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Wenn die Pfirsichblüten erblühen

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Provinz Roussillon, Südfrankreich, 1487

Am Fuße des Pic du Canigou wuchsen Pfirsichbäume.

Sie standen wie Soldaten in Reih und Glied auf einer hellgrünen Wiese, als erwarteten sie ein Heer Feinde. Ihre gerade erst erblühten Knospen öffneten sich durch den warmen Kuss der Sonne und erstrahlten in einem blassrosafarbenen Meer, das sich vor der Silhouette des mächtigen Berges im flachen Tal ergoss.

Bunte Vögelchen sangen und jagten tänzerisch durch die Lüfte, und irgendwo muhte eine Kuh. Die Provinzler Roussillions gingen geschäftig ihren Gepflogenheiten nach, während der junge Soldat Gérard an ihren Feldern und Höfen vorbeiritt.

Einige Mädchen, die auf den Ackern tatkräftig mitarbeiteten, hoben die Köpfe und sahen dem schlaksigen Reiter nach, der ganz allein und einsam durch die Provinz ritt und in seiner schicken, nigelnagelneuen Uniform recht ansehnlich wirkte. Sie nahmen jedoch unter den wütenden Blicken ihrer Väter schnell wieder ihre Tätigkeiten auf.

Gérard bemerkte nichts davon, denn ihn plagten andere Sorgen. Er glaubte allmählich, sich in der ländlichen Gegend verritten zu haben. Dabei hätte er bereits vor Stunden bei seinem neuen Posten eintreffen sollen. Er hielt an einer Kreuzung an und fragte einen Bauern, der neben einem Ochsen und einem Pflug stand, nach dem Weg zu der hier stationierten Kompanie des Königs.

Nachdem der alte Griesgram recht unhöflich der strahlenden Sonne entgegen gewiesen hatte, zerrte Gérard die Zügel seines dunkelbraunen Pferdes herum und ritt in die ihm vorgegebene Richtung. Unhöflichkeit war er gewohnt, er kam aus der Stadt und war so gut wie auf der Straße großgeworden. Umso wichtiger war es ihm, nicht all zu spät bei seinem neuen Vorgesetzten einzutreffen. Gérard hatte sein Leben um jeden Preis verbessern wollen, und der Eintritt in die Armee war ihm am klügsten erschienen, weil selbst ein Gossenjunge, wie er, im Rang aufsteigen konnte, sofern er nur stark und mutig genug war, sich als Held zu beweisen.

Und genau deshalb konnte Gérard es kaum erwarten, seinen Posten anzutreten. Er konnte nun der Stadt entfliehen und seinen Rekruten-Rang ablegen. Endlich lohnte sich all sein Fleiß.

Die Kompanie lagerte direkt am Fuße des Pic du Canigou, der sich nun majestätisch vor Gérard emporhob.

Die Zeltspitzen des Lagers bildeten auf brachliegenden Feldern einen Kreis, am südlichen Rande befand sich ein Übungsplatz, für jenen eine von dürren Bäumen umringte Weide hatte herhalten müssen. Statt grünem Gras fand man dort nur noch staubigen, braunen Grund vor. Niemand übte auf dem Platz, als Gérard daran vorbeiritt, alles war ruhig wie auf einem Friedhof, die Übungsschwerter standen unberührt in den Ständern. Eine kleine Scheune gehörte zu dem recht kleinen Soldatenlager, sie stand etwas abseits auf einer einsamen, aber weitläufigen Wiese.

In unmittelbarer Nähe befand sich ein bescheidenes Dorf, dessen ländliche Idylle so manchen Künstler ins Schwärmen gebracht hätte. Wie auf einem Gemälde standen die rustikalen Bauernhäuser umringt von Getreidefeldern und grünen Kuhweiden in einer ebenen Landschaft. In der Mitte dieser Siedlung befand sich eine malerische kleine Kapelle mit Glockenturm. Keine Mauern sperrten die Menschen ein, auf dem Land herrschte eine geradezu sorglose Freiheit.

Gérard stieg aus dem Sattel und führte sein müdes Pferd am Zügel in das ruhige Lager der königlichen Armee. Durch die Sonne schwitzte sein dunkelbraunes, gelocktes Haar unter seinem Spangenhelm, doch er war diszipliniert genug, ihn trotzdem aufzubehalten. Er durfte keinen schlechten Eindruck erwecken, denn er sah diese Chance als seine einzige und letzte, um aus seinem Leben wirklich etwas Wertvolles zu machen. Im Kampf zu sterben war besser als auf der Straße abgestochen zu werden.

Doch was er schließlich erblickte, ließ ihn wahrlich staunen.

Die Männer lagen oder saßen faul herum, sonnten ihre entblößten Oberkörper in der Sonne, winkten und schmunzelten träge den Bauernmädchen auf den Feldern zu.

Gérard war doch erstaunt, immerhin war er in Paris ausgebildet worden, wo strenge Ordnung und Disziplin herrschte. Einen solchen Haufen sich räkelnder Faulpelze hätte dort niemand geduldet!

Während er langsam durch die ruhigen Zeltreihen ging, verfolgte ihn der schmale Blick eines scheinbar dösenden Mannes. Er lag nur in Unterkleidern auf einem Stapel Fässer und um ihn herum standen Vorratskisten, die er offensichtlich nicht sehr gut bewachte. Sein Panzerbrecher steckte in der ledernen Schwertscheide und lehnte an einem geöffneten und geleerten Weinfass, sein abgelegter Plattenpanzer lag daneben auf dem plattgetretenen Boden.

»He, Knäblein!«, rief ihm der Mann unerwartet hinterher. »Wo wollen wir denn hin?«

Gérard zuckte leicht zusammen, da er geglaubt hatte, der Mann würde tief und fest schlafen. Er blieb stehen und drehte sich neben dem Kopf seines müden und durstigen Pferdes zu dem Faulenzer um.

Erst da begriff er, wie er genannt wurde, und setzte eine ärgerliche Miene auf. Er sollte mittlerweile an die bissigen Bemerkungen seiner Kameraden gewöhnt sein, trotzdem störte es ihn, dass er wegen seines jungen Alters und seiner knabenhaften Statur nicht ernst genommen wurde.

Der Mann machte sich nicht die Mühe, aufzustehen oder auch nur den Blick zu heben. Er kaute lässig wie ein Landstörzer auf einem Strohhalm herum, die Arme gemächlich hinter dem Kopf verschränkt. Sein Leinenhemd stand offen, sodass die Sonne auf seine mit braunem Haar bedeckte Brust schien. Sein dunkelbraunes Kopfhaar reichte ihm bis zu den Schultern, es schimmerte wie eine Kastanie im Sonnenschein, und hing ihm so tief in der Stirn, dass es beinahe seine Augen bedeckte.

Trotz, dass die Lider wegen der grellen Sonne und offensichtlichen Argwohns zusammengekniffen waren, schimmerte das helle Braun der Iris bis zu Gérard herüber.

Dieses Schimmern sorgte letztlich auch dafür, dass er den anderen Mann einfach nur mit offenen Lippen staunend ansehen konnte.

Was war das? Dieser seltsame Druck in seinem Bauch? Er fühlte sich plötzlich unwohl und befürchtete, sich auf der Reise eine Krankheit eingefangen zu haben.

Der Mann zog eine dunkle Augenbraue in die Höhe. »Hat es Euch die Sprache verschlagen, Bursche?«

Gérard riss sich ruckartig zusammen. Er erinnerte sich an seine Ausbildung und an die große Ehre, hier sein zu dürfen, obwohl er noch recht jung für seinen Dienstrang war.

»Ich suche den Capitaine dieser Kompanie«, verkündete er und bemühte sich, stramm zu stehen.

Ein schiefes Schmunzeln breitete sich auf den geschwungenen Lippen des anderen Mannes aus. »Ist das so?«

Gérard nahm überdeutlich die tiefen Grübchen in dessen Mundwinkeln wahr. »Ganz recht«, bestätigte er und neigte formell sein Haupt. »Wenn Ihr also die Güte hättet, Euren faulen Mittagsschlaf zu beenden, um mir den Weg zu Eurem Capitaine zu weisen, verrate ich ihm vielleicht nicht, dass Ihr während dem Dienst schlaft.«

Der Faulenzer streckte sich genüsslich, sich keinem Fehlverhalten bewusst. »Es ist schon Mittag?«

Gérard war schockiert über den Mangel an Disziplin! Und darüber, dass dieser Soldat sich augenscheinlich nicht dafür schämte. Dort wo Gérard herkam, wurden noch nicht einmal hängende Schultern gestattet; und es war schon gar nicht erlaubt, faul während dem Dienst in der Sonne zu liegen.

Er wollte sich jedoch nicht bereits am ersten Tag bei den Männern der Kompanie unbeliebt machen, also wartete er geduldig ab, bis sich der andere Mann gestreckt hatte und dann lässig auf die Beine kam.

Eine unbekannte Hitze stieg Gérard in die Wangen, als er den unzureichend bekleideten Mann in aufrechter Haltung vor sich sah. Er war beeindruckend groß und breitschultrig. Seine schlanken Muskeln waren schon vom Weiten einschüchternd, dabei wirkte sein Körper keineswegs hünenhaft.

»Nun denn, Bursche.« Er sprang von den Fässern und landete mit der Grazie einer Katze auf dem Boden. Sich die Hände abklopfend, schlenderte er auf Gérard zu, sodass dieser den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm auf sehen zu können. Der große Mann blieb stehen und lächelte dünn: »Der Capitaine steht vor Euch.«

Herzstillstand. Gérard starrte aus großen Augen zu ihm auf und schluckte trocken. »Oh. Ich … äh … «

»Und wer seid Ihr«, verlangte der Capitaine zu erfahren, sein musternder, sehr strenger Blick glitt schräg an Gérards Körper auf und ab, »Knabe?«

Es kostete Gérard einiges an Überwindung, unter dem harten Blick des Capitaine nicht furchtvoll den Kopf einzuziehen.

Warum war ihm nur plötzlich so heiß? Vermutlich wegen seines unverzeihlichen Fauxpas.

Gérard überspielte seine Unsicherheit, indem er verkrampft Haltung annahm. »Die Armee schickt mich, Capitaine. Ich bin Euer neuer Sergent.«

***

»Das soll wohl ein Scherz sein.« Capitaine Brix sprach nicht mit Gérard, sondern mit einem seiner Unteroffiziere. Er umrundete seinen Tisch im Inneren seines halbdunklen Zelts und stellte sich dahinter, während er den Soldaten entnervt ansah.

»Sie ziehen den armen, alten Louie von hier ab, und mir schicken sie einen … einen …«, er suchte nach einem für ihn passenden Begriff und schwenkte abschätzig seine Hand in Gérards Richtung, » … einen Knaben von … von … Bei dem allmächtigen Herrn, wie alt seid Ihr?«

Gérard stand augenblicklich noch etwas strammer und ließ sich seinen Ärger über den herablassenden Tonfall des Capitaine nicht anmerken. »Neunzehn, Capitaine. Ich bin neunzehn Jahre alt.«

Nun … jedenfalls offiziell, und mehr brauchte er auch nicht zu wissen.

Der Capitaine verengte argwöhnisch seine Augen und starrte Gérard einen nicht enden wollenden Moment lang an.

Es schien, als wollte er mit diesem durchdringenden Blick direkt in Gérards Kopf und Gedanken sehen – oder ihn zumindest dazu bringen, vor ihm einzuknicken.

Da Gérard standhaft und seine Miene unbewegt blieb – obwohl er innerlich zitterte wie ein verlorenes Lamm im Regen – nahm der Capitaine diese Antwort hin. Doch sein Argwohn wollte nicht aus seinem strengen Blick weichen.

»Reichlich jung«, bemerkte er schließlich, »obwohl ich Euch sogar für noch jünger halte. Wie kommt Ihr zu diesem Dienstrang?«

Er fragte dies in einem Wortlaut, der deutlich machte, dass er Gérard für einen Schwindler hielt.

Gérard starrte weiterhin die Zeltwand hinter seinem Vorgesetzten an. »Ich glänzte durch taktisches Geschick, Klugheit und Disziplin, Capitaine. Ich führe eine Empfehlung der Krone mit mir.«

Natürlich hatte Gérard nie persönlich den König oder auch nur einen von dessen Beratern angetroffen, aber die Krone verteilte derweil viele Anträge, um Soldaten zu den Heerlagern zu entsenden. Sie rüsteten auf, ganz gleich wie jung der Nachschub sein mochte.

Als der Capitaine winkte, kramte Gérard in seinen Taschen und überreichte diesem das offizielle Dokument.

Routinemäßig brach Capitaine Brix das Siegel des Königshauses und brauchte dann einen Moment, um die Zeilen zu lesen. Gérard war sich sicher, dass danach alles geregelt sein müsste, und konnte dahingehend nur Erleichterung empfinden.

Seit dem Missverständnis vor einigen Augenblicken herrschte nämlich eine gewisse Spannung zwischen ihm und dem Capitaine, die er als dessen neuer Sergent gerne überwunden hätte. Solch ein erstes Zusammentreffen hätte niemals repräsentabel für ihre zukünftige Zusammenarbeit stehen dürfen. Gérard konnte nur hoffen, dass der Capitaine ihm seine Arroganz verzieh.

Doch die geschwungenen Lippen des Capitaine wurden schmal. Er blickte von dem Dokument auf und fasste Gérard scharf ins Auge. »Sie schicken Euch, um zu lernen.«

Es war keine Frage, trotzdem antwortete Gérard: »So ist es, Capitaine. Ihr habt noch immer einen lobenswerten Ruf als einer der besten Schwertkämpfer, Capitaine. Ich bin hier, um von Euch zu lernen.«

Gérard nahm an, der andere Mann würde sich dadurch geschmeichelt fühlen, immerhin war es eine große Ehre, ein Lehrer zu sein. Es bewies, dass Capitaine Brix` Fähigkeiten herausragend waren und noch immer sind.

Doch der Capitaine warf die Nachricht recht ernüchtert auf seinen Tisch und fuhr sich dann durch das braune Haar als sei er erschöpft. Er wandte sich an den anderen Soldaten, der stumm und ratlos neben ihm stand. »Sie wollen einen Lehrer aus mir machen …«

Der Soldat schwieg, betrachtete den Capitaine aber mit einem bedauernden Blick.

»Sie werden mich nicht mehr an die Front versetzen und kämpfen lassen«, murmelte Capitaine Brix und schüttelte frustriert den Kopf, »stattdessen soll ich andere auf das Kämpfen vorbereiten.«

Die darauffolgende Stille im Raum sprach Bände. Gérard wurde allmählich bewusst, worum es bei seiner Anwesenheit ging. Er hatte den Drang, sich zu entschuldigen, doch da schien sich der Capitaine zusammen zu reißen und wandte ihm mit einem dünnen Lächeln das Gesicht zu.

»Nun denn …«, er las den Namen von dem Dokument ab, da er ihn vergessen hatte, » … Gérard. Wisst Ihr, welchen Aufgaben ein Sergent nachgehen muss?«

»Der Sergent ist dem Capitaine verantwortlich und sorgt für die Ordnung in der Kompanie«, antwortete Gérard einstudiert.

Der Capitaine lächelte dem anderen Soldaten zu, sie tauschten stumme Blicke aus, die vor Belustigung nur so sprühten.

Sie schienen sich über seine Worte zu amüsieren, dabei konnte Gérard sich beim besten Willen nicht erklären, was er so falsches gesagt haben könnte. Man hatte ihm exakte Anweisungen gegeben, bevor man ihn hergeschickt hatte, und genau jene hatte er lediglich wiederholt.

Er befolgte nur Befehle.

»Verzeiht, Capitaine Brix«, wagte Gérard das Wort an diesen zu richten und sah zwischen den beiden Männern unsicher hin und her, »aber vielleicht sollte ich mich einfach meinen Aufgaben widmen. Kann ich irgendetwas für Euch tun?«

Der Capitaine zog die dunklen Augenbrauen soweit nach oben, dass sie fast seinen Haaransatz berührten. »Etwas für mich tun?«

Gérard nickte voller Tatendrang. »Wobei kann ich Euch helfen? Ich würde mich gerne sofort nützlich und mit allem vertraut machen.«

Wieder tauschte der Capitaine mit dem anderen Soldaten ein Lächeln aus. Sie amüsierten sich ganz offensichtlich über Gérard, den die Arroganz seines Vorgesetzten allmählich auf eine Art zu reizen begann, die er so in jener ausgeprägten Form noch nie verspürt hatte. Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals derart über einen anderen Menschen geärgert zu haben wie über Brix, dabei konnte er nicht einmal benennen, was ihn eigentlich genau an diesem missfiel.

