Читать книгу Die Kinder Paxias - Laura Feder - Страница 4
Kapitel 2
ОглавлениеWie von Sanjo vorhergesagt, trafen sie nach dem endgültigen Passieren des Fischerdorfes auf keine weiteren Paxianer, so dass sie sich ohne erhöhte Wachsamkeit frei bewegen konnten.
Die Landschaft war vorwiegend geprägt von sattgrünen Wiesen und sanften Hügeln. Es gab keine steinigen Hindernisse oder Sumpfgebiete, die es zumindest Cecil und Arn erschwert hätten, durch die Nacht zu reisen. In dieser Umgebung jedoch waren sie in der Lage, mit Saya und Kaeli Schritt zu halten und das Tempo ihrer Wanderung nicht zu mindern.
Dieses milde Terrain führte auf der anderen Seite verheerenderweise mehr als einmal dazu, dass sie keinen geeigneten Lagerplatz für den Tag fanden, der die Mädchen vor den hellen Sonnenstrahlen bewahrte, was sie zwang, ihren Weg ohne Rast fortzusetzen. Damit kamen sie zwar schneller als erwartet vorwärts, aber nicht ohne Folgen.
Anfangs verbargen Saya und Kaeli die Belastung ihrer Augen und die einsetzenden Schmerzen. Nach dem zweiten durchwanderten und sehr sonnigen Tag war ihnen das nicht mehr möglich.
Auch die verdunkelnde Wirkung eines Tuchs aus dem gleichen dunklen Schleierstoff Sayas Kleid brachte ihnen keine Erleichterung.
Die ersehnt erwartete Dunkelheit, die sie von dem Brennen der Augen und den stechenden Kopfschmerzen erlösen sollte, enttäuschte ihre Hoffnungen, und sie litten permanent unter bohrenden Schmerzattacken.
Natürlich merkten die Männer ihnen das an. Sie reduzierten daraufhin ihre Schrittgeschwindigkeit und überzeugten wenigstens Kaeli davon, sich abwechselnd Cecils und Arns Führung zu überlassen und über Tag die Augen zu verbinden. Saya lehnte dies vehement ab. Eine wenig überraschende Reaktion, welche die Männer erwartet hatten. Sie bedrängten sie nicht weiter.
Eine weise Entscheidung, Saya spürte selbst, wie ihr Wesen zunehmend reizbarer wurde. Nicht selten toste der Wunsch in ihr, zu den Waffen zu greifen und ihre aggressive Spannung abzuladen. Es gab Momente, dessen war sie sich bewusst, dass ein falsches Wort oder eine falsche Tonart genügen würden, sie zum Entladen zu bringen.
Es kostete sie viel Kraft, sich ihrer Fähigkeit zu besinnen, Schmerzen zu ertragen, wenn es sich bei der Art dieser um etwas handelte, in dem sie kaum Erfahrungen hatte sammeln müssen.
Wunden konnten ihr nichts anhaben, mit Verletzungen aller Art wusste sie umzugehen.
Doch dieses hämmernde Pulsieren unter ihrer Schädeldecke, das Stechen hinter ihren Augen, das pochende Rauschen ihres Kiefers, dessen nervenaufreibende Geräusche sie in ihren Ohren wahrzunehmen glaubte, waren etwas, was sie in dieser Intensität nie zuvor erlebt hatte. Es kostete sie große Beherrschung, dem Drang zu widerstehen, ihre Hände gegen den Kopf zu pressen, um einen anderen Schmerz zu spüren als den, den sie erlebte.
Sie sehnte sich nach Druck. Unendlich viel Druck. Ihre Schädeldecke sollte bersten unter ihren Fingern, sollte Erleichterung bringen vor dieser wütenden Folter.
Die Nägel ihrer geballten Fäuste bohrten sich in die Haut ihrer Handinnenflächen, erzeugten blutende Abdrücke in den vergeblichen Versuchen, die Qual zu verlagern – die Schmerzboten auf andere Regionen ihres Körpers zu konzentrieren.
Dieser Kampf ging an den beiden Männern nicht spurlos vorbei. Sie wechselten zunehmend besorgte Blicke. Arn, der sich in keiner Weise mit Heilmethoden auskannte, da in der Geschichte seines Reiches die Lösung auf jedes bekannte Leiden in irgendeiner Art mit Feuer und Hitze zu tun hatte, fühlte sich hilflos in seinem Unwissen und unfähig, Saya beizustehen in ihrem Bestehen auf Abstand.
Diese hielt sich immer in einiger Entfernung hinter ihnen auf und ließ sich zeitweise absichtlich noch weiter zurückfallen. Arn vermutete, dass dies mit ihrem Schmerzpegel zusammenhing, da dieser sicher dazu beitrug, ihre Reaktionsgeschwindigkeit einzuschränken. Eine Behinderung, die sie mit dem Instinkt der Kriegerin kompensierte.
Mit Kaeli verhielt es sich ganz anders. Ihr anschmiegsames, vertrauensvolles Wesen veränderte sich auch nicht in der Not. Und es war wenig genug, was er für sie tun konnte.
Ab und zu, wenn er gerade Kaeli führte und ihr leises Stöhnen vernahm, zog er sie in seine Arme und strich ihr behutsam über den Kopf, bis die Schmerzwelle vorüber war und ihr Beben nachgelassen hatte.
Doch es war am Ende eben diese Geste, die in Cecil längst verdrängtes Wissen an die Oberfläche beförderte. Er erinnerte sich an den verstorbenen Vater eines Freundes, der chronisch an nervösen Kopfschmerzen gelitten hatte. Kräutermischungen hatten ihm nicht zu helfen vermocht, aber es gab eine Massagetechnik, die die Heilerin angewandt hatte, wenn es unerträglich geworden war.
Er selbst hatte sie nie angewandt, nur ein paar Mal beobachten können, aber es war einen Versuch wert.
Kaeli erklärte sich nur zu gern bereit, die Behandlung über sich ergehen zu lassen. Saya beobachtete Cecils Finger genau, die behutsam Punkte ertasteten, an denen der Schmerz sich sammelte, um dann eben dort mit steigendem Druck zu pressen und nach einer bestimmten Zeit abrupt abzulassen.
Es brauchte einige Wiederholungen, aber es trat eine spürbare Besserung ein, wie Kaeli mit erwachenden Lebensgeistern und sehr erleichtert feststellte, woraufhin Saya und Cecil sich unbehaglich ansahen und zu dem Schluss kamen, dass Saya sich um sich selbst kümmern sollte.
Genaugenommen entschied Saya dies, die Cecil zwar respektierte und auch als Gefährten akzeptiert hatte, aber dennoch kein Interesse an einer Nähe zeigte, in der sie seine Körperwärme spüren konnte. Erst recht keine Berührung so intim wie diese an Gesicht und Kopf.
Cecil war ihre Ablehnung offensichtlich recht, auch wenn er selbst nicht auf die Idee gekommen wäre, ihr seinen Dienst zu versagen. Doch er fühlte sich in ihrer zu nahen Gegenwart mindestens ebenso unwohl wie sie sich in der seinen.
Also war es an Saya allein, die Zonen, die der Massage bedurften, zu finden, was nicht schwer fiel, nachdem sie einmal begriffen hatte, wie sie diese ertastete. Schließlich konnte sie mindestens ebenso gezielt arbeiten wie Cecil.
Endlich spürte auch sie Linderung, ihre Gedanken klarten sich allmählich wieder, und ihr Körper entspannte sich zunehmend. Im Gegensatz zu Kaeli, wandte sie die Technik auch während der Wanderung an, was nicht besonders bequem, aber äußerst effektiv war. Es dämpfte vor allem die permanenten Schläge ihrer Schritte in ihrem Kopf und löste den inneren Druck ihres Schädels erheblich.
Diese reduzierte Qual war einfacher zu ertragen, und nun gelang ihr auch ausreichend Konzentration, sich ihrer Fähigkeiten zu besinnen und die Schmerzen in einen anderen Teil ihres Bewusstseins zu verlagern.
Sie lenkte sich ab, indem sie die vergangenen Tage im Geiste noch einmal durchlief.
Die Erleichterung als Cassia in Biran liebevoll aufgenommen worden war.
Sanjo und Gareth hatten sie nicht enttäuscht – es war nicht einmal notwendig gewesen, ihnen ihre Pläne für die beiden Kinder zu erläutern.
Nachdem das Paar die Geschichte vernommen hatte, waren sie selbst auf die Idee gekommen, Maya und Cedric in die Verantwortung zu nehmen. Sie hatten es nicht ausgesprochen, doch die Tatsache, dass die beiden Paxianer zur Kinderlosigkeit verdammt waren, schwelte unterschwellig im Raum. Sie waren überzeugt, dass die beiden gerne die Elternschaft für die verwaisten Kinder übernehmen würden, und hofften, dass sie ihnen diese bald bringen konnten.
Dazu hatte Lyle sich sehr gern erboten.
Der junge Mann hatte sich sofort Cassia angenommen und mit seiner warmherzigen, ruhigen Art Zugang zu ihrem Wesen gefunden.
Es war unfassbar, wie schnell sie sich ihm erschlossen hatte, aber Saya und Arn waren viel zu froh gewesen, dass sie sich endlich ihrer Trauer ergab, als dass sie sich darüber hatten wundern wollen. Denn mit der Traurigkeit waren auch die nötigen Tränen geflossen, das Begreifen um ihren Verlust und somit die Möglichkeit, ihr tröstend beizustehen.
Von Lyle hatte sie diesen Trost angenommen, und er war ohne Weiteres bereit gewesen, ihr diesen zu bieten – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wie ein Schatten war er an ihrer Seite geblieben, hatte sich sogar erboten, vorübergehend in das Kinderzimmer der beiden zu ziehen.
Gareth und seine Gemahlin waren zu Recht voller Stolz auf ihren mitfühlenden Sohn, dem das Schicksal der Kinder so nahegegangen war, dass er es nicht über sich brachte, sich von ihnen zu trennen.
