Читать книгу Leni Behrendt Classic 62 – Liebesroman - Leni Behrendt - Страница 3
Оглавление»Nur nicht so stürmisch, ich komme ja schon«, brummte Jonas, als die Flurglocke schon zum zweitenmal anschlug. Dann stolzierte er mit gravitätischen Schritten nach dem schmalen, engen Korridor, öffnete die Tür und fuhr zurück.
»Oh – der Herr…«, stammelte er verwirrt, »ich bitte um Entschuldigung.«
»Warum entschuldigst du dich denn?« fragte lachend der vor ihm stehende große blonde Mann.
»Weil ich mir so viel Zeit mit dem Öffnen ließ, Herr.«
»Ach so…«, lachte der Besucher noch lustiger, trat in den Korridor und packte den Diener bei den Schultern. »Tag, Jonas, altes Haus, wo ist meine Mutter?«
»Die Herrin hält ihr Kaffeestündchen.«
»Ah, so…«, meinte der Gast. Er durchmaß mit zwei Schritten den Korridor, klopfte an die letzte Tür und stand gleich darauf vor einer Dame, die an einem runden Tischchen saß und mit Behagen den geliebten braunen Trank schlürfte.
»Mutti!« rief der große Junge mit verhaltenem Jubel, stand mit einem langen Schritt vor ihr, hob sie wie eine Feder empor und drückte sie an sein Herz.
»Unband!« drohte die Mutter, als sie wieder auf ihrem Sessel saß. Helle Freude leuchtete ihr aus den Augen.
»Ach ja – schön ist es hier«, atmete der Sohn tief auf und streckte die langen Glieder, sich in einen Sessel niederlassend.
Jäh war das Strahlende, Leuchtende aus den blauen Augen gewichen. Der junge Mann sprang aus dem Sessel hoch, trat an das Fenster und starrte hinaus. Doch gleich darauf fühlte er eine leichte Hand auf seiner Schulter, fuhr herum und sah in die gütigen Mutteraugen.
»Jobst Oluf, ich weiß zwar nicht, was dir fehlt – du scheinst mir jedoch mutlos zu sein.«
Der düstere Ausdruck war aus seinem Antlitz gewichen, die Augen strahlten fast wie vorher. Mit einer zarten Gebärde umfaßte er der Mutter Schulter, drückte sein Gesicht in ihr duftiges Haar.
»Laß gut sein, Mami«, sagte er. »Ich selbst werde ja wohl bestimmt nicht untergehen. Doch du – der ich am liebsten die Sterne vom Himmel herabholen möchte…«
Die Mutter strich tröstend über den tiefgeneigten Kopf ihres Sohnes. »Jetzt wieder Kopf hoch, Junge«, ermunterte sie ihn. »Mutlosigkeit ist keine rühmliche Eigenschaft. Und außerdem bist du rücksichtslos, indem du mir den geliebten Trank entziehst, der jetzt kalt und schal geworden ist.«
Sie führte den Sohn zu dem Sessel zurück, auf dem er schon vorhin gesessen, nahm dann selber Platz und schenkte frischen Kaffee in die hauchdünnen Schalen.
»Nun erzähle, Jobst Oluf«, bat sie leise.
»Es ist mit wenigen Worten gesagt, Mutter – ich bin wieder einmal stellungslos.«
Die Mutter war gar nicht überrascht, sie hatte etwas Ähnliches zu hören erwartet. Es war ja auch nicht das erste Mal, daß er so vor ihr saß, ihr eine solche Eröffnung machte. »Und was war es diesmal, mein Junge?«
»Was wird es schon gewesen sein – Weibergeschichten«, war die kurze, aber erschöpfende Antwort. Und auch die überraschte die Mutter nicht, sie hatte auch die erwartet.
»Gattin…? Tochter…?« fragte sie ebenso kurz zurück.
»Beide…«, erwiderte er, und das klang nun schon humorvoll.
Auch Frau Hortense konnte sich der Komik dieser kurzen Antwort nicht verschließen und lachte amüsiert auf. Sie konnte es sich nur zu gut denken, daß dieser Mann den Frauen und Mädchen gefiel. Wen er mit seinen blitzenden Augen anstrahlte, den hatte er schon halb gewonnen. Und wen diese Augen anfunkelten – in Spott, Mißbilligung und Überlegenheit, der schlug unwillkürlich den Blick vor ihnen nieder.
So war es auch Herrn Wolle ergangen, auf dessen Gut er noch bis heute als Inspektor geweilt hatte, als er seinem Untergebenen klarmachte, daß er zu arbeiten hätte und nicht nach seiner jungen, hübschen Frau zu schielen. Hätte er es auf die Tochter abgesehen, das könnte er noch zur Not vertragen. Er wäre ja kein Unmensch, und er, Jobst Oluf Rave, ein schneidiger Kerl. Er hätte eben Anspruch auf eine Frau, die »klingende Werte« mit in die Ehe brächte und ihn so aus der mißlichen Lage risse, in der er sich augenblicklich befände.
Ganz in Eifer hatte sich der gutherzige, selbstgefällige Herr Neureich geredet und war in gelinden Zorn geraten, als er Spott und Geringschätzung in Augen und Mienen seines Inspektors las.
