Читать книгу Agiles Praxismanagement für Haus- und Fachärzte - Klaus-Dieter Thill - Страница 4
Оглавление1 Die Praxismanagement-Insuffizienz als Agilitäts-Blocker
1.1 Das Praxismanagement als Transmitter
Der Begriff „Praxismanagement“ bezeichnet die Gesamtheit aller Regelungen. Instrumente, Maßnahmen und Verhaltensweisen,
die in den Aktionsbereichen Planung, Organisation, Marktforschung, Führung und Zusammenarbeit, Zeit- und Selbstmanagement, Patientenmanagement, Marketing und Finanzmanagement von Arztpraxen aller Fachrichtungen eingesetzt werden und
deren Zusammenwirken den Praxisbetrieb gewährleistet.
Das Praxismanagement fungiert als Transmitter der medizinischen ärztlichen Kompetenz und der Tätigkeiten der Medizinischen Fachangestellten in die konkrete Versorgung der Patienten. Von der Qualität seiner Gestaltung hängt es ab, wie umfassend das Können der Ärzte und die Fähigkeiten des Personals den Patienten in Form umfassender Hilfestellungen zuteil werden. Darüber hinaus bestimmt sie, wie früh und wie schnell Praxisteams agil auf Veränderungen jeglicher Art reagieren, diese implementieren und von ihrem Nutzen profitieren können (Beispiel: Digitalisierung).
Ein reibungslos funktionierendes Praxismanagement basiert dabei auf dem systematischen Einsatz betriebswirtschaftlicher Methoden und Instrumente und erfordert für seine Umsetzung entsprechende Management-Fähigkeiten.
1.2 Die Praxismanagement-Insuffizienz (PMI)
Sind die von Praxisteams ausgewählten Regelungen des Praxismanagements nicht geeignet, den Praxisbetrieb so zu gestalten, dass er den Anforderungen des Arbeitsalltages gerecht wird und grundsätzlich reibungslos funktioniert, spricht man von Praxismanagement-Insuffizienz (PMI). Grund für ihr Auftreten ist, dass
die Auswahl der getroffenen Vorkehrungen und realisierten Maßnahmen unvollständig und / oder falsch bzw.
ihre Umsetzung unzureichend und / oder fehlerhaft ist.
Symptomatik
Erste Symptome einer PMI treten zu Beginn schleichend in Form von Ärger, Stress und Unzufriedenheit auf, sowohl innerhalb des Teams als auch seitens der Praxisbesucher. Sie werden meist einzelnen Arbeits-Situationen zugerechnet, nehmen im weiteren Verlauf jedoch in ihrer Intensität deutlich zu. Hauptsymptome der PMI sind:
dauerhafter Zeitmangel
häufige Überstunden
steigender Arbeitsdruck
eine zunehmende Fehlerquote
unzufriedene Patienten
Konflikte im Praxisteam
Demotivation.
Zudem gibt es auch symptomlose Verläufe, die durch verdeckte Risikofaktoren entstehen und die erst mittel- bis langfristig, dann aber schlagartig wirksam werden.
Grade der PMIAufgrund der Schilderungen von Ärzten und Medizinischen Fachangestellten sowie von Patienten und - bei Facharztpraxen Zuweisern - kann die PMI grob in vier PMI-Grade unterteilt werden:
PMI-Grad I
Praxisteams berichten über keine größeren Probleme, die während ihrer Arbeit auftreten, es existieren jedoch Risikofaktoren, die aber noch nicht zur Wirkung gelangt sind.
PMI-Grad II
Arzt / Ärzte und Mitarbeiterinnen sind kontinuierlich wiederkehrenden Problemen bei ihrer Arbeitserledigung ausgesetzt. Sie werden jedoch noch nicht als sehr gravierend empfunden und beeinträchtigen die Arbeitsqualität nur in geringerem Ausmaß.
PMI-Grad III
Das Praxismanagement ist durch eine Vielzahl von täglich auftretenden Problemen gekennzeichnet, die sich in ihrem Zusammenwirken dauerhaft und spürbar auf die Arbeitsqualität, das Praxisteam selbst und die Patienten auswirken. Die Arbeitsatmosphäre ist durch wechselnde Intensitäten von Hektik und Stress charakterisiert, erste Patienten beschweren sich, Arbeiten bleiben teilweise unerledigt.