Arn und Saya hatten guten Gewissens die Kinder zurückgelassen und waren zum Treffpunkt zurückgekehrt, an dem Cecil und Kaeli auf sie gewartet hatten.
Im Fischerdorf war nach dem Verschwinden Cassias und des Babys alles ruhig geblieben. Cecil hatte nicht eingreifen müssen. Ihm zufolge waren die Bewohner überzeugt, dass die Kinder mit Verwandten gegangen waren. Nach ihrer Bergung war noch alles so chaotisch gewesen, dass niemand dazu gekommen war, Cassia nach ihrer Herkunft und ihren Eltern zu fragen, so dass sie davon ausgegangen waren, dass das Mädchen und ihr kleiner Bruder abgeholt worden waren. Es gab keinen, der gewusst hatte, dass Cassias Eltern unter den Opfern zu finden waren.
Kaeli dagegen hatte weniger Genugtuung empfunden.
Ihre Bemühungen waren erfolglos geblieben. Es gab keine Spur Angehöriger ihres Reiches. Wenn sie aus dem Meer hatten fliehen müssen, so waren sie sicher nicht auf dieser Seite Paxias zu finden.
Ihre Unwissenheit war also unverändert.
Sie hatte sich darüber etwas bedrückt gezeigt, aber nicht mutlos. Zu sehr glaubte sie an die Stärke ihres Volkes und ihrer Familie.
Es war früher Nachmittag, als sie die ersten Bäume des Verbotenen Waldes erblickten.
Eine schmale Landbrücke trennte sie von dem Baummassiv, das unähnlich der anderen Wälder, die Saya auf ihrem Weg bereits gesehen hatte, übergangslos von mit Sand durchzogenen Gräsern zu dunkler moosiger Tiefe wurde und in der Breite keine andere Begrenzung als das Meer kannte.
Hoch ragten die Baumkronen empor, in überwältigend dichtem Grün der Nadel- und Laubbäume, die seit Anbeginn paxianischen Lebens existierten.
Zahlreiches Buschwerk zwischen den ersten dicken, mit Kletterpflanzen umrankten Stämmen verwehrte ihnen aus ihrer Entfernung den Einblick. Es gab keinen offensichtlichen Weg hinein.
Sie verharrten einen Moment, in den Anblick dieses gewaltigen Naturwerks Paxias versunken.
Zuerst verspürten sie ein leises Vibrieren unter ihren Füßen, gefolgt von einem leise ächzenden Knarren und Knirschen, als ob irgendwo sehr viel Spannung ausgeübt wurde.
Das Meer rechts und links von ihnen waberte vor dem flachen Ufer.
„Was geschieht hier?“ Unsicher sah Kaeli zu ihren Gefährten, deren Wachsamkeit ebenso geweckt war.
„Ein Erdbeben?“, schlug Cecil vor, wirkte aber wenig überzeugt.
Arns Aufmerksamkeit galt dem Verbotenen Wald. „Ein Empfang? Es ist uns nicht erlaubt, hier zu sein. Vielleicht sind wir schon zu nahe und dies ist die erste Warnung, Abstand zu bewahren.“
Saya hatte mit zunehmendem Beben den Boden im Auge behalten. Sie sah den ersten feinen Riss entstehen.
Und handelte instinktiv.
„Vergesst den Abstand – lauft!“ Mit einem kräftigen Stoß zwang sie Cecil und Arn in Bewegung und folgte ihnen, Kaelis Hand packend. Zu irritiert zum Widerspruch, gehorchten die Männer blind.
Es war eine weise Reaktion.
Krachend entstand eine tiefe Erdspalte, wo zuvor Sayas Fuß den kaum wahrnehmbaren Riss berührt hatte. Die gewaltige Erschütterung raubte ihnen das Gleichgewicht, unsanft stürzten sie zu Boden.
Arn kämpfte sich mühsam in eine halb sitzende Position, die Erde bebte unverändert, der Lärm brechender Landmassen war ohrenbetäubend. Er versuchte den Zustand der Gefährten zu erkennen.
„Jemand verletzt?“, rief er gegen die Wucht des wütenden Elementes. Staub verhinderte klare Sicht.
„Keine Zeit!“ Mit Entsetzen beobachtete Saya, wie sich Risse netzartig unter ihnen ausbreiteten, überall war Sand in Bewegung, rieselte in neu gefundene Tiefen.
Rauschend füllte das Meer den großen Spalt, verschlang weitere Stücke brüchigen Landes.
Es näherte sich ihnen mit unaufhaltsamer, bedrohlicher Macht. Als Saya sich auf die Beine rappelte, trat sie mit einem Fuß ins Leere. Geistesgegenwärtig brachte sie ihr Gleichgewicht auf die andere Seite. Doch sie landete auf wankendem Grund, der ihrem Gewicht nicht gewachsen war. Durchzogen von unzähligen Mikrorissen, gab er unter ihr nach.
Saya sprang.
Arn packte ihren Arm und zerrte sie zu sich.
Saya machte sich nicht die Mühe, den Absturz des Erdbrockens zu verfolgen, dessen Schicksal in den Tiefen des Meeres sein Ende finden würde. Eindringlich blickte sie Arn in die Augen.
„Wir müssen fliehen!“
„Ich für meinen Teil habe nicht vor, jetzt eine Diskussion zu beginnen“, war seine erstaunlich trockene Entgegnung, mit der er ihre Hand ergriff und losrannte. Gemeinsam nahmen sie die Verfolgung Cecils und Kaelis auf, die bereits bei Sayas ersten Worten den Kampf nach vorn begonnen hatten und einigen Vorsprung besaßen.
Kaeli versuchte immer wieder, sich suchend nach ihnen umzusehen.
„Blick nach vorn, Meermädchen!“, schrie Saya sie an, als diese dabei ins Stolpern geriet. Die unkontrollierten Erschütterungen machten ihnen die Fortbewegung schwer genug. Hinter sich hörten sie das Klatschen nahender Wassermassen, das dumpfe Brechen abtrennender Erde, und unter sich spürten sie immer wieder weichenden Boden. Der entschlossenen Verbindung ihrer Hände, ihrem geteilten Gleichgewicht war es zu danken, dass keiner endgültig zu Fall kam.
Dann – ganz plötzlich – Stillstand.
Es war zu abrupt für die Gefährten. Saya und Arn hatten gerade Cecil und Kaeli erreicht, als die unerwartete Regungslosigkeit des Bodens einsetzte.
Es war ihnen unmöglich, Balance und Schwung so unvermittelt in Einklang zu bringen.
Ein wirres Knäuel aus aufeinanderprallenden Körpern kam schwungvoll zu Fall.
Arn schob mit schmerzvoll verzogenem Gesicht einen spitzen Ellbogen von seiner Kehle.
„Jemand verletzt?“, wiederholte er mit rauer Stimme seine Frage.
Mehrstimmiges leises Stöhnen blieb die einzige Antwort. Alle bemühten sich, den Knoten unterschiedlicher Arme und Beine zu entwirren und die Herrschaft über selbige zurückzugewinnen.
Schließlich kauerten sie schwer atmend und erschöpft nebeneinander auf dem Boden und starrten fassungslos auf die klaffende Lücke, die einmal Landbrücke gewesen war. Das Wasser in dieser war schaumbedeckt und aufgewühlt, aber nicht mehr außer Kontrolle. In kurzer Zeit würde niemand mehr vermuten, dass die Kontinente an dieser Stelle einst verbunden gewesen waren.
„Ist es vorbei?“, wagte Kaeli zu fragen. Ihr zierlicher Körper zitterte vor Anstrengung und innerer Erregung. Wieder einmal hatte sie die Gewalt ihres Elementes ertragen und erleben müssen.
„Es sieht so aus“, murmelte Cecil. Er hatte seine Arme fest um die Knie geschlungen und wirkte, als benötigte er dringend Zeit, dieses Geschehen einzuordnen und zu verarbeiten. Auch er konnte die Schauer, die ihn krampfartig schüttelten, nicht vollständig zurückdrängen.
„Es ist dieser Kontinent.“ Sayas Kriegerinstinkt hatte als Erstes eine Analyse der herrschenden Lage gefordert. „Er hat sich verschoben.“
Erstaunt über diese Feststellung folgten die anderen ihrem Blick, der auf die gegenüberliegende Seite der ehemaligen Meerenge gerichtet war.
Es war eigentlich eine kurze Strecke gewesen, die sie hätten zurücklegen müssen, um über die versunkene Enge zum Verbotenen Wald zu gelangen. Aber nun war das andere Ufer kaum mehr zu erkennen, es blieb schemenhaft – eine verschwommene Kontur.
„Ich begreife das nicht. Wie kann das alles möglich sein?“
Niemand reagierte auf Kaelis unbewusst ausgesprochenes Entsetzen.
In Arn kreisten die Gedanken über verbliebene Optionen, wie sie die Verbindungslosigkeit überbrücken könnten. Weder schwimmen noch fliegen waren zu gegebener Zeit möglich.
Er erreichte die gleiche Schlussfolgerung wie vor der Trennung der Landmassen.
„Ich denke immer noch, jemand wollte uns dem Wald fernhalten.“
„Glaubst du wirklich, Paxia wäre bereit, uns solcher Gefahr auszusetzen?“ Saya reagierte ungläubig.
„Nein, Paxia nicht … vielleicht aber hast du von Anfang an richtig vermutet, und es gibt eine weitere Macht.
Eine, die nicht Paxias Einfluss untersteht. Eine, die uns und dieser Welt feindlich gesinnt ist und die sich durch unseren Eintritt in den Wald gestört fühlen würde.“ Arns Argumentation war in seiner einfachen Logik nicht von der Hand zu weisen. Saya musste ihm innerlich Recht geben. Sie erhob sich langsam.
