn Minuten später abermals Bäume vor sich.

„Jetzt sind wir aber weit genug“, meinte Joe, zügelte sein Pferd und zog das Gewehr aus dem Sattelschuh. Er hatte John Slades Rappen losgelassen.

John hörte, wie der junge Bursche das Gewehr repetierte, und tat das Einzige, was er in seiner Verzweiflung tun konnte. Er trieb das Pferd mit den Sporen an, die er immer noch an den Stiefeln hatte.

Schrill wieherte das Tier auf und machte einen Satz vorwärts.

Da entlud sich Joes Gewehr mit einem peitschenden Knall.

Der Rappe wieherte gepeinigt, machte noch einen Satz und brach zusammen.

Joes kaltes Gelächter ging im zweiten kläglichen Wiehern des Pferdes unter. Es hatte Johns Bein unter sich begraben, schlug noch einmal aus und lag dann still.

Joe kam langsam näher und repetierte sein Gewehr erneut. Cass sah nicht so aus, als wollte er sein Gewehr ebenfalls ziehen. Er überließ Joe die Arbeit, vielleicht nicht einmal ohne Grund.

„Du bist komisch, Feuerfresser“, sagte Joe. Er hob sein Gewehr und zielte.

Da wurde auf der anderen Seite zwischen den Bäumen geschossen.

Joe zuckte im Sattel zusammen und verlor das Gewehr. Sein erschrockenes Pferd stieg auf die Hinterhand und warf ihn ab. Das Tier wandte sich zur Flucht.

Zwischen den Bäumen fielen weitere Schüsse. John Slade sah die Mündungsflammen durch das Dunkel lecken.

Cass warf sein Pferd herum und donnerte in wilder Karriere nach Norden zurück. Man feuerte wie besessen hinter ihm her, aber er ritt immer weiter, war schon nicht mehr genau in der Nacht zu erkennen.

Männer kamen aus dem Schutz der Bäume gehastet.

Joe lag mit ausgebreiteten Armen im Sand, das Gesicht dem Boden zugekehrt.

Das ledige Pferd jagte noch hinaus in die Prärie.

John blickte wieder zu den Männern und erkannte Kervin Calling und die beiden anderen. Sie grinsten ihn alle drei an.

„So eine Überraschung“, sagte Calling. „Wir sahen Reiter kommen und haben uns vorsichtshalber mal versteckt. Aber dass wir Ihnen mal aus der Patsche helfen könnten, Marshal … Nein, das hätten wir bestimmt nicht gedacht.“

„Wollt ihr mich nicht lieber losbinden?“, fragte John.

Shafter bückte sich, ein Messer blitzte im Mondlicht, und die Fesseln zerplatzten unter der Klinge. Shafter schnitt John auch das rechte Bein vom Steigbügel los, dann zertrennte er den Sattelgurt. „Nun müssen wir mal sehen, wie wir Sie da hervorbringen, Marshal!“

*

„So“, sagte Calling. „Das haben Sie also alles herausgefunden?“

„Zufällig.“ John rieb über seine Handgelenke, ging zu Joe und drehte ihn herum.

Der junge Texaner war tot.

„Genauso zufällig, wie ihr hier gewartet habt“, setzte John hinzu.

„Das war kein Zufall, Marshal. Wir waren auf dem Rückweg. Wir haben Ihnen doch gesagt, dass wir bestimmt noch mal umkehren, wenn wir der Bande entgehen.“

„Wegen Roger“, sagte Shafter. „Der war ein verdammt guter Freund von uns, Marshal.“

„Es war trotzdem Zufall“, sagte John. „Ihr hättet genauso gut eine Meile weiter im Westen oder im Osten sein können oder weiter südlich.“

„Wenn Sie unbedingt darauf bestehen müssen, dann war es eben Zufall.“ Calling zuckte die Schultern. „Was interessiert es uns.“

„Euch sucht nun niemand mehr“, sagte John Slade. „Ihr könnt ganz beruhigt fortreiten. Und das mit Bronson, das erledige ich schon.“

Calling grinste ihn breit an. „Gut genug?“

„Was soll das heißen?“

„Ob Sie es so gut erledigen können, wie wir es erledigt haben wollen“, erklärte Reno Atkins. Er war der jüngste der Männer und hatte etwas von Joes Art an sich. Nur war er ein paar Jahre älter als Joe, der Texaner, geworden war.

„Ich denke schon“, sagte John.

„Wir denken, dass man so etwas besser selbst erledigt“, sagte Shafter knapp und scharf. „Dann wissen wir wenigstens genau, dass es auch erledigt ist.“

Calling lachte grollend. „So ist es, Brian.“

„Wenn man euch so ansieht, merkt man bestimmt nicht, dass euch vor vierzehn Stunden noch der Teufel im Nacken gesessen hat“, sagte John gedehnt.

„Das ist noch gar keine vierzehn Stunden her“, erwiderte Calling. „Wir können uns eben schnell umstellen.“

„Ja, es scheint so.“ John trat etwas zurück und blickte auf die Gewehre, die die drei Kerle in der Hand hatten. Sie sahen ihm jetzt noch finsterer als in der Zelle aus, aber das konnte an der Dunkelheit liegen.

Er dachte an seinen Revolver, der mit Joes Pferd in der Nacht verschwunden war. Auch sein Gewehr, das noch im Sattelfutteral steckte, war zu weit entfernt.

„Wie wäre es denn, wenn Sie direkt nach Bighorn Springs reiten, Marshal?“ Calling legte den Kopf schief. „Dann würden wir uns nicht gegenseitig in die Quere kommen.“

„Ich habe euch ein bisschen viel auf die Nase gebunden, was?“, fragte John gedehnt.

„Nein, wieso denn?“ Calling lachte wieder. „Wir waren doch schon unterwegs, Marshal.“

Reno Atkins repetierte sein Gewehr. Es sah wie Zufall aus, dass die Mündung auf John zeigte, aber Slade glaubte nicht daran, dass es Zufall war.

„Also wenn er uns nicht mit Sicherheit das Leben gerettet hätte, würden mir seine Reden vielleicht auf die Nerven gehen“, murmelte Atkins.

„Aber Reno, niemand schießt auf einen Marshal!“, entrüstete sich Calling grinsend.

„Auf einen Marshal?“, fragte Atkins. „Woher sollte ich denn wissen, dass er ein Marshal ist?“

„Ach ja, er hat ja gar keinen Stern! Was ist denn das, Mister?“

„Meinen Stern hat Bronson in der Tasche“, sagte John. Er blickte wieder auf sein Gewehr im Sattelschuh.

„Das ist ein bisschen weit weg, was?“ Atkins stieß den Sattel mit dem zerschnittenen Gurt weiter zur Seite. „Und das brauchen wir jetzt auch nicht.“

„Seid ihr wirklich von Kanada gekommen?“, fragte John.

