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Klaus Mann The Chaplain / Der Kaplan

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Apennin, Weihnachten 1944


1. STRADA STATALE 65 …: In der Nähe des FUTA PASSES, hoch oben im Apennin.

Die Kamera schwenkt zunächst über ein weites, ödes Panorama ziehender Nebelschwaden, dichter Wolken und schroffer Felsen – eine endlose Abfolge von Bergrücken, Tälern und Gipfeln: eine erbittert monotone, einschüchternde und doch großartige Szenerie.

Die Kamera fährt auf ein baufälliges Gebäude zu – ein bescheidener Bau aus Holz und Backstein, der an einer der Kurven der sich in Serpentinen windenden Nationalstraße steht. Jetzt ist er verfallen und verlassen, doch früher einmal muss er eine Raststätte für Autofahrer gewesen sein. Die roten Mauern weisen Spuren von Artilleriebeschuss auf. Ein großes Schild, gut sichtbar in der Mitte der lädierten Front des Hauses angebracht, verkündet (auf Italienisch) »FUTA PASS« und die Höhe über NN (in Metern).

Von dem zerbombten Gebäude schwenkt die Kamera zur Nationalstraße – eine recht breite Straße, die sich durch tiefe Täler schlängelt, steile Abhänge hinauf und über schmale Bergrücken, oft gefährlich nah am felsigen Abgrund. Es ist eine gute, solide gebaute Straße, doch jetzt ist sie von einem Matsch aus Lehm und schmelzendem Schnee bedeckt. MATSCH und NEBEL – das ist es, was die Kamera in dieser Einführungssequenz in erster Linie zeigen und hervorheben soll. Die ganze Szene besteht aus nichts anderem als Matsch und Nebel, soweit das Auge blickt. Die stark befahrene, verstopfte Straße ist so matschig, dass die Fahrzeuge kaum vorankommen; der Nebel ist so undurchdringlich, dass den Fahrern jede Sicht genommen ist – sie sehen die Hand vor Augen nicht. Und doch bewegen die Wagen sich vorwärts – durch ein Chaos aus Wolken, Schmutz und Sturm.

Die Kamera konzentriert sich nun auf die nicht abreißende Kolonne militärischer Fahrzeuge – eine endlose Prozession, die sich in beiden Richtungen langsam und beschwerlich durch den Matsch vorarbeitet. Es sind Transporter und Lastkraftwagen in allen Größen und Formen, Jeeps, Mannschaftswagen, Offizierslimousinen und Krankenwagen. Die Fahrzeuge, die in nördlicher Richtung fahren, bringen Mannschaften und Ausrüstung an die Front bei Bologna, und in südlicher Richtung werden die Erschöpften und Verwundeten zu den Krankenhäusern und Hauptquartieren in der Etappe gebracht. Die Kamera zeigt die harten, angespannten Gesichter der Männer, die in den Norden gebracht werden – und in der anderen Fahrtrichtung die apathischen und benommenen Menschen, die von der Front kommen: einige von ihnen schlafen, andere starren blicklos vor sich hin, allesamt reglos und schweigend.

Die Kamera folgt der Kolonne, die in nördlicher Richtung fährt, und die Detonationen des Artilleriefeuers, die anfangs nur als fernes Grollen vernehmbar waren, sind deutlicher und unheilverkündender zu hören.

Die Kamera fährt auf einen amerikanischen Jeep zu, der gerade ein italienisches Straßenschild passiert, dessen einer Pfeil nördlich in Richtung Bologna zeigt, der andere südlich nach Florenz. In dem Jeep sitzen ein junger Lieutenant und zwei Sergeants, deren Uniformen und Gesichter mit Schlamm beschmiert sind; sie betrachten das Schild.


SERGEANT: »Oh Mann, ich wünschte, ich wäre wieder im guten alten Florenz! Sie nicht auch, Sir?«

LIEUTENANT: »Zum Teufel, nein, Weihnachten in Bologna – das war’s, was wir erreichen wollten!«

DER ZWEITE SERGEANT (schnaubt verächtlich): »Weihnachten in Bologna – von wegen!«

DER ERSTE SERGEANT: »Wer will denn schon nach Bologna?«

DER ZWEITE SERGEANT: »Ich weiß, wo ich gern sein würde, gerade jetzt …«

LIEUTENANT: »Jetzt reicht’s, Bursche! E i n Wort von dir, du wärst Weihnachten gern zu Hause, dann knallt’s!«


Die Wagenkolonne, die zeitweilig zum Halten gekommen war, setzt sich wieder in Bewegung. Durch den Nebel zeichnet sich die Silhouette eines halb zerstörten Dorfs ab. Der Jeep mit den drei Soldaten schleicht die Hauptstraße entlang – vorbei an der zerstörten Kirche und anderen mehr oder weniger beschädigten, erbärmlichen Häusern. Am Straßenrand stehen einige Dorfbewohner – überwiegend alte Leute und Kinder, alle in ihrer schwarzen Sonntagskleidung – und sehen den vorbeifahrenden Wagen zu. Sie sind weder feindselig noch freundlich – nur müde, hungrig, verfroren und irgendwie beeindruckt von dieser furchtbaren Zurschaustellung schlammbedeckter militärischer Macht. Hin und wieder winkt ein Kind mit seiner kalten, roten kleinen Hand und piepst: »Caramelli, Joe! Chewing Gum!« – Vor einem Gebäude, das einen repräsentativeren und besser erhaltenen Eindruck macht als die anderen, stehen einige JUNGE MÄNNER im Alter zwischen 16 und 18 Jahren. Einer von ihnen hebt den Arm und macht mit zwei Fingern das Victory-Zeichen. Der LIEUTENANT im Jeep bemerkt den Gruß und lächelt ihm zu – ein müdes, aber herzliches Lächeln.


LIEUTENANT: »Habt ihr den da gesehen? Guter Junge.«

SERGEANT: »Seht euch den Kerl da drüben an! Finsterer Typ, oder?«


Er zeigt auf einen anderen JUNGEN MANN – einen BUCKLIGEN, ungefähr 15[1] –, der allein dasteht, ein paar Meter von der Gruppe der anderen Jungen entfernt. Sein Gesicht – grazil geformt und intelligent unter einer Mähne widerspenstiger schwarzer Haare – verrät keine Gefühlsregung, aber seine Augen – sie starren finster auf die amerikanischen Wagen und Soldaten – sind voll von leidenschaftlichem Hass. – Die drei Männer im Jeep lachen über ihn.


LIEUTENANT: »Hallo, du da – Glöckner von Notre Dame! Fröhliche Weihnachten!«


Als der BUCKLIGE nicht reagiert, schneidet der LIEUTENANT im Jeep Grimassen in seine Richtung und äfft fröhlich den finsteren Gesichtsausdruck des jungen Mannes nach. Daraufhin knirscht der BUCKLIGE mit den Zähnen, wendet sich abrupt ab und verschwindet in dem relativ guterhaltenen Gebäude. Die DREI SOLDATEN brechen in lautes Gelächter aus.

Der Jeep fährt weiter – nur, um nach wenigen hundert Metern wieder zum Stehen zu kommen. Dieses Mal wird die ganze Fahrzeugkolonne von einem Konvoi britischer Lastwagen aufgehalten, der in einer Kurve gehalten hat. Mit Bechern aus Blech in den Händen stehen die englischen Soldaten um einen großen Teekessel herum, der am Straßenrand auf einer mobilen Kochstelle steht. Da die britischen Lastwagen die Straße in der einen Fahrtrichtung blockieren, wird die Verkehrslage insgesamt kritisch und die Fahrzeuge verkeilen sich, bis niemand mehr weiterkommt. Auch der Jeep mit den DREI SOLDATEN steckt weiter hinten in der gelähmten Kolonne fest.


LIEUTENANT (zu einem Soldaten in einem Jeep vor ihm): »Hey, Soldat, was ist denn diesmal der Grund, dass wir halten müssen?«

SOLDAT IM ANDEREN JEEP (ohne ihn anzuschauen, lakonisch): »Die Zitronenfresser[2] trinken Tee.«

LIEUTENANT: »Verdammter Mist …«

SERGEANT: »Diese verdammten Zitronenfresser! Für ihren verfluchten Tee halten sie den ganzen Verkehr auf!«

LIEUTENANT (äfft die britische Aussprache nach): »Lästige Sache das, alter Knabe – stimmt’s?«

DER ZWEITE SERGEANT: »Verdammt lästig, genau.«


Im Jeep warten sie ab, wie es weitergeht. Die Kamera folgt ihrem Blick; sie wandert an der Kolonne stehender Lastwagen und wütender Fahrer entlang bis zu der Stelle, wo die »Tommies«, umgeben von fluchenden GIs, in aller Ruhe ihren Tee genießen. Aus den amerikanischen Fahrzeugen ertönen wütende Rufe: »Macht schon!« – »Zum Teufel mit eurem Tee!« – »Wissen die Zitronenfresser nicht, dass wir im Krieg sind?« Ein kräftiger amerikanischer LKW-Fahrer in schmierigen Hosen schreit einen britischen SERGEANT MAJOR an – einen beleibten Kerl Ende vierzig.


LKW-FAHRER: »Was glaubt’s ihr denn, wo ihr seid? Merry old England ist weit weg!«

SERGEANT MAJOR (sehr würdevoll): »Bedauerlicherweise.«

LKW-FAHRER: »Ein Kerl in deinem Alter könnte etwas mehr Grips in der Birne haben! Tee! Widerlich – jawohl, genau. Einfach widerlich.«

SERGEANT MAJOR (gelassen und ruhig): »Regen Sie sich nicht auf, junger Mann. Denken Sie daran, heute ist Weihnachten! Kann ich Ihnen eine Tasse guten, heißen Tee anbieten?«

LKW-FAHRER (zuerst entgeistert, dann wütend): »Zum Teufel, nein. Tee ist was für alte Frauen. Hab ich immer gehasst. Davon kriegt man nur ein komisches Gefühl im Bauch.«

SERGEANT MAJOR: »Falsch. An einem Tag wie heute ist Tee die ideale Erfrischung. Trinken Sie eine Tasse, das wird Sie beleben. Versuchen Sie es.«

LKW-FAHRER (widerstrebend): »Schmeckt bestimmt wie Spülwasser … Aber wenn es nur heiß ist … Ich bin ganz verfroren … Zum Teufel, versuchen wir’s!« (Er nimmt eine Tasse Tee vom SERGEANT MAJOR.)


Die Kamera fährt zurück zu dem Jeep mit den DREI SOLDATEN. Der LIEUTENANT ist ausgestiegen.


LIEUTENANT (zu den beiden Sergeants): »Bis zum Hauptquartier sind es nur noch fünf Minuten. Ich glaube, ich gehe den Rest zu Fuß. Bringt ihr beide den Wagen zurück zur Fahrbereitschaft.«

SERGEANT (brummt): »Wir stecken bestimmt den ganzen Tag hier fest.«

DER ZWEITE SERGEANT: »Diese Zitronenfresser. Tee!«

(Er schüttelt sich.)

LIEUTENANT: »Na, ihr beiden übersteht das schon. Ich will Martins Weihnachtsansprache nicht verpassen.« (Er macht sich auf den Weg, watet entschlossen durch den knöcheltiefen Schlamm.)

SERGEANT (brummt ihm nach): »Will die Weihnachtsansprache nicht verpassen – hä?«

DER ZWEITE SERGEANT: »Was für ein Weihnachten!« SERGEANT: »Tee!« (Er drückt wütend die Hupe des Jeeps und schließt sich dem Hupkonzert der vielen anderen Wagen der Fahrzeugkolonne an.)


2. DIVISIONSHAUPTQUARTIER …: Der LIEUTENANT kommt an einen Militärwegweiser mit dem Hinweis »HQ … Div.« (Die Nummer der Division ist mit Schlamm bedeckt und unleserlich.) Er wendet sich nach links und folgt einem kleineren, ebenfalls schlammigen Weg durch die Felder.

Die Kamera macht einen Schwenk über das HAUPTQUARTIER – eine Zeltstadt, die sich über dem schlamm- und schneebedeckten Feld erstreckt wie die Siedlung eines Nomadenstammes. Am Eingang des Lagers halten zwei MPs Wache – sauber gekleidet, mit weißen Helmen, Gürteln und Handschuhen.


MP (salutiert vor dem Lieutenant): »Die Parole, Sir?«

LIEUTENANT (grinst): »Fröhliche Weihnachten.«

MP (grinst ebenfalls): »Ihnen auch, Sir.«

LIEUTENANT: »Reicht das heute?«

MP (widerstrebend): »Hm, ich weiß nicht, Sir …«

DER ZWEITE MP: »Heute heißt die Parole ›Tea Party‹, Sir.« LIEUTENANT (lacht): »Na, das passt ja …!« (Er geht weiter.)


Die Kamera folgt ihm, wie er weiter durch den Schlamm watet – an einer langen Reihe Zelte entlang. Es gibt Zelte von verschiedener Form und Größe – kleine Dachzelte und gewöhnliche Zweimannzelte für die Mannschaften, aufwändigere Zelte für die Offiziere und noch kompliziertere Konstruktionen für die Divisionshauptquartiere der verschiedenen Waffengattungen wie »G-1«, »G-2«, »G-3«, »C. I. C.«, »Artillery« usw. (alle durch ihre jeweiligen Symbole gekennzeichnet). Weitere Zelte tragen gut sichtbare Kennzeichen wie »EM PX« (Kaufladen der Mannschaften[3]), »OF PX« (Kaufladen der Offiziere), »EM Duschen«, »OF Duschen«, »EM Latrine«, »OF Latrine«, »WAC[4] Latrine« »APO« (Feldpost), »EM Messe«, »OF Messe«, »Messe der Colonels und Generals«, »Duschen der Colonels und Generals«, »Latrine der Colonels und Generals«. – Der LIEUTENANT schaut in einige der Zelte hinein, doch alle sind leer. Es ist Weihnachten. Das ganze Lager – mit Ausnahme einiger Wachsoldaten – scheint im Sanitätszentrum versammelt zu sein, das auch als Kapelle dient. Die Kapelle, der aufwändigste Raum des ganzen Lagers, ist kein Zelt, sondern ein imposantes, wenn auch einfaches Holzhaus mit Dach, Fenstern und Türen.

Der LIEUTENANT tritt ein.


3. INNEN, KAPELLE …:[5] Ein großer Raum – die Wände aus rohem, ungehobeltem Holz, der Boden mit Strohmatten bedeckt. Die Wände und Fenster sind mit Myrtenzweigen und -girlanden geschmückt – der traditionellen Weihnachtsdekoration.

Die Kamera zeigt zuerst den Hintergrund des Raums, wo ein imposanter Weihnachtsbaum steht – sorgfältig geschmückt mit Kerzen, goldenen Sternen, farbigen Papierstreifen usw. Dieser Teil des Raums wirkt wie ein Wohnzimmer oder sozialer Treffpunkt: Ein großes Radio befindet sich dort, ein Plattenspieler, eine Tischtennisplatte und Tische, auf denen Zeitschriften ausliegen (LIFE, TIME, THE STARS & STRIPES, YANK usw.).

Die Kamera schwenkt dann zum anderen Teil des Blockhauses – zum Vordergrund neben dem Haupteingang –, der als Kapelle genutzt wird. Im Zentrum befindet sich ein improvisierter Altar: nur ein Tisch mit weißer Decke und einem großen silbernen Kruzifix. Der Tisch steht auf einer leicht erhöhten Plattform.

DER KAPLAN (CAPT. FRANK MARTIN) steht mit dem Rücken zum »Altar« und schaut in sein Publikum, das im Halbkreis vor ihm sitzt. Die Kamera schwenkt über die Versammlung – alle lauschen der Ansprache des KAPLANS. In einem großen Lehnstuhl in der Mitte der ersten Reihe sitzt der GENERAL (ein Stern) – ein eher unwirsch wirkender Herr in den Fünfzigern: grauer Schnurrbart, buschige Augenbrauen, kalte, lauernde Augen. Zu seinen Seiten sitzen zwei COLONELS. Die restlichen Sitze in der ersten Reihe sind für weitere COLONELS und LIEUTENANT COLONELS reserviert, und in den nächsten drei Reihen sitzen MAJORS, CAPTAINS und LIEUTENANTS. (Die Kamera fährt auf ein gut sichtbares Schild zu, das die Aufschrift trägt: NUR FÜR OFFIZIERE.) – Die MANNSCHAFTSGRADE, vom Master-Sergeant bis zum Rekruten, sitzen weiter hinten, manche von ihnen müssen stehen, da alle Plätze besetzt sind (obwohl im reservierten Bereich einige Stühle frei sind). – Bei den Offizieren sitzen vereinzelte KRANKENSCHWESTERN und ROTKREUZ-MÄDCHEN, und bei den Mannschaften einige WACs (einige mit den Rangabzeichen von Sergeants; viele tragen Brillen).

Als die Kamera die stehenden GIs im Hintergrund des Publikums zeigt, wird die Tür von außen vorsichtig geöffnet und der junge LIEUTENANT schlüpft mit entschuldigendem Lächeln herein.


LIEUTENANT (an einen Soldaten in der Nähe gewandt): »Worüber redet er?«

GI: »Über den Krieg. Und Weihnachten.«

LIEUTENANT (kichernd): »Tolle Kombination.«


Schnitt auf den KAPLAN – dessen Gesicht bisher noch nicht gezeigt wurde. Er ist ein kräftiger, gut erhaltener Mann Ende vierzig mit klaren, sympathischen Konturen – völlig frei von den Manieriertheiten, die man für gewöhnlich mit Geistlichen in Verbindung bringt. Er spricht geradeheraus, einfach, ohne salbungsvolle Betonungen. Er trägt Uniform (ohne die Rangabzeichen eines Offiziers) – die Kalkleiste ist der einzige Hinweis auf seinen Status als Geistlicher.