»Ach so – meine kleine Lia ist dem Herrn mit den großartigen Allüren nicht gut genug!« hatte er geschrien. »Unter diesen Umständen können wir beide nicht zusammen arbeiten, Herr Inspektor.«
Das hatte dieser auch sofort eingesehen, und zuletzt trennte man sich in aller Güte, und Herr Wolle hatte erklärt, daß es ein Jammer und eine Schande sei, daß die Dinge lägen, wie sie nun einmal lagen.
Alles das erzählte Jobst Oluf seiner Mutter, sprach mit so viel Humor, daß sie bei der launigen Schilderung mehr als einmal hellauf lachte.
Mit keinem Wort fragte die Mutter, wie weit er schuld daran sei, daß die Frauen und Mädchen sich überall in ihn verliebten. Sie war von seiner Ehrenhaftigkeit überzeugt.
*
Langsam und sicher hielt nun die Sorge Einzug in das kleine Heim. Jobst Oluf unterhielt die Mutter, hatte ihr auch die kleine Wohnung in dem Neubau gemietet. Die Räumlichkeiten waren sehr beschränkt, genügten jedoch für Frau Hortense und den Bedienten Jonas. Die Möbel gehörten eigentlich nicht in diese mehr als schlichten Räume und nahmen sich daher recht deplaciert aus. Sie erzählten eindringlich von einer fernen glücklichen Zeit.
Die Wohnung bestand aus Schlaf- und Wohnzimmer und einer schmalen Stube, in der Jonas hauste. Nun mußte er diese seinem Herrn einräumen und sich sein Bett allabendlich in der engen Küche aufschlagen, was er ohne Murren tat.
In den ersten Wochen ging auch alles gut und glatt. Herr Wolle hatte seinem Inspektor ein volles Jahresgehalt ausgezahlt, von dem sie nun leben mußten. Doch die kleine Summe ging mit beängstigender Geschwindigkeit zur Neige, und weiteres Geld war in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Denn so sehr sich Jobst Oluf auch um eine neue Stelle bemühte, er hatte immer negativen Erfolg.
Die Herren konnten es sich ja erlauben, wählerisch zu sein. Die meisten Landwirte waren gezwungen, sich bei der schlechten Konjunktur so viel wie möglich einzuschränken oder mußte ihre Güter selbst bewirtschaften. Und die, die sich noch einen Beamten leisten konnten, wählten bei dem Überfluß an Bewerbern selbstverständlich nur die, die ganz und gar ihren Wünschen entsprachen.
Und Jobst Oluf Rave sagte keinem der Herren zu, denen er seine Dienste anbot. Sie suchten einen Beamten, der Hand in Hand mit ihnen arbeitete und das Gut leitete – aber keinen mit dem Auftreten des vornehmen Weltmannes. Sie trauten ihm ganz einfach keine ernste Pflichterfüllung zu.
Es kam der Tag, an dem auch der letzte Rest des Geldes aufgebraucht war.
So mußte man daran denken, die wenigen Wertstücke zu veräußern, die noch aus besseren Tagen stammten.
Jobst Oluf, der schon länger als ein halbes Jahr ohne Stellung war, mußte nun einen bitter schweren Gang tun. Mußte sich von allerlei trennen, was ihm lieb und wert, von den beiden schweren Ringen, dem altgoldenen Zigarettenetui und der kostbaren Armbanduhr.
Mit zusammengepreßten Zähnen und zitternden Händen reichte er dem Juwelier die Stücke hin. Die kalten, forschenden Augen des Geschäftsmannes glitten über die Gestalt des Mannes hin.
»Die Dinge sind kostbar, mein Herr. Indes – ich bin nicht in der Lage, sie Ihnen abzukaufen. Heutzutage gibt niemand mehr so beträchtliche Summen für Schmucksachen aus, wie diese Stücke sie bringen müßten. Dazu weisen die Schmuckstücke noch ein Wappen auf – sind also durchaus persönlich. Vielleicht versuchen Sie es einmal in einer größeren Stadt, da kann es eher möglich sein, daß sich Liebhaber für derartiges finden.«
Damit war Jobst Oluf abgefertigt und mußte noch tief im Herzen zugeben, daß er froh darüber sein konnte, daß es so und nicht anders gekommen war. Auch die Mutter schien es lange nicht so niederzudrücken wie er angenommen, als er unverrichteter Sache nach Hause zurückkehrte.
Davon wurde ihre Lage allerdings nicht besser, und die Miete konnte nicht bezahlt werden, wofür es höchste Zeit war. Und als sich Jobst Oluf wieder zu einem schweren Gang anschicken wollte, um den Hauswirt zu bitten, ihnen die Miete zu stunden, da legte Jonas wie zufällig eine Quittung auf den Tisch, aus der zu ersehen war, daß diese bereits beglichen sei.
»Jonas – du hast doch nicht etwa von deinem Geld…?« fragte Frau Hortense mit versagender Stimme.
Doch der wehrte mit einer Handbewegung ab, als wäre diese Zumutung recht beleidigend für ihn. Schritt aus dem Zimmer, als lohne es sich gar nicht, weiter über die Sache zu sprechen.
Die Herrin starrte ihm nach und brach dann in fassungsloses Schluchzen aus.
Was Wunder, wenn Jobst Oluf über sich selbst, über die ganze Welt ergrimmte! Sich einen elendiglichen Schwächling schalt, der nicht einmal dazu imstande sei, seinen und der geliebten Mutter Unterhalt zu verdienen.
*
Wieder vergingen Wochen, und die drei Menschen in der kleinen Wohnung des Neubaus führten immer noch ein Leben voll Einschränkung und Not. Die tiefe Demütigung, die Mutter und Sohn empfunden, als ihnen zur Gewißheit wurde, daß sie von dem Geld des Dieners lebten, war einer stillen Resignation gewichen.