»Ihr wollt etwas tun?« Der Capitaine fuhr sich mit seiner Hand über den Mund, um sich das Schmunzeln aus dem Gesicht zu wischen, doch das belustigte Funkeln in seinen hellbraunen Augen wollte einfach nicht abnehmen. »Na dann kommt mal mit.«

Der Capitaine krümmte lockend einen Finger und bedeutete Gérard, ihm zu folgen.

Er führte ihn durch das Lager, ohne ihm jedoch irgendetwas zu zeigen oder zu erklären. Mit einem erhobenen Kinn, die Hände in seinem leichten Hohlkreuz verschränkt, stolzierte er Gérard voraus, bis sie am Rande des Lagers ankamen.

»Hier!« Der Capitaine gab den Blick auf die vollkommen friedliche Landschaft preis.

Verwirrt trat Gérard neben ihn und betrachtete mit gerunzelter Stirn das Meer aus Pfirsichbäumen, das sich vor ihm am Fuße des Pic du Canigou ergoss. Eine leichte Windbrise blies durch die Baumkronen und zerrte an den rosafarbenen Blüten, einige segelten wie farbiger Schnee zu Boden. Mehr war nicht zu sehen.

Fragend sah er den Capitaine wieder an.

»Ihr wolltet doch etwas tun«, schmunzelte dieser humorlos und klopfte Gérard zum Abschied grob auf die Schulter. »Ihr könnt den Pfirsichen beim Wachsen zusehen.«

***

Gérard konnte Brix nicht ausstehen. Und seine Meinung über den Capitaine schien sich mit jedem dahinfließenden Tag zu festigen.

Es lag keineswegs daran, dass Gérard ihn für einen Faulpelz hielt, denn schon nach nur einer Nacht hatte er feststellen müssen, dass es in diesem Lager bis auf die üblichen kleinen Aufgaben überhaupt nichts zu erledigen gab. Der Capitaine hatte sich nicht nur über ihn lustig machen wollen, als er ihm vorschlug, den Pfirsichen beim Wachsen zuzusehen, er hatte ihm damit lediglich zeigen wollen, was es hier zutun gab: Nämlich gar nichts.

Kein Feindesheer war in Sicht oder hatte gar die Absicht, hier einzufallen, keine aufständischen Bauern gingen umher, nicht einmal die wilden Tiere trieben ihr Unwesen. Es gab hier nichts und niemanden, den sie hätten zur Ordnung rufen müssen.

Roussillon wurde vor vielen Jahren von den Engländern als Pfand an den König abgetreten, und der einzige Grund, weshalb hier überhaupt Kompanien stationiert wurden, war, um einfach nur präsent zu sein. Sie waren nur anwesend, um mit der Flagge des Königs zu winken.

Was natürlich dazu führte, dass es rein gar nichts zu tun gab, außer in der Sonne zu liegen und den Bauernmädchen zuzusehen, wie sie über die Felder tanzten oder unten am Bächlein die schmerzenden Füße ins kalte Wasser hielten.

Gérard versuchte, das Beste daraus zu machen, und anders als der erste Eindruck erweckt hatte, schien es dem Capitaine ebenso zu ergehen. Sie suchten Aufgaben für ihre Kompanie, um die Männer bei Laune zu halten, und sorgten dafür, dass sie nicht zu auffällig den Mädchen nachstellten, damit die Bauern nicht revoltierten. Der Capitaine ließ nicht zu, dass seine Männer aus der Übung kamen und striezte sie täglich bei einem kurzen aber intensiven Training.

Brix war in der Kompanie sehr angesehen, was Gérard überhaupt nicht verstehen konnte. Der Capitaine war viel zu arrogant.

Warum war er nur so gleichgültig?

Und immer diese kühlen Blicke, mit denen er alles überwachte. Immer dieser gewisse Argwohn, der in seinen hellbraunen Augen schimmerte, wenn er sich mit jemanden unterhielt. Sein leicht hochgestrecktes, langes und spitzes Kinn, seine hochnäsige Nase und ihr markanter Hocker, der davon zeugte, dass der Knochen schon des Öfteren gebrochen worden war.

Und natürlich seine unerschütterliche Fähigkeit, Gérard bis auf das Notwendigste zu ignorieren, selbst wenn dieser mit ihm sprach. Der Capitaine hatte sich bereits mehrfach mitten im Gespräch einfach abgewandt und war gegangen, Gérard mitten im Satz stehen lassend.

War das zu fassen? Dieser arrogante Mann!

Gérard fühlte sich hintergangen. Er hatte geglaubt, nach Roussillon versetzt zu werden, damit er echte Kampferfahrungen sammelte, stattdessen kam es ihm eher so vor, als hätten sie ihn schon aus dem Dienst entlassen.

Es fühlte sich wie ein vorzeitiger Ruhestand an, obwohl Gérard sich seit dem Beginn seiner Ausbildung zum Schwertkämpfer nichts sehnlichster gewünscht hatte, als in eine echte Schlacht zu ziehen. Das musste offensichtlich warten.

Um die Kunst des Schwerkampfes noch besser zu erlernen, hatte er sich weiter erniedrigen und den Capitaine geradezu anflehen müssen, ihn zu trainieren. Erst am dritten Tag hatte dieser sich erbarmt und sich Gérard in einem Duell gestellt.

Doch statt ihm etwas beizubringen, hatte Brix ihn lediglich vor seinen neuen Kameraden innerhalb eines Wimpernschlags zu Fall gebracht und die Übungen damit beendet.

»Übt lieber noch ein wenig mit den anderen, Bursche«, hatte er ihm geraten, sein Schwert in die Scheide gesteckt und war über ihn hinweggestiegen.

Auch die restlichen Soldaten nahmen Gérard als Sergent überhaupt nicht ernst. Er war viel zu jung, um geachtet zu werden, und hatte noch in keiner Schlacht gedient, um sich ihren Respekt zu verdienen. Nur einer der Jüngeren war nachsichtig mit ihm. Der freundliche Jean mit den hellbraunen Haaren, die er immer zu einem Zopf zusammenband, nahm sich ein Herz und sprach wenigstens gelegentlich mit Gérard. Dieser war auch jener Soldat gewesen, der bei dem Capitaine gestanden hatte, als Gérard ihm die Empfehlung der Krone überreichte.

Am Abend nach Gérards Blamage bei dem Duell, setzte sich Jean zu ihm. Er klopfte ihm auf die Schulter und ließ sich mit einem Seufzen neben ihm nieder. »Trink einen Becher davon, dann vergeht die Schmach.«

Ohne hinzusehen, nahm Gérard den Becher Wein an sich und nahm einen kräftigen Schluck.

Er lehnte mit den Armen auf einem Fass bei den Vorräten, starrte hinüber zu dem entfachten Lagerfeuer, dessen Funken in den nachtschwarzen Himmel schwebten, und beobachtete aus schmalen Augen den Capitaine, der bei seiner Kompanie saß und ausgelassen lachte und Geschichten erzählte.

Die Männer und der Capitaine waren zuvor durch das eiskalte Bachwasser gewatet, weshalb seine Leinenhose noch hochgekrempelt war, und Gérard sich fragen konnte, woher die wulstige Narbe stammte, die sich von einem wirklich strammen Unterschenkel soweit hinauf schlängelte, dass sie unter dem ausgeblichenen Leinenstoff wieder verschwand.

Schon seit einer Ewigkeit starrte er dieses Bein an, das erst vom Schein der Abendsonne und nun vom Flackern der Flammen angeleuchtet wurde. Er konnte nicht genau bestimmen, was ihn neugieriger machte, die lange Narbe oder diese mit hellen Löckchen übersäten strammen Muskeln, die ihm selbst mehr als deutlich fehlten.

Gérard hatte immer hart trainiert, doch sein Körper war im Vergleich zu dem des Capitaine nur knabenhaft und schlaksig. Je länger er den Capitaine anstarrte, je mehr wurde ihm bewusst, wie dürr er im Gegensatz zu diesem war. Umso mehr sollte er sich fragen, weshalb es ihm nicht gelingen wollte, ihn nicht ständig anzustarren.

Zumal er sich bei jedem Blick maßlos ärgerte. Der Anblick des Capitaine sorgte durchweg dafür, dass Gérard einen gereizten Magen hatte, der unentwegt vor unterdrückter Wut rumorte.

Er konnte aber immer noch nicht bestimmen, was ihn eigentlich so zornig werden ließ.

Vielleicht, weil Brix täglich mit diesem selbstsicheren Gang herumstolzierte, obwohl er nicht einmal die Rüstung trug, die ihn als Kämpfer und Anführer kennzeichnete. Und ganz bestimmt wegen der Art, wie er arrogant die Augenbrauen hochzog.

Wie er sich allgemein benahm, bewegte und sich zeigte. Als wäre er über alles erhaben und als wäre er etwas so Besonderes mit seinen hellbraunen, strengen Augen und dem kastanienbraunen, längeren Haar. Als wäre er der imposanteste Mann ganz Frankreichs, mit den breiten Schultern, den strammen Schenkeln und schlanken Bauch- und Brustmuskeln, die er jedem präsentieren musste, weil er nur in diesen leichten Kleidern durch die Sonne stakste.

Als hätte er den brütenden Blick bemerkt, drehte der Capitaine plötzlich den Kopf und sah Gérard ohne Umschweife in die Augen.

Wie jedes Mal, wenn das geschah, blieb Gérard aus unerfindlichen Gründen der Atem fort.

Der Blickkontakt hielt einige Momente lang stand, und Gérard konnte sich nur bis tief in den brodelnden Bauch darüber ärgern, wie das warme Licht der Flammen das markante Gesicht des Capitaine anstrahlte und dessen lange Wimpern, seine geschwungenen Lippen und das federleichte Haar, das sich in einer leichten Windbrise bewegte, hervortreten ließ. Sein Anblick war für Gérard auf eine ihm unerklärliche Weise so fesselnd, als würde er ein exotisches Tier im Unterholz entdecken. Er war nicht fähig, wegzusehen, noch sich zu bewegen. Sein Herz klopfte so schnell und hart in seiner Brust, als wollte es ihm wie ein Vogel davonfliegen, direkt in diese hellbraunen Augen, die ihn mit ihrem bohrenden Blick festhielten.

Alles an diesem Mann reizte ihn so sehr, dass er sich buchstäblich die Haare ausreißen könnte. Sein Anblick war das Allerschlimmste an ihm, weil Gérard einfach außerstande war, die Augen von ihm zu nehmen. Doch er konnte sich nicht erklären, warum.

Wäre Brix wenigstens nicht so arrogant!

Er zuckte zusammen, als Jean ihm unerwartet in die Seite stieß.

Jean lachte: »Worüber denkst du immer so angestrengt nach?«

Gérard antwortete nicht gleich, er sah von Jean zurück zum Feuer, aber Brix hatte seine Aufmerksamkeit längst wieder seinen Männern zugewandt.

»Ach … über gar nichts«, murmelte Gérard und senkte aus unerfindlichen Gründen enttäuscht den Blick. Ein bitterer Geschmack, wie von giftigen Pilzen, machte sich auf seiner Zunge breit.

Jean lehnte sich zu ihm und gab ihm den guten Rat: »Leg dich nicht mit dem Capitaine an. Mal abgesehen davon, dass du sein Sergent bist, genießt er auch ein hohes Ansehen.«

Gérard runzelte neugierig seine Stirn. »Du meinst, über diese Kompanie hinaus?«

Jean nickte eifrig. »Oh ja, er war wirklich ein begnadeter Schwertkämpfer, und Held einiger Schlachtfelder, bevor er verwundet wurde.«

Nachdenklich betrachtete Gérard erneut Brix, sein Blick glitt zu dessen Bein. »Hat er daher die Narbe?«

Jean nickte bestätigend. »Hat er sich bei einer Schlacht gegen die Habsburger zugezogen. Der Feind hat ihn beinahe komplett aufgeschlitzt, sagt man. Von der Hüfte bis zum Knöchel. Es war ein Wunder, dass er das überlebt hat und das Bein behalten konnte. Sie sagten, er würde nie wieder kämpfen können, doch er biss sich durch. Anfangs konnte er nur humpeln, davon merkt man fast gar nichts mehr. Trotzdem wollen sie ihn nicht in die Schlacht ziehen lassen. Obwohl er ja wieder ganz der Alte ist, wa?« Jean schlug ihm gegen den Arm, sodass Gérard beinahe samt Fass, auf dem er lehnte, umgekippt wäre.

Gérard starrte weiterhin auf den Capitaine. Die Vorstellung, ihn blutend inmitten eines Schlachtfelds liegen zu sehen, gruselte ihn, obwohl er ihn doch gar nicht leiden mochte. Gleichzeitig verspürte er eine wirklich ärgerliche Bewunderung, die bei dieser Geschichte unversehens aufkam, die heller und heißer brannte als jede trübe Verärgerung.

Jean sprach plötzlich ernst weiter: »Und dann schicken sie dich! Sieht fast so aus, als solltest du ihn zu gegebener Zeit ersetzen. Würde mir dann auch nicht gefallen, wäre ich der Capitaine.«

Damit stand er auf, legte Gérard zum Abschied noch ein letztes Mal die Hand auf die Schulter, als wollte er ihn trotz seiner Bemerkung aufmuntern, und torkelte dann betrunken vom Wein zu seinen Kameraden, die ihn grölend empfingen.

Gérard lehnte sich auf das Fass und stützte das Kinn auf seinen Handrücken, während er weiterhin ungeniert den Capitaine beobachtete, der gelegentlich zu ihm hinübersah und die stummen Blicke erwiderte.

Das warme Glühen des Lagerfeuers spiegelte sich in seinen hellbrauen Augen, während er über den Rand seines Bechers hinweg Gérard unmissverständlich in die Augen blickte, als wollte er ihn herausfordern.

Gérard seufzte innerlich wohlig unter diesem Blick, konnte sich aber nicht erklären, was die plötzliche Hitze, die seinen Magen verbrannte, zu bedeuten hatte.

***

Es war der Morgen des dreizehnten Tages, als Gérard runter zum Bach ging, um sich eine kleine Waschung zu gönnen. Wie jeden Morgen brauchte er das eiskalte Wasser im Gesicht, um sich den klebrigen Schweiß der schwülen Nacht abzuwaschen und gleichzeitig seine Müdigkeit abzuwerfen, die er wegen zu heißer Nächte verspürte, in denen er keinen Schlaf finden konnte.

Doch an jenem Morgen war er dort nicht allein.

Als er den leichten, von Bäumen bestickten Wiesenhang zum Bach hinunter schlenderte, und die Blätterkronen Schatten spendeten, glaubte er noch, das leise Plätschern in der Umgebung gehörte zum Bachverlauf. Doch je näher er kam, je lauter und unregelmäßiger wurde es.

Langsam näherte Gérard sich dem Ufer, es könnte ja gut sein, dass eines der Bauernmädchen durch den Bach watete, und vielleicht könnte er einen Blick auf ihre zarten Fesseln erhaschen. Dann hätte er später Jean etwas zu erzählen, der sich vor Neid in den Hintern beißen würde.

Aber es war kein Mädchen, das im Bach badete, sondern Brix. Und er stand vollkommen nackt im Wasser.

Über seine strammen Muskeln perlten Wassertropfen, die im schwachen Schein der Morgensonne funkelten. Sie flossen wie ein Wasserfall aus Diamanten über seinen stählernen Körper. Auf seinem Rücken zeichneten sich kreuz und quer blasse Striemen auf der gebräunten Haut ab, sodass Gérard im ersten Moment glaubte, über Brix` Rücken läge ein weißes Netz. Tatsächlich waren es aber alte Narben, wie von brutalen, blutigen Peitschenhieben, die ihm die Haut von den Knochen geschlagen hatten.

Wurde er ausgepeitscht? Wann? Wo? Von wem?

Gérard gingen so viele Fragen im Kopf herum, als er Brix zusah, jedoch verloren sie sich in dem Wirrwarr der gleisenden Gefühle, die bei seinem Anblick unter der Oberfläche zu brodeln begannen.

Er war so … männlich. Seine Schenkel so stramm, dass man hineinbeißen wollte, seine Muskeln von weichem Haar umgeben, das man streicheln wollte. Sein Körper war eine einzig tödliche Waffe, auf ihre gefährliche Weise faszinierend wie der Tod selbst. Gérard blieb wie angewurzelt stehen, während sich seine Augen selbstständig machten und auf dem strammen Soldatenkörper auf Wanderschaft gingen. Er verfolgte den Lauf des klaren Wassers, das durch jede Körperrille floss, und spürte, wie sein Herz raste wie das eines Kaninchens, das aus der Ferne einen Fuchs beobachtete, der seine Beute noch nicht gewittert hatte. Er wusste nicht, woher die seltsame Hitze in seinem Körper kam, aber je mehr sie sich ausbreitete, je größer wuchs in ihm der Wunsch, Brix` nackten Körper statt mit den Augen, mit seinen Händen sehen zu können. Wie ein Blinder, der eine der dekadenten und sündhaft schönen Männerstatuen aus dem alten Rom ertastete.

