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Die Geschichte vom Rotkäppchen und dem Lieben Wolf
ОглавлениеVorwort
Dies ist eine Sammlung von Gute Nacht-Geschichten für Papas. Ich sehe nämlich überhaupt nicht ein, warum wir Papas unseren Kindern allabendlich Geschichten vorlesen und erzählen müssen, die für uns selbst ohne jeden Unterhaltungswert sind. Geschichten, die uns überhaupt nicht interessieren, unter anderem deshalb, weil keine Geschichten erzählenden Papas darin vorkommen.
Ich gebe es zu: Der Papa, von dem in den folgenden Geschichten die Rede sein wird, bin ich selbst. Die Kinder, die darin vorkommen, das sind unsere Kinder Sophie (4 Jahre), Anna (6 Jahre), Vanessa (11 Jahre) und Florian (12 Jahre). Und die Mama, meine wundervolle Frau Sissy.
Obwohl die Geschichten eigentlich vorwiegend für Papas gedacht sind, haben sich einige von ihnen zu absoluten Lieblingsgeschichten meiner Kinder entwickelt. Es wird darin die Rede sein von einem Papa, der oft zu müde ist, um seinen Kindern noch eine Gute Nacht-Geschichte zu erzählen und der sich weigert „Rotkäppchen“ zum viertausendachthundertzwölften Mal vorzulesen. Der Bogen spannt sich von der Babykarotte, die sich in eine Killertomate verliebt und von der Lebensmittelpolizei verfolgt wird, bis hin zum Weihnachtsmann, der wieder einmal Streit mit seiner Frau Hilda hat. Vom Grafen Dracula wird ebenso die Rede sein wie von der „Sandmännchen-Beschwerdestelle“. Und, Ufo-Forscher aufgepasst: Die Sammlung enthält auch eine „Außerirdische Gute Nacht-Geschichte“.
Die Geschichten erzählen von den manchmal recht kindischen Gefühlen von Vätern und von der Weisheit und dem Phantasiereichtum unserer Sprösslinge, die mitunter zwar rechte Quälgeister sind, die wir dennoch um keinen Preis der Welt missen möchten.
„Erzähle uns eine Gute Nacht Geschichte!“ ruft meine kleine Tochter Anna und ihre Stimme klingt bestimmt und erwartungsvoll. Sie sitzt aufrecht in ihrem Bett, neben ihr sitzt die kleine Sophie in ihrem „Lila-Katzen-Pyjama“ und versucht trotz beachtlicher Müdigkeit - mit Erfolg - ihre Äugelein offen zu halten.
„Ok.“, seufze ich. Es ist nicht so, dass ich meinen beiden kleinen Töchtern nicht gerne Einschlafgeschichten erzählen würde, aber es ist gar nicht so einfach sich täglich eine neue Geschichte auszudenken.
„Rotkäppchen!“, fordert Sophie. Rotkäppchen ist Sophies Lieblingsmärchen, das muss man wissen, und es würde ihr nichts ausmachen, wenn ich jeden Abend immer nur dieses Märchen erzählen würde. Ich habe jedoch neben Anna und Sophie noch zwei weitere Kinder, die sind schon etwas älter und hören nur mehr sehr selten Märchen und so habe ich Rotkäppchen schon mindestens EINHUNDERTDREIUNDFÜNFZIGTAUSENDDREIHUNDERTSIEBZEHN Mal erzählt und ich kann dieses Märchen einfach nicht mehr hören.
„Nein!“, sage ich deshalb, „ich erzähle euch heute die Geschichte von...“ „Rotkäppchen!!!“ besteht Sophie knapp und ihre Stimme hat den mir wohl bekannten Klang, der so viel bedeutet wie: „Du erzählst mir jetzt diese Geschichte oder ich beginne auf der Stelle loszuheulen, und zwar so für die nächsten siebeneinhalb Stunden, da kannst du machen, was du willst…“
„Na gut“, gebe ich mich geschlagen, wahrscheinlich wäre mir heute ja ohnehin keine andere Geschichte eingefallen. Wirklich einverstanden war ich ja nicht mit der Wahl, aber ich dachte daran, die Geschichte ein wenig zu verändern, ein bisschen anders zu erzählen als sonst, um auf diese Weise mein kreatives Potential auszuleben mit dem möglichen Ergebnis, dass diese Geschichte nicht mehr so eintönig ist.
„Also“, begann ich etwas trotzig, „es war einmal ein Mädchen, das putzte sich abends vor dem Zubettgehen nie die Zähne...“
„...das hatte immer ein rotes Käppchen auf!“ verbesserte mich Anna und ihre Stimme klang äußerst verärgert, ja fast ein wenig bedrohlich.
