Читать книгу Perry Rhodan 1017: Auf den Spuren der Bruderschaft - Kurt Mahr - Страница 4
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Als er das zirpende Geräusch hörte, wusste er, dass seine Geduld sich gelohnt hatte. Das Zirpen kam von dem positronischen Schloss, das nur mit einem komplizierten Schlüssel geöffnet werden konnte. Der unbekannte Eindringling verstand sein Geschäft. Es vergingen nur ein paar Sekunden, da sah Surfo Mallagan aus seinem Versteck hervor den hohen, schmalen Umriss der offenen Tür, die sich in ungewissem Grau gegen die vollkommene Finsternis des Gepäckraums abzeichnete.
Die Silhouette eines Kranen erschien, über drei Meter hoch. Die Tür schloss sich wieder. Licht flammte auf. Surfo blinzelte, als ihm Tränen in die ans Dunkel gewöhnten Augen schossen. Der Krane sah sich um und fand, was er suchte. Ohne viel Umstände riss er einen kistenförmigen Behälter aus einem Stapel. Der Stapel stürzte in sich zusammen. Draußen würde man das Gepolter nicht hören. Die Tür war schalldicht.
Der Krane schob den Behälter auf einen Tisch. Er untersuchte den Verschluss. Surfo beobachtete ihn. Die Art, wie er zu Werke ging, verriet, dass er sich in solchen Dingen auskannte. Surfo wunderte sich. Ein professioneller Einbrecher und Dieb als Soldat der kranischen Flotte? Es dauerte nur kurze Zeit, bis der Deckel des Behälters in die Höhe schnappte. Der Krane griff hinein. Das erste, was er zum Vorschein brachte, war ein rechteckiges Stück schwarzen Gewebes, auf dem mit Stickerei und bunten Federn der Sonnenvogel der Wälder von Chircool dargestellt war. Es war ein Geschenk, das Surfo von Ysabel, der Gefährtin Doc Mings, erhalten hatte, bevor sie an Bord der ARSALOM gingen.
Es war Zeit einzuschreiten.
»Mach es zu und bring alles wieder in Ordnung«, sagte Surfo.
Der Krane erstarrte. Er wusste, dass sich in Gefahr begab, wer sich zu hastig bewegte. Der mattblaue Lauf des Schockers zeigte auf seinen Rücken.
»Wer bist du?«, stieß er hervor.
»Einer von denen, die du bestehlen willst«, antwortete Surfo. »Also mach schon!«
»Ich wollte nicht stehlen ...«
Der Auslöser knackste. Der Krane geriet plötzlich in Bewegung. Der Deckel des Behälters schloss sich. Mit kräftigen Armen richtete der Eindringling den Stapel wieder auf, den er zum Einsturz gebracht hatte. Schließlich wandte er sich der Tür zu und stand da, mit hängenden Schultern. »Was jetzt?«, fragte er matt.
»Wie heißt du?«, wollte Surfo Mallagan wissen.
»Killsoffer.«
»Also gut, Killsoffer. Da du dich so sehr für mich interessierst, weißt du, wo meine Unterkunft liegt. Dorthin gehen wir jetzt.«
*
Vor zwei Tagen hatte das Versorgungsschiff TRISTOM die Welt Karselpun verlassen. An Bord befanden sich drei Passagiere, drei Betschiden, von denen niemand so genau wusste, was er von ihnen zu halten hatte, obwohl sie vom Status her Rekruten waren. Sie waren Kerlighan, dem Ersten Kommandanten der TRISTOM, vom Befehlshaber des Stützpunkts Karselpun anvertraut worden. Niemand an Bord wusste, was Kerlighan zu hören bekommen hatte. Aber die Art, wie er mit den Betschiden umging, verriet, dass ihnen eine Bedeutung weit über ihren geringen Rang hinaus zukam.