Hinter einem der Bäume verborgen, blieb Gérards stehen und linste verstohlen um den Stamm herum, wie ein Junge, der in eine verbotene Stube hineinsah. Brix stand schräg zu ihm, sodass Gérard seinen wohlgeformten Hintern und seinen muskulösen Rücken, aber auch sein Profil sehen konnte, das selten so entspannte wirkte wie an jenem Morgen als er sich unbeobachtet glaubte. Das Bein mit der Narbe war angewinkelt, sodass sein saftiger Schenkel den Blick auf die Lenden verbarg.

Es wäre gar nichts Ungewöhnliches dabei gewesen, wäre Gérard einfach ins Wasser gegangen um sich ebenfalls zu waschen, sie badeten ständig alle zusammen im Bach und niemand störte sich an der Nacktheit der anderen, doch es gehörte sich ganz sicher nicht, heimlich den Capitaine zu beobachten, ohne überhaupt die Absicht zu haben, sich zu zeigen.

Aber Gérard konnte einfach nicht anders, obwohl ihm bewusst war, dass er etwas Falsches tat. Etwas Verbotenes, das köstlich süß schmeckte, wie ein Löffel Honig, der auf der Zunge zergeht.

In seinem Magen staute sich ein seltsames Gemisch aus einer Art Hungergefühl und Ärgernis, etwas an Brix ließ ihm zugleich das Wasser im Mund zusammenlaufen und glutroten Zorn empfinden. Womöglich hatte beides miteinander zu tun, wobei er sich immer noch nicht erklären konnte, was dies zu bedeuten hatte.

Gérard schluckte, seine Kehle war wie ausgedörrt, während er gebannt die kräftigen Hände beobachtete, die sanft die leichten Erhebungen der Muskeln mit klarem Wasser wuschen. Es schien kalt zu sein, denn die winzigen Brustwarzen hatten sich zu zwei harten Knöpfen zusammengezogen, und über den gesamten Körper legte sich eine deutlich sichtbare Gänsehaut.

Brix fuhr sich gemächlich über die ausgeprägten Brustmuskeln, und Gérard verfolgte die Berührungen, als wären es seine eigenen. Immer tiefer glitten diese starken Hände, die Gerüchten zu Folge ein Schwert wie einen verlängerten Arm führen konnten. Über die sanften Hügel der Bauchmuskeln, zu dem weichen, behaarten V darunter und schließlich …

Gérard bemerkte gar nicht, wie er sich streckte, um einen Blick auf jene verborgene und verbotene Körperregion erhaschen zu können. Und tatsächlich, als sich der Capitaine zwischen den Beinen wusch, konnte Gérard seine Männlichkeit entdecken, die Brix mit gleicher Hingabe führte wie sein Schwert.

Die Sonne glitzerte in Gérards verträumten Blick, seine blassrosafarbenen Lippen öffneten sich um Atem zu holen, ohne dass er irgendetwas davon mitbekam. Brix` Männlichkeit schwoll in seinen massierenden Händen an, während in Gérards Hose nur durch den Anblick bereits ein Zelt wuchs.

Begierde erstickte Gérard, und da begriff er, was ihn von Beginn an so verärgert hatte. Brix war herablassend, selbstsicher, unnahbar, und dennoch beliebt bei seiner Kompanie … er war ein wahres Mannsbild, wunderschön, faszinierend und absolut unerreichbar.

Un-er-reich-bar. Das Wort ließ mit jeder Silbe Beklommenheit in Form von trüben Nebel aufkommen.

Ein Vogel stob plötzlich ausgerechnet direkt über Gérards Kopf aus dem Blätterdach, durchbrach mit einem Schrei die morgendliche Stille und erschrak damit den nichtsahnenden, badenden Brix.

Gérard zog erschrocken den Atem ein und versteckte sich hinter dem Stamm. Für einen Augenblick hatte er geglaubt, der Capitaine hätte ihn vielleicht gesehen. In der darauffolgenden Stille vergingen die Momente wie viele aneinandergereihte Ewigkeiten. Gérards Herzschlag wurde immer schneller, sodass ihm sein Blut in den Ohren rauschte und er angestrengt ruhig atmete, damit er nicht vor Aufregung keuchte.

Der Bach plätscherte, als Brix ihm entstieg, Gras raschelte leise, als er sich vom Ufer entfernte.

Gérard linste um den Baumstamm herum und stellte erleichtert fest, dass der Capitaine den Bach verließ und sich in Richtung Lager aufmachte. Seine einfachen Unterkleider trug er wieder am Leib, die von seiner feuchten Haut leicht durchsehbar wurden.

Gérard blickte ihm kurz nach. Er lehnte den Kopf an die raue Rinde und schloss verhalten fluchend seine dunkelblauen, großen Augen.

Sein Herz wollte sich nicht beruhigen, doch es schlug keineswegs so hoch, weil er beinahe beim Linsen erwischt worden wäre, sondern weil er den Anblick des nackten Körpers nicht wieder vergessen konnte.

Von diesem Tag an ging er jeden Morgen runter zum Bach. Und jeden Morgen war Brix dort, während Gérard sich hinter einem Baum versteckte und ihn beobachtete. Nachts träumte er dann von dem Anblick.

Er schämte sich nur in den ersten Tagen für sein Verhalten, doch das Gefühl der Scham nahm schnell ab, je heller seine Sehnsucht brannte.

***

»Sergent!«

Gérard zuckte ungewollt schuldbewusst zusammen, als Brix` dunkle Stimme nach ihm rief.

Eben war er noch ganz vertieft in seine Erinnerungen an das Gesehene von jenem Morgen gewesen, während er nach dem Training die Übungsschwerter der Kompanie in die Ständer stellte, da wurde er brüsk aus seiner Träumerei gerissen. Und zwar ausgerecht von dem Grund seiner Verträumtheit.

Er schluckte trocken und drehte sich dann strammstehend zu seinem Vorgesetzten um. »Capitaine!«

Brix kam auf ihn zu, er trug ausnahmsweise lange Lederhosen, seine Schwertscheide hing sogar am Gürtel, das Gewicht des Panzerbrechers zog das Leder auf einer Seite ein Stück nach unten. Nur das lockere Hemd, dessen Schnürung offenstand, zeugte von seiner leicht arroganten Nachlässigkeit.

Allerdings war es an jenem Sonnentag besonders heiß dort am Fuße des Pic du Canigou, also sei ihm verziehen.

Zumal er einen deutlichen Blick auf seine muskulöse Brust gewährte.

Ihm sei mehr als verziehen.

Erstaunlich, wie schnell Gérard in Anbetracht dieses Mannes seine strenge Ausbildung und seine Disziplin verwerfen konnte …

Brix hielt einen Bericht in den Händen und sprach mit Gérard, doch dieser konnte ihm nicht für einen Augenblick lang zuhören.

Gérard war ihm in den letzten Tagen aus gutem Grund aus dem Weg gegangen und hatte nur das Notwendigste mit ihm besprochen, bestmöglich ohne ihm dabei in die Augen sehen zu müssen. Eine irrationale Furcht davor, Brix könnte ihm ansehen, dass er ihm beim Baden beobachtete, sorgte dafür, dass Gérard ihm kaum mehr ohne rot zu werden gegenübertreten konnte.

Oder ohne ihn mit einem verhangenen, ganz verträumten Blick anzustarren.

Gérard konnte nicht verhindern, dass seine dunkelblauen Augen an Brix hinab glitten und an der Ausbuchtung der Lederhose haften blieben.

So nahe und doch so fern …

Er wusste, was die Beule beinhaltete, selbst wenn er es immer nur vom Weiten sah, er wusste es. Kannte bereits die leicht gebogene Form, die Länge, die nicht in eine Hand passte, die blass pflaumenfarbige Spitze, die einem Speer glich, die lose Haut, die sacht auf und ab geschoben wurde …

»Sergent!« Brix` strenge Stimme ließ Gérard umgehend aufblicken. »Habt Ihr verstanden?«

»Ja, Capitaine«, versicherte er, obwohl er gar nicht zugehört hatte. Aber er kannte seine Arbeit innerhalb der Kompanie mittlerweile auswendig. Er wusste, was von ihm erwartet wurde, weshalb er sich kaum einen Kopf darum machte. Er sorgte für Ordnung, die schon geherrscht hatte, bevor er eingetroffen war, und er war der Laufbursche des Capitaine. Das war nicht schwer, sich zu merken, und er führte seine Aufgaben immer hervorragend und vorbildlich aus.

Sofern ihn nicht gerade Brix` Anwesenheit in einen verträumten Knaben verwandelte, der die Augen nicht von einer besonders schönen Maid abwenden konnte.

Brix schien nicht überzeugt, er verengte argwöhnisch die Augen. »Habt Ihr mir überhaupt zugehört, Sergent?«

Gérard nickte knapp. »Natürlich, Capitaine.«

Brix senkte die Hand mit dem Bericht und trat noch einen weiteren Schritt auf ihn zu, einen bohrenden Blick in den hellbraunen Augen. »Stimmt etwas nicht, Sergent? Ihr scheint … etwas abgelenkt.«

Er hat es bemerkt, schoss es Gérard durch den Kopf, und umgehend raste sein Herz vor Furcht.

»N-nein, Capitaine«, stotterte er und blinzelte verräterisch voller Nervosität, »ich … ich …«

Unversehens huschten seine Augen wieder hinab, während er angestrengt nach einer guten Ausrede suchte. Er schluckte laut.

Brix folgte dem Blick und sah Gérard danach sehr kritisch ins Gesicht.

»Ich … Ich habe nur … Euer Schwert bewundert«, versuchte Gérard, sich zu retten, » … Ihr habt da … ein wirklich prächtiges Schwert.«

Der darauffolgende Gesichtsausdruck des Capitaine war äußerst misstrauisch, aber ebenso amüsant.

»Es ist … «, er suchte verzweifelt nach Worten, » … Ist es selbst geschmiedet? Oder hat die Armee es Euch gegeben?«

Brix musterte ihn, als hätte er den Verstand verloren. »Ich habe es überreicht bekommen, als ich Ruhm auf dem Schlachtfeld erlangte.«

»Die gleiche Schlacht, als Ihr Euch die Narbe zugezogen habt?«

Brix sah ihn auf die Frage hin dermaßen zornig an, dass Gérard der eigene Atem im Halse stecken blieb. Der Capitaine blieb ihm die Antwort darauf schuldig.

Gérard versuchte, Haltung zu wahren, obwohl seine schimmernden Augen sich nur zu gerne mit einem verträumten Blick auf Brix‘ geschwungene Lippen geheftet hätten, die selbst dann ihre Form nicht verloren, wenn Brix dermaßen grimmig dreinblickte wie in jenem Augenblick.

Als Brix sich nach einer gefühlten Ewigkeit rührte, zuckte Gérard bei dessen Schnauben regelrecht ängstlich zusammen. Der Capitaine wandte sich ab und ließ ihn einfach stehen.

Aufatmend ließ Gérard die Schultern hängen, als der andere endlich von ihm abließ. Er musste unverzüglich damit aufhören, ihm nachzustellen, sonst würde er sich eines Tages doch noch verraten.

Gérard wollte sich gerade abwenden und schnell ein Bad im eiskalten Bach nehmen – er kann bis heute nicht verstehen, wie Brix sich darin waschen konnte ohne zu erfrieren – um die Enge in seiner Hose wieder loszuwerden. Doch da landete vor ihm im trockenen Boden ein Eisenschwert.

Verwundert drehte er sich nach dem Capitaine um, der den Bericht fortgelegt hatte und stattdessen seinen Panzerbrecher aus der Scheide zog.

»Kommt«, forderte Brix mit einem überheblichen Lächeln, das Gérard gleichermaßen ärgerte und Sehnsucht empfinden ließ. »Ihr seid hier, um von mir zu lernen. Also lernt.«

Gérard traute der ganzen Angelegenheit nicht, denn das letzte Mal, als Brix ihm etwas lehren wollte, hatte er ihn nur vorgeführt und seine eigene Stärke demonstriert.

»Das ist ein Befehl, Sergent«, drängte Brix mit strenger Miene.

Sich ein Seufzen verkneifend, bückte Gérard sich nach dem Schwert. Es war um einiges leichter, kürzer, dünner und von deutlich minderer Qualität als die des Panzerbrechers.

Brix legte eine Hand auf seinen Rücken und hob mit der anderen sein locker geführtes Schwert, um auf Gérards Brust zu deuten. »Zeigt mir Eure Verteidigungshaltung.«

Er bat nicht, er befahl auch nicht, er forderte vielmehr. Mit tiefer Stimme, die fast wie ein Knurren klang und umgehend Gérards Blut in Wallung brachte.

Gérard tat, wie ihm geheißen und zeigte dem Capitaine, was dieser sehen wollte. Nur leider war er derart von der Enge in seiner Hose abgelenkt, dass er recht verkrampft vor ihm stand, um seine Härte vor ihm zu verstecken.

Wieder schnaubte Brix auf seine ihm eigene hochnäsige Weise. Er sprang plötzlich mit erhobener Klinge auf ihn zu und schlug nach ihm. Es waren nicht einmal raffiniert ausgeführte Hiebe, jeder Bauerntrottel hätte auf diese Weise angreifen können, und trotzdem brachten sie Gérard aus dem Gleichgewicht. Er stolperte über seine eigenen Füße und landete auf dem Po.

»Ha!« Brix hatte sich den zynischen Laut wohl nicht verkneifen können. Gérard hätte ihm dafür gerne in den Magen geboxt.

»Was bringen sie euch Burschen eigentlich bei?«, fragte er und schüttelte wieder den Kopf, als bedauerte er Gérard zutiefst. »Oder schickten sie Euch zu mir, weil es sonst niemand vermochte, Euch irgendetwas beizubringen?«

Gérard sprang auf. »Ich bin ein guter Kämpfer!« Wenn er nicht gerade mit einem angeschwollenen Phallus in der Hose herumlief.

Brix zog die Augenbrauen mit einem angedeuteten, schiefen Lächeln nach oben. Sein braunschimmerndes Haar wurde ihm von einer sanften Windbrise ins Gesicht geweht. »Ach? Na dann, versucht es noch mal.«

Als Brix wieder etwas Abstand nahm, atmete Gérard tief durch. Er nahm erneut die ihm beigebrachte Verteidigungsstellung ein, dieses Mal ignorierte er die Beule in seiner Hose.

Allerdings ließ Brix kopfschüttelnd sein Haupt hängen, ein weiteres Schnauben ausstoßend.

Gérard knirschte bereits ärgerlich mit den Zähnen, doch er würde niemals einen Vorgesetzten angreifen, ob verbal oder körperlich, ganz gleich wie wütend er war.

Brix kam auf ihn zu, umrundete ihn und trat ihm die Füße auseinander. »Stellt die Beine nicht so eng beisammen, sonst habt Ihr keinen festen Stand«, erklärte er brüsk. Dann packte er Gérards Arme von hinten und senkte sie ein Stück herab. »Ihr jungen Burschen habt immer Angst um eure Nase, dabei solltet Ihr vor allem eure Brust, den Bauch und auch die Beine schützen. Denn mit einem entstellten Gesicht könnt Ihr weiterleben, aber nicht mit einem durchbohrten Herzen.«

»Wie soll ich alles auf einmal verteidigen?«, nörgelte Gérard.

»Eben deshalb ist es wohl klüger, die Waffe mittig zu halten.« Brix stieß ihm mit dem Fuß in die Kniekehlen, damit seine Beine etwas einknickten. »Damit Ihr immer schnell einen Hieb abblocken könnt. Denn verteidigt Ihr nur Euer Gesicht, wird sich der Gegner auf Eure Beine stürzen.«

Gérard ließ sich formen wie eine Lehmstatue. Er hätte verärgert sein sollen, aber Brix´ Hände auf seinem Körper nahmen ihm die Fähigkeit, Zorn zu empfinden. Jede kleinste Berührung, sei sie noch so grob, sandte Hitzewellen durch seine Venen und ließen ihn mit offenem Mund nach Atem ringen.

»Also gut, bereit?« Brix ging zurück an seine Position und wartete auf Gérards zustimmendes Nicken.

Es lag eine gewisse Leichtigkeit in Brix` Lächeln, das er zu verstecken versuchte, genau wie beim ersten Mal, als er Gérard vorgeführt hatte.

Doch noch bevor Gérard sich darüber Gedanken machen konnte, tänzelte Brix auf ihn zu und verteilte Schwerthiebe.

Eines musste Gérard ihm zugestehen, er hatte ihm wertvolle Tipps gegeben, die wirklich nützlich waren, denn es schien ihm geradezu kinderleicht, die Hiebe abzufangen.