KAPLAN: »Meine Freunde, lasst mich noch eins sagen, bevor ich schließe – ich weiß ja, dass ihr Leute schon ungeduldig darauf wartet, euch zum Essenfassen anzustellen und den Truthahn nicht zu verpassen …«


Respektvolles Lachen im Publikum. Auch der KAPLAN lächelt leicht; dann wird er ernst und fährt fort.


KAPLAN: »Weihnachten ist hier anders als zu Hause – ich weiß, meine Freunde, es ist kein richtiges Weihnachten hier draußen im Matsch und in der Kälte. Viele von uns fühlen sich heute bestimmt traurig und haben Heimweh. Weihnachten – das war für uns immer ein Symbol für Frieden und fröhliches Beisammensein mit der Familie. Noch eine Kriegs-Weihnacht – noch eine Weihnacht in einem fremden Land: Ich weiß, meine Freunde – es fällt uns allen nicht leicht …«


Die Kamera macht einen Schwenk über das Publikum und fängt einige nachdenkliche Gesichter ein. Ein bulliger First Sergeant beißt sich auf die Lippe, um sich seine Gefühle nicht anmerken zu lassen; ein älterer weiblicher Korporal muss die Brille abnehmen, um sich die Augen zu wischen; ein junger Rekrut, der kaum älter als siebzehn zu sein scheint, hat einen sehnsüchtigen Ausdruck in seinen blauen Kinderaugen. Die Kamera kehrt zum KAPLAN zurück, der in seiner Ansprache fortfährt.


KAPLAN: »Dies ist ein langer, furchtbarer Krieg. Viele von euch haben gehofft, dass diese große Tragödie früher beendet würde. Im vorigen Sommer sah es wirklich so aus, als stünde der Sieg vor der Tür. Aber unsere Hoffnungen haben sich nicht erfüllt: unser Optimismus war nicht gerechtfertigt. Die militärische Entscheidung zieht sich hin – dort, am Rhein, wo die Deutschen eine regelrechte Winteroffensive gestartet haben – und hier oben, in dieser Gebirgswildnis. Wieder einmal haben wir den Fehler gemacht, die Entschlossenheit und die Ausdauer unseres Feindes zu unterschätzen.« (Er macht eine kurze Pause und fährt dann in zuversichtlicherem Tonfall fort:) »Dabei steht eins natürlich außer Frage und ist über jeden Zweifel erhaben – einer Sache können wir trotz zeitlicher Verzögerungen und gelegentlicher Rückschläge sicher sein: Der Sieg wird uns gehören! Wir werden diesen Krieg gewinnen, mit der Hilfe Gottes und im Vertrauen auf Seinen ewigen Ratschluss. Wir werden gewinnen durch unsere Stärke, durch den Patriotismus unserer Bürger und den Mut unserer Soldaten. Wir werden gewinnen, weil wir für die richtige Sache kämpfen – gegen die Mächte des Bösen und der Zerstörung.«


DER GENERAL in der ersten Reihe nickt zustimmend und schlägt leise die Hände zusammen, ein diskreter, aber deutlich sichtbarer Applaus. Die beiden COLONELS zu seinen Seiten ahmen seine Geste nach, aber der Rest des Publikums folgt dem Beispiel nicht. Der KAPLAN fährt fort.


KAPLAN: »Nein, wir brauchen uns vor einer Niederlage nicht zu fürchten. Aber, meine Freunde, lasst uns vor einer anderen Gefahr auf der Hut sein – sie ist nicht weniger tödlich als die Niederlage es wäre! In unserem Kampf könnten wir die Werte und Ideale, für die wir kämpfen, vergessen und verraten: das ist die große – die erschreckende Gefahr, vor der ich euch warnen will, Freunde. Amerikanische Soldaten, denkt immer daran, was in diesem Krieg auf dem Spiel steht: es ist unsere christliche Zivilisation – sie wird bedroht und verletzt durch barbarische Angreifer. Diese Feinde des Friedens und der Menschlichkeit – sie sind dem Untergang geweiht: Sie verdienen es, zugrunde zu gehen, und sie werden zugrunde gehen. Aber reicht die Zerstörung des Bösen aus, um das Überleben der Tugend zu sichern? Was wäre, wenn wir uns im Verlauf dieses grausamen Kampfes selbst mit dem Bazillus infiziert hätten, den zu vernichten wir ausgezogen waren?«


Er hat mit großem Nachdruck und Ernst gesprochen – und scheinbar zeitweise die Anwesenheit der Soldaten vergessen. Nun erinnert ihn ein leises Gemurmel im Publikum daran, wo er ist. Das Gemurmel deutet – wenn auch sehr zurückhaltend – darauf hin, dass seine Zuhörer überrascht sind und seinem Vortrag nicht folgen können. Als der KAPLAN diese Reaktion bemerkt, wird er ein wenig verlegen. Er lächelt ins Publikum, als wolle er sich entschuldigen; dann fährt er fort – und nun wendet er sich direkter, quasi »von Mann zu Mann«, an die Soldaten vor ihm.


KAPLAN: »Nun, Jungs, vielleicht ist nicht ganz klar geworden, was ich meine. Wenn ich dunkel und konfus klinge, dann ist das nur meine Schuld: Es liegt daran, dass ich nicht weiß, wie ich mich am besten ausdrücken soll. Dabei ist das, was ich sagen will, ganz einfach. Ich will euch Männer davor warnen, bittere, unchristliche Gefühle in euch aufkommen zu lassen. Versteht ihr mich jetzt?

Es ist ganz natürlich, je länger der Krieg dauert, desto bitterer und gewalttätiger wächst der allgemeine Hass: Je mehr Tod und Zerstörung – desto mehr Lust auf Vergeltung! Das ist logisch, nicht wahr?

Es mag zwar logisch sein, aber das bedeutet nicht, dass es gut und notwendig ist. Am Hass ist nichts Gutes – nichts Edles und Konstruktives. Glaubt mir, Freunde! Ich bitte euch, mir zu glauben, dass Hass böse ist: er erzeugt Tod – nicht Leben.

Sind Hass, Intoleranz, Selbstgefälligkeit, engstirniger Nationalismus, der Kult roher Gewalt nicht die bösen Wurzeln von Faschismus und Nationalsozialismus? Aber wenn Nationalsozialismus und Faschismus unsere Feinde sind, was ist dann mit jenen bösen Impulsen und Prinzipien, ohne die diese feindseligen Bewegungen niemals entstanden wären? Was ist mit Hass, Grausamkeit, Intoleranz? Auch sie sind unsere Feinde! Auch sie müssen besiegt werden!

Soldaten, ich weiß, es ist schwer, einen boshaften und rücksichtslosen Feind zu bekämpfen – ohne ihn zu hassen. Aber es ist möglich. Versucht es. Versucht, das Hassenswerte an eurem Gegner zu hassen – seine gottlosen Ideen, seine Vorurteile, seine sadistischen Instinkte. Aber hasst nicht den Menschen. Kein Mensch ist ganz und gar hassenswert oder vollkommen böse: genau, wie auch kein Mensch vollkommen gut ist. Sind wir nicht alle nur schwache, fehlbare Geschöpfe? Lasst uns das nicht vergessen – selbst wenn wir gegen diejenigen kämpfen, die wir für schlechter halten als uns selbst.«


An dieser Stelle räuspert sich der GENERAL auf unheilverkündende Weise und tauscht Blicke mit den COLONELS. Der KAPLAN ignoriert diese Bekundung von Überraschung und Missvergnügen und beendet seine Rede:


KAPLAN: »Nun, meine Freunde, das ist es, was ich euch heute sagen wollte. Es sind die vierten Kriegs-Weihnachten: für viele von euch Männern bereits die dritte Weihnacht, die ihr im Ausland feiert. Deshalb glaube ich, dass einige von uns eine kleine Erinnerung daran gebrauchen können, was dieses Fest bedeutet, damit wir es nicht vergessen. Denkt daran, meine Freunde, wir sind hier versammelt, um der Geburt des göttlichen Märtyrers und Kämpfers zu gedenken, dessen Vermächtnis das Evangelium der brüderlichen Liebe ist: Gottes Sohn, der zur Erde gesandt wurde und der Sohn der Menschen wurde, ›damit er Erkenntnis des Heils gebe seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.‹ – Amen. – Lasset uns beten.«


Er betet – den Kopf schweigend gesenkt. Die Versammlung tut es ihm nach. Nach einem Moment ehrfürchtiger Stille nimmt der KAPLAN wieder seine normale Haltung ein und lächelt herzlich in die Versammlung.


KAPLAN: »Euch allen frohe Weihnachten.«

STIMMEN AUS DER VERSAMMLUNG: »Ihnen auch, Kaplan!«

KAPLAN: »Mach uns mal ein bisschen Musik, Jack!«


Ein SERGEANT mit Brille (JACK), der im Hintergrund des Raums am Harmonium sitzt, spielt ein Weihnachtslied. Die meisten SOLDATEN stehen auf und bewegen sich zum Ausgang.


KAPLAN (ruft sie mit einem kleinen Schrei und einer schnellen Bewegung zurück): »Halt – wartet noch ein wenig, Jungs! Fast hätte ich etwas ziemlich Wichtiges vergessen: Und zwar möchte ich allen ganz herzlich[6] danken, die an meiner kleinen Weihnachtssammlung für die italienischen Kinder teilgenommen haben. Eine Menge wunderbarer Sachen sind zusammengekommen: wollene Schals, Handschuhe und Unterwäsche, Konserven, Süßigkeiten – sogar ein paar schöne Spielsachen. Dadurch werden die Kinder ein richtiges Weihnachten haben! Ich weiß, dass sie alle sehr glücklich sein werden. Und ehrlich gesagt, auch ich bin sehr glücklich. Nochmal vielen Dank, Jungs. Ich weiß zu würdigen, was ihr getan habt. – Übrigens findet die Weihnachtsfeier für die Kinder aus dem Dorf heute Nachmittag im Haus des Bürgermeisters statt. Von drei bis fünf Uhr nachmittags gibt es heiße Schokolade – das ist den lieben Damen des amerikanischen Roten Kreuzes zu verdanken.« (Er macht eine Handbewegung in Richtung zweier ROTKREUZ-MÄDCHEN – die sein Kompliment mit Kichern und Erröten quittieren.) »Alle sind eingeladen. Macht’s gut, Jungs. Und esst nicht zu viel Truthahn.«


Alles bewegt sich in Richtung Tür. Auch der KAPLAN nimmt seinen Hut von einem Stuhl und scheint bereit zu gehen: Da kommt der GENERAL in Begleitung eines der COLONELS auf ihn zu.


GENERAL: »Guten Morgen, Kaplan.«

KAPLAN: »Fröhliche Weihnachten, Sir. Hallo, Colonel. Auch Ihnen frohe Weihnachten.«

GENERAL: »Ich würde gern kurz mit Ihnen reden.«

KAPLAN: »Aber natürlich, General. Ganz zu Ihrer Verfügung …«

(Er geht lebhaft und höflich voran zu ein paar Stühlen im Hintergrund des Raums in der Nähe des Weihnachtsbaums.)


SCHNITT AUF:


4. AUSSEN, KAPELLE …: Neben dem Eingang. Die Kamera schwenkt über die MENGE, die aus der offenen Tür heraus kommt: Dann fährt sie auf eine GRUPPE von GIs zu, die ein wenig abgesondert dastehen.


1. GI: »Ich finde, der Alte ist kein schlechter Kerl.«

2. GI: »Kaplan ist Kaplan. Die reden einfach zu viel.«

1. GI: »Nee, der Martin is’ anders. Muss man einfach mögen.«

3. GI: »Nach Feierabend ist der bestimmt kein schnöseliger Moralapostel.«

4. GI: »Nee, dem macht’s nich’ mal was aus, wenn geflucht wird.«

2. GI: »Vielleicht habt ihr recht. Der ist okay.«

1. GI: »Jungs, den Leuten im Dorf wird er fehlen, wenn wir abziehen. Er kümmert sich wirklich um alles.«

4. GI: »Jau, und habt ihr gesehn, wie die Kleinen an ihm dranhängen?«

1. GI: »Er tut ja auch viel für sie. Junge, der Alte hat sich bestimmt ne Menge Arbeit gemacht, um die Sachen für seine Weihnachtssammlung zusammenzubekommen.«

4. GI: »Gehste zur Feier, Tom?«

1. GI: »Kann sein. Hab sonst nix vor.«

2. GI: »Die kleinen Spaghettifresser riechen ganz schön übel, wenn viele davon im selben Raum sind. Waschen sich wohl nie.«

3. GI: »Komischer Kerl, erzählt uns, wir sollen den Feind nicht hassen und so. Wir sind schließlich im Krieg. Was stellt der sich denn vor? Sollen wir uns in die Krauts verlieben?«

3. GI: »Junge, vor ein paar Tagen habe ich Bilder gesehen, von ein paar WACs der Krauts in Frankreich – in die könnt ich mich schon verlieben. D i e würd ich nicht hassen!«

1. GI: »Euer Problem ist, dass ihr beim Denken den Kopf in die Gosse steckt. Warum könnt ihr nicht ein paar höhere Ziele haben, so wie ich?«


Man hört wilde Rufe anderer GIs – sie rennen durch den Matsch und schwenken ihr Essgeschirr: »Los! Essen fassen!«


4. GI: »Hört ihr das, Jungs? Essen! Das ist mein höchstes Ziel seit dem Frühstück!«

2. GI: »Wir müssen zum Zelt, unser Geschirr holen.«

1. GI: »Im Laufschritt marsch!«


Sie rennen davon, dass der Matsch nur so spritzt. Dabei stimmen sie in den allgemeinen Schlachtruf ein: »E s s e n f a s s e n!«


5. INNEN, KAPELLE …: Der Vordergrund ist leer, die Tür geschlossen. Im hinteren Teil des Raums – der GENERAL, der COLONEL, der KAPLAN sitzen in Sesseln in der Nähe des Weihnachtsbaums. Der SERGEANT mit der Brille spielt auf dem Harmonium leise Musik.


GENERAL: »Ich will Sie nicht kritisieren, Kaplan, ist das klar?«

KAPLAN: »Mir wäre lieber, Sie täten es, General.«

GENERAL: »Nun, frei heraus – ich könnte es gar nicht, selbst wenn ich wollte. Für religiöse Fragen bin ich nicht zuständig: Ich habe nicht das Recht, Ihnen in die Quere zu kommen. Ich will Ihnen auch gar nicht in die Quere kommen, ganz ehrlich, Kaplan. Wenn es einen gibt in dieser ganzen Truppe, dem ich vollkommen vertraue, ohne Einschränkung, dann sind Sie das, Martin. Das wissen Sie.«

KAPLAN: »Danke, Sir.«

GENERAL: »Nur diese eine Sache in Ihrer Predigt heute hat mich verwirrt. Ich sage nicht, dass ich anderer Meinung bin. Sie verwirrt mich – das ist alles. Sie wissen, was ich meine.«

KAPLAN: »Mein Satz über die Feinde – und dass wir sie nicht hassen sollten?«

GENERAL: »Genau. Damit komm ich nicht klar. Nicht, dass ich glaubte, der Hass wäre etwas Edles oder Besonderes – natürlich nicht. Ich weiß, dass Hass etwas Scheußliches ist, er ist unchristlich. Aber trotzdem, ich frage mich …«

KAPLAN: »Was fragen Sie sich, General?«

GENERAL: »Nun, sehen Sie … Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Ich finde nun einmal, die Krauts sind auch nicht gerade besonders christlich.«

KAPLAN: »Nein, das sind sie nicht. Deshalb bekämpfen wir sie; deshalb müssen wir sie besiegen.«

GENERAL: »Aber wird es uns gelingen, sie zu besiegen – ohne Hass? Das ist die Frage, Martin. Das verwirrt mich.«

KAPLAN: »Wir müssen, General – wir m ü s s e n ! Welchen Sinn hätte es, den Antichrist zu besiegen, wenn es in einem unchristlichen Geist geschieht?«

GENERAL: »Ist es denn unchristlich, den Antichrist zu hassen?«

KAPLAN: »Es ist unchristlich zu hassen.«

GENERAL: »Ich weiß, aber …«

KAPLAN: »Ich gebe zu, es ist ein Dilemma.«

GENERAL: »Meinen Sie nicht, dieses ›Dilemma‹, wie Sie es nennen, könnte sich ziemlich … nun ja, ziemlich nachteilig auf den Kampfgeist unserer Soldaten auswirken?«

COLONEL: »Es ist nicht so sehr das Dilemma selbst, was zu Beeinträchtigungen führen könnte – wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, General –; es hängt eher davon ab, wie man es anspricht und interpretiert. Meiner Meinung nach ist es nicht notwendig und vielleicht sogar gefährlich, gewisse heikle Themen in einer Predigt vor der kämpfenden Truppe zu sehr hervorzuheben.«

GENERAL: »Ich vermute, der Colonel hat nicht so ganz unrecht. Sehen Sie, Kaplan – ein Soldat der kämpfenden Truppe ist ein rauer, einfacher Kerl, der ein raues, einfaches Leben führt. Über subtile moralische Fragen, wie Sie sie in Ihrer heutigen Rede aufgeworfen haben, macht er sich nicht viele Gedanken, ich denke da besonders an die Unterscheidung zwischen dem Feind als menschlichem Wesen und als Repräsentant gewisser böser Ideen. Für den schlichten kämpfenden Soldaten ist der Feind nichts als der Feind – mehr hat es damit nicht auf sich.«

KAPLAN: »Ich werde gründlich darüber nachdenken, was Sie gesagt haben, Sir. Vielleicht haben Sie Recht. Vielleicht war meine kleine Ansprache heute nicht … nicht psychologisch durchdacht. Mir scheinen diese Dinge vollkommen einfach. Ich befasse mich ständig mit Problemen dieser Art, deshalb rede ich darüber, als ob alle anderen das ebenfalls täten. Das ist vielleicht ein Fehler. Wenn ich in meiner Rede etwas gesagt habe, das einen schlechten Einfluss auf die Moral Ihrer Männer haben könnte, tut mir das leid, glauben Sie mir, General.«

GENERAL (sehr jovial): »Machen Sie sich keine Gedanken, Martin, alter Junge – wirklich, kein Grund zur Sorge! Es war eine schöne Rede – voller Denkanstöße, sehr inspirierend und erbaulich. Und was diese eine Sache angeht – über brüderliche Liebe und die Gefährlichkeit des Hasses – nun, vielleicht gehen Sie in Ihren zukünftigen Predigten etwas weniger ausführlich darauf ein.« (Er blickt auf die Uhr und springt auf.) »Herrje, schon zwölf Uhr! Höchste Zeit, dass ich zu meinen Landkarten und Berichten zurückkehre.«

KAPLAN (der ebenfalls aufgestanden ist, zugleich mit dem GENERAL und dem COLONEL): »Kein Feiertag für Sie, General?«

GENERAL: »Nein, Kaplan, auf mich wartet leider eine Menge Arbeit. Aber vielleicht mache ich auf dem Rückweg einen Abstecher in die Offiziersmesse und genehmige mir einen Drink mit den Jungs. Kommen Sie mit, Kaplan?«

KAPLAN: »Vielen Dank, Sir, aber ich trinke nicht. Außerdem muss ich zur Weihnachtsfeier im Dorf – Sie erinnern sich, für die hiesigen Kinder: Die Gattin des Majors rechnet mit mir als Weihnachtsmann, Zeremonienmeister, Hilfskellner und wer weiß was noch alles.«

GENERAL (lächelnd): »Aber haben Sie nicht gesagt, die Feier beginnt um drei Uhr?«

KAPLAN: »Das stimmt. Aber die Vorbereitungen! Nun, mein Freund Jack hier und ich –« (er zeigt auf den SERGEANT am Harmonium) – »wir müssen den Raum noch dekorieren, damit er ein wenig nach Weihnachten aussieht. Keine leichte Sache, Sir – das können Sie mir glauben!«


Sie gehen zur Tür.