„Dann sollten wir mit der Störung beginnen.“
Arn folgte ihr. Er sah ein weiteres Mal auf die entfernten Umrisse, das trennende Meer und wandte sich dann um, die ausladenden Stämme und dichten Büsche des Verbotenen Waldes nur wenige Schritte entfernt betrachtend.
In seinen Augen flackerte es humorvoll. „Eine Umkehr jedenfalls ist ist keine Option.“
Kaeli klopfte sich den Sandstaub von den Stiefeln und sah die anderen erwartungsvoll an – voller Spannung den sagenumwobenen Ort zu betreten. „Dann lasst uns gehen.“
Keiner widersprach, waren sie doch alle von ähnlichen Empfindungen getrieben.
Nur Arn bewegte sich sehr zögernd vorwärts, auch noch, während Saya hinter ihm ihn entschlossen – und erschreckend kraftvoll – durch das dichte, aber glücklicherweise feine Blattwerk drängte, welches bei jeder Bewegung kitzelnd seine Haut streifte.
Er fühlte sich unwohl in dem Bewusstsein, einen heiligen Ort zu betreten, dessen Hüter ihn aufgrund seiner Herkunft als natürlichen Feind ansehen würden. Hätte eine Alternative existiert, wäre er niemals mit der entwürdigenden Absicht zu dieser Stätte gekommen, ihr seine entweihende Anwesenheit aufzuzwingen.
Unabhängig davon, wie ehrenhaft seine Motive sein mochten.
Aber es gab keine Alternative – nun noch weniger als zuvor. Abgeschnitten vom Rest Paxias, war alles, was blieb, der Weg nach vorn.
Und dieser führte unweigerlich in die Tiefen des Verbotenen Waldes.
Von Tiefen konnte allerdings nicht die Rede sein, als sie bereits nach wenigen Schritten begriffen, dass ihre Anwesenheit nicht unbemerkt geblieben war.
Der Pfeil schlug zischend in den mächtigen Stamm nah neben Cecils Gesicht ein.
Natürlich, dachte Arn ergeben und wappnete sich für die anstehende Konfrontation. Er hoffte nur, dass diese gewaltfrei bleiben würde, und hielt sich so gut es ging im Hintergrund, um keine unnötige Provokation zu beschwören. Er sandte ein Stoßgebet an Paxia, dass das Empfangskomitee sich als nicht allzu groß erwies.
Und vernünftigen Argumenten zugänglich war.
Saya schob sich an ihm vorbei und zog mit einem Ruck den Pfeil heraus. Nicht ganz ohne Anerkennung begutachtete sie die saubere Handarbeit.
„Ich erkenne weder Fehl noch Tadel“, begann sie laut genug, dass ihre Stimme weit in den Wald getragen wurde. „Wenn es nicht an der Herstellung liegt, muss wohl der Schütze selbst und sein mangelndes Zielgeschick die Ursache für das Leiden dieses bedauernswerten Baumes sein.“
Entgeistert starrten die Gefährten die Gelehrte an, die ihnen mit dieser eindeutigen Provokation eine neue Seite von sich offenbarte – Gerissenheit.
Ob ihr Handeln klug war, wagten sie jedoch noch nicht zu beurteilen.
Aber Sayas Worte verfehlten ihre beabsichtigte Wirkung nicht.
„Hätte ich mit der Absicht geschossen zu treffen, so wäre dies auch geschehen. Ich verfehle nie mein Ziel, dessen könnt ihr gewiss sein.“
Suchend wandten sich die Gefährten der Richtung zu, aus der sie die gelassene Erwiderung einer eindeutig weiblichen Stimme vernommen hatten, wenn auch etwas dunkler und rauer als bei einer Elfe zu erwarten war.
Doch handelte es sich bei dem Geschöpf, welches mit gemessenen Schritten und erneut gespanntem Bogen hinter einem Baum hervortrat, zweifelsfrei um eine ebensolche.
Und sie hielt ihre Waffe bedrohlich genau auf die Gefährten ausgerichtet.
Sie bedachte sie mit einem ablehnenden Blick.
„Was genau soll mich davon abhalten, euch zu töten, Eindringlinge?“
„Sehr einfach“, konterte Saya in ungemindertem Mutwillen. „Du kannst es nicht.“
Der Elfe schien es einen Moment die Sprache zu verschlagen angesichts dieser vermeintlich frechen Unterstellung ihrer mangelnden Fähigkeiten. Dann aber kniff sie argwöhnisch die Augen zusammen und fixierte die Gruppe Fremder.
Kaeli sah den Moment des Verstehens, der über ihre Miene huschte, und wollte ihn nutzen, in der Absicht, den Keim einer blutigen Eskalation zu ersticken.
„Bitte senk den Bogen. Wir sind nicht in der Absicht gekommen, den Frieden dieses Ortes zu stören.“
Ihre besänftigenden Worte milderten den Ausdruck in Gesicht und Haltung der Elfe nicht. Umso erstaunter beobachteten die Gefährten, wie sie Kaelis Aufforderung nachkam und den Bogen entspannte. Ohne Eile verstaute sie den Pfeil in ihrem Köcher, hängte sich den Bogen um die Schulter und marschierte langsam auf sie zu – ihr Blick war auf niemand bestimmtes gerichtet. Auch übermäßige Wachsamkeit war nicht in ihrer Miene zu erkennen. Dennoch drückte alles an ihr Abwehr aus.
Wie ihre nächste Aussage bewies.
„Das kann ich kaum glauben. Allein die Anwesenheit eines Pyromanen verstehe ich als Angriff auf die Sicherheit und das Wohlergehen von Wald und Bewohnern.“
Arn konnte kaum fassen, wie schnell er enttarnt worden war. Halb versteckt im Schatten eines Baumes und schräg hinter Cecil stehend, hatte er die vergangenen Momente seit Erscheinen der Elfe angestrengt den grün umwucherten Boden fixiert, um das flackernde Feuer seiner Pupillen zu verbergen.
Offensichtlich war sein Versuch nicht gut genug gewesen, und er bereitete sich vor, seine Verteidigung zu übernehmen.
Innerlich betroffen über die verurteilende Bezeichnung, mit der sie ihn betitelt hatte, trat er ihr in der Absicht entgegen, sich dieses beleidigenden Ausdrucks zu erwehren.
„Ich bin kein …“ Beim Anblick der Elfe fehlten ihm buchstäblich die Worte. Durch seine zuvor gewählte Position hatte er von der Elfe ebensowenig sehen können, wie diese von ihm. Nun jedoch, da sie im Fokus seiner Aufmerksamkeit stand, starrte er sie sprachlos an, als wäre sie eine Erscheinung aus lang verdrängten Träumen.
Er selbst war ein großer Mann, überragte den ebenfalls nicht gerade klein zu nennenden Cecil um einen halben Kopf. Die Elfe aber war mindestens ebenso hoch gewachsen wie der junge Mann aus dem Reich des Windes und konnte ihm somit fast auf Augenhöhe begegnen. Trotz dieser beeindruckenden Körpergröße hatte sie nichts Unweibliches an sich.
Sie war nicht zierlich, ihre Konturen an den richtigen Stellen ausgeprägt – üppig, ohne ausladend zu sein, wenn auch der Stil ihrer Kleidung viel davon versteckte.
Sie war in ein knielanges Kleid aus grobem Strick gewandet, dessen sattes Grün dazu gedacht war, mit den Blättern und Sträuchern zu verschmelzen. Die einzige Verzierung waren mit weißen Blüten bestickte Seidenbänder in einem dunkleren Farbton, die die Säume von Rock und den umgeschlagenen, halblangen Ärmeln zierten. Ihre Beine steckten in dunkelbraunen, an der Wade vielfach geschnürten hohen Wildlederstiefeln, deren Material auch in ihren festen Armschonern und dem Gürtel Verwendung gefunden hatte, in dem sie Dolch und zwei Lederbeutel mit sich führte. Über dem Kleid trug sie eine Art Kapuzencape in der gleichen Farbe, welches ihren halben Oberkörper umspielte und viel ihrer weiblichen Form verbarg. Stattdessen besaß dieses eine außergewöhnlich filigrane Stickarbeit, die ein großes in allen Feinheiten ausgeführtes, hellgrünes Blatt umfasste.
Da die Kapuze ungenutzt auf ihrem Rücken ruhte, waren auch Gesicht und Haare unverhüllt.
Und diese waren nun das außergewöhnlichste an der Waldelfe.
Atemberaubend – wie Arn fand, überwältigt von seiner intensiven Reaktion nach einem einzigen Blick auf diese.
Ihre Augen waren das Auffälligste in ihrem Gesicht. Groß, dichtbewimpert und von kaum wahrnehmbarer Schrägstellung, beherrschten sie makellose Züge, eine vollendet gerade Nase und einen sinnlich vollen Mund, den Arn nur zu gern lächeln sehen würde, da winzige Kerben in ihren sanft gerundeten Wangen Grübchen andeuteten, die ihr sicher einen weiteren unwiderstehlichen Reiz verleihen würden.
Die Farbe ihrer Augen war von einem dunklen, tiefen Grün – eine Mischung aus Gareth und Cassia. Aber es waren ihre Pupillen, die sie charakterisierten. Arn hatte so etwas nie zuvor gesehen. Pupillen, die einige Nuancen heller waren als die Iris und ebenso grün wie diese. Selbst für eine Elfe musste dies erstaunlich anmuten.
Ihre Haare dagegen wurden allen Erwartungen an eine Waldelfe gerecht.
Dunkel glänzende rotbraune Locken fielen ihr in ungeordneten Kaskaden weit in den Rücken, immer wieder durchzogen von den bei Elfen unvermeidlichen Flechten. An den Seiten hatte sie die Haare hochgesteckt und mit grünen Bändern verwoben. Zwei kürzere Flechten zu beiden Seiten ihres Gesichts hatte sie mit jeweils zwei Holzperlen und Silberperlen geschmückt, in die winzige Runen gekerbt waren – leider unleserlich für die Gefährten, die die abgebildete Symbolik nicht kannten.