Der Anführer der Gruppe war ein stämmiger junger Mann namens Surfo Mallagan. Seine Gefährten, ein Mann mit dem Namen Brether Faddon und eine Frau namens Scoutie, waren ebenfalls jung – viel zu jung jedenfalls nach der Ansicht einiger altgedienter Kranen, als dass man ihretwegen soviel Aufhebens hätte machen dürfen. Es ließ sich allerdings nicht verleugnen, dass Surfo Mallagan eine Autorität ausstrahlte, der sich so einfach niemand entziehen konnte.
Mit Hilfe dieser Autorität hatte Mallagan versucht, den Ersten Kommandanten dazu zu bestimmen, dass er den Kurs der TRISTOM auf das nächste in Richtung Kran gelegene Nest der kranischen Raumflotte lenkte. Kerlighan hatte sich mit diesem Ansinnen zwar einverstanden erklärt, jedoch gab er an, er müsse zunächst noch zwei vorgeschobene Stützpunktwelten anfliegen und dort Versorgungsgüter entladen, bevor er den Wunsch des Betschiden berücksichtigen könne.
Man wusste nicht, ob Surfo Mallagan sich mit dem halbherzigen Entgegenkommen des Ersten Kommandanten zufrieden gab. Es mochte sein, dass er nur auf eine günstige Gelegenheit wartete, sein Anliegen mit noch drängenderen Argumenten zu wiederholen. Auf jeden Fall herrschte im Augenblick Verhandlungspause.
Die Wahrheit war, dass Surfo eine Beobachtung gemacht hatte, die ihn veranlasste, seine Aufmerksamkeit vorübergehend anderswohin zu richten. Er fühlte sich beobachtet und beschnüffelt. Indem er sich behutsam umsah und umhorchte, erfuhr er bald, dass es ein junger kranischer Rekrut war, der ihm heimlich sein Interesse schenkte. Surfo hatte seine Falle gestellt. In scheinbar belanglosen Unterhaltungen war wie beiläufig die Rede darauf gekommen, dass er in seinem Gepäck wichtige Unterlagen mit sich führe. Als das Gerücht nachhaltig genug ausgestreut war, hatte er sich im Gepäckraum versteckt, in dem unter anderem seine, Brethers und Scouties privaten Habseligkeiten aufbewahrt wurden.
Seine Geduld war nicht lange auf die Probe gestellt worden.
*
»Setz dich.«
Gehorsam ließ Killsoffer sich auf die Hacken nieder. Selbst in hockender Haltung war er noch um ein paar Fingerbreit größer als Surfo Mallagan. Er trug die dunkelbraune Montur der kranischen Flotte. Die goldene Färbung der buschigen Mähne verriet seine Jugend.
Scoutie und Brether Faddon kauerten im Hintergrund des rechteckigen Raums auf einer Art Couch, die sie sich aus kranischen Sitzmatten provisorisch zusammengebastelt hatten. Sie musterten den eintretenden Kranen neugierig, aber ohne Überraschung. Surfo hatte sie in sein Vorhaben eingeweiht.
Surfo schob den Schocker in den breiten Gürtel, der zu seiner Uniform gehörte. Er berührte den Kranen leicht an der Schulter. »Niemand will dir an den Kragen«, sagte er. Und als Killsoffer erschrocken zusammenzuckte, fügte er hinzu: »Wovor hast du Angst?«
»Vor der Strafe der Bruderschaft«, antwortete der Krane.
»Was ist das, die Bruderschaft?«
Der Blick des Kranen verdunkelte sich, ein Zeichen der Verwirrung. »Du willst mich auf die Probe stellen«, sagte er furchtsam. »Es gibt keinen wie dich, der nicht von der Bruderschaft weiß.«
Surfo Mallagan sah ihn an. Sein Verstand suchte fieberhaft nach einer Erklärung des Unverständlichen. Bruderschaft ... keinen wie dich ... Da war irgendwo ein logischer Zusammenhang. Cersonur. Das Experiment mit dem zweiten Spoodie, der ihm unter die Kopfhaut drang und sich mit dem ersten vereinigte. Die seltsame Macht, die er seitdem auf andere Wesen ausübte.
Das war die Lösung!
