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Eine wundersame Wendung

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Beatrice war in der peinlichen Befragung wider allen Erwartungen standhaft geblieben. Tapfer trotzte sie den Torturen und verhöhnte sogar den Büttel. Der rächte sich durch besondere Härte, so dass sie wiederholt das Bewusstsein verlor und erst durch kalte Güsse wieder aufgeweckt werden musste. Doch so sehr er sie auch peinigte - ein Geständnis wollte ihr nicht über die Lippen kommen.

Dabei war die Beweislage erdrückend, vor allem, nachdem man den Incubus genannten Buhldämon in ihrer Truhe fand. Und als die Hausmagd dem Tribunal noch eine Probe des Weines übergab, worin man neben Resten von Wolfskraut noch Schlafmohn und Bitterkraut nachweisen konnte, musste Kunibert erkennen, mit welcher Schlange er die ganze Zeit unter einem Dach gelebt hatte.

Wie man sagte, habe er daraufhin das Geschirr zerschlagen, den goldenen Ehering in die Altarschale der Kirche geworfen und sie mit einem lauten ‚est infernum apud illum‘, zum Teufel gewünscht.

Doch obwohl man ihr wiederholt die Schnabelzinke einführte – eine besonders qualvolle, dornenbesetzte Zwinge - und sie bis ins Extrem spreizte, so dass sie höllische Schmerzen litt, gab sie nur zu, was man bereits wusste, leugnete jedoch jede Tötungsabsicht. Vielmehr behauptete sie, absichtlich so dosiert zu haben, um der angeschlagenen Gesundheit ihres Mannes durch Beruhigungsmittel entgegenzuwirken.

Das sahen die Herren des Tribunals freilich anders, allen voran Amtmann Kunze, der ihre Schuld somit als bewiesen ansah und auf ein schnelles Geständnis hoffte. Doch nicht etwa aus Bequemlichkeit, sondern aus Furcht vor der hochnotpeinlichen Befragung, die er ihr unbedingt ersparen wollte.

Schätzte er sie doch noch immer als edle Frau, die ihrem Mann in all den Jahren Beistand und Loyalität bezeigte, wenn er sich mit bornierten Scholastikern und Aristokraten herumschlagen musste, die ihn in hitzigen Debatten von bestimmten Dingen zu überzeugen suchten, welche stets zu ihrem Vorteil waren, doch nie zum Wohl der Stadt. Das verlangte schon ein gesundes Augenmaß, das er bisher auch immer bewies, nun aber aufgrund ‚gewisser Umstände‘ erstmals schwächelte.

Doch offenbar legte sie es darauf an, als wüsste sie genau, wie sie den Prozess am besten verschleppen könnte. Nicht nur, dass sie während der Prozedur fortwährend provozierte und dabei eine an Wahnsinn grenzende Todesverachtung bezeigte, wie jetzt, da sie ihren Peiniger hasserfüllt anspie und ganz unverhohlen eine ‚Drecksau‘ nannte.

Durch die absichtliche Gefährdung des eigenen Lebens machte sie darüber hinaus das ‚judicium aquae frigidae‘ genannte Hexenbad nahezu unmöglich; eine für gewöhnlich öffentlich durchgeführte Prozedur, die auch ohne Geständnis über Schuld oder Unschuld der Delinquentin entschied, jedoch aufgrund der Unwägbarkeiten nur ungern praktiziert wurde.

Außerdem würde jeder Verstoß gegen die körperliche Unversehrtheit durch verräterische Blessuren schnell den Versuch einer Vorwegnahme des Gottesurteils erwecken. Andererseits wäre im Fall eines vorschnellen Ablebens der Tatbestand der Hexerei ohne vorliegendes Bekenntnis nicht mehr zweifelsfrei nachweisbar. Die Folge wäre eine Rehabilitation mit enormem Schaden für das Ansehen des hiesigen Rates.

Zu spät erkannte man diese Finesse. Augenblicklich stellte man die Tortur ein und war um Schadensbegrenzung bemüht. Nachdem man diesen Tölpel von Folterknecht für seine Grobheiten gerügt und ihn der Unfähigkeit bezichtigt hatte, verbrachte man sie ins Hospital. Hier wurde sie unter ständiger Aufsicht in einer kleinen Kammer untergebracht und sollte durch den hiesigen Medicus kuriert werden.