„Ach ja!“ sagte ich kleinlaut, „das hatte immer ein rotes Käppchen auf und deshalb wurde es von allen Rotkäppchen genannt. Eines Tages sagte die Butter zum Rotkäppchen: ...“
Ein vorwurfsvoller Blick traf mich. „Die Mutter, natürlich ...“ verbesserte ich mich sofort und Sophie meinte nur trocken: „Du bist manchmal so blöd Papa, die Butter kann ja gar nicht sprechen!“
„Eben“, sagte ich, „also die Mutter sprach zum Rotkäppchen: Geh in den Wald und bringe der kranken Großmutter diesen Korb mit dem Kuchen und dem Wein, aber vertrödle keine Zeit und bleib auf dem Weg und kauf dir kein Eis beim Zuckerlgeschäft an der Ecke, denn du warst eben erst erkältet und gestern hast du noch gehustet.“
Meine beiden Töchter blickten mich verärgert an, aber sie übergingen diese Ausschweifungen gnadenhalber und ich konnte ohne Unterbrechung fortsetzen. „Also ging Rotkäppchen in den tiefen, tiefen Wald. Nachdem es eine Weile gegangen war, traf sie den Lieben Wolf.“
„‘Lieben‘ Wolf gibt‘s nicht!“, protestierte Sophie. In Wirklichkeit wollte ich ohnehin nur testen, ob die beiden nicht schon eingeschlafen waren.
„Ach, wo hab ich denn heute meine Gedanken nur?“, sagte ich scheinheilig. „Natürlich stand da der Böse Wolf. Der überredete Rotkäppchen dazu, ein paar Blumen für die Großmutter zu pflücken und lief einstweilen zum Haus der Großmutter und verspeiste sie, denn gestern hatte es nur Karottensuppe gegeben, und die hatte ihm überhaupt nicht geschmeckt. Als dann das Mädchen das Haus betrat..“ fuhr ich schnell fort, bevor meine beiden Mädchen noch etwas einwenden konnten, „… und den Wolf im Bett als Großmutter verkleidet liegen sah, sagte es: „Warum hast du so große Augen?“
„Damit ich dich besser hören kann!“
„Damit ich dich besser s e h e n kann!“ kam die ungeduldige Stimme aus Sophies Bett.
„Und warum hast du so große Ohren?““
„Damit ich dich besser hören kann!“ mischte sich jetzt auch Anna ein. Auch sie war noch nicht eingeschlafen.
„Und warum hast du so große Zehen?“
„Papa!“ Sophies Stimme klang zwar noch immer anklagend, aber schon
einigermaßen kraftlos. Sie war offenbar kurz vor dem Einschlafen.
„Nachdem der Wolf auch das Rotkäppchen verspeist hatte (den spannendsten Teil der Geschichte hatte ich einfach übersprungen) legte er sich hin und machte ein Mittagsschläfchen. Der Jäger, der zufällig vorbeikam und drinnen im Haus den Wolf schnarchen hörte, ging hinein und schnitt ihm den Bauch auf und heraus hüpften unversehrt und frohen Mutes die Großmutter, Rotkäppchen und die sechs Geißlein, die er in der gestrigen Gute Nacht Geschichte verspeist hatte...“
„Großartig“, dachte ich, „das ist ein lustiges Ende. Heute hat mir meine Gute Nacht Geschichte wieder einmal sehr gut gefallen.“ Sophie und Anna waren weniger enthusiastisch und das Ende hatten sie ohnedies nicht mehr gehört. Beide waren bereits eingeschlafen.
„Hallo, spricht dort die Sandmännchen-Beschwerdestelle…?“
Ich hatte eben die Kinder zu Bett gebracht und ihnen wie jeden Abend eine Geschichte erzählt. Jetzt machte ich es mir - froh, wieder einen arbeitsreichen Tag hinter mich gebracht zu haben und auch die allabendliche Kinder-zu-Bett-bring-Prozedur einigermaßen problemlos und schnell bewältigt zu haben - auf der Couch bequem, lagerte meine Füße hoch und lehnte mich zufrieden zurück.
Jetzt begann für mich der Abend und ich konnte genüsslich und in Ruhe darüber nachdenken, wie ich ihn verleben wollte. Sollte ich im TV-Programmheft Nachschau halten, ob es heute einen lohnenden Film geben würde, oder sollte ich es mir es mir einfach mit einem Buch und etwas zu essen auf der Couch bequem machen. Ich könnte aber auch meine geliebte Ehefrau Sissy fragen, ob sie mit mir eine Partie Monopoly spielt? Sie müssen wissen, meine Kinder sind lausige Monopoly-Spieler, ich hingegen liebe dieses Spiel über alles. Vielleicht sollte ich wirklich versuchen Sissy zu überreden. Ich könnte sie vielleicht sogar dazu überreden, heute ausnahmsweise früher zu Bett zu gehen, um uns noch mit einem anderen Gesellschaftsspiel zu unterhalten. Es musste ja nicht unbedingt ein Brettspiel sein, ich war sicher, uns würde da schon etwas einfallen…..oder sollte ich doch lieber fernsehen…?