Shafter lachte. „Auf die Frage habe ich schon lange gewartet, Marshal. – Natürlich sind wir von Kanada gekommen. Und wir haben dort Gold gesucht.“

„Was gelogen ist“, setzte John hinzu. „Man sieht ein bisschen anders aus, wenn man in Erdlöchern herumgekrochen ist und sich danach keinen neuen Anzug kaufen konnte!“

Shafter ging zurück, bückte sich und zog die Winchester 66 aus dem Sattelschuh.

Sie traten alle drei weiter zurück und schlugen die Gewehre auf John an. Er hatte das Gefühl, vom Regen in die Traufe geraten zu sein. „Ihr habt Cass gesehen, der fortgeritten ist“, sagte er lahm, weil er schon wusste, dass seine Worte sinnlos waren.

„Na und?“, fragte Shafter.

„Wenn er für den versuchten Mord verurteilt wird, dann packt er ganz von selbst aus. Dann bezeugt er alles, was auf der Ranch noch war.“

„Und was haben wir dann davon?“, fragte Calling.

„Seid ihr nicht zurückgekommen, weil ihr Roger rächen wollt?“ John ging in die Hocke, um seine Harmlosigkeit zu demonstrieren.

„Ja, deshalb kamen wir schon“, gab Shafter zu. „Und deswegen reiten wir auch weiter, Marshal. Und deswegen sollten Sie sich aus der Sache heraushalten.“

„Und ihr wollt nicht zufällig versuchen, auch das Geld an euch zu bringen?“, fragte John.

Calling legte beschwörend die linke Hand auf die Brust und grinste. „Wie können Sie nur so was von uns denken, Marshal! Das ist ja direkt eine Beleidigung für uns!“

Das kalte Grinsen der Kerle sagte John alles. Man würde später, wenn das je herauskam, das eine mit dem anderen verwechseln und dann sagen, dass es doch richtig gewesen wäre, die Bande gleich zu hängen.

Calling schnalzte mit der Zunge und jagte an dem Toten und John Slade vorbei. Die beiden anderen folgten. Staub wurde in die Luft geworfen und verdichtete sich zu einer kleinen Wolke.

John wirbelte herum, rannte zu den Bäumen und suchte nach seinem Gewehr. Als er es endlich gefunden hatte, waren die Reiter schon so weit entfernt, dass es sinnlos war, auf sie zu schießen.

John Slade klemmte das Gewehr unter den Arm und blickte auf die Punkte, die in Nacht und Staub schon verschwammen. Und in dieser Minute fragte er sich, ob die Karte, die im Saloon in der Stadt zu viel auf dem Tisch gelegen hatte, nicht doch aus Callings Ärmel gekommen war. Vielleicht hatte er nur keine weitere darin gehabt.

Aber dann schüttelte John den Kopf. „Blödsinn!“, sagte er laut. Wenn Calling schon eine Karte im Ärmel gehabt hatte, eine Neun bestimmt nicht.

Die Nacht verschluckte die Reiter.

John ging an dem erschossenen Pferd vorbei und blieb so stehen, dass sein schwacher Schatten auf den toten Cowboy geworfen wurde. Er kniete, zog das Messer hervor, das sie ihm wieder in den Stiefelschaft geschoben hatten, und begann neben dem Toten ein Loch auszuheben.

Der Hufschlag verklang in der Ferne.

John bohrte das breite Kampfmesser verbissen in den Boden und räumte den Sand zur Seite, bis er für Joe ein richtiges Grab ausgehoben hatte. Er schob den Toten hinein und deckte ihn mit Sand zu.

John Slade stand auf, schlug sich den Sand von der Hose und blickte nach Norden. Nicht einmal der aufgewirbelte Staub hing noch in der Luft.

Da erschallte das langgezogene schaurige Heulen eines Wolfes im Westen.

John blickte in die Richtung, hörte in der gleichen Sekunde das ängstliche Wiehern eines Pferdes und sah Joes gesatteltes Tier neben den verwachsenen Bäumen.

Er hob sein Gewehr auf, ging um das flache Grab herum und rief: „Komm – komm her!“

Das Pferd schnaubte wieder und warf den Kopf in die Höhe.

John lockte es, ging aber zu schnell auf das erschrockene Pferd zu. Es wandte sich zur Flucht und verschwand hinter den Bäumen.

Als John um die Bäume herumkam und die Prärie im Süden sehen konnte, hatte sich das Pferd hundert Yards entfernt. Es hatte den Kopf gedreht und blickte zurück.

John blieb stehen und lockte das Tier durch leise Zurufe. Er wusste, dass er mehr Ruhe bewahren musste, wenn er an das Pferd herankommen wollte.

*

Die drei Reiter hatten ihre Pferde auf der flachen Hügelkuppe gezügelt und blickten hinunter in das eingezäunte Tal, in dem im Mondlicht William Bronsons große Rinderherde zu erkennen war.

„Hier sind wir doch vorbeigekommen, als die Schweine uns in ihrer Mitte hatten“, sagte Atkins.

Calling grinste ihn an. „Und von hier aus ist es nicht mehr weit bis zu Bronsons Ranch. Der eine, der abgehauen ist, könnte jetzt gerade dort ankommen.“

„Kommt her, hier ist es!“, rief Shafter.

„Wozu brauchen wir denn ihr Werkzeug?“, knurrte Atkins. „Es genügt, wenn wir ein paar Lassos finden. So stabil ist der Zaun doch gar nicht. Kervin, komm, lass uns Lassos suchen!“

„Brian, komm, Reno will es anders machen!“, rief. Calling und ritt mit dem anderen weiter.

Lassos lagen am Eckpfosten im Norden des Tales auf dem Boden. Atkins stieg ab, hob die Lassos auf und warf Calling eines davon zu.

„Wir reißen ein paar Pfosten um, das ist doch viel einfacher.“ Atkins warf auch Shafter ein Lasso zu und stieg wieder auf sein Pferd. Er ritt bis zum nächsten Pfosten, warf die Lassoschlinge darüber und zog sie straff. Dann trieb er sein Pferd vom Korral weg und band das andere Ende der Schnur an sein Sattelhorn.

„Na los, worauf wartet ihr denn! Wir müssen zugleich ziehen! Dann fällt der ganze Zaun auf einmal um.“

„Komisch“, brummte Shafter.

„Was denn?“

„Na ja, dass du mal was mit Rindern zu tun hattest, ist mir schon lange klar. Aber du hast selbst gesagt, Zäune gab es dort nicht.“

„Zäune gab es auf dem Weg nach Kansas.“ Atkins grinste von einem Ohr bis zum anderen. „So gewöhnliche Zäune wie den hier haben unsere Longhorns umgerissen, wenn wir den Zaun früh genug sahen. Aber es gab auch welche, da war Stacheldraht mit dran. Da blieben unserem Boss zu viele Rinder auf der Strecke. Na ja, dann haben wir es eben mit Lassos gemacht. Einmal rissen wir einen Zaun um, der war eine ganze Meile breit. – Also los, nun macht schon!“

Calling und Shafter ritten weiter. Calling warf die Lassoschlinge über den nächsten Pfosten, ritt ein Stück vom Zaun weg und band das Ende ans Sattelhorn. Dann wartete er, bis Shafter ebenfalls soweit war.