Doch dieser Quacksalber war mehr dem Glücksspiel und dem Alkohol zugetan und bewirkte mit seinen lediglich aus kalten Bädern und Aderlass bestehenden Behandlungen mehr Schaden als Nutzen. Beatrices Zustand verschlechterte sich, weshalb man ihm die Behandlung bald wieder entzog.

Nun aber geschah etwas Unerwartetes. Anstatt einen anderen Medicus oder zumindest eine der Ordensschwestern vom nahen Kloster St. Marien als ihre ‚Lorem sororem‘ benannte Fürsorgerin damit zu betrauen, wie es das Protokoll in einem solchen Fall vorsah, wurde auf Kuniberts Drängen hin eine bis dahin völlig unbekannte, heilkundige Frau aus dem Volk dazu verpflichtet.

Das war ein Novum und löste einige Irritationen aus, zumal Kunibert damit die eherne Regel des ‚iudex reservatio‘ genannten Inquisitionsvorbehaltes brach. Demnach durfte kein Außenstehender, schon gar kein Ungeweihter, eine Hexe ‚betreuen‘ – schon wegen der Gefahr eines Hexenfluches, der von ihr überspringen könnte.

Da man aber um seine momentane Konfusion wusste und dieses Vorhaben allein schon aufgrund der Inkompetenz dieser Frau scheitern sah, unternahm man nichts dagegen.

Doch kurioserweise irrte man. Diese Frau, die sich selbst Franziska Schroers nannte und aus dem nahen Wildenbruchflecken stammte, ging von Anfang an überaus engagiert zu Werke.

So untersagte sie sofort jede Heilmethode, die nicht mit ihr angestimmt war. Das betraf insbesondere die Schwestern von St. Marien, die wiederholt im Hospital erschienen und die Betroffene nach den Regeln der ‚spritualis sanitas‘ genannten Wundheilung des Ordens versorgen wollten.

Ebenso verbannte sie während der Zeit ihrer Behandlung die beiden Wächter aus der Kammer.

Nichts schien sie zu verschrecken. Selbst der Umstand, dass sie es mit einer vermeintlichen Hexe zu tun hatte, kümmerte sie nicht. Im Gegenteil, trotz Beatrices anfänglicher Abneigung bezeigte sie ihr gegenüber ein großes Verständnis und wachte manchmal sogar nachts bei ihr - ein Alp für jeden frommen Christenmenschen.

Dabei verlief ihre erste Begegnung denkbar ungünstig. Nachdem man sie zum ersten Mal mit der Delinquentin konfrontierte, blieb sie für einen Moment an der Schwelle stehen und maß die auf dem Bett Liegende mit einem langen, eindringlichen Blick, der auch von ihr sofort in gleicher Weise erwidert wurde.

Das war schon deshalb sonderbar, weil Beatrice eben noch schlief und allein durch die Anwesenheit der Fremden zu erwachen schien. Ob deren Blick nun ungewöhnlich streng war oder womöglich sogar so etwas wie ein schadenfrohes Genießen fremden Leides darin lag, hätte niemand sagen können. In jedem Fall prägte sich sofort ein vollkommenes Entsetzen in Beatrice‘ Züge und ein krampfhaftes Zucken lief über ihr Gesicht, als stünde ihr der Leibhaftige gegenüber. Verwehrend reckte sie ihr die Hände entgegen, als wolle sie jede weitere Annäherung verhindern.

Als es aber dennoch dazu kam und diese Frau schließlich ihre Stirn berührte, erschrak Beatrice so heftig, dass sie ihr urplötzlich in die Haare fuhr und sich darin festkrallte. Nur die sofort herbeieilenden Büttel konnten sie wieder von ihr lösen, ohne dass auch nur ein Wort der Klage über die Lippen der Angegriffenen kam. Aber selbst jetzt verbat sie sich jede Züchtigung und blieb überaus mitfühlend.

Eingehend betrachtete sie die Verletzungen der Geschundenen, die überwiegend aus Quetschungen und Verbrennungen bestanden und behandelte sie mit einer grünlichen Tinktur. Aber selbst das versuchte Beatrice noch zu verhindern, indem sie wiederholt ihre Hand wegdrückte, bis sie schließlich unter ihrem Zuspruch nachgab.

Was sie ihr dabei ins Ohr flüsterte, blieb für Außenstehende unverständlich. Es muss aber überaus eindringlich gewesen sein, denn die Gepeinigte brach bald darauf in Tränen aus, verfiel in tiefes Schluchzen und entschuldigte sich für ihren Unverstand.

