Читать книгу Restlöcher - Lena Müller - Страница 7

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Als es wieder hell wird, fährt Sando durch ein hohes Tor, fährt in den Hof und hält auf dem mageren Kies in der Einfahrt. Dieser Hof, eine Landschaft für sich. Eingefasst von Backsteingebäuden (Scheune, Wohnhaus und noch irgendein Gebäude, dessen Nutzung sich Sando nicht erschließt) und Backsteinmauern. Der Boden ein grasiger Untergrund, Pfützen, Unkrautbüschel, Erde. Sando geht einmal ums Auto und wehrt dabei einen zotteligen Hund ab, der aus der Scheune kommt und sich ihm freundlich wedelnd zwischen die Beine drängt. Sando orientiert sich Richtung Wohnhaus, vorbei an einem Lieferwagen, einem Anhänger. Vorbei an einer Feuerstelle, um die Sitzgelegenheiten stehen, Plastikstühle, Holzklötze, Getränkekisten. Eine rostige Wassertonne. Er bahnt sich einen Weg, der Hund ihm dicht auf den Fersen. Das Glas der Eingangstür hat einen Sprung, der Knauf hängt schief, und als er ihn dreht, greift der Mechanismus nicht. Ein Gefühl von Überforderung streift ihn. Kennt er, schiebt es weg, versucht es wieder. Die Tür öffnet sich, er steht in der Küche. Am runden Tisch in der Mitte des Raums sitzt Mili vor einer Kaffeetasse. Sie schaut ihn an. »Hallo.« »Hallo«, die Überforderung in seiner Stimme. Sie muss ihn gehört haben, warum sitzt sie da, als ginge es sie nichts an? Er ist den ganzen Weg gefahren, und sie kann nicht die zwanzig Schritte über den Hof machen, um ihn zu begrüßen?

»Willst du Kaffee?« Sie deutet auf die Kaffeekanne auf dem Tisch. Er nickt und setzt sich auf einen Stuhl, über dessen Lehne eine schaffarbige Wolljacke liegt. Mili steht auf, sucht eine saubere Tasse, findet keine, nimmt eine aus der Spüle, lässt Wasser darüberlaufen und gibt sie ihm. Er wirft einen skeptischen Blick in die Tasse und schwenkt sie durch die Luft, um sie zu trocknen. Sehnt sich schon nach seiner Küche, hatte er sich nicht geschworen, nie mehr aus schmutzigen Tassen zu trinken? Er schenkt sich Kaffee ein, von dem er auf den ersten Blick vermutet, dass er stark und bitter ist. Gibt zwei Löffel Zucker dazu und rührt um. Eigentlich trinkt er nie Zucker im Kaffee, aber nun scheint ihm jede Unterstützung willkommen. Mili hat sich wieder auf ihren Stuhl fallen lassen und betrachtet ihn ohne ein Wort. Müde sieht sie aus und etwas verquollen. Vielleicht nicht direkt verquollen, eher pausbäckig. Ist das eine Bezeichnung, die auf erwachsene Personen passt? Er berührt ihre Hand, die auf einer freien Stelle auf der Tischplatte liegt. Die Hand ist warm und rau. »Schön, dass du gekommen bist«, sagt sie und schaut auf die Uhr. Seufzt, zieht ihre Hand zurück und steht auf. »Ich muss mal wieder.« Lacht ihr Lachen, das er kennt, und das sie lacht, wenn sie mit den Gedanken schon bei der nächsten Sache ist. Steigt in die Gummistiefel, die unter dem Tisch stehen, geht durch die Tür und schlägt sie hinter sich zu. Er schaut ihr durch die gesprungene Scheibe nach. Leicht macht sie es ihm nicht. Er trinkt den Kaffee, nur lauwarm und viel zu süß. Steht dann auf und geht ihr nach.

