Читать книгу Die Lohensteinhexe - Kristian Winter - Страница 5
Das Geständnis
ОглавлениеDie Tür schlug zu, dann herrschte Stille. Niemand sagte ein Wort, aus Angst, sie könne erneut verstocken. Dabei wollte es fast scheinen, als nötigte ihr letzter Wunsch dem Tribunal Respekt ab. Und doch überwog Argwohn, denn es war unmöglich, dass eine Hexe menschliche Regungen zeigte.
Das war nur ein Trick. Sie blieb gefährlich. Deshalb befahl man die Wache herein, damit sie sich mit ihren Lanzen neben der Tür postierte. Der BütteI warf Schwefel in den Kessel. Sein beißender Geruch sollte den Dämon verschrecken. „Hic fuit!“, (hier ist er gewesen) rief er zum Zeichen seiner Wachsamkeit und spuckte in die Flammen.
Alle Augen waren auf die Angeklagte gerichtet. Man hatte zusätzlich zwei Schöffen zur Beglaubigung des endgültigen Urteils geordert, sobald das ‚Articulum principalem‘ benannt war. Das war der Hauptartikel, auf den sich die Anklage stützte. Es musste durch die Beklagte eingestanden und schlüssig bewiesen sein. Erst dann bekam es - durch die Signaturen der Zeugen und des Magisters beglaubigt - die erforderliche Rechtskraft.
Die Angeklagte wirkte erstaunlich gefasst. Ihr Blick war in sich gekehrt und voller Ruhe. Inmitten des Kerzen- und Fackellichtes wirkte sie sonderbar erhaben, fast wie eine Königin mit ihren regelmäßigen Zügen und dem blassen Oval ihres Gesichts. Nichts vermochte diesen Ausdruck zu stören. Selbst das zottige Fell, womit sie ihre Blöße bedeckt, schien ihre Anmut zu erhöhen.
Doch dann, als sei ihr plötzlich ein anderer Gedanke gekommen, ließ sie es von ihren Schultern gleiten und legte die Hände zwischen die gespreizten Schenkel. So stellte sie sich den edlen Herren in obszöner Schamlosigkeit dar.
Sie befühlte sich mit den Fingern. Dazu holte sie tief Luft, wodurch sich ihre jugendlichen Brüste strafften und das goldene Fleisch ihres Leibes aus jeder Pore Wollust atmete. Ihre Lippen waren geschwollen und ihr Blick sinnverklärt. Nach dieser schmerzhaften Tortur glich das einem Wunder, aber alles an ihr wirkte geradezu magisch und anziehend.
So sehr sich die Herren auch bemühten - es war ihnen unmöglich, den Blick von ihr zu nehmen. Niemand konnte sich ihrem Reiz entziehen. Selbst die Wachen starrten sie mit bleichen Lippen und zusammengekniffenen Nasen an. Ihre Münder waren verzerrt und ausgetrocknet, ihre Gesichter von innerer Spannung verkrampft.
Nicht anders erging es den Schöffen und Zeugen. Sogar der Magister wirkte wie gelähmt. Fassungslosigkeit weitete seine Augen, und er empfand diese ‚Darbietung‘ als einzige Provokation.
Es war, als bäume sich dieses Weib mit aller Macht noch einmal auf, beklemmend und ängstigend mit dem Wahnsinnsausbruch ihres Geschlechtes, als könne sie das allein noch erretten.
Und in der Tat dachte niemand jetzt noch an Befragung. Sie wirkte auf eine seltsame Weise schön, ja ist die leibhaftige Sünde selbst. Fast wollte es scheinen, als fände sie eine bittere Wollust darin, die Edlen mit den Gluten ihre Leidenschaft zu versuchen. Und sie verstand sich darauf sehr gut. Kaum jemand, dem jetzt nicht absurde Phantasien kamen im Spiel mit diesem Weib voller Leidenschaft und Hingabe.
Aber ihre Mühen blieben vergebens. Schnell wurden Rufe der Empörung laut. Se. Cantorius nannte sie ‚schamlos‘, Dn. Consul ‚dreckige Hure‘. Selbst der Büttel - davon angesteckt - griff zur Siebenschwänzigen, wurde aber vom Magister zurückgewiesen.