„Kann es losgehen?“, fragte Atkins.

„Jetzt kommt sich der Kleine ganz groß vor“, brummte Shafter. „Nur, weil wir nie hinter Rindern her geritten sind.“

„Es kann losgehen“, sagte Calling und nickte Atkins am nächsten Pfosten zu.

„Bei drei treiben wir die Pferde an! Eins – zwei – drei!“

Sie trieben die scheuenden Pferde gleichzeitig an, die Tiere sprangen vorwärts, die Lassos strafften sich, und in den Pfosten des Zaunes krachte und knackte es.

Callings Pferd stieg auf die Hinterhand. Der Mann warf sich auf den Hals des Tieres und gab ihm wieder die Sporen.

Bei Shafter war der Pfosten morsch und zerbrach, und der Zaun wurde umgerissen.

Callings Pferd stemmte sich noch gegen den Zug des Lassos. Das Knacken und Krachen im Holz wiederholte sich, und der Pfosten folgte dem Zug des Lassos.

Da zerbrach Atkins’ Pfosten mit einem Krachen. Bretter fielen auf den Boden. Nur Callings Pferd konnte den Pfahl nicht umreißen.

Calling fluchte und blickte zurück. Halb umgerissen lag der Zaun auf dem Boden. Nur der eine Pfosten stand noch, aber die Bretter hingen rechts und links nach unten, und ein paar waren abgeplatzt.

„Das reicht ja auch“, sagte Atkins, der das Lassoende vom Sattelhorn losmachte und fallen ließ. „Den Rest wirft die Herde allein um. Kommt, wir müssen auf die andere Seite!“

Calling machte das Lasso ab, beschimpfte sein Pferd und folgte Atkins. Shafter ritt hinter ihm her. Sie kamen hinter den Korral, grinsten sich an und zogen die Revolver.

„Wir müssen sie antreiben, bis wir die Ranch sehen können“, erklärte Atkins. „Sonst schwenken sie ab und laufen vorbei. – Brian, reite du auf die andere Seite!“

Shafter ritt an seinen Freunden vorbei, hinten am Zaun entlang und zur anderen Seite des Korrals hinüber.

„Jetzt!“, rief Atkins und feuerte mitten in die ruhende Herde hinein. Ein Rind wurde getroffen, machte ein paar Sätze und brach brüllend zusammen.

Shafter und Calling feuerten ebenfalls. Atkins schoss mit einem wilden Lachen seinen Revolver leer.

Das Brüllen der Rinder und das Donnern der Hufe scholl zu einem Orkan an.

Atkins lachte noch immer wild und lud seinen Revolver nach. „Wir müssen ihnen die Richtung zeigen, Kervin.“

Calling schoss noch in den Korral. Seine Kugel streifte das Fell des Stieres, und das Tier machte lange Sätze am Zaun entlang. Die im Kreis herumjagenden Rinder folgten dem brüllenden Stier.

„Ja, jetzt sind sie richtig!“, schrie Atkins, drehte die Trommel durch und schoss wieder. „Nehmt die Gewehre!“ Er schob den Revolver ins Holster, zog seine Spencer aus dem Sattelschuh und schoss in die Herde hinein. Rinder brachen zusammen und wurden von der Herde zertrampelt. Der ganze Pulk donnerte jetzt durch den Korral nach Norden und riss den Rest des Zaunes nieder. Sie sprengten die Hügelflanke hinauf und über die Kuppe hinweg.

Schreiend und schießend ritten die drei Männer am Zaun entlang und hinter der Herde her.

Im Norden jagten die aufgeschreckten Rinder in wilder Panik den Hügel hinunter, walzten Büsche nieder und gingen über die Tiere hinweg, die stolperten und stürzten.

„Achtung, sie schwenken nach Westen ab!“, schrie Atkins. Er trieb sein Pferd mit Sporen und Kolbenschlägen an und sprengte an der Flanke der Rinderherde entlang. Krachend entlud sich sein Gewehr und streckte Rinder nieder, die an der Spitze zu weit nach Westen wollten.

Der weiß-gesichtige Stier führte die Herde noch immer an.

Atkins schoss auf ihn, und tatsächlich schwenkte das Tier wieder nach Norden ab. Atkins lenkte sein Pferd zur Seite, zog es im Kreis herum und hielt an. Das Pferd zitterte und hatte große, ängstliche Augen.

Die Herde jagte vorbei. Dichter Staub wehte in der Luft.

Atkins schob Patronen in sein Gewehr und schoss wieder in die Herde hinein.

Schießend tauchten Calling und Shafter hinter der Herde auf.

Der Boden schien sich zu bewegen, so heftig dröhnten die Hufe über das Land. Und die Herde wurde immer noch schneller.

Atkins trieb sein Pferd wieder an und ritt mit den beiden anderen hinter der Hereford-Herde her. Ihr wildes Gebrüll ging in den anderen Geräuschen unter, und selbst das Krachen der Schüsse war kaum zu hören. Schemenhaft flogen Büsche vorbei. Andere wurden von den Hufen niedergewalzt.

Sie luden ihre Waffen während des Reitens und feuerten immer wieder auf die Tiere.

Dann schrie Calling, dass es genug wäre. Er zügelte sein Pferd.

Atkins und Shafter ließen ebenfalls von der Herde ab, kehrten um und ritten zu Calling zurück. Alle drei blickten auf die donnernde Herde, die unter Wänden von Staub in der Dunkelheit undeutlicher wurde.

„Sind wir bestimmt schon nahe genug?“, fragte Shafter.

„Wenn die Herde vorbei ist, werden wir die Ranch von hier aus sehen können“, erwiderte Calling.

Es war ihnen, als würden sie Geschrei und Schüsse hören, aber sicher war es nicht.

„Vergesst nicht, eure Waffen zu laden“, murmelte Calling. „Alles walzen die Rinder nicht nieder.“

„Das will ich auch stark hoffen“, sagte Shafter bissig. „Sonst wären von dem Geld nur noch Fetzen übrig. – Papiergeld, hast du das gehört, Kervin?“

Calling nickte, während er immer noch hinter der Herde her blickte, die er aber in den Wänden feinen Staubes kaum noch sah. Er meinte, ein fernes Donnern zu hören.

„Hast du gehört, es ist nur Papiergeld“, sagte Shafter.

„Das macht doch nichts. Die Wells Fargo nimmt es allemal.“

*

„Nein!“, rief Vera Bronson auf der Veranda vor dem Haupthaus, als die Nacht die Rinderherde ausspie. Hinter dem Korral tauchte der weiß-gesichtige Stier auf und donnerte heran.

Im Korral wieherten die Pferde und jagten am Zaun entlang, um vorn an der Ecke abzuschwenken.

Die Rinder hatten den Korral erreicht, walzten den Zaun nieder, ein paar brachen zusammen, die anderen gingen über die Artgenossen hinweg und rissen die Pferde um, die ihnen entgegenkamen.