»Achtet auf mich«, warnte ihn Brix, »behaltet den Gegner genau im Auge. Ahnt jede Bewegung voraus …«

Das sagen die Ausbilder zu den Rekruten, aber bei einem Gegner wie Brix war das gar nicht mal so leicht. Und dabei schien Brix sich nicht einmal anzustrengen, er wirkte so entspannt und ruhig wie eine alte Bäuerin beim Häkeln in ihrer Stube. Es brachte ihn auch nicht ins Schwitzen.

Gérard grinste bald darauf über das ganze Gesicht, denn es gelang ihm trotzdem, Brix` Hiebe stets rechtzeitig abzuwehren, obwohl dieser dazu überging, einen Schlag anzutäuschen und ihn dann in einen nach unten geführten Hieb umzuwandeln.

Brix kämpfte nicht, stellte Gérard schwärmend fest, er tanzte. Er war ein tödlicher Tänzer.

Plötzlich schlug der Capitaine derart hart zu, dass Gérard unter der Wucht beinahe ins Straucheln gekommen wäre. Er fing die feindliche Klinge mit seiner ab, die Schwerter kreuzten sich und kamen seiner Nase gefährlich nahe. Brix stemmte sich gegen ihn, als wollte er ihn köpfen.

»Ha!«, stieß Gérard nun aus, Brix nachäffend, und grinste dem Capitaine in Manier eines Bengels mitten ins Gesicht. »Geblockt! Und nicht umgefallen.«

Brix lächelte, als hätte er Mitleid mit ihm. Dann zog er Gérard einfach die Beine mit dem Fuß weg und ließ gelassen das Genick rollen, als wäre er gerade aus einem Mittagsschlaf erwacht, und müsste sich erst einmal strecken.

Gérard landete mit einem Grunzen auf dem Rücken, Staub wirbelte auf, und er konnte den Aufprall sogar als Kratzen in der Lunge spüren. Er hustete trocken.

»Immer auf die Beine achten«, sagte Brix, der neben ihm ragte und von diesem Blickwinkel ebenso unwiderstehlich anziehend wie unausstehlich überheblich aussah.

»Ihr seid kein wirklich zuvorkommender Lehrer«, stieß Gérard entkräftet aus. Ihm war zu heiß, er war gedemütigt und er wollte einfach liegen bleiben.

Brix sah auf ihn herab. »Das mag daran liegen, dass ich Soldat und kein Lehrer bin.«

Gérard konnte es sich nicht verkneifen, zu erwähnen: »Das sieht die Armee wohl anders.«

Mit einer eisernen Miene ging Brix neben ihm in die Hocke, sodass Gérard bereits die Augen zusammen petzte, weil er befürchtete, für sein freches Mundwerk gerügt zu werden.

Brix stieß die Spitze seines Schwerts in den trockenen Boden, drehte es hin und her, als müsste er sich davon abhalten, es zu gebrauchen, und sah Gérard mit einem sehr ernsten, fast grimmigen Blick in die dunkelblauen Augen. Dann beugte er sich zu ihm runter und sagte leise mit rauer Stimme: »Ich weiß, dass du mich beobachtest.« Brix stand abrupt auf und ging mit großen, schweren Schritten ohne ein weiteres Wort davon.

Gérard schloss die Augen und rammte den Hinterkopf auf den Boden. »Merde …«

***

Seit diesem Vorfall ging Gérard morgens nicht mehr zum Bach, um Brix zu beobachten.

Gérard versuchte, ihm weitestgehend aus dem Weg zu gehen, was überhaupt nicht einfach war, da er ihn über alles in Kenntnis setzen musste, was in der Kompanie vor sich ging, und weil er ihm sozusagen ständig zur Verfügung stehen musste.

Jeden Nachmittag suchte Brix nach ihm und beorderte ihn zu den Übungsplätzen. Brix war ein strenger Lehrer, der es liebte, seine Autorität zu unterstreichen, in dem er Gérard immer wieder auf den Boden beförderte. Außerdem hielt er nichts von Übungsschwertern aus Holz, weshalb Gérard vermehrt Schnittwunden von den Lehrstunden davontrug, auch eine Schutzrüstung durfte er nicht überziehen. Sie kämpften mit echten Schwertern, mit nichts als Leinenhemden und Lederhosen am Leib.

»Lernt, Euch zu verteidigen, wenn Ihr keinen Schutz tragt«, erklärte Brix in seinem üblich autoritären Tonfall, »lernt, gegen einen Gegner zu kämpfen, der ohne Rüstung viel schneller ist. Wenn ihr nackt kämpfen könnt, ist Eure Rüstung nur noch eine Absicherung. Ein Schutz, der Euch beruhigt.«

Gérard war ein ungenügsamer Schüler. Je mehr Zeit er mit Brix auf dem staubigen Boden des Übungsplatzes verbrachte, je mürrischer wurde er.

Brix war unausstehlich, er hatte ständig das Bedürfnis, Gérards Fehler aufzuspüren und dann ohne Gnade auszunutzen. Gérard kam natürlich nicht in den Sinn, dass Brix ihm damit half, sich zu verbessern. Aber in jener Hinsicht war Gérard ebenso trotzig, wie Brix überheblich war.

Ich bin ein guter Kämpfer! Sonst hätten sie ihn wohl nicht zum Sergent gemacht. Er wollte nur, dass Brix seine Talente anerkannte. Brix sollte ihn nur ein einziges Mal loben und seine Fähigkeiten bewundern. Mehr wünschte er sich gar nicht.

Stattdessen wurde er wie ein Kind behandelt, dass gezüchtigt werden musste.

Brix schien gewillt, seine Wut über sein derzeitiges Dasein an Gérard auszulassen, der von allen am wenigsten etwas dafürkonnte, dass er Brix` Schüler und möglicher Nachfolger sein sollte.

Seine fünfte Lehrstunde endete damit, dass Brix ihm das Schwert aus der Hand schlug.

Gérard zischte scharf und presste die blutende Hand gegen die Brust. Umgehend färbte sich sein Hemd rot, und in seinem Handballen breitete sich ein schmerzhaftes Brennen aus.

Brix seufzte unglücklich, mal wieder enttäuscht von Gérard.

»Wie oft soll ich Euch noch zeigen, wie Ihr einen nach unten geführten Schlag pariert, Sergent?«

Dass Gérard seinen Daumen hätte verlieren können, schien Brix nicht zu interessieren.

Gérard starrte nur wutentbrannt zu Boden, weil er sich zunehmend zusammenreißen musste, nicht seiner Weißglut zu verfallen und dem Capitaine einen Faustschlag ins Gesicht zu verpassen.

Oh wie gerne er gerade in jenem Moment auf ihn eingedroschen hätte.

Brix trat auf ihn zu und streckte fordernd die Hand aus. »Zeig mal her!«

Immer dann, wenn er so nahekam, dass nur Gérard ihn hören konnte, wurde seine Stimme rauer und seine Anreden vertrauter. Aus dem förmlichen Sergent wurde dann einfach Gérard.

»Jetzt zeig schon her!«, meckerte Brix, als Gérard ihn nur anstarrte. Er packte Gérards Handgelenk und riss die verletzte Hand zu sich heran. Doch er ging erstaunlich behutsam vor, als er die Handfläche schließlich nach oben drehte und den Schnitt in der warmen Sonne begutachtete. Er strich sanft mit dem Daumen das Blut aus der Wunde, um zu sehen, wie tief seine Klinge ins Fleisch geschnitten hatte.

Gérard konnte derweil nicht seine verträumten Augen von Brix` Gesicht nehmen, er sperrte sogar den Mund auf wie ein Nesthäkchen, das auf Futter wartete, da ihm der Atem wegblieb. Brix war ihm so nahe, er konnte jedes Fältchen und jeden Tropfen Schweiß auf dessen Gesicht erkennen, seine Wärme spüren, die von ihm abstrahlte, und seinen würzigen Geruch nach Leder und Staub einatmen. Gérard hatte nie etwas Aufregenderes erlebt, als jenen Moment, als er Brix so nahe war, dass er sich nur hätte vorbeigen müssen, um dessen Wange mit den Lippen zu berühren. Schmerzen spürte er plötzlich keine mehr, allerhöchstens sehr gedämpft, wie das Verhallen eines Brüllens in den Bergen.

»Halb so wild«, entschied Brix. Seltsamerweise schien es so, als beruhigte ihn das. Vielleicht hatte er sich Sorgen gemacht, dass er gerügt werden würde, wenn er seinem Sergent den Daumen abgetrennt hätte.

»Genug für heute«, entschied Brix. Gérard hätte ohnehin nicht weiterkämpfen können. »Lass die Wunde versorgen. Morgen werden wir wieder an deiner Haltung arbeiten.«

Es lag wohl einfach in Brix` strengem Wesen, seinem Sergent selbst bei einer Verletzung keinen Ruhetag zu gönnen. Aber Gérard störte sich nicht daran, denn auch wenn ihm seine Gefühle gegenüber Brix peinlich waren und er sich mächtig über dessen Verhalten ärgern konnte, kostete er doch jeden winzigen Augenblick mit ihm zusammen aus.

Gérard sah ihm nach, als er verschwand und spürte noch lange dessen Berührung auf seiner Haut nachbrennen. Der blutige Schnitt tat längst nicht so weh wie die unerfüllte Sehnsucht, die seinen Magen mehr und mehr verkrampfte.

***

Das nahegelegene Dorf feierte am Abend eine Hochzeit, zu deren Fest aus Höflichkeit auch die Kompanie eingeladen wurde. Die Provinzler sahen sich wohl in einer Art Pflicht, die Männer der Armee mit Respekt zu behandeln. Als hätten sie Furcht davor, sollte wiedererwarten irgendjemand dem Dorf schaden wollen, dass die Soldaten ihnen nicht helfen würden, weil sie nicht zu einem Fest gebeten wurden.

Nichtsdestotrotz wurden finstere und argwöhnische Blicke der Väter hin und her geworfen, während sie ihre jungfräulichen Töchter, deren Weiblichkeit bereits erblüht war, hüteten wie ihre Augäpfel.

Gérard hielt sich abseits, während seine Kameraden Wein tranken, vom einem köstlich aussehenden Braten kosteten, lachten, mit den Damen tanzten und schäkerten. Je tiefer die Nacht wurde, je mehr Männer verkrochen sich mit ihrer Angebeteten in irgendeiner Scheune oder Hütte.

Gérard hielt sie nicht auf, sie würden ohnehin nicht auf ihn hören. Sie hätten vielleicht auf Brix gehört, doch der Capitaine war selbst beschäftigt.

Am Rande der Feier, die auf dem mit Blumengirlanden geschmückten Marktplatz stattfand, saß Gérard einsam auf einer Bank an einer Tischkante und beobachtete Brix bereits den ganzen Abend, wie er mit schönen Mädchen lachte und tanzte.

Eine Dame schien es ihm besonders angetan zu haben. Sie war etwas älter, aber nicht viel älter als Brix selbst. Eine Witwe, wie Gérard sich denken konnte, sonst wäre ihr Gatte gewiss bereits dazwischen gegangen. Ihre weiblichen Rundungen wurden von einem einfachen Leinenkleid umschmeichelt, und auf ihren dunklen Locken saß ein weißes Bauernkäppchen, keck hingen zwei braune Strähnen in ihrem schönen Gesicht.

Brix tanzte eine ganze Weile mit ihr, und je mehr er trank, je dunkler wurde sein Blick. Gérard erwischte sich bei der Vorstellung, Brix würde ihn so ansehen. Dem Lächeln des Capitaine hing etwas Verwegenes an, wenn er der Witwe leise zuflüsterte, dass sie rot wurde.

Und er küsste sie.

Es war nur ein kurzer, zierlicher Kuss, aber in ihm lag eine Zärtlichkeit, die Gérard beim Zusehen die Kehle zuschnürte und ihn gleichzeitig erschaudern ließ.

Der Wirbelsturm an Gefühlen in seinem Inneren trieb ihn letztlich in die Flucht. Vor allem weil Jean ihn schon mehrfach danach fragte, warum er sich nicht unter die Mädchen mischte.

Ja, warum eigentlich nicht?

Gérard wusste es nicht, er hatte einfach keine Lust auf Gesellschaft. Nicht auf diese Art von Gesellschaft. Seine Augen lagen unentwegt auf Brix, der beim Tanzen genauso beeindruckend aussah wie auch beim Kämpfen, und dabei krampfte sein Magen, als müsste er sich gleich übergeben, obwohl er nicht krank zu sein schien.

Gérard stand auf und schüttelte über sich selbst den Kopf. Er hatte den Capitaine nun wahrlich genug beobachtet, es wurde Zeit, dass er sich auf sein Lager zurückzog und sich in Träumen verlor. Denn in seinen Träumen war es ihm nicht verwehrt, seine Neugierde zu stillen.

Er fühlte sich seltsam niedergeschlagen, als er durch die Nacht am Bach entlang schlenderte und gelegentlich lustlos gegen einen Ast oder Stein trat. Manchmal stellt er sich dabei Brix Bein vor … oder sein Gesicht.

Gérard war äußerst verwirrt. Wie kann er sich gleichzeitig über einen einzigen Menschen ärgern und sich zu ihm hingezogen fühlen. Und dann auch noch zu einem Mann.

War es nicht eine Sünde, diese glühend heiße Sehnsucht nach einem anderen Mann zu verspüren?

Er blieb am Ufer stehen und betrachtete die fließende Wasseroberfläche des niedrigen Bachs, in der sich verschwommen die funkelnden Sterne des Himmelszelts spiegelten. In der Dunkelheit plätscherte das Wasser einsam und leise vor sich hin, wodurch sich Gérard seltsamerweise getröstet fühlte. Als wüsste der Bach um seine Zerrissenheit und würde sie mit ihm teilen. Beide flossen sie einfach nur so vor sich hin, getrieben von ihrer inneren Natur, doch war das wirklich die Richtung, in die sie fließen wollten?

Was stimmte bloß nicht mit ihm? Was war falsch mit ihm?

»Ihr geht schon, Sergent?«

Gérard fuhr erschrocken herum. Und da stand er. Brix. Groß und männlich, trotz leicht schwankender Haltung und gekrümmten Schultern. Der Vollmond leuchtete sein kantiges Gesicht an, seine Lippen glänzten feucht vom Wein, und seine hellbraunen Augen wirkten glasig. Sein Haar war zu einem Zopf gebunden aber zerzaust, als hätte er sich mehrfach hindurchgefahren, und seine Nasenspitze leuchtete rot wie die Blüte einer Rosenknospe.

Er war benebelt, und offensichtlich wollte er sich gerade erleichtern.

Gérard nickte nur, er wagte nicht, auch nur ein Wort zu sagen. In der Nacht, und vor allem im weißen Mondschein, besaß Brix eine noch stärkere Faszination auf ihn als sonst.

Brix zuckte mit den Schultern und torkelte leicht benommen zu einem Baum. Er öffnete ungeachtet der Tatsache, dass Gérard ihn verträumt anstarrte, seine Hose und erleichterte sich mit einem zufriedenen Stöhnen.

Sogar betrunken wirkte sein schneidiges Profil unheimlich anziehend.

Gérard kniff gequält die Augen zusammen und schüttelte wieder über sich den Kopf. Sein Magen verkrampfte derart heftig, dass er vor Schmerz fast gestöhnt hätte.

»Alsdann«, verabschiedete er sich eilig und machte kehrt, um zu den Zelten zurückzukehren, wo er wie jede Nacht allein auf sein Lager sinken würde, den Kopf voll verbotener Sehnsüchte und Träume.

Doch er war noch nicht weit gegangen, als ihn eine Hand grob an der Schulter packte und an ihr riss.

Ungewollt wirbelte er zu Brix herum und starrte ihn aus großen Augen erstaunt an.

Brix` geschwungene Lippen wirkten grimmig. »Warum siehst du mich immer so an?«

Gérard blinzelte überrascht. »Wie sehe ich Euch denn an?«

»Na … so eben.« Brix kam näher, zog aber den Kopf mit einem misstrauischen Blick zurück, als näherte er sich einem kranken Tier. Oder etwas Übelriechendem. »So … verträumt. Mit halbgeschlossenen Lidern und träumerisch schimmernder Iris. Und immer steht dein Mund offen.«

Gérard starrte ihm mit dem erwähnten Blick einfach nur auf die Lippen. Er konnte nicht denken, er konnte nicht zuhören, er hörte nur seinen eigenen Herzschlag in den Ohren hämmern und konnte sich nur auf den Krampf in seinem Bauch konzentrieren.

Es fühlte sich an, als müsste er sterben, wenn er nicht … wenn er nicht bald irgendetwas von Brix bekam, und sei es nur eine flüchtige Berührung.

