Читать книгу Romeo und Julia in Jerusalem - Klaus Werner Hennig - Страница 3

Romeo und Julia in Jerusalem

Оглавление

Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Maral hatte ihn lange herbeigesehnt. Seit Wochen fieberte sie dem Ereignis ihrer Hochzeit mit Mahmoud entgegen. Aber Mahmoud ist Muslim, sie jedoch Jüdin und beide leben sie, Gott sei ´s geklagt, in Israel.

Ein Islamist, jammerte der Vater der Braut, wie schrecklich, einen Islamisten dulden zu müssen. Maral, du süße Blüte im Garten meines Herzens, was tust du mir an?

Über alles geliebter Vater, du weißt wie sehr ich dich achte und ehre. Meine Liebe zu ihm, seine Liebe zu mir, seine Güte, seine Männlichkeit, sein Großmut, geben mir Verheißung für Glück. Verstehe bitte, wir wollen nicht unter deinem Dach leben. Hindernisse sind überwindbar. Du kennst mich. Mahmoud solltest du kennen lernen, an ihm halte ich fest. Und käme aus den Weiten des Weltalls einer von einem anderen Stern, und er wäre wie Mahmoud Mansour, der mich fragt, liebst du mich so wie ich dich, willst du meine Frau werden, ich würde ohne Bedenken mein Jawort ihm geben.

Aber, wandte die Mutter ein, muss es denn wirklich ein Goy und obendrein ein Araber sein? Wir sind Juden seit Olims Zeiten, nicht ultraorthodox, abgesehen von deinem Onkel Ephraim. Unsere Ahnen kamen weither über Spanien, Polen aus Kasachstan. Wir gehen zwar kaum in die Synagoge mehr, essen aber koscher, trinken koscheren Wein und haben uns entschieden, real Israelis in Israel zu sein. Wir denken liberal, lassen Araber ruhig Araber sein.

Vor allem in Arabien, wirft der Vater ein.

Das bedeutet für uns, mahnt die Mutter, in der Welt anders, nämlich auserwählt zu sein. Ich hoffe, du verstehst mich, sei nicht taub, mein Täubchen, werde nicht blind, du bleibst meine Tochter, bist unser Kind.

Ach Mutter, es ist nicht so, wie du meinst. Mahmoud isst auch kein Schweinefleisch, er ist anders, als ihr denkt. Er wäscht sich jeden Tag von Kopf bis Fuß, glaubt ja nicht, dass er stinkt. Ich habe ihn erwählt, wir sprechen weder von Jahwe noch von Allah, weder über die Thora noch vom Koran. Wir wollen einfach glücklich sein. Das ist doch normal.

Ich frage mich, was du überhaupt an ihm findest?

Er ist so einfühlsam, klug und gescheit. Ich möchte mich seiner Obhut gänzlich anvertrauen, in seine Gegebenheiten mich fügen, mit ihm gemeinsam ein Haus für uns und unsere Kinder bauen. Ist das nicht unser Recht? Wir leben in einem demokratischen Staat.

Judentum und Demokratie bilden die Fundamente unseres Staates, davon ist der Vater überzeugt.

Maral entgegnet in gebotener Demut, aber mit fester Stimme: Vater, nach Jahrtausenden gibt es im gelobten Land wieder einen jüdischen Staat. Mahmouds Ahnen lebten auch seit Olims Zeiten allhier.

Darüber kann man streiten.

Wieso müssen wir, die seit Jahrhunderten Vertriebenen, andere vertreiben oder strikt meiden? Ist nicht für beide Völker ausreichend Platz? Inniglich spüre ich, er mag mich sehr, er will mir wohl, ist gut zu mir. Ich liebe ihn. Ach Mütterchen, du sagtest doch immer, Liebe sei wie Religion. Ich versteh mich selber nicht mehr, verstehe du mich bitte, hilf mir zu meinem Glück!

Hast du dabei nur eine Sekunde an deinen Vater gedacht? Weißt du, wie ihm zumute ist. Die Leute, du weißt, wie die sind. Ist dir völlig egal, was die Nachbarn sagen?

