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1.2 Methoden der Musikethnologie

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Nach wie vor ist die partizipatorische Forschung in einer Musikkultur (Feldforschung) als grundlegende Bedingung für das Studium der Musik als Teil einer Gesamtkultur zu sehen. Nur so lässt sich die Erforschung des soziokulturellen Kontexts und der Relevanz der Musik für Mensch und Gesellschaft erfassen.

Methoden

Die mit partizipatorischer musikethnologischer Forschung in Verbindung stehenden Methoden sind unter anderem die Dokumentation der musikalischen Aktivitäten und Verhaltensweisen und die Klassifikation des klingenden/musikalischen Materials. Unterschiedliche Analyseverfahren können je nach Fragestellung angewandt werden. Das können Strukturanalysen anhand von Transkriptionen des klingenden Materials sein, aber auch ethnotheoretische und ethnopsychologische Analysen sein, die untersuchen, nach welchen kulturell ausgeprägten Konzepten Musiker in der Praxis vorgehen und Hörgewohnheiten, Hörerwartungen und emotionale Wirkungen durch Musik bei den jeweiligen Kulturträgern zugrunde liegen. In diesen gesamten Komplex sollte immer eine intensive Textanalyse einbezogen werden, die untersucht, wie die Sprache die musikalische Praxis beeinflusst. Um Aussagen zu kulturabhängigen Klangästhetiken machen zu können, kommen naturwissenschaftlichexperimentelle Methoden in Form von in der Regel computerbasierten Klanganalysen hinzu. (vergl. Simon 1978:30f.)

partizipatorische Forschung

Die in partizipatorischer Forschung empirisch gewonnenen Daten werden zusätzlich durch musik- und klanganalytische Verfahren in ihrem Methodenspektrum erweitert, um einzelne musikalische oder akustische Phänomene zu untersuchen. Zu diesen Methoden gehört die seit Beginn des Fachs zentrale Methode der Transkription ebenso wie neuere computergestützte Analyseverfahren, bei denen musikalisch akustische Phänome untersucht werden, indem experimentell bestimmte Parameter kontrolliert verändert werden, um z.B. Aussagen über Teiltonbereiche charakteristischer Klänge treffen zu können. (Koch 2011:161f.)

Die Musikethnologie reduziert sich nicht auf eine rein synchrone Perspektive, sondern bezieht historische Materialien in ihre Forschungen ein, seien es schriftliche oder ikonographische Quellen, historische Tonaufnahmen oder Klangwerkzeuge. Neben ihrem Fokus auf das zeitgenössische Musikleben in den unterschiedlichsten lokalen und zunehmend auch globalen, transkulturellen Kontexten, nimmt die Musikethnologie somit auch historische Perspektiven ein, die bis in das interdisziplinäre Fachgebiet der Musikarchäologie reichen.

Stichwort

Kulturbegriff

Musikethnologie betrachte Musik als Kultur und übernimmt dabei den Kulturbegriff sowie grundlegende Perspektiven aus der Ethnologie/Kulturanthropologie. In einer ersten Annäherung lässt sich Kultur als „sozial vermitteltes Wissen und Verhalten, das von einer Gruppe von Individuen geteilt wird“ fassen (Peoples & Bailey 1994). Allerdings übersieht diese Defintion in der Tendenz, dass es auch innerhalb von Gruppen große Unterschiede geben kann und sich verschiedene Individuen oder Teilgruppen häufig nicht einig sind.