Zwischen Flechten und Haaren dann das Merkmal der Elfen, spitz zulaufend und etwas länger als bei den anderen Abkömmlingen Paxias – ihre Ohren.
„… Ohren!“, drang das zornig ausgestoßene Wort zeitgleich mit seiner Betrachtung selbiger in seine gelähmte Gedankenwelt.
„Was?“ Mühsam kämpfte er sich in die Realität zurück.
Eine Realität, in der das Objekt seiner vergessenen Sehnsüchte ihn in einer Mischung aus Verachtung und Ablehnung fixierte – und nun auch noch wütend über seine Ignoranz.
„Hat das Feuer dein Gehirn verbrannt? Du beendest deinen Satz nicht, in dem du mir hoffentlich nicht allen Ernstes weismachen wolltest, dass du keine lebende Fackel bist, und dann stehst du da und starrst mich an als wäre ich der nächste Grillanzünder.“
„Unsinn. Ich würde nie … Ich sehe dich nicht …“ Arn brach ab. Es hatte keinen Sinn, sich zu verteidigen, wenn einem die Grundbegriffe sinnvoller Sprache nicht mehr einfielen. Ihre Gegenwart brachte ihn völlig aus dem Konzept. Obwohl er sie nicht einmal kannte, raste sein Puls und das Blut rauschte wild in seinem Kopf. Dieses ungewohnte Schwindelgefühl lähmte ihn. Er brauchte dringend seine Ruhe zurück.
Dennoch war ihm bewusst, wie unverzeihlich unhöflich er sich benommen hatte, auch wenn sie seine Motive nicht verstanden hatte.
„Ich entschuldige mich für mein Verhalten.“
Wenn sein Benehmen sie erstaunte, ließ sie sich nichts anmerken. Unbeugsam winkte sie seinen behutsamen Vorstoß zu einem freundlichen Umgang ab.
„Ich würde es bevorzugen, über eure baldige Abreise zu sprechen. Mir reicht es, wenn euer Pyrotechniker davon absieht, aus dem Wald ein Leuchtfeuer zu machen.“
„Aber das kann er doch gar nicht!“, sprudelte Kaeli hervor, der die permanenten Angriffe auf Arns Absichten wenig vielversprechend schienen. Erst recht nicht zielführend. Viel sinnvoller erschien es ihr, die Elfe aufzuklären, in der sie eine Hüterin des Waldes vermutete. Wenn dem so war, könnte sie ihnen zum Eintritt in das Dorf verhelfen.
„Sein Volk hat die Macht über das Feuer verloren, seit Monaten schon. Selbst wenn er wollte, er könnte keinen Schaden anrichten – und er würde es auch nicht, was du ja leider nicht zu glauben scheinst.
Er ist keine Gefahr für den Wald und seine Bewohner.“
„Ist das so?“ Die Aufmerksamkeit der Elfe richtete sich in einem Anflug von Interesse auf Kaeli. „Und wie hast du dich hierher verirrt, Reich des Meeres?“
„Ich spare mir die Frage, woher du das weißt“, murmelte Kaeli, die sich daran erinnerte, dass auch Gareth und Sanjo keinerlei Schwierigkeiten gehabt hatten, ihre unterschiedlichen Herkunftsorte zu erkennen.
Laut sagte sie: „Ich bin Kaeli, Tochter von Anameg und Sher-Qa. Und verirrt habe ich mich sicher nicht – keiner von uns. Wir sind in der Absicht hierhergekommen, mit Karna und Chaez zu sprechen, und hoffen, dass du uns zu ihnen führen kannst. Gareth und Sanjo aus Biran haben uns gesandt.“
„Willst du mich tatsächlich glauben lassen, ihr seid mit Gareth’ Unterstützung hier? Das ist eine kühne Behauptung.“ Die Skepsis der Elfe war spürbar, doch die Art, wie sie sich mit untergeschlagenen Armen gegen einen Baum lehnte, nährte die Hoffnung, zumindest Gehör zu finden. Kaeli wollte diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. „Nein, ist es nicht. Kühn nicht und eine Behauptung ebensowenig. Es ist schlichte Wahrheit.“
Die Elfe musterte sie eindringlich, dann betrachtete sie nacheinander die Gefährten in unterschiedlicher Intensität. Über den zutiefst aufgewühlten Arn glitt ihr Blick achtlos hinweg, als wäre er nicht existent. Cecil wurde ausführlich begutachtet, und bei Sayas Musterung blitzte etwas wie Neugierde in ihren Augen auf. Aber sie sprach nicht, und nach einer Weile kehrte ihr prüfender Blick zu Kaeli zurück.
„Ich kenne Anameg wie die meisten Elfen dieses Waldes. Sie war hier stets willkommen, für ihren Nachwuchs wird das gleichermaßen gelten“, begann sie endlich zögernd als ob sie versuchte, ihre Gedanken in Worte zu fassen. „Und ich glaube dir, dass ihr mit Gareth’ Legitimation hier seid. Du bist noch zu jung und unerfahren, um deine Gefühle so weit zu kontrollieren, dass deine Augen sie nicht widerspiegeln. Eine Lüge aus deinem Mund hätte ich in ihnen sofort erkannt. Es war sehr klug, dir die Rolle der Sprecherin zu überlassen, denn deine Gefährten …“, sie sah kurz zu Saya und Cecil, „sind erheblich schwerer zu lesen. Hätte einer von ihnen euer Anliegen vorgebracht, wäre ich in meinem Urteil nicht so sicher gewesen, das Dorf einem unnötig hohen Risiko auszusetzen.
Aber ich vermute, das haben sie auch gewusst.“
Natürlich lag die Elfe mit ihrer Annahme richtig. Saya war ausreichend diplomatisch gebildet, um Kaelis Fähigkeit, Vertrauen zu gewinnen, zu nutzen – vor allem bei Begegnungen mit anstehenden Entscheidungen. Da das Mädchen sie nach wie vor nie enttäuscht hatte, war es einfacher geworden, sich auf deren Mischung aus Unschuld und Sensitivität zu verlassen, die hervorragend geeignet war, Beschützerinstinkt und Aufgeschlossenheit zu wecken.
Auch diesmal schien sie nicht zu versagen.
„Ich werde euch also führen“, meinte die Elfe nun passend, um diesen Eindruck zu stärken.
Die Gefährten atmeten innerlich auf.
Doch …
„… Wenn ihr auf die zündelnde Begleitung verzichtet.“
Sprachlosigkeit.
Die Einschränkung erfolgte so unerwartet, dass die Gefährten sich ratlos ansahen. Natürlich war diese Forderung indiskutabel. Aber wie sollten sie das wirksam in Worte fassen?
Die Entschiedenheit in Stimme und Mimik der Elfe war von unzweifelhafter Festigkeit, und sie wirkte nicht, als würde sie ihre Beschlüsse leicht aufgeben.
Oder sie nicht durchzusetzen verstehen.
Zur Überraschung der Gefährten begründete sie sogar ihr Urteil.
„Es mag sein, dass Gareth’ Aufforderung, Karna und Chaez zu besuchen, euch alle umfasste. Doch das darin implizite Wegerecht durch diesen Wald, hat nicht er zu verantworten, sondern ich.
Und das kann ich nicht.
Niemals würde ich solch einer Kreatur …“ Die Elfe brach abrupt ab, als wäre sie unterbrochen worden. Ihr Blick richtete sich nach innen.
Die Gefährten sahen sich irritiert an, versuchten das Geschehen zu begreifen, bei dem die Elfe den Eindruck erweckte, intensiv zu lauschen. Aber so sehr sie sich ebenfalls anstrengten, nichts anderes als Blätterrauschen und der gelegentliche Laut einheimischer Tiere drang an ihre Ohren.
Dann war es auch schon vorbei.
Und es kam einem kleinen Schock gleich, was sie nun erwartete.
„Folgt mir, ich führe euch ins Dorf. – Alle.“ Mit diesen eindeutig widerstrebenden Worten setzte sich die Elfe in Bewegung. Alles an ihrer Haltung dabei drückte Widerwillen aus. Sie erfüllte eine Aufgabe, die sie sich selbst niemals gestellt hätte, mit starrer Resignation.
„Ich verstehe nicht … wie kann das sein?“ Kaeli eilte an ihre Seite, versuchte mit der hochgewachsenen Frau Schritt zu halten. Die anderen zogen es vor, zu schweigen und sie nicht aus den Augen zu verlieren, während sie die Verfolgung aufnahmen. Doch auch sie interessierten sich brennend für die Antwort.
„Der Wald hat gesprochen. Ihr werdet ins Dorf eskortiert.“ Mehr war aus der Elfe nicht herauszubekommen.
Kaeli versuchte es noch einige Male, erntete lediglich beharrliches Schweigen.
Aber ihre angedeutete Erklärung hatte ausgereicht, dass die anderen diesen sonderbaren Meinungsumschwung begriffen, der in Wirklichkeit keiner war.
Gareth hatte erwähnt, er hoffte, dass der Wald selbst ihnen den Zugang gewährte. Damit wären sie nicht vom Einverständnis der Hüter abhängig.
Genau dies schien nun geschehen zu sein.
Die schnell ausschreitende Elfe handelte auf Anordnung des Verbotenen Waldes. Sie gehorchte, obwohl allen klar war, wie überzeugt sie nach wie vor von ihrer ursprünglichen Form der Weigerung war.
Ihr Schweigen war ihr Widerstand.
Der Weg, den sie verfolgten verlief kreuz und quer und besaß keine ausgetretenen Pfade, die angedeutet hätten, dass vor ihnen bereits jemand diese Gebiete beschritten hatte.
Er war dazu gedacht, sie die Orientierung verlieren zu lassen – und das tat er auch.
Gründlich.