COLONEL: »Wo wir vom Dorf reden, Kaplan – da fällt mir etwas ein, das ich mit Ihnen besprechen wollte. Sie verstehen sich mit den Spaghettis ganz gut, oder?«

KAPLAN: »Ja, ich glaube, das kann man sagen – zumindest mit einigen. Sehen Sie, die Leute haben ihren Priester verloren. Armer Kerl: versuchte, ein paar von unseren Jungs zu verstecken; wurde von der SS geschnappt. Sie haben ihn aufgehängt – mitten auf dem Marktplatz. Als abschreckendes Beispiel.«

GENERAL: »Schweinehunde.«

KAPLAN: »Dadurch hat die Gemeinde jetzt keinen Priester: deshalb versuche ich hin und wieder zu helfen. Nicht, dass ich für solch einen Job besonders qualifiziert wäre – im Gegenteil, mein Italienisch ist nämlich recht dürftig. Aber als befristeter ›Ersatz-Padre‹[7] komme ich wohl ganz gelegen.«

COLONEL: »Aber Sie sind doch kein Katholik.«

KAPLAN: »Das macht ihnen anscheinend nichts aus. Mir übrigens auch nicht. Schließlich sind wir alle Christen.«

COLONEL: »Genau. Ich dachte nur an die Unterschiede im Ritus der beiden Konfessionen … Aber zurück zur Sache. Was ich Sie fragen wollte, Kaplan, war ganz einfach, ob Ihnen unter den Dorfbewohnern einige … nun, einige verdächtige Gestalten aufgefallen sind.«

KAPLAN: »Verdächtige Gestalten? Bestimmt nicht. Wenn mir jemand aufgefallen wäre, hätte ich das gemeldet.«

COLONEL: »Natürlich. Ich dachte nur … nun, um es kurz zu machen, ich bitte Sie, die Augen offen zu halten. Es g i b t nämlich verdächtige Gestalten ausgerechnet in diesem Dorf – ob Sie sie nun bemerkt haben oder nicht.«

KAPLAN: »Tatsächlich? Na, ich nehme an, ihr Jungs vom G-2 würdet auch im Himmel noch Verbrecher finden.«

COLONEL: »Ich hoffe doch – falls der Hl. Petrus zugelassen hätte, dass sich Leute von der 5. Kolonne einschleichen.«

GENERAL: »Im Ernst, Kaplan: Sie müssen zugeben, dass irgendwas an der Geschichte um den verschwundenen Bürgermeister merkwürdig wirkt. Warum ist der Kerl abgehauen, als wir einrückten? Warum ist es nicht möglich, von den Dorfbewohnern etwas über seine Vergangenheit und seinen jetzigen Aufenthaltsort zu erfahren? Ich finde, die Sache stinkt – wenn Sie den Ausdruck verzeihen.«

KAPLAN: »Nach allem, was ich weiß, könnte der Bürgermeister tot sein. Er ist ganz einfach verschwunden: Ich glaube nicht, dass jemand aus dem Dorf uns sagen könnte, was mit ihm passiert ist. Vielleicht wurde er von den Nazis getötet, wie der unglückliche Priester.«

COLONEL: »Vielleicht ist er selbst ein Nazi?«

KAPLAN: »Könnte sein. Aber ehrlich gesagt glaube ich das nicht. Seine Frau scheint jedenfalls nichts Derartiges zu vermuten.«

COLONEL: »Was ist sie denn eigentlich für eine Frau?«

KAPLAN: »La Signora Silotti? Die ist in Ordnung. So zurückhaltend und harmlos, wie man nur denken kann. Eine gläubige Katholikin; ich glaube, sie stand dem verstorbenen Padre sehr nah.«

COLONEL: »Dem, den die SS erschossen hat? Dann ist sie wohl kaum eine Nazi-Sympathisantin.«

KAPLAN (lacht auf): »Signora Silotti – eine Nazi-Sympathisantin! … Entschuldigen Sie, Colonel, aber beim bloßen Gedanken muss ich lachen. Ach, das arme Ding – sie hat keinerlei politische Sympathien oder Antipathien. Wenn Sie das elende kleine Haus der Silottis kennen würden, Gentlemen – Sie würden diese armselige Familie niemals mit subversiven Aktivitäten in Verbindung bringen. Sie besteht ja nur aus der alten Frau – dem unschuldigsten, sanftmütigsten Wesen, das man sich denken kann – und einem unglücklichen, verkrüppelten Jungen, ungefähr siebzehn. Glauben Sie mir, Colonel, diese beiden haben mit den Verschwörungen der 5. Kolonne nichts zu tun.«

COLONEL: »Ich hoffe, Sie haben Recht, Kaplan. – Ich muss mich entschuldigen, General, Sie so lange aufgehalten zu haben.«

GENERAL: »Schon in Ordnung. Aber jetzt sollten wir lieber aufbrechen. Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten, lieber Martin.«

KAPLAN (öffnet den beiden Offizieren die Tür): »Vielen Dank, Sir. Ich bin sicher, mein Weihnachtstag mit den italienischen Kindern wird fröhlicher als Ihrer mit den italienischen Landkarten.«

GENERAL (mit einem Lächeln): »Mag sein, Kaplan, mag sein.«

COLONEL: »Und nicht vergessen, Kaplan, Augen auf! G-2 zählt auf Sie.«

KAPLAN: »Zu viel der Ehre, Colonel. Aber ich versuche, ein paar Spione für Sie zu fangen – als Weihnachtsgeschenk.«


BLENDE


6. AUSSEN, KAPELLE …: GENERAL und COLONEL gehen von der Kapelle zum Jeep des Generals. (Nahaufnahme der Markierung am Heck des Jeeps – ein goldener Stern auf rotem Grund –, die aussagt, dass der Wagen von einem Brigadegeneral genutzt wird.) Der FAHRER des Generals – ein junger Korporal, sehr sauber und ordentlich, trotz Schlamm, Schnee und Sturm – nimmt Haltung an, als sein Chef den Wagen besteigt. Nahaufnahme des weichen Kissens, das der Fahrer auf den Sitz des Generals legt. Der GENERAL setzt sich neben den FAHRER – der COLONEL setzt sich, eher unbequem, auf den Rücksitz.


Die Kamera folgt dem Jeep, der langsam an den Reihen der Zelte vorbeifährt. Der GENERAL unterhält sich mit dem COLONEL, muss jedoch immer wieder den Gruß von Soldaten und Offizieren erwidern.


GENERAL: »Ich hoffe, Martin macht sich nichts draus, dass ich mich in seine Angelegenheiten eingemischt habe. Es ging nicht anders.«

COLONEL: »Ich bin sehr froh, dass Sie mit ihm darüber gesprochen haben, Sir. Es war erforderlich, sehr sogar. Manche Dinge sollte sich auch ein Kaplan nicht herausnehmen dürfen. In meinen Augen hatte die Predigt heute eine beinahe … jawohl, eine beinahe pazifistische Tendenz!«

GENERAL (ständig Grüße erwidernd, mit einer automatischen, aber würdevollen Geste): »Pazifistisch? Das ist ein starkes Wort, Prickert …«

COLONEL: »Ich will nicht sagen, dass er es so g e m e i n t hat. Aber es ging in diese Richtung … ja, in der Tat, es hatte einen pazifistischen Beigeschmack. Es hat mich ziemlich geärgert, Sir.«

GENERAL: »Er ist trotzdem ein toller Kerl, Prickert. Wirklich, ich halte eine Menge von ihm. Und wissen Sie, die Männer tun das auch. Sie sind ganz vernarrt in ihn.«

COLONEL: »Keine Frage, Martin ist beliebt – vor allem bei den einfachen Leuten. Seine Worte haben einiges Gewicht: deshalb ist es so wichtig, die richtigen Worte zu wählen.«


Langsam durchquert der Jeep die »Zeltstadt«. In einer gewissen Entfernung kommt die Offiziersmesse in Sicht.


7. AUSSEN, OFFIZIERSMESSE …: Eine längliche Kombination aus mehreren gewöhnlichen Zelten, die miteinander verbunden sind. Die Kamera schwenkt vom Jeep des Generals und fährt über Gruppen von OFFIZIEREN unterschiedlichen Alters und Dienstgrads, die dem Eingang der Messe zustreben. Von drinnen sind laute Stimmen und Musik zu hören.


Ein MAJOR (an einen Lieutenant-Colonel gewandt): »Im Westen was Neues, Colonel?«

LT.-COLONEL: »Wenig Erfreuliches. Sieht nach einer regelrechten Offensive der Deutschen aus. Frage mich, was die vorhaben.«

MAJOR: »Den Krieg fortführen – was sonst? Das ist alles, was sie wollen: den Krieg am Laufen halten – um jeden Preis!«

LT.-COLONEL: »Und das gelingt ihnen! Sieht so aus, als würde dieser verdammte Krieg ewig dauern.«

MAJOR: »Diese Krauts! Verrückt – ja, das sind sie! … Nur Verrückte, Fanatiker, Verbrecher – allesamt!«


Sie haben den Eingang der Messe erreicht.


MAJOR: »Nach Ihnen, Colonel.«


Beide müssen sich bücken, als sie das Zelt durch eine niedrige, schmale Öffnung betreten, vor der zwei Zeltbahnen hängen.


SCHNITT AUF:


8. INNEN, OFFIZIERSMESSE …: Ein länglicher, voller Raum – halbdunkel, voller Rauch und Lärm. Ein primitiver Holzfußboden. An den Seiten des Zelts hängen Teppiche und einige gerahmte Varga-Girls aus dem ESQUIRE. Kübel mit verstaubten Palmen. Kerzenlicht. (Auf jedem Tisch steht eine brennende Kerze.) Laute Jazz-Musik aus einem großen Radio.

Die Kamera schwenkt über Gruppen trinkender OFFIZIERE – einige in Begleitung von KRANKENSCHWESTERN –, die an kleinen runden Tischen sitzen. Beim Schwenk der Kamera sind Gesprächsfetzen zu hören.


COLONEL (im Gespräch mit einem Lt.-Colonel): »Sie spielen offensichtlich auf Zeit: es m u s s also eine Geheimwaffe geben. Vielleicht die Atombombe?«

LT.-COLONEL: »Die Atombombe? Das glaube ich nicht. Das ist alles nur Propaganda. Mein Schwager hat Chemie studiert – ein Harvard-Mann: ziemlich schlauer Bursche, wissen Sie … Nun, er sagt, das ist einfach nicht möglich – die Kernspaltung, meine ich –: wissenschaftlich unmöglich – sagt mein Schwager …«

LIEUTENANT (an einem anderen Tisch; im Gespräch mit einer Krankenschwester): »Ich habe nicht gesagt, dass sie schöner ist als du, meine Liebe. Alles, was ich gesagt habe, war: Sie hat eine ziemlich gute Figur.«

KRANKENSCHWESTER (ziemlich beleidigt): »Na, wenn ihre Figur so wunderbar ist, warum hast du dann nicht s i e zum Weihnachtsessen eingeladen? Ich bin sicher, sie wäre l i e b e n d g e r n gekommen! Armes Ding, keiner geht mit ihr aus …«

MAJOR (an einem anderen Tisch, im Gespräch mit zwei Captains): »Und ich bleibe dabei, sie werden die V-2 in Italien einsetzen. Kesselring ist ein Fuchs: er wartet auf den richtigen Moment. Alles eine Frage des Timings …«

LIEUTENANT (an einem anderen Tisch, im Gespräch mit anderen Lieutenants): »Junge, das war ’ne heiße Nummer! Ich hab sie in Rom getroffen, im Excelsior. Es heißt, sie wäre eine polnische Gräfin.«

ANDERER LIEUTENANT: »Polnische Gräfin, von wegen! Das war ’ne abgebrühte alte Professionelle, oder ich will verdammt sein!«

LIEUTENANT: »Vielleicht war sie das – wo ist der Unterschied? Jedenfalls war ordentlich was an ihr dran. Junge, diese Kurven …« (Er pfeift bewundernd).

DRITTER LIEUTENANT: »Das reicht, Bruder! Hier im Schlamm will ich nicht über Sex reden. Lasst uns noch was trinken. Hey, Barkeeper – noch drei von den scheußlichen Cognacs!«

BARKEEPER (ein Sergeant – er trägt eine weiße Schürze über der Uniform und antwortet von der Bar aus): »Ja, Sir, noch drei scheußliche Cognacs. Pronto.«


Die Kamera schwenkt zur Bar im Hintergrund des Raums. An der Bar steht eine Gruppe von Offizieren – darunter der junge LIEUTENANT aus der Eröffnungsszene.


CAPTAIN: »Nein, ich bin ziemlich sicher, dass der alte Mann gegen Martins Weihnachtspredigt nichts einzuwenden hatte. Er hat seine eigene Art sich zu räuspern – ungefähr so …« (Er ahmt den General nach.) … »Mensch! Das heißt ganz klar ›no buono‹. Will sagen, ihm reißt gleich der Geduldsfaden.«

LIEUTENANT: »Was war denn falsch an der Predigt? Was ich gehört habe, klang ganz vernünftig.«

CAPTAIN: »’türlich war alles vernünftig. Kaplane sind immer vernünftig, oder? Martin besonders. Ein korrekter Kerl, könnte gar nichts Unvernünftiges anstellen. Nur was er da über den Hass sagt … Nun, wisst ihr, vielleicht ist er ein bisschen z u christlich – wenn man bedenkt, dass wir Krieg haben.«

ANDERER CAPTAIN: »Einige meinen, er übertreibt es mit der Menschenliebe. Scheint sich mit den Leuten vom Dorf bestens zu verstehen.«

LIEUTENANT: »Ich würde die Leute auch gern persönlich kennen lernen. Vielleicht schaue ich heute Nachmittag bei der Weihnachtsfeier im Haus des Bürgermeisters vorbei. Ich möchte gern wissen, wie die Menschen hier sind.«

CAPTAIN: »Also, Jimmy, weißt du denn nicht, dass die meisten Spaghettifresser zwei Nasen haben und einen Schwanz, und ein Extra-Auge auf der Stirn? Und was die Frauen angeht …« (Er flüstert dem anderen Captain etwas zu, und der erzählt den Witz seinem Nachbarn weiter. Sie lachen.)

LIEUTENANT: »Im Ernst, Jungs, als ich heute Morgen durchs Dorf gekommen bin, habe ich eine Gestalt am Straßenrand gesehen – ehrlich, wie aus einem Horrorfilm. Er hatte einen Buckel, aber das war noch nicht alles. Irgendwas war mit seinen Augen – keine Ahnung. Hab regelrecht ’ne Gänsehaut gekriegt.«

CAPTAIN: »Und was hast du getan? Ihm gesagt, er soll sein hübsches Gesicht jemand anderem zeigen?«

LIEUTENANT: »Sowas in der Art. Aber er fand das nicht lustig. Ich übrigens auch nicht. Ich habe ihn ausgelacht, aber ich gefiel mir selbst nicht dabei. Der Bursche tat mir leid. Albern, oder?«

CAPTAIN (trocken): »Genau. Aber mach dir keine Sorgen, Jimmy. Auch du wirst noch erwachsen – irgendwann einmal. Auf dein Wohl.« (Er hebt sein Glas.)