»Warum beobachtest du mich?« Brix ging dazu über, Gérard wie eine Raubkatze zu umrunden. Er war nah, sehr nahe, sodass Gérard die Wärme seines Körpers wahrnehmen aber nicht auf der Haut spüren konnte. Sein heißer Atem streifte Gérards Nacken, der unwillkürlich erschauderte.

Gérard schluckte und drehte das Gesicht über die Schulter. »Ich kann einfach nicht wegsehen, Capitaine.«

Er hatte lügen wollen, aber die Lüge wollte nicht über seine Lippen. Er glaubte, bald an seiner Sehnsucht ersticken zu müssen, wenn er sie weiterhin verheimlichte. Doch der Tod könnte ihn auch treffen, sollte er sich offenbaren. Ganz gleich was er tat, es würde wohl unschön für ihn enden.

Brix umrundete ihn, sodass Gérard über die andere Schulter sehen musste, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Etwas Seltsames lag auf dem Gesicht des Capitaine. Überraschung? Neugierde? Gérard konnte es nicht deuten.

»Ich weiß, dass du jeden Morgen zum Bach kommst«, hauchte Brix mit einer gesenkten Stimme, die Gérard eine Gänsehaut bescherte. »Aber du badest nie, du siehst mich einfach nur an.«

Er schloss bei der Erinnerung genüsslich die Augen und merkte an: »Wenn Ihr es wisst, warum badet Ihr dann jeden Morgen dort?«

Wieder vor ihm angelangt, blieb Brix stehen und musterte nachdenklich sein Gesicht, er blieb ihm die Antwort jedoch schuldig. Vermutlich wusste er es selbst nicht, denn in seinen Augen stand beinahe die gleiche Verwirrung, die Gérard seit Wochen verspürte.

»Du kommst nicht mehr.« Brix flüsterte plötzlich. »Warum hast du aufgehört?«

Gérards Herz raste, sodass er das Nachhallen des Klopfens in der Kehle spüren konnte. Er schluckte laut, war aber nicht im Stande, seinen verhangenen Blick von dem Gesicht des anderen abzuwenden. »Wollt Ihr die Antwort darauf wirklich hören?«

Brix legte verwundert den Kopf schief, das Mondlicht spiegelte in seinen schimmernden Augen. »Das mag wohl auf die Antwort ankommen.«

»Und wenn ich falsch antworte?« Gérards armes Herz schlug immer höher.

Brix starrte ihn einen momentlang reglos an, bis Gérard beinahe glaubte, er sei zu einer Statue erstarrt. »Ich kann deinen Worten nicht folgen.«

Gérard schluckte noch ein weiteres Mal laut, während er dem Blick des Capitaine standhielt. »Und ich kann meinen Gedanken plötzlich nicht mehr folgen …«

Brix schaute äußerst kritisch drein.

Da schlug Gérard die Augen nieder und atmete schwer. »Ich …« Er suchte nach Worten, denn er war nicht mehr fähig, zu schweigen und an seinem Schweigen zu ersticken. »Ich fühle mich krank. Hier«, er zeigte auf seinen Kopf, »und hier«, er tippte sich auf seine Brust, »und auch hier«, sagte er und pikte einen Finger in seinen Magen. Er wagte nicht, Brix in die Augen zu schauen oder nur laut zu sprechen, also flüsterte er. »Mir ist heiß und kalt zugleich. Mein Magen schmerzt und krampft, meine Brust ist eng und hindert mich am Atmen. In meinem Kopf herrscht Widerspruch, und meine Gedanken finden nachts nicht zur Ruhe.«

Brix musterte ihn von Kopf bis Fuß mit einem undeutbaren Blick. Vielleicht hielt er ihn für wahnsinnig oder einfach nur einfältig, für sonderbar, und keiner würde ihm deshalb einen Vorwurf machen, denn auch Gérard zweifelte allmählich an seinem Verstand.

»Durchgehend?«

Gérard schüttelte den Kopf.

»Wann dann?«, verlangte Brix zu erfahren, herrisch wie er war.

»Im Moment«, erwiderte Gérard und sah ihn herausfordernd an.

Lange sahen sie sich danach schweigend in die Augen. Brix´ Blick wirkte auf seine unruhige Weise fiebrig, aber vor allem schien es, als hätte er einen Schock erlitten.

»Manchmal ist es besser, nicht zu antworten«, konterte Brix plötzlich ernst.

Als Gérard ihn mit offenen Lippen ansah, glaubte er, so etwas wie Scheu in Brix` Augen zu lesen. Seine Atmung ging sogar schwerer als Gérards und seine muskulöse Brust dehnte sich unter kräftigen Atemzügen deutlich aus.

Sie sahen sich einen weiteren Moment lang an, der sich wie eine süße Ewigkeit anfühlte, so nah und doch so fern standen sie sich im Mondschein gegenüber, keiner wagte es, das in Worten auszudrücken, was bereits in ihren neugierigen Blicken stand.

Da senkte der Capitaine den Kopf und ging an ihm vorbei, als sei er vor einem feindlichen Heer auf der Flucht.

Gérard drehte sich um und sah ihm sehnsüchtig nach. Wenn es eine Sünde war, sich zu ihm hingezogen zu fühlen, war er wohl ein schlechter Mensch, denn er war machtlos diesen Gefühlen gegenüber. Und auch nicht willens, sich ihnen zu entziehen.

***

Also ging er am nächsten Morgen wieder zum Bach. Die Sonne ging gerade erst über der Provinz auf, die Blüten am Ufer waren noch fest verschlossen, und die Vögelchen zwitscherten erste Lieder in den Baumkronen. Er ahnte schon, als er zum Bach hinunter tapste, dass Brix nicht da sein würde, und er sollte sich nicht irren.

Trotzdem spürte er eine niederdrückende Enttäuschung, als er den Bach verlassen vorfand.

Gérard ließ die Schulter hängen und trat an das Wasser heran. Es hatte lange nicht geregnet, weshalb die Strömung einem sachten Plätschern gewichen war.

Er streifte die Stiefel ab und streckte ein Bein aus. Er erzitterte am ganzen Körper als er den kleinen Zeh in den Bach tunkte.

Das Wasser war eiskalt! Es stach wie tausend spitze Nadeln, als er den Fuß hineinsetzte und den anderen nachzog. Er keuchte laut, der Atem blieb ihm wegen der Kälte fort, aber er war umgehend hellwach.

Bibbernd watete er in den Bach hinein, wollte so tollkühn sein wie Brix und wiedersetzte sich dem kalten Wasser. Schon bald stand er bis zu den Knien darin, sodass seine hochgekrempelte Leinenunterhose feucht wurde. Seine Haut wurde rot und er spürte seine Füße und Beine nicht mehr, die Eiseskälte hatte sie betäubt. Er schlang die Arme um die Brust und fragte sich ernsthaft, wie Brix darin baden konnte. Jeden Morgen. Kein Wunder, dass er immer so schlecht gelaunt war, so mochte doch niemand den Tag beginnen.

Ein dunkles Lachen wurde ihm von einer milden Brise zugetragen.

Erschrocken blickte er auf und sah den anderen Mann an dem Baum lehnen, hinter jenem er sich üblicherweise versteckte, die Beine überkreuzt und die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Er trug kein Hemd, nur lange Unterhosen und ein Tuch über der Schulter.

Gérard lief peinlich berührt rot an. Na prima …

»Ich dachte«, lachte Brix dunkel, »ich zeig dir mal, wie das so ist, beobachtet zu werden.«

Die Worte verwirrten Gérard wieder vermehrt, aber sie ließen auch sein Herz höherschlagen.

Er ärgerte sich trotzdem über das überhebliche Grinsen auf den Lippen des anderen Mannes. Trotzig den Kopf schüttelnd, stampfte er zum Ufer. »Es ist zu kalt!«

Er kam aus dem Wasser und stolperte den leichten Hang des Ufers hinauf, wo er sich auf Höhe von Brix mit dem Hintern auf die saftig grüne Wiese fallen ließ.

Brix lachte amüsiert über ihn, doch Gérard hatte das Gefühl, dass an jenem Morgen seine übliche Strenge und Schärfe – vor allem seine Enttäuschung und sein Missmut – gegenüber Gérard verflogen war. Na ja, zu einem Teil zumindest.

Gérard schielte ihn von unten herauf an. »Wie könnt Ihr nur darin baden?«

Brix zuckte mit den Achseln. Er nahm das Tuch von seiner Schulter und warf es Gérard ins Gesicht, dann ging er – sich die Hose öffnend – hinunter zum Bach. »Das härtet ab«, meinte er und zwinkerte.

Ungläubig sah Gérard dabei zu, wie Brix sich die Hose abstreifte und ihm ganz unverblümt seinen nackten Hintern zeigte. Dann watete er, ohne zu zucken, in das eiskalte Wasser und spritzte es sich ins Gesicht, woraufhin er genüsslich stöhnte.

Er wusch sich, drehte sich sogar so, dass er Gérard gelegentlich einen grübelnden Blick zuwerfen konnte, während Gérard ihm mit rasendem Herzen beobachtete. Nur am Rande bemerkte er, wie er Brix` Leinentuch zwirbelte, als wollte er es auswringen. Seine Hände waren so verkrampft, wie es sein Magen war, je länger er dem anderen Mann zusah. Wie das eiskalte Wasser von den Muskeln perlte, wie die in der Sonne glitzernden Tropfen im krausen Haar der Brust verschwanden, wie hart und spitz die Brustwarzen wurden, und wie … wie schwer seine Männlichkeit zwischen seinen strammen Schenkeln hing, von deren Spitze ebenfalls funkelnde Perlen tropften.

Gérard wurde wieder heiß und übel zugleich. Doch Letzteres legte sich, je öfter Brix zu ihm hinaufsah, ohne ihn für sein Starren zu rügen.

Irgendwann wurde es Gérard zu viel. Der Anblick, und natürlich die Tatsache, dass er ungeniert gaffen durfte, heizten das Feuer in seinen Eingeweiden bis zur Schmerzgrenze an.

Zutiefst frustriert ließ er sich zurück auf die weiche Wiese fallen und schloss stöhnend die Augen.

»Ich sterbe«, murmelte er und fuhr sich über die Stirn und ins dunkle Haar.

»Woran?«, fragte es plötzlich von der Seite.

Gérard linste durch schmale Lider zu Brix auf, der nackt und nass zu ihm trat und sich nach dem Tuch bückte, dass Gérard noch in den Händen hielt. Er ließ es los, und der Capitaine fuhr sich damit über das Gesicht und das nasse Brusthaar.

»An Feuer.«

Brix zog überrascht die Augenbrauen hoch und hielt inne. »An Feuer?«

»An dem Feuer meines Fiebers«, philosophierte er recht ungeschickt vor sich hin.

Er war gewiss kein Philosoph, aber Brix brachte ihn zum Philosophieren. Man könnte es wohl auch einfach schwärmen nennen, allerdings war »Schwärmen« für Gérard etwas für Mädchen, weshalb er es lieber philosophieren nannte. Oder sinnieren. Ja, Brix` Anblick brachte ihn zum Sinnieren.

Brix lächelte unsicher, weil er offensichtlich keine Ahnung hatte, was Gérard ihm sagen wollte. Und wenn er ehrlich war, wusste Gérard es doch selbst nicht. Bei Brix rutschten ihm seltsame Worte heraus, ebenso wie ungewollte Gefühle in ihm aufkamen, die er nicht verspüren durfte. Er war diesem Chaos einfach schutzlos ausgeliefert, so wie er Brix` Klinge schutzlos bei jeder Lehrstunde ausgeliefert war.

Die Sehnsucht schmerzte jedoch mehr als das scharfe Metall.

Gérard legte einen Arm über die Stirn zum Schutz vor der langsam immer kräftiger scheinenden Sonne und sah Brix dabei zu, wie er sich geringfügig abtrocknete. Sein Blick blieb an der bei jeder Bewegung schwingenden Männlichkeit des Capitaine hängen.

»Ein Wunder«, murmelte Gérard und drehte den Blick gen Himmel, wo Baumkronen im leichten Wind raschelten, »dass Euch bei der Kälte des Wassers nicht Euer … Euer Schwert abfror.«

Brix runzelte irritiert seine markante Stirn, die teils unter seinem feuchtschimmernden, braunen Haar verborgen lag. »Schwert?«

Gérard schmunzelte mit geschlossenen Lidern. »Mhm. Schwert.«

Es dauerte einen Moment, während er Brix` bohrende Augen auf dem Gesicht spürte, bis dieser schließlich begriff, wovon Gérard sprach.

Ein Auflachen wie ein Bellen entstieg Brix` Kehle. »Ich wüsste nicht, was Euch mein Schwert angeht, Sergent.«

Gérards Mundwinkel zuckten, er zog die Lippen zwischen die Zähne, um nicht frech zu grinsen. »Ich auch nicht, Capitaine, ich auch nicht.«

Aber bei Gott, wenn er es wüsste, würde er sich vielleicht nicht mehr innerlich so zerstreut fühlen.

Brix warf sich neben ihn auf die Wiese. Er lag nahe, sogar etwas zu nahe für einen unbeteiligten Betrachter, doch bei weitem nicht nahe genug für Gérards Geschmack. Der leere Raum zwischen ihnen knisterte, sodass sich die Haare auf Gérards Arm aufstellten.

Sie blickten beide eine Weile gen Himmel und genossen den Kuss der Morgensonne auf ihren Gesichtern. Brix hatte noch eine Gänsehaut vom Bad im Bach, Gérards Gänsehaut hatte jedoch nichts mit Kälte zutun.

Irgendwann ließ Gérard beiläufig seinen Arm fallen und legte ihn neben seinem Körper auf der Wiese nieder, sodass er nur einen Fingerbreit entfernt von Brix Ellenbogen lag. Es fehlte nicht viel und sie würden sich berühren. Nur ganz leicht und nur an einer sittlichen Stelle, aber allein die Vorstellung ließ ihn schwitzen und schwer atmen.

Brix drehte den Kopf, und Gérard fühlte seine wandernden, hellbraunen Augen auf seinem Gesicht. »Wie alt bist du wirklich?«

Diese Frage überraschte Gérard. Er öffnete die Lider und wandte Brix das Gesicht zu. »Neunzehn.«

»Das glaube ich dir nicht«, erwiderte Brix rau und funkelte ihn herausfordernd an.

Gérard musste sich ein Schmunzeln verkneifen, denn der Capitaine verlor mit jedem verstreichenden Augenblick an Strenge – jedoch nur, weil Gérard ihn plötzlich anders wahrnahm. »Aber so ist es.«

»Wo kommst du her?«, verlangte er zu erfahren.

Gérard freute sich insgeheim derart über das Interesse des Capitaine an seiner Person, dass er am liebsten breit gegrinst hätte. »Aus Paris. Ich wurde in der Stadt geboren.«

»Bist du ein Straßenjunge?«, fragte Brix mit leiser Stimme, als würde er dieses Geheimnis für ihn bewahren. »Und hast dich älter gemacht, als du bist, um der Armee beitreten zu können und so deinem Schicksal als Bettler oder Dieb zu entgehen?«

Gérard schüttelte eilig den Kopf – zu eilig – und antwortete: »Nein.«

Brix lächelte ihn schief und humorlos an. »Lügen ist eine Sünde.«

»Das ist es«, raunte Gérard und blinzelte Brix in die Augen, »und vielleicht bin ich ja ein Sünder.«

Umgehend verflog Brix` Lächeln. Er senkte unwillkürlich den dunklen Blick auf Gérards leicht geöffneten Mund.

Ja, dachte Gérard und leckte sich über die Lippen, wenn das Sünde ist, bin ich ein Sünder.

Brix runzelte plötzlich wieder äußerst kritisch seine Stirn. »Ich glaube erst an die Richtigkeit von Gottes Wort«, sagte er rau, »wenn Gott es an mich persönlich richtet.« Damit stand er auf, nahm sein Handtuch und ging.

Verwirrter denn je, stützte Gérard sich auf und sah ihm nach, bis er im dichten Gestrüpp verschwand.

***

»Das war gut!« Brix stolperte mit dem Schwert in der Hand atemlos zurück. Gérard konnte ihn im ersten Moment nur verdutzt ansehen.

Hatte Brix ihn gerade gelobt?

»Gleich noch mal!« Brix nickte und winkte ihm, ihn erneut anzugreifen.

Gérard schüttelte den Kopf, um sich wieder zu konzentrieren. Er nahm eine Angriffsstellung ein und …

»Stopp!«, rief Brix dazwischen. Nun klang er wie üblich genervt.

Gérard richtete sich auf und breitete fragend die Arme aus. Allmählich zermürbte ihn Brix` Genörgel.

