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Amerikas Helden
ОглавлениеUnglücklich das Land, das Helden nötig hat.
Bertolt Brecht, „Leben des Galilei“
Ihr Name: Megan Gillespie Rice, in Manhattan als jüngstes von drei Mädchen einer Familie irischer Herkunft geboren; katholisch erzogen, nahm sie sich vor, zu verändern die Welt. Ihre Eltern, beide in der Katholischen Arbeiter-Bewegung organisiert, wollten in Einklang mit der Gerechtigkeit und in Liebe zu Jesus Christus leben. Gewaltfreiheit, ihr oberstes Gebot, ob engagiert im Kampf gegen den Krieg oder wider die ungleiche Verteilung des Reichtums dieser Welt.
So wurde die Tochter mit Achtzehn Nonne der Schwestern vom Heiligen Jesuskind, studierte am Boston-College Zellbiologie, lernte, wie verheerend Radioaktivität auf menschliche Zellen wirkt und diente zweiundvierzig Jahre als Lehrerin in Ghana und Nigeria. Mit Haut und Haaren schloss sie sich der Antikriegsbewegung an, wurde an die dreißig, vierzig Mal wegen zivilen Ungehorsams verhaftet, scheute kein Risiko, war monatelang eingesperrt in Georgia wegen Teilnahme an Protesten in Fort Benning gegen die US Army School Americas. Deren Schüler waren verquickt in die Kriegshandlungen südamerikanischer Militärdiktaturen. Die Demonstranten – gejagt, verprügelt, inhaftiert – gaben nicht nach. Immerhin, die Schule wurde zwei Jahre später geschlossen.
Heute ist Megan Rice vierundachtzig Jahre alt. Sie sagt, das sei keine Schande, wenn das Gesicht auch voller Falten ist, das Haar schütter und fahl, die Gangart und der Blick gemächlicher geworden sind, so schäme sie sich dessen nicht. Noch spüre sie Kraft, ihrem Leben weiterhin Sinn zu geben!
Es juckt ihr das Fell, Durchgreifendes müsse geschehen, das kann noch nicht alles gewesen sein! In der Pflugscharen-Bewegung lernte sie zwei smarte Boys kennen, Michael Walli und Greg Boertje, beide um die Sechzig, gestandene Vietnam-Veteranen, in Kampfeinsätzen erprobt. Die sprühten nur so vor Ideen, haben sie inspiriert, saßen fortan mit ihr im gleichen Boot: O. k., Meggy, wir deichseln das Ding.
So quatschten sie sich in Rage. Das war der Plan: Einbruch in den Y -12 National Security Complex in Oak Ridge, Tennessee – stabsmäßig geplant: Erkundung des Geländes, Operativ- und Ablaufplan, Störfallanalyse. Die Ausrüstungsliste: Bolzenschneider, Hammer und Meißel, Farbspraydosen in fluoreszierendem Scharlachrot und drei Babyflaschen voll Menschenblut, gespendet von Willigen, die diese Aktion billigen. Das Trio hat ein hehres Ziel: Die Welt auf die Gefahren eines Atomkriegs erneut hinzuweisen.
In dem Areal in Tennessee lagert waffenfähiges Uran, ausreichend für zehntausend Bomben, bewacht wie das Gold von Fort Knox. Aber Megan Rice hat zwei kundige Vietnamveteranen im Team, die waren vertraut mit den Taktiken des Vietcong im Dschungelkrieg, anschleichen in der Dunkelheit, lautlos zu Werke gehen. Ein Spaziergang wird das nicht.
An Hand von Lageskizzen erörtern sie Angriffsvarianten auf dem Papier, dazu ein Gläschen Whisky, bloß nicht zu viel. So steigern sie sich in merkwürdige Laune, als sei es ein Trapper- und Indianerspiel. Sie würden die Aufmerksamkeit der Welt erlangen. Einen Prozess scheuen sie nicht. Kämen sie öffentlich vor Gericht, würde das die Wirkung des Protestes potenzieren und gäbe ihrem Leben mehr Inhalt und Sinn, als in Florida geruhsam am Sonnenstrand zu liegen.