Die tratschen eh schon über uns, Mütterchen, hast dich darüber häufig beklagt.

Aber die Schande halte ich nicht aus. Was meinen denn Mahmouds Eltern dazu?

Der Islam erlaubt einem Muslim, eine Nichtmuslima zu heiraten. Das hat mir Mahmoud im Beisein seines Imam gesagt. Warum sollte dann eine Jüdin einen Muslim nicht heiraten dürfen? Ich weiß, der Rabbi und Onkel Ephraim – den nennt ihr selber den Familien-Taliban – die sehen in jedem Nichtjuden einen Gottlosen, der das Judentum gefährden kann. All den Hass in unserem Land hab ich so satt. Darauf will ich mein Leben nicht bauen.

Du wirst zur Bürgerin zweiter Klasse, warnt die Mutter besorgt. Wovon wollt ihr leben?

Mahmoud hat studiert.

Als Araber wird er keine gut bezahlte Arbeit kriegen. Die Mutter weiß, wovon sie spricht, kennt den Trend staatlicher Gepflogenheiten, den herben Dünkel ihres Volkes.

Dein Leben, mein Kind, sagt der Vater mit Wärme, liegt uns sehr am Herzen. Aber ein sicheres Fundament im Leben kann nur gemeinsamer Glaube geben. Das ist so in der Welt und wird immer so bleiben.

Vater, sei unbesorgt, ich konvertiere zum Islam.

Die Eltern erbleichen, starren die Tochter verzweifelt an. Hast du denn gar keine Scham? Der Vater verbirgt sein Gesicht in den Händen.

Tu uns das bitte nicht an, denke an deine Kinder. Nach dem Talmud sind es Juden, nach der Scharia werden es Moslems sein!

Du selbst, Vater, hast mir die Ringparabel aus Lessings Nathan vorgelesen.

Fang jetzt nicht von den Deutschen an. Es langt, dass dein Bruder sein Studium hier abgebrochen und sich nach Berlin verkrümelt hat, sich geriert, als wäre er ins Paradies gelangt.

Und weshalb sollte ich Deutsch unbedingt lernen?

Nicht, um einen Araber zu ehelichen.

Und was ist mit der Freiheit des Menschen, die du mir so gepriesen hast?

Freiheit findest du im rechten Glauben, nichts anderes lehrte ich dich.

Die Mutter stöhnt: Ich muss den Stier bei den Hörnern packen.

Maral blickt trotzig die Mutter an, stößt hervor: Die Araber sind das Hornvieh in unserem Land, nur zu niedriger Dienstbarkeit zu gebrauchen.

Verliere nicht den Respekt vor deinen Eltern!

Versucht wenigstens vorurteilsfrei ihm gegenüber zu sein. Ich möchte meine Familie nicht verlieren. Ich will und werde euch keine Schande bereiten.

Entschlossen lenkt die Mutter ein: Wir bitten deinen Mahmoud mitsamt seinen Eltern zu uns zu Tisch. Berichte mir von ihnen, essen sie Fisch?

Maral umhalst die Mutter. Sie weiß, sie hat ein weites Herz. Mein Mahmoud ist ein junger Mann mit Zukunft allemal. Er hat IT-Technik studiert, promoviert und obwohl er Araber ist, eine Festanstellung als Programmierer in einem Software-Konzern. Er ist sportlich, elegant, von sich eingenommen und trotzdem so fürsorglich, einfühlsam, lieb. Du wirst ihn mögen. Fisch isst er gern.

Dürft ich erfahren, von wem die Rede ist? Maral, du blickst so schwärmerisch, hab ich gerade was verpasst? Onkel Ephraim war unbemerkt eingetreten. Jetzt ist Zoff angesagt. Die Brüder streiten häufig fürchterlich und haben sich immer wieder vertragen.

Die Rede ist von einem jungen Mann.