ANDERER CAPTAIN (hebt ebenfalls sein Glas; er spricht mit lauter, betrunkener Stimme – wendet sich an alle Anwesenden): »Ladies und Gentlemen! Freunde! … Ein kurzer Trinkspruch … mit Ihrer freundlichen Erlaubnis …«

STIMMEN (von verschiedenen Tischen): »Sei still! … Bloß keine Reden! … Lass ihm seinen Spaß! … Was soll’s?«

BETRUNKENER CAPTAIN: »Habt keine Angst, Ladies und Gentlemen … Das wird keine Rede – bestimmt: keine Rede, das verspreche ich. Was ich sagen will, ist … nun, um’s kurz zu machen … Ich hoffe, jeder von uns wird dabei sein, wenn wir nächstes Jahr Weihnachten feiern – in Bologna!« (Allgemeines, donnerndes Gelächter.)

BETRUNKENER CAPTAIN: »Auf Ihr Wohl, Ladies und Gentlemen …«


In dem Moment betritt der GENERAL die Messe – begleitet vom COLONEL. Ein OFFIZIER, der in der Nähe des Eingangs sitzt, ruft: »Ach-tung!« Alle stehen auf.


GENERAL: »Aber, Gentlemen, ich bitte Sie! … Behalten Sie Platz! Bitte rühren! Nur ein inoffizieller Besuch …«

BETRUNKENER CAPTAIN (vom Tresen, immer noch das Glas erhoben; mit irgendwie erstickter, unsicherer Stimme): »Auf Ihr Wohl, General …«


BLENDE


9. AUSSEN, KAPELLE …: KAPLAN und JACK (der Sergeant mit Brille) beladen einen Jeep mit Paketen, Konserven, Körben voller Backwaren, Orangen und Süßigkeiten.


KAPLAN (mit zufriedenem Blick auf die Sachen, die im Wagen aufgestapelt sind): »Es ist wundervoll, stimmt’s? So viele Sachen!«

JACK: »Sieht aus wie Dads Auto, wenn er am Tag vor Weihnachten aus der Stadt zurückkam. Wissen Sie, wir waren acht Kinder zu Hause – und außerdem die Landarbeiter und ihre Familien …«

KAPLAN: »Muss eine tolle Sache gewesen sein, Weihnachten auf dem wunderbaren alten Bauernhof deines Vaters! Aber mach ein fröhliches Gesicht, Jack, alter Knabe! Wir werden hier auch viel Spaß haben!«

JACK: »Und wie! … Ehrlich, Kaplan, ich freue mich auf dieses Kinderfest – als ob ich selbst noch ein Kind wäre.«

KAPLAN: »Das ist die richtige Einstellung! Das wird das Fest unseres Lebens, Jackie – du und ich! Haben wir das etwa nicht verdient? Es war schließlich kein Pappenstiel – im Apennin den Weihnachtsmann zu spielen!«

JACK: »Das stimmt – aber es war die Mühe wert.«

KAPLAN: »Du sagst es. – Alles drin? Dann los. Wir dürfen die Kinder nicht warten lassen.«

JACK: »Soll ich fahren?«

KAPLAN: »Ehrlich gesagt … wenn es dir nichts ausmacht … Du weißt, es ist viel Verkehr …«

JACK: »Wenn Sie mir nicht t r a u e n – bitte!«

KAPLAN (lachend): »Ich traue dir nun mal eher am Harmonium – das ist alles.«


Sie steigen in den Wagen und zwängen sich zwischen die Berge von Myrthe-verzierten Paketen und Körben. Der Wagen setzt sich in Bewegung.


10. STRADA STATALE 65 …: Zwischen dem Hauptquartier und dem Dorf. Verkehr und Matsch wie vorhin. Der Jeep des KAPLANS fährt langsam in einer endlosen Fahrzeugkolonne. Der KAPLAN und JACK sind beide über und über mit Schlamm bespritzt.


JACK (lacht über das schmutzige Gesicht des Kaplans):

»Mensch, Kaplan – seien Sie mir nicht böse, aber Sie sehen s c h o n sehr lustig aus!«

KAPLAN (mit gespieltem Ärger): »Und was meinst du, wie du aussiehst, wenn ich fragen darf, junger Freund? In meinem ganzen Leben habe ich kein schmutzigeres Gesicht gesehen! Und du wagst es … Mann, was für eine Straße! Ich hoffe nur, dass unsere Schätze nicht allzu schmutzig werden …«


Ein TRUPP GIs, die in einem offenen Lastwagen in der Gegenrichtung an ihnen vorbeifahren, bemerken das Zeichen für »KAPLAN« an der Front des Jeeps, sie winken und rufen.


GIs (aus dem Lastwagen): »Hallo, Kaplan! Fröhliche Weihnachten!«

KAPLAN: »Fröhliche Weihnachten, Jungs! Was macht der Krieg?«

GI (aus dem Lastwagen): »Alles unter Kontrolle.«

ANDERER GI: »Wann ist der Krieg vorbei, Kaplan?«

KAPLAN (lacht): »Das ist mein kleines Geheimnis, Jungs.«


Gelächter aus dem Lastwagen.


GI (aus dem Lastwagen): »Unterwegs nach Florenz, Kaplan?«

KAPLAN: »›Niente‹ Florenz. Wir fahren nur in das kleine Dorf dort drüben – ihr seid gerade hindurchgefahren.«

ANDERER GI: »Bestimmt ein toller Ort, um Weihnachten zu feiern.«

ERSTER GI: »Für wen sind die ganzen Pakete? Ich will ja nicht indiskret sein …«

KAPLAN: »Schon in Ordnung. Die Sachen sind für die Kinder aus dem Dorf – arme Kröten! Wir haben im Divisionshauptquartier für sie gesammelt. War ein toller Erfolg. Alle Jungs haben gegeben, was sie konnten.«

GI: »Häh – eine Sammlung? Für die kleinen Spaghettis?«

ANDERER GI: »Glaub auch, dass die das brauchen können. Sehen ziemlich verhungert aus – die meisten jedenfalls.«


Die GIs stecken die Köpfe zusammen – und flüstern. Dann:


ERSTER GI: »Nehmen Sie noch Spenden an, Kaplan?«

KAPLAN (strahlt vor Freude): »Klar, natürlich …«

GI (ein wenig verlegen): »Na ja, zufällig … wissen Sie, mehrere von uns haben Pakete von zu Hause bekommen … wer will schon ’ne Menge Zeugs mit sich rumschleppen? Besonders, wenn’s zur Front geht – da stört es ja nur. Wir haben deshalb gedacht … wenn Sie es brauchen können …«

JACK (begeistert): »Schmeißt es einfach rüber, Jungs! Wir können es brauchen, bestimmt!«


Die GIs werfen Päckchen (mit Süßigkeiten usw.) vom Lastwagen herunter in den Jeep, wo der KAPLAN und JACK aufgestanden sind und die Flut der Geschenke mit großer Geschicklichkeit entgegennehmen.


JACK: »Mensch, Jungs! Das ist super! Jetzt wird es wirklich eine g r o ß e Weihnachtsfeier!«

KAPLAN (die Arme voller Päckchen): »Danke, Jungs, danke! Ich wünsche euch viel Glück! Denkt dran, eine Schar von Kindern wird für euch beten, da drüben …« (Er zeigt in die Richtung, in der die verschwommene Silhouette des Dorfs zu sehen ist.)


Die Fahrzeugkolonnen setzen sich wieder in Bewegung.

Ausgehend vom Bild des KAPLANS, der mit Geschenken beladen im Wagen steht und zum Dorf zeigt, fährt die Kamera an einer langen Reihe von Fahrzeugen entlang, die nach Süden fahren: So gelangen wir in die Hauptstraße des Dorfes (dieselbe Straße, die der junge Lieutenant vor ein paar Stunden passiert hat).


11. DORFSTRASSE …: Wir befinden uns wieder vor dem Gebäude, das ein wenig besser erhalten ist als die anderen. Es ist ein einfaches, zweistöckiges Gebäude mit drei oder vier Fenstern zur Straße hin. Drei durch langen Gebrauch ganz abgewetzte Stufen führen zum Eingang hinauf – einer schönen alten Tür aus schwerem, geschnitztem Holz. Nahaufnahme des Türschilds, das das Gebäude als BÜRGERMEISTER BRUNO SILOTTIS Haus identifiziert.

Der junge BUCKLIGE aus der Eröffnungsszene (ERNESTO) steht neben der Tür, er lehnt an der Wand. Die Arme vor der Brust verschränkt und das Gesicht zu einer trotzigen Grimasse eingefroren, scheint er ganz in finstere Gedanken versunken.

Zwei herausgeputzte KLEINE MÄDCHEN überqueren mit vorsichtigen Schritten Hand in Hand die matschige Straße – gefolgt von einer großen, knochigen MATRONE in schwarzer Kleidung. Als die Frau an ERNESTO vorbei geht, blickt sie ihn zunächst nur schüchtern und misstrauisch an, doch dann entschließt sie sich doch, ihn zu grüßen.


MATRONE (auf Italienisch): »Guten Tag, Ernesto. Fröhliche Weihnachten.«


ERNESTO reagiert nicht. Die MATRONE und die KLEINEN MÄDCHEN betreten das Haus. ERNESTO bleibt allein zurück und starrt trübsinnig auf den nicht enden wollenden Verkehr. Dann erscheinen weitere KINDER – etwa sechs oder fünf: kleine Jungen und Mädchen. Sie werden von ihren älteren Brüdern begleitet – ZWEI JUGENDLICHEN von 16 und 17 Jahren. Einer der Jungs ist derjenige, der das »V«-Zeichen machte, als der Lieutenant vorbeifuhr.


ERSTER JUGENDLICHER (auf Italienisch): »Stehst du hier noch immer in der Kälte, Ernesto?«

ERNESTO (brummelt etwas Unverständliches – ohne den Jungen anzuschauen)

ZWEITER JUGENDLICHER (spricht mit den Kindern auf Italienisch): »Dann also auf Wiedersehen, Renato. Auf Wiedersehen, Madgalena, Anna, Adriano. Habt viel Spaß. Benehmt euch. Macht unserer Familie keine Schande. Ich würde ja so gern mitkommen.«

KLEINES MÄDCHEN: »Warum tust du es denn nicht, Luigi?«

LUIGI: »Ich bin nicht eingeladen.«

KLEINES MÄDCHEN: »Warum nicht?«

LUIGI: »Zu alt.«

KLEINES MÄDCHEN: »Mögen die Amerikaner keine alten Menschen?«

LUIGI: »Nein, sie mögen nur Kinder.«

KLEINES MÄDCHEN (kichert): »Wie komisch.«

ERSTER JUGENDLICHER: »Ihr geht jetzt besser rein, Kinder – sonst verpasst ihr noch die leckeren Sachen, die es zu essen gibt.«

KLEINER JUNGE: »Was geben sie uns denn, Umberto? Chewing Gum?«

UMBERTO: »Ich glaube schon.«

ANDERER KLEINER JUNGE: »Und Caramelli?«

KLEINES MÄDCHEN: »Und diese wunderbare Wurst – wie heißt die noch mal?«

LUIGI: »Spam. Ja, Spam schmeckt wunderbar – besser als Salami.«

UMBERTO: »Ich bin sicher, es gibt jede Menge Spam und Chewing Gum und Caramelli. Sie haben a l l e s, die Amerikaner.«

LUIGI: »Zu dumm, dass wir so schrecklich alt sind, Umberto.«

UMBERTO: »Bist du sicher, dass sie uns nicht reinlassen?«

LUIGI: »Was für eine Frage! Das ist doch ein Kinderfest – und wir sind erwachsene Männer!«

UMBERTO (seufzt): »Das stimmt.«

LUIGI (zu den Kindern): »Ihr könnt uns aber etwas zu essen mitbringen. Ihr wisst schon – etwas Spam, ein paar Stücke Kuchen: was ihr eben kriegen könnt.«

UMBERTO: »Das ist eine großartige Idee. Steckt es einfach in eure Taschen: die Amerikaner merken das nicht.«

LUIGI: »Nein, bestimmt nicht – wenn ihr vorsichtig und clever seid! Eine unvorsichtige oder ungeschickte Bewegung kann alles verderben.«

KLEINES MÄDCHEN: »Aber warum sollen die Amerikaner denn nicht wissen, dass ihr ihren Spam und das Chewing Gum probieren wollt?«

LUIGI: »Es wäre wür-de-los.«

KLEINES MÄDCHEN: »Was ist das denn?«

LUIGI: »Ach, egal. Du bist noch nicht alt genug, um solche Sachen zu verstehen.«

KLEINES MÄDCHEN: »Aber Luigi! Wenn ich alt bin, laden mich die Amerikaner nicht mehr zu ihren Feiern ein. Ist das würde-los?«

UMBERTO: »Ach, sei still! Hauptsache, ihr besorgt uns den Spam und etwas Kuchen.«

KLEINES MÄDCHEN: »Wir versuchen es.«

KINDER (ein Chor kleiner piepsiger Stimmen): »Auf Wiedersehen.«


In einer steifen kleinen Prozession verschwinden sie im Haus. ERNESTO, der dem Gespräch mit vor Verachtung verzerrtem Gesicht zugehört hat, spuckt aus und grinst spöttisch.


ERNESTO: »Ihr solltet euch schämen.«

LUIGI: »Warum, Umberto?«

UMBERTO: »Achte nicht auf ihn, Luigi. Er hat mal wieder eine seiner Launen.«

ERNESTO: »Von Würde zu reden! Was für ein Witz!«

LUIGI: »Wirklich, Ernesto – ich verstehe nicht, wovon du sprichst.«

ERNESTO (lacht noch immer aus einer hysterischen Wut heraus): »Würde, also wirklich! Vom Feind milde Gaben annehmen – das ist würdevoll, nehme ich an? Euren kleinen Brüdern und Schwestern zu zeigen, wie man stiehlt und betrügt – das ist würdevoll, oder?«

UMBERTO (nähert sich ihm drohend): »Also, das reicht jetzt, Ernesto! Ich erlaube niemandem zu sagen, ich würde meinen kleinen Brüdern und Schwestern böse Dinge beibringen. Meinst du, du kannst dir alles herausnehmen, nur weil du einen Buckel hast …?«

ERNESTO (mit einem schrillen Schrei): »Buckel! Oh, du … du …« (Er reißt sich mit sichtbarer Anstrengung zusammen und läuft – mit knirschenden Zähnen – auf die Haustür zu. Als er die Tür erreicht hat, dreht er den Kopf zu den beiden Jungen um und sagt mit kalter, heiserer Stimme:) »Danke, dass du mich daran erinnerst, Umberto.«

(Er betritt das Haus.)


Die ZWEI JUNGEN bleiben verdutzt zurück – sie grinsen sich unsicher an.


LUIGI: »Das hättest du nicht sagen sollen, Umberto.«

UMBERTO: »Ich weiß. Aber er k a n n einen auch verrückt machen, oder?«

LUIGI: »Das kann er, bestimmt. Er ist aber ein schlauer Kerl. Vergiss nicht, er hat mehr Grips als irgendwer sonst im Dorf.«

UMBERTO: »Vielleicht hat er das. Trotzdem sollte er nicht so tun, als wäre er unser Duce oder so etwas Ähnliches. Seitdem er aus Bologna zurückgekommen ist, hat er solche Allüren …«

LUIGI: »Sein Vater ist schuld daran: So, wie der ihn erzogen hat …«

UMBERTO: »Lass uns nicht über Vater Silotti reden: das ist ein unerfreuliches Thema.«

LUIGI: »Würdest du denn nicht gern wissen, wo er ist?«

UMBERTO: »Ich glaube, ich weiß, wo er ist: bei den Faschisten.«

LUIGI: »Verrückt, so was zu machen, oder?«

UMBERTO: »Vielleicht gar nicht verrückt – von ihrem Standpunkt aus. Siehst du, wenn die Faschisten gewinnen, dann haben Leute wie die Silottis – Vater und Sohn – hier das Sagen.«

LUIGI: »Der kleine Ernesto hat das Sagen? Was für ein Gedanke! Stell dir das vor!«


Er imitiert ERNESTOS Art zu gehen und zu gestikulieren. Sie lachen.


BLENDE.


12. INNEN, HAUS DES BÜRGERMEISTERS …: Ein großer Raum unten. Steinfußboden; offener Kamin, in dem ein schwaches Feuer brennt. Niedrige Decke. Im Hintergrund führt eine Treppe ins Obergeschoss. Die Küchentür steht halb offen.

Es gibt nur wenige Möbel (ein schwerer Tisch, einige Stühle) –: alles ist an die Wände geschoben worden, um Platz für das Fest zu schaffen. Der Raum sieht allerdings noch nicht sehr weihnachtlich aus – mit Ausnahme eines kleinen dürren Weihnachtsbaums.

Trübes Zwielicht. Bedrückte Stimmung.

Die knochige MATRONE und die ZWEI KLEINEN MÄDCHEN, die wir beim Eintreten gesehen haben, sitzen auf drei Stühlen entlang der Wand. Von ihnen entfernt in einer Ecke die Gruppe der KINDER, die mit ihren älteren Brüdern angekommen waren: schweigend, zusammengedrängt, als würden sie einen aufkommenden Sturm erwarten. ERNESTO steht reglos am Kamin – den anderen den Rücken zugewandt; er wärmt sich die Hände an der Flamme.

Nach langem, versteinertem Schweigen beginnt eins der zwei KLEINEN MÄDCHEN zu sprechen, mit hoher, piepsiger Stimme – sie wendet sich ängstlich an ihre Mutter, die knochige MATRONE.