Seine Augen wanderten unwillkürlich zu Scoutie. Sie hatte den rechten Arm erhoben und drückte sich die Hand vorsichtig gegen den Kopf. Er nickte ihr zu. Sie hatten beide dieselbe Idee.
»Nicht jeder Doppelträger ist ein Mitglied der Bruderschaft«, sagte er.
Es blitzte in den Augen des Kranen. »Du weißt also von ihr?«
»Ich weiß nichts«, antwortete Surfo. »Ich erwarte von dir, dass du mir erklärst, warum du hinter mir herspionierst. Ich will außerdem wissen, was es mit der Bruderschaft auf sich hat.«
Killsoffer sah vor sich hin. Surfo verstand plötzlich, was in seinen Gedanken vor sich ging.
»Wir sind Fremde«, sagte er. »Man hat uns nicht gefragt, als man uns zu Soldaten der Herzöge von Krandhor machte. Wir verfolgen unsere eigenen Ziele. Du kannst offen zu uns sprechen. Was in diesem Raum gesagt wird, bleibt unter uns.«
Mit beiden Händen machte er die Geste, die soviel wie eine ehrenwörtliche Bekräftigung bedeutete. Der Krane straffte sich. Er hatte einen Entschluss gefasst.
»Gut, ich will dir vertrauen«, sagte er. »Ihr seid Betschiden von der Welt Chircool. Chircool wurde erst vor kurzem dem Reich der Herzöge einverleibt. Man hat euch gesagt, dass die Herzöge die einzige Macht in diesem Reich darstellen, unterstützt von dem unfehlbaren Orakel. Aber das ist nicht wahr. Es gibt eine zweite Macht, die mit den Zielen der Herzöge nicht einverstanden ist und ihre Politik bekämpft. Diese Macht nennt sich die Bruderschaft. Mitglied der Bruderschaft wird nur, wer wenigstens zwei Spoodies unter der Kopfhaut trägt ...« Eine Art Schauder befiel ihn. Die Vorstellung, dass jemand mehr als eines der insektenähnlichen Gebilde im Schädel tragen könnte, schien ihm unheimlich.
»Was bedeutet die Bruderschaft dir?«, fragte Surfo.
Killsoffer war verwirrt.
»Ich ... mir ... ich interessiere mich für ihre Ziele. Ich glaube nicht an die Allweisheit der Herzöge und ihres Orakels. Ich will wissen, ob das kranische Volk wirklich nur die eine Wahl hat, sich durch das ganze Weltall auszubreiten und ein riesiges Sternenreich zu errichten.«
Surfo musterte den Kranen aufmerksam.
»Du willst dich der Bruderschaft anschließen?«
»Wenn das möglich ist, ja.«
Die Antwort kam Surfo zu schnell. »Dann musst du wissen, wie man mit der Bruderschaft in Verbindung tritt«, sagte er.
Killsoffer machte eine bejahende Geste. »Man sagt, dass es auf Keryan eine Niederlassung gibt ...«
»Keryan?«
»Eine Handelswelt, die nicht allzu weit vom Kurs der TRISTOM abliegt. Vor ein paar Jahren noch war Keryan ein Vorposten. Aber da sich die Grenze des Reiches immer weiter nach draußen schiebt ...«
»Erzähl' uns mehr über Keryan«, forderte Surfo Mallagan den Kranen auf.
*
Während Killsoffer berichtete, hing Surfo Mallagan seinen eigenen Gedanken nach. Er war überrascht, wie leicht ihm das fiel. Er hörte jedes Wort, das der Krane sagte; aber gleichzeitig spann sein Verstand an neuen Plänen, neuen Absichten. War auch dafür der zweite Spoodie verantwortlich, den Cersonur ihm unter die Kopfhaut gesetzt hatte?