Da öffnete sich die Türe und all meinen Sorgen und Überlegungen bezüglich der Abendgestaltung, waren jäh ein Ende gesetzt. „Papa“, sagte Sophie, „ich kann nicht schlafen!“ Sie sah wirklich bemitleidenswert aus, wie sie da stand, in ihrem Pyjama und ihren in einer schauspielerischen Meisterleistung zusammen gekniffenen Augen, die sagen wollten: „Ich habe es eh probiert, wirklich…!“
Ich nahm also den letzten Rest meiner väterlichen Geduld zusammen und fragte - während ich Sophie im Hinblick ihrer schauspielerischen Leistung um nichts nachstand - in einem durchaus liebevollen und geduldigen Ton: „Warum kann denn mein Hasilein nicht schlafen?“
„… ich weiß nicht“ entgegnete Sophie scheinheilig, „das Sandmännchen will einfach nicht kommen….“
„Ach so, das Sandmännchen will nicht kommen!“, sagte ich. Ich war ehrlich gerührt. „Naja, da müssen wir uns sofort beschweren. Ich werde gleich die Sandmännchen-Beschwerdestelle anrufen! Setz‘ Dich doch so lange auf die Couch, ja?“ Ich gab Sophie einen sanften Kuss auf die Stirn, ging zum Telefon und wählte eine Nummer.
„Besetzt,“ sagte ich, „typisch, immer, wenn man sich beschweren will, ist es besetzt!“ dabei blickte ich hinüber zu Sophie. Ich war neugierig, wie sie reagieren würde. Sophie wirkte gleichgültig. Meine Tochter schien mir nicht zu glauben! Das weckte nun natürlich meinen Ehrgeiz noch mehr.
„Ich werde es gleich noch einmal versuchen“, sagte ich bestimmt und wählte abermals. Und diesmal hatte ich tatsächlich mehr Glück!
„Hallo, Sandmännchen-Beschwerdestelle? Na endlich, guten Abend! Hier spricht Kurt Fleischner, Sie wissen schon, der Vater von Sophie. Ich möchte mich beschweren. Sophie ist rechtzeitig wie immer zu Bett gegangen, aber das Sandmännchen ist immer noch nicht gekommen.“
Sophies Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Die Gleichgültigkeit in ihren Zügen war wachsendem Interesse gewichen.
„Hallo, Fräulein, was sagen Sie? Ich verstehe Sie so schwer. Wie? Glatteis? Verkehrsunfall, winterliche Fahrbedingungen? Es wird ihm doch nichts passiert sein? Nein! Na, Gottseidank! Sophie, das Sandmännchen hat einen Unfall mit dem Auto gehabt, aber es ist ihm nichts passiert. Es wird sich heute nur etwas verspäten… Was sagen Sie Fräulein, Sie müssen das Sandmännchen erst anfunken? Aha, ja, wir haben etwas Geduld. Aber Fräulein, das Sandmännchen soll dann als erstes gleich zu Sophie kommen, ja? Verstehen Sie, Sophie ist nämlich erst 4 Jahre alt. Sie benötigt ihren Schlaf! Ja, gut. Danke, Fräulein und schöne Grüße an das Sandmännchen. Auf Wiedersehen!“.
Sophie wirkte tatsächlich erstaunt. Ihre großen, braunen Augen blickten mich fragend an.
„Ja“, sagte ich, setzte mich zu ihr und nahm sie in den Arm, „weißt du, Sophie, so etwas kann schon vorkommen. Habe ich dir zum Beispiel schon die Geschichte erzählt, als der amerikanische Weihnachtsmann an einem
24. Dezember abends einen Verkehrsunfall hatte? Er war mitten in Manhattan Ecke 45 Straße 3rd Avenue mit einem Taxi zusammengestoßen. Rudolph, eines seiner Rentiere hatte sich dabei den Hinterlauf verletzt und so konnte Santa Claus die Geschenke erst am 26. Dezember austragen, die amerikanischen Kinder waren - wie du dir sicher vorstellen kannst - sehr enttäuscht! Soll ich dir erzählen, wie sich das genau zugetragen hat?"
„Ach, nein", sagte Sophie etwas gelangweilt, "Ich bin müde und gehe schlafen!"
„Ja, willst du denn gar nicht aufs Sandmännchen warten?" meine ich.
„Schau Papa, ich kann doch meine Augen kaum mehr offen halten. Sag bitte dem Sandmännchen wenn es kommt, dass ich müde war und dass ich schon eingeschlafen bin, ja? Und ich wünsche ihm eine baldige Besserung..." meinte Sophie noch gähnend, „und es soll aufpassen auf dem Nach-Hause-Weg! Gute Nacht!" Und dann trampelte sie hinaus in ihr Zimmer.
Ich war etwas enttäuscht. War meine Geschichte vom Weihnachtsmann wirklich so fad gewesen? Ich schlich ihr nach ins Zimmer um nachzusehen, was sie trieb und konnte es kaum glauben: Sie war ins Bett gefallen und auf der Stelle eingeschlafen. Auch Sophies Schwester Anna schlief schon längst selig in ihrem Bettchen.
Nun, ich ging auch zu Bett. Was konnte man denn schon mit einem solchen Abend anfangen, an dem man nicht einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen konnte: Dem Gute Nacht-Geschichten-erzählen…?