Sie wechselten so oft die Richtung, dass es keinen gewundert hätte, wenn sie plötzlich wieder am Ausgang gestanden hätten. Die dichten Baumkronen ließen kaum Sonne durch, was zwar ein angenehmes Dämmerlicht erzeugte, aber nicht dazu gedacht war, ihnen bei der Navigation zu helfen. Um die Himmelsrichtung zu ermitteln, in die sie sich wirklich bewegten, hätten sie einen Baum erklimmen müssen, wozu keiner sich so einfach in der Lage sah. Nicht in der Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegten. Selbst ein schneller Kletterer würde für Hinweg und Rückweg zu lange brauchen, um die Spur der Elfe wiederaufzunehmen. Sie wäre längst aus dem Blickfeld verschwunden.
Saya erwog kurz, sie zu diesem Zweck zu fesseln, verwarf die Überlegung aber bei näherem Nachdenken. Der Wille zur Kooperation der Elfe war praktisch nicht vorhanden – eine derart offensive Tat würde ganz sicher nicht zum Erhalt dieses Nichtwillens beitragen.
Wahrscheinlich wäre auch der Wald nicht eben erfreut, wenn man seinen Kindern Gewalt antat oder Zwang zumutete.
Zu ihrem Bedauern halfen auch die Bäume nicht zur Orientierung weiter. Sie waren so dicht mit zahllosen blühenden und rankenden Grünpflanzen umwuchert, dass sie vergeblich nach moosigen Spuren suchte.
Moos wuchs nur vereinzelt in der Nähe kleiner Quellen und Bachläufe oder an den zahlreichen Findlingen, die in der Nähe der klaren Gewässer zu finden waren. Andere Möglichkeiten, die Himmelsrichtung herauszufinden, kannte sie nicht.
Die hilflosen Mienen ihrer Gefährten verrieten ihr, dass es ihnen nicht anders erging.
Also mussten sie sich auf die Elfe und ihre Ergebenheit dem Wald gegenüber verlassen.
An eine geschickte Täuschung glaubte Saya zu ihrer eigenen Verwunderung nicht. Ihre sonst gerne misstrauische und wachsame Gesinnung hielt der unverhohlenen Art, in der die Elfe ihren unwilligen Ärger bekundete, nicht stand. Ihr Instinkt sprach keine Warnung oder eine Mahnung zur Achtsamkeit aus, die sie unweigerlich in Kampfbereitschaft versetzt hätte. Und das, obwohl sie mehr in der Elfe vermutete als die Fähigkeit, einen Pfeil in einen Baumstamm zu versenken – erheblich mehr. Sie besaß eine fast greifbare Aura des Wissens. Und Wissen konnte alles bedeuten – auch und vor allem Stärke und Macht.
War sie eine gewöhnliche Waldelfe?
Saya konnte es sich nicht vorstellen. Doch inwiefern war sie anders?
Saya wusste es nicht. Sie kannte nur die wenigen Waldelfen Birans aus kurzen Begegnungen und konnte keine Vergleiche anstellen. Gareth als Grundlage dafür zu nehmen, war keine Option. Er war als Sohn und Nachfolger der Herrscherin der Elfen und Gemahl der Herrscherin der Dämonen zu besonders, um als Vergleichsobjekt zu dienen.
Andererseits war diese Elfe mit großer Wahrscheinlichkeit eine der erwählten Hüter des Verbotenen Waldes, die Gareth erwähnt hatte, und als solche sicher nicht gleichzusetzen mit den gewöhnlichen Bewohnern des Waldes.
Es war eine winzige Veränderung – kaum zu erkennen, aber sie weckte augenblicklich Sayas Aufmerksamkeit und lenkte ihre Gedanken von der Elfe hin zur Umgebung. Auf der permanenten Suche nach Möglichkeiten, die Umgebung zu charakterisieren, mit dem Ziel eigene Orientierungsmerkmale zu finden, blieben nicht einmal Grashalme verborgen.
Und eben diese hatte sie entdeckt.
Zunächst wuchsen sie nur vereinzelt zwischen den kleinblütigen und rundblättrigen Bodendeckern, auf deren kissenartiger Oberfläche sie bisher gewandert waren. Dann übernahmen sie nach und nach die Vorherrschaft, bis sie eine dichte Wiese inmitten des Waldes bildeten.
Dieser Anblick war unerwartet.
Saya hatte zwar bisher nicht viele Wälder durchquert, doch eine Wiese war ihr darin nicht begegnet. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass diese doch sehr zierlichen Halme einen Weg durch die großmulchige Bodenbeschaffenheit fanden – ganz zu schweigen von dieser Masse.
Gleichzeitig schien es ein wenig heller um sie herum zu werden, obwohl der frühe Abend bereits angebrochen sein musste – ein mehrstündiger Weg lag nun hinter ihnen. Auch die wuchtigen Baumkronen an dieser Stelle des Waldes ließen nicht mehr Licht durch.
Dann erblickten sie es.
Es wirkte völlig ausgestorben und doch war es eindeutig.
Das Dorf der Waldelfen.
Sprachlos vor Staunen betrachteten sie die Szenerie, die sich ihnen eröffnete.
Was immer ihre Fantasie ihnen eingegeben hatte, nichts davon konnte sich mit der Realität messen.
Die intensivere Helligkeit erklärte sich durch eine kleine Lichtung im Zentrum des Dorfes, die, der breiten Feuerstelle nach zu schließen, Versammlungsort der Bewohner war. Statt Wiese und Pflanzen bedeckten an dieser Stelle Kies und Sand den Boden, schützten den Wald vor einem zerstörerischen Brand.
Ein schmaler, aber sehr lebendiger Fluss schlängelte sich zwischen den Bäume des Dorfes hindurch und mündete in einem ansehnlichen, von glatten Felsen eingefassten See, der die Wasserversorgung ausreichend sicherte.
Zwischen See und Lichtung ragte ein majestätischer Baum empor, dessen dunkler Stamm sich in seiner Breite mit einem Berg messen konnte. Zahllose weitere Grünpflanzen und blühende Obstranken wurzelten tief unter seiner Rinde und umwuchsen ihn in allen Farbschattierungen. Seine eigenen Wurzeln, dicker als alle Bäume des Waldes Birans, durchdrangen wie ein breites Netz Boden und See. An den niedrigsten Ästen baumelten Seile und Netze herab, die den Bewohnern Hilfestellung beim Erklimmen leisten sollten. In eine der Wurzeln direkt am Stamm waren treppenartige Vertiefungen eingearbeitet worden und ihm im Laufe der Generationen zur Natur geworden.
Diese führten zu einer plattformartigen Wucherung, auf der Stamm und viele kleine Häuser miteinander verschmolzen. Fenster im Stamm verrieten, dass die Behausungen im Inneren des Baumes fortgesetzt wurden. Auch weiter oben gab es immer wieder Bereiche, in denen Häuser wie Erker herauszuwachsen schienen.
Dort schien ein Großteil der Elfen zu leben.
Weitere Unterkünfte existierten auch noch viel weiter oben in anderen Bäumen, die den Riesen umgaben und zu dessen Ästen mit Brücken verbunden waren. Diese Unterkünfte jedoch befanden sich auf gebauten Plattformen in den Baumkronen, die Stämme unverändert. Wer die Brücken nicht nutzen wollte, dem standen Lianen, Seile und Netze zur Verfügung, die an jedem dickeren Ast befestigt waren.
Auf Grund gebaut war nur ein einziges, einsames Gebäude – welches gleichzeitig ihnen am nächsten war.
Es stand am Rand des Dorfes, abseits der Stellen, die das Leben ausmachten, und wirkte dadurch etwas fehl am Platz.
Auch Form und Material wirkte ungewöhnlich im Vergleich zu den aus leichten Holzbrettern und Reisig gefertigten Hütten oder den Stammwohnungen.
Es war um einiges größer als die anderen Behausungen, besaß zwei Stockwerke – das obere mit einem kleinen Balkon – und hatte die Form einer Meeresschneckenschale. Sein Grundgerüst bestand aus einem ungeordneten Wirrwarr verschiedener Wurzeln, die sich ineinander verschlungen hatten. Um diese zu Wänden zu verbinden, waren heller Ton, Äste und Unmengen Rinde verwendet worden, die das Dachmaterial bildete. Einige fensterartige Aussparungen an den Seiten ließen Licht ein, ohne die surrealistische Wirkung zu schwächen. Unterhalb des Balkons gab es einen flach eingezäunten Bereich, in dem die verschiedensten Pflanzen wuchsen – ein Kräutergarten war eine naheliegende Vermutung. Außerdem hingen und standen in wahlloser Anordnung Tonkübel mit weiteren blühenden Gewächsen am Haus. Ein wenig entfernt schließlich sahen sie auch noch einen sorgfältig gepflegten Obst- und Gemüsegarten, der aber zu klein war, um das Dorf ausreichend zu versorgen. Wahrscheinlich gab es irgendwo noch weitläufigere Anlagen von Nahrungsbepflanzung.
Um vom Dorfkern zu diesem Gebäude zu gelangen, musste eine kleine gebogene Brücke überquert werden, da an dieser Stelle der Bach Wald und Dorf trennte.
Und genau darauf steuerte die Elfe zu.
Ähnlich wie das Dorf wirkte es seltsam verlassen, und Saya fragte sich, wohin die Bewohner alle verschwunden waren.
Waren sie über ihre Ankunft informiert worden und geflohen?
Verbargen sie sich vor ihnen?
Oder war ihnen etwas zugestoßen, von dem ihre Führerin nichts wusste?
Aber nein, das glaubte sie nicht. Nichts an der Waldelfe drückte Irritation oder Verwunderung aus. Sie wirkte, als wäre alles vollkommen alltäglich.
Unbeeindruckt von der stillen Umgebung begab sie sich mit den Gefährten an das Haus und klopfte energisch gegen einen der Kübel, dessen klingender Laut eine angemessene Reichweite entwickelte.
Ein Schlag gegen die ungewöhnliche Wandbeschaffenheit jedenfalls wäre gänzlich vergebens gewesen – außer man legte keinen gesteigerten Wert auf intakte Hände.