Wiederholt erkundigte sie sich bei ihrer Fürsorgerin, ob sie denn wirklich von Gott gesandt sei und ihr die Erlösung brächte. Auch wenn sie dies unbeantwortet ließ, genügte ihr das für einen Funken neuer Hoffnung.

Wer war diese Frau, dass sie so etwas vermochte? Was sie mit Kunibert verband, blieb zwar unklar, ließ aber aufgrund ihrer Schönheit einiges vermuten. So munkelte man von einem besonderen Verhältnis, das schon seit längerem Bestand hätte und weit über das erlaubte Maß hinausginge.

Einige hielten sie für eine Betrügerin und ihre Heilkunst für billige Scharlatanerie. Anderen war ihre Forschheit zuwider, und wieder andere witterten hinter ihr sogar gewisse Auftraggeber, zumal Kunibert schon seit längerem beim Bischof in Ungnade gefallen war und man nur nach einem Vorwand für dessen Demission suchte. In einem war man sich jedoch einig – sie war der eigentliche Grund für seine Veränderungen.

Und in der Tat nahmen seine Allüren seit ihrer Ankunft ständig zu. So trug er in letzter Zeit weiße Gamaschen und schnürte seinen ansonsten herausquellenden Leib mit einem engen Korsett. Das erschwerte ihm zwar das Atmen und ließ seine Haltung überaus steif wirken, verlieh ihm aber, wie er glaubte, eine jugendliche Straffheit. Hinzu kam, dass er sich den Backenbart rot färbte und den grauen Haarkranz toupierte. Auch schmückte er sich seither mit einem breiten spanischen Rüschenkragen, den er selbst beim Essen niemals abtat.

Kurzum, er machte sich ganz offen zum Narren und würde in diesem Zustand kaum mehr seiner amtlichen Verantwortung entsprechen können. Ständig in Gedanken, wirkte er oftmals unkonzentriert, reagierte auf Fragen unsicher und machte einen bisweilen reichlich verwirrten Eindruck.

Sagte man aber mal etwas, selbst unter der Prämisse eines freundschaftlichen Rates, brauste er gleich auf und hielt dem Betreffenden sofort eine Standpauke.

Das alles sprach nicht unbedingt für seine gewohnte Souveränität. Darüber konnte auch seine demonstrative Gelassenheit nicht hinwegtäuschen – er war ihr mit Haut und Haaren verfallen. Allerdings nicht so, wie man es für gewöhnlich kennt, wenn man verliebt ist.

Vielmehr schien er unter einer zwanghaften Anspannung zu stehen aus der Furcht heraus, den selbstgesetzten Erwartungen nicht zu entsprechen. Dass darunter nicht nur die Qualität seiner Entscheidungen litt, sondern vor allem sein Verstand, lag auf der Hand.

Doch obgleich es alle sahen, wagte niemand zu intervenieren. Vielmehr begann man ihn stillschweigend zu belächeln, als einen Mann, dem offenbar nicht mehr zu helfen ist.

Davon bemerkte er freilich nichts. Vielmehr wurde er nicht müde, sich weiterhin wie ein alberner Pfau zu gebärden, dem jeder Sinn für die Realität abhanden gekommen schien. Aber die tiefe Überzeugung von der eigenen Unfehlbarkeit, verbunden mit dem unbedingten Drang, ihr zu imponieren, machte ihn blind und selbstherrlich.

Zur ihr hingegen war kaum etwas bekannt, außer, dass sie nach eigenem Bekunden einige Zeit im Stift zu den Liebfrauen in der Kunst des Heilens unterwiesen worden sein soll, was ihre erstaunliche Routine im Umgang mit der Verletzten auch belegte. So verfügte sie in der Tat über solide anatomische und physiologische Kenntnisse und verstand sich auf die Kunst des Bandagierens ebenso wie die der Kräuterkunde.

Und tatsächlich stellten sich bald erste Erfolge ein. Beatrice wurde zunehmend ruhiger, ihre Schwellungen klangen ab und ihr Gesicht bekam wieder Farbe. Das war umso erstaunlicher, zumal die Frau Hofrätin jedes Mal, wenn sie sich ihr näherte, in lautes Wehklagen verfiel und sich die Haare raufte, als habe sie den Verstand verloren.