PMI-Grad IV
Praxisteams sind kaum noch in der Lage, das tägliche Arbeitspensum zu erledigen. Es fallen viele Überstunden an, Patienten wandern kontinuierlich ab, der Zugang neuer Patienten erfolgt hierzu nur unterproportional.
1.3 Die PMI und ihre Folgen für die Agilität von Arztpraxen
Art und Intensität der Auswirkungen einer PMI sind je Praxisbetrieb in Abhängigkeit von den jeweiligen Ursachen und ihren Ausprägungen verschieden, am häufigsten ergeben sich folgende fünf generelle Konsequenzen:
Die Patientenversorgung und -betreuung sind schlechter als es eigentlich möglich wäre, denn die medizinische Leistung kommt nicht in vollem Umfang den Patienten zugute. Beispielsweise unterbrechen Ärzte, die unter Zeitdruck stehen, die Symptom-Schilderungen ihrer Patienten bereits nach wenigen Sekunden und treffen Entscheidungen, ohne alle Fakten zu kennen. Hinzu kommen Informations- und Kommunikations-Defizite bei der Kooperation mit anderen Leistungsanbietern.
Die Arbeitsbelastung des Teams ist größer als notwendig, es wird viel und lange gearbeitet, das Arbeitsergebnis ist aber im Vergleich dazu nur unterdurchschnittlich, da die Arbeit nicht zu bewältigen ist. Effizienz und Produktivität des Praxisteams sind eingeschränkt, es entsteht ein Hamsterrad-Effekt. Das Personal entwickelt im Zeitablauf zwar Mechanismen, mit der PMI und ihren Folgen umzugehen, diese punktuellen Nachbesserungen lösen aber nicht die Grundprobleme. In einigen Fällen verstärken sie die negativen PMI-Auswirkungen sogar noch.
Die PMI schränkt generell die Leistungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten einer Praxis ein, denn wichtige Tätigkeiten kommen zu kurz, da für sie keine Zeit ist (z. B. Qualifizierung der MFA, Umsetzung von notwendigen Veränderungen etc.), Flexibilität und Reagibilität sinken ebenso wie die Arbeitsmotivation.
Die Bewertung der Praxisleistung verschlechtert sich durch eine sukzessiv wachsende Unzufriedenheit der Patienten, die Weiterempfehlungsbereitschaft sinkt ebenfalls.
Das Praxisergebnis entspricht nicht den Möglichkeiten.
Fehleinschätzungen bei der UrsachenanalysePraxisteams machen vor allem externe Einflüsse für ihre Probleme verantwortlich, beispielsweise
Ausufernde Bürokratie
Sie ist ärgerlich, aber kalkulierbar und kann deshalb in Prozesse eingeplant werden, eine PMI-Ursache ist sie damit nicht.
Eine zu hohe Anzahl Patienten
Saisonal beschränkt kann diese Beeinträchtigung des Praxisbetriebs durchaus auftreten, z. B. in Grippezeiten. Auf Dauer ist der Zustand Ausdruck einer Fehljustierung des Praxismanagements, ausgelöst durch ein unangepasstes Bestellverhalten oder zu wenig Personal.
Ein grundlegendes Problem in Zusammenhang mit der PMI besteht darin, dass Teams meist monokausal denken und versuchen, „die“ Fehlfunktion des Praxismanagements zu identifizieren. Praxisführung ist jedoch ein multifaktorielles Geschehen, das in seiner Gesamtheit untersucht werden muss, denn die Erfahrung zeigt, dass es nie „die eine“ Ursache gibt.
Überdies ergibt sich für viele Praxisinhaber und Mitarbeiterinnen die Problematik, dass die durch die PMI verursachte Arbeitsüberlastung keine Freiräume bietet, Optimierungsanalysen durchzuführen.
Die Prävalenz der PMIEtwa 2/3 der deutschen Arztpraxen sind heute von der PMI in unterschiedlichen Ausmaßen und Ausprägungen betroffen. Diese große Anzahl resultiert aus der Tatsache, dass Haus- und Fachärzte im Durchschnitt knapp 50% des Best Practice-Standards, d. h. der für einen reibungslos funktionierende Praxisbetrieb notwendigen Vorkehrungen, gar nicht einsetzen. Dadurch blockiert die Praxismanagement-Insuffizienz die Möglichkeit von Praxis-Teams, agil zu arbeiten. Die folgenden Kapitel beschreiben, welche Best Practices bei der Gestaltung der Aktionsbereiche des Praxismanagements eine Rolle spielen.