KLEINES MÄDCHEN: »Wo sind die Amerikaner, Mama?«

MATRONE: »Noch nicht da, Kind.«

KLEINES MÄDCHEN: »Wo sind die Caramelli?«

MATRONE: »Die Amerikaner bringen die Caramelli mit, Kind.«

KLEINES MÄDCHEN: »Wann kommen die Amerikaner denn?«

MATRONE: »Wenn die Feier beginnt.«

KLEINES MÄDCHEN: »Und wann beginnt die Feier?«

MATRONE: »Bald. Wir sind zu früh. Ich fand es klug, früh da zu sein, damit wir nichts verpassen. Jetzt hab Geduld und rede nicht so viel.«

KLEINES MÄDCHEN (weinerlich): »Ich will Caramelli.«

ANDERES KLEINES MÄDCHEN (fällt in das Gejammer ein): »Ich will mit den Amerikanern tanzen. Mama, du hast versprochen, dass die Amerikaner mit mir tanzen.«


ERNESTO, noch immer mit dem Rücken zu den anderen, weicht zurück.


MATRONE: »Geht es dir nicht gut, Ernesto?«

Ohne zu antworten eilt ERNESTO zur Treppe. Als er an der Küchentür vorbeikommt, hört man die Stimme seiner MUTTER.


SIGNORA SILOTTIS STIMME: »Ernesto, mein Sohn! Komm einen Augenblick her – tust du das?«

ERNESTO (zögert, dann, mit heiserer Stimme): »Ja, Mutter.« (Er öffnet die Küchentür.)


SCHNITT AUF:


13. INNEN, KÜCHE …: Ein kleiner Raum, die Hälfte des verfügbaren Platzes wird von einem enormen, rußgeschwärzten Herd eingenommen, die andere Hälfte ist mit altertümlichen Küchengeräten aller Formen und Größen vollgestopft – Pfannen, Töpfe, Geschirr.

Umgeben von so vielen klobigen und glänzend polierten Gegenständen, wirkt SIGNORA SILOTTI erst recht klein und farblos. Sie ist eine abgearbeitete kleine Frau, die viel älter aussieht, als sie tatsächlich ist (nämlich ungefähr 55), mit runzligem, besorgtem, großäugigem Gesicht, das von fast weißem Haar eingerahmt wird.

Sie steht vor einem offenen Schrank voller altmodischem Porzellan und Silbergeschirr mit dem Rücken zu ERNESTO, der langsam und widerstrebend eintritt.

Nahaufnahme von SIGNORA SILOTTI[8] – ihr Gesicht ist angespannt vor Erwartung und Sorge, während ihre Hände mechanisch Tassen und Löffel auf ein großes hölzernes Tablett stapeln. Die Kamera schwenkt auf ERNESTO – sie zeigt seine kantigen, verkrampften Züge, die sich etwas lockern und aufhellen, während er schweigend den gebeugten, müden Rücken seiner Mutter anstarrt. Lange Zeit herrscht Schweigen.


SIG. SILOTTI: »Fröhliche Weihnachten, mein Sohn.«

ERNESTO: »Danke, Mutter.«

SIG. SILOTTI: »Neuigkeiten?«

ERNESTO: »Neuigkeiten – von wem?«

SIG. SILOTTI: »Du verstehst mich sehr gut.«

ERNESTO (mit unterdrückter Irritation): »Wie oft muss ich dir sagen, Mutter, dass ich von Vater seit dem Tag, an dem er gegangen ist, nichts mehr gehört habe. Ich weiß nicht, wo er ist.«

SIG. SILOTTI (dreht sich plötzlich um und sieht ihren Sohn direkt an): »Aber du weißt, dass er noch am Leben ist, oder?«

ERNESTO: »Ich weiß gar nichts, Mutter – wirklich. Wenn ich Informationen hätte – ich würde sie bestimmt nicht vor dir verbergen. Warum sollte ich?«

SIG. SILOTTI (sieht ihn immer noch an): »Ja – warum solltest du?«

ERNESTO (fühlt sich unter ihrem forschenden Blick unbehaglich): »Doch unglücklicherweise gibt es nichts – keine Botschaft, kein Lebenszeichen …«

SIG. SILOTTI (mit einem Seufzer): »Ich verstehe.« (Sie setzt sich auf einen kleinen Hocker neben den Herd – plötzlich todmüde.)


Schweigen. Dann:


SIG. SILOTTI: »Ich habe dich nicht in der Kirche gesehen.«

ERNESTO: »Ich gehe nie zur Kirche, Mutter – das weißt du.«

SIG. SILOTTI: »Auch nicht an Weihnachten?«

ERNESTO: »Die christlichen Feiertage bedeuten mir nichts. Und außerdem, selbst wenn ich das Bedürfnis hätte zu beten – wir haben keinen Ort, um Gott zu verehren. Der Feind hat unsere Kirche zerstört.«

SIG. SILOTTI: »Eine halb zerstörte Kirche ist besser als gar keine.«

ERNESTO: »Wir haben auch keinen Priester.«

SIG. SILOTTI: »Weil unser Padre von schlechten Menschen ermordet wurde.«

ERNESTO: »Er wurde nicht ermordet: Er bekam eine gesetzliche Gerichtsverhandlung, wurde verurteilt und bestraft. Seine Schuld stand außer Zweifel.«

SIG. SILOTTI: »Seine Schuld? Ach, Sohn, Sohn … Er war ein heiliger Mann, ein Heiliger. Wie könnte ein Heiliger schuldig werden?«

ERNESTO (heftig): »Begreifst du denn nicht, Mutter, dass dein Heiliger für den Feind gearbeitet hat? Ein Verräter, das war er, dein heiliger Mann. Ein Schuft, einer von der 5. Kolonne …«

SIG. SILOTTI (unterbricht seinen Ausbruch mit überraschender Autorität): »Hör auf, Sohn, das reicht.«

ERNESTO (brummt): »Na gut, reden wir nicht darüber.«


Wieder Schweigen; dann:


ERNESTO: »Wer hat denn heute Morgen die Messe gelesen?«

SIG. SILOTTI: »Es gab keine Messe. Nur Gebete, Lieder und eine Predigt.«

ERNESTO: »Und die Predigt – wer hat die gehalten?«

SIG. SILOTTI: »Unser amerikanischer Freund.«

ERNESTO (spöttisch): »Der Kaplan? Das ist ja gediegen, ich muss schon sagen! Ein Kerl, der die Uniform des Feindes trägt – predigt in einer Kirche, die dieser Feind zerstört hat! Was für eine Ironie! Was für eine Beleidigung! Und er ist nicht einmal katholisch …«

SIG. SILOTTI: »Katholisch oder nicht – Amerikaner oder nicht: Er ist ein guter Mensch, ein guter Christ, sehr hilfsbereit und freundlich. Ich bin mir sicher, du wirst ihn mögen.«

ERNESTO: »Wovon redest du? Ich werde diesen Herrn nicht kennenlernen.«

SIG. SILOTTI: »Doch, das wirst du. Er wird jeden Moment hier sein. Weißt du, er war es, der das Kinderfest heute Nachmittag vorbereitet hat.«

ERNESTO: »Du hast doch wohl nicht erwartet, dass ich an dieser lächerlichen Wohltätigkeitsveranstaltung teilnehme, Mutter?«

SIG. SILOTTI: »Warum, natürlich, Ernesto! Es wird ein schönes Fest, mit viel amerikanischem Essen, mit heißer Schokolade und anderem mehr. Natürlich musst du kommen. Bei einer Weihnachtsfeier in unserem eigenen Haus fortzubleiben – was für ein Gedanke!«

ERNESTO: »Ich kann das nicht, Mutter. Das kommt nicht in Frage.«

SIG. SILOTTI: »Ernesto, bitte! Komm doch! Lass es dir mit uns zusammen gut gehen! Befreunde dich mit dem Kaplan und den anderen Amerikanern! Sei ein guter Junge! Bitte!«

ERNESTO: »Besteh nicht darauf, Mutter: Ich kann nicht …«

SIG. SILOTTI: »Tu es mir zuliebe, Ernesto! Es ist das einzige Weihnachtsgeschenk, um das ich dich bitte …«

ERNESTO (schreit heraus): »Ich kann nicht!«

SIG. SILOTTI (erschrocken – ihre Stimme zittert vor Angst und Zuneigung): »Was ist denn nur? … Erzähl mir alles … Sag es deiner Mutter, Ernesto … Was ist denn nur, mein armer kleiner Junge?«

ERNESTO (mit einem noch heftigeren Aufschrei): »Nenn mich nicht deinen armen kleinen Jungen! Ich ertrage es nicht. Ich will kein Mitleid – nicht von dir und nicht von den Amerikanern!«

SIG. SILOTTI: »Warum sollte dich denn jemand bemitleiden? Du bist klug, hast einen scharfen Verstand und Mut: Du wirst es weit bringen, eine große Karriere machen …«

ERNESTO: »Ach, hör auf, Mutter, hör auf! Wie soll ich denn Karriere machen, wenn der Feind gewinnt? Das ist das Ende – verstehst du das nicht, Mutter? Es ist das Ende meiner Hoffnungen, meiner Ambitionen – das Ende von Italien: das Ende von Allem …«

SIG. SILOTTI: »Beruhige dich, Ernesto! Sprich nicht so laut. Man könnte dich nebenan hören …«

ERNESTO: »Und wenn sie mich hören – was macht das schon? Ist es eine Schande, Patriot zu sein? Ist es ein Verbrechen, auf den Sieg des eigenen Landes zu hoffen? Wir haben diesen Krieg nämlich noch nicht verloren! Und wir werden ihn nicht verlieren – nein!« (Er ballt die Fäuste.) »Egal, wie finster die Aussichten im Moment sein mögen – der Sieg wird uns gehören! Sie werden sich wundern – die Plutokraten, die Juden, die Bolschewisten, die Lügner, die Heuchler …«

SIG. SILOTTI: »Warum hasst du sie so?«

ERNESTO: »Weil sie uns zerstören wollen – und sich zugleich als Befreier aufspielen. Weil sie unsere Kirchen bombardieren – und dann predigen sie brüderliche Liebe von der zerstörten Kanzel. Weil sie unsere Kinder töten – und dann füttern sie sie mit Caramelli. Weil sie ständig über Toleranz reden – und dann lachen sie … und lachen … über einen Krüppel.« (Seine Stimme ist tränenerstickt.)

SIG. SILOTTI: »Wer lacht …? Was für ein Krüppel …? Ich verstehe nicht …«

ERNESTO: »Erst heute Morgen … Einer ihrer Offiziere – er fuhr im Jeep vorbei … Einer dieser arroganten jungen Kerle: gute Figur, gut genährt, gut gekleidet – ein wahrer Plutokrat … Ich stand zufällig an der Straße – hab nichts gemacht. Und dieser Lieutenant – dieser Gauner in seinem Jeep – er sah mich an und lachte – lachte einfach über mich – haha-ha –: ungefähr so …« (Wütend äfft er das Lachen des Lieutenants nach.)

SIG. SILOTTI: »Wahrscheinlich wollte er dich nicht beleidigen … Ich bin sicher, das wollte er nicht! Er hat nur gelacht, weil er an etwas Komisches gedacht hat …«

ERNESTO: »Aber Mutter, verstehst du denn nicht? I c h war es, den er so komisch fand! Er hat auch nicht nur gelacht – oh nein! Er hat Grimassen geschnitten, so …« (Er imitiert die Grimassen des Lieutenants.) »Und dann nannte er mich bucklig … so laut, dass jeder es hören konnte … er sagte es mir ins Gesicht, bucklig … ich verstehe nicht viel von ihrer Sprache, aber d a s Wort kenne ich: HUNCHBACK, HUNCHBACK, HUNCHBACK …« (Er wiederholt das Wort in Englisch.)

SIG. SILOTTI: »Vielleicht hatte er zu viel Weihnachtspunsch getrunken … Oder er war nur ein dummer, alberner Junge … In jedem Land gibt es schlechte Menschen …«

ERNESTO (ohne zuzuhören): »Bucklig – mir direkt ins Gesicht …: Das ist ihre Toleranz, das ist ihre brüderliche Liebe …«

SIG. SILOTTI: »Du wirst andere Amerikaner kennenlernen – freundliche, großzügige Menschen. Kaplan Martin zum Beispiel …«

ERNESTO: »Ich werde ihn nicht kennenlernen. Du musst mich jetzt entschuldigen, Mutter. Ich muss arbeiten.«

SIG. SILOTTI: »Arbeiten? An Weihnachten?«

ERNESTO: »Es muss heute gemacht werden.«

SIG. SILOTTI: »Komm wenigstens kurz herunter, wenn die Kinder da sind – wirst du das für mich tun, Ernesto? Nur auf eine Tasse heiße Schokolade …«

ERNESTO: »Die würde mir wie Gift schmecken, weil ich weiß, dass sie amerikanisch ist. Auf Wiedersehen, Mutter.« (Schon in der Tür, dreht er sich um und kommt zurück, um seine Mutter auf unbeholfene, verlegene Weise zu umarmen. Dabei sagt er mit sanfter Stimme:) »Sei mir nicht böse, Mutter. Und – fröhliche Weihnachten.« (Er verlässt eilig den Raum – offenbar schämt er sich für seine zärtlichen Gefühle.)


SCHNITT AUF:


14. INNEN, GROSSER RAUM (wie in Szene 12) …: Die Zahl der KINDER hat inzwischen zugenommen. Sie stehen oder sitzen noch immer schüchtern in schweigenden Gruppen zusammen. Einige schwarz gekleidete MÜTTER besetzen die Sessel am Kamin. ERNESTO kommt aus der Küche und geht zur Treppe – er bewegt sich langsam, den Kopf gesenkt, als wäre er in Gedanken versunken. In dem Moment bemerkt ein KLEINES MÄDCHEN – das am Fenster Wache gehalten hat – draußen den Jeep des Kaplans und ruft begeistert:

KLEINES MÄDCHEN: »Er kommt! Er ist da! Mister Padre ist da …«


Als ERNESTO das hört, eilt er nach oben – er nimmt die steilen Stufen überraschend behende. Die Kamera folgt ihm, wie er in der Dunkelheit des Obergeschosses verschwindet.

Dann kehrt die Kamera in den großen Raum zurück, wo sich die Kinder an der offenen Tür versammelt haben. Ein vielstimmiger Chor junger Stimmen heißt den KAPLAN willkommen, der sich noch draußen befindet.


KINDER: »Frohe Weihnachten, Mister Padre … Seht nur, der Jeep: voller Caramelli …«


Von der Gruppe der winkenden, plappernden KINDER in der offenen Tür.


SCHNITT AUF:


15. AUSSEN, STRASSE …: Der Jeep des KAPLANS parkt vor dem Haus. LUIGI und UMBERTO sehen zu, wie der KAPLAN und JACK aus dem Wagen steigen.


KAPLAN (winkt den Kindern zu – er spricht einigermaßen fließend Italienisch mit starkem amerikanischem Akzent): »Hallo Kinder! Fröhliche Weihnachten! Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber es war so viel Verkehr, dass wir kaum vorwärtskamen. Die Engländer tranken Tee mitten auf der Straße …«


Eine Prozession UNIFORMIERTER KINDER – kleine Schüler und Schülerinnen einer katholischen Schule – nähert sich dem Gebäude. Die Kolonne schwarz gekleideter Kinder geht sehr korrekt in Reih und Glied den Bürgersteig entlang, vor und hinter ihnen NONNEN.


KAPLAN (begrüßt sie auf Italienisch): »Seht nur, wer da kommt! Meine speziellen Freunde – schön, euch zu sehen! Fröhliche Weihnachten, Ladies und Gentlemen!«


Einige der uniformierten KINDER lächeln ein wenig; aber sie setzen ihren Marsch mit beachtlicher Disziplin fort, angeführt von den wachsamen NONNEN.


KAPLAN (auf Italienisch): »Nanu, Kinder, seid ihr gar nicht neugierig darauf, was sich in all diesen wundervollen Körben und Paketen befindet? Oder seid ihr zu ernsthaft um euch um so etwas wie Kuchen, Apfelsinen, Caramelli, Schokolade und Kaugummi zu kümmern?«


Als die SCHÜLER der Kirchenschule diese magischen Worte hören, ist es vorbei mit ihrem steifen Gehabe und sie stürmen auf den Jeep zu – mit wilden Ausrufen:


UNIFORMIERTE KINDER: »Apfelsinen … Kuchen … Kaugummi … Ist das alles für uns, Mister Padre?«


Die mutigsten von ihnen versuchen, sich einige der Pakete zu schnappen, aber JACK drängt sie zurück.


JACK (auf Englisch): »Immer mit der Ruhe, Kinder – nur immer mit der Ruhe, ja? Jeder bekommt etwas ab, versteht ihr? Also immer mit der Ruhe!«


Die anderen KINDER, die in der offenen Tür gestanden haben, gesellen sich zu den Schülern der katholischen Schule.

Die ganze Schar der Kinder ist um den Jeep versammelt und ruft: »Bonbons … Kaugummi … Caramelli …«

Sowohl die NONNEN, die den Trupp angeführt haben, als auch die MÜTTER, die in der Tür stehen, sind erschrocken und schockiert von dem Spektakel.


NONNE: »Kinder! Wie könnt ihr …! Hört auf! Kommt sofort zurück!«

MUTTER: »Kommt zurück! Sofort!«

ANDERE NONNE: »Lasst den Jeep in Ruhe! … Benehmt euch! Sonst gibt es keine Weihnachtsfeier!«


Die KINDER ziehen sich schnell eingeschüchtert vom Jeep zurück.