Hätten sie geahnt, daß Jonas schon längst die kleine Summe, die er bisher als Notgroschen auf der Bank gehabt, aufgebraucht hatte – und nun anfing, seine überflüssigen Kleidungsstücke an einen Trödler zu veräußern – ihr Entsetzen wäre grenzenlos gewesen!
Eben packte er wieder mit recht sorgenvoller Miene ein Kleiderbündel zusammen, um sich damit verstohlen zum Trödler zu schleichen.
Sehr befriedigt kehrte er eine halbe Stunde später von seinem heimlichen Gang zurück, die alten Kleider hatten mehr gebracht, als er zu hoffen gewagt hatte. Da konnte er einmal leichtsinnig sein und der Herrin einen Kaffee brauen, wie sie ihn so gern trank.
Er war eben im Begriff, in den Laden zu treten, der dem Neubau gegenüberlag, um Kaffee zu kaufen, als ihn eine Männergestalt seltsam fesselte. Dieser Mann hastete die Straße entlang und machte einen nervösen und gehetzten Eindruck. Er hielt einen Lodenmantel fest gegen die Brust gedrückt, der zu einem Bündel zusammengeballt war.
Vor dem Steinkasten blieb er stehen, sah sich hastig nach allen Seiten um, als fühlte er seine Verfolger auf den Fersen und verschwand dann in dem Haus.
Das alles kam Jonas ziemlich verdächtig vor. Ohne in den Laden zu treten, überschritt er schnell den Fahrdamm, eilte in das Haus – und blieb wie erstarrt stehen.
Denn soeben drückte der Fremde Jobst Oluf Rave das Bündel in den Arm, zog die Korridortür hinter sich zu und wollte eiligst davonhasten.
»Halt!« donnerte Jonas ihn an und versperrte ihm den Weg.
»Mein Herr – ich bitte Sie – lassen Sie mich durch!« bettelte der seltsame Fremde beschwörend. »Es hängt wirklich sehr viel für mich von diesem Augenblick ab. Folgen Sie mir, und Sie werden sehen, daß ich nichts Schlechtes im Schilde führe.«
Etwas in seiner Stimme rührte Jonas. Er wollte fragen, was das alles zu bedeuten habe, jedoch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Denn der Fremde hatte sich ganz plötzlich in einen sorglosen Herrn verwandelt, der mit ruhigen Schritten den beiden Menschen entgegenging, die soeben den Flur des Hauses betraten.
Die Dame schien aufgelöst vor Erregung, stürzte sich auf den lächelnden Mann und schrie wie besessen: »Wo hast du Baby?«
Die nachtschwarzen Haare, die dunklen Augen in dem tiefbrünetten Gesicht ließen darauf schließen, daß sie eine Ausländerin sei.
Ihr Begleiter schien ebenfalls kein Deutscher zu sein, doch der Herr, den Jonas nun seit Minuten kannte, war es auf alle Fälle.
»Was suchst du eigentlich hier, Grace?« fragte er mit lächelnder Ironie. »Was willst du eigentlich von mir? Ich an deiner Stelle würde mich hüten, in einem fremden Haus einen derartigen Skandal zu machen.«
Das schien die erregte Dame zur Besinnung zu bringen. Ihre Stimme klang nun leise und verhalten, als sie fragte: »Wo halten du meine Baby gefangen? Es müssen sein in dieses Haus, meine Baby!«
»Ja, gewiß – bei den Schneidersleuten oben ist es, bei denen ich soeben zur Anprobe war«, entgegnete er dreist und unverfroren.
Diese Sicherheit verblüffte die erregte Frau. Leise weinend wandte sie sich an ihren Begleiter.
»André – meine Baby«, schluchzte sie und lehnte sich an seine Brust, was dem Herrn anscheinend sehr peinlich war.
»Laß doch, Grace«, sagte er. »Ich habe dir doch gesagt, daß du das Baby nicht mitnehmen kannst. Wir müssen wirklich eilen, damit wir noch den Zug erreichen.«
»Ohne Baby ich nicht kommen mit«, schluchzte die Frau herzzerreißend.
»Das hättest du dir früher überlegen sollen, bleibe denn hier, und ich fahre ohne dich«, entgegnete der Herr nun reichlich unwillig.
»Sagst du, wo mein Baby ist?« zischte die Dame dem Herrn noch einmal drohend zu, der neben Jonas stand.
»Zu Hause«, war die erschöpfende Antwort. »Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja zur Polizei gehen und die Stadt und Umgegend nach Baby durchsuchen lassen. Vielleicht wird dir das Gericht dann noch einmal deutlich klarmachen, daß du jedes Recht an das Kind verwirkt hast.«
»Oh, du jämmerlicher Schuft!« keuchte sie, und die kleine Faust fuhr ihm unter die Nase. Da zog ihr Begleiter sie fort, zerrte sie aus dem Hause und nach dem Auto hin, das auf der Straße hielt. Als sie sich noch einmal umwenden wollte, stieß er sie ohne weiteres in das Auto hinein und schlug die Tür zu.
Der andere Mann war ihnen gefolgt, stand nun neben dem Auto, schaute in dessen Inneres und pfiff leise durch die Zähne.
»Oh, mein Freund ist ja auch darin.« Er verbeugte sich ironisch zu einer Gestalt hin, die neben dem Chauffeur saß.