Dann folgten wirre Reden, in denen sie sie mehrmals ihre ‚Fürstin‘ nannte und sich in tiefem Demutsgebaren erging. Sobald sie ihr aber erklärte, nur eine einfache Bauersfrau zu sein, wurde sie ganz verlegen.

„Verzeiht mir, aber ich habe mich falsch ausgedrückt, habe den falschen Titel benutzt, weil ihr mich so irritiert!“, entschuldigte sie sich, ohne das näher zu erklären.

Vergab sie ihr dann aber, malte sich eine unglaubliche Erleichterung in ihr Gesicht und sie wurde augenblicklich still.

Als Kunibert davon erfuhr, war für ihn die Sache klar. Der Grund für diese ‚Mätzchen‘, wie er es abfällig nannte, läge einzig und allein in der Absicht einer Verzögerung ihrer Genesung. Sie plant etwas, argwöhnte er und verlangte mehr Nachdruck in Bezug auf ihre Aussagebereitschaft, vor allem aber ihre schnelle Gesundung, damit das Hexenbad endlich durchgeführt werden könne.

Das wiederum führte zu manch sonderbaren Szenen, die einem Außenstehenden, der um die näheren Hintergründe nicht wusste, sicherlich verwundert hätten.

So kam es vor, dass die so liebevolle Vertrautheit zwischen beiden Frauen plötzlich in eine ungemeine Brutalität umschlug, wobei Beatrice nach Verabreichen eines Trunkes ihn in hohen Bogen wieder ausspuckte und jede Annahme verweigerte.

Erst durch die Hilfe der Büttel, die ihren Mund mit einer Spange gewaltsam öffneten und ihr einen Trichter in den Rachen drückten, konnte ihr das Gebräu erneut eingeflößt werden. Allerdings in einer Form, die allein beim Zuschauen Übelkeit verursachte.

Das ging so weit, bis ihr der Magen quoll und sie sich vor Schmerzen krümmte. Doch diese Unholde unterbanden jeden Widerstand und fixierten sie mit ihren harten Fäusten so lange, dass ihr nichts blieb, als diese Tränke qualvoll zu erdulden.

Kaum ließen sie Beatrice jedoch los, führte diese sofort ein Erbrechen herbei, indem sie sich zwei Finger so tief in den Hals steckte, bis sie die Flüssigkeit wieder ausspie.

Nun aber setzte das Ganze wieder von vorne ein, und ihr wurde auf gleiche Weise gnadenlos die nächste Füllung verabreicht.

Dabei zeigte ihre Peinigerin keinerlei Gnade, sondern bestand auf die unbedingte Flüssigkeitsaufnahme. Das ging so lange, bis sie schließlich aufgab und einem leblosen Bündel glich, das apathisch alles über sich ergehen ließ, ohne auch nur die geringste Regung zu zeigen.

Dann war der Zeitpunkt der Versöhnung gekommen. Jetzt, da sie völlig gebrochen, lethargisch in der Ecke kauerte, stumpfsinnig vor sich hinstarrte und keinerlei Emotionen mehr zeigte, änderte sich das eben noch so unerbittliche Verhalten ihrer Fürsorgerin.

Im Nu kniete sie neben ihr nieder, nahm sie in den Arm und bat um Verzeihung. Dann strich sie ihr übers Haar und sagte ihr viele schöne Worte, und das mit einer Selbstverständlichkeit, als sei es das Natürlichste von der Welt.

Und Beatrice, davon befangen, begann das sogar bald selbst zu glauben, vor allem, weil sie spürte, dass der Grund ihres Wandels durch irgendeine Erschütterung hervorgerufen wurde, welche ihr überaus vertraut erschien.

In längeren Geschichten erklärte sie ihr dann so manches, was sie zwar nicht immer verstand, doch von dem sie spürte, dass es von Herzen kam und schon deshalb niemals falsch sein konnte. Das führte am Ende dazu, dass sie danach stets zu einer völligen, bis dahin nicht zu erklärende Ruhe fand, die sie überaus glücklich stimmte und selbst den beiwohnenden Wächtern nicht geheuer erschien.

„Ich will Euch nichts Böses“, versicherte sie der Geschundenen immer wieder und wurde nicht müde, ihr von mancherlei wunderlichen Dingen zu berichten, die einen tiefen Eindruck auf sie machten.