ERSTE NONNE (an den Kaplan gewandt): »Es tut mir s o leid, dass sie Ihnen Unannehmlichkeiten gemacht haben, Mister Padre. Es sind gute Kinder, im Allgemeinen. Aber sobald sie das Wort Caramelli hören, scheinen sie den Verstand zu verlieren.«

KAPLAN (lachend; auf Italienisch): »Das macht doch nichts, Schwester, das macht doch nichts: Es ist ja nichts passiert, alles ist vollkommen in Ordnung. Außerdem bin ich es, der die Schuld an der ganzen Aufregung trägt: Ich hätte nicht so mit den Kindern reden sollen …«

NONNE: »Sie sind eben zu gut zu ihnen, Mister Padre.«

KAPLAN (an die Kinder gewandt; auf Italienisch): »Beeilt euch, Kinder! Zurück ins Haus! Ihr erkältet euch hier draußen, in diesem eisigen Wind. Ich bin in einer Minute bei euch: Lasst nur Jack und mich diese Sachen abladen.«


Die KINDER werden wie eine Herde Schafe von den NONNEN und MÜTTERN ins Haus getrieben. Der KAPLAN und JACK beginnen damit, den Jeep abzuladen. LUIGI und UMBERTO, die die vorige Szene amüsiert beobachtet haben, kommen näher – ängstlich und verlegen.


LUIGI (auf Italienisch): »Mister Padre … bitte …«

KAPLAN (auf Italienisch): »Was ist denn, Junge?«

LUIGI: »Mein Freund Umberto und ich … wir würden gern … wenn wir dürfen … wir würden gern beim Abladen helfen.«

KAPLAN (auf Italienisch): »Aber natürlich, Jungs. Sehr nett von euch.«

JACK (an den Kaplan gewandt; auf Englisch): »Was will er denn?«

KAPLAN (auf Englisch): »Nichts. Sie wollen nur helfen.«

JACK: »Na, ich weiß nicht. Die Sache hat bestimmt einen Haken. Warten Sie’s ab.«

UMBERTO (trägt Pakete; auf Italienisch): »So viele Sachen. Ganz bestimmt wundervolle Sachen.«

KAPLAN (auf Italienisch): »Ich hoffe, dass es gute Sachen sind.«

LUIGI: »Wenn wir nur einen Blick darauf werfen dürften …«

KAPLAN: »Einen Blick drauf werfen? Das dürfte kein Problem sein. In ein paar Minuten werden all diese Pakete aufgemacht.«

UMBERTO: »Ja, aber dann sind wir nicht dabei.«

KAPLAN: »Warum nicht?«

LUIGI: »Weil das drinnen im Haus stattfindet.«

KAPLAN: »Und warum kommt ihr nicht hinein?«

LUIGI: »Weil wir zu alt sind.«

KAPLAN: »Zu alt – wozu?«

UMBERTO: »Zu alt, um zu einem Kinderfest eingeladen zu werden.«

KAPLAN (lachend): »Unsinn. Kommt einfach mit, Jungs. Das heißt, falls ihr nicht zu stolz seid, zusammen mit den Kindern zu feiern«

LUIGI und UMBERTO (gleichzeitig): »Nein, wir sind nicht zu stolz … Dürfen wir wirklich mitkommen? … Danke, Mister Padre, danke …«


Von nun an geht das Abladen des Jeeps sehr schnell vor sich. LUIGI und UMBERTO eilen schwer beladen zum Haus. Der KAPLAN und JACK folgen, die Arme voller Pakete.


KAPLAN (an Jack gewandt; auf Englisch): »Ich glaube, ich habe den Haken entdeckt. Eine förmliche Einladung zu unserer Weihnachtsfeier – darum ging’s den beiden Burschen!«

JACK: »Ich wusste, dass sie uns nicht aus lauter Freude an der Sache helfen.«


Sie haben das Haus erreicht.


SCHNITT AUF:


16. INNEN; HAUS …: Der große Raum wie zuvor – jetzt komplett angefüllt mit KINDERN, MÜTTERN und NONNEN. Das Feuer im Kamin ist ausgegangen. Es wird dunkel.


KAPLAN (kommt mit Paketen beladen herein; fröhlich, auf Italienisch): »Da bin ich endlich! Keine Kerzen, kein Feuer, kein Weihnachtsschmuck? Na, dann an die Arbeit – und zwar alle!« (An JACK gewandt; auf Italienisch): »Pack zuerst die Kerzen aus …«

JACK (sehr verdutzt und beleidigt): »Also, Kaplan, wirklich! Wofür halten Sie mich? Einen Ihrer Spaghettis, oder was?«


Allgemeine Heiterkeit über den Fehler des Kaplans.


KAPLAN (an Jack gewandt; auf Englisch): »Verzeih mir bitte, alter Junge … Was für ein dummer Fehler! Anscheinend bin ich völlig durcheinander … Nun, was ich sagen wollte: Lasst uns zuerst die Kerzen auspacken und den Christbaumschmuck …«

JACK (brummt): »So ist’s besser. Das kann man wenigstens verstehen.«

KAPLAN (öffnet Pakete): »Genau, und Holz, Jackie – Holz ist wichtig! Viel Holz für den Kamin! Ich hoffe nur, dass noch etwas Hitze im Herd ist, um den Kakao aufzuwärmen … Wo ist denn unsere Gastgeberin?« (Wiederholt die Frage auf Italienisch:) »Wo ist Signora Silotti?«


Verlegenes Schweigen. Die FRAUEN aus dem Dorf tauschen heimlich Blicke, zucken mit den Schultern, vermeiden es, den Kaplan anzuschauen. Schließlich hat die knochige MATRONE den Mut zu sprechen.


MATRONE (auf Italienisch): »Wir haben sie bisher noch nicht gesehen. Sie ist wahrscheinlich in der Küche.«

KAPLAN (auf Italienisch): »In der Küche?« (An Jack gewandt; auf Englisch:) »Das ist eigenartig.« (An die andern gewandt; auf Italienisch:) »Wenn ihr mich eine Minute entschuldigen würdet …« (Er geht zur Küchentür, öffnet sie – und ist offenbar verwirrt durch das, was er sieht. Er wendet sich um zu den Anwesenden und sagt auf Italienisch:) »Nur einen Augenblick, bitte …« (Dann an Jack gewandt; auf Englisch:) »Fang einfach schon mal damit an, den Weihnachtsbaum zu schmücken. Ich bin gleich zurück.« (Geht in die Küche.)


SCHNITT AUF:


17. INNEN, KÜCHE …: SIGNORA SILOTTI sitzt neben dem Herd, sie hat das Gesicht in den Armen verborgen – sie weint. Der KAPLAN, der gerade den Raum betreten hat, steht neben der Tür – er betrachtet sie mit tiefem Mitleid.


KAPLAN (auf Italienisch): »Aber, meine liebe Signora – kommen Sie, kommen Sie … An Weihnachten weinen – was soll das denn?«

SIG. SILOTTI (steht auf, sobald sie seine Stimme hört; ihr faltiges Gesicht ist tränennass): »Oh, Mister Padre … Kaplan … es tut mir so leid … ich …«

KAPLAN: »Was ist passiert, Signora Silotti? Was stimmt denn nicht?«

SIG. SILOTTI (bricht wieder in Tränen aus): »Ich kann einfach nicht mehr … ich kann nicht …«

KAPLAN (führt sie behutsam zurück zu dem kleinen Hocker, auf dem sie gesessen hat): »Kommen Sie, kommen Sie … Beruhigen Sie sich. So ist’s besser. Und jetzt trocknen wir uns die Tränen und machen uns wieder hübsch. Wo ist das Taschentuch?«

SIG. SILOTTI (zieht ein großes buntes Taschentuch heraus)

KAPLAN (nimmt das Taschentuch, aber es ist schon ganz nass. Lächelnd sagt er, immer auf Italienisch): »Damit kann man nichts mehr anfangen, oder? Na, schauen wir mal, ob mein Taschentuch noch in vorzeigbarem Zustand ist …« (Er mustert sein Militär-Taschentuch.) »Es ist leider nicht sehr sauber; aber in einem Notfall …« (Er wischt ihr die Tränen aus dem Gesicht.)

SIG. SILOTTI (halb weinend, halb lachend): »Sie sind so gut, Mister Padre …«

KAPLAN: »Jetzt sehen wir wieder besser aus. Keiner wird merken, dass wir geweint haben. Worüber haben wir denn eigentlich geweint?«

SIG. SILOTTI: »Ach, es ist nichts, Mister Padre … wirklich …«

KAPLAN: »Ich weiß, Sie haben es schwer. Ihr Mann ist fort – vielleicht tot oder gefangen …«

SIG. SILOTTI: »Es ist nicht nur das.«

KAPLAN: »Was noch?«

SIG. SILOTTI: »Ernesto …«

KAPLAN: »Stimmt was nicht mit dem Jungen?«

SIG. SILOTTI (klammert sich an den Kaplan, als habe sie es plötzlich mit der Angst bekommen): »Ich habe Angst, Mister Padre …«

KAPLAN: »Angst – wovor, Signora?«

SIG. SILOTTI (klammert sich noch immer an ihn; flüstert eindringlich): »Er ist ein guter Junge: glauben Sie mir!«

KAPLAN: »Ich bin sicher, dass er das ist.«

SIG. SILOTTI: »Ein guter Junge – und so klug! Sie nennen ihn den intelligentesten Jungen im Dorf. Wenn Sie mich fragen – es gibt keinen zweiten wie ihn im ganzen Land!«

KAPLAN: »Es ist schade, dass ich nie die Gelegenheit hatte, mit ihm zu reden. Vielleicht ergibt es sich ja heute Nachmittag …«

SIG. SILOTTI (verlegen): »Darauf hatte ich gehofft. Aber …«

KAPLAN: »Aber – was? Ist Ihr Sohn nicht zu Hause? Oder ist er krank? Oder redet er nicht gern mit Fremden?«

SIG. SILOTTI: »Das ist es. Er redet nicht gern mit Fremden. Er ist sehr schüchtern, wissen Sie. Es hat mit seinem … mit …«

KAPLAN: »Mit seiner Körperbehinderung zu tun?« (Als die Signora nickt:) »Ich verstehe. Das ist wirklich schade. Ich habe mich darauf gefreut, ihn heute zu treffen. Sind Sie sicher, dass er nicht an unserer Feier teilnehmen wird?«

SIG. SILOTTI: »Ich habe gebettelt, dass er kommt … Ich habe alles versucht … Er weigert sich.«

KAPLAN: »Haben Sie deshalb geweint?«

SIG. SILOTTI (fast tonlos): »Ja.«

KAPLAN: »Meinen Sie, es würde nützen, wenn ich mit ihm reden würde – von Mann zu Mann?«

SIG. SILOTTI (strahlend vor Hoffnung): »Wenn Sie das tun würden … Ich bin sicher, dass es helfen würde. Wenn irgendjemand, dann sind Sie derjenige, der einen Einfluss auf den armen Jungen haben kann.«

KAPLAN: »Wo ist Ernesto jetzt?«

SIG. SILOTTI: »Oben in seinem Zimmer.«

KAPLAN: »Ist er allein, oder sind Freunde bei ihm?«

SIG. SILOTTI: »Er hat keine Freunde. Er ist allein – und arbeitet.«

KAPLAN: »Was arbeitet er denn?«

SIG. SILOTTI: »Ich weiß nicht, was er tut. Lernen, nehme ich an. Er hat viele Bücher, wissen Sie. Er wirkt jedenfalls immer beschäftigt.«

KAPLAN: »Aber heute ist Feiertag.«

SIG. SILOTTI: »Das habe ich ihm auch gesagt.«

KAPLAN (an der Tür): »Gehen wir.« (Als sie zögert:) »Wollen Sie mir nicht sein Zimmer zeigen?«

SIG. SILOTTI (bekommt es plötzlich mit der Angst): »Ich bin sehr dankbar, dass Sie mit dem Jungen reden wollen … Es ist wunderbar, eine große Chance … Allerdings ist er ein schwieriger Junge: schwieriger, als Sie denken …«

KAPLAN: »Das macht nichts. Ich bin schwierige Menschen gewohnt.«

SIG. SILOTTI: »Trotzdem … Es gibt etwas, das sollten Sie über Ernesto wissen …« (Nach einem Moment des Zögerns – sie überwindet ihre Angst mit nahezu sichtbarer Anstrengung:) »Er mag die Amerikaner nicht.«

KAPLAN (lacht auf): »Das habe ich mir schon gedacht.«

SIG. SILOTTI (sie spricht hastig – bemüht, alles zu erklären): »Aber er ist kein schlechter Junge: Ich möchte nicht, dass Sie glauben, er sei schlecht … Es ist nur so … Nun, sehen Sie, er ist sehr ehrgeizig. Sie wissen, wie Jungs sind: Ruhm, Macht, Glanz – von solchen Dingen träumen sie …«

KAPLAN: »Hat er sich schon für einen bestimmten Beruf entschieden?«

SIG. SILOTTI: »Sein Vater hat die Entscheidung für ihn getroffen. Ich hatte gehofft, Ernesto würde Priester werden. Seit der Geburt des Jungen war das mein größter Wunsch. Aber sein Vater hatte andere Ideen: Eine politische Laufbahn – das wünschte er sich für seinen klugen Sohn.«

KAPLAN: »Eine politische Laufbahn – unter der faschistischen Herrschaft?«

SIG. SILOTTI: »Bruno glaubte, dass unser Sohn dazu bestimmt sei, eine führende Rolle im neuen italienischen Imperium zu spielen. Er war noch ehrgeiziger für seinen Sohn als Ernesto selbst.«

KAPLAN: »Signora Silotti – sagen Sie mir die Wahrheit: Ist Ihr Mann Faschist?«

SIG. SILOTTI: »Nun, allerdings … er war in der Partei: das musste er, in seiner Stellung … wenn Sie das meinen …«

KAPLAN: »Nein, das habe ich nicht gemeint. Was ich wissen möchte, ist vielmehr, ob er Faschist ist – im H e r z e n.«

SIG. SILOTTI: »Das weiß ich nicht – wirklich, ich weiß es nicht. Er hat nie viel mit mir geredet. Er dachte, Frauen verstehen nichts von Politik. Er dachte, ich sei sehr dumm. Vielleicht bin ich das. Ich verstehe nichts vom Faschismus. Ich weiß nur, dass unser Padre nichts davon hielt, und unser Padre war ein heiliger Mann. Ich fürchte … Vielleicht hatte Bruno etwas mit der Verhaftung unseres Padre zu tun. Ich ertrage den Gedanken nicht …«

KAPLAN: »Regen Sie sich nicht wieder auf, Signora. Bleiben Sie ruhig. Sie müssen vor nichts Angst haben.«

SIG. SILOTTI: »Ich hatte immer Angst, seit Bruno unseren Jungen nach Bologna geschickt hat. Ich weiß nicht, was Ernesto studiert hat, dort unten an der Universität – Politik, nehme ich an. Außerdem ist er einer dieser gottlosen Jugendorganisationen beigetreten; aber die haben ihn nicht lange bei sich behalten: sie konnten ihn nicht brauchen, wegen seiner körperlichen Verfassung. Und es ist gut, dass er zurückgekommen ist! Die Nazis hätten ihn töten können. Sie wissen, was sie mit Krüppeln anstellen …«

KAPLAN: »Aber jetzt ist er wieder bei Ihnen. Wovor fürchten Sie sich jetzt?«

SIG. SILOTTI: »Er ist so anders – ja, das ist er. Er hat sich verändert, er ist nicht mehr derselbe. Natürlich ist er immer ein Problemkind gewesen – kein Wunder, bei seinem … seiner Verfassung … Aber in letzter Zeit ist er noch schwieriger geworden. Bologna hat etwas mit ihm gemacht.«

KAPLAN: »Wie meinen Sie das – noch schwieriger? Ist er nervös? Deprimiert?«

SIG. SILOTTI: »Ich weiß es nicht. Es ist schwer zu beschreiben. Ja, ich nehme an, er ist deprimiert. Und er ist auch verbittert. Er macht sich große Sorgen um die militärische Lage. Und um seinen Vater. Es ist schlimmer mit ihm geworden, seitdem sein Vater fort ist.«

KAPLAN: »Stand er ihm sehr nahe?«

SIG. SILOTTI: »Ja, die beiden hatten immer viel miteinander zu bereden – Politik und Strategie und andere Sachen, von denen Frauen nichts verstehen. Natürlich durfte ich nie an ihren Gesprächen teilnehmen: Ich bin zu unwissend. Aber es ging mir besser, wenn ich den Jungen so lebhaft gesehen habe, so voller Hoffnung … Dann verließ uns sein Vater – eines Nachts, ohne mir Auf Wiedersehen zu sagen. Und jetzt weiß ich nicht mehr, was ich mit dem Jungen anstellen soll. Ich habe gedacht, die Weihnachtsfeier würde ihn aufheitern; das gute Essen, die Kinder …«


Es klopft an der Tür.


KAPLAN (auf Englisch): »Wer ist da? Kommen Sie herein.«


In der offenen Tür – JACK. Hinter ihm der junge LIEUTENANT, ein ROTKREUZ-MÄDCHEN und der ERSTE GI (TOM) aus Szene 4.


JACK (auf Englisch): »Störe Sie ungern, Kaplan: aber wir sind mit allem fertig – Weihnachtsbaum und überhaupt. Denke, wir sollten jetzt mit der Feier anfangen.«

KAPLAN (auf Englisch): »Ja, natürlich! Ich wollte nicht, dass ihr auf mich wartet, Jackie. Die armen Kinder – die müssen schon ganz ungeduldig sein …«

LIEUTENANT (steht hinter Jack, lacht): »Und was ist mit uns, Kaplan? Wir sind auch ziemlich ungeduldig! Wir sind schließlich ebenfalls eingeladen!«

KAPLAN (begeistert): »Ja, natürlich! Und wie! Gut, Sie zu sehen, Lieutenant.« (An das Rotkreuz-Mädchen gewandt:) »Du auch, Betty – schön, dass du gekommen bist!« (An den GI gewandt:) »Und du … Liebe Güte, mein Gedächtnis! Wie heißt du noch einmal?«

TOM: »T-5[9] Tom McCowley, Sir.«

KAPLAN: »Tom – natürlich. Dumm von mir, dass ich das vergessen hatte. Und hör zu, Tom: Sag nicht ›Sir‹ zu mir, oder …!«

TOM: »Oder Sie nennen mich Corporal, Sir?«

KAPLAN: »Oder ich nenne dich T-5, das ist schlimmer – außerdem werde ich meiner Freundin Betty sagen, dass du keinen einzigen Donut bekommst.«

ROTKREUZ-MÄDCHEN: »Keinen einzigen! Sei also vorsichtig, Tom.«

JACK: »Also, wie ist der Schlachtplan, Kaplan? Sollen wir mit den Spielen anfangen? Oder zuerst die Geschenke? Oder die Schoko? Oder was?«

KAPLAN: »Schlage vor, zuerst die Schokolade …« (Er verlässt den Raum.)