Er sah dem Auto nach, bis es um die Ecke verschwunden war, und wandte sich dann an Jonas, packte dessen Arm und zog ihn in das Haus hinein.
»Kommen Sie, noch ist die Gefahr nicht vorüber«, flüsterte er ihm zu.
Kopfschüttelnd folgte er dem seltsamen Fremden, der nun mit wenigen Schritten vor der Tür der Raveschen Wohnung stand und wie besessen klingelte. Die Tür öffnete sich, und Jobst Oluf stand vor ihnen, immer noch mit rührendem Ungeschick das rätselhafte Bündel im Arme haltend.
Der Anblick war so komisch und rührend zugleich, daß der Fremde schnell die Tür hinter sich zuzog und dann in ein herzliches Lachen ausbrach.
»Mein Herr, wer Sie auch sein mögen«, sagte der Fremde immer noch lachend, »ich bin Ihnen jedenfalls zu großem Dank verpflichtet. Wenn Sie mir nun gestatten wollen, ein wenig bei Ihnen zu verweilen, dann will ich Ihnen alles erklären.«
Nun kam auch Frau Hortense herbei, die das Schrillen der Glocke aus dem Mittagsschläfchen gestört hatte. Einen Augenblick lang zögerte sie, doch dann zeigte sie mit einer einladenden Bewegung nach der Tür des Wohnzimmers und ließ den Herrn eintreten.
Jetzt erst sah der Fremde die Menschen an, mit denen er auf so seltsame Art bekannt geworden, und tiefes Erschrecken malte sich auf seinem hübschen, offenen Gesicht.
Er hatte geglaubt, bei Leuten zu sein, wie sie eben in derartigen Steinkästen wohnen. Erschrocken und sehr verlegen flog nun sein Blick über die kostbare Einrichtung des Zimmers, blieb an den vornehmen Gestalten von Mutter und Sohn haften.
»Verzeihung«, stotterte er fassungslos. »Ich dachte – ich glaubte – in solchem Hause.«
»Das tut ja wirklich nichts zur Sache, mein Herr«, sagte Frau Hortense ganz liebenswürdig. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Sie bot ihm einen Sitz an, den er auch sofort einnahm. Er war tief beschämt.
»Jobst Oluf, was hast du denn da?« wandte sich Frau Hortense lachend an den Sohn, der noch immer stocksteif dastand, das Bündel mit herrlichem Ungeschick hielt.
»Ich glaube, es ist etwas Lebendiges«, sagte er ebenfalls lachend.
Die Mutter trat zu ihm und lüftete den Mantel.
»Ein Kind!« rief sie dann verblüfft und schaute auf ein vielleicht zehn Wochen altes Kind, das fest schlief.
Es herrschte tiefe Stille in dem Zimmer, als sich Frau Hortense nunmehr dem Fremden zuwandte, der zerknirscht in seinem Sessel kauerte.
»Mein Herr, wollen Sie uns nicht erklären…?«
Er war so blaß und verstört, daß Jonas hinauseilte und gleich darauf mit einer Karaffe Wasser und einem Glas zurückkehrte.
Währenddessen hatte Frau Hortense das Kind von des Sohnes Arm genommen, schritt zum Sofa und bettete das Kleinchen warm und weich.
Das Wasser half dem Fremden wieder auf die Beine, und nun stand er vor Frau Hortense und Jobst Oluf, sich in tadelloser Weise vor ihnen verbeugend.
»Hans Heinrich Brandler«, nannte er seinen Namen und sah dann hoch, mit dem ihm eigenen treuherzigen Blick. Und er entwaffnete auch Frau Hortense.
»Nehmen Sie wieder Platz, Herr Brandler, und erklären Sie uns die Situation, die, wie Sie wohl zugeben werden, recht seltsam ist.«
»Ach ja«, atmete er erleichtert auf.
»Ich heiße Hans Heinrich Brandler, wie ich schon sagte, und bin Besitzer des Gutes Groß-Löschen, das fünf Kilometer von dieser Stadt entfernt liegt. Vor etwas mehr als einem Jahr heiratete ich eine Südamerikanerin, eine Pensionsfreundin meiner Base Manuela Brandler, die Besitzerin der Herrschaft Hohenweiden ist.
Meine jetzt von mir geschiedene Frau besuchte damals meine Base. Ich lernte Grace kennen, verliebte mich in sie, und schon acht Wochen später waren wir Mann und Frau. Wie übereilt diese Ehe geschlossen war, mußte wir sehr bald einsehen. Grace fühlte sich kreuzunglücklich in Deutschland.
Als nun vor einigen Monaten ein Geschäftsfreund ihres Vaters anlangte, um ihr Grüße von ihren fernen Eltern zu überbringen – da – na, kurz und gut – betrog sie mich mit ihm. Ich reichte selbstverständlich die Scheidungsklage ein. Es ging auch alles glatt, und wir hätten in Frieden auseinandergehen können, wenn Baby nicht gewesen wäre. Das Kind wurde mir vom Gericht zugesprochen – und da erwachten in Grace plötzlich Muttergefühle, die bisher niemals an ihr wahrzunehmen gewesen waren.
Ich hätte ihr das Kind auch gelassen, wenn ich sicher gewesen wäre, daß sie es liebte. Doch es war mir leider allzusehr bewußt, daß sie das Kind nur mit sich nehmen wollte, um mir weh zu tun.