Wir peilen Oak Ridge von drei Seiten an. Greg kommt richtig in Form, erläutert den Aufmarschplan. Das ist sein Metier. Ich, aus der Luft, lande auf dem Mc Ghee Tyson Airport, südlich von Knoxville, nehme ein Taxi bis Oak City. Michael nutzt den Morgenzug der Norfolk Southern Railway Company, und Meggy fährt mit ihrem Ford auf dem Interstate Highway zum Ziel. Wir treffen uns nachmittags fünfzehn Uhr im Museum der Stadt, fahren in Meggys Auto zum Operationsgelände, biwakieren versteckt und im Morgengrauen stürmen wir Y-12.
Gregs Aufmarschplan, konspirativ durchdacht, fand Anklang, das klappt. Drei alte Leutchen im Kampf für Amerika, für seine Ehre in der Welt von heute – wunderbar, sagenhaft.
Die Fahrt nach Oak Ridge empfand Meggy als malerisch schön. Am Steuer sitzend schmettert sie unbeschwert die Lieder ihrer Kindheit, überdenkt ihr Leben. Sie hat nicht alles erreicht, aber alles gegeben. Die kurvige Straße hinab in die beschauliche Stadt, schlängelt sich durch die Berge von Old Tennessee, vorbei an Wäldern im Junigrün, über den Clinch River, ins Tal der Appalachen hinein. Nur die großen Schilder, die alle paar Meter aufdringlich am Straßenrand stehen, vermiesen ihr die Idylle.
Betreten verboten! Geldstrafe, Gefängnis, Gewalt werden angedroht. Wer sich zu weit in den Wald wagt, gerät in die Killzone, wird gnadenlos gejagt. Geschossen wird scharf auf Eindringlinge jeglicher Art.
Zum vereinbarten Zeitpunkt trifft Meggy am Museum ein. Eine Schulklasse wird gerade durch die Ausstellung geführt, den Kindern die Bedeutung der Kernenergie für Amerikas Ruhm, Macht und Größe erklärt, auch an Hand originaler Atombombenhülsen älteren Typs. Das Ungeheuerliche von Hiroshima wird kaum erwähnt. Fukushima, kein Begriff. Meggy kann nur mühsam an sich halten, dass sie nicht auf der Stelle demonstrativ explodiert. Sie schreitet an Michael und Peg vorbei. Die zwinkern ihr zu. Vorsicht, die Räume sind videoüberwacht, sie leben schließlich im freiesten Land der Welt.
Nacheinander verlassen sie das Museum. Meggy fährt zwei Straßen weiter. Ihre Komplizen steigen zu. Gemeinsam fahren sie aus der Stadt hinaus, die bewaldeten Hügel hinauf, picknicken abseits, vertreiben sich die Zeit bis zur Dunkelheit, erzählen sich viel, trinken ein Gläschen Wein, rollen sich in mitgebrachte Schlafsäcke ein und verbringen die Nacht im Freien.
Im Morgengrauen sind sie abmarschbereit. Der Kaffee aus der Thermoskanne ist lau, aber sie sind aufgeregt genug und strotzen vor stolzer Entschlossenheit. Sie wissen, was ihnen blüht. Altersschutz wird nicht gewährt, Geheimnisverrat mit Haft bis zu dreißig Jahren abgestraft. Wie gesagt, im freiesten Land der Welt. Kriechen durch dichtes Gestrüpp auf sumpfigem Gelände, schlängeln sich in weiten Kurven einen steilen Hang hinauf, halten kurz inne, um sich zu verpusten. Schleichen weiter, müssen leise treten, dürfen sich nicht räuspern oder husten.