Spoodies – das Symbol der Herzöge von Krandhor. Als ihr weißes Raumschiff, das die Siedler für die zurückkehrende SOL hielten, auf Chircool landete, da war es ihr erstes Anliegen gewesen, jedem einzelnen Siedler einen Spoodie in den Schädel zu setzen. Spoodies waren insektenähnliche, silbrig schimmernde Gebilde von der Länge ungefähr eines Daumennagels, schlank, nicht mehr als 5 Millimeter breit. Die Kranen transportierten sie in sorgfältig verschlossenen Behältern; aber ihr bevorzugter Aufenthaltsort war in unmittelbarer Nähe des Gehirns eines intelligenten Wesens. Niemand, selbst die kranischen Kommandanten nicht, wussten, was es mit den Spoodies auf sich hatte. Sie lebten in Symbiose mit ihrem Träger und lieferten im Austausch für Nährsäfte Stimuli für die Denktätigkeit sowie ein gesteigertes Selbstbewusstsein.
Anhand der Ereignisse im Nest der Siebzehnten Kranischen Flotte war zum ersten Mal offenbar geworden, dass die Spoodies eine – im Normalzustand latente – Tendenz besaßen, sich miteinander zu vereinigen. Diesem Drang, der sich zur so genannten Spoodie-Seuche verdichtete, wäre um ein Haar die gesamte Besatzung des Nests der Siebzehnten Flotte zum Opfer gefallen.
Cersonur, der geheimnisvolle Alte auf der Stützpunktwelt Karselpun, hatte Mallagan auf den Gedanken gebracht, dass der latente Drang der Spoodies sich zum Vorteil ihrer Träger ausbeuten ließe, wenn man ihn nur unter Kontrolle hielt. Nach langem Zögern hatte er Cersonur erlaubt, ihm einen zweiten Spoodie unter die Kopfhaut zu setzen. Er hatte den Entschluss seither nicht bereut. Der Spielraum seiner Gedanken hatte sich sprungartig erweitert. Er sah Dinge, die andere sich erst mühsam erarbeiten mussten. Er hätte Killsoffer und seine heimliche Neugierde nicht bemerkt, und es wäre ihm nicht gelungen, den Kranen zu überlisten, wenn er nicht die zusätzliche Kraft des zweiten Spoodies besessen hätte.
Was schuldete er den Herzögen von Krandhor? Sie hatten ihn aus seiner Heimat geholt und zum Dienst in der Flotte gepresst. Damals hatte er sich nicht dagegen gesträubt. Sein Volk kam aus dem Weltall, und ins Weltall strebte es zurück. Die Betschiden waren Nachkommen derer, die an Bord des Riesenschiffs SOL das Universum durchkreuzten. Indem er in den Dienst der Herzöge von Krandhor trat, hatte Surfo Mallagan geglaubt, es öffne sich ihm eine Tür ins All und er werde seine Kraft darauf konzentrieren können, nach dem legendären Schiff der Ahnen zu suchen. Dieselben Gedanken hatten Brether und Scoutie bewegt.
Was aber war daraus geworden? Ihr Leben richtete sich nach der Laune kranischer Kommandanten, die nichts anderes im Sinn zu haben schienen, als die betschidischen Rekruten dorthin zu schicken, wo die Lage am brenzligsten war.
Surfo wiederholte die Frage: Was schulde ich den Herzögen von Krandhor? Die Antwort war noch klarer als zuvor: nichts. Er hörte Killsoffer sprechen: von dem Riesenplaneten Keryan, von der Stadt Gruda, die am Rand der Berge lag, von dem Tal, das sich bis hin zur Hafenstadt Unadern zog. Er hörte von dem Gouverneur Breborn, der über die kranische Kolonie herrschte, und von Lyrst, dem Obersten der Ordnungsbehörde, der der eigentliche Machthaber war, weil den alten Breborn das Phlegma überwältigt hatte. Killsoffer sprach von der jungen Kranin Carderhör, die sich auf Keryan ein Vermögen erworben hatte, und schließlich von Barkhaden, dem gefürchteten Jäger der Herzöge, der hinter Trägern von Mehrfach-Spoodies her war wie der Teufel hinter der armen Seele.
Und während er dies alles hörte, formte sich in seinem Gehirn ein Plan.