Kultur

Kultur wird durch Kommunikation mit anderen Mitgliedern der Gruppe, zu der man gehört, und die Nachahmung von Verhaltensweisen in einem fortwährenden Prozess der Enkulturation sozial vermittelt erlernt. Die Angehörigen einer Kultur müssen genügend Wissen teilen, damit sie in der Lage sind, sich für andere Angehörige derselben Kultur in akzeptabler und bedeutungsvoller Weise zu verhalten. Dieses kulturell bestimmte Verhalten verfügt über eine gewisse Regelhaftigkeit und besteht aus definierten Mustern, die Angehörige einer Kultur zeigen, wenn sie sich in bestimmten kulturell definierten Situationen befinden. Damit definiert diese Gruppe von Individuen sich als kulturelle bzw. ethnische Gruppe (Ethnie) und demonstriert die Anerkennung einer gemeinsamen kulturellen oder ethnischen Identität, mit der sie sich von anderen kulturellen oder ethnischen Gruppen abgrenzt. Als Gesellschaft kann in dem Zusammenhang eine territorial definierte Population verstanden werden, die wiederum aus verschiedenen kulturell definierten Gruppen bestehen kann. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass Kultur ein sich ständig wandelnder Prozess ist.

musikethnologisches Arbeiten

Auf dieser Grundlage kann anthropologisches und damit auch musikethnologisches Arbeiten aus unterschiedlichen Perspektiven geschehen:

Holistische Perspektive: die Annahme, dass jeder Aspekt von Kultur in Zusammenhang mit anderen Aspekten steht (integriert ist), so dass kein kultureller Aspekt in Isolation verstanden werden kann. Der Ethnologe/Musikethnologe muss sämtliche Aspekte einer Kultur betrachten.

Komparativistische Perspektive: Valide Hypothesen und Theorien über die Menschheit müssen an Daten über eine große Zahl von Kulturen getestet werden. Daten aus nur einer Kultur sind nicht auf andere zu übertragen.

Kulturrelativistische Perspektive: Die Forderung, dass man das Verhalten anderer Kulturen nicht an den Standards der eigenen Kultur messen darf, sondern kulturelle Phänomene nur in ihrem eigenen Kontext verstehen und beurteilen kann.

Kognitive Anthropologie

In engem Zusammenhang dazu steht die Kognitive Anthropologie (Ethnotheorie): Ziel der Kognitiven Anthropologie ist eine Analyse der Denkmodelle und Begriffssysteme innerhalb von Kulturen für die Klassifikation ihrer natürlichen und soziokulturellen Umwelt. Dies wird als ein Regelsystem betrachtet, das erlernt werden kann, um sich in einer Gruppe richtig zu verhalten. Der Standpunkt des in der Kultur Handelnden wird als emisch in Abgrenzung zu etisch als der wissenschaftlichen Betrachtung bezeichnet. Das Wortpaar ist in Anlehnung zur Sprachwissenschaft entstanden, wo phonemisch die kleinste, bedeutungsunterscheidende Einheit der gesprochenen Sprache bezeichnet, und phonetisch sich auf die sprachlichen Laute an sich beziehen.

„Die Kognitive Anthropologie untersucht das durch Erziehung erworbene Wissen, das Menschen zur Interpretation von Erfahrung und zum Erzeugen von Verhalten benützen, um im sozialen Verbund einer gegebenen Gesellschaft existieren zu können. Wissen dieser Art prägt das gesellschaftsabhängige Denken von Menschen und wird als Kognition bezeichnet und mit Kultur gleichgesetzt.“ (Renner 1980:83–90)

Kultur besteht also nicht aus materiellen Dingen, sondern aus immateriellen Phänomenen, die ein gesellschaftsspezifisches Ordnungsgefüge von Denkkategorien und -regeln bilden.

interpretative Ethnologie

Geht die analytische Ethnologie davon aus, dass es kausal erklärbare Regelmäßigkeiten im menschlichen Verhalten gibt, die methodisch durch standardisierte, strukturierte und quantifizierende Verfahren untersucht werden, wobei die westliche Wissenschaftssprache mit ihren Kategorien benutzt wird, so steht im Zentrum etwa der interpretativen Ethnologie der ethnographische Text als wissenschaftliches Konstrukt. Ausgangspunkte sind die Annahmen, dass es keine Gegenstände in der Welt an sich gibt, sondern sie entstehen bzw. erhalten ihre Realität erst über Bedeutungen, die ihnen von Teilnehmern einer bestimmten Kultur zugewiesen werden. Diese erschaffen sich interpretierend und sinnstiftend ihre eigene bedeutungsvolle Welt. Ethnologen akzeptieren diese und versuchen sie aus dem Kontext von Reden, Verhalten/Handeln zu erkennen und zu verstehen. Sie interpretieren Beobachtetes und Erfahrenes nach genauem Beobachten und Kommunizieren über diese Welt. Der Prozess der Interpretation läuft im Beziehungszusammenhang und über Kommunikation mit sprechenden, handelnden und gleichzeitig deutenden Menschen ab. Beide Seiten tragen dabei Vorverständnis, Wissen und Interessen heran und bestimmen so gemeinsam ein Ergebnis, in dem die Beteiligten, der Forschungsgegenstand und der Forschungsvorgang untrennbar miteinander verbunden sind.