„Karna!“, rief sie mit erhobener Stimme, und die anderen zuckten zusammen, als sie nach Stunden gedämpfter Waldlaute und stoischen Schweigens mit der unerwarteten Lautstärke konfrontiert wurden.
„Ich bin hier!“ Die klare Stimme kam von der anderen Seite des Hauses, gefolgt von den knackenden Lauten brechender Äste, die verrieten, dass sich jemand näherte.
Ihre Führerin bedeutete ihnen mit einer knappen Geste zu verharren, also blickten sie alle erwartungsvoll in die Richtung, aus der sie die lauter werdenden Geräusche vernahmen.
„Robin, bist du das?“, erklang die Stimme ein weiteres Mal außer Sichtweite. „Ich hätte dich nicht so bald zurück… Oh!“ Karna bog um die Ecke und stockte beim Anblick der Fremden, der sich ihr darbot.
Aber nur kurz.
Die Überraschung verschwand beinahe augenblicklich aus ihren Zügen und wich einer ruhigen Gelassenheit, als sie sich ihrer Führerin – Robin – zuwandte.
„Was führt dich zu mir?“
„Du hast Besuch.“ Robin schockierte alle – einschließlich Karna – damit, dass sie sich mit diesen Worten verabschiedete und ohne weitere Erklärung im Wald verschwand.
Einigermaßen fassungslos blickten sie sich gegenseitig an.
Schließlich war es Karna, die mit einem anziehenden Lächeln die Sprachlosigkeit beendete. Im tiefen Wiesengrün ihrer Augen spiegelten sich Humor und Verständnis.
„Ich glaube, ich muss mich für Robins Verhalten entschuldigen. Als Hüterin des Waldes ist sie es nicht gewohnt, dass ihre Entscheidungen widerrufen werden. Und wie es den Anschein hat, seid ihr aufgrund einer Anordnung des Waldes hier, mit der sie nicht unbedingt einverstanden war. Ihre Aufgabe ist es, die Gesetze des Waldes zu achten und ihre Einhaltung zu fordern. Sie vermitteln im direkten Kontakt zwischen Wald und Waldelfen. Niemand steht diesem Ort näher als seine Hüter – es ist eine besondere Verbindung.
Und große Fürsorge beinhaltet eben gleichzeitig auch große Sorge. Robin war gezwungen, diese zu unterdrücken, als sie euch hierher führte – das ist niemals leicht. Und eure Konstellation – so ich sie richtig deute – ist leider dazu angedacht, Befürchtungen um das Wohlergehen des Waldes zu nähren.“
Die Elfe sprach freundlich mit einem warmen Unterton, ihre Miene war frei von Misstrauen – sehr zur Verwunderung der Gefährten. Sie betrachtete die Neuankömmlinge mit dezentem Interesse.
„Wenn ich Robins spärliche Worte richtig verstanden habe, seid ihr auf der Suche nach mir: Ich bin Karna.“
Auch Karna war eine ausgesprochen ansehnliche Erscheinung. Wenn auch nicht von derselben Schönheit wie Robin, war sie doch von auffallender Außergewöhnlichkeit für eine Waldelfe.
Sie war ein wenig kleiner als Robin, eher von Sayas Größe, aber von ebenso weiblicher Kontur – vielleicht sogar etwas ausgeprägter. Und sie wirkte erheblich jünger, soweit die zeitlos jugendlichen Gestalten der Elfen solch ein Urteil zuließen. Was sie aber von allen anderen Waldelfen, denen die Gefährten zuvor begegnet waren, unterschied, waren ihre Haare. Vergleichbar mit den zahlreichen rotbraunen und braunen Farbschattierungen der Stämme und Äste waren die Waldelfen in der Lage, gemeinsam mit der an die Natur angepassten Kleidung, mit der Waldumgebung zu verschmelzen.
Nicht so Karna.
Ihre Gewandung wurde dieser Fähigkeit zwar gerecht.
Ihr Baumwollkleid entsprach dem tiefen Grün der Nadelbäume. Asymmetrisch geschnitten, gab es vorne den Blick auf wohlgeformte Unterschenkel frei, die nicht durch die üblichen Lederstiefel verborgen waren. Stattdessen trug sie weiche Mokassins, die lediglich mit dünnen Lederschnüren um die Knöchel gebunden worden waren. Das Kleid selbst war eher schmucklos: Am spitzen Ausschnitt war eine weite Kapuze angebracht, die ihr weit in den Rücken fiel, ihre Ärmel waren halblang und endeten in schleierartigen, geschlitzten Volants oberhalb der Handrücken. Einzige Besonderheit war die Gürtelung des Kleides mit breiten, hellgrünen Lederschnüren, die unterhalb ihrer Brüste begann und tief an ihrer Hüfte endete. Dort befanden sich auch kleine Lederbeutel und der unvermeidbare Dolch.
Aber ihre Haare würden an jedem Ort innerhalb des Waldes einen Blickfang bilden.
Sie schimmerten hellgolden in der Farbe reifer Ähren. Lockere Flechten durchzogen in wahlloser Unordnung ihr Haar und trafen sich zu einem dicken, seitlich geflochtenen Zopf, der über ihre Schulter nach vorne fiel. Ein breiter Reif aus Blättern steckte oberhalb ihrer Stirn in ihrem Haar.
Die Elfe ließ die ausführliche Musterung geduldig über sich ergehen. Einzig in ihrer Haltung lag eine stumme Aufforderung, sich ihrerseits vorzustellen. Mit sicherem Instinkt blickte sie zu diesem Zweck auf Kaeli.
Und Kaeli war sensibel genug, die implizite Botschaft zu verstehen. Sie erwiderte das offene Lächeln der Waldelfe und trat einige Schritte vor.
„Wir grüßen Euch, Karna. Ich bin Kaeli und meine schweigenden Freunde hier“, sie wies kurz auf jeden Einzelnen, „Saya, Cecil, Arn.“ Saya nickte Karna zu, die beiden Männer deuteten eine Verbeugung an. Karna erwiderte die Geste mit freundlicher Höflichkeit.
„Bitte keine Förmlichkeit. Wir Elfen geben darauf nichts und sind es auch nicht gewohnt“, meinte sie, bevor Kaeli weiter reden konnte. Das Mädchen reagierte mit einem erleichterten Nicken.
„Gut, denn ich tendiere dazu, diese Form der Anrede immer wieder zu vergessen. Und niemand mag sich schlechtes Benehmen nachsagen lassen.“
Karna lachte leise auf, es klang sehr angenehm.
„Na dann, Kaeli“, sagte sie belustigt und zwinkerte ihr verständnisvoll zu. „Fühl dich von dieser Gefahr befreit.“
„Ich bin froh, dich anzutreffen“, setzte Kaeli viel entspannter fort. „Wir sind hierhergekommen, um den Ratschlägen von Maya und Gareth Folge zu leisten. Sie beide sind überzeugt, dass du – oder Chaez – uns helfen könnt.“
„Moment mal. Ihr habt Maya getroffen? Und ihr wart in Biran?“ Diese Mitteilung verursachte einige Aufregung in der Elfe. Atemlos blickte sie die Gruppe an.
Kaeli nickte bestätigend.
„Nicht nur – wir haben einen langen Weg hinter uns, der uns schlussendlich hierher geführt hat. Aber ja, wir waren sowohl in Resus bei Maya und Cedric als auch in Biran bei Sanjo und Gareth.“
„Sanjo …“ Offensichtlich kämpfte Karna mit sich, die Frage auszusprechen, aber ihr zwingendes Gefühl ließ sich nicht unterdrücken und drängte an die Oberfläche. „Wie geht es ihr?“
Diese Reaktion auf ihre Mitteilung, Sanjo begegnet zu sein, hatten sie erwartet. Nicht aber Sayas Bereitwilligkeit, die Beantwortung zu übernehmen.
„Es geht ihr gut. Gareth und sie hoffen, dass ihre Zeit der Sorgen und Einschränkungen vorbei ist. Ich glaube, dass diese Hoffnung berechtigt ist.“
Karna sah sie aus großen, forschenden Augen an. Es war ihr anzumerken, dass unzählige Fragen in ihrem Geist schwirrten, während sie gleichzeitig die Wahrheit in Sayas Blick suchte.
Und fand.
Mühsam zügelte sie die innere Erregung, aber es brauchte einige Zeit, bis sie sich so weit gesammelt hatte mit ruhiger Stimme zu sprechen.
„Zu gern würde ich sofort alles über eure Treffen mit meinen Angehörigen erfahren“, begann sie noch etwas heiser. „Aber ich werde mich in Geduld üben. Eure Anwesenheit hier hat einen Grund – einen, der die Unterstützung meiner Angehörigen fand – und nicht zu vergessen, die des Waldes.
Wir werden später Zeit finden, über das Ergehen meiner Familie zu reden. Diesen Bericht wird auch Chaez hören wollen, und ich möchte nicht, dass ihr euch getrieben fühlt, weil ihr euer Anliegen an uns noch nicht vorbringen konntet.
Euch muss sehr viel an unserer Hilfe liegen, wenn ihr dafür sogar die Gefahr eingeht, die Gebote Paxias zu überschreiten und diesen Ort aufzusuchen. Und ich hoffe, wir enttäuschen die Erwartungen Mayas und Gareth’ nicht und es liegt wirklich in unserer Macht, euch zu helfen.
Was also führt euch zu uns?“
Die eintretende Unruhe machte es den Gefährten unmöglich zu antworten.
Zuerst nur das Knacken zahlreicher Schritte aus undefinierbaren Richtungen, schwoll es schnell zu einem murmelnden Stimmenwirrwarr an.
„Was geht hier vor?“ Alarmiert bewegte Saya sich suchend im Kreis, konnte aber noch nichts erkennen.
Dennoch, die Laute näherten sich eindeutig. Auch die anderen zeigten sich zunehmend verunsichert.
Bilder einmarschierender Krieger nach Biran waren noch zu lebendig in ihren Köpfen. Und auch bei dieser grauenbehafteten Schlacht hatte alles mit anschwellenden Geräuschen begonnen.