Soso und von Maral, da hab ich aber ein Wörtchen mitzureden. Sagt ich es euch nicht immer, unverheiratete Mädchen müssen strikt getrennt von jungen Männern sein, aber ihr jagt den Moden der Zivilisation hinterher, verlacht Jahwes Segen und dünkt euch, ihm durch Vorteil zu gefallen. Onkel Ibrahim schüttelt sein Haupt, dass ihm die Locken um die Ohren flattern. Er blickt scheel und herausfordernd seinen Bruder an. Hab ´s dir doch oft genug gesagt.

Der scheinheilige Schlauschwätzer, von ihm lässt sich der Vater nicht belehren. Wahrscheinlich braucht er wieder Geld, will einleitend alle Welt zum rechten Glauben bekehren, anstatt arbeiten zu gehen.

Die Mutter bittet den Schwager, Platz zu nehmen. Maral holt aus der Küche heißen Tee. Auf dem Tisch steht eine Schale mit Süßigkeiten. Der Onkel greift beherzt ein Praliné. Er starrt Maral aufdringlich an. Seine Augen – tiefgründig stechend – dringen ihr durch Mark und Bein. Maral wird schwindelig. Sie möchte sich am liebsten verschleiern.

Kenne ich ihn?, fragt Ephraim unverbrämt. Lebt er koscher, keusch, befolgt den Talmud. Du schweigst. Ist er Christ? Ephraim springt auf, verharrt im Gebet, verbeugt sich rhythmisch wie eine Gummipuppe. Maral empfindet sein frömmelndes Gebaren albern und lächerlich.

Der Vater kommt ihr zuvor, sagt trocken: Nein, Christ ist er nicht, bloß Islamist.

Hölle und Teufel, die Bombe geplatzt, Armageddon, Weltuntergang: Armer Bruder, ist das dein Ernst?

Spaßig find ich ´s selber nicht.

Was werdet ihr tun?

Wir laden Mahmoud und seine Eltern zum Essen ein. Du bist natürlich auch eingeladen, Ephraim.

Mit Terroristen an einen Tisch? Wer sich den Misthaufen zum Gaste nimmt, darf sich nicht wundern, wenn seine Speisen verdorben sind. Wir Juden dürfen niemals wieder Opfer sein!

Wer krampfhaft sich bemüht, kein Opfer sein zu wollen, wird schnell zum Täter.

Es geht um die Reinhaltung des nationaljüdischen Charakters.

Es geht vor allem um unsere Tochter.

Deren Jungfräulichkeit ist keine Morgengabe wert.

Jetzt wirst du beleidigend, Ephraim.

Beschwert euch bei eurem Muezzin.

So primitiv bist du nicht.

Keine Ahnung habt ihr, in welchem Sumpf ihr watet. Es geht um die Reinheit des Judentums.

Sei unbesorgt, Maral konvertiert zum Islam.

Aber das ist es ja! Die vermehren sich ungehemmt, sind bald in der Überzahl. Da bleibt uns nur, radikal auszuweisen oder in einem Ständestaat diktatorisch zu regieren.

Wir leben aber in Israel und nicht im Deutschen Reich.

Ohne mich! Ephraim rennt auf die Straße, knallt die Türe zu.

Die Einladung zum Essen fiel Mahmoud schwer seinen Eltern zu überbringen. Sie haben ihn erstaunt angeschaut. Sie ahnten nicht, dass Maral Jüdin ist. Er wusste nicht, wie er das ihnen schonend beibringen sollte.

Du heiratest doch eine Frau, die gottgläubig ist?, erwartet die Mutter von ihm.

Aber selbstverständlich glaubt sie an einen Gott.

Einen Gott? An Allah, den Allerbarmer ...?

So direkt nicht. Allah oder Jahwe, wir alle stammen von Abraham ab, sind Schwestern und Brüder.

Eine Jüdin bringst du ins Haus? Man wird euch nicht in Ruhe lassen. Mir träumte, Geier stürzten von allen Seiten ins Land. Wir sollen die Gejagten sein. Es gibt viele palästinensische Frauen, die gläubig sind. Warum muss es eine Jüdin sein?