Sie war nicht die Erste, die es so versuchte. Manche gelobten alles, was man von ihnen verlangte, sogar die Ehe mit dem Henker war dann kein Tabu mehr. Andere flehten um ein erlösendes Elixier kurz vor Vollstreckung, und wieder andere waren bereit, selbst die letzte Marter zu ertragen, wenn ihnen nur diese Todesart erspart blieb. Diese aber würde keine Gnade finden, nicht nach einem solchen Affront.
Sie schien das auch zu ahnen, denn augenblicklich bedeckte sie sich und gab sich erstaunlich demütig, nannte die Herren ‚gute Christenmenschen‘ und sei nun bereit, ihr Urteil zu empfangen.
„Doch wenn ich vor meinen Schöpfer trete, werde ich es ohne Reue tun, denn ich handelte aus Not“, stellte sie klar. „Schon deshalb wird euer Urteil unvollständig bleiben, als Zeichen eurer Schuld an mir und meiner unsterblichen Seele.“
Erneut durchfuhr die Anwesenden Unruhe. Was erlaubte sie sich, so zu reden? Man empfand das als Kränkung. Se. Cantorius bestand auf einen Vermerk im Protokoll mit dem Zusatz der ‚Drohung‘.
Doch der Magister lehnte das als irrelevant ab.
„Es war im Jahr 1629 nach unser aller Erlösers Geburt“, fuhr sie unbeeindruckt fort. „Damals lebten wir noch in unserem Flecken am Waldesrand. Der Winter war hart und endlos. Hinzu kamen die plündernden Truppen der Schweden, die marodierend durchs Land zogen und sich nahmen, was sie finden konnten.
Auch bei uns fielen sie ein, verwüsteten die Stallungen, raubten das Vieh und brannten das Dorf nieder. Wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos von ihren Schwertern niedergehauen. Den Weibern schnitten sie die Brüste ab, nachdem sie sie geschändet, und kleine Kinder spießten sie wie Trophäen auf ihre Lanzen. Manchen Bauern flößten sie Jauche ein, bis ihnen die Mägen aufquollen. Dann schlitzten sie ihnen die Bäuche auf und ergötzten sich an den herausbrechenden Gedärmen. Wahrlich, selbst die Hölle kann nicht schlimmer sein.
Wir aber konnten entkommen. Trotz eisiger Kälte wagten wir uns tagelang nicht zurück, haben Schnee gegessen und uns in einer Höhle versteckt. Mit unseren Leibern wärmten wir einander, so gut es ging, und waren doch froh, jeden neuen Morgen zu erleben. Die Schweden zogen weiter, doch das Elend blieb. Einen von ihnen konnten die Bauern noch ergreifen.
Sie haben ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen und in Streifen über einen Zaun gehängt. Dann schnitten sie ihm den Kopf ab und banden ihn an seinem langen blonden Haar an einen Ast, worauf er noch weit zu sehen war. ‚Mit vielen Grüßen an Gustavum Adolfum!‘ johlten die Kinder und bewarfen ihn mit Steinen.
Damals herrschte eine schlimme Zeit. Dem Landvolk erging es überall schlecht. Man aß Rinde und Wurzeln und trank Wasser aus dem Fluss. Das Vieh krepierte und mancherorts wurden in der Not Kadaver gefleddert.
Mein Kind schrie, weil mir meine Milch ausging. Hinzu kam, dass Hubertus, mein Mann, bald darauf an schwerem Fieber starb. Nun fürchtete ich, dass der Herr mir auch bald mein Kind nähme, denn es wurde von Tag zu Tag schwächer. Sein Bauch quoll auf und es bekam überall dunkle Flecken.
In meiner Not ging ich betteln, doch man jagte mich fort. Der Truchsess verwehrte mir die Unterkunft im Armenhaus, da ich keine Bürgerin der Stadt war. Mein guter Vater lag selbst krank darnieder und konnte uns nicht helfen, so dass ich in unser Dorf zurück musste. Hier ergab ich mich meinem Schicksal und hoffte, dass es mir bis zum Ende gnädig bliebe.
