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Flucht vor dem Winter

Im Januar 2019 nehme ich mir vor, den kommenden Winter in einer wärmeren Gegend als Oberbayern abzukürzen. Zunächst fehlt mir die Idee für das Reiseziel. Der Zufall hilft nach. Im Zeitschriftenregal eines Supermarktes entdecke ich die neue Ausgabe des Geo Special mit dem Thema „Vietnam Laos“. Das Titelfoto, eine Luftaufnahme der Ha Long Bay bei Hanoi, fasziniert mich. Nach flüchtigem Durchblättern des Magazins wandert es in meinen Einkaufswagen. Am Abend lese ich fast alle Artikel und fasse den Entschluss, eine Reise in diese Gegend zu unternehmen.

Die folgende Überlegung besteht darin, die Dauer und den Zeitraum dieses Urlaubs festzulegen. Ich plane sechs Wochen ein. Diese Zeitspanne sollte reichen, nicht zuletzt wegen des Tipps im Geo Special, zusätzlich die Tempelanlagen von Angkor zu besuchen. Dadurch kommt ein weiteres Ziel, Kambodscha, hinzu. Um tiefer in die Thematik einzusteigen kaufe ich für jedes Land einen Reiseführer. Diese orientieren sich an den Bedürfnissen von Individualtouristen. Den Startzeitpunkt der Reise plane ich für kurz vor Weihnachten ein.

Nach der ersten Euphorie breitet sich aufgrund der bevorstehenden Organisation Ernüchterung aus. Impfungen, Visa, Unterkünfte und Transportmöglichkeiten sind die Eckpfeiler der Basisplanung. Da die Grundsatzentscheidung diese Reise durchzuführen getroffen ist, gehe ich ins Reisebüro. Dort buche ich die Flüge. Der Hinflug nach Hanoi wird am 22. Dezember und der Rückflug am 1. Februar 2020 sein. Zwischenstopp ist in Istanbul. Aufgrund der frühzeitigen Buchung sind die Flugpreise moderat. Sicherheitshalber schließe ich eine Reiserücktrittskostenversicherung ab, die sogar bei Abbruch der Reise in Kraft treten würde.

Da die Flüge gebucht sind, studiere ich die drei Länder anhand der Reiseführer und einer Landkarte. Ich stelle schnell fest, dass trotz des Zeitraums von sechs Wochen nicht alles machbar ist, was mich begeistert. Wie gewinne ich Zeit? Um größere Strecken in passablen Zeiten zu überbrücken, bleibt nur die Möglichkeit des Fliegens. In der ersten Planungsphase entscheide ich, dass die Reise im Uhrzeigersinn stattfinden soll. Von Hanoi bewege ich mich – mit einigen Aufenthalten - Richtung Süden nach Ho Chi Minh City. Von dort nach Kambodscha und Laos und zurück nach Vietnam.

Im Anschluss daran beschäftige ich mich mit den Visen für die zu bereisenden Länder. Laut der Reiseführer gibt es verschiedene Antragsmöglichkeiten. Da ich nicht erst vor Ort ein Visum beantragen möchte, befolge ich den Tipp des Reisebüros. Dort empfahl man mir, diese vor Reiseantritt über eine Visumsagentur in Berlin zu beschaffen. Die Antragstellung ist simpel. Neben den üblichen Passfotos muss ich pro Reiseland ein Formular mit der gewünschten Aufenthaltsdauer einreichen. Ein Sonderfall ist das Visum für Vietnam, da es eine Mehrfacheinreise gestatten soll. Fotos, Anträge und Reisepass schicke ich an die Agentur. Einige Wochen später kommt der Pass mit den eingeklebten Visen zurück. Für knapp 330 Euro ist das Thema erledigt.