Der Tag der Abreise wurde festgesetzt, die Karten für den Dampfer bestellt und am Abend vorher Abschied gefeiert – mit sehr vielen Tränen und obligater Rührseligkeit, so daß ich annehmen mußte, es täte Grace nun doch leid, von mir zu gehen.
Doch ich war wach – hellwach! Den größten Argwohn hegte ich gegen den Diener, den der Liebhaber meiner verflossenen Frau bei sich hatte. Ich wich daher nicht mehr von Babys Seite.
Es war kurz vor der Abfahrt. Ich saß am Bettchen meiner Kleinen, als ich Schritte hinter mir hörte. Ich fuhr herum – und sah in die tückischen Augen des Dieners, sah seine mageren, scheußlichen Hände nach meinem Mädchen greifen. Dann sah ich noch einen Lappen, dem ein ganz scheußlicher Geruch entströmte.
Nun begann ein lautloses, zähes Ringen; mein Jiu-Jitsu-Griff war ihm zum Glück nicht geläufig. So lag er dann bald betäubt am Boden. Ich ergriff mein Mädel, enteilte, hüllte Baby in das erstbeste Kleidungsstück, das ich fassen konnte, kurbelte meinen Wagen an und raste davon.
Meine kleine Schaukel konnte selbstverständlich nicht mit dem großen Wagen des Galans konkurrieren, und so dauerte es nicht allzulange, bis ich merkte, daß ich verfolgt wurde. Kurz entschlossen ließ ich meinen Wagen in dieser Straße stehen, rannte die Straße hinunter und stieß auf dieses Haus, drückte auf den ersten besten Klingelknopf und drückte mein Mädel in die ersten besten Arme.
So, nun konnte ich den Leutchen ganz seelenruhig unter die Augen treten. Bald wäre alles an der Gründlichkeit dieses Herrn gescheitert«, dabei zeigte er – nun schon ganz vergnügt – auf Jonas.
»Doch es ging besser, als ich annahm«, erzählte Brandler weiter. »Die liebevolle Mutter mußte abziehen. Rache im Herzen – und ich habe mein kleines Mädel – Gott sei Dank!«
Er seufzte tief auf, und sein zärtlicher Blick ging zu dem Töchterlein hin.
»Gnädige Frau – zürnen Sie mir?« fragte er dann die Hausfrau wie ein betrübter kleiner Junge, und sie mußte wiederum lachen.
»Herr Brandler, ich habe ganz gewiß kein Recht, Ihnen zu zürnen. Ich verstehe nur nicht, warum Sie nicht die Polizei zu Hilfe riefen.«
»Ach – die Polizei!« winkte er geringschätzig ab. »Bis die sich erst bequemt und etwas untersucht! Der Diener war aus zähem Material, er hätte einen zweiten Anschlag nicht gescheut und hätte hinter der Polizei hergelacht – den sicheren Raub im Arme.«
»Wenn Frau Grace es sich aber nun einmal in ihr Köpfchen gesetzt hat, das Kind zu bekommen?« ließ sich nun Jobst Olufs Stimme leise vernehmen. »Man kann den Diener ja unauffällig hier gelassen haben…«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, entgegnete Brandler, »und daher kann ich mein Kleinchen auch nicht mit mir nach Hause nehmen. Muß mich bemühen, ihm eine Unterkunft zu suchen, wo es geborgen ist.«
»Das wird nicht so einfach sein«, warf Jobst Oluf bedenklich ein.
»Ja, das weiß ich alles«, seufzte Hans Heinrich. »Wenn nur erst einige Wochen vorüber wären, denn länger dürften die Muttergefühle meiner ehemaligen Frau nicht andauern.«
»Lassen Sie das Kind hier, Herr Brandler«, sagte Frau Hortense, einer plötzlichen Eingebung folgend.
Zuerst begriff Hans Heinrich das Angebot nicht so recht; er sah Frau Hortense ganz verständnislos an, die ihm aufmunternd zunickte. Da sprang er auf, drückte ihre Hände in seiner impulsiven Art an die Lippen.
*
Nun begann in der kleinen Wohnung ein ganz anderes Leben. Das kleine Wesen, das so plötzlich in das beschauliche Dasein der drei Bewohner gefallen war, brachte eine tolle Verwirrung in diesen mit so peinlicher Sorgfalt geführten Haushalt.
Als Brandler nach einigen Wochen die Kunde brachte, daß mit Frau Grace und ihrem Gatten – das Paar war inzwischen auf dem Schiff getraut worden – auch der Diener gefahren sei, konnte man aufatmen. Und als nach zehn Wochen aus glaubwürdiger Quelle die Nachricht kam, daß sich Frau Grace bereits wieder Mutter fühlte, war jede Gefahr vorüber. Ihr Interesse für ihr Kind aus erster Ehe war nun wohl sehr gering.
Diese Kunde löste gemischte Gefühle aus. Brandler war glückselig, doch weniger Frau Hortense und Jonas. Selbst Jobst Oluf nahm die Nachricht nicht mit Begeisterung auf. Auch er hatte das süße Geschöpfchen liebgewonnen und sah es ungern scheiden.
»Nun werden auch die gemütlichen Stunden, die ich in diesem Hause verleben durfte, ein Ende haben«, sagte Brandler ehrlich betrübt. »Ich möchte Baby nun wieder zu mir nehmen – und was hätte ich dann hier wohl auch zu suchen?«
»Das hängt doch ganz von Ihnen ab, Herr Brandler«, tröstete Frau Hortense, und seine betrübte Miene hellte sich sogleich auf.