Ich sprach mit unserem Imam. Maral wird konvertieren, unsere Kinder werden erzogen im Geiste des Islam. Es muss doch Möglichkeiten geben, auch hier in Frieden glücklich zu leben.

Viel Geld haben sie deinem Bruder geboten, damit er sein Land verlässt. Deinem Onkel Grund und Boden weggenommen in Ost-Jerusalem. Und du heiratest eine Jüdin? Was sagen denn ihre Eltern dazu?

Sie haben euch zum Essen eingeladen. Bitte Mutter, sag zu und überzeuge den Vater, du weißt, er spricht nicht mit mir, hält mir vor, ich wäre lasch, nicht kämpferisch genug, würde mich der Apartheid-Politik des israelischen Staates fügen.

Mein Junge, ich bin sehr stolz auf dich. Natürlich will ich nur dein Bestes. Aber wenn du in dein Verderben rennst, muss ich dich aufhalten dürfen, das ist meine Pflicht. Heirat beruht auf Zuneigung und Harmonie. Das mag ja rein menschlich bei euch gegeben sein. Nur die Verhältnisse, die sind nicht so.

Ich respektiere ihren Glauben und sehe kein Problem.

Mein lieber Junge, du bist zwar studiert, aber du weißt nicht viel vom Leben.

Das Essen mit Mahmouds Eltern verlief ohne Zwischenfall. Sie wussten sich alle zu benehmen. Jeder war höflich. Gesprochen wurde nicht viel. Die Eltern von Braut und Bräutigam fühlten füreinander, trotz aller Glaubensunterschiede, zunehmend Sympathie. Mahmouds Vater sprach, unser aller Urvater Abraham speiste gern an einem Tisch mit beiden Söhnen, Ismael und Isaak, die sich gegenseitig zwar nicht mögen. Im Grunde glauben wir an den gleichen Gott und pochen zu sehr auf kleine Unterschiede.

Marals Vater neigte zustimmend sein Haupt. Aber Onkel Ephraim, der, wenn auch verspätet, doch noch gekommen war, sprach von tiefen Gräben, die zuzuschütten für beide Seiten nachteilig sei, sie würden der Entwässerung dienen, seien gewissermaßen gottgegeben und somit unabänderlich, um Fäulnis zu vermeiden.

Maral und Mahmoud saßen eng beieinander, schauten sich in die Augen. Vergaßen die anderen um sich herum, glaubten, es müsse auch in Israel möglich sein, das Leben auf Liebe aufzubauen.

Trotz aller Querelen, die Hochzeit fand statt. Es kamen zwar nicht alle Geladenen, trotzdem wurde gefeiert, gelacht und getanzt nach jüdischen und islamischen Bräuchen. Der Staatspräsident hat ein Glückwunschtelegramm gesandt. Hetze, Gewalt und Rassismus haben in der israelischen Gesellschaft keinen Platz, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. Ein frommer Wunsch des alten Herrn, denn draußen, zweihundert Meter entfernt, hat auf richterliche Anordnung ein Polizeikordon den Hochzeitssaal und die Gegend abgesperrt. Eine aufgebrachte Menge schrie laut von Rassenschande, hielt Transparente hoch und drohte mit Straßenkampf. Unter den Demonstranten war Ephraim, der Onkel der Braut. Er hat dem Schlamassel nicht nur zugeschaut, er hat unverhüllt am lautesten gebrüllt: Tod den Arabern!

Aber es gab auch Gegendemonstranten, junge Leute mit Blumen in den Händen, die dem Brautpaar alles Gute wünschten und friedlich Lieder sangen.

Maral und Mahmoud leben heute mit sieben Kindern glücklich und zufrieden. Sie lesen im Tanach und im Koran, folgen der Belehrung des Talmud und achten die Bräuche der Sunna. Kein Thema bei ihnen für Zank, Streit und Missgunst.

Und leben sie noch in Israel, dann ward es wirklich zum gelobten Land.

Romeo und Julia in Jerusalem

Подняться наверх