Laut Anklageschrift schnitten sich die Delinquenten den Weg durch drei acht Meter hohe Maschendrahtzäune frei, warfen die mit Menschenblut gefüllten Babyflaschen, als Sühnezeichen für all jene, die im Krieg verstorben sind, gegen die Außenwand des Lagerhauses, sprühten die alttestamentarische Friedensbotschaft: Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihr Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, werden hinfort nicht mehr kriegen lernen. – Sprühten ´s mit signalroten Lettern und brachen mit Hammer und Meißel aus dem Mauerwerk des Hochsicherheitstraktes Steinbrocken heraus. Dann standen sie abwartend, lächelnd: Halleluja, vollbracht!
Meggy sprach im Gebet: Himmlischer Vater, Dir danken wir, Du hast uns geleitet, beschützt und bewacht. Sie bekreuzigte sich und atmete tief. Bis endlich ein Wachmann mit hochrotem Kopf um die Ecke getrabt, haben die drei Unverbesserlichen über ihren gelungenen Coup gescherzt und gelacht, ließen sich widerstandslos festnehmen und abführen.
Die Blamage für die Security war enorm. Kinderleicht konnte eingebrochen werden. Die groben Sicherheitsmängel an einem der gefährlichsten Plätze der Welt haben schockiert. In höchsten Regierungskreisen wurde erwogen, das Trio, welches vermutlich in den Ausbildungslagern der al-Qaida trainiert worden war, ratzfatz in Guantanamo verschwinden zu lassen. Bei menschenrechtswidrigen Foltermethoden gäbe es jedes gewünschte Geständnis: Waffenfähiges Uran sollte gestohlen, in den Iran geschmuggelt werden! Wohin auch sonst? Eine Yacht für die heiße Fracht lag im Golf von Mexiko bereit. Die NSA habe die Handys des Seniorentrios abgehört. Eine ausgebuffte Story, geschickt in die Presse lanciert. Na klar, Amerika stünde besser da, wäre nicht so blamiert. Nur eine römisch-katholische Nonne als islamistische Terroristin verkaufen, wird das vom Leser akzeptiert?
Zwei Jahre schon sitzen die Aktivisten in Untersuchungshaft, störrisch wie junge Esel. Der Untersuchungsrichter lamentiert: In Japan, das waren Experimentalabwürfe, die mussten sein, seht das doch ein. Dessenthalben gab ´s siebzig Jahre keinen Atomkrieg auf der Welt. Hier und da kleine Scharmützel, nicht der Rede wert, Irak und so, damit der Weltfrieden dauerhaft hält. Euch Pazifisten ist es nicht beizubringen. Die Killzone habt ihr wissentlich durchschritten, wir hätten euch gnadenlos umlegen müssen.
Also sprach die Regierung, vierundachtzig Jahre hin oder her, ein Prozess muss sein, uns sind in der Demokratie die Hände gebunden. Unabhängig ist die amerikanische Justiz.
Für Megan Rice war die Aktion Protest gegen Krieg und nukleare Waffen. Für die Wachleute in Tennessee war der Einmarsch der Rentnertruppe eine Riesenblamage, sie wurden Knall auf Fall aus dem Staatsdienst entlassen. Für die Justiz, keine Frage, glasklar Sabotage, Sachbeschädigung am Staatseigentum. Im vergangenen Jahr wurden Rice und Konsorten schuldig gesprochen. Nun steht das Strafmaß rechtskräftig fest: Zwei Jahre und elf Monate muss die alte Dame ins Gefängnis, ihre Kumpane doppelt so lange.
Die Washington Post titelt: DIE HELDIN VON OAK RIDGE.
Ein Reporter befragt Sister Rice, ob sie sich als Heldin fühle?
Milde lächelt sie aus ihrem altersschönen Gesicht: „Bradley Manning und Edward Snowden haben gezeigt, wie abgrundtief Freiheit und Demokratie verkommen sind. Sie sind Amerikas Helden!“ Und fügt gelassen hinzu: „Nur das zu schreiben, getraut ihr euch nicht.“
„Und Sie, bereuen Sie Ihre Tat?“
Megan Rice blickt ernst, gesteht beschämt: „Ich bereue nur eins, dass ich siebzig Jahre damit gewartet hab."
Der Satz rast über die Liveticker der Welt