»Ich darf wirklich herkommen, sooft ich nur will, gnädige Frau?«
»Gewiß, mein junger Freund«, sagte sie herzlich. »Unsere Bekanntschaft – oder sagen wir ruhig Freundschaft – wurde unter so ungewöhnlichen Umständen geschlossen, daß sie nicht wieder enden darf. Außerdem muß ich unsere Didi oft sehen können, sonst sehne ich mich zu sehr nach dem süßen Kleinchen.«
»Wirklich?« strahlte Hans Heinrich. »Dann ist es auch nicht unbescheiden, wenn ich Sie bitte, Baby noch so lange zu behalten, bis ich eine gute, zuverlässige Pflegerin gefunden habe?«
»Ganz und gar nicht, Herr Brandler. Je länger Sie uns das Püppchen lassen, desto lieber ist es uns. Ich werde Ihnen auch helfen, eine gute Pflegerin zu finden.«
Deshalb hatte sie auch an einem Vormittag einen Gang unternommen. Jobst Oluf war wieder einmal auf der Stellungssuche, und so fand Hans Heinrich nur Jonas und Baby im Hause vor, als er eintrat.
»Pst – unser Kleinchen ist gebadet, schläft und möchte nicht gestört sein«, empfing Jonas den Besucher an der Korridortür.
»Jonas, Sie sind ein Prachtexemplar«, sagte er mit unterdrücktem Lachen. »Was können Sie eigentlich nicht?«
»Der Mensch muß alles können«, erwiderte Jonas mit Würde.
»Recht so«, lobte Brandler. »Doch wo ist die gnädige Frau, wo Herr Rave?«
»Die Herrin ist wegen der Pflegerin für Didi unterwegs und der Herr ist – nun – er hat eine dringende Angelegenheit zu erledigen.«
»Und was machen Sie nun?«
»Ich bereite das Mittagsmahl.«
»Recht so, alter Freund! Ich habe einen Bärenhunger und lade mich feierlichst zu Tisch.«
Er konnte es sich nicht erklären, warum Jonas auf einmal so verlegen wurde. Und als der Gast ihm gar in die blitzsaubere Küche folgte, war er vollkommen ratlos.
»Es schickt sich für den gnädigen Herrn doch nicht, hier in der Küche…«, wagte er einzuwenden, doch er lachte ihn aus.
»Schicken oder nicht, Jonas – mal kann man auch etwas tun, was sich nicht schickt.«
Und schon saß er auf der Küchenbank.
Er machte große Augen, als Jonas nun aus der kleinen Speisekammer Brot holte und dieses in einen Topf schnitt.
»Was wird denn aus dem Brot?«
»Das gibt, mit Milch gekocht, eine nahrhafte Suppe.«
Jetzt herrschte eine lähmende Stille in der Küche. Brandler meinte, ihm fielen plötzlich Schuppen von den Augen.
Da war er nun wochen-, nein, monatelang in diesem Haus ein und aus gegangen und hatte nicht einmal darüber nachgedacht, was für eine Beschäftigung Jobst Oluf eigentlich hat. Nun fiel es ihm allerdings ein, daß er fast immer zu Hause war – sollte er etwa stellenlos sein?
Herrgott – das war ja gar nicht auszudenken! Da hatte er sich hier immer bewirten lassen, hatte das Kind hier mehr als ein Vierteljahr in Pflege gelassen, ohne auch nur einmal an eine Vergütung zu denken.
Er stöhnte auf und war mit einem Satz bei Jonas. Er packte seine Schultern. »Jonas – so sagen Sie doch, um alles in der Welt, wird das das ganze Mittagessen Ihrer Herrschaft?«
»Meine Herrschaft hat früher bessere Tage gesehen«, antwortete er mit versagender Stimme.
»Und jetzt – Menschenskind, Jonas!«
Jonas sah die tiefe Erregung Brandlers, sein Blick irrte zur Seite. »Jetzt sind sie unverschuldet in Not geraten. Kein Geld – der Herr schon fast ein Jahr ohne Stellung.«
Die zitternden Hände Hans Heinrichs drückten Jonas auf einem Küchenstuhl. Er selbst blieb vor ihm stehen. »Was hat Ihr Herr für einen Beruf, Jonas?«
»Der Herr ist Landwirt. Und daß er tüchtig in seinem Fach ist, das brauche ich wohl nicht erst zu betonen. Er hatte auch schon ganz gute Stellen – doch die Weiber – die laufen ihm ja nach wie die Schafe und waren allemal daran schuld, wenn er bald seine Stelle verlor.«
»Ah so – und weiter, Jonas?«
»Weiter kann ich nichts verraten, gnädiger Herr. Es ist nicht meine Sache, über die Verhältnisse meiner Herrschaft zu sprechen.«
Brandler rannte in der Küche auf und ab; mit zwei Schritten war er sie allemal durch. Unermüdlich schritt er wohl fünf Minuten lang hin und her.
»Wenn ich daran denke, Jonas – daß ich Ihrer Herrschaft noch die Pflege des Kindes aufgehalst habe…«
Er hastete wieder in der Küche umher, machte dann aber plötzlich halt. »Jonas, ich kann nicht warten, bis die Herrschaften zurückkommen, ich bin zu erregt. Sagen Sie, ich wäre hier gewesen, hätte ihre Rückkehr jedoch nicht abwarten können.«
Ohne Jonas noch einmal anzusehen, hastete er nach dem Korridor, nahm Hut und Mantel und verließ die Wohnung.
