Читать книгу Das Katzencoverbuch - Konstanze Lunnee - Страница 3
Die goldene Magnolie
ОглавлениеVor vielen tausend Jahren, als Europa voller dichter undurchdringlicher Wälder war und es noch Zwerge, Geister, Hexen und Zauberer gab, lebte irgendwo, mitten im Wald, eine einsame alte Frau in einer kleinen windschiefen Holzhütte.
Etwa einen Tagesmarsch entfernt lag eine kleine Siedlung und die Menschen dort kannten sie. Da man nichts über die Alte wusste, begegnete man ihr anfangs mit Misstrauen. Sie konnte aber vielen Kranken mit ihrem Kräuterwissen helfen und begegnete immer allen freundlich, so duldete man ihre gelegentliche Anwesenheit. Hinter vorgehaltener Hand tuschelte man jedoch über sie und rätselte, wer sie wohl sei und woher sie wohl einst gekommen war, denn eines war merkwürdig: obwohl sie alt war, lebte sie bereits seit vielen Generationen hier im Wald ohne weiter zu altern. Wie konnte das sein? Sicher war sie eine Hexe; eine gute zwar, aber eben doch eine Hexe!
Die Geschichte war jedoch ganz anders:
Die alte Frau war in Wirklichkeit gar nicht alt, sondern eine verwunschene Prinzessin. Sie hatte es gewagt, einen gnadenlosen Zauberer abzuweisen, der sie heiraten wollte und weil sie sich geweigert hatte, ihm auf sein düsteres Schloss zu folgen, raubte er ihr ihre Schönheit und Jugend, verwandelte sie in eine alte Frau und verbannte sie in diesen tiefen dunklen Wald. Hier sollte sie zur Strafe hundert Jahre leben, danach würde sie ihre Jugend zurückbekommen und müsste ihn, ob sie wollte oder nicht, doch noch heiraten. Um sie besonders zu quälen versprach er ihr, dass der Zauber gebrochen werden würde, wenn es ihr gelänge eine goldene Magnolie zu finden. Das alleine war schon ein Ding der Unmöglichkeit, denn es gab keine goldenen Magnolien, aber der Zauberer wollte ganz sicher gehen, dass der Zauber nicht gebrochen werden konnte und bestimmte zusätzlich, dass sich die Blüte am Tag des Vollmondes öffnen müsste und auch nur an diesem einen Tag im Monat gepflückt werden dürfte. Der Zauberer war sich sicher, dass diese Aufgabe unlösbar war und dass die Prinzessin nach Ablauf der hundert Jahre seine Gemahlin werden müsste.
Der König und die Königin waren verzweifelt über den Verlust ihrer geliebten Tochter und schickten Botschafter aus, die in den anderen Königreichen um Hilfe bitten sollten und alle Händler, die in ferne Länder reisten hatten den Auftrag all jenen, denen sie auf ihrem Weg begegneten, eine Bitte um Hilfe zu übermitteln. Brieftauben mit Botschaften wurden zu Tausenden ausgesandt, aber alles war vergebens.
Das Königspaar, das ja nicht verzaubert war, alterte wie alle Menschen und starb schließlich und allmählich wurden die Prinzessin und ihre Geschichte vergessen.
So vergingen neunundneunzig Jahre. Der Zauberer traf schon die ersten Vorbereitungen für die Hochzeit. Er wollte seinen Triumph mit einem großen Fest feiern, das drei Tage dauern sollte und es sollte an nichts fehlen.
Aber, während die alte Frau – bzw. die verzauberte Prinzessin - in ihrer Hütte saß und der Verzweiflung nahe war, begann sich ihr Schicksal von einem fernen Land aus zu wenden.
In einem mächtigen arabischen Sultanat entdeckte ein Geschichtsschreiber unter vielen Papierrollen in der Bibliothek des Sultans eine kleine vergilbte Rolle, die nicht in arabischer Schrift geschrieben war. Er konnte den Text nicht lesen und befragte alle anderen Geschichtsschreiber, alle Händler und alle Seefahrer die er kannte und als er schon aufgeben wollte, traf er einen Schiffsführer, der die Nachricht auf der Papierrolle lesen konnte: „Um unsere Prinzessin von einem bösen Zauber zu befreien, benötigen wir den Zweig einer goldenen Magnolie, deren Blüte sich am Tag des Vollmondes öffnet. Bitte helft uns, wenn ihr es könnt!“
Wie der Zufall so spielt, handelte es sich bei dem Sultanat um das sogenannte goldene Sultanat, denn fast alles dort war golden und im Palastgarten stand ein goldener Magnolien-baum, der das ganze Jahr über immer wieder neue Blüten ansetzte.
Als der Sultan die Botschaft hörte, war er sofort bereit Hilfe zu leisten auch wenn die Chance auf Erfolg gering war, denn man wusste ja gar nicht mehr, wie viele Jahre, oder vielleicht Jahrzehnte, die Papierrolle in der Bibliothek gelegen hatte.
