Читать книгу Aus dem puren Leben gegriffen Teil 3 - Klaus Fleischer - Страница 4
Er hat ja nur gepocht
ОглавлениеIch kann von mir behaupten, dass ich bestimmt ein sehr hygienischer Mensch bin. Ich brauche zwar keine „Alle Wais“ oder so ähnlich, weil ich ja von Geburt an männlichen Geschlechts bin und für uns seltsame Wesen so etwas noch nicht erfunden ist, aber ich habe schon vor einigen Jahren gelernt, wie man das kalte Duschwasser etwas angenehmer einstellen kann. Sogar die Haare kann ich mir schon geraume Zeit als Mitdreiziger ganz alleine kämmen.
Die allgemeine Körperpflege schreckt ja nun auch bekanntlich nicht davor zurück, drei bis fünf mal am Tag mit einer Hand- oder elektrischen Bürste sich im Mund herum zu fahren. Wichtig ist bei der ganzen Zahnkratzerei, daß man auch die richtige Creme benutzt. Nun um Gotteswillen nicht die Tages-, Mittags- oder Nachtcreme gegen die faltige Haut der Superehefrauen benutzen. Es sind da ganz spezielle Cremes entwickelt worden. Zahncreme oder manchmal auch Zahnpasta genannt, was aber bestimmt nichts mit dem gleichnamigen italienischen Nationalgericht zu tun haben. Zum Essen oder herunterschlucken sind die auch gar nicht so ideal, sondern die ganze Sache wird nur Oral (nicht verwechseln mit Anal) benutzt und dann schnell wieder ausgespuckt. Nun will ich aber meine wissenschaftliche Abhandlung beenden, denn die würde sonst zwei dicke Bände füllen, wenn man alle Details abarbeiten würde.
Nun ist jedem durchschnittlich bewanderten Menschen jeden Geschlechts bekannt, dass trotz der besten, hochwissenschaftlich entwickelten Cremes für Rachenraum und Zähne, gewisse Alterserscheinungen in diesem Bereich des menschlichen Körpers nicht ganz zu verhindern sind. Außerdem wäre das ja auch recht unfair gegenüber einem sehr wichtigen Ärztestand – den Zahnärzten.
Unsere Beißerchen werden in einem durchschnittlichen Leben ja auch enorm belastet. Der viele Zucker, Kälte und Hitze und mit den Zähnen entfernte Kronkorken von Bierflaschen machen der weißen oder leicht braunen Pracht in unseren Mündern doch recht zu schaffen. Ab einer gewissen Abnutzung dieses lebensnotwendigen Zubehör unseres Körpers (außer Schnabeltassentrinker) können sich dann schlagartig und bestimmt immer zum falschen Zeitpunkt kaum zu ertragende Schmerzen in allen erdenklichen Regionen der Anfangs noch 32 Zähne einstellen.
So erwische es mich auch vor vielen, vielen Jahren und es würde bestimmt, trotz aller Mundhygiene, nicht das letzte Mal gewesen sein. Am Anfang war da hinten rechts ja nur so ein leichtes Pochen und das tauchte dann immer regelmäßiger, vor allem wenn ich schlafen wollte, auf. Als ich dann am 24. Dezember morgens zum elektrischen Barthaarentferner griff und mein verschlafenes Gesicht dem blitzsauberen Kristallspiegel näher brachte, rief ich lautstark meine liebe Frau zu Hilfe. Doch auch sie bestätigte mir mit noch etwas vom Nachtschlaf und Nachtcreme verklebten Augen meinen ersten Eindruck.
Ich war nicht mehr ganz ich selbst. In der rechten Gesichtshälfte war ich irgendwie leicht verbeult, bloß diese Beule drückte nach außen, was Beulen ja bekanntlich sonst nur nach innen machen. Ich würde bestimmt ein neues Passbild brauchen, wenn wir demnächst wieder mal die deutschen Lande in Richtung Urlaub verlassen müssen. Dann sollte etwas passieren, was sich allgemein recht schwer beschreiben lässt, aber ich werde es versuchen.