*
Hans Heinrich Brandler hatte eine schlaflose Nacht, wohl die erste in seinem verwöhnten, sorglosen Dasein.
Gutmachen – nur gutmachen!
Doch wie? Diese stolzen Menschen konnte er doch unmöglich behandeln wie irgendwelche Almosenempfänger. Er konnte ihnen doch nicht einen Geldschein in die Hand drücken, als Vergütung für die Pflege des Kindes!
Er grübelte und überlegte, zerquälte sich das Hirn mit Gedanken und wußte doch keinen Weg, den er einschlagen konnte.
Immer wieder kam er auf den einen Gedanken zurück, den er zuerst gehabt. Er mußte Jobst Oluf zu einer Stellung verhelfen, bei seinen ausgedehnten Beziehungen mußte das glücken. Doch darüber konnten noch Wochen vergehen, und so lange konnte man nicht mehr warten.
Ja, daß ihm dieser Gedanke nicht gleich gekommen war!
Bis er für Jobst Oluf irgend etwas gefunden hatte, nahm er ihn nach Groß-Löschen. Die Beamtenstellen waren wohl alle besetzt und Jobst Oluf würde im Grunde überflüssig sein. Doch bis er das merkte, hatte er ihn sicherlich anderswo untergebracht.
Ganz ermattet war er, als er sich einigermaßen beruhigt niederlegte.
Zu gewohnter Stunde wachte er auf und fühlte sich hundeelend.
Sein erster Befehl galt der Wirtschafterin, die ihm heute einen extra prima Kaffee brauen sollte. Doch als er den ersten Schluck trank, wurde er sehr ungnädig. Die völlig verdatterte Wirtschafterin mußte antreten und bekam von ihrem sonst allzeit gütigen Herrn zu hören, daß sie es absolut nicht verstünde, einen guten Kaffee zu kochen.
»Gnädiger Herr, bis jetzt war mein Kaffee doch immer gut«, verteidigte sich das bejahrte rundliche Fräulein.
»Er war so lange gut, weil ich keinen wirklich guten Kaffee kannte. Doch jetzt – äh, lassen wir das!«
Der Gutsherr hastete aus dem Zimmer, die völlig konsternierte Wirtschafterin sich selbst überlassend. Sie war gekränkt, wirklich schwer gekränkt.
Davon nahm ihr Herr jedoch keine Notiz, als er eine Stunde später bei ihr in der Küche erschien. Seine schlechte Laune war wie weggewischt.
Noch vor wenigen Minuten hatte er, in schweres Grübeln versunken, in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch gesessen, die Blicke gedankenverloren umherschweifen lassen, bis sie an dem Schreibtischkalender haften geblieben waren.
»Didi heute ein halbes Jahr alt«, stand unter der großen schwarzen Zahl achtzehn. Ein kurzes Nachdenken – und schon eilte er nach der Küche und trat vor die Wirtschafterin hin.
»Fräulein Lottchen, packen Sie, bitte, einen ganz großen Korb mit den schönsten, appetitlichsten Sachen«, gebot er lachend. »In einer Stunde schicke ich den Chauffeur, der die Sachen abholen wird. Klein Didi wird heute nämlich ein halbes Jahr alt.«
Er strahlte sie an und verließ schnell die Küche, denn er hatte noch verschiedenes in der Wirtschaft zu erledigen.
Er ließ Fräulein Lottchen noch konsternierter zurück als vor einer Stunde. Daß sie einen solchen Korb zurechtmachen sollte, war ihr ja nichts Neues, aber was ein solcher Korb mit dem halbjährigen Geburtstage Babys zu tun hatte, das wollte ihr nicht in den Kopf.
Trotzdem wurde der Korb diesmal besonders reichhaltig und schön. Eigenhändig trug sie ihn zum Auto.
»Oho, unser Fräulein Lottchen bringt eigenhändig den Korb, da muß er wohl ganz besonders gut gelungen sein«, lachte der Gutsherr, der soeben in das Auto stieg. »Na, ich weiß ja, Fräulein Lottchen, Sie sind eine Perle, und die Groß-Löschener Küche wäre einfach aufgeschmissen, wenn Sie nicht wären.«
Das war wie Balsam auf die Wunde der Eitelkeit Fräulein Lottchens. Sie nickte sehr gnädig, war schon halb versöhnt, doch nur halb erst – o ja!
Das kümmerte den vergnügten Hans Heinrich herzlich wenig. Seelenvergnügt saß er im Auto und fuhr der Stadt zu. Dort besorgte er köstliche gelbe Rosen, erstand Spielzeug für das Töchterchen in Mengen und ließ sich mit diesen Schätzen zu der Raveschen Wohnung fahren, wo Jonas ihm in aller Würde die Tür öffnete. Als er den Chauffeur mit dem Korb voll Lebensmittel hinter Brandler stehen sah, ging ein tiefes Erschrecken über sein Gesicht, was Hans Heinrich nicht entging.
»Der Korb ist für Baby«, flüsterte er dem Diener beruhigend zu.
»Für Baby?« stammelte der verdutzt, so daß Brandler hellauf lachte.
Dieses fröhliche Lachen hörte Jobst Oluf, und er trat auf den Korridor hinaus, um den Gast zu begrüßen. Doch der hatte schon den Korb ergriffen, Spielsachen und Rosen obendrein und kam, mit dem allen bepackt in das Zimmer, wo die Hausfrau ihm mit großen Augen entgegensah.