ROTKREUZ-MÄDCHEN (im anderen Raum): »Wenn ich mich nützlich machen kann …«

KAPLAN: »Kannst du, Betty, kannst du … Also schauen wir mal: gibt es genügend Becher und Löffel?«

SIG. SILOTTI (noch in der Küche, ängstlich): »Mister Padre …«

KAPLAN (kommt zurück): »Wirklich, ich bin ja unmöglich!« (Auf Italienisch:) »Vergeben Sie mir, Signora, dass ich Ihnen meine Freunde nicht sofort vorgestellt habe …«

SIG. SILOTTI (auf Italienisch): »Nein, darum ging es mir nicht …«

KAPLAN (auf Italienisch): »Mit Ihrer Erlaubnis, Signora: Diese hübsche junge Dame ist Betty, eine wichtige Stütze des Rotkreuz-Feldlazaretts. Und dieser verwegene junge Mann ist Lieutenant … Lieutenant …«

LIEUTENANT: »Jimmy.«

KAPLAN (auf Italienisch): »Tenente Jimmy, genau. Und das ist mein Freund Tom.« (An Tom gewandt, auf Englisch:) »Muss ich ihr sagen, dass du T-5 bist?«[10]

TOM: »Sie können ihr auch erzählen, ich wäre General: Ich würde den Unterschied nicht merken. Dieses Kauderwelsch! Ich begreife nicht, wie irgendjemand das verstehen kann.«

KAPLAN (auf Englisch): »Tut ja keiner – wenn ich versuche, Italienisch zu sprechen. Meine Aussprache ist erbärmlich.«

LIEUTENANT: »Meine ist wunderbar.« (An Sig. Silotti gewandt:) »Come sta, Signorina?«

KAPLAN: »›Signora‹, Jim – bitte!«

LIEUTENANT: »Tut mir leid.«

SIG. SILOTTI (an den Lieutenant gewandt, in gebrochenem Englisch): »Danke, Mister Tenente … mir …geht … es … gut.«


Die Amerikaner brechen in Gelächter aus. SIG. SILOTTI – zuerst verwirrt über die unerwartete Reaktion – stimmt in die allgemeine Heiterkeit ein.


KAPLAN (an Sig. Silotti gewandt; auf Italienisch): »Es ist schön, Sie wieder lachen zu sehen, Signora! Und jetzt lassen Sie uns hineingehen und mit den Kindern feiern.« (Er bietet ihr den Arm, um sie ins Wohnzimmer zu führen.)

SIG. SILOTTI (hält ihn mit einer furchtsamen Bewegung zurück): »Aber, Mister Padre … Sie haben versprochen … vorgeschlagen … Wissen Sie nicht mehr? Ernesto – Sie wollten mit ihm reden …«

KAPLAN (in der Tür): »Ernesto – natürlich. Er sollte bei uns sein. Ich tue mein Bestes, ihn zu überreden … Warten Sie, ich hole nur ein kleines Weihnachtsgeschenk für ihn …« (Geht in den anderen Raum.)

SIG. SILOTTI (folgt ihm): »Sie sind so gut – fast so gut wie der r i c h t i g e Padre. Ich bin sicher, Ernesto wird ihre Freundlichkeit zu schätzen wissen …«


SCHNITT AUF:


18. INNEN, WOHNZIMMER …: Jetzt festlich geschmückt, auf dem Weihnachtsbaum leuchten Kerzen, Kuchen und Süßigkeiten sind auf großen Tabletts schön ausgebreitet, Geschenke sind auf einem Tisch gestapelt. Das ROTKREUZ-MÄDCHEN und der junge LIEUTENANT bringen Becher und Silberbesteck aus der Küche, und JACK hat damit begonnen, die heiße Schokolade einzuschenken. Die KINDER warten – und beobachten alles genau.


KAPLAN (hält die Nase über den Schokoladentopf): »Riecht gut, oder?«

SIG. SILOTTI (an die Mütter und Nonnen gerichtet, die noch immer steif und aufrecht am neu entzündeten Kamin sitzen; auf Italienisch:) »Es tut mir leid, liebe Freundinnen, dass ich Sie habe warten lassen …«


Während SIG. SILOTTI sich zu der Gruppe der Frauen am Kamin setzt, schwenkt die Kamera auf den KAPLAN, der am Tisch mit den Weihnachtsgeschenken steht. Nachdem er verschiedene Dinge in die Hand genommen hat, entscheidet er sich für einen dicken Wollschal.


KAPLAN (an Sig. Silotti; auf Italienisch): »Signora, ich glaube, ich habe das Richtige gefunden. Wären Sie so freundlich, mich nach oben zum Versteck Ihres Sohnes zu begleiten?«

SIG. SILOTTI (nervös): »Ja, Mister Padre, ja …« (An die anderen Frauen gewandt:) »Wenn Ihr mich bitte entschuldigt … Ich komme sofort zurück …«

DIE FRAUEN (nicht ohne eine gewisse Distanz und Ironie; auf Italienisch): »Natürlich, Cara … Warum nicht … Lass dir Zeit …«

SIG. SILOTTI (an den Kaplan gewandt; auf Italienisch): »Hier entlang, bitte, Mister Padre.«


Als der KAPLAN und SIGNORA SILOTTI nach oben gehen, folgen ihnen die FRAUEN am Kamin mit verstohlenen Blicken und saurem Lächeln. Die knochige MATRONE flüstert ihrer Nachbarin zu:


MATRONE: »Armer Mann: man sollte ihn warnen …«

NONNE (mit dem Finger auf den Lippen): »Pst, pst, Cara …«


Die Kamera schwenkt zurück zu SIG. SILOTTI und dem KAPLAN, die im Obergeschoss angekommen sind.


SCHNITT AUF:


19. INNEN, OBERGESCHOSS …: Ein schmaler Korridor vor Ernestos Zimmer. Vollkommene Dunkelheit – bis der KAPLAN und SIG. SILOTTI sich von der Treppe im Hintergrund nähern: die SIGNORA trägt eine kleine Lampe. Im trüben Licht werden eine niedrige, gewölbte Decke, anscheinend feuchte Wände und ein Steinfußboden sichtbar. – SIG. SILOTTI bleibt vor einer Tür stehen.


SIG. SILOTTI (flüstert aufgeregt; auf Italienisch): »Wir sind da, Mister Padre. Dies ist sein Zimmer.«

KAPLAN (auf Italienisch): »Nun, dann wollen wir hineingehen.«

SIG. SILOTTI (flüstert): »Ja.« (Sie klopft an der Tür; dann, mit ängstlich leiser Stimme:) »Ernesto …«


Keine Antwort.

SIG. SILOTTI: »Ich verstehe das nicht … Er ist bestimmt in seinem Zimmer …« (Sie klopft erneut.) »Ernesto …«


Wieder Stille. Dann ERNESTOS Stimme hinter der Tür.


ERNESTOS STIMME (auf Italienisch): »Wer ist da?«

KAPLAN (lachend): »Freunde.«

SIG. SILOTTI (schnell; auf Italienisch): »Ich bin’s, Ernesto – Mutter.«

ERNESTOS STIMME (auf Italienisch): »Wer ist der Mann bei dir?«

SIG. SILOTTI: »Das ist Mister Padre – der Kaplan … Er kommt, um dir frohe Weihnachten zu wünschen, Sohn.«


Nach einem weiteren Moment erwartungsvoller Stille öffnet ERNESTO die Tür. Er ignoriert den Kaplan und wendet sich direkt an seine Mutter.


ERNESTO (auf Italienisch): »Hab ich dir nicht gesagt, Mutter, dass ich nicht gestört werden möchte …«

SIG. SILOTTI (auf Italienisch): »Dies ist unser amerikanischer Padre, Sohn …«

KAPLAN (auf Englisch): »Ich heiße Martin. Frank Martin.«

ERNESTO (auf Italienisch): »Ich verstehe deine Sprache nicht.«

KAPLAN (auf Italienisch): »Natürlich … ich bitte vielmals um Entschuldigung … Nun, wie dem auch sei, ich freue mich, dich endlich kennenzulernen.«

SIG. SILOTTI: »Nun, Ernesto – willst du den Gentleman nicht hineinbitten?«

ERNESTO (sieht sie an; öffnet den Mund, um etwas zu sagen, entscheidet sich dann anders und schweigt weiter – beißt sich auf die Lippe.)

KAPLAN (schon halb im Zimmer): »Ich werde dich nicht lange stören, Ernesto.«

SIG. SILOTTI (geht hastig zur Treppe): »Ich muss mich jetzt um die Kinder kümmern, entschuldigen Sie mich, Mister Padre. Ernesto zeigt Ihnen den Weg nach unten – tust du das, Ernesto?«

ERNESTO (plötzlich mit einem hilflosen, furchtsamen Ausdruck in den Augen): »Aber, Mutter … bitte … Lass mich nicht mit ihm allein …«

Aber seine Mutter ist bereits fort.


KAPLAN (im Zimmer; auf Italienisch): »Kommst du nicht, Ernesto?«


Widerstrebend kehrt ERNESTO in das Zimmer zurück und schließt hinter sich die Tür.


SCHNITT AUF:


20. INNEN, ERNESTOS ZIMMER …: Das winzige Zimmer – kalt und erbärmlich im Dämmerlicht einer heruntergebrannten Kerze – enthält nichts als ein schmales Bett, einen wackligen Stuhl und einen kleinen Tisch, der mit Büchern und Papier bedeckt ist. ERNESTO steht mitten im Raum und sagt kein Wort – sein Gesicht ist vor Misstrauen und Hass ganz angespannt.


KAPLAN (nachdem er sich ein wenig umgeschaut hat; so fröhlich und beiläufig wie möglich; auf Italienisch): »Ein hübscher kleiner Raum. – Darf ich mich setzen?«


ERNESTO antwortet nicht. Der KAPLAN setzt sich auf den einzigen verfügbaren Stuhl.


KAPLAN: »Ich habe viel von dir gehört, Ernesto.«

ERNESTO (mit möglichst rauer Stimme): »Was wollen Sie?«

KAPLAN (unvermindert freundlich): »Hast du nicht gehört, was deine Mutter gesagt hat? Ich komme nur vorbei, um dir frohe Weihnachten zu wünschen.«

ERNESTO: »Falls Sie hoffen, irgendwelche Informationen aus mir herauszulocken, können Sie genauso gut gleich wieder gehen. Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«

KAPLAN: »Du irrst dich …«

ERNESTO: »Sie wären nicht der erste: Es sind schon andere Besucher hier gewesen, die das versucht haben. Ich wurde befragt, verhört, von Ihren Geheimdienstleuten ins Kreuzverhör genommen. Zwecklos. Ich weiß nichts, was von Bedeutung wäre. Ich habe nichts zu sagen.«

KAPLAN: »Die Männer, die dich befragt haben, haben nur ihre Pflicht getan. Und was mich angeht, ich tue auch meine Pflicht. Ich möchte dir etwas geben, Ernesto – ein kleines Weihnachtsgeschenk von den Jungs im Hauptquartier. Nichts Besonderes – nur ein nützlicher Gegenstand. Hier ist er.« (Er reicht ihm den wollenen Schal.)

ERNESTO: »Ich möchte keine Geschenke.«

KAPLAN: »Sei nicht kindisch. Es ist ganz schön kalt hier: Ein guter Schal ist da genau richtig.« (Er legt den Schal Ernesto um den Hals.)

ERNESTO (brummt etwas, das sowohl Dank wie Protest bedeuten kann.)

KAPLAN: »Und jetzt, mein Junge, gehen wir nach unten.«

ERNESTO: »Sie finden den Weg auch ohne mich.«

KAPLAN: »Deine Mutter möchte, dass du an der Feier teilnimmst.«

ERNESTO: »Ich kann nicht.«

KAPLAN: »Warum nicht?«

ERNESTO: »Zu tun.«

KAPLAN: »Deine Mutter wird enttäuscht sein.«

ERNESTO: »Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht kommen kann.«

KAPLAN: »Deine Mutter ist eine wundervolle Frau.«

ERNESTO: »Ich weiß.«

KAPLAN: »Sie himmelt dich an.«

ERNESTO (beinahe tonlos): »Ich weiß.«

KAPLAN: »Du kannst ihr eine Freude machen – indem du einfach nach unten kommst und ein wenig mit uns feierst. Ist das ein zu großes Opfer?«

ERNESTO (schreit ihn plötzlich in einem Anfall heftiger Wut an): »Lassen Sie mich in Ruhe! Raus hier!«

KAPLAN (steht vom Stuhl auf und zieht sich in Richtung Tür zurück. Schüttelt den Kopf – voller Mitleid): »Du brauchst mich nicht anzuschreien, Ernesto. Ich wollte nur deiner Mutter helfen – und dir auch.«

ERNESTO (überwindet seinen Stolz; reuig): »Es tut mir leid, Kaplan … Ich wollte nicht grob zu Ihnen sein.«

KAPLAN: »Schon in Ordnung.«

ERNESTO: »Aber, verstehen Sie … Ich kann wirklich nicht an Ihrer Feier teilnehmen. Es wäre eine Folter für mich, und ich würde den anderen Gästen den Spaß verderben. Ich bin nicht dafür gemacht, mich zu amüsieren. Ich habe … andere Dinge zu erledigen.«

KAPLAN: »Was denn für Dinge, Ernesto?«

ERNESTO (mit einer gewissen jungenhaften Lebhaftigkeit und Naivität, da er offenbar beginnt, dem Kaplan zu vertrauen): »Ich bin mir sicher, Kaplan, dass ich berufen bin und eine Mission zu erfüllen habe. Ich bin dazu bestimmt, ein großer Mann zu werden …« (Mit einem gewissen trotzigen Nachdruck, als hätte ihm jemand widersprochen:) »Ja, ein großer Mann – trotz … trotz dem hier …« (Er zeigt auf seinen Buckel.) »Deshalb muss ich arbeiten – hart arbeiten, so hart ich nur kann. Und ich muss jede Chance nutzen. Wer Größe erlangen will, muss gefährlich leben.«

KAPLAN (hat die Aufregung des Jungen mit väterlicher Neugier verfolgt. Plötzlich wird er ernst): »Gefährlich leben …: Ich glaube, dieses Motto gefällt mir nicht besonders, Ernesto. Es klingt wie eines der Schlagworte der faschistischen Philosophie.«

ERNESTO (begreift, dass er zu weit gegangen ist – jetzt wieder zurückhaltend und misstrauisch): »Ich hab das … ohne nachzudenken … nur so gesagt.«

KAPLAN: »Da bin ich mir sicher.« (An der Tür:) »Nun, ich gehe besser nach unten, sonst verpasse ich die ganze Feier. Willst du wirklich nicht mitkommen, Ernesto?«

ERNESTO: »Ich kann nicht.«

KAPLAN: »Ich würde gern mehr über deine Arbeit, deine Pläne, deine Ziele erfahren. Darf ich noch einmal vorbeischauen?«

ERNESTO: »Wenn Sie wollen.«

KAPLAN: »Nur, wenn ich sicher sein kann, dass du meine Absichten nicht falsch verstehst. Glaubst du mir jetzt, dass ich als Freund komme und nicht als Spion oder Agent?«

ERNESTO (widerstrebend): »Ja … ja, ich glaube Ihnen, Kaplan.« KAPLAN: »Danke, Ernesto.« (Er geht hinaus. Ruft vom Korridor:) »Hey, Junge, hier draußen ist es ganz schön dunkel …«

ERNESTO: »Warten Sie, ich zeige Ihnen den Weg …« (Er folgt ihm mit dem Licht.)


SCHNITT AUF:


21. INNEN, KORRIDOR … wie in Szene 19: ERNESTO hält seine kleine Kerze empor und geht voran zur Treppe. Der KAPLAN folgt ihm. An der Treppe bleibt ERNESTO stehen. Man hört, dass die KINDER unten ein Weihnachtslied singen.


KAPLAN: »Hörst du … Ist das nicht schön? … Reizt dich das nicht, Ernesto?«

ERNESTO (schüttelt den Kopf)

KAPLAN (auf Englisch): »Wie schade.«


Er streckt die Hand aus: ERNESTO ergreift sie. Sie schütteln sich die Hände. ERNESTO dreht sich um, um zurück in seinen Raum zu gehen; nach ein paar Schritten bleibt er stehen und sagt mit gesenkter Stimme über die Schulter:


ERNESTO (auf Englisch): »Kommen … Sie … wieder.«

KAPLAN (schon auf dem Weg die Treppe hinab): »Das tue ich bestimmt, mein Junge. Ganz bestimmt.«


SCHNITT AUF:


22. INNEN, WOHNZIMMER …: Die Feier ist in vollem Gange. Die KINDER – jedes mit seinem Weihnachtsgeschenk im Schoß – singen voller Begeisterung, und die anwesenden Amerikaner (das ROTKREUZ-MÄDCHEN, der LIEUTENANT, JACK und TOM) hören mit offensichtlichem Vergnügen zu; die älteren Frauen (MÜTTER und NONNEN) sitzen zusammen am Kamin, trinken Schokolade und tratschen. Als der KAPLAN von der dunklen Treppe hereinkommt, verlässt SIGNORA SILOTTI sofort den Kreis ihrer Freundinnen und eilt zu ihm.