Es begann damit, dass ich versuchte, diese Ausbeulung meines ansonsten immer noch recht nett anzusehenden Gesichts durch einen vorsichtigen Druck mittels rechtem Zeigefinger wieder zu beseitigen. Dann geschah alles andere blitzschnell.
Schon als mein rechter Zeigefinger nur noch wenige Mikromillimeter von der gespannten Gesichtshaut entfernt in Richtung Beule zeigte, dachte ich, mich tritt ein Pferd und genau auf diese Stelle. Ich muss hier aber der Ordnung halber erwähnen, dass mich noch nie ein Pferd getreten hat, da Pferde ja bekanntlich auch recht friedliche Tiere sind und gar keinen Platz in unserem Badezimmer hätten.
Ein rasender Schmerz war die Folge, welcher sich von den Haarwurzeln bis zum Schienbein hinzog und meine noch ungekämmte Haarpracht sofort in eine senkrechte Form brachte. Auf Grund dieser Schmerzen hätte ich bestimmt sofort Invalidenrente bekommen können.
Meine immer noch etwas verschlafenen Augen drohten aus ihren beiden Höhlen zu fallen und ich hatte das Gefühl, man wolle mir mit einem Brandeisen mein Monogramm in die rechte Gesichtshälfte brennen. Ein unkontrollierter Schrei entsprang ungewollt meiner Kehle, welcher den teuren Badezimmerspiegel sofort zertrümmerte.
Wahrscheinlich hatte dieser Schrei auch gleich noch einige unserer lieben Nachbarn geweckt, denn es standen plötzlich einige Personen dichtgedrängt und mit fragenden Blicken in unserem Wohnungsflur. Ein erneuter Schmerzensschrei ließ sie aber von hinnen stürzen und man hörte nur noch, wie sie ihre Wohnungstüren mit irgend welchen schweren Möbeln von innen verstellten.
Mein wissendes und besorgtes Frauchen hatte in aller Eile eine Kamillen - Tinktur bereitet und wollte mir mit einem mit dieser getränkten Wattetupfer etwas hilfreich zur Seite stehen. Nachdem ich ihr recht unkontrolliert in den Zeigefinger ihres gepflegten Händchens gebissen hatte, war ich mit meinen Schmerzen wenigstens nicht mehr so allein.
Vergeblich suchte ich im Medizinschränkchen nach den kostbaren Schmerztabletten. Aber den Vorrat von drei Packungen, welcher dank der regelmäßigen leichten Migräne meiner Ehehälfte immer vorhanden war, hatte ich in den letzten zwei Wochen auf Grund dieses leichten „Pochens“ schon komplett verschluckt. Zwei Stunden war ich dann Versuchskarnikel meiner auf immer neue Ideen kommenden Haus- und Kinderärztin von Frau. Tiefgefrorene Steaks lagen auf der Beule. Angewärmte Ziegelsteine sollten folgen und weitere, in zehn Generationen überlieferte Schmerzbefreiungsmöglichkeiten hatte meine mit leidende Ehehälfte schon ausprobiert.
Auch das Gurgeln mit 70%-igen Alkohol hatte nicht geholfen, obwohl diese Methode aus alter Gewohnheit für mich noch die angenehmste war. Auf Grund der immer wieder auftretenden Zuckungen in der rechten Gesichtshälfte habe ich dann beim Gurgeln doch ab und zu etwas zum trinken gehabt.
Mit dem so ungewollt angetrunkenen Mut half nur noch eines.
Ich raffte meine ganze erbärmliche Männlichkeit zusammen und verließ ohne Vorankündigung gegenüber meiner Frau schallgeschwindigkeitähnlich unsere Wohnung in Richtung Zahnstation des städtischen Krankenhauses. Es waren ja bloß knapp zwei Kilometer Fußweg, da ich mit meiner gequollenen Wange nicht mehr in unser Auto kam. Aber ich habe bestimmt einen neuen Rekord gelaufen, der leider nicht offiziell gestoppt wurde.
Die weißgekleidete Frau in der Anmeldung grinste mich so seltsam an und ersparte mir Gott sei dank mittels meiner Gesichtswucherung irgendwelche Erklärungen abzugeben.