Dabei genügte sie sich weiß Gott nicht nur im Erzählen. Vielmehr umklammerte sie ihre Hände dabei ganz fest, als wolle sie sich nie mehr von ihnen lösen und sah ihr so tief in die Augen, woraufhin Beatrice mit sonderbar verklärtem Gesicht bald ihre Pein vergaß und tatsächlich an so etwas wie eine göttliche Erlösung glaubte.

Nicht selten dämmerte sie dabei ein. Wenn sie dann aber erwachte und ihre ‚Lorem sororem‘ noch immer an ihrer Seite fand, war sie so gerührt, dass sie einem eigenartigen Weinanfall irgendwo zwischen Dankbarkeit und Trauer verfiel.

Schon war man geneigt zu glauben, die Hofrätin sei ein anderer Mensch geworden, der mit der früheren Beatrice kaum noch etwas gemein hatte. Aber die Veränderungen ihres Wesens waren so gravierend, dass man es auf herkömmliche Weise kaum erklären konnte und Zauberei schon nicht mehr ausschloss. Natürlich sprach das niemand aus, zumal dieser Wandel ja durchaus erwünscht war. Und doch begann man sich insgeheim zu sorgen.

Als Beatrice dann auch noch ganz offen ihre Reue zeigte und verkündete, nunmehr die volle Wahrheit zu gestehen und die Herren des Tribunals und vor allem ihren Mann um Verzeihung bat, beeindruckte das sogar den sonst so hartgesotten Amtmann Kunze. Aber so sehr er sich auch bemühte – er konnte keine Intrige darin finden, denn ein solches Geständnis bewahrte sie zwar vor der hochnotpeinlichen Befragung, nicht jedoch vor der Wasserprobe.

Mit gemischten Gefühlen überbrachte er diese Botschaft Kunibert, der es zunächst gar nicht glauben wollte.

Als sie es dann nochmal in seiner Gegenwart wiederholte und sich damit selbst überführte und das ohne jede Angst und Mitleidshascherei, verwunderte und beschämte ihn das gleichermaßen, dass er sie am liebsten in die Arme genommen hätte. Aber er konnte es einfach nicht fassen.

‚Das ist nicht Beatrice‘, dachte er bei sich, als sie so gebrochen und demütig vor ihm kniete und ihn ahnen ließ, welche unheimlichen Kräfte hier gewirkt haben mussten.

Schon wollte er Anweisung geben, den Grund dafür zu erfahren, notfalls mit Gewalt. Glaubte er doch immer noch an eine Finte, deren Sinn sich ihm nur nicht erschloss. Zugleich aber fürchtete er sich davor, weil er genau wusste, was und wen er damit diskreditierte.

Zurück blieb sein tiefes Entsetzen über diese so unerwartete Annahme ihres Urteils, von dem sie doch wissen musste, was es bedeutete. Das bedrückte ihn bald mehr als die Furcht vor einem möglichen Freispruch, so dass er in der folgenden Nacht kein Auge zu bekam.

Aber es entsprach nun mal seinem Naturell, in unerwarteten Wendungen stets etwas Schicksalhaftes zu sehen. So war es nur natürlich, dass er, von einem übermächtigen, beinahe zwingenden Verlangen nach Seelentrost getrieben, sich am Ende wieder in die Arme ausgerechnet jener Frau flüchtete, die diese Wendung herbeigeführt hatte.

„Oh Gott, Sie wird brennen, und ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll“, jammerte er, als er sich diese Vorstellung vergegenwärtigte und schmiegte sich wie ein schutzsuchendes Kind an sie.

„Aber war das nicht Euer Wille?“, erwiderte sie daraufhin emotionslos.

„Ja schon, aber du verstehst das nicht. Sie sollte nach den Regeln des Protokolls überführt werden. Dazu gehörte ihr Widerstand. Hexen leisten immer Widerstand. Das müssen sie, es liegt in ihrer Natur. Gerade jemand wie du sollte das doch wissen. Doch jetzt verstehe ich sie nicht mehr. Sie kann doch nicht einfach gestehen, ich meine, so wie sie es tat. Wenn aber doch, führt sie etwas im Schilde. Sie will mich narren, mein Gewissen beschmutzen und vor Gott beschämen. Oh ja, ich kenne sie.“