Ein Besuch bei meinem Hausarzt, einem Experten für Reisemedizin, ergibt, dass ich Impfungen brauche. Insgesamt sind es acht Stück, beispielsweise gegen Tollwut, Hepatitis und Meningitis. Diese benötigen einen gewissen Zeitabstand voneinander. Ich bin froh, dass ich mich um diese Maßnahmen frühzeitig im Herbst 2019 gekümmert habe. Bei meiner Hausbank beantrage ich eine Kreditkarte, bei der keine Gebühren für Auslandsabhebungen anfallen.

22./23.12. 2019

Am Sonntag, den 22. Dezember 2019, verlasse ich meine Wohnung zeitig gegen 14 Uhr. Das S-Bahn-Ticket von Holzkirchen zum Flughafen habe ich vorgestern gekauft. Die S-Bahn fährt um 14.36 Uhr ab. Am Ostbahnhof steige ich in die S8, die Flughafenlinie, um. Von Station zu Station füllt sich die Bahn. Die meisten Leute haben Gepäck, vorwiegend Trolleys und große Koffer. Es lässt auf Flugreisende schließen. Aufgrund des kalten, grauen Wintertages, der beim Blick aus dem Fenster an mir vorbeifliegt, kommt Vorfreude auf die Reise in wärmere Gefilde auf. Gerne würde ich wissen, welche Reiseziele die Menschen haben, die in diesem S-Bahnwagen sind. Sind es Reisende, die wie ich dem Winter entkommen möchten? Sind es Leute, die Familienangehörige in anderen Ländern über die Feiertage besuchen werden? Sind es Geschäftsleute, für die ein Flug zum Alltag gehört, egal wie das Wetter ist und welche Jahreszeit herrscht?

Die S-Bahn kommt pünktlich um 15.55 Uhr am Franz-Josef-Strauß Flughafen in München an. Der Flieger soll um 18.35 Uhr abheben. Trotz der frühen Ankunft gegen vier Uhr am Check-in stehe ich an einer langen Schlange bei der Turkish Airlines an. Neben den Urlaubern nutzen vermutlich viele in Deutschland lebende Türken die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage, um diese in ihrer Heimat zu verbringen. Es dauert eine halbe Stunde bis ich an der Reihe bin. Die Waage zeigt 13,3 kg bei meinem Rucksack und 6 kg für den Fotorucksack an. Mit diesen Gewichten, die ich vorher mit einer eigens für diesen Urlaub gekauften digitalen Kofferwaage ermittelt hatte, müsste ich bei allen weiteren Flügen im Urlaubsgebiet durchkommen. Sicherheitshalber habe ich diese Waage dabei, um unterwegs „Umschichtungen“ vom einen zum anderen Rucksack vorzunehmen.

Der Flug verspätet sich um eine halbe Stunde. In Istanbul – dem Zwischenstopp – lande ich gegen 21.30 Uhr deutscher Zeit. Zum Zeitpunkt der Landung habe ich nicht realisiert, dass es hier vor Ort zwei Stunden später ist. Beim Sicherheitscheck für den Weiterflug nach Hanoi muss ich die Wanderschuhe ausziehen. Um Platz und Gewicht im Rucksack zu sparen, hatte ich sie für die Anreise gewählt. Aufgrund dieser Prozedur vergesse ich fast – nachdem ich wieder in den Schuhen stecke – meinen heiß geliebten Fotorucksack.

Im Terminal in Istanbul sehe ich auf der Anzeigetafel, dass der Flug nach Hanoi anstatt um 2.20 Uhr erst um vier ist. Ich nutze die Zeit, um die Uhr umzustellen. Die Bekanntgabe des Flugsteigs ist für 2.00 Uhr vorgesehen. Das Gate wird kurz nach 2.00 Uhr auf der Tafel angezeigt. Auf dem Weg dort hin treffe ich einen jungen Vietnamesen. Er lebt und arbeitet in Berlin und stammt aus Hanoi. Seinen gesamten Jahresurlaub von sieben Wochen hat er für den Heimaturlaub genommen. Von ihm erhalte ich einige Tipps. Ein Zebrastreifen hat in Vietnam keine große Bedeutung. Stattdessen empfiehlt er mir, Lücken im Verkehrsfluss zur Straßenüberquerung zu nutzen.