So lebte ich von dem, was ich finden konnte. Aber das war nicht viel. Ich fing Kröten und kochte einen Sud daraus wie früher die Wenden. Auch sammelte ich Würmer und verrührte sie zu Brei, den ich mit Holzmehl streckte. Doch ich merkte bald, dass ich damit kaum über‘s Jahr käme.
Da ich mich von Gott verlassen glaubte und keinen Ausweg mehr sah, versuchte ich mich in der Magie, von der ich schon einiges gehört hatte.
Eines Abends entzündete ich auf dem Bocksberg ein Feuer. Dazu hatte ich eigens eine Natter gefangen und ihr den Kopf abgebissen. Das Blut träufelte ich in die Flammen. Den Kadaver schlitzte ich auf und sengte ihn in der Hitze, bis ich ihn, zu Mehl zerrieben, ebenfalls ins Feuer streuen konnte.
Dazu sprach ich das Diabulorum, jene Zauberformel, womit ich die Mächte der Finsternis beschwor, mir den Erlöser zu senden, damit er wenigstens mein Kindlein versorge. Dafür wäre ich auch bereit, meine Seele zu opfern. Das wiederholte ich dreimal, zog mich aus und rieb meinen Leib mit Ruß ein. Doch der Teufel zeigte sich nicht und ich glaubte mich selbst von ihm verlassen.
Dann aber lief mir eines Tages eine Katze über den Weg. Ein räudiges, abgemagertes Tier war es, das bei meinem Anblick stehen blieb und mich anknurrte. Ich trat auf sie zu und wollte sie fangen. Doch blitzschnell entwischte sie ins Unterholz. Als ich ihr nachlief, erblickte ich plötzlich einen Mann.
Es war der Jacob Bellach. Er stand an einem Baum und verrichtete die Notdurft. Ich erschrak, denn er erschien mir wie ein Geist aus dem Nichts und starrte mich sonderbar an. Ich wandte mich sofort ab. Ihm aber schien das nicht unangenehm, denn er lachte nur und machte keine Anstalten, sich zu bedecken. Im Gegenteil. Er trat noch so vor mich hin, worauf ich es mit der Angst bekam.
Ich wollte weglaufen, doch er sagte, dass er gekommen wäre, um mir zu helfen - wenn ich ihm helfe. Dabei nahm er meine Hand und führte sie in seinen Schoß. Er habe mich in seinen Träumen erhört, sagte er weiter, und fände nun keine Ruhe mehr. Was er dann tat, war eindeutig.
Ja, Ihr edlen Herren! Ich war verwundert und bestürzt zugleich über seine Schamlosigkeit, die er mir so deutlich zeigte. Aber sollte mir der Satan wirklich in Gestalt dieses sonderbaren Kauzes erschienen sein, der wegen seiner wunderlichen Frömmelei weithin bekannt war und den man deswegen überall für einen Narren hielt?
Er hatte eine schwachsinnige Frau und vier Kinder und verdingte sich als wundersamer Geschichtenerzähler. Dazu trug er einen bunten Rock, der mit Schellen und Flicken übersät war und an einen höfischen Narren erinnerte. Zwar war er mit den krummen Beinen und dem blatternvernarbten Gesicht alles andere als wohl anzusehen, doch hätte niemand besser in diese Rolle gepasst.
Als er mir dann aber etwas Brot und Käse gab, dazu sogar noch einen Schlauch mit Ziegenmilch für mein Kindlein, erschien er mir wie ein Engel des Herrn, der mich wie St. Petrum von meinem Übel erlöste. Was machte es da, dass ich vor ihm niederkniete, indes er mit verklärtem Blick in den Himmel starrte, bis er weiche Knie bekam. Das hatte ihm wohl sehr gefallen, denn er kam fortan beinahe täglich und brachte mir Milch.
Mein Kind erholte sich schnell, und ich wurde nicht müde, ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen, indem ich ihm zu Willen war, wann immer es wollte.