SIG. SILOTTI (lebhaft; auf Italienisch): »Wird er kommen?«

KAPLAN (schüttelt den Kopf. Als er ihre Enttäuschung bemerkt, legt er ihr den Arm um die Schulter und redet besänftigend auf sie ein; auf Italienisch): »Machen Sie sich keine Sorgen, Signora. Alles ist gut. Wir sind jetzt Freunde, Ernesto und ich.«

SIG. SILOTTI (strahlend): »Oh, das ist wunderbar … er ist ein guter Junge, nicht wahr?«

KAPLAN (lächelt ihr zu): »Ja, er ist ein guter Junge. – Und nun wollen wir mal schauen, wie es mit der Feier aussieht …« (Auf Englisch:) »Sind alle glücklich?«

TOM: »Klar, Sir …«

ROTKREUZ-MÄDCHEN (gleichzeitig): »Wir haben viel Spaß …«

LIEUTENANT (gleichzeitig): »Es ist eine großartige Feier, wirklich, Kaplan!«

JACK: »Die Donuts gehen uns aus. Ansonsten – alles buono.«

KAPLAN (an die Kinder gewandt; auf Italienisch): »Geht es euch gut, Kinder?«

KINDER (antworten unisono): »Ja, Mister Padre, ja.«

EIN KLEINES MÄDCHEN: »Sehen Sie, was ich bekommen habe …« (Sie zeigt ihm ihr Geschenk.)

ANDERE KINDER: »Und ich … Und ich …« (Alle zeigen ihm ihre Geschenke.)

LUIGI (zeigt sein Geschenk – ein stattliches Taschenmesser): »Das hat er mir gegeben …« (Zeigt auf Tom.) »Ist es nicht wundervoll?«

UMBERTO (zeigt sein Geschenk – eine stattliche Taschenlampe; stolz): »Vom Tenente. Haben Sie je im Leben eine so starke Taschenlampe gesehen, Mister Padre?«

(Er leuchtet mit der Lampe dem KAPLAN direkt ins Gesicht.)

KAPLAN (geblendet, hebt die Hände schützend vor die Augen, verzieht das Gesicht): »Ganz schön stark, kann man wohl sagen …«

KINDER (brechen in Gelächter aus)

NONNE (steht auf und klatscht in die Hände): »Kinder! Nicht so wild! Lacht nicht über Mister Padre!«

KAPLAN (an Jack gewandt; auf Englisch): »Haben sie schon Spiele gespielt?«

JACK: »Noch nicht. Hatten genug damit zu tun, sich den Bauch vollzuschlagen.«

KAPLAN (auf Englisch): »Na, dann los!« (An die Nonne gewandt; auf Italienisch:) »Was für ein Spiel würden die Kinder jetzt wohl gern spielen, Schwester?«

NONNE (schlägt ein Spiel vor)


Jetzt sollte ein beliebtes italienisches Spiel folgen, bei dem im Kreis getanzt und gesungen wird. Alle nehmen daran teil – KINDER, MÜTTER, AMERIKANER –, und die NONNEN leiten die Aktivitäten sehr effizient. Es gibt viel Lärm, Gelächter und Fröhlichkeit. Die Amerikaner – vor allem TOM und der junge LIEUTENANT – sorgen für einiges Durcheinander, weil sie die italienischen Befehle nicht verstehen.

Die Szene gelangt zu einem fröhlichen Höhepunkt – die singenden KINDER tanzen um den KAPLAN, die NONNEN rufen »Nicht so wild, Kinder!«, die MÜTTER lassen sich erschöpft wieder auf ihre Stühle fallen; das ROTKREUZ-MÄDCHEN jubelt: »Hier ist es lustiger!«


BLENDE


23: AUSSEN, STRADA STATALE 65 …: Nicht weit vom Dorf entfernt. Es ist dunkel. Der militärische Verkehr ist so dicht wie zuvor. Die abgedunkelten Fahrzeuge bewegen sich langsam durch Nebel und Sturm.

Die Kamera fährt auf einen Wagen zu, der mit technischen Geräten ausgerüstet ist, um geheime Radiosender zu lokalisieren. Eines der Geräte, die dafür benutzt werden, gibt ein »Tick Tack«-Geräusch von sich, das, wenn möglich, im gleichen Rhythmus tickt wie das Lied am Ende der vorigen Szene – wie ein Echo.

Im Wagen ZWEI AMERIKANISCHE SOLDATEN (Funk-Experten der Signal Corps Intelligence Section).


ERSTER SOLDAT: »Es muss hier irgendwo sein …«

ZWEITER SOLDAT: »Im Dorf? Schon möglich …«


Der Wagen biegt in die Dorfstraße ein.


BLENDE


24. INNEN, WOHNZIMMER …: Das Fest geht weiter – jetzt auf geregeltere, feierliche Art. Die KINDER, die in der Mitte des Raums stehen, singen ein italienisches Weihnachtslied; die ERSTE NONNE dirigiert. Die anderen NONNEN und die MÜTTER stehen dabei und hören zu. Das ROTKREUZ-MÄDCHEN, der junge LIEUTENANT, JACK und TOM ruhen bequem auf Kissen auf dem Fußboden. Der KAPLAN betrachtet die idyllische Szene aus einer Ecke des Raums.

Plötzlich wird die Tür zur Straße von außen geöffnet. Der Sturm bläst Schnee und Regen in den Raum. In der offenen Tür – die beiden SOLDATEN des Signal Corps: nass, verfroren, schlammbespritzt – zwei grimmig blickende, feindselige Eindringlinge.

Aufregung. Alle im Raum stehen auf. Rufe der AMERIKANER: »Was ist los? – Was zum Teufel wollen die? – Macht die Tür zu!« usw. – Rufe der ITALIENER: »Mamma mia … Madonna …« usw. SIGNORA SILOTTI starrt die beiden Männer an – blass, unbeweglich, mit schreckgeweiteten Augen.


ERSTER SOLDAT: »Hier drin muss es sein …«

ZWEITER SOLDAT: »Lass uns die verdammte Bude durchsuchen.«


Sie kommen in den Raum herein. Der KAPLAN, der wie die anderen aufgestanden ist, tritt ihnen mit einer gewissen Autorität entgegen.


KAPLAN: »Was kann ich für euch tun, Jungs?«

ERSTER SOLDAT: »Nanu, Kaplan Martin! Guten Abend, Kaplan.«

ZWEITER SOLDAT: »Zu dumm, dass wir Ihre Feier stören müssen. Die Pflicht, Sie verstehen.«

KAPLAN: »Worum geht es? Wonach sucht ihr?«

ZWEITER SOLDAT: »Nun, sehen Sie, es gibt einen Geheimsender …«

ERSTER SOLDAT (mit strafendem Blick auf seinen Kumpel): »Sei still! Vor all diesen Spaghettifressern!« (Er flüstert dem Kaplan etwas zu.)

KAPLAN: »Ich glaube nicht … Ich hoffe nicht, dass ihr hier etwas finden werdet.«

ERSTER SOLDAT (grinsend): »Sie werden sich wundern, Kaplan.«

ZWEITER SOLDAT: »Unser Apparat da draußen im Wagen macht normalerweise keine Fehler.«

KAPLAN: »Nun, dann an die Arbeit.«

ERSTER SOLDAT (zu seinem Kumpel): »Wo schauen wir zuerst nach?«

ZWEITER SOLDAT: »Ich denke, wir können ruhig gleich hier anfangen.«

KAPLAN (nach einem kurzen Zögern): »Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Jungs: Ich glaube, die Chance ist größer, dass ihr im zweiten Stock etwas findet – wenn überhaupt …«

ERSTER SOLDAT (ein wenig überrascht): »Okay – wenn Sie das sagen. Uns ist es egal.«

ZWEITER SOLDAT: »Da oben?«


Sie gehen nach oben. SIGNORA SILOTTI macht eine hilflose kleine Bewegung, als ob sie sie zurückhalten wollte; aber es ist zu spät. Ohne sichtbare Gefühlsregung steht sie da – lauschend, abwartend, zitternd –, als die ZWEI SOLDATEN das obere Stockwerk erreichen.


KAPLAN (zu den Kindern und Frauen, so fröhlich und beruhigend wie möglich; auf Italienisch): »Keine Sorge, Freunde. Lasst uns noch ein Lied hören, Kinder.«


Die KINDER fangen wieder an zu singen. Ihre Stimmen klingen etwas zittrig. Alle starren nach oben – wo die beiden Soldaten gerade verschwunden sind. Die Kamera folgt der Richtung, in die alle blicken.


SCHNITT AUF:


25: INNEN, ERNESTOS ZIMMER …: Das Zimmer ist dunkel, die Tür zum Korridor offen. Die SOLDATEN vom Signal Corps leuchten den Raum mit einer Taschenlampe aus.


ERSTER SOLDAT (durchsucht den Raum): »Ich wäre nicht überrascht, wenn das verdammte Ding hier irgendwo wäre …«

ZWEITER SOLDAT (singt ein bekanntes amerikanisches Lied): »Come out – come out wherever you are …«

ERSTER SOLDAT (setzt denselben Musical-Hit fort): »I know – I know you are not very far …«

ZWEITER SOLDAT (singt weiter): »So – come out …« (Das Licht der Taschenlampe fällt auf ERNESTO, der in einer Ecke hinter der Tür steht, flach an die Wand gedrückt.) »Also, komm raus! Und besser etwas flott, kleiner Mann!«


Die ZWEI SOLDATEN prusten vor Lachen. ERNESTO kommt widerstrebend aus seinem Versteck – das Gesicht verzerrt vor Angst und Wut.


ERNESTO (auf Italienisch): »Sucht ruhig weiter. Hier werdet ihr nichts finden.«

ERSTER SOLDAT: »Sag das noch mal – auf Englisch.«

ERNESTO (auf Englisch): »Nichts hier. Nicht möglich etwas finden.«

ERSTER SOLDAT: »Ach so? Reg dich nur nicht auf, Bürschchen, immer mit der Ruhe. Wir finden das schon, deshalb sind wir hier.«


Sie suchen weiter – klopfen die Wände ab usw. An einer Stelle hört der ERSTE SOLDAT einen hohlen Ton.


ERSTER SOLDAT (an seinen Kumpel gewandt): »Hör mal, Mac –: klingt komisch, oder?«

ZWEITER SOLDAT: »Sehr komisch … Mal sehen …«


Sie ziehen einen losen Ziegel aus der Mauer. Hinter dem Ziegel: der Geheimsender!


ERSTER SOLDAT (triumphierend): »Schau dir das an!«

ZWEITER SOLDAT: »Hab ich’s nicht gesagt?«

ERSTER SOLDAT: »Von wegen, du Sohn einer … Wer hat hier denn die ganze Zeit gesagt …«


In ihrer freudigen Erregung haben sie die Gegenwart ERNESTOS vorübergehend vergessen. Der Bucklige hat inzwischen eine große, altmodische Pistole hervorgezogen. Die Pistole auf die beiden Amerikaner gerichtet, springt er auf sie zu, reißt dem ERSTEN SOLDATEN die Taschenlampe aus der Hand und wirft sie aus dem Fenster. Vollkommene Dunkelheit.

ERNESTO (schon an der Tür; mit schriller, hysterischer Stimme; auf Italienisch): »Mich kriegt ihr nicht … Ihr seid Narren … Narren, Narren, Narren …«


Er verlässt den Raum – zurück bleiben die ZWEI SOLDATEN.


ERSTER SOLDAT (in völliger Dunkelheit): »Was zum Teufel …«

ZWEITER SOLDAT (gleichzeitig): »Verdammt …«

ERSTER SOLDAT: »Hast du Streichhölzer?«


Die Kamera folgt ERNESTO, der den dunklen Korridor entlangläuft, hin zur Treppe.


SCHNITT AUF:


26. INNEN, WOHNZIMMER …: Die KINDER singen – mit ziemlich dünnen, zittrigen Stimmen. Als ERNESTO an der Treppe erscheint, hören sie sofort auf. Die folgende Szene spielt sich in atemberaubendem Tempo ab. Mit erstaunlicher Gewandtheit rennt ERNESTO die Treppe hinab, während die ZWEI SOLDATEN durch die Dunkelheit des oberen Korridors stolpern.


ERSTER & ZWEITER SOLDAT (gleichzeitig): »Stoppt den Schweinehund … Haltet ihn fest … Lasst ihn nicht entkommen …«


Panik erfasst die FRAUEN und KINDER. ERNESTO hat die Tür zur Straße schon erreicht. Er steht mit dem Rücken zur Tür – schwer atmend richtet er die Pistole auf die verschreckte Versammlung.


LIEUTENANT (starrt ihn an, als wäre er eine Teufelserscheinung): »Ja, das ist er … dasselbe Monster, genau …«

ERNESTO (bedroht die Menge mit der Pistole; auf Italienisch): »Ich töte jeden, der sich bewegt.« (Er wiederholt die Drohung auf Englisch:) »Jeder … der … bewegt … tot –: sofort!«

SIG. SILOTTI (flüstert mit beinahe gelähmten Lippen; auf Italienisch): »Ernesto … das ist nicht wahr … mein Sohn …«

ERNESTO (auf Italienisch): »Hast du nicht gehört, Mutter? Ich töte jeden, der sich bewegt. J e d e n!«

SIG. SILOTTI: »Ernesto … Was hast du getan?«

ERNESTO (hysterisch kreischend): »Ja, ich hab’s getan, Mutter! Ich habe über Funk Nachrichten übermittelt, ich habe unseren Leuten militärische Informationen gegeben …«

SIG. SILOTTI: »An u n s e r e Leute, Sohn? Das sind nicht unsere Leute, das sind Feinde. Sie haben unseren Padre getötet …«

ERNESTO: »Nicht unsere Leute, Mutter? Weißt du denn nicht, wer meine Nachrichten empfangen hat?«

SIG. SILOTTI (fast tonlos): »Dein Vater …«

ERNESTO (in einer Art wahnsinnigem Triumph): »Natürlich war es Vater – wer sonst? Er ist bei den Faschisten! Ich bin bei den Faschisten – und ich bin stolz darauf!«

KAPLAN: »Ernesto! Hör mir zu! Du bist ja verrückt! Gib mir den Revolver!«

ERNESTO: »Hier sind Sie also, Priester? Ich wusste, Sie würden mich verraten – ich wusste, das alles war eine Falle: Das habe ich die ganze Zeit gewusst! Sie schleimiger Heuchler! Sie Spitzel! Sie … Sie Christ! …« (Die Pistole auf den Kaplan gerichtet, versucht er, die Tür mit dem Ellbogen des linken Arms zu öffnen. Mit zischender Stimme:) »Ich töte dich, Verräter – und wenn es das letzte ist, was ich auf dieser verkommenen Welt tue!«


Er hat es geschafft, die Tür zu öffnen, und macht einen Schritt rückwärts, sodass er jetzt draußen steht – noch immer hat er die Versammlung im Blick und noch immer bedroht er sie mit dem Revolver. Doch nun konzentriert er sich ganz auf den Priester. Er starrt ihn mit unbeschreiblichem Hass an und wiederholt seine Drohung – jetzt in gebrochenem Englisch.


ERNESTO (zischt; auf Englisch): »Töte dich, Priester … Töte dich … Töte … töte … töte …«

Der junge LIEUTENANT nutzt den Wechsel in ERNESTOS Aufmerksamkeit aus: Er zieht seine eigene Pistole und zielt auf den hysterischen Krüppel.


LIEUTENANT: »Das reicht jetzt, Buckliger.«

ERNESTO (zuckt zusammen; kreischt): »Buckliger …«


Der LIEUTENANT schießt. ERNESTO, ins Herz getroffen, fällt und rollt die Stufen hinunter.


SCHNITT AUF:


27. AUSSEN, STRASSE …: Vor dem Haus. ERNESTO rollt die Stufen hinunter und liegt mit dem Gesicht im Schlamm. Der KAPLAN stürzt aus dem Haus, die Stufen hinunter; beugt sich über den sterbenden Jungen.


KAPLAN (auf Italienisch): »Ernesto … Ernesto … Kannst du mich hören?«

ERNESTO (sein Körper zuckt in letzten Konvulsionen; er starrt den Kaplan an; murmelt): »Geh weg … hau ab … Verräter …«

KAPLAN: »Ernesto … willst du nicht beten?«

ERNESTO (starrt ihn unentwegt an): »Zur Hölle mit dir … du Schwindler … zur Hölle mit euch allen … zur Hölle … zur Hölle …« (Er stirbt.)


Inzwischen hat sich eine Menschenmenge angesammelt – bestehend aus GIs, DORFBEWOHNERN und allen TEILNEHMERN DER FEIER. SIGNORA SILOTTI ist in den Armen einer der NONNEN ohnmächtig geworden. Einige der KINDER, die einen Halbkreis um diese Ansammlung bilden, fangen an zu weinen: das tote Gesicht – verzerrt und über und über mit Schlamm verschmiert – sieht beängstigend aus.


EIN KLEINES MÄDCHEN (weinend; auf Italienisch): »Mutter … er ist so hässlich … Warum ist er so hässlich, Mutter?«

KAPLAN: »Möge der Herr seiner armen Seele gnädig sein. Sein Gesicht sieht so aus, als hätte er die Hölle schon hier erlebt, auf Erden.«

Mitleidig bedeckt er das schreckliche Gesicht mit einem Schal – demselben Schal, den er Ernesto als Weihnachtsgeschenk gegeben hatte.


*

Der Kaplan

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