In dieser Konstellation ist es von entscheidener Bedeutung, dass sich EthnologInnen oder MusikethnologInnen ihrer eigenen Perspektive bewusst sind.

Es sollen keine westlichen Wissenschaftsmodelle und Kategorien an nichtwestliche Kulturen angelegt werden, da sie den Weg zur Welt des Anderen und deren Sinn und Bedeutung verbauen. Einige zentrale Begriffe weisen in dieser Hinsicht eine oft nicht unerhebliche Problematik auf, dazu gehören vor allem:

Stichwort

Tradition

Tradition wird oft im Sinne einer kontinuierlichen Überlieferung und Weitergabe von Erfahrungen, Sitten, Bräuchen und Kenntnissen über Werte und Normen verstanden. Dabei ist aber immer zu berücksichtigen, dass Traditionen selbst sozialen Bedingungen unterliegen und sie vor allem darauf beruhen, dass sie von einer Gruppe von Individuen mehr oder weniger bewusst konstruiert werden. Bei diesem Vorgang muss eine Tradition im gesellschaftlichen Diskurs definiert werden, erstarrt dadurch und verliert an sozialer Dynamik. Eng verbunden mit dem Konzept Tradition sind Begriffe wie ursprünglich und authentisch, durch die ein idealisiertes Ursprungsmoment eines geschichtlichen Prozesses festgelegt und damit dynamischer gesellschaftlicher Wandel negiert wird. Werden Traditionen zusätzlich von außen – beispielsweise durch EthnologInnen – als ursprünglich oder authentisch beschrieben, kann es sich um eine eurozentristische Perspektive handeln. Besonders deutlich wird das in Fällen, bei denen der Zustand vor der ‚Entdeckung‘ durch den Westen automatisch und unter Missachtung der Perspektive der Menschen vor Ort als urspünglich oder authentisch beschrieben wird.

Naturvolk

Der Begriff Naturvolk, ursprünglich im Sinne eines Volkes mit „geringer Naturbeherrschung“ im Gegensatz zum „Kulturvolk“ ist in jedem Fall abwertend zu verstehen und daher auch zu vermeiden. Ähnlich abwertend sind auch vermeintlich positive Bilder, wie die des edlen Wilden, wenn sie Menschen auf bestimmte Fähigkeiten reduzieren und ihnen damit die Fähigkeiten zum freien Handeln absprechen, die man für sich selbst für selbstverständlich hält. In diesem Sinne sollten selbstverständlich auch Begriffe wie Eingeborene, Einheimische, Ureinwohner, Farbige, Hottentotten, Neger, Zigeuner, Heiden etc. nicht genutzt werden. Werden solche abwertende Begriffe dennoch erwähnt, z.B. in Zitaten oder bei der Diskussion historischer Begrifflichkeiten, sind sie entsprechend zu kennzeichnen. Generell sind die Eigenbezeichnungen kultureller Gruppen vorzuziehen.