Aber hatte ich denn eine Wahl? Gewiss war es gegen die Gebote und es ekelte mich. Mehr als einmal musste ich ausspucken, um mich nicht zu übergeben oder biss mir in die Hand, wenn er mich mit aller Härte nahm. Und doch war es das kleinere Übel verglichen mit dem, was mich ohne ihn erwartet hätte.
Schon deshalb war ich bemüht, ihm meine Abscheu zu verbergen, nicht aus Angst, sondern um ihn mir gewogen zu halten, selbst wenn er mir dadurch nur noch mehr verfiel.“
„Du hast ihn also behext“, konstatierte der Magister erschüttert.
„Jede bedrängte Frau kann zur Hexe werden, sobald sie um das Leben ihres Kindes fürchtet.“
„Also gibst du es zu, oder?“
Daraufhin hob sie den Blick und sah ihn überaus unehrerbietig an. „Ihr könnt nicht jede menschliche Schwäche als Hexerei diffamieren.“
„Das tun wir auch nicht, solange sie nicht den Tod zweier Menschen bewirkt.“
Sie wollte noch etwas einwenden, blieb aber stumm. Man sah, wie sie mit sich kämpfte, dass ihr etwas auf der Zunge lag, was unbedingt heraus musste. Doch sie wusste um die Sinnlosigkeit, also spottete sie: „Ich weiß zwar nicht, warum das Böse hässlich und das Gute schön ist, aber mir ist jetzt klar, warum sich das Gefühl für diesen Unterschied bei Menschen wie Euch verliert. Ihr urteilt von oben herab, ohne jede Kenntnis des wirklichen Lebens. Wisst Ihr, wie es ist, wenn einem die Gedärme zusammenschnurren und man vor Schmerzen kaum mehr schlafen kann? Der Herrgott hat uns ein einfaches Leben geschenkt, und es ist an uns, unsere Schmerzen zu ertragen. So steht es in der Schrift. Was spricht also dagegen, sich den Schmerz erträglicher zu machen?“
Diese Offenheit verblüffte ihn. Er verwies entrüstet auf die christliche Moral, die schließlich höher stehe als lasterhafte Triebe.
„Meint Ihr die Moral des Stärkeren?“, fragte sie provokant.
„Nein, die des Rechts.“
„Welches Recht? Jenes, vor Hunger zu sterben oder aus Willkür zu töten?“
Der Magister bebte am ganzen Leib und war kurz davor, sie zu züchtigen.
„Das ist Blasphemie!“ Er hatte sich so erregt, dass er dem Büttel die Katze aus der Hand riss, indes sie ihn regungslos ansah. Das brachte ihn nur noch weiter auf. Er stand jetzt drohend vor ihr, die Peitsche in der erhobenen Hand. Er deutete sogar einen Hieb an. Sie reagierte jedoch nicht.
Aber er hatte ihr sein Wort gegeben. Also legte er die Peitsche zurück und begab sich aufs Podest. Dort stand er mit geschlossenen Augen und psalmodierte das ‚Te deum‘, in der Hoffnung, diesen Anfall der Schwäche schnell zu überstehen.
Die Zeugen waren verwundert und deuteten es als erste Anzeichen einer Befangenheit. Sie sahen einander vielsagend an.
„Woher weißt du, was in der Schrift steht?“, mischte sich Dn. Consul in gespieltem Erstaunen ein.
„Ich habe sie gelesen.“
„Du kannst lesen?“
„Ja, unser seliger Pater Martin hat es mich gelehrt, auch etwas Griechisch und Latein.“
„Griechisch und Latein? In der Tat ungewöhnlich für ein Bauernmädchen, das in einer Kate lebt und mit einem Tölpel hurt. Und jetzt sag uns, welchen Preis du dafür zahlen musstest?“
„Ich, ich weiß nicht, was Ihr meint“, stammelte sie und errötet. „Der selige Pater Martin war ein durchaus ehrenwerter und frommer Mann. Er lehrte es mich aus rein christlicher Nächstenliebe.“
„Soweit uns bekannt ist, starb auch er eines unnatürlichen Todes, indem er sich ohne jede Erklärung von einem Felsen stürzte, mit der heiligen Schrift in der Hand, wie es hieß. Das ist doch sehr seltsam, findest du nicht?“
„Ihr wisst genau so gut wie ich, dass er krank war.“
„Komisch, dass alle Männer in deiner Gegenwart krank werden.“ Dn. Consul verschärfte den Ton. „Im Übrigen drückst du dich sehr gewählt aus, beinahe, als wärst du von hohem Stande. Wie kann das sein, oder spricht gar der Leibhaftige aus dir?“
„Kommt nur her und überzeugt Euch selbst davon. Ich werde Euch anspeien, dass Ihr auf der Stelle verbrennt, oder ich verwandele Euch in eine Kröte“, höhnte sie, worauf sich der Spötter empörte und ebenfalls nach Züchtigung verlangte.