Hitze schlägt ihm entgegen. Der Raum ist klein, trotzdem fällt es ihm zunächst schwer, sich zu orientieren. Ein Radio spielt laut, eine Art Nebel hängt in der Luft, Wasserdampf, Mehlstaub, Rauch. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums ein Backofen. Die Ofenklappe steht offen. Sando hat noch nie solch ein Feuer gesehen: Flammen drängen nach oben, wogen über den Steinboden des Ofens, Flammen, die von nirgends zu kommen scheinen, lang ausgestreckt, sich gegenseitig übertrumpfend, eifrig. Sando, vorsichtig, darauf zu. Mili an ihm vorbei, scheint überall gleichzeitig zu sein, wirft neue Holzscheite ins Feuer, das, wie sich herausstellt, hinter einer Klappe unter dem Ofen brennt. Gießt Wasser in den Trog der Knetmaschine, die einen Teig bearbeitet. Kommt vor einem Tisch zum Stehen, ihre Hände über der Arbeitsplatte aus Holz greifen nach Teigkugeln, die zwischen grauen Tüchern liegen. Leiber aus Teig, kleine, dicke Babys, denkt Sando, die dort liegen und aufgehen, dann in Milis Hände geraten und auf der mehligen Arbeitsfläche landen, plattgeklopft, gefaltet und zu länglichen Broten geformt werden. »Sando, du bist …«, Mili lässt die Worte im Raum stehen. »Was bin ich?« Sie grinst. »Im Weg. Du stehst im Weg.« Er lehnt sich an die Wand. »Ich bin stundenlang gefahren, weil du mich hier haben wolltest.« Er klingt vorwurfsvoll, möchte übertreiben. »Das zeigt, dass ich an die Liebe glaube. Das Problem ist nur, dass das niemanden interessiert.«

Sando schaut ihren Händen über der Tischplatte zu, ist berührt davon, wie vorsichtig sie die Brote wieder zwischen die Falten des Tuchs legt. Makellose Brote. Sando klopft sich auf den Bauch, über dem die Haut spannt wie die Haut der Brote auf den Tüchern. Sein glatter, schwerer Bauch. »Stell mal die Knetmaschine aus.« Sando findet den Knopf, den einzigen, drückt darauf, die Maschine steht still. »Nimm den Spatel. Der Teig kommt in die Wanne da.« Eine kurze Bewegung mit dem Kinn. Zögernd beugt sich Sando in den Trog, der ihm riesig erscheint. »Wasch dir die Hände.« Er wäscht sich die Hände. Schabt mit dem Spatel aus hartem Plastik am Rand, der Teig löst sich. Eine feuchte, zähe Masse am Boden des Trogs. »Mili, ich hab keine Ahnung, wie …« Wieder ärgert er sich über sie. »Trenn ein Stück ab, mit dem Spatel. Und krempel deine Ärmel hoch.« Er krempelt sich die Ärmel hoch, taucht die Hände in den Teig, der ihn umfängt, als wolle er ihn nie wieder loslassen. Kurz überlegt er, wie es wohl wäre, sich ganz in den Trog zu werfen, sich nackt dazuzulegen. Taucht den Spatel ein, bekommt ein Stück Teig zu fassen, hebt es in die Wanne. Schaut wieder in die Knetmaschine. »Wie viel ist das?« »Achtzig Kilo.« Sein Rücken schmerzt. Als er sich anschließend die Hände, die ganzen Arme wäscht, dreht er sich zu Mili, die hinter ihm weiter Brote formt.