»Nicht so!«, tadelte Brix ihn streng und fuchtelte mit der Klinge vor ihm in der Luft herum, als wollte er ihm die Kleider vom Leib schneiden. »Ihr dürft Eure Deckung nicht fallen lassen, Sergent!«

Gérard atmete gereizt aus. »Das habe ich doch gar nicht!«

Dafür erhielt er nur ein bedauerndes Schnauben vom Capitaine. Brix schüttelte noch einmal genervt den Kopf, sodass sein braunes Haar wackelte und in der Sonne feucht vom Schweiß glänzte.

Die sechste Lehrstunde erwies sich von Gérards Seite aus trotz aller Nörgelei an seiner Person als äußerst ertragreich, denn es war ihm an jenem Tag zumindest gelungen, Brix zu zeigen, dass er mehr als ein unbearbeitetes Stück Metall war, das er erst schmelzen und dann formen musste.

Was größtenteils auch daran lag, dass Brix geringfügig nachsichtiger geworden war.

Sehr geringfügig.

»Gut, wenn Ihr meint.« Brix richtete die Klinge auf ihn und winkte ihn zu sich heran. »Greift mich an!«

Darum ließ Gérard sich nicht zwei Mal bitten. Er nahm wieder seine Angriffshaltung ein und vollführte zwei blitzschnelle Hiebe, die Brix mühelos abwehrte, während er leichtfüßig nach hinten auswich.

Gérards Zunge schaute ein Stück heraus, solange er in tiefer Konzentration versunken Brix` Körper nach einer Schwachstelle absuchte, aber der Capitaine war stets schnell genug, jeden Angriff abzuwehren. Er blockte Gérards nächsten Schlag ab, wich zur Seite aus und rammte ihm das spitze Knie in den Schenkel, direkt unterhalb des Hüftknochens.

Gérard brüllte, als der Schmerz in seinem Bein explodierte. Unversehens ließ er oben die Deckung fallen, er konnte nichts dafür, das Brennen in seinem Muskel war einfach zu stark, und er geriet ins Straucheln.

Brix riss den Arm hoch und rammte Gérard den Unterarm auf die Kehle, sodass er gurgelnd rückwärts umfiel, und mal wieder auf dem Rücken landete.

Seufzend trat Brix neben ihn und verzog bedauernd die Lippen. »Die Deckung, sagte ich Euch!« Er legte die Schwertspitze auf Gérards schmerzenden Kehlkopf, das Metall kratzte sacht über die zarte Haut, und Brix´ Blick wurde schwer und dunkel. »In einem echten Kampf, wärt Ihr nun tot, Sergent.«

Gérard hatte genug davon, gedemütigt zu werden. Noch bevor ihn sein gesunder Menschenverstand abhalten konnte, trat er gegen Brix` Knöchel und brachte ihn zu Fall.

Der Capitaine riss die Arme hoch, doch er konnte seinen Sturz nicht verhindern. Er verlor das Schwert und landete neben Gérard auf dem Rücken.

Er lag kaum, da sprang Gérard auf ihn drauf, schnappte sich dabei den Panzerbrecher und legte die Klinge an Brix` Kehle. Überrascht blinzelte Brix ihn an.

»Immer auf die Beine achten, Capitaine«, keuchte Gérard atemlos. »Immer auf die Beine achten.«

Er hatte gesiegt, oder? Ja, er hatte tatsächlich den Capitaine besiegt!

Brix schnaubte, doch es klang eher belustigt statt wie üblich herablassend. Er zog die Knie an – sodass Gérard beinahe einem Katapult ähnlich über Brix hinweg geschossen wurde – und warf Gérard dann von sich runter.

Auch wenn er wieder im Dreck landete, lachte Gérard und sonnte sich im Glanze seines Sieges.

Brix stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Dann beugte er sich zu Gérard und reichte ihm die Hand, ein leichtes Schmunzeln spielte um seine Lippen.

Gérard sah zunächst überrascht auf die ihm dargebotene Hand, dann konnte er nicht anders und musste breit grinsen. Er schlug ein und spürte sofort einen heftigen Hitzeblitz durch jede Faser seines Körpers zucken.

Sie berührten sich!

Aber nur flüchtig, denn Brix ließ so unvorhergesehen los, dass Gérard beinahe wieder umgefallen wäre.

Der Capitaine räusperte sich und wich Gérards Blicken aus, als hätte auch er das seltsame, innere Ziehen bei der Berührung ihrer Hände gespürt.

»Morgen wiederholen wir das«, beschloss er schließlich und bückte sich nach seinem Schwert.

Gérard sah ihn anhimmelnd an, unfähig zu sprechen oder auch nur zu nicken. Dieses Brennen in seinem Magen und seiner Brust wurde von Brix` Berührung gleichzeitig gelindert und verschlimmert …

Der Capitaine steckte den Panzerbrecher in die Scheide und ging davon, ohne genau zu erklären, welche ihrer gemeinsamen Tätigkeiten er gemeint hatte. Doch als Gérard ihm dieses Mal nachblickte, warf Brix einen grübelnden Blick über die Schulter, ehe er sich entfernte.

***

In den darauffolgenden Tagen stand Gérard auf, wenn der Morgen graute, und schlich hinunter zum Bach. Meist war er zuerst dort, aber Brix ließ nie lange auf sich warten.

Bei jedem Sonnenaufgang saß er am Ufer auf der Wiese, die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen, das Kinn auf die Knie gestützt, und sah Brix zu, bis die Hitze in seinem Körper es unerträglich machte und er einfach ermattet umkippte und im weichen Gras liegen blieb, bis der große Feuerball gänzlich am Himmel stand.

Brix legte sich zum Trocknen neben ihn, nach jedem Bad, bei jedem ersten Sonnenstrahl. Anfangs sahen sie sich gar nicht an, zu gehemmt, zu schüchtern, um den anderen offen zu betrachten, aber irgendwann wagten sie es, sich in die Augen zu sehen, und von da an schien es unmöglich, etwas anderes zu tun.

Gelegentlich fragte Brix nach Gérards wahrem Alter und nach seiner Herkunft, nach seiner Familie. Im Gegenzug verlangte Gérard, dass er ihm Geschichten aus dem Krieg erzählte. Seine Geschichten. Was er erlebt hatte, auf welchen Schlachtfeldern er gestanden hatte, ob er Kameraden und Freunde fallen gesehen und wie viele Feinde er besiegt hatte, und wie er siegte. Und Brix vermochte es, mit solch sinnierenden Worten seine Erinnerungen widerzugeben, dass Gérard nicht nur glaubte, mit ihm dort gewesen zu sein, sondern ihm auch mit Haut und Haar verfiel. Die gewisse Traurigkeit in Brix` bodenlosen Augen, aber seine recht abgebrühten Erzählungen waren gleichzeitig schockierend und fesselnd. Gérard konnte sich nichts Aufregenderes vorstellen, als neben Brix im Kampf zu stehen. Mit ihm das zu erleben, was ihn zu diesem harten Mann gemacht hatte, der scheinbar alles wusste und alles kannte und doch noch fähig war, nachts zu schlafen. Brix war so mutig, so standhaft, so männlich wie Gérard es auch sein wollte. Er übte wahrlich eine unüberwindbare Faszination aus.

Jeden Morgen lag Gérard auf dem Bauch neben ihm, sah schwärmerisch auf seine Gesichtszüge herab und lauschte jedem einzelnen, kostbaren Wort. Jeden Morgen schien es, als lägen sie ein wenig näher beieinander. Jeden Morgen wurde das »Nicht-Berühren« unerträglicher.

Mittags striezte Brix ihn wie üblich in der heißen Sonne, zeigte ihm seine Fehler auf und war der unausstehlich arrogante Lehrer, den Gérard kannte.

Aber seine Blicke waren anders, dunkler und auf eine Art neugieriger, die Gérard hin und wieder den Atem stahl.

Brix war trotz seiner Strenge jedoch ein guter Lehrer, Gérard wurde zusehends besser im Umgang mit dem Schwert. Was mitunter dem Umstand zu verdanken war, dass Gérard unbedingt so sein wollte wie Brix. Um dessen Anerkennung zu erhaschen, um ihn … auf sich aufmerksam zu machen.

Gérard ging dazu über, nach oder vor den Übungen an einem Holzpfahl seine Schwerthiebe zu üben, größtenteils um mehr Muskeln aufzubauen, die ihm halfen, mit Brix mitzuhalten.

Insgeheim erhoffte er sich, Brix würde ihn dafür loben, doch noch immer waren nette Worte aus dem Mund des Capitaine knapp bemessen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, Gérard auf dem Übungsplatz zuzusehen, so wie dieser ihm beim Baden zusah.

Wo sie auch hingingen, war der andere nicht fern, aber sie sprachen so gut wie nie miteinander. Einzig und allein der Austausch von grüblerischen Blicken fand regelmäßig zwischen ihnen statt.

Ist es falsch? Fragte sich Gérard deutlich häufiger. Und wenn es so falsch war, warum hatte ihn dann noch nicht die Strafe Gottes ereilt?

Immer wieder kamen ihm Brix` Worte in den Sinn, von jenem ersten Morgen, als sie neben einander am Ufer gelegen hatten, und er bekam das Gefühl nicht los, dass dieser ihm damit etwas hatte sagen wollen.

Vermutlich erhoffte er sich das aber auch nur.

Es war der fünfte Morgen dieser Art, als Brix neben ihm lag und zum Himmel hinaufblinzelnd fragte: »Hast du noch andere Interessen, außer dem Kämpfen?« Er drehte den Kopf und sah Gérard unergründlich an. »Irgendetwas, dass nichts mit Krieg zu tun hat?«

Er klang, als erhoffte er es sich. Als wünschte er sich, jemand würde ihm aufzeigen, dass es auch friedliches Leben gab. Ein Leben, das er offensichtlich selbst nicht kannte.

Oder bisher nie kennen wollte.

Gérard erwiderte seinen Blick und dachte lange über seine Antwort nach. Er zupfte mit der Hand etwas Gras aus der Wiese und zuckte ratlos mit den Schultern. »Wofür soll ich mich denn schon interessieren?« Er legte die Stirn in Falten. »Ich mag Pferde, falls Ihr das meint«, gestand er und musste sofort grinsen. »Ihr sanftes Wesen hat mich von Beginn an fasziniert. Ich konnte sogar bereits reiten, bevor es mir jemand beibrachte.«

»Tatsächlich?« Brix hörte ihm aufmerksamer zu, als Gérard es ihm je zugetraut hätte, dabei sprachen sie doch über etwas total Banales. Oder? Nun, aber Brix sah ihn an, als erzählte er ihm ein wichtiges Geheimnis. Den Standort eines Schatzes oder gar eine abenteuerliche Geschichte.

»Manchmal«, lächelte Gérard, ermutigt von Brix` offenem Gehör, »wenn ich Zeit habe, ziehe ich mich auch mal zurück und spiele auf der Panflöte meiner Mutter. Sie hat mir einst das Spielen beigebracht und mir die Flöte als Glücksbringer mitgegeben, als ich zur Armee ging.«

Brix drehte sich auf die Seite, stützte den Kopf auf einen Handballen und betrachtete ihn voll brennender Neugierde. »Wer ist sie?«

»Nur eine Fischhändlerin«, erklärte Gérard mit einem bedauernden Lächeln. »Ich sagte, ich komme zurück und kauf ihr mit meinem Sold ein schönes Haus auf dem Land …«

Er brach plötzlich ab und blickte traurig in den Himmel. Lange hatte er nichts mehr von seiner Mutter gehört, weil er weit fort war und sie nicht schreiben konnte. Wenn er so genau darüber nachdachte, wusste er gar nicht, ob sie noch lebte. Aber er hatte sein Versprechen nicht vergessen, er würde zurückkommen und sie an einen schönen Ort bringen, ob tot oder lebendig.

Gérard hatte nur nicht erwartet, dass es so lange dauern und dass sein Sold so gering ausfallen würde. Doch er sparte, wo er nur konnte, um sein Versprechen zu halten.

Eines Tages, Mutter, schwor er ihr erneut in Gedanken, eines Tages …

»Vermisst du sie?«, fragte Brix leise.

Gérard wollte seinen Mann stehen und versuchte, seine tiefe Liebe zu seiner Mutter nicht offen preiszugeben. Er zuckte nur mit den Schultern.

Und dann geschah es. Einfach so, ohne jegliche Vorwarnung, ohne dass er es hätte kommen sehen. Die Berührung war leicht, sachte wie der Streich eines Schmetterlingsflügels. Brix legte zwei raue Fingerspitzen auf Gérards Handknöchel und fuhr gemächlich über die blasse Haut den Arm nach oben bis zur Schulter, wo er mit einem dunklen Seufzen die Hand ablegte und einfach liegen ließ. Sein Daumen streichelte federleicht über Gérards Schlüsselbein.

Ungläubig und mit klopfendem Herzen himmelte Gérard ihn an. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Sinnlicheres erlebt. Dabei war die Berührung kaum mehr als ein Lufthauch gewesen.

»Ganz gleich, wie lange du in der Sonne liegst«, sinnierte Brix und betrachtete verträumt Gérards Arm, »deine Haut behält immer ihre kühle Blässe bei.«

Gérard schluckte schwer. Er hatte das Bedürfnis, die Hand auszustrecken und aus Brix` Stirn die kastanienbraunen Strähnen seines seidigen Haars wegzustreichen. Aber als er sie hob, ließ er sie schnell unverrichteter Dinge wieder fallen.

Er traute sich nicht, sein Mut war nicht so groß wie Brix`.

Gérard grinste den Capitaine frech an und hob den Arm, auf dem noch dessen Berührung wie Feuer brannte. »Aber das Training zahlt sich endlich aus.« Er krümmte den Ellenbogen und ließ die Muskeln spielen. »Seht Ihr, Capitaine? Langsam werden sie kräftig.«

Brix kämpfte mit einem belustigten Schmunzeln und zog eine Augenbraue recht arrogant nach oben. »Jetzt müsste der Sergent nur noch damit umgehen können …«

Gérard sah ihn schockiert an. Brix lachte vergnügt. Knurrend stieß Gérard ihm die Schulter gegen die Brust, woraufhin der Capitaine dunkel kichernd auf den Rücken rollte. Doch er schlang dabei die Arme um Gérard, zog ihn mit sich und versuchte, ihn ruhig zu stellen, während Gérard sich mit aller Kraft gegen ihn wehrte, austrat und mit den Ellenbogen auf dessen Rippen zielte. Sie lachten und kämpften wie kleine Jungen.

Es war seltsam. Das Rangeln erinnerte Gérard auf schmerzliche Weise an seinen Vater, der vor Jahren in den Krieg gegen die Habsburger gezogen und nie zurückgekommen war. Niemand wusste, was mit ihm geschah, er blieb wie viele andere Soldaten verschollen. Seitdem lebten Gérard und seine Mutter allein.

Brix gewann natürlich die Oberhand. Er hatte die Arme und Beine um Gérard geschlungen und hielt ihn fest, so unbeweglich wie eine Statue aus hartem Stein.

Seufzend ergab sich Gérard, doch der Laut klang ganz und gar nicht frustriert, sondern vielmehr entspannt und … glücklich. Er legte den Hinterkopf an Brix` Schulter und starrte gen Himmel.

»Glaubt Ihr, sie schicken Euch irgendwann wieder in den Krieg?«, fragte er Brix nach einer Weile.

Brix seufzte. »Wenn ich Glück hab.«

»Wieso wollt Ihr so unbedingt kämpfen?«

»Wieso willst du es?«

Darüber dachte Gérard wieder einen momentlang nach, ehe er hilflos gestand: »Vielleicht um mir selbst zu beweisen, dass ich es kann.« Um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, damit dieser stolz auf ihn war.

Brix nickte langsam und stimmte leise zu: »Genau wie ich.«

Im Rücken spürte Gérard Brix` muskulösen Bauch und Brust, während die warme Hand des Capitaine sich auf seinen Bauch legte und ihn festhielt. Gérard glaubte zu spüren, wie sie ihn sanft streichelte. Sein Steißbein wurde plötzlich von etwas Hartem angestupst. Unwillkürlich presste er die Beine gegen Brix` Schenkel, die ihn umschlossen, und rieb sich zögernd an ihnen.

Ihm wurde augenblicklich seltsam warm, überall auf und in seinem Körper. Er schloss die Augen und leckte sich fahrig über die Lippen. Sein Atem bebte.

»Zeit, zu gehen«, beschloss Brix jäh und warf Gérard von sich runter.

Von jetzt auf gleich war er wieder der autoritäre Capitaine.

***

Am Nachmittag war Gérard darauf aus, Brix zu beweisen, dass er die neue Stärke in seinen Armen durchaus zu nutzen wusste. Das Duell war längst nicht mehr so einseitig wie zu Anfang und das brachte sie beide zum Lächeln.