Bronson und seine fünf Cowboys waren im Hof und gingen rückwärts. Sie feuerten aus ihren Revolvern auf die heranstürmende Herde, ohne sie damit aufhalten zu können.

Jed und Melvin rannten die Treppe hinauf zu der bleichen Frau, wandten sich um und schossen wieder.

Inzwischen war die Herde durch den Korral, riss den vordersten Zaun nieder und sprengte über den Hof.

Bronson und Cass rannten auf den Schuppen zu. Aber Cass wurde von den Rindern eingeholt, umgerissen und geriet unter die Hufe. Sein wildes Gebrüll ging im Dröhnen der Hufe unter.

Bronson warf sich in den Schuppen hinein, den die Herde eine Sekunde nach ihm erreichte. Die ersten Rinder donnerten gegen die Bretterwand. Der ganze Schuppen schwankte. Ein paar Rinder brachen zusammen, andere gingen durch die Wand hindurch, und der ganze Schuppen brach donnernd zusammen.

Brad und Jeff waren nach der anderen Seite gerannt und schossen von der Scheune aus auf die Herde, die jetzt das Bunkhaus anging und die Veranda vor dem Haupthaus gleichzeitig erreichte.

Vera schrie fürchterlich und presste die Hände vor das Gesicht. Der weiß-gesichtige Stier und andere Herefords kamen die Stufen herauf.

Melvin schoss den Stier zusammen, packte die schreiende Frau und stieß sie ins Haus. Er und Jed folgten ihr und feuerten wieder hinaus.

Aber noch immer kamen Rinder die Treppe herauf, die Hufe dröhnten über die Veranda, Glas zerbarst, und die Herefords stürmten ins Haus.

In der Halle wurden Stühle und der Tisch umgerissen.

Melvin wollte mit der Frau nach hinten hinaus, aber sie riss sich los und wollte eine andere Richtung einschlagen – ein junger Stier holte sie ein, senkte den Kopf und rammte ihr das eine Horn in den Leib.

Melvin hatte ihr gellendes Schreien in den Ohren, als er durch ein Fenster der Rückfront sprang. Er verlor den Halt, stürzte, überschlug sich, sprang auf und rannte in panischer Angst weiter nach links. An der Remise trat er in ein Loch, stürzte wieder zu Boden und blieb keuchend liegen.

Die Erde unter ihm zitterte unter den trommelnden Hufen. Etwas streifte seinen Stiefel und ging vorbei. Melvin begriff nur langsam, dass er neben der Herde war. Er kroch weiter in den Schutz der Holzwand, hob den Kopf, blickte hinter sich und sah die vorbeijagenden Tiere schemenhaft in der Staubwand.

Auf einmal kamen keine Tiere mehr. Die Rinder verschwanden wie ein Spuk im Norden.

Melvin setzte sich und blickte auf das Haupthaus, aus dem Feuerschein loderte. Ein Rind tauchte auf der Veranda auf und brüllte.

Am Bunkhaus fiel ein Schuss, und eine Feuerlanze stach über den Hof. Das Rind auf der Veranda brüllte, jagte die Treppe herunter und brach im Hof zusammen, wo schon mehr tote Tiere und ein völlig entstellter menschlicher Leichnam lagen.

Melwin stand auf, wischte mit dem Ärmel über sein Gesicht und tastete sich an der Wand entlang um die Ecke der Remise. „Wer ist da?“, fragte er hohl.

Der Feuerschein im aufgerissenen Haupthaus wurde heller. Irgendwo musste eine Lampe Holz entzündet haben. Aber vielleicht hatten die Rinder auch den großen Herd umgerissen, in dem sicher noch Glut gelegen hatte.

„Jed, bist du dort?“, fragte Melvin, der wieder stehen geblieben war.

„Ich bin es, Brad!“ Der Cowboy kam aus einem großen Loch in der Bunkhauswand und stieg über ein totes Rind hinweg.

Melvin ging weiter, blickte über den Hof, auf den zusammengebrochenen Schuppen, der nur ein Gebilde aus dürren Kistenbrettern gewesen war, auf das riesige Loch in der Wand des Haupthauses und den Feuerschein, der wirklich aus der Küche zu kommen schien.

Da bewegte sich drüben am Stall auch etwas.

„Wer ist da?“, rief Brad scharf und schlug das Gewehr an.

„Ich, Jeff!“, meldete sich der dritte Cowboy.

Melvin verließ den Rand der Remise und traf dort mit den beiden anderen zusammen, wo die zertrampelte Leiche im Hof in einer großen, versickernden Blutlache lag.

Plötzlich war wildes Gelächter zu hören.

Sie zuckten alle drei zusammen, fuhren herum und sahen die Reiter am niedergewalzten Korral.

„Calling!“, sagte Brad.

Da feuerten die drei Kerle aus ihren Gewehren. Der Widerschein der Mündungsflammen beleuchtete ihre hämischen Gesichter und die Augen, in denen es teuflisch blitzte.

Getroffen schrien die Cowboys auf und taumelten über den Hof. Brad brach als Erster zusammen. Aber kaum lag er auf dem Boden, stürzte auch Jed auf das Gesicht. Melvin schleppte sich den Reitern noch ein Stück entgegen, spürte immer neue Einschläge und wühlende Schmerzen in seinem Körper, verlor den Halt und fiel. Als er auf den Boden schlug, war er bereits tot.

Calling ließ das rauchende Gewehr sinken und blickte sich um.

Das Knistern des Feuers wurde lauter, und die Helligkeit im Hof nahm zu. Schatten huschten wie Geister über den Boden. Das Dröhnen der Rinderhufe, verlor sich schon langsam in der Ferne. Aber der dichte Staub hüllte den Hof noch immer ein.

„Hier scheint keiner mehr zu leben“, sagte Shafter. „Wie einfach so was ist, wenn man einen Cowboy bei sich hat.“

Atkins grinste.

Caling schnalzte mit der Zunge, ritt an den toten Männern und Rindern vorbei, hielt an der Treppe und stieg aus dem Sattel. Mit dem Gewehr in der Hand stieg er die Freitreppe hinauf und betrat das brennende Haus durch das große Loch in der Wand.

Rauch quoll aus einem Nebenraum, dessen Tür auf dem Boden lag. Der Feuerschein beleuchtete ein Bild grauenhafter Verwüstung in der Wohnhalle.

Calling blieb stehen und blickte auf die Frau, deren weißblondes Haar im Widerschein der Flammen selbst Feuer zu fangen schien. Sie lag auf dem Kopf eines toten Jungstieres an der Wand, und aus ihrem Rücken ragte das geschwungene Horn des Rindes.

„Los, irgendwo müssen die Bucks ja sein!“, rief Shafter hinter Calling. „Nun hilf mir schon, ehe der ganze Laden abbrennt!“

Atkins und Shafter räumten das zertrampelte Inventar auseinander und suchten nach dem Geld, von dem sie gehört hatten.

Calling ging weiter durch den Raum, sah eine Tasche zwischen toten Rindern und hob sie auf. „Hier ist es doch!“ Er drehte sich um und warf Atkins die abgeschabte Satteltasche zu.