Der Flieger gewinnt Zeit und wir landen um 16.45 Uhr Ortszeit in Hanoi. In einer der Flughafenhallen – kurz vor dem Ausgang – gibt es eine weihnachtliche Begrüßung. Ein halbes Dutzend junger Frauen und Männer sind in das Kostüm des Weihnachtsmannes respektive der Weihnachtsfrau geschlüpft. Sie geben eine Tanzvorstellung mit musikalischer Untermalung aus der Konserve. Am Flughafen kaufe ich für mein Smartphone eine SIM-Karte. Mit der Mastercard zahle ich problemlos.

Anschließend versuche ich, am ATM (Automatic Teller Maschine) mit einer Kreditkarte Bargeld abzuheben. An zwei Automaten klappt es mit der Visakarte nicht. Danach gehe ich zum Taxistand und suche meinen Fahrer für den Transfer zum Hostel. Den Airport Pick-up habe ich vor der Reise gebucht. Den Chauffeur finde ich nicht. Ein Anruf mit der brandneuen vietnamesischen Telefonkarte zur Unterkunft scheitert. Zurück am Schalter, an dem ich diese gekauft habe, teilt mir der Verkäufer mit, dass die Karte in Ordnung ist. Die von mir in Deutschland programmierte Telefonnummer ist aufgrund der Ortsvorwahl falsch. Er wählt für mich und ich spreche mit jemand von der Unterkunft. Ein Fahrer steht bereit, sagt man mir. Ich gehe hinaus und finde ihn auf Anhieb. Das Quartier ist 25 Kilometer vom Flughafen entfernt. Auf der Fahrt dort hin erlebe ich erstmalig den chaotischen Verkehr mit dieser immensen Anzahl von Motorrollern. Ich überlege ernsthaft, wie ich diese Situation demnächst als Fußgänger in den Griff bekomme.

Nach dem Check-in im „Cocoon Inn“ erkläre ich einem Mädel an der Rezeption meine Probleme der Geldbeschaffung am Flughafen. Die freundliche Dame ist bereit, mich zu einem Geldautomaten zu begleiten und mir zu helfen. Bei diesem ersten Spaziergang realisiere ich die Gefahr eines europäischen Fußgängers im ungewohnten Verkehrsgetümmel von Hanoi. Ich versuche herauszufinden, wie meine Begleiterin diesen Wahnsinn meistert. Neben ihrer Aufmerksamkeit, die Situation durch pausenlose Blicke in alle Richtungen unter Kontrolle zu halten, beweist sie den Mut, sich durch sämtliche Arten von Verkehrsteilnehmern geschickt hindurch zu schlängeln. Die Körpersprache durch Handbewegungen und beherzte Schritte in das Geschehen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Auf Anhieb habe ich kein Glück beim Versuch der Bargeldabhebung. Aus unerklärlichen Gründen verweigert die Maschine ihre Dienste. Gott sei Dank klappt es an einem zweiten Automaten. Da ich auf der sicheren Seite sein will, tätige ich sofort eine weitere Abhebung am gleichen Gerät. Zurück im Hostel möchte ich dem hilfsbereiten Mädel einen Drink an der Bar spendieren. Auf diese Geste ist sie nicht eingestellt und teilt mir mit, dass ich bestimmen soll, was ich ihr ausgebe. In der Annahme, dass sie sich keinen sündhaft teuren Champagner gönnen wird – falls es den überhaupt hier gibt – sage ich ihr, dass sie sich etwas aussuchen darf. Nach einigem Zögern entscheidet sie sich für einen Sambuca. Ich wage den ersten Biertest auf dieser Reise: Tiger Bier vom Fass und ein Hanoi aus der Flasche. Beide Sorten sind genießbar. Nicht mehr und nicht weniger. Da ich von der Verpflegung im Flieger satt bin, wird das Abendessen ersatzlos gestrichen. Um 21.30 Uhr bin ich im Bett.

Die Launen der Frau Luna

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