„Den Gang da hinten runter. Dann in den Aufzug in den ersten Stock und dann links die zweite Tür.“
Ihre lauten Worte prallten gegen meine Beule und erzeugten gleich wieder eine Klinik füllenden Schrei.
Der Weg war gut beschrieben worden, denn die nette Frau kannte sich hier bestimmt gut aus.
Aber ich nicht.
War es nun hinten hoch oder runter? Was sollte der Aufzug mit mir tun? Warum sollte ich mit dem 1.Stock die zweite Tür einschlagen?
Mein Kopf drohte sich wie eine Dynamitladung zu verhalten.
Dann hatte ich es doch geschafft. Aber auch so ein „Monteur de la Fresse“ lässt sich nur ungern seine vorweihnachtliche Stimmung durch so eine verbeulte Person wie mich verderben. So Zumindestens deutete ich den eindeutigen Blick des mit einem weißen Kittel bekleideten Schlachtemeisters. Schon drohte mir beim Anblick dieser kräftigen, mit den Augen so komisch funkelten Person mein angetrunkener Mut schlagartig zu verlassen und ich war schon wieder im gehen. Die nächste Schmerzwelle hat mich aber dann doch noch vom Bleiben überzeugt.
„Sie haben getrunken, mein Herr?!“ :fauchte der Helfer für ausgebeulte Gesichter mich recht unwirsch an.
„Dann können wir aber nicht spritzen!“ :kam als nächstes, ohne eine Antwort von mir.
Da war alles aus. Wie ein Blitz durchzuckte es mich und für zwei Minuten hatte ich schlagartig keine Schmerzen mehr und stand mit einem Bein schon in der Zimmertür.
Mit einem gekonnten Schulterwurf wurde ich aber von dem Karatezahnsteinentferner auf den Folterstuhl befördert und eine nette blonde große Oberweite stand plötzlich auch noch hilfreich neben ihm. Blitzschnell hatten die beiden Folterknechte mich mit gelernten Griffen an den Stuhl gekettet.
So hilflos und voller Schmerzen hatte ich mich mein ganzes Leben noch nie gefühlt.
„Nun zeigen Sie mal her, mein Herr.“ :säuselte die blonde Oberweite in mein noch gut funktionierendes Ohr und ich konnte dieser Frau einfach nicht widerstehen. Wahrscheinlich haben alle Zahnklempner für solche Fälle wie mich blonde, unwiderstehliche Oberweiten zur Seite.
Ich zeigte mit gemischten Gefühlen und schon hatte ich etwas im Mund, wonach ich diesen nun nicht mehr schließen konnte. Dann versank die Hand des Folterknechtes mit irgend etwas großem und gefährlich aussehenden in diese Zwangsöffnung. Das ist ein ausgekochtes Pärchen - ging es mir noch durch den Kopf, als der wahnsinnigste Schmerz meines Lebens mich in die erste Ohnmacht in meinem Leben fallen ließ.
Als ich unter Hilfe der blonden Oberweite dann wieder in die reale Welt zurück gekehrt war, zeigte mir der freundliche, etwas mit meinem Blut bekleckerte Zahnschmerzbeseitiger, etwas unscheinbares weißes Etwas.
„Es war nur ein Weisheitszahn, mein Herr. Nichts von Bedeutung. Also noch ein frohes Fest. Morgen können Sie wieder richtig zubeißen.“ :mit einem seltsamen Lächeln im Gesicht hatte er mir ein frohes Fest gewünscht. Und wieso Weisheitszahn – vielleicht deshalb das Lächeln, weil der Zahnexperte wusste, dass somit auch mein letztes Fünkchen Verstand mit entfernt wurde?
Jedenfalls konnte ich im Kreise meiner Familie und einem Teil unserer lieben Verwandten am ersten Weihnachtsfeiertag wieder kräftig zubeißen. An meinem Verstand hat sich aber nach meiner persönlichen Erkenntnis bestimmt nichts geändert. Ich hoffe es aber sehr stark.