Karna beruhigte sie ein wenig verwundert.
„Keine Sorge. Es sind die Dorfbewohner auf ihrem Nachhauseweg. Wir haben Beerenerntezeit, das heißt, es wird bei Tagesanbruch ausgeschwärmt, gesammelt und bei Abenddämmerung die Rückkehr eingeleitet. Waldbeeren sind so ziemlich das Einzige, was wir nicht selbst züchten, sondern der Natur überlassen. Ihre Reife ist für uns immer wieder ein abwechslungsreiches Ereignis, da wir so Gelegenheit haben, in die Tiefen des Waldes vorzudringen.
Meistens beteiligen sich sämtliche Bewohner bei der Suche – von mir abgesehen.“
Die Gefährten entspannten sich.
Nun endlich kamen auch die ersten Heimkehrer in Sicht, die mit Körben beladen erst das Vorratslager und dann ihre Behausungen ansteuerten. Ihre Geschwindigkeit und Wendigkeit, mit der sie dabei Bäume und Seile erklommen, waren beachtlich – als hätten sie Klettern vor dem Laufen gelernt.
Wahrscheinlich war dies auch so.
Von den Besuchern nahm keiner wirklich Notiz – sie standen an Karnas Haus auch viel zu weit abseits, um ohne Absicht bemerkt zu werden.
Dennoch konnte sich keiner der Gefährten vorstellen, dass die Anwesenheit von Fremden lange unbekannt bleiben würde. Diese Waldelfen lebten seit Anbeginn Paxias Geschichte unter sich. Der vom Wald legitimierte und geforderte Besuch der vier musste einiges Aufsehen erregen.
Und wenn es nur fehlende Akzeptanz und Unverständnis wie bei Robin war.
Zwei männliche Gestalten stachen aus der Gruppe durch ihre blonden Haare hervor – und sie bewegten sich ruhigen Schrittes in ihre Richtung, beide in ihr Gespräch vertieft.
Sie waren von gleicher Größe und ähnlicher Statur.
Der kräftigere von beiden war in verschiedene Braunschattierungen gekleidet, trug aber die typische Elfentracht: Vom hellbraunen Kurzarmhemd, über den dunkelbraunen Wildlederwams bis hin zu Kniehosen, Stiefeln und den kurzen Armschonern im gleichen Material. Quer über die Brust hatte er eine Tasche geschlungen, in der offenbar seine erbeutete Nahrung verstaut war. Seine zotteligen, in alle Richtungen abstehenden Haare waren identisch mit Karnas ungewöhnlichem Farbton und verbargen die charakteristischen Spitzen der Ohren nicht.
Bei dem anderen Mann waren diese nicht zu sehen. Seine Haare waren länger und erheblich heller – ebenso seine Kleidung, die in der Kombination aus weiß und dunkelgrau nichts mit den üblichen Naturtönen zu tun haben wollte.
Irritiert kniff Saya die Augen zusammen, als eine unbestimmte Ahnung in ihr emporkroch.
„Iain!“ Mit diesem freudigen Ausruf, der eine Welt der Erleichterung verriet, stürzte Cecil auf den Freund zu.
„Cecil!“ Iain war nicht weniger begeistert seinen Freund seit Kindertagen wiederzusehen. Er erwiderte dessen Umarmung.
Seine Unterarme umfassend, schob er ihn schließlich von sich.
„Dich hätte ich am allerwenigsten erwartet, hier anzutreffen. – Aber ich bin froh, dass es so ist. Ich habe gefühlt halb Paxia nach dir abgesucht.“
„Ich ebenso“, war Cecils breit grinsende Entgegnung, womit auch Iains Humor über den Überschwang seiner Gefühle siegte. „Dann müssen wir beide uns in der falschen Hälfte bewegt haben.“
„Irrtum.“ Cecils Lächeln vertiefte sich noch weiter. „Nur einer von uns.“
„Stimmt“, entgegnete Iain mit wetterleuchtenden Augen und dann beide: „Du!“ Sie lachten, und Iain spürte wie Bergeslasten von ihm abfielen. Auch wenn sein Freund durch die Unsterblichkeit geschützt war, so war seine Sorge um diesen doch mit jedem Tag, an dem dieser unauffindbar geblieben war, größer geworden. Er hatte in jüngerer Zeit zu viel von dem verloren, was ihm wichtig war – manches davon ohne rationale Erklärung. In der Verzweiflung seiner unerwarteten Verlassenheit, war er lange umhergeirrt, nicht wissend, was oder wen er genau suchte. Cecil oder …
Als Chaez, der Waldelf, den er diesen Tag auf seinem Weg begleitete hatte, um mehr über diesen Wald und seine Bewohner zu erfahren, das Warten auf Vorstellung an seiner Seite aufgab und sein Haus ansteuerte, wurde Iain sich allmählich wieder seiner Umgebung bewusst. In der Absicht, sein Versäumnis nachzuholen, wandte er sich dem Haus seiner Gastgeber zu.
Und der Gruppe, die dieses umrundete.
Er erkannte sie sofort.
„Saya“, murmelte er halblaut.
Dann kam Leben in seine Gestalt und mit einem weiteren, diesmal lauteren: „Saya!“ überwand er seine Schockstarre und trat voller Begeisterung auf sie zu, ergriff ihre Hände, ohne nachzudenken. Auch seine Wortwahl beachtete er nicht. Er musste loswerden, was ihm seit langen Wochen auf der Seele brannte.
„Ich kann es nicht fassen, dich wiederzusehen. Ich wachte auf und du warst verschwunden – spurlos. Als hätte es dich nie gegeben. Niemand konnte oder wollte mir sagen, was mit dir geschehen ist.
Wie ist dir die Flucht gelungen? Wie konntest du …?“
„Genug, Iain!“, wiegelte Saya seinen zutiefst erregten Redeschwall barsch ab. „Ich gestehe dir nicht das Recht zu, diese Fragen an mich zu richten. Schlimm genug, dass auch du es als Flucht bezeichnest und ich mich so weit entwürdigen musste, diese anzutreten, statt erhobenen Hauptes dein Reich zu verlassen.“
„Ich bin sicher, deine Würde ist unangetastet. Und deinen Kopf kann niemand als du selbst beugen“, meinte er leise.
Iain begriff seinen Fehler augenblicklich und doch zu spät. Er hatte seinen Gemütsregungen uneingeschränkt nachgegeben, ohne zuvor innezuhalten und nachzudenken.
Gefühlsausbrüche dieser Art waren nichts, was sie schätzte – im Gegenteil –, und er hatte sein Wissen, wie ihr ungezähmter Charakter zu behandeln war, komplett außen vor gelassen.
Dies war eine Ungeschicklichkeit, die er nicht wiederholen sollte.
Im aggressiven Schimmer ihrer Augen erkannte er, dass sie noch nicht bereit war, einen normalen Umgangston aufzunehmen, und schwieg.
Nicht so Cecil.
„Ihr kennt euch?“ Fassungslosigkeit lag in jeder mühsam ausgesprochenen Silbe.
Während Chaez von Karna ein wenig beiseite gezogen wurde, um ihn über die herrschende Situation aufzuklären, hatten die anderen in atemlosem Erstaunen die leidenschaftliche Begrüßung der beiden verfolgt – wenn auch die Form der Leidenschaft bei jeder Partei eine andere war.
Saya wirkte, als hielte sie mit äußerstem Widerwillen eine handgreifliche Auseinandersetzung zurück – ihre Fäuste ballten sich verkrampft und ihre Haltung bewies Kampfbereitschaft. Nichts an ihr drückte Wiedersehensfreude aus.
Iain dagegen schien eher voll unbändiger Begeisterung, der er nur zu gern in einer festen Umarmung Luft machen wollte. Er hatte sich ein solches Treffen definitiv innig herbeigesehnt und verbarg dies auch nicht. Aber es war auch Vorsicht in seiner Miene zu erkennen, eine gewisse Behutsamkeit in dem Bewusstsein, ihre wütende Ablehnung besänftigen zu müssen, um an sie heranzukommen.
Er beantwortete Cecils Frage, ohne den Blick von Saya zu lösen. Er vermochte dies nicht. Die Unendlichkeit in ihren Augen bannte ihn. Es war ein Anblick, den er schmerzlich vermisst hatte.
„Ja, das tun wir. Saya war einige Zeit Gast in meinem Reich unmittelbar nach ihrer Ankunft auf Paxia. Sie hatte sich von einer Verletzung erholt und verschwand dann buchstäblich bei Nacht und Nebel. Ich hatte ihr angeboten, sie zu begleiten – als ihr Führer durch Paxia. Sie hielt mich offenbar für ungeeignet, denn am nächsten Morgen war sie fort. Unauffindbar – bis jetzt.“ Iain war nicht in der Lage, den leisen Vorwurf aus seiner kurzen Erklärung herauszuhalten. Die Erinnerung daran war frisch genug, dass der nagende Schmerz in ihm noch nicht hatte weichen können.
„Wie hättest du mich auch finden sollen?“, konterte Saya erbost. „Das war genauso unmöglich wie deine Begleitung. Ich hatte zu keiner Zeit die Absicht, bei Tag zu reisen.“
Iain hätte ahnen können, dass sie direkt genug war, ihm seine Nachtblindheit vorzuwerfen. Doch wenn er die Herkunft ihrer Gefährten richtig deutete, wäre er damit nun wirklich nicht allein gewesen.
Dieser Gedanke stand lesbar in seiner Miene geschrieben, als er mit verschränkten Armen die Brauen hob und Saya mit stummem Vorwurf musterte.
Aber sie war auch noch nicht fertig.
