Читать книгу Tommy und die Burggespenster - Käthe Recheis - Страница 8
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Die Burg Degenstein stand oben auf einem Hügel – wie es sich für eine Burg gehört –, hatte Wachtturm, Zinnen, Erker und tief unten in den Kellern sogar ein richtiges Verlies.
Die Bewohner von Lauterbach waren stolz auf ihre Burg und ihr Burghotel und ebenso traurig wie Willibald und Emma Degenstein, als nach dem Einzug der Gespenster die Gäste fernblieben.
Warum die Gespenster sich ausgerechnet Burg Degenstein als Wohnsitz auserwählt hatten, wusste niemand, aber jedermann beklagte es.
Das erste Gespenst war der Geist eines spanischen Edelmannes und nannte sich Don Alonso Armansilla di Belantes del Palmiro.
Man sollte meinen, wer einen so vornehmen Namen hat, müsste sich auch manierlich aufführen, aber wer das glaubt, der irrt sich. Don Alonsos Untaten zu Lebzeiten hätten den ärgsten Straßenräuber vor Neid erblassen lassen, und hier auf der Burg benahm er sich nicht viel besser.
Wenn die Kirchenuhr Mitternacht schlug, erschien er den Gästen und begann, spanische Flüche ausstoßend, mit seinem eigenen Kopf Fußball zu spielen.
Wer bei diesem Schauspiel nicht in Ohnmacht fiel, für den hatte Don Alonso eine weitere Attraktion bereit – das Bettenkarussell. Er raste in atemberaubendem Tempo mit dem Bett und dem darin liegenden Gast durch die langen Korridore der Burg und alle Treppen hinauf und hinab.
Als Abschluss balancierte er das Bett oben auf den höchsten Zinnen oder ließ es von der Spitze des Wehrturms hinab in den Burghof sausen. Viele Gäste hatten danach einen Nervenzusammenbruch erlitten.
Das zweite Gespenst stammte aus dem hohen Norden, ein Geist aus der Steinzeit namens Poppo Steinzermalmer. Ein Riesenkerl, nur mit einem mottenzerfressenen, um Schulter und Hüfte geschlungenen Pelz bekleidet.
Poppo trampelte nächtlicherweise durch die Burg und gab dabei Urlaute von sich, gegen die das Gebrüll von einem Dutzend hungriger Löwen sanfte Musik war.
Bei dem dritten Gespenst, Donner-Jeremias, handelte es sich um einen amerikanischen Geist aus der Zeit, als es dort noch den Wilden Westen gab.
Dieser herzlose Revolverheld und Bandit wickelte die Gäste mit seinem Lasso ein und wirbelte sie dann herum, bis ihnen die Sinne schwanden.
Wenn die armen Opfer wieder zu Bewusstsein kamen, fanden sie sich an den unmöglichsten Plätzen, wo kein Mensch morgens zu erwachen pflegt: oben auf einem Kronleuchter, unter einem Fußabstreifer, in der Kohlenkiste, in der Trommel der Waschmaschine oder mitten im Salatbeet.
In der Burg lebte – und das schon seit einigen Jahrhunderten – ein weiteres Gespenst, von dem allerdings weder Willibald und Emma Degenstein noch die Leute im Dorf eine Ahnung hatten.
Es war der Geist eines Burgfräuleins namens Rosalinde: Ein stilles, scheues und sanftes Geschöpf, das auf die Bewohner der Burg die größte Rücksicht nahm.
Wenn Rosalinde geisterte, dann immer lautlos und auf Zehenspitzen, ihr weites Kleid eng um sich gerafft, damit es nicht rascheln konnte.
Einquartiert hatte sich Rosalinde seinerzeit oben in der Gerümpelkammer unter dem Dach des Wehrturmes, wo alle alten, ausrangierten Truhen, Schränke, Tische und anderes wertloses Gerät aufbewahrt wurden, wo niemand Staub wischte und die Spinnweben wie Schleier herabhingen.
In diesem Stübchen – wie Rosalinde die Gerümpelkammer nannte – stand eine alte Harfe. Manchmal hatte sich Rosalinde erlaubt, in tiefster Nacht ein paar Töne zu zupfen, so leise und melodisch, dass selbst ein Mensch mit dem leichtesten Schlaf nicht davon wach wurde und nur süße Träume bekam.
Einem so freundlichen und wohlgesitteten Gespenst konnte niemand zumuten, mit drei rauen Gesellen wie Don Alonso, Poppo Steinzermalmer und Donner-Jeremias gemeinsam zu hausen.
Deshalb hatte Rosalinde ihr luftiges und gemütliches Stübchen verlassen und war in die finsteren Burgkeller geflüchtet. Im Verlies, wo die Degensteins ihre Kohlen, Karotten und Krautköpfe lagerten, verbrachte Rosalinde jetzt schwermütige Tage und Nächte in der Gesellschaft zahlreicher Burgmäuse, mit denen sie sich angefreundet hatte.