„Aber was habt Ihr erwartet?“

„Ich habe erwartet, dass sie ...“ Über die unerwartete Deutlichkeit dieser Frage verdutzt, hielt er empört inne. „Sag mal, was erlaubst du dir eigentlich? … Du meinst also, ich hätte es gewusst ... Natürlich meinst du das, weil ich in deinen Augen nichts weiter als ein Lump bin, nicht wahr?“

Gekränkt wandte er sich von ihr ab, erschrak jedoch zugleich darüber und schaute ängstlich drein. „Aber das bin ich nicht. Ich werde es dir beweisen. Das Einzige, was ich für sie noch tun kann, wäre ein gnädiger Tod … Würdest du das für mich erledigen? Ich meine, würdest du ihr vorher etwas geben? Du hast die Möglichkeiten dazu. Ich weiß, dass du es kannst. Sie vertraut dir. Ich bitte dich, gib ihr etwas davon, bevor der Henker die Scheite entzündet. Es soll dein Schade nicht sein.“ Er hielt ihr ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit entgegen.

„Ihr wollt mich zur Mörderin machen?“, folgerte sie entgeistert.

„Aber was redest du? Du sollst ihre Erlöserin sein! Darin liegt etwas Edles. Ich sage das nur, weil, nun ja, weil die Wasserprobe zu ihren Ungunsten ausfallen wird.“

„Das wisst Ihr jetzt schon?“

„Nun sei doch nicht so naiv“, empörte er sich erneut. „Das Rad, worauf man sie bindet, kann nicht untergehen, verstehst du? Schon deshalb wird sie brennen, und niemand kann es verhindern.“

„So ist das also. Urteilt Ihr in Euren Prozessen immer so?“

„Ach komm, es geht doch um etwas ganz anderes. Es geht um … Was stellst du eigentlich für Fragen, he? Was erlaubst du dir? Hast du vergessen, dass ich deine Identität kenne und es mir ein Leichtes wäre, deinen Prozess wieder aufzurollen?“

Sie schüttelte jedoch nur den Kopf über so viel Naivität. „Nur zu. Nur weiß ich nicht, ob ich dann so fügsam wäre wie Eure Beatrice. Immerhin verbindet uns einiges, habt Ihr das vergessen?“

„Ich habe gar nichts vergessen, vor allem deinen Freund, den Magister Daniel Titius, nicht. Glaubst du, der gäbe noch einen Pfifferling auf dich, wenn er erfährt, wer sie weichbekommen hat?“

„Das mag vielleicht sein. Aber glaubt Ihr, ich würde Euch dann nicht als das entlarven, was Ihr seid, ein Förderer eines Hexenmeisters, der sich einen Dreck um die Loyalität des Rates schert, so lange es nur dem eigenen Vorteil dient? Oder wie wollt Ihr erklären, dass bereits kurz nach seinem Auftauchen alle Lohensteinakten verschwunden waren und somit niemand außer Euch davon erfahren konnte?“

„Das wagst du nicht!“ Er war kurz davor, sie zu schlagen.

„Da wäre ich mir nicht sicher.“

„Du verdammte, kleine…“ Schon packte er sie an der Gurgel, ließ aber gleich wieder von ihr ab. Ihr Lächeln verriet ihre ganze Geringschätzung, als wüsste sie längst um seine Schwäche.

Aber womöglich hat sie sogar Recht? schoss es ihm durch den Kopf. Nichts ist schlimmer als Selbstzweifel ausgerechnet in Momenten der Schwäche.

Welches Chaos brach jetzt in ihm aus, wobei er für einen Moment tatsächlich erwog, alles wieder rückgängig zu machen.

Er könnte vor dem Tribunal eine Geschichte erfinden, wonach er ihr den Incubus absichtlich in den Schrank gelegt und den Wein selbst gepanscht hatte, um sie in Verdacht zu bringen. Das wäre mit einer momentanen Überspannung leicht zu entschuldigen. Mit ein wenig Glück wäre das noch so zu drehen, dass die Öffentlichkeit so gut wie nichts davon erfuhr, selbst auf die Gefahr, sich damit zum Gespött zu machen.

Kaum aber überdachte er die Vorstellung eines Rückfalls in sein altes Leben, einschließlich der damit verbundenen Konsequenzen, knickte er erneut ein und bedauerte unter Tränen seine Schwäche, die ihn in ihren Augen erneut herabsetzen musste.

Aber die Würfel waren gefallen und niemand konnte daran noch etwas ändern.

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Die Lohensteinhexe, Teil IV

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