„Glaube mir, das war nicht der einzige Grund – nicht einmal der entscheidende. Ich hätte dich niemals als Begleitung akzeptiert. Wie denn auch? Du hattest doch nichts anderes im Sinn, als meine Unfähigkeit des Fliegens zu deinem Vorteil zu nutzen. Diese Schwäche hatte mich im Moment meiner Gesundung zu einer Gefangenen gemacht, die sich deinen erpresserischen Versuchen, dich mir und meiner Mission aufzuzwingen, unterzuordnen hatte.“
„Ich hätte nie gedacht, dass du mein Verhalten so siehst.“ Iain war tief betroffen von ihrer Sicht und ehrlich genug, ihr nicht zu widersprechen, was seine Absichten betraf. Er hatte sich seinerzeit wenig Gedanken über seine Handlungsweise und ihre Auswirkungen auf Sayas Gemüt gemacht. Sein Gefühl, an ihrer Seite bleiben zu müssen, war übermächtig gewesen. Doch nun, einmal ausgesprochen, begann er zu verstehen – und zu bereuen.
Stille breitete sich in der kleinen Gruppe aus.
Doch es dauerte nicht lange an.
Cecil nutzte das Schweigen, von Iain zu erfragen, was er im Wald machte.
Es war ein abrupter Themenwechsel, der in seiner Fähigkeit, Ablenkung herbeizuführen, dankbar angenommen wurde.
„Meine Anwesenheit hier ist reiner Zufall“, erwiderte Iain mit einem hilflosen Heben seiner Schultern. „Vor einigen Tagen verlor ich beim Fliegen die Kontrolle und bin buchstäblich abgestürzt – mitten im Wald.
Karna hier fand mich, während sie Kräuter sammelte, und brachte mich mit Hilfe ihres Gemahls in ihr Haus. Meine Blessuren waren nicht ernst, mussten aber versorgt werden.
Ich verdanke es Karna, dass ich schon wieder auf den Beinen bin. Sie ist eine fähige Heilerin.
Der Verlust meiner Flugfähigkeit jedoch scheint von dauerhafter Natur.“
„Diese Nachricht überrascht mich nicht“, murmelte Cecil mit leichter Ironie und erntete ein zustimmendes Nicken seitens Saya, Arn und Kaeli.
Ihre Einvernehmlichkeit machte Iain stutzig.
„Gibt es etwas, von dem ich wissen sollte?“
„Du erstaunst mich, Diplomat.“ Sayas ganzes Wesen drückte ungeduldige Herausforderung aus. „Für beschränkt habe ich dich bisher nicht gehalten. Wir haben darüber gesprochen, deshalb weiß ich genau, dass dir das zunehmende Auftreten von Naturkatastrophen nicht entgangen ist. Und ich bin mir sicher, dass dir nicht weniger als mir selbst klar ist, dass all diese außerhalb der Kontrolle ihrer Reiche passiert sind.
Was dir eventuell noch an Information fehlt, ist, dass seit geraumer Zeit einzelne Reiche ihren völligen Machtverlust zu beklagen haben: So wie Kaeli aus dem Reich des Meeres oder Arn aus dem Reich des Feuers oder auch Cecil … und jetzt du selbst und deine Angehörigen.“
„Cecil?“ Iain richtete seinen fragenden Blick zögernd auf den Freund. Dieser nickte langsam.
„Sayas Zusammenfassung ist zwar nicht eben umfangreich, aber sie trifft den Kern genau. Das Wenige an Verbindung zwischen dem Wind und mir ist bereits seit Wochen durchtrennt. Ich habe niemals zuvor so häufig meine Füße gebraucht.“
„Die Lebewesen Paxias haben viel Leid erfahren in jüngerer Vergangenheit – und Gegenwart. Uns Elfen sind die Geschehnisse nicht entgangen. Immer wieder haben wir versucht, Kontakt zu Paxia aufzunehmen – vergebens bisher.“ Die besonnenen Worte des Waldelfen an Karnas Seite brachten das Gespräch zurück auf eine neutralere Ebene, und ihr Inhalt weckte die Aufmerksamkeit aller Gefährten. Immerhin war der Wissensaustausch mit den Waldelfen ihr erklärtes Ziel, in der Hoffnung, mehr über oder sogar von Paxia zu erfahren und endlich die dringend ersehnten Antworten zu erhalten.
Bedauerlicherweise schien diese erste Aussage nicht eben vielversprechend.
Aber keiner war willens, nach der kleinen Enttäuschung sofort aufzugeben und ihr Eintreffen als vergebens zu deklarieren. Sie wandten sich dem Elfen zu, bereit für jeden Austausch, der ihnen auch nur eine winzige Spur aufzeigen könnte.
Dessen verblüffend strahlendblaue Augen wanderten von den Gefährten in stummer Aufforderung zu Karna. Sie verstand seine Intention.
„Es scheint, wir sind schon mitten in dem Gespräch, weswegen ihr den Weg hierher auf euch genommen habt. Lasst uns eben noch einmal einen Schritt zurückgehen, damit wir alle wissen, mit wem wir es zu tun haben. Wer ihr seid, habe ich ihm eben schon mitgeteilt. Nun will ich das auch eben noch umgekehrt tun, bevor wir weiterreden.
Darf ich euch Chaez vorstellen, meinen Gemahl und Gareth’ und Cedrics Bruder.“
„Du bist Gareth’ Bruder!“, rief Kaeli in sprudelnder Unbeherrschtheit und lachte fröhlich auf. „Ich habe es bereits geahnt, da in Gareth’ Augen stets so viel Wärme stand, wenn dein Name fiel. Doch nachdem ich dir nun begegnet bin, wie hätte ich das wissen sollen? Ihr seht euch in keiner Weise ähnlich.“
Auch Chaez lachte, seine Augen funkelten mit derselben Lebensfreude, die auch in Kaeli steckte. Er trat an sie heran und tippte ihr spielerisch auf die Nasenspitze.
„Ich verrate dir ein Geheimnis“, meinte er leise mit verschwörerischer Miene und beugte sich zu ihr vor, dass nur sie ihn verstehen konnte, wenn er die gedämpfte Stimme beibehielt. Doch dies tat er nicht.
„Ich bin ihm auch in keiner Weise ähnlich.“
„Chaez“, mahnte Karna und zog ihn sanft am Arm zu sich zurück, was er bereitwillig geschehen ließ. Er bedachte seine Gemahlin mit einem unwiderstehlich verschmitzten Grinsen, dass sie Augen verdrehend den Kopf schüttelte. Aber sie konnte das amüsierte Lächeln nicht zurückhalten.
„Du solltest unsere Gäste nicht so in Verlegenheit bringen. Wenn sie Gareth kennengelernt haben, ist deine Art ein regelrechter Naturschock.“
„Schon gut, Karna.“ Kaeli strahlte noch immer. Sie freute sich, einer ähnlich lebensbejahenden Persönlichkeit gegenüberzustehen. Chaez’ Aura sprühte förmlich vor unerschütterlichem Humor und unverbrüchlichem Glauben an eine hoffnungsvolle Zukunft.
„Ich kann damit umgehen.“
„Da bin ich mir sicher.“ Chaez zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor Karna abermals das Wort ergriff und die Unterhaltung wieder in ernste Bahnen lenkte.
„Wie Chaez vor der wirkungsvollen Demonstration seiner Fähigkeit, andere aus dem Konzept zu bringen, bereits richtig festgestellt hat, gab es bislang keine Kommunikation zwischen Paxia und uns Waldelfen. Die letzte fand statt, lange bevor die ersten spürbaren Symptome eines drohenden Machtverlustes auftraten.
Aber auch der Wald hat geschwiegen. Bis heute.
Und seine erste Botschaft war die Anordnung, eine Gruppe Unbefugter hierherzuführen.
Unbefugte, die zufällig aus Reichen verlorener Macht stammen.
Unbefugte, die ganz offensichtlich den festen Vorsatz haben, diese Situation zu ändern.
Es würde mich nicht wundern, wenn eure Ankunft nun auch noch Paxias Schweigen brechen könnte.“
„Dann bleibt für uns also nur eines zu tun.“ Es waren Arns erste Worte seit der Begegnung mit Robin. Er hatte endlich seine Ruhe und pragmatische Art wiedergefunden. „Ich schlage vor, abzuwarten, ob Karna Recht behält. Vorerst haben wir ja nichts weiter zu verlieren als Zeit. Diese kann aber nur Gewinn versprechen, wenn wir sie sinnvoll nutzen.“
„Ich gebe dir Recht“, stimmte Saya ihm ohne zu zögern zu. In ihren Mundwinkeln erschien der Hauch eines Lächelns. „Abgesehen davon – eine Wahl haben wir ohnehin nicht. Der Rückweg erscheint nicht eben erfolgverheißend.“
„Welcher Rückweg?“ Kaelis mutwillige Frage brachte die Gefährten zum Schmunzeln – alle – auch Saya.
Ungläubig betrachtete Iain die Gelehrte. Er begriff weder, woher ihre so viel entspanntere Haltung im Umgang mit ihren Begleitern stammte noch ihre wie selbstverständlich respektvolle Art Arn gegenüber. In der Zeit seit ihrer Trennung musste viel geschehen sein – unendlich viel. Wie gern wäre er bei dieser Entwicklung dabei gewesen. Es fiel ihm nicht leicht, dieses Bedauern in sich zu verschließen. Doch leider war er sicher, dass Saya nicht allzu begeistert wäre, würde er dies ihr gegenüber in Worte fassen.
„Da ihr euch in eurer Entscheidung einig seid“, mischte Chaez sich ein, jeweils einen Arm um die Schultern Kaelis und des zutiefst verblüfften Arns legend, „bleibt doch vorerst bei uns. Unser Haus ist groß genug, wenn ihr ein Dach über dem Kopf braucht. Allerdings sind die Nächte mild, und wir Elfen bevorzugen es, oft im Freien zu übernachten, dem könnt ihr euch ebenfalls anschließen. Wie immer es euch gefällt.
Natürlich dürft ihr euch auch zu den Mahlzeiten eingeladen fühlen.“
Dieses mit fröhlicher, aber ehrlicher Herzlichkeit ausgesprochene Angebot nahmen alle dankbar und gerne an.