„Nicht so lange das Geständnis unvollständig ist“, lehnt der Magister ab.
Dn. Consul verzichtete auf einen Responsio genannten Einwand - eine höhere Form des Einspruchs, was in solchen Prozessen üblich war - obwohl ihm die Prozessführung zunehmend missfiel. Er vermisste den Nachdruck. Nicht umsonst war er ein Verfechter der ‚blutigen‘ Befragung, weil im Blut die einzige untrügliche Wahrheit lag.
Als Zeuge von mittlerweile sechs Prozessen, wusste er wovon er redete. Nur mit Schmerzen erzwungene Geständnisse waren glaubhaft. Und ginge es nach ihm, würde er ihr diese Unverschämtheit schnell austreiben. Darin hatte er einen Namen.
Auch wenn er in der Öffentlichkeit stets so tat, als lege er keinen Wert darauf, mochte er es, ‚der Unerbittliche‘ genannt zu werden. Nebenbei brachte ihm jeder schnelle Erfolg noch einen kleinen Sonderbonus in Höhe von zehn Gulden ein.
Aber das war ihm nicht wichtig. Vielmehr fühlte er sich aufrichtig in sein Amt berufen. Auf seine Opfer sah er gern herab und liebte es, sie auch so zu behandeln. Das bestärkte sein Gefühl der Überlegenheit, weshalb sein Hochmut besonders ausgeprägt war.
„Weißt du eigentlich, was das Wort Hure bedeutet?“, schaltete sich jetzt Se. Cantorius provozierend ein.
„Ich verstehe diese Frage nicht.“
„Aber du gebärdest dich wie eine.“
„Ich habe ihn glaubend gemacht, etwas zu sein, was er nicht ist. Das ist bei einem in die Jahre gekommenen Mann, der für sich die Liebe zu entdecken meint, nicht schwer. Es fiel mir aber nicht leicht. Allein beim Gedanken an die Metchhild und ihre Kinder überkam mich große Scham. Ich betete täglich dreimal für ihr Wohl und fürchtete, jedes Mal im Erdboden zu versinken.“
„Interessant, wie du das drehst. Fast klingt es so, als wärst du das Opfer!“
„Das war ich auch, edler Cantorius. Nur kann man als Opfer nicht überleben. Deshalb habe ich die Umstände für mich genutzt.“
„Indem du ihn vernarrt hast.“
„Das tat er wohl selbst. Ich habe es lediglich nicht verhindert.“
„Das läuft auf dasselbe hinaus. Seltsam ist nur, dass er sich erst seit deiner Bekanntschaft so verändert hat. Du hast ihn also um seinen Willen gebracht, so dass er dir am Ende ganz verfallen ist. Die Folge war der Mord an seinem Weib und der Verlust seines Verstandes. Das alles ist doch nicht nur deiner Koketterie geschuldet. Da steckt mehr dahinter.“
„Der Jacob war aufgrund seiner Einfalt für solche Dinge empfänglich. Da genügt nur ein Anstoß, und er entdeckte völlig neue Seiten an sich. Ein solcher Mann ist dann wie verwandelt und gebärdet sich bisweilen wie ein Narr, so dass ihn selbst engste Bekannte plötzlich für einen Fremden halten.“
„Das ist aber ohne Zauberei nicht möglich!“
„Sie hat recht“, intervenierte der Magister erneut. „So etwas ist nicht teuflisch, sondern nur niederträchtig. Außerdem sind wir nicht hier, um zu verdammen, sondern zu urteilen. Nur sollte unser Urteil gerecht sein und nicht von Emotionen getragen werden. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es Euch als Zeugen nicht zusteht, das Verhör zu führen. Ich rufe euch zur Mäßigung auf.“
Die Herren waren verblüfft, wagten aber keinen Einwand.