Atkins öffnete die Tasche, griff hinein und brachte ein ganzes Bündel zusammengeknüllter Geldscheine zum Vorschein. Eine Note flatterte durch die Luft und landete auf den blutigen Dielen. Atkins lachte wie angestochen.

Ein schwaches Poltern drang vom Hof herein.

„Mal still!“, zischte Calling und schlug das Gewehr wieder an.

Sie lauschten, hörten aber nur das Knistern der Geldscheine und das Fauchen des immer heller werdenden Feuers, das sich jetzt im Nebenraum an der Wand in die Höhe fraß.

„Da ist nur noch was zusammengefallen“, sagte Shafter. „Die noch gelebt haben, standen im Hof.“

Calling ließ das Gewehr sinken.

„Das hat bis später Zeit“, knurrte Shafter. „Los, steck es hinein, wir verschwinden!“

Calling stieß die Scheine mit den Füßen auf einen Haufen.

„Jetzt hat es doch noch geklappt!“, stieß Atkins hervor. „Und es war viel einfacher als in der Stadt in Montana.“

„Du sollst es einpacken, verdammt – stehst du denn auf den Ohren?“, schrie Shafter.

„Was hast du denn?“

„Ich will fort, weiter nichts“, knurrte Shafter. „Wer weiß, ob sie nicht in der Stadt irgendetwas gehört haben!“

„Ausgeschlossen.“ Calling schüttelte den Kopf. „Die Stadt liegt hinter den Hügeln. Da hört keiner was.“

„Und der Marshal? Vielleicht hat er das Pferd doch gesehen und einfangen können.“

„Hast du das Pferd gesehen?“, fragte Calling.

„Es kann zurückgekommen sein. Verdammt, jetzt haben wir endlich das, wofür drei von uns ins Gras beißen mussten!“

Atkins stopfte das Geld in die Tasche und verschloss sie.

In der Küche hatte die Feuerwand indessen die Decke erreicht und fraß sich weiter, dem Wohnraum entgegen.

Atkins und Shafter richteten sich auf. Calling ging an ihnen vorbei und durch das Loch in der Wand. Die beiden anderen kamen auf ihn zu. Da hob er die Hand.

„Mal still!“

Deutlich war entfernter Hufschlag in der Nacht zu hören, der sich näherte, dann jedoch verklang.

„Wer ist das?“ Atkins hatte sich geduckt.

„Vielleicht der Marshal“, sagte Shafter gepresst. „Er ist über einen Hügel geritten. Jetzt hören wir ihn nicht. Aber wenn er über den nächsten Hügel reiftet. Er brach ab und blickte Calling an.

Im Osten schob sich bereits ein winziger Streifen grauen Lichtes am Horizont in die Höhe und kündete das Nahen des Tages an.

Noch immer war nichts von dem Reiter zu hören.

„Vielleicht haben wir uns geirrt“, murmelte Atkins.

„Wir haben uns nicht geirrt!“, rief Calling unterdrückt, aber scharf. „Und wir werden ihn wieder hören!“

Shafter repetierte sein Gewehr. „Ist auch besser so.“

„Wieso?“, zischte Atkins.

„Weil er der Einzige ist, der etwas weiß. Und weil es verrückt war, ihn am Leben zu lassen!“

„Das war Kervins Idee“, knurrte Atkins. „Schon beinahe ein Spleen von ihm!“

„Ich gebe jedem eine Chance, wenn er mir auch eine gegeben hat“, sagte Calling scharf. „Aber wenn er wirklich jetzt hierherkommt, hat er seine Chance verspielt!“

Drüben, in den Trümmern des Schuppens, rutschen ein paar Bretter zusammen.

Calling wirbelte mit dem angeschlagenen Gewehr herum und zischte: „Wer ist da?“

Sie starrten alle drei hinüber, aber es rührte sich nichts mehr.

„Das rutscht nur zusammen“, brummte Shafter.

Ein schwacher Windstoß fuhr über den Ranchhof, und das Windrad über den Dächern drehte sich mit knarrendem Geräusch einmal um seine eigene Achse.

Hinter den drei Banditen wurde der Feuerschein heller.

Auf einmal hörten sie wieder Hufschlag, lauter und näher als vorher.

Calling rannte die Treppe hinunter.

Laut hallte der Hufschlag über die Ranch hinweg, wurde schwächer und verklang. Aber ein kaum hörbares dumpfes Trommeln hing noch immer in der Luft. Der fauchende Feuerschein verschluckte es.

Atkins und Shafter rannten die Treppe hinunter und blieben neben Calling stehen.

„Keine Sorge, dem geben wir schon, was er braucht“, zischte Shafter.

„Der ist wie ein hungriger Wolf im Winter“, murmelte Atkins. „Ich glaube, der lässt keinem Ruhe.“

„Der lässt schon Ruhe“, gab Shafter zurück. „Lass ihn nur mal herkommen. Der fällt genauso um wie die anderen auch.“

Der Hufschlag wurde allmählich lauter, übertönte das Fauchen des Feuers und ging dann laut hallend über die Ranch hinweg. Schemenhaft sprengte ein Reiter über den Hügel im Süden und tauchte im Tal hinter dem Korral unter.

Calling feuerte, rannte nach links, feuerte wieder und kniete an der Stallwand auf den Boden.

Auch die beiden anderen feuerten.

Schrill wieherte ein Pferd. Der Hufschlag war verklungen. Eine Gestalt rannte hinter dem niedergerissenen Korral nach links. Sie feuerten darauf, aber die Gestalt verschwand hinter der Ecke des Bunkhauses.

Sekunden vergingen. Das Krachen der Schüsse war verklungen.

Shafter und Atkins kauerten neben der Freitreppe und blickten auf das Bunkhaus, wo sich nichts rührte. Nur der Flammenschein begann sich mehr und mehr in den kleinen Fenstern zu spiegeln.

„He, Marshal, komm nur hervor!“, rief Atkins schließlich. „Wir machen es ganz kurz, das versprechen wir dir!“

Calling gab ein paar Schüsse auf die Ecke des Bunkhauses ab, aber dort regte sich immer noch nichts.

„Du wirst doch nicht etwa Angst vor uns haben?“ Atkins lachte krähend. „Komm nur, die anderen hatten auch keine Angst! Noch nicht mal die Frau, die hat sich glatt von einem jungen Stier aufspießen lassen.“

„Die hat der Stier auf die Hörner genommen!“, rief Shafter und lachte bellend. „Genauso wie ihren Alten, den Fettsack, den es nun auch erwischt hat! Sie liegen alle hier herum! Komm her und sieh sie dir an, Marshal!“

Die Worte hallten hämisch über den Hof und verklangen.

Im brennenden Haus knackte und prasselte es.

Drüben, hinter dem Bunkhaus, krachte Holz, ein Splittern hallte herüber, dann fiel etwas zu Boden. In der nächsten Sekunde bohrte sich der Lauf eines Gewehres durch die Fensterscheibe.