Hochkultur Kunstmusik

Weitere Begriffe, die eine Wertung implizieren sind Hochkultur oder Kunstmusik, wobei Letzterer aus der historischen Musikwissenschaft stammt und auf die Musikethnologie nicht unreflektiert übertragen werden sollte. Ebenso wertend sind normative Begriffe wie einfach, komplex, schön, hässlich, kunstvoll etc., die als wissenschaftliche Kategorien in der Musikethnologie nur dann berechtigt sind, wenn deutlich wird, aus welcher Perspektive heraus sie verwendet werden und welche Bedeutung sie aus dieser Perspektive haben. Abschließend sei auf den heute im Alltagsdiskurs häufig gebrauchten Terminus Kulturkreis hingewiesen, der Kernbegriff diffusionistischer und evolutionistischer Theorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in Deutschland war und ein Modell kultureller Entwicklung voraussetzt, nach dem sich kulturelle Merkmale – die vor allem an materiellen Objekten festgemacht werden – von einem Zentrum ausgehend kreisförmig verbreiten. Die ältere Forschung zu Kulturkreisen gilt heute als spekulativ, weswegen das Konzept im Fach nicht mehr verwendet wird. Auch der Begriff ist damit obsolet geworden und daher sollte – sofern nicht explizit auf die historische Kulturkreistheorie Bezug genommen wird – der Begriff Kulturraum verwendet werden. In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass der Begriff Entwicklung im ethnologischen Zusammenhang in der Regel evolutionistische Modelle impliziert und in den meisten Fällen besser durch Wandel bzw. sozialer Wandel zu ersetzten ist.

Ethnologie als Kulturwissenschaft

Abschließend seien noch einige Worte zu den gegenwärtigen Ausprägungen von Ethnologie und Kulturwissenschaft gestattet. Die Ethnologie war bis weit ins 20. Jh. ausgerichtet auf die Erforschung von Kulturen kleinerer ethnischer Gruppen und sogenannter indigener Völker. Es wurde vor allem aus vergleichender Perspektive geforscht, indem materielle Kultur, Wirtschaft, soziale Struktur, Religion, Recht, Medizin etc. untersucht wurden. Wurde zunächst noch von kleineren, nicht staatenbildenden Ethnien ausgegangen, wird heute nicht zuletzt aufgrund der weltweit erhöhten Medienpräsenz und – verfügbarkeit interkulturelle bzw. transkulturelle Kommunikation untersucht. Dies geschieht in der Regel in urbanen Räumen im Umfeld von Industriegesellschaften und dehnt sich momentan auf Forschungsbereiche der Cyberethnologie im Sinne des Untersuchens einer virtuellen Online-Gemeinschaft aus.

Stichwort

Teilnehmende Beobachtung

Die zentrale Methode ist für die Ethnologie, wie auch die Musikethnologie, die teilnehmende Beobachtung während längerer Forschungsaufenthalte, während derer die Forschenden Teil der beobachteten Gruppe werden und über diese Integration auch alltägliche Lebenswelten begreifen können. Hier liegt der Unterschied der Ethnologie zu anderen ähnlichen Disziplinen wie der Soziologie, die hauptsächlich qualitativ über Interviews arbeitet, oder den kulturwissenschaftlich ausgerichteten cultural studies, die in großem Maße auf die Untersuchung von Medien begründet ist. In den letzten Jahren verwischen diese Grenzen zunehmend, da in allen genannten Disziplinen ein interdisziplinärer Methodenpluralismus vorherrscht.

In Bezug auf die Methode der Forschung vor Ort aus teilnehmender Perspektive heraus, muss immer berücksichtigt werden, dass erst während der Forschung relevante Fragen entstehen und daran orientiert geeignete Methoden entwickelt werden müssen.

Wissens-Check

Musikethnologie als akademisches Fach

– Welche weiteren Bezeichnungen gibt es für das Fach Musikethnologie? (Antworten S. 9)

– Welches Konzept von Musik liegt der Musikethnologie zugrunde? (Antwort S. 9f.)

– Welche Methoden umfasst die Musikethnologie? (Antwort S. 11ff.)

– In der Musikethnologie wird Musik als Kultur aufgefasst. Welche Perspektiven können dabei eingenommen werden? (Antwort S. 13)

– Inwiefern kann der Begriff „Tradition“ problematisiert werden? (Antwort S. 14)

– Welche weiteren Begriffe tragen implizite Abwertungen mit sich? (Antworten S. 14f.)

Musikethnologie

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