»Schon toll.«

»Was ist toll?«

»Das hier, die Bäckerei, was ihr macht.«

»Jaja.«

»Mein ich ernst.«

Sando schaut auf seine Hände, weiche Hände mit viel Haut auf den Handrücken. Legt sie auf den Boden des Spülbeckens und lässt Wasser über sie laufen, bewegt die Finger, um die Seife aufzuschäumen. Nimmt die Gläser, die auf dem Tisch, auf der Fensterbank, auf der Ablage neben der Spüle stehen, Gläser mit Weinresten, Gläser mit Zucker- und Kaffeeresten, Gläser mit Lippenspuren, wäscht sie, spült sie unter klarem Wasser ab, nimmt zu heißes Wasser, verbrennt sich, trocknet sie ab, räumt sie in den Schrank. Wechselt das Wasser, verfährt ebenso mit den Tellern, den Tassen, den Schüsseln, dem Besteck. Rollt mit den Schultern. Schaltet das Radio ein, findet eine Zigarette, zündet sie an, zieht, ascht auf den Boden. Nimmt sich die Pfannen vor, kratzt mit den Fingern ölige Zwiebeln und Kartoffelreste vom gusseisernen Boden, spürt die aufgeweichte Haut an den Fingerkuppen, stellt sich vor, wie sie mit den öligen Zwiebeln und Krusten in den weit aufgespannten Müllsack fallen, seine weichen Finger. Wischt den Tisch ab, lässt den verkrusteten Herd einweichen, nimmt das Wasser mit dem Schwamm auf, raucht wieder, tritt die Kippe auf dem Fußboden aus, reißt die Tür nach draußen auf und fegt alles auf die Treppe zum Hof. Sieht auf der anderen Seite des Hofs Milis Silhouette in der Backstube, ihr konzentriertes Gesicht im Schein einer kleinen Lampe, sie starrt in den Ofen und beobachtet die Brote. Er ist müde, legt sich im kalten Wohnzimmer aufs Sofa.

An vielen Tagen: Der Fuchs entzog sich, nicht, dass er nicht da gewesen wäre, er war da, aber zwischen ihnen ein Graben, alles stob auseinander, der Fuchs umgeben von Menschen, ein normaler Tag, Sonne oder Wolken, Worte oder keine – und Sando, der diesen Zustand begriff, aber nicht aushielt, konnte seinen Ärger mit Händen greifen, nicht aber den Fuchs.

Sando wacht auf, es ist dunkel. Er stürzt aus dem Haus, wo ist sie, findet sie in der Backstube, die wie eine helle Insel in der Nacht liegt. Es riecht nach frisch Gebackenem, ein säuerlicher, trockener Geruch, der Sando unangenehm ist. Mili sortiert die Brote, die auf Rosten abgekühlt sind, legt Brote in Plastikkisten, stapelt die Kisten. Sie läuft präzise Linien durch den Raum, zieht ein gleichseitiges Dreieck, in dessen Mitte Sando steht, sich dreht, um ihr nicht den Rücken zuzuwenden. Immer knapp an ihm vorbei wuchtet Mili die Kisten, stemmt sie hoch, nutzt die Fliehkraft, begleitet die Flugbahn der Kisten durch den Raum, setzt ab. Beschreibt halbe Drehungen und Pirouetten. Hat leichte Füße und einen festen Griff. Mili mit den Händen zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Schiebt ihm eine leere Kiste vor die Füße. »Zwanzig von denen«, kurze Bewegung mit dem Kinn, »leg sie auf die Seite, nicht auf den Rücken, und nicht zu eng.« Die Brote sind goldbraun, prall, zu den Enden hin spitz zulaufend, die Kruste in der Mitte zu einer Rinne aufgeworfen.

Sando, anerkennend: »Wie schön sie sind.«

Mili: »Ja.« Packt weiter Kisten. »Gut für die Darmflora und das Karma. Die Bioladenkunden lieben unser Brot.« Mili tätschelt ein Brot. »Ein gutes, teures Brot. Wenn du gutes Mehl nimmst und gute Arbeitsbedingungen willst, keine zu langen Schichten, keinen Zeitdruck bei der Arbeit, wird alles teuer. Und dann können sich dein Brot nur noch Reiche leisten. Oder du verzichtest auf den Lohn und betreibst die Sache gleich ehrenamtlich. Dann stellt sich die Frage: Wovon leben?«

»Du meinst, es gibt das gar nicht, das schönere Arbeiten?«

»Naja. Erstens macht es den Rücken kaputt. Zweitens bekommt man eine Staublunge. Drittens macht es zu viel Arbeit und ist viertens nicht rentabel. Kann nie rentabel sein, ich hab es ausgerechnet.«

»Kein Ausweg, nirgends?«

»Aber wenigstens das richtige Brot. Natürlich mit Sauerteig.« Sie lacht. Er dann auch. Pfeift eine Melodie, die er noch nie gehört hat, während sie die restlichen Brote in Kisten packen.

Restlöcher

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