Calling sprang auf und rannte mit schnellen Sätzen bis zum Brunnen und warf sich dahinter. Ein Schuss blitzte am Bunkhausfenster auf. Die Kugel traf klatschend die Brunnenmauer und ging singend über den Hof.

Shafter und Atkins sprangen auf und feuerten auf das Bunkhaus. Das Gewehr im zerschlagenen Fenster war verschwunden. Die Kugeln fetzten in die Holzwand und ein paar Scheiben zerklirrten.

„Los, den kaufen wir uns!“, rief Atkins.

Sie sprangen vorwärts, feuerten und rannten zum Bunkhaus hinüber. Wieder wurden von ihren Kugeln Scheiben zertrümmert.

Hinter dem Brunnen richtete sich Calling auf und blickte hinter den beiden anderen her.

Sie erreichten schießend die Bunkhauswand und warfen sich dagegen. Atkins schoss durch ein Fenster. Shafter riss die Tür so wild auf, dass sie gegen die Wand geschmettert wurde. Er schoss hinein in das Dunkel des Schlafhauses, sprang über die Schwelle und feuerte immer noch.

Aber im Widerschein der Mündungsflammen waren nur der lange Tisch, die Bänke und die leeren Betten der Cowboys zu sehen.

Shafter trat weiter zur Seite und senkte das rauchende Gewehr ein wenig.

„Hast du ihn erwischt, Brian?“, fragte Atkins durch das zerschossene Fenster.

„Ich weiß nicht, Reno.“ Shafter kniff die brennenden Augen zusammen und öffnete sie wieder. Er sah ein helles Rechteck im Hintergrund und begriff, dass es dort noch eine kleine Tür gab.

Atkins kam herein. „Los, steh auf, wenn du noch lebst!“, schrie er. Dann flammte es vor seinem Gewehr auf, und das Krachen des Schusses dröhnte von den Wänden wider. Atkins stieß den Tisch zur Seite und ging schießend durch den Raum. Aber dann begriff er, dass hier niemand war.

Reno Atkins zog sich Schritt um Schritt zurück, den Blick noch auf das helle Rechteck am Ende des Raumes gerichtet. Der penetrant riechende Pulverrauch hüllte ihn ein und ließ auch seine Augen brennen.

„Er ist nicht hier“, sagte Shafter heiser.

„Aber er war hier!“

„Ja. Er will ein bisschen mit uns spielen. Uns unsicher machen, verstehst du? Damit wir die Nerven verlieren sollen.“

„Er hat noch keinen Schuss abgefeuert“, sagte Atkins. „Mit dem ist alles komisch, Brian.“

Shafter blickte durch die Tür und rief: „Kervin, der Marshal ist nicht hier, pass auf, der steckt irgendwo!“

Calling kroch um den Brunnen, um aus dem Lichtschein des Feuers zu kommen. Dann sprang er auf und rannte zum Stall hinüber.

*

John Slade kniete an einem noch stehenden Pfosten des niedergerissenen Korrals, an dem noch ein paar Bretter hingen. Er konnte den ganzen Hof übersehen und war sicher, dass sie ihn nicht bemerkt hatten, wie er die Wand des Bunkhauses verlassen hatte.

Das ganze Haupthaus stand nun in Flammen. Rot-gelbe Zungen leckten aus dem Dach und schickten tanzende Funken in den Himmel, der sich von Osten her etwas heller färbte.

Aus der Tür des Bunkhauses schob sich der Arm eines Mannes mit einem Gewehr.

John hörte die Banditen reden, verstand sie aber nicht.

Undeutlich bewegte sich drüben am Stall etwas.

John hob langsam das Gewehr und presste den Kolben gegen die Schulter.

„Kommt zurück!“, schrie Calling auf einmal am Stall. „Es ist besser, wir bleiben dicht zusammen!“

Das Gewehr verschwand an der Tür des Bunkhauses. Dann sprangen Atkins und Shafter gleichzeitig aus der Tür, feuerten irgendwohin, wo John Slade nicht war, und rannten wie von Furien gehetzt über den Hof.

John schoss, repetierte und schoss wieder. Atkins schrie auf, stolperte, stürzte über ein totes Rind und blieb im Sand liegen.

John schoss weiter auf den anderen, aber der warf sich hinter den Brunnen und war nicht mehr zu sehen. Die letzte Kugel riss Lehm von der Brunnenmauer.

„Reno, was ist los?“, rief Shafter.

John Slade konnte den dritten Banditen im Hof deutlich sehen. Er glaubte nicht, dass Atkins noch einmal aufstehen würde.

„Reno?“, rief Shafter. „Verdammt – Kervin, er hat die Tasche mit den Bucks!“

John sah die Tasche, die der Bandit verloren hatte, und die vom Feuerschein beleuchtet wurde.

Shafter sprang auf und feuerte ein paar Schüsse ab.

John ließ sich fallen. Eine Kugel traf den morschen Pfahl und spaltete ihn. John sprang auf und warf sich hinter die Schlafhausecke. Kugeln schlugen in die Wand. Dann schwieg das Gewehr.

John Slade sprang auf, wirbelte herum und blickte erneut um die Ecke in den Hof. Shafter stand am Brunnen. John hob das Gewehr und schoss.

Shafter warf sich hinter den Brunnen.

Da schoss Calling.

John zog den Kopf und den Arm zurück.

„Pass auf, Brian, ich gebe dir Feuerschutz!“, schrie Calling. „Du holst die Tasche!“

Dann hämmerte sein Gewehr in rasender Folge, und Kugeln strichen pfeifend an der Bunkhausecke vorbei und trafen die Wand.

John kniete, weil die Kugeln alle sehr hoch lagen, blickte um die Ecke und sah Shafter über den Hof hasten und sich nach der Tasche bücken.

Er drückte ab, repetierte und drückte wieder ab.

Shafter, der gerade zurückrennen wollte, blieb bolzengerade stehen, und die Tasche glitt ihm aus der Hand.

Calling stellte das wilde Gewehrfeuer ein.

John repetierte seine Waffe erneut und blickte auf den Banditen, den er ohne Zweifel getroffen hatte, und der gegen den Schmerz ankämpfte.

„Los, Brian, komm zurück!“, schrie Calling. „Hebe die Tasche auf und komm zurück, Brian!“

Shafter schien sich bücken zu wollen und fiel dabei auf die Knie.

„Hebe sie auf und komm her!“, kommandierte Calling barsch. „Du kannst es doch!“

John zielte auf die Stallecke und gab Feuer. Seine Kugel schien Calling nur knapp zu verfehlen. Der Kerl sprang zurück und schrie hinter der Ecke: „Heb sie auf und komm her, Brian!“

Shafter fluchte so laut, dass es das Knistern und Fauchen des Feuers übertönte.

Vom Dach des Haupthauses fiel ein brennendes Brett und zerbarst auf der breiten Freitreppe, wo das herumspritzende Feuer nach neuer Nahrung suchte.

Shafter versuchte immer noch aufzustehen, stürzte auf die Schulter, kniete erneut und fiel wieder auf die Schulter.