»Gut«, lobte Brix ihn immer wieder. Doch er hing jedes Mal eine strenge Bemerkung hinten ran, wie zum Beispiel: »Aber achte auf deine linke Flanke. Sie ist deine Schwachstelle.«

Das war wahr, denn Gérard hielt sein kurzes Schwert ja in der rechten Hand, und ohne einen Schild fiel es ihm schwer, seine ungedeckte Seite zu schützen. Und genau jene griff Brix immer wieder an, wenn Gérard nicht damit rechnete. Blaue Flecke und leichte Schnittwunden übersäten bald Gérards linke Körperseite, von der Schulter und über die Rippen bis zum Arm.

Der Capitaine war stets gnadenlos. Und allmählich bekam Gérard das Gefühl, dass seine durchaus leicht vorhandene Quällust während der Lehrstunden aus seiner Langeweile geboren worden war. Brix war es immerhin gewohnt, in großen Schlachten zu kämpfen.

Wie viele Monate oder gar Jahre hatte er wohl keinen echten Kampf mehr ausgetragen, weil er genesen musste?

Zu viele, offensichtlich. Er war ein Mann im besten Alter, und saß hier herum wie ein aus dem Dienst entlassener Veteran, der seinen Ruhestand genießen sollte. Wie ein Gaul, das für den Abdecker zu wertvoll war.

Gérard beschwerte sich mittlerweile auch nicht mehr, was zum Teil an den vielen Tagesanbrüchen lag, die sie gemeinsam am Bach verbrachten. Er genoss es geradezu, mit Brix zu kämpfen, er wusste ja, dass er nichts allzu Schlimmes zu befürchten hatte.

Und er lernte, wenn auch für Brix` Geschmack zu langsam.

Mit wuchtigen Schlägen trieb Gérard Brix über den Übungsplatz. Der Capitaine wich gewohnt leichtfüßig zurück, während er die Hiebe abblockte, jedoch stand zum ersten Mal echte Konzentration auf seinem schönen Gesicht. Seine Stirn schwitzte und seine dunklen Strähnen, die sich aus seinem unordentlichen Zopf gelöst hatten, klebten auf seiner Haut fest; er sah nie anziehender aus.

Schließlich parierte er Gérards von oben nach unten geführten Schlag, blieb stehen, indem er den rechten Fuß nach hinten ausstellte und die Ferse in den Boden stemmte. Er zog Gérard an sich heran, bis sich ihre Körper trafen, und drückte sein Gewicht auf seine Waffe.

Sie befanden sich in einem Patt. Keiner kam mehr vorwärts.

Ihre Gesichter begegneten sich zwischen ihren gekreuzten Klingen, Schweiß glänzte auf ihren Oberlippen, ihre Nasenflügel bebten, weil sie beide angestrengt atmeten.

Brix schmunzelte schief: »Das war hervorragend, Sergent!«

»Danke, Capitaine.« Gérard äffte Brix anmaßenden Tonfall nach, dann grinste er breit.

Der Capitaine verengte auf eine Art die Augen, als wüsste er nicht, ob er Gérard rügen oder ihm in die Wange kneifen sollte.

Gérard starrte ihm auf die Lippen, die ihm plötzlich so nahe waren, dass er sie beinahe schon an seinem Mund spüren konnte.

Oder handelte sich dabei nur um Brix` warmen Atem?

»Capitaine!«

Die fremde Stimme ließ sie umgehend auseinanderfahren, beide gleichermaßen erschrocken, als hätten sie etwas Unerhörtes getan. Dabei konnte niemand außer ihnen ahnen, wie aufgeladen die Luft um sie herum gewesen war, fast so wie vor einem stürmischen Gewitter.

Nein, das hatten nur sie gespürt.

»Ja?« Der Capitaine sah dem Fremden mit gerunzelter Stirn entgegen. Es war ein Meldegänger der Armee, er kam mit neuen Anweisungen, und natürlich um Brix` eigene Berichte mitzunehmen.

Der Capitaine verschwand und Gérard blieb wie üblich allein zurück. Allein mit einer geballten Feuerfaust im Magen, die ihm die Eingeweide verbrannte.

***

Es geschah am Morgen drei Tagesanbrüche nach jenem Nachmittag.

Gérard hatte Brix seitdem kaum mehr gesehen. Die Armee schickte Lieferungen, die organisiert werden mussten, einige Soldaten wurden abgezogen, andere wurden geschickt. Es gab vieles zu ordnen, und Brix und Gérard hatten viel zu tun.

Aber davon abgesehen, kam Brix auch nach diesem Nachmittag nicht mehr zum Bach runter und verhielt sich bei den Lehrstunden wieder sehr distanziert, als hätte Gérard ihm irgendetwas angetan, dass ihn wütend auf ihn gemacht hätte.

Brix schien unglücklich zu sein, doch Gérard konnte sich nicht erklären, warum. Dennoch ging er bei jedem Sonnenaufgang runter zum Bach, watete durch das eiskalte Wasser und legte sich dann in die Wiese am Ufer. Er lauschte dem Surren der Bienen, die ihn umkreisten wie eine Blüte, die zur Bestäubung bereit war. Die Schatten der Bäume wanderten über seine schlanken Muskeln, während der Morgen gemächlich dahinglitt. Er blickte so lange in den wolkenlosen Himmel und kaute nachdenklich auf seiner Wange, bis die Sonne am höchsten Punkt stand und er sich lieber spät als nie seinen Pflichten widmete.

Und die ganze Zeit über wurde das sehnsüchtige Brennen in seinem Inneren stärker und stärker, beinahe unerträglich auszuhalten. Seit Brix ihn berührt hatte, war es sogar noch schlimmer geworden. Er wusste jetzt, wie wundervoll prickelnd es sich anfühlte, und brauchte unbedingt mehr davon.

Doch Brix` abweisende Art ließ Gérard zurückschrecken.

Als er am dritten Morgen auf der Wiese lag, auf einem Strohhalm herumkaute – wie Brix es bei seinen Mittagsschläfchen immer tat – und sich von der aufgehenden Sonne blenden ließ, fiel plötzlich ein Schatten über ihn.

Gérard blinzelte überrascht in die samtweichen Nüstern seines von der Armee gestellten Pferdes.

Brix warf ihm die Zügel auf den Bauch. »Komm mit!«

Ohne darauf zu warten, ob Gérard ihm folgen würde, wandte er sich ab. Er führte seinen eigenen, weißen Hengst an den Zügeln den Hügel hinauf auf den Weg.

Gérard beeilte sich, auf die Beine zu kommen, obwohl er sich über Brix maßlos ärgerte. Er hatte ihn tagelang ignoriert und nun gab er ihm wie selbstverständlich Befehle, als wäre nichts geschehen. Aber Gérard war viel zu sehr in Brix` Bann gezogen, um sich trotzig zu wiedersetzen. Nein, dafür wollte er viel zu gerne Zeit mit ihm verbringen.

»Was machen wir?«, fragte Gérard, als er seinen Hengst neben Brix führte und genau wie dieser in den Sattel stieg.

»Wir reiten aus«, lächelte Brix und trabte davon.

***

Sie ritten ein Stück den Berg hinauf. Der Pfad war schmal, steinig und frei, kein Baum weit und breit, sodass sich neben ihnen die scheinbar unendliche Weite der Provinz erstreckte. Zum Glück waren sie geübte Reiter, deren Tiere ihnen vertrauten, denn immer wieder brachen lose Steine unter den Hufen der Tiere weg und rollten den Berg hinab. Gérard konnte es nicht lassen und zeigte Brix mit kindlichem Frohsinn, welch toller Reiter er doch war. Dabei erzählte er stolz, wie er als Siebenjähriger von seinem Vater auf den Rücken eines Pferdes gesetzt wurde und er umgehend wusste, wie man ritt. Natürlich war es überwiegend dem Tier zu verdanken gewesen, dass es sich mit einer bemerkenswerten Seelenruhe von einem übermütigen Jungen an den Zügel reißen gelassen hatte. Aber davon erzählte Gérard aus gutem Grund nichts.

Brix hörte dem allem mit einem belustigten Schmunzeln zu.

Als der Weg abfiel, trieben sie die Rösser den Berg wieder hinab und landeten schließlich in einem kleinen Wäldchen.

Waren sie noch in der Provinz? Gérard wusste es nicht, es war ihm auch egal. Wo sie hin ritten, gab es keine Zivilisation, sie wurden von dem gedämpften Licht des Waldes und dessen Abgeschiedenheit verschluckt. Allein! Ging es Gérard durch den Kopf. Sie waren hier wahrhaftig allein. Nur er und Brix, weit entfernt von der Kompanie, die in den letzten Tagen immer wieder zwischen sie geraten war.

Vielleicht war Brix gar nicht wütend auf Gérard gewesen, sondern auf den Umstand, dass sie ständig irgendwie unter Beobachtung standen. Gérard wollte es gerne glauben. Jedenfalls schien Brix an jenem Tag entspannter, je weiter sie sich vom Lager entfernten.

An einem verborgenen Waldsee stiegen sie ab. Es war ein wirklich kleiner See umringt von dichtstehenden Bäumen, über dessen dunkler Wasseroberfläche ein Schwarm Fliegen schwirrte, ein Frosch quakte irgendwo im Schilf, und ein umgefallener Baum diente als schmale Brücke, die über den See führte.

Brix ging am Ufer in die Hocke und tunkte eine Hand hinein. »Die Sonne hat das Wasser erhitzt.«

Seen waren ohnehin etwas wärmer als Bäche, da sich das Wasser nicht wirklich bewegt. Die Sonne hatte Gelegenheit, es zu erhitzen, doch je tiefer man taucht, je kälter wurde es. Das hatte Gérards Vater ihm einst erklärt.

Gérard hüpfte umgehend zum Ufer und streifte noch im Lauf das Hemd vom Körper. Stolpernd riss er sich die Stiefel von den Füßen und rannte lachend ins Wasser.

Brix kicherte dunkel und wartete keine Einladung ab. Er zerrte sich die Kleider vom Leib, ging bis zu den Schenkeln in das dunkle Seewasser und sprang dann kopfüber hinein. Er tauchte wie ein Delphin an Gérard vorbei und kam hinter ihm mit tropfnassem Gesicht wieder zum Vorschein. Gérard konnte seine Eleganz nur bewundern.

Kopfschüttelnd und schnaubend befreite Brix seine Sicht von Wasser und Haar, dann schwamm er mit einem schiefen Schmunzeln und verengten Augen auf Gérard zu. Noch bevor dieser sich der Gefahr gewahr wurde – weil Brix` Anblick ihm jeglichen klaren Gedanken raubte – wurde er von Brix gepackt und unter die Wasseroberfläche gedrückt.

Er wehrte sich umgehend und versuchte seinerseits, Brix einfach mit sich nach unten zu ziehen. Lachend kämpften sie im Wasser wie zwei kleine Jungen. Gérard wäre nicht überrascht gewesen, wenn seine Mutter ihn an den Ohren aus dem See gezogen und ihn getadelt hätte.

Aber niemand kam, niemand störte sie. Sie waren gänzlich allein.

Gérard konnte der Versuchung nicht widerstehen und umschlang Brix mehr als wirklich notwendig. Er hielt sich an den breiten Schultern und Armen fest, krallte sich in das kräftige Nackenhaar, schlängelte unter Wasser seine Beine um die die Schenkel des Capitaine und rieb ganz unbewusst seinen schlanken Leib an den harten Muskeln des anderen. Währenddessen spürte er überdeutlich Brix´ raue, große Hände auf seinem Körper, die mal hier und mal dort zupackten, aber gelegentlich auch recht sanft über seinen Rücken oder seine Schultern streiften, als könnten sie nicht genug von ihm bekommen.

Die Sehnsucht in Gérards Magen brannte bald darauf lichterloh, und er empfand eine seltsame Wärme in der Lendengegend, die er nicht mit der üblichen Begierde vergleichen konnte. Wie heißes, flüssiges Gestein, das von seinem Steißbein entsprang und sich in seine untere Körperregion ausbreitete.

Er umfasste Brix` Schultern und zog sich an ihn heran, drückte ihn etwas tiefer ins Wasser und sich daraus hervor, sodass er über dessen Gesicht ragte. Brix` Hände hielten ihn knapp unter den Achseln fest. Ihre Lippen schwebten dicht übereinander und sie sahen sich einen Herzschlag lang reglos in die Augen. Wieder schien die Luft um sie herum zu Knistern, obwohl am Himmel nur die grelle Sonne stand.

Brix packte ihn irgendwann bei den Schultern, stieß ihn von sich und drückte sich gleichzeitig weg. Er tauchte unter und gönnte ihnen beiden eine Pause, um zu Vernunft und Atem zu kommen.

Gérard seufzte frustriert und sank kerzengerade hinab in die Tiefe, damit die Kälte sein Fieber lindern konnte.

Doch nichts vermochte dies mehr.

***

»Gut! Gleich noch mal!« Brix lehnte sich ihm entgegen und winkte ihn ermutigend heran.

Gérard atmete tief durch, dann sprang er erneut auf ihn zu, geriet aber wieder ins Schwanken, als sein erster Hieb abgeblockt wurde. Er ruderte mit den Armen und riss die Augen furchtvoll auf.

Als Brix seinen linken Bizeps ergriff, krallte er sich an ihm fest, um nicht zu fallen.

Erst als er wieder sicher auf dem schmalen Baumstamm stand, lachten sie beide vergnügt auf.

Brix hatte Schwerter mitgenommen, und nach dem Bad im See vorgeschlagen, auf dem umgestürzten Stamm zu üben. Um das Gleichgewicht zu trainieren, meinte er, doch Gérard konnte dem beim besten Willen nichts abgewinnen.

»Du fürchtest den Aufprall, das ist dein Problem«, tadelte Brix ihn. Allerdings klang seine Stimme ungewohnt nachsichtig. Er ließ Gérards Arm los und trat einen Schritt zurück, sodass der Baum unter ihren Füßen wieder zu schwanken begann. »Deine Gedanken sind nur auf den Fall konzentriert, dabei ist der wahrscheinlichere Tod immer die Waffe deines Gegners.«

Brix wippte mit den Beinen und brachte den Übungsplatz in Schwingungen. Verhalten fluchend versuchte Gérard, sein Gleichgewicht zu behalten, doch das war gar nicht so einfach, wenn er in der einen Hand das Schwert hielt. Er musste die richtige Mitte finden, um nicht runter zu fallen. Was ihm nicht gelang, also suchte er Halt an Brix` Schulter. Der Capitaine war so gutmütig, ihn am Ellenbogen zu fassen und festzuhalten.

Und so sollte er kämpfen?

Unmöglich!

Brix lachte geradezu hämisch, sodass er sich einen ärgerlichen Blick aus Gérards tiefblauen Augen einhandelte.

»Wo vor hast du denn Angst?«, fragte Brix schließlich, sein Lächeln war unerträglich überheblich.

Gérard stieß ungläubig den Atem aus. Als wäre das nicht offensichtlich. »Davor, zu fallen!«

»Und was soll passieren, wenn du fällst?«

»Das ich mir wehtue!«, konterte Gérard altklug.

Allmächtiger Gott, manchmal war es wirklich anstrengend, mit Brix eine Unterhaltung zu führen. Er konnte Fragen stellen, deren Antworten nur allzu offensichtlich waren.

Aber Gérard begriff auch meist nie, worauf Brix eigentlich hinauswollte. An jenem Tag sollte er jedoch nicht lange auf die Folter gespannt werden.

»Es ist nicht tief«, warf Brix ein und nickte auf die Wasseroberfläche, »das tut nicht weh.«

Gérard wollte es dennoch ungern überprüfen. »Trotzdem …«

Brix schüttelte amüsiert den Kopf. »Wenn du deine Angst nicht überwinden kannst, musst du dich ihr eben stellen.«

Gérard sah ihn erschrocken an, doch da legte Brix ihm bereits eine Hand auf die Brust und schubste ihn, gleichzeitig zog er ihm mal wieder die Füße weg.

Er hatte nicht einmal mehr genug Zeit um zu schreien, da brach sein Rücken auch schon durch die kühle Wasseroberfläche, und er versank im See, während ihm Brix` dreckiges Lachen hinterher wehte.

Prustend tauchte er wieder auf und wackelte mit dem Kopf, um sein nasses Haar aus dem Gesicht zu werfen.

Brix ging zufrieden mit sich auf dem Baumstamm in die Hocke. »Tat doch gar nicht weh, oder?«

Gérard stieß verächtlich den Atem aus der Nase und spritzte Brix eine Fontäne Wasser entgegen, die ihn leider nicht erreichte.

Lachend kam Brix wieder auf die Beine. »Nun, Sergent … Ihr solltet vielleicht lieber mal nach Eurem Schwert tauchen. Ohne könnt Ihr schlecht kämpfen.«

Erst da wurde sich Gérard gewahr, dass er seine Waffe während seines Falls losgelassen hatte.