Der Sultan rief die größten Pflanzenkenner zu sich und besprach sich mit ihnen. Sie betrachteten jeden Zweig des Magnolienbaumes und wählten schließlich einen Zweig mit fünf Blütenknospen aus. Jede Knospe war in einem anderen Entwicklungsstadium und so bestand die Möglichkeit, dass wenigstens eine Knospe die tausende Meilen weite Reise überstehen würde.
Der Zweig wurde drei Tage ins Wasser gestellt, damit er sich richtig mit Flüssigkeit anreichern konnte.
Während dieser Tage unterrichtete der Sultan seinen Lieblingsfalken. Es war ein wunderschöner sehr kluger Wanderfalke, der jedes Wort seines Herrn verstand. Er würde nur nachts fliegen und sich nach dem Nordstern richten um zu der fernen Prinzessin zu gelangen. Den Zauberwald würde er an seiner kreisrunden Form und den fast schwarzen Bäumen erkennen.
Als der Falke mit dem Zweig in den Fängen losflog startete auch der Sultan mit seinem Sohn und einem Sprachkundigen mit mehreren goldenen Ballonen und flog hinterher. Sie wollten sehen, ob ihre Rettungsaktion erfolgreich war.
Der Falke flog unermüdlich von der Abenddämmerung bis zur Morgendämmerung und da Falken sehr schnell fliegen können erreichte er innerhalb einer Woche sein Ziel. Er erkannte den Zauberwald und sah von oben die winzige Lichtung mit der kleinen Holzhütte. Völlig erschöpft ließ er der Prinzessin den Zweig vor die Füße fallen und stürzte dann kraftlos zu Boden.
Die Prinzessin erkannte sofort, was ihr da zu Füßen lag und konnte es kaum glauben.
Vorsichtig trug sie den Zweig und den Vogel in die Hütte. Schnell stellte sie den Zweig ins Wasser und holte dann ein Moospolster für den Falken damit er sich erholen konnte. Auch stellte sie eine Mausefalle auf um Futter für den Vogel zu haben und er sich stärken konnte um wieder zu Kräften zu kommen.
Nun konnte sie den Zweig näher betrachten. Es waren noch zwei Knospen daran und in zwei Tagen war Vollmond. Die Prinzessin wusste aber nicht, wie lange der Zweig ohne Wasser gewesen war und ob die Blüten die Reise – woher auch immer – wirklich überstanden hatten. Sie konnte nur hoffen!
Als sie am nächsten Morgen nach dem Zweig sah, erschrak sie, eine der Blüten war abgefallen. Die letzte Blüte war fest geschlossen und sah auch nicht so aus, als ob sie sich bis zum nächsten Tag, dem Tag des Vollmondes öffnen würde. Mindestens hundert Mal sah sie nach dem Zweig, aber bis zum Abend änderte sich nichts, die Blüte blieb geschlossen, fiel aber auch nicht ab.
Die Prinzessin schlief in dieser Nacht sehr schlecht und am Morgen traute sie sich erst nicht, nach dem Zweig zu sehen. War die Blüte noch da? Würde sie sich öffnen? Gegen Mittag endlich ging sie in die Ecke, wo der Zweig in einer Kanne stand und, welch ein Glück, die Blüte war noch da, aber, oh Schreck, sie war fest geschlossen.
Die Prinzessin wusste, bis zum späten Abend, wenn der Vollmond zum Fenster hereinschien, musste sie die geöffnete Blüte pflücken. Was konnte sie nur tun? Diese Blüte war ihre einzige Chance, den Zauber zu brechen.
Plötzlich hatte sie eine Idee: Vielleicht war warmes Wasser die Lösung?! Gedacht, getan. Sie stellte den Zweig in warmes Wasser, das sie stündlich erneuerte.
Die Sonne ging unter.
Dann, ganz, ganz langsam, begannen die Blütenblätter sich zu entfalten und tief in der Nacht, als das silberne Mondlicht durch das Fenster auf den Zweig fiel, war die goldene Magnolienblüte voll geöffnet und mit zitternden Händen brach die Prinzessin sie vom Zweig.
Im selben Augenblick verschwanden die weißen Haare und die tiefen Falten, die Prinzessin war wieder jung und schön und im Schloss bei ihren Eltern. Die Zeit im Königreich war hundert Jahre zurückgestellt, aber nicht auf der ganzen Welt.
Die goldenen Ballone des Sultans und seines Sohnes erschienen am Horizont und landeten im Schlosspark. Die Prinzessin und der orientalische Prinz verliebten sich sofort ineinander und es wurde ein großes Fest gefeiert als sich der Prinz aus dem Morgenland mit der Prinzessin aus dem Abendland verlobte.
Die Hochzeit wurde prunkvoll im Palast des Sultans gefeiert und das Paar führte eine lange, glückliche Ehe.
Der Prinz wurde als Nachfolger seines Vaters ein weiser und gerechter Herrscher.
Seine Falkenzucht wurde weltweit berühmt.
Die goldene Magnolie, die zum Glück des Paares beigetragen hatte, wurde das Wahrzeichen des Landes und ins Staatswappen aufgenommen.