Calling zeigte sich an der Ecke. John schoss. Der Kerl verschwand. Und im Hof starb Shafter neben seinem bereits toten Kumpan und der Tasche mit der Beute.

„Brian!“, schrie Calling.

„Der hört dich vielleicht schon nicht mehr“, sagte John und richtete sich auf. Knackend repetierte er das Gewehr und ging in den zerstörten Korral hinein, in dem tote Pferde und Rinder lagen.

Die Tasche mit der Beute lag vor Brian Shafters ausgestreckter Hand.

John blieb ein paar Yard entfernt stehen und blickte auf den Stall. „Komm endlich hervor, Calling!“, sagte er rau.

Calling sprang, aus seinem Revolver schießend, um die Ecke. Eine Kugel streifte John am Arm, und er warf sich hinter ein totes Pferd.

„Was ist denn, Marshal?“, rief Calling keifend. „Du hast mich doch gerufen!“ Der Revolver entlud sich wieder und dann noch einmal, und die Kugeln fuhren klatschend in den Kadaver, der Slade deckte.

Calling hatte fünfmal geschossen. Sie hatten fast alle nur fünf Patronen in der Trommel, um keine Kugel hinter dem Lauf sitzen zu haben, wenn sie die Waffe im Holster stecken hatten.

John stand auf und sah den erhobenen Arm des anderen. Er sah, wie Calling abdrückte, die Waffe schüttelte, den Hammer spannte und wieder abdrückte, und er sah auch das Gewehr, das der Kerl aus der Hand hatte fallen lassen.

„Heb das Gewehr auf“, sagte John.

Calling ließ den Revolver fallen und blickte auf das Gewehr, hinter dem er stand. „Und wenn ich nicht will?“

„Wenn du nicht willst, dann heb die Hände und komm her. Dann werden sie dich in Bighorn Springs eben doch noch hängen. – Na los, nun mach schon, Calling, oder wie du auch immer heißen magst!“

Ein brennendes Brett stürzte vom Dach ins Haus und verschwand hinter der Flammenwand.

John war einen Moment davon abgelenkt, sah aus den Augenwinkeln noch, wie Calling sich bückte und das Gewehr aufhob.

Donnernd brach ein Stück des Daches zusammen. Flammen und Funken schossen in den Himmel.

Calling hatte das Gewehr aufgehoben und repetierte es. John schoss einen Sekundenbruchteil eher. So wurde Calling schon getroffen, als er abdrückte.

Seine Kugel kam aus der Richtung und heulte an John vorbei. Er taumelte, prallte gegen die Stallwand und brachte es noch fertig, sein Gewehr zu repetieren.

John riss den Unterhebel mit einem Ruck durch und wartete.

Calling rutschte an der Wand entlang, dann brach er jäh zusammen, als wäre sein Lebensfaden plötzlich zerschnitten worden.

John Slade stand ein paar Sekunden an der gleichen Stelle und blickte auf das Bild grauenhafter Verwüstung. Dann ging er um die toten Rinder und Pferde herum und hob die Tasche auf. Er stand noch gebückt, als eine barsche Stimme rief: „Lass sie liegen, Marshal, sie gehört mir!“

John richtete sich ohne die Tasche wieder auf und sah Bronson. Der Rancher stand ein paar Yards von der brennenden Hausecke entfernt und hatte den Revolver auf ihn gerichtet. Sie waren sich sehr nahe, aber die Mündung von Johns Gewehr zeigte auf den Boden.

„Lass es fallen!“, befahl der Rancher barsch.

Johns Hand öffnete sich, weil es sinnlos war, etwas anderes zu versuchen. Jetzt hatte er nur noch den Revolver, den Joe mitgenommen hatte, und das Messer im Stiefelschaft.

Bronson machte einen Schritt vorwärts und blieb wieder stehen. Er hatte seinen großen Hut verloren und eine riesige Beule an der Stirn. Seine Jacke war zerrissen, das Hemd am Kragen blutig, und eine Schmarre zog sich über seinen Hals.

„Nicht mehr viel übrig, was?“, fragte John, um Zeit zu gewinnen. „Die drei haben gründlich gearbeitet. Viel gründlicher, als ich gekonnt und gedurft hätte. Bronson – wo hast du denn gesteckt?“

„Ich hatte Glück, Marshal.“ Bronson grinste schief, und der Flammenschein ließ Schatten über sein Gesicht huschen. „Aber ich hatte immer Glück, war immer etwas schneller und eine Nasenlänge besser als die anderen.“

„Übrig ist trotzdem nicht viel“, sagte John. „Nur die Tasche mit dem Geld.“ Bronsons Blick traf die Tasche, hinter der John stand.

„Bis du Rinderleute gefunden hast, ist die Herde in alle Winde zerstreut“, fuhr John fort. Er hoffte, es würde ihm noch irgendetwas einfallen, womit er den Halunken aufs Kreuz legen konnte.

„Davon erlebst du aber nichts mehr, Marshal“, sagte der Rancher barsch. „Und natürlich haben dich die anderen erschossen! Die das Geld doch hatten und alle meine Leute umbrachten.“

„Wie einfach manches ist“, erwiderte John. Er warf einen Blick auf den zusammengebrochenen Bretterschuppen, hoffte, Bronson damit ablenken zu können, und sagte: „Hast du unter den Brettern gelegen?“

Bronson blickte nicht zu dem wüsten Trümmerhaufen hinüber, den der bizarre Flammenschein beleuchtete. „Irgendwo“, sagte er. „Hast du noch einen Wunsch?“

„Ich möchte, dass du vor mir in der Hölle ankommst“, sagte John und lächelte säuerlich.

Da knallte und knackte es in dem lichterloh brennenden Haus. Das restliche Dach bog sich mit dem Gebälk ins Haus hinein und stürzte donnernd und krachend in die Halle, wo alles zerplatzte. Flammen, Rauch und Funken stachen aus den brennenden Wänden und leeren Fensterhöhlen. Das letzte Glas zerplatzte, und Bronson blickte nun doch zu seinem Haus hinüber.

John ließ sich nach hinten fallen und griff zur Waffe.

Bronson fluchte und schoss, die Kugel ging vorbei. John rollte zur Seite, kam hoch und wollte über ein Tier hinweg. Da traf ihn ein Schlag gegen den Arm, und ein Schrei wurde von seinen Lippen gerissen.

Er rollte hinter den Kadaver und hörte das bellende Gelächter des Ranchers. Auf dem verletzten linken Arm liegend, hob er den Revolver und feuerte auf den Mann, der herangerannt kam.

Bronson zuckte unter dem Einschlag der ersten Kugel zusammen, aber John schoss auf ihn, bis die Trommel leer war, und er sah den fetten Mann immer wieder zusammenzucken.

Als das Krachen im Fauchen des Feuers unterging, lag Bronson röchelnd im Hof, und er lag ausgerechnet auf Shafter, den Kopf direkt neben der Tasche mit dem Geld.