»Ihr solltet hoffen«, hörte er Brix necken, »dass der See nicht allzu tief ist, Sergent.«

Gérard knirschte mit den Zähnen. »Merde …«

***

Später an jenem wundervollen Tag lehnte Gérard nackt im Schatten eines Baumes, während seine Sachen in der Sonne trockneten, und spielte auf seiner Panflöte.

Er hatte nicht schlecht gestaunt, als Brix ihn dazu aufforderte, ihm etwas vorzuspielen, und das Instrument dann aus seiner Satteltasche zauberte. Zunächst war Gérard sich nicht sicher, ob er es guthieß, dass der Capitaine in seinen persönlichen Sachen gewühlt hatte, doch nachdem er zögerlich zu spielen anfing, war jeder Ärger verflogen.

Die sanften Melodien, die durch den Wald wehten wie lieblich pfeifender Wind, ließen ihn an seine Mutter denken, und das erwärmte ihm das Herz. Er erinnerte sich an fast jedes Lied, das sie ihm beigebracht hatte, nur gelegentlich verspielte er sich und musste von neu beginnen, er schämte sich dann dafür.

Doch von Brix war weder ein Laut des Missmuts zu hören, noch ein kritischer Blick zu sehen.

Der Capitaine saß in der Nähe auf einem Baumstumpf, nur eine Hose am Leib, und schärfte die Klinge seines Panzerbrechers mit einem Wetzstein, während er stumm Gérards Flötenspiel zuhörte und gelegentlich dazu summte.

Die Hingabe, die er seiner Waffe schenkte, ließ Gérard sich wünschen, Brix würde sich ihm auf diese Weise zuwenden.

Brix runzelte bei der nächsten Melodie die Stirn und blickte auf. »Das ist schön.«

Gérard hörte zu spielen auf und senkte mit roten Wangen den Kopf. »Das war mein Wiegenlied«, flüsterte er.

Brix drehte ihm das Gesicht zu und betrachtete ihn eine Weile nachdenklich. Sein Haar war noch feucht und hing schwer in seiner Stirn. Er sah zum Dahinschmelzen anziehend aus.

Für einen Moment überkam Gérard wieder Schamgefühl und Übelkeit. Es war sicherlich nicht richtig, so über einen Mann zu denken. Oder als Junge auch nur einen anderen Kerl schön zu finden. Aber er konnte nichts gegen das tun, was seine Augen sahen und was sein Herz fühlte.

Und wenn er tief in sich hineinhorchte, stellte er sogar fest, dass es ihm immer gleichgültiger wurde, ob etwas mit ihm nicht in Ordnung war.

Die wohl dringendste Frage war für ihn jedoch, ob Brix ähnliche Gedanken über ihn hegte.

Wären sie gemeinsam hier, wäre dem nicht so?

Gérard atmete tief durch und fuhr sich dann frustriert durch sein eigenes noch feuchtes Haar.

»Spiel weiter«, forderte Brix plötzlich leise.

Gérard schüttelte den Kopf, jedoch nicht um abzulehnen, sondern weil er die körperliche Distanz zwischen ihnen wahrlich unerträglich fand.

Er setzte die Flöte an die Lippen und hauchte wieder in die Röhrchen. Er schloss gewöhnlich mit Hingabe die Augen, wenn er spielte, doch es gelang ihm einfach nicht, den Blick von Brix abzuwenden.

»Nicht das«, warf Brix ein und lächelte vor sich hin, »spiel noch mal das Wiegenlied.«

Gérard stockte und starrte ihn an.

»Warum nicht?«, fragte Brix, als Gérard nicht weiterspielte. Er drehte den Kopf und durchforschte mit seinen hellbraunen Augen Gérards Gesicht. »Macht es dich traurig? Du schaust traurig aus.«

Nicht wirklich, eher … fühlte er sich sehnsüchtig.

»Hast du Heimweh?«, fragte Brix und senkte dabei den Kopf, um seine geschärfte Klinge zu begutachten.

Gérard schluckte seinen Kummer runter. »Es erinnert mich nur an die Zeit, als mein Vater noch da war.«

Brix sah, zufrieden mit seiner Arbeit, wieder auf. »Wo ist er?«

»Er verschwand im Krieg, da war ich acht.«

Wenn es Brix in irgendeiner Art berührte, so zeigte er es nicht. Keinerlei Rührung war auf seiner forschenden Miene zu erkennen.

»Ah«, machte er und senkte durchatmend den Kopf. »Da warst du aber noch sehr jung. Muss schwer sein in diesem Alter ohne Vater.«

Gérard nickte gedankenverloren und starrte in die Leere. Doch schließlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und er wandte ein: »Die Erinnerung an ihn, wird ihn immer lebendig halten.«

Brix betrachtete ihn stirnrunzelnd.

»Was ist mit deinem Vater?«, fragte Gérard interessiert und legte den Kopf schief. »Wo stammst du her?«

Brix steckte das Schwert in die Scheide und lehnte es an den Baumstumpf als er aufstand.

Erwartungsvoll sah Gérard ihm entgegen, als er auf ihn zu kam. Jede Bewegung ließ die ausgeprägten Muskeln unter der samtenen Haut spielen, sodass Gérard gar nicht umhinkam, sie zu begehren. Dicht vor ihm ging er auf die Knie und krabbelte auf ihn zu.

»Die Männer meiner Familie waren alle bei der Armee. Kavallerie«, erklärte Brix dabei. Er drehte sich um und bettete den Kopf in Gérards Schoß, während er genüsslich die Beine ausstreckte. »Ich verstand mich nicht gut mit meinem alten Herrn. Ist eine Familientradition. Er erzog mich mit strenger Hand und erwartete stets Perfektion von mir.«

Kommt mir bekannt vor, dachte Gérard schmunzelnd. Söhne waren wohl ihren Vätern immer etwas ähnlich. Sein eigener Vater war zu Lebzeiten ein ehrlicher und liebevoller Mann gewesen. Gérard wusste nicht, ob er ihm ähnelte, aber er hoffte es.

»Er starb, als ich gerade zur Armee ging«, erzählte Brix weiter, doch er klang nicht traurig, nur ein wenig bedauernd. »Er wurde vom Pferd geworfen und brach sich das Genick. Es geschah nicht einmal in der Schlacht.«

Gérard sah nachdenklich hinab in Brix` Gesicht, dessen Augen sich schlossen.

»Ich kann nicht sagen, dass ich ihn vermisse.«

Mit zitternden Fingern hob Gérard eine Hand und wagte es, Brix einige Haarsträhnen aus der Stirn zu streichen. Sein Haar fühlte sich wahnsinnig weich an.

»Was ist mit dem Rest deiner Familie?«, fragte Gérard, während er ihm immer mutiger durchs Haar strich.

»Meine Mutter und meine drei Schwestern leben noch in Berry, wir haben dort ein Anwesen, und sie erfreuen sich bester Gesundheit und Reichtum«, antwortete er trocken. »Ich kann auch hier nicht behaupten, sie zu vermissen.«

Dann entstammte Brix scheinbar einer wohlhabenden Familie. Er war aus gutem Haus, was vermutlich auch seinem hohen Rang in der Armee dienlich gewesen war. Aber Brix stand seinen Blutsverwandten offensichtlich nicht sonderlich nahe. Was vermutlich ein Grund dafür war, dass er lieber in den Krieg zog als zu Hause zu sein.

»Hast du …«, Gérard räusperte sich nervös, »… hast du keine Frau und Kinder?«

Ein schiefes Lächeln trat auf Brix` Züge, das tiefe Grübchen in seinen Mundwinkeln hinterließ. Gérard hätte sich zu gerne hinab gebeugt, um sie … zu … küssen.

Als er den Gedanken zu ende dachte, raste sein Herz. Es war das erste Mal, dass er seinen Gefühlen eine Form gab. Dass er sie derart deutlich zuließ.

»Was ist mit dir?«, fragte Brix ausweichend und öffnete die Augen, um Gérard anzusehen. »Hast du ein Mädchen, das in der Heimat auf deine Rückkehr wartet?«

Gérard grinste breit. »Nein. Aber es gibt bestimmt ein paar, die trotzdem warten.«

Kopfschüttelnd lachte Brix über ihn. »Da bin ich sicher.«

Dabei hatte Gérard nicht viel mit Mädchen zu tun gehabt. Natürlich hatte er die ein oder andere hübsche Dame auf dem Mark gesehen und ihr nachgeschmachtet, er hatte sich auch den ein oder anderen ersten Kuss in einigen Seitenstraßen gestohlen. Aber welcher Vater hätte seiner Tochter schon erlaubt, einen mittellosen Jungen zu heiraten? Welches Mädchen hätte freiwillig einen armen Burschen zum Gatten genommen?

Nicht, dass Gérard es sich gewünscht hätte. Er trauerte nicht um diese verpasste Gelegenheit, vor allem nicht, wenn er Brix betrachtete. Solch starken Sehnsüchte wie bei ihm, hatte Gérard bei keinem Mädchen verspürt.

Brix streckte eine Hand aus und berührte Gérards Haar, hielt es ihm aus dem Gesicht, um ihn ganz ungehindert betrachten zu können.

Gérard blieb der Atem fort und das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er konnte gar nicht anders, als sich dem Gesicht zu nähern …

»Ja, ich habe eine Frau und einen Sohn«, sagte Brix plötzlich. Etwas Trauriges lag in seinem Blick, als er Gérard danach ausgiebig betrachtete. »Sie leben auch in Berry bei meiner Familie.«

Gérard blinzelte ihn überrascht an. »Ach so …? Du vermisst sie sicher sehr.« Es war schwer, sich in jenem Moment unverfänglich zu geben und mitfühlend zu lächeln.

Brix schnaubte trocken. »Wenn du meinst.«

Eigentlich hätte Gérard es sich selbst denken können, deswegen hatte er ja gefragt. Denn Brix war ein Mann schätzungsweise Mitte dreißig. Natürlich hatte er eine eigene Familie gegründet, natürlich hatte er eine Frau und mindestens ein Kind, immerhin stammte er aus gutem Haus.

Warum Gérard sich trotzdem fühlte, als hätte sich ein Pferd auf seinen Brustkorb gesetzt, konnte er sich nicht erklären.

»Er müsste in ein paar Jahren in deinem Alter sein«, flüsterte Brix nachdenklich, während er Gérard das Haar immer wieder aus dem Gesicht strich. »Dreizehn ist er jetzt vielleicht. Hab ihn lange nicht gesehen, bestimmt erkennt er mich gar nicht mehr.«

Gérard schluckte einen Kloß im Hals runter, doch er wollte nicht rutschen. Er räusperte sich und blickte kummervoll in den Wald. »Dann siehst du das, wenn du mich ansiehst? Ich erinnere dich an … an deinen Sohn?«

»Nein, ganz und gar nicht. In keiner Weise«, hauchte Brix mit grimmigem Gesicht. Als Gérard ihn wieder verwundert ansah, schloss er die Augen. »Das ist ja das Problem.«

Fragend schüttelte Gérard den Kopf. »Was ist das Problem?«

Doch Brix grinste nur stumm.

»Was ist das Problem?«, verlangte Gérard zu wissen und stieß ihn an. Brix lachte auf, während er sich weigerte, ihm zu antworten, und Gérard ihn deshalb schubste und fordernd schlug.

Nicht, dass Brix es wirklich gespürt hätte.

»Spiel noch was!«, forderte Brix, nachdem er Gérards Handgelenke gepackt und seine Fäuste unschädlich gemacht hatte. »Irgendwas. Spiel einfach.«

Gérard seufzte, als wäre ihm das zuwider. Doch er griff zur Panflöte und spielte mit einem Lächeln ein Lied an. Er mochte es, Brix etwas vorzuspielen, er war ein sehr guter Zuhörer.

Auf Brix` Lippen lag ein entspannter Ausdruck, während sein Kopf in Gérards Schoß lag und er zur Melodie der Flöte vor sich hindämmerte.

Gérard spielte eins, zwei Lieder für ihn und schloss dieses Mal die Augen. Eine leichte Sommerbrise strich ihm dabei durch sein langsam trocknendes Haar. Er genoss Brix` Kopf in seinem Schoß, seine allgemeine prickelnde Nähe und das Herzklopfen, das sie in ihm auslöste.

Er wünschte, er könnte diese Gefühle näher ergründen. Wünschte, dass er den Mut hätte, Brix zu berühren, wie er ihn berühren wollte. Wünschte, er wäre dahingehend nicht so unerfahren und deshalb gehemmt, obwohl sich sein Leib so sehr nach Brix verzehrte, dass es bereits schmerzte.

Er hörte plötzlich zu spielen auf und fragte in die idyllische Stille des Waldes hinein: »Hältst du es für falsch?«

Brix brummte mit geschlossenen Augen: »Hm? Was meinst du?«

Gérard starrte in den dunklen Wald hinein und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, hauchte er angespannt, »sag du es mir.«

Denn er konnte es nicht aussprechen. Unmöglich. Undenkbar!

Brix öffnete die Augen. Er wirkte verschlafen, als er zu Gérard hinaufsah und ihn eine süße Ewigkeit lang anstarrte. Dann griff er plötzlich mit seiner starken Hand in Gérards Nacken und zog ihn zu sich herab. Gérard schnappte überrascht nach Luft, doch da spürte er schon eine Berührung an den Lippen, die eine heiße Welle der Erregung durch seinen Körper sandte. Er schloss die Augen, als Brix` Mund den seinen sanft berührte und sich zu einem Kuss spitzte. Falsch herum küssten sie sich, allerdings machte es das für Gérard nur umso spannender.

Es war ein zärtlicher, leichter Kontakt, so lieblich und sacht, dass Gérard umgehend das Bedürfnis verspürte, ihn leidenschaftlicher zu halten. Aber er wagte in jenem Moment ja nicht einmal zu atmen, ihm entfloh sogar ein leises, überraschtes Stöhnen. Zu mehr war er nicht fähig.

Als Brix seinen Mund aus dem sachten und kurzen Kuss löste, sah er Gérard mit dunklem Blick in die Augen und strich ihm erneut liebevoll das Haar aus dem Gesicht.

Gérard starrte ihm noch verträumter als sonst an, schmeckte Brix` Lippen auf den seinen und war wie berauscht von dem unbekannten Geschmack.

»Fühlt sich für mich nicht falsch an«, raunte Brix heiser, während er weiterhin mit einer kräftigen Hand erstaunlich zart durch Gérards dunkles Haar strich.

Nach Atem ringend, sah Gérard sich außerstande, irgendetwas zu erwidern.

Etwas zurückhaltend, was sehr untypisch für Brix war, sah er Gérard leuchtend in die Augen. »Darf ich dich nochmal küssen?«, fragte er leise und beinahe flehend.

Gérard schluckte und nickte stumm, dann zog Brix ihn schließlich wieder herab.

Als sich ihre Lippen ein weiteres Mal trafen, wurde Brix leidenschaftlicher. Drängender. Sein Mund war gierig, suchte, verlangte und stahl sich, was er begehrte. Gérard schloss genüsslich die Augen und spürte, wie die Sehnsucht in seinem Inneren gestillt wurde und gleichzeitig einem anderen, warmen Gefühl wich, das nicht minder drängender schien. Süße Empfindungen plätscherten in sein Bewusstsein, wie zarter Regen in einen ruhigen See. Er wurde sacht aufgewühlt von den lauwarmen Empfindungen, die wie kleine Tropfen in ihn sanken und sich mit seinem Ich vermischten, wodurch er sich fühlte, als würde er mit Brix verschmelzen. Nicht nur körperlich, sondern vielmehr geistig, wie zwei Winde, die sich über einer saftigen Wiese fanden, der eine sanft und lieblich, der andere reißend und fordernd, und die sich zusammen zu einem wüsten Sturm zusammentaten, der alles mit sich riss, dass nicht fest mit dem Boden verwurzelt war. Ein Wirbelwind aus süßen und heißglühenden Emotionen, als würde man sich Honig mit rotem Pfeffer einverleiben.

Er ließ die Panflöte aus seinen Fingern gleiten und nutzte beide Hände um sie um Brix` Kopf zu legen, ihm durch das Haar zu streichen, bis es verwüstet war, die kräftigen Kiefer und das Kinn zu befühlen, während sie sich im lieblichen Lippenspiel bewegten.

Brix` ließ die Hände suchend und wandernd, gierig vor glühendem Verlangen über Gérards Schultern, Arme und den Rücken gleiten, er stöhnte leise in den Kuss hinein, als müsste er seiner Begierde Luft verschaffen.

Gérard ließ sich fallen und ergab sich seiner Sehnsucht. Ihre Zungen fanden sich im süßen Tanz und konnten nicht wieder voneinander ablassen. Nie war ein Kuss aufregender gewesen.

Das Gold der Felder

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