Plötzlich begann die Beklagte zu lachen und nannte das alles eine lächerliche Inszenierung, einen Lobgesang auf den hiesigen Klerus. Ginge es wirklich um Gerechtigkeit, wäre sie längst frei, da es Hexerei nicht gäbe.
Noch bevor der Magister reagieren konnte, erhielt sie zwei Schläge mit der Katze, worauf ihre linke Augenbraue aufplatzte. Der hinter ihr stehende Büttel konnte sich nicht beherrschen. Sie kauerte sich sofort zusammen und hielt schützend die Hände über den Kopf.
Der Anblick des zitternden Weibes und das Blut in ihrem Gesicht verwirrten den Magister. Wütend entriss er dem Büttel die Katze und war kurz davor, ihn selbst zu züchtigen.
Dann aber kniete er vor ihr nieder und tupfte mit dem Velum behutsam das Blut aus ihrem Auge. Er tat es mit großer Sorgfalt, während sie ganz still hielt.
Die Zeugen waren entsetzt. Aber die Tatsache, dass dieses heilige Tuch mit ihrem Blut benetzt wurde, war für sie unerträglich.
Jetzt umfasste er auch noch ihre Hände und drückte sie, worauf sie allmählich ruhiger wurde.
„Ihr habt es versprochen“, schluchzte sie.
„Und ich werde es halten“, erwiderte er.
Daraufhin blitzte so etwas wie Erleichterung in ihren Zügen und sie versprach ihm, nunmehr alles zu sagen.
„So ist es recht, meine Tochter. Rede, und ich werde es verstehen.“
„Als der Winter vorüber war, bedurfte ich seiner nicht mehr“, fuhr sie fort. „Ich hoffte, dass er sich nun wieder seiner Familie zuwendet und ich mein eigenes Leben führen könnte. Doch das war ein Irrtum. Er war meiner inzwischen derart gewohnt, dass er nicht mehr von mir lassen wollte, obgleich ich ihn meinen Überdruss zunehmend spüren ließ. Hielt ich ihn anfangs noch für einen Gesandten des Satans, der mich mit seinen Zauberkräften schnell zu Glück und Wohlstand führen könnte, wurde ich schnell enttäuscht.
Offenbar war das alles nur eine Verquickung unseliger Umstände, dass er mir ausgerechnet zu jener Zeit begegnete, als ich die Mächte des Bösen anrief. Er war nichts weiter als ein einfältiger Narr, ohne jede Magie und Macht und war am Ende hilfloser als ich. So sehr vernarrte er sich, dass er nicht mal in der Lage war, mich zur Liebe zu zwingen, aus Furcht, mich zu verletzen.
Natürlich spürte ich, wie er litt und war darüber erleichtert. Glaubte ich mich doch ob all des Ekels, den ich immer vor ihm empfand, plötzlich entschädigt. Und so wurde ich auch nicht müde, ihm weiterhin meine Verachtung zu bezeigen. Hoffte ich doch, dass er dann ganz von selber von mir ließe und zu seinem Weib zurückkehrte.
Aber da irrte ich. Als habe er meine Absicht durchschaut, wurde er nur noch verrückter, begann sich vor mir zu demütigen und gebärdete sich wie ein Narr. Andererseits drohte er mir aber auch ganz unverhohlen, mich als Hexe zu diffamieren und somit dafür zu sorgen, dass ich dorthin komme, wo ich heute bin.
Ich hatte ihm das aber nicht geglaubt, hielt ihn für feige und habe darüber noch gelacht. Als er aber Anstalten machte, sich an meinem Kind zu vergehen, wusste ich mir keinen anderen Rat mehr, als zur Liese Kolken zu gehen.“
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