John Slade stand auf und schob den leergeschossenen Revolver ins Holster. Blut lief ihm über den Arm. Er stieg über das tote Pferd und stieß Bronson den Fuß gegen die Schulter. Der Rancher rollte von dem Toten herunter. John sah, dass er am Ende seines Weges angelangt war.

„So ist das, wenn man zu sehr über den Dingen steht und keinen anderen neben sich dulden kann, Bronson!“, stieß John hervor.

Langsam verloschen Bronsons Augen, und John war nicht sicher, ob ihn der Mann noch verstanden hatte. Es war zu Ende.

John hob die Tasche auf. Das Blut lief ihm nun schon über die Hand, und die Schmerzen bohrten in seiner Schulter. Er wandte sich ab und lief durch den zerstörten Korral. Als er dahinter das Pferd nicht sehen konnte, ließ er die Tasche fallen, zerrte sich die Jacke hinunter und zog das Messer aus dem Stiefelschaft. Er schnitt den Ärmel unter der Schulter ab und sah eine breite Fleischwunde, die stark blutete. Er verband sich notdürftig mit dem Jackenärmel, hob die Tasche auf und ging weiter, um das Pferd zu suchen.

*

Einen Sonnenstrahl irrte durch das kleine Fenster neben der Tür und zeichnete einen hellen Fleck auf die Wand im Office.

Sechs Männer standen vor dem rohen Brettertisch und blickten auf John Slade, der in einem schäbigen Sessel saß und vom Barbier verbunden wurde.

„Auf die wären wir nicht gekommen“, brummte der Storekeeper. „Aber dem Vormann … Na ja, dem wäre so was schon zuzutrauen gewesen.“

Der Richter schob sich in den Vordergrund, räusperte sich und sagte amtlich: „Es wäre also festzustellen, dass Sie die Banditen und Bronson in Notwehr erschossen haben.“

„In Notwehr“, sagte John mit einem dünnen Lächeln. „Ich hätte Sie sicher nicht um Ihre Arbeit und die Leute der Stadt nicht um Ihre Freude betrogen, wenn es möglich gewesen wäre.“

Die Gesichter der Männer wurden lang. Ein paar gingen rückwärts und verließen das Office mit hochgezogenen Schultern.

„Da wäre noch etwas“, sagte der Richter. „Das hätte ich bald vergessen.“ „Na eben!“, rief der Büchsenmacher. „Das müssen Sie sich ansehen, Marshal. Das ist vielleicht eine tolle Erfindung!“ Der Friedensrichter brachte eine Fotografie aus der Tasche und legte sie vor John auf den Tisch. Es war ein ziemlich finsteres Bild, das sechs Männer zeigte, die auf ein Haus schossen, an dem ein großes Schild hing. Auf dem Schild stand „Wells Fargo“.

„Erkennen Sie einen, Marshal?“, fragte der Friedensrichter.

„Calling“, sagte John. „Den würde ein Blinder erkennen.“

„Das ist doch ein Ding, was?“, rief Burke. „Das ist, als ob man sich im Spiegel sieht, es ausschneiden und auf Papier kleben könnte!“

„Es ist eine Fotografie“, sagte der Richter steif. „So etwas gab es während des Krieges schon, Mr. Burke.“

„So?“ Der Büchsenmacher zwinkerte komisch und legte den Kopf schief. „Hab ich aber noch nie gesehen, Josuah.“

„Euer Ehren, wenn ich bitten darf!“, rief der Friedensrichter streng. „Ich bin dienstlich hier. Gewissermaßen als Untersuchungsrichter!“

„So, dann wäre das in Ordnung“, sagte der Barbier, knotete den Verband an Johns Arm fest und ging um den Tisch herum.

„Ich weiß noch nicht, woher Sie das Bild haben“, sagte John. „Das würde mich schließlich auch interessieren, Euer Ehren.“

„Ein US-Marshal aus Montana war hier. Er kam mitten in der Nacht und ließ das Bild da.“

„Und wo ist er jetzt?“

„Er ist sofort weitergeritten, als er hörte, dass die Kerle nach Nordwesten sind. Mit zwei frischen Pferden.“

„So. Na ja, dann kommt er sicher noch mal zurück. Ist sonst noch etwas?“

Der Friedensrichter blickte die anderen an, dann schüttelte er den Kopf.

„Nein, nichts, Marshal. Im Namen der Bürger möchte ich Ihnen noch für Ihre Mühe danken. Und natürlich auch in meinem eigenen Namen, versteht sich, Marshal. Mancher hat sich vielleicht nicht ganz richtig verhalten. Na, wir müssen eben etwas dazulernen. Sie wissen ja, man lernt dazu, solange man lebt.“

„Ja, ja“, sagte John und schloss die Augen.

„Der Marshal hat eine Menge Blut verloren“, sagte der Barbier. „Er kann sicher Ruhe vertragen.“

John hörte die Männer gehen und war gerade am Einschlafen, als Ina hereinkam. Er öffnete die Augen, sah ihren strahlenden Blick und hörte sie sagen: „Ich kann meinen Vertrag bei McDowell auf der Stelle kündigen, John.“

„Hast du ein Glück.“

„Wir nehmen die Postkutsche nach Süden. Sie kommt heute hier durch, John!“

Er stand auf, blickte an sich hinunter und vermisste den Stern an seiner Jacke.

„Na eben, wo hast du den denn?“, fragte das Mädchen.

„Den hat Bronson vielleicht noch in der Tasche. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich meinen Vertrag nicht so ohne Weiteres kündigen kann, Ina. Ich muss schon noch ein paar Jahre hier in Bighorn Springs bleiben. Tut mir leid.“

„Du willst hier nicht weg?“, fragte das Mädchen enttäuscht.

„Nein. Warum denn auch? Du weißt doch, dass es in anderen Städten nicht anders ist. Aber vielleicht hat sich hier nun etwas geändert. Es könnte doch sein – oder?“

„Ziemlich unwahrscheinlich.“ Ina setzte sich und blickte auf die ramponierte Tasche mit dem Geld, die noch immer auf dem rohen Brettertisch lag. „Das ist es also.“

„Ja, das ist es.“

Ina sah sich um. Die Tür stand offen, aber es war weder im Office noch draußen jemand zu sehen. Sie schaute John wieder an und lächelte. „Wenn wir nun die Kerle aus Montana wären, könnten wir ziemlich einfach damit verschwinden, was?“

„Sicher.“ John lächelte sie an. „Zu dumm, dass wir nicht wie diese Kerle sind.“

„Ja, das ist wirklich zu dumm“, seufzte das Mädchen. „Ich kann also jetzt machen, was ich will?“

„Was meinst du?“

„Na ja, ich meine, ich kann fortfahren – oder hierbleiben.“

„Ja. Du hast gewissermaßen die freie Auswahl, Ina. Das hat aber bestimmt nichts mit deinem Job bei McDowell zu tun. Du findest hier auch noch was anderes.“

Ina stand langsam auf. „Ein versteckter Heiratsantrag war das nicht eben John?“

John Slade schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht, Ina, das kann ich dir schwören!“

ENDE

Spieler, Pistoleros, Coltschwinger: Western Sammelband

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