Читать книгу Der Engelflüsterer - Kyle Gray - Страница 7
Prolog
ОглавлениеIch erwachte mitten in der Nacht. Es war dunkel und es war still, aber ich hatte keine Angst. Ich war erst vier Jahre alt, aber ich war überhaupt nicht ängstlich. Wieso sollte ich auch, wo doch die Person, die ich mehr als jeden anderen Menschen auf dieser Welt liebte, an meinem Bett saß und danach schaute, ob es mir gut ging?
Ich habe meine Oma heiß und innig geliebt und ich wusste, dass sie auch mich heiß und innig liebte. Immer wenn ich Angst hatte oder aufgeregt war, streichelte sie meinen Arm, bis ich mich beruhigte. Sie umarmte mich und sagte mir, dass sie mich liebe, und ich hatte immer das Gefühl, dass alles gut wird, solange sie nur da ist.
Vor kurzem hatten sich die Dinge geändert. Ich wusste, dass meine Großmutter krank geworden war, denn sie musste zu uns ins Haus ziehen, damit meine Mutter sie pflegen konnte. Mein Spielzimmer wurde von all meinen Spielsachen befreit und in ein kleines Schlaf- und Wohnzimmer für Oma verwandelt. Ich wusste nicht, was ihr fehlte, aber alle Erwachsenen waren sehr ernst, wann immer sie darüber sprachen, und ich bemerkte, dass Oma manchmal nicht richtig atmen konnte.
Als sie in mein altes Spielzimmer zog, war ich glücklich: Es war direkt neben meinem Kinderzimmer und ich war ganz aufgeregt, weil ich ihr so nahe sein durfte. Ich nahm an, sie könne die ganze Zeit mit mir spielen oder hereinschauen und mir Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. Leider kam es anders.
Oma brauchte einen Rollstuhl und danach war sie nicht mehr in der Lage, selbständig irgendwohin zu gehen. Sie schaffte es nicht, sich durch die engen Türöffnungen zu manövrieren, um von ihrem Zimmer in meines zu kommen - und ihre Atmung wurde immer schwerer. Vor einer Woche hatten wir sie ins Krankenhaus gebracht und als wir sie dort besuchten, sah sie nicht mehr wirklich wie meine Oma aus. Sie trug noch immer eine dieser flauschigen Bettjacken, die sie in diesen Tagen wohl ständig anhatte, aber sie war sehr müde gewesen, unfähig, auch nur irgendetwas zu tun. Als sie mich sah, lächelte sie und sagte: „Da ist mein kleiner Junge!“, sobald ich in ihr Zimmer lief. Aber wir mussten immer schnell wieder gehen, weil Oma Ruhe brauchte.
Jetzt war ich glücklich sie zu sehen. Sie trug eine ihrer Bettjacken, daher dachte ich, sie wäre wohl nach Hause gekommen und hätte sich aus ihrem Zimmer geschlichen, um mich zu sehen. Wie schön, dass sie nicht mehr in ihrem Rollstuhl saß. Und wie sie so an meinem kleinen Bett saß, sah sie so glücklich darüber aus, dass sie bei mir sein konnte. Allerdings war da dieses seltsame Gefühl im Zimmer - es war fast so, als könnte ich die Liebe fühlen, die von ihr ausging.
Wir lächelten einander an und sie kam näher. Ich war so froh darüber, dass sie bei mir aufgetaucht war und sich besser fühlte. Ich erinnere mich daran, wie ich dachte: „Da ist meine beste Freundin, sie wird mir dabei helfen, wieder einzuschlafen.“ Ich liebte es, vor dem Einschlafen am Rücken gekrault zu werden. Sobald ich das gedacht hatte, begann Oma, mich zu kraulen. Ich fühlte mich so eingehüllt in ihre Liebe und sicherer als jemals zuvor, fast so, als wüsste ich, dass dieses Gefühl immer da sein würde.
Langsam glitt ich in den Schlaf - sicher, geborgen und glücklich.
Am nächsten Morgen kam meine Mutti in mein Zimmer und öffnete die Rollläden. Die Sonne schien herein und ich fragte, wo denn meine Oma sei. Mutti kam mir ein wenig distanziert vor. Sie fragte mich, was ich meinte.
„Ist sie in ihrem Zimmer?“, fragte ich.
Mutti schüttelte den Kopf und schien bestürzt zu sein.
„Ist sie beim Frühstück?“
Wieder schüttelte sie den Kopf.
Ich hatte einen schrecklichen Gedanken: Was, wenn Oma wieder zurück ins Krankenhaus gebracht worden war?
Meine Mutter verließ das Zimmer, als ich sie danach fragte.
Ich hüpfte die Treppen hinunter, um zu frühstücken, und fragte wieder nach meiner Oma.
„Ich habe sie heute Nacht gesehen“, erzählte ich meiner Mutti. „Sie kam in mein Zimmer, als ich aufgewacht bin und half mir, wieder einzuschlafen. Sie muss sich schon viel besser fühlen. Ich bin so froh, dass sie den Rollstuhl nicht mehr braucht. Wo ist sie?“
Wieder bekam ich keine Antwort. Was konnte meine Mutti schließlich ihrem kleinen Jungen sagen, der so unschuldig über seine geliebte Großmutter plapperte? Sie konnte mir nicht sagen, dass ich Unsinn rede, und sie konnte mir nicht sagen, dass ich ruhig sein sollte. Ich wurde mit Liebe und Freundlichkeit erzogen - vielleicht war das der Grund, warum meine Mutter sich nicht überwinden konnte, mir zu erzählen, was mir das Herz gebrochen hätte, nämlich dass meine wundervolle Großmutter in dieser Nacht gestorben war.
Sie war niemals aus dem Krankenhaus gekommen, sie war niemals in unser Haus zurückgekehrt. Es war ihr Geist, der zurückgekommen war, um nach mir zu sehen, bevor er weiterzog.
Ich weiß heute, dass Sie noch schnell bei Ihrer Familie vorbeischauen können, bevor Sie hinübergehen, bevor Ihr Geist auf das Licht trifft. Meine Oma und ich hatten eine ganz besondere Verbindung und ich glaube fest daran, dass sie gekommen war, um nach mir zu sehen, während sie auf die nächste Ebene zuging, denn schließlich war ich ihr kleiner Junge. Ich war aufgewacht und hatte die Liebe gefühlt und ich glaube, das war auch so gedacht, denn was meine Oma mir in dieser Nacht gegeben hat, war etwas, das bis zu diesem Tag bei mir geblieben ist. Ich fühlte mich beschützt. Ich fühlte, dass mir niemals ein Leid geschehen würde. Ich fühlte mich unbesiegbar.
Es war ein Segen, der mein Leben veränderte.