»Wo ist Didi?« fragte er.
»Sie schläft, wie immer um diese Stunde«, entgegnete Frau Hortense.
»Schade – Baby wird heute nämlich ein halbes Jahr. Daher habe ich auch die Blumen, die Spielsachen und den Korb mitgebracht«, erklärte er und schleppte sein Angebinde der Hausfrau vor die Füße.
»Ja, aber was soll Baby denn damit?«
»Soll zuschauen – wenn wir – essen«, stotterte Brandler plötzlich sehr verlegen. Als er jedoch hinter sich das dunkle, frohe Lachen Jobst Olufs hörte, atmete er auf und lachte jungenhaft fröhlich mit.
Und was blieb Frau Hortense anders übrig, als mit einzustimmen?
Bald saß man in fröhlichster Stimmung um den Tisch und ließ sich die delikaten Dinge gut schmecken. Und während des Verspeisens einer köstlich zubereiteten Pastete, fragte Hans Heinrich scheinheilig: »Ihr Beruf läßt Ihnen sehr viel Zeit, Herr Rave, nicht wahr? Da sind Sie eigentlich zu beneiden.«
Er hielt beklommen inne, denn Mutter und Sohn wurden auf einmal seltsam still.
Frau Hortense war zuerst erblaßt. Jedoch sie antwortete tapfer: »Der Beruf meines Sohnes läßt ihm im Gegensatz zu Ihrer Annahme wenig Zeit – wenn er ihn ausübt. Er ist jedoch schon fast seit einem Jahr stellungslos.«
»Ah!« Es würgte Hans Heinrich etwas im Hals, und das Herz klopfte ihm wie ein Hammer in der Brust.
»Darf man den Beruf erfahren?« erkundigte er sich unsicher.
»Landwirt.«
»Aber da gibt es doch noch Stellen, Herr Rave!«
»Ich habe mich vom Gegenteil überzeugen müssen, Herr Brandler«, widersprach Jobst Oluf. »Es liegt vielleicht auch weniger an dem Mangel an Stellen, als an meiner Unzulänglichkeit als Inspektor.«
»Das verstehe ich nicht«, tat Hans Heinrich harmlos. »In Groß-Löschen zum Beispiel ist eine Stelle zu besetzen, und ich wäre froh, wenn Sie sie annehmen würden.«
»Sie haben eine Stelle zu vergeben, Herr Brandler?« fragte Jobst Oluf mißtrauisch.
»Allerdings, Herr Rave. Mein Oberinspektor ist ein Juwel, der Inspektor auch, desgleichen die beiden Volontäre. Doch es ist ein bißchen viel Arbeit für sie, es wäre noch eine Kraft nötig. Es ist allerdings kein leitender Posten, den ich zu vergeben habe, doch ich glaube, daß er trotzdem ganz angenehm ist. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Herr Rave, wenn Sie ihn annehmen wollten. Gerade heute ist es schwer, einen brauchbaren Beamten zu finden.«
»Und wer sagt Ihnen, daß gerade ich mich für den Posten eignen könnte, Herr Brandler?«
»Mein Gefühl und meine Menschenkenntnis.«
»Ich habe allerdings Zeugnisse…«
»Später, bitte«, winkte Brandler ab. »Zuerst muß ich einmal wissen, ob Sie den Posten überhaupt annehmen möchten?«
»Wenn Sie es mit mir versuchen wollen…«
»Aber Herr Rave!« rief Hans Heinrich lachend. »Ich erzähle Ihnen ununterbrochen, wie gern ich Sie mit dem Posten auf Groß-Löschen betrauen möchte. Sie tun mir einen Gefallen damit, wirklich!«
So wurde denn wohl eine Stunde lang geschäftlich gesprochen, und als Brandler aus der kleinen Wohnung schied, hatte Groß-Löschen einen Inspektor mehr.
*
»Guten Tag, Hans-Heini! Ich habe zwar noch nie angenommen, daß ich Luft bin, für dich scheine ich es jedoch zu sein.«
Brandler, der, in tiefe Gedanken verloren, dahinritt, fuhr herum und sah in das schöne, stolze Antlitz seiner Base Manuela, der jungen Herrin von Hohenweiden.
»Verzeih, Manuela – dich dürfte man allerdings nicht als Luft gelten lassen. Und wenn es schon sein muß, dann schon als süße, sinnbetörende Luft.«
»Du bist ein Schmeichler, Hans-Heini«, entgegnete die junge Dame, und ein mattes Lächeln huschte um ihren herben Mund.
»Wie geht es dir, schönes Bäschen?«
»Danke, mir geht es wie immer. Bei dir wäre die Frage nach deinem Ergehen viel berechtigter.«
»Mir geht es geradezu glänzend, glänzender denn je.«
»Und das sagt ein Mann, der seit drei Monaten von seiner Frau geschieden ist, die er vor einem Jahr so rasend zu lieben vorgab.«
»Dein Spott rührt mich gar nicht, liebe Base Manuela«, entgegnete er gelassen. »Diese gescheiterte Ehe gibt dir doch wieder einen Anlaß mehr, die Männer für Kreaturen zu halten, an die man nicht einen einzigen Gedanken verschwenden darf.«
»Hast recht, Hans-Heini«, gab sie ebenso gelassen zurück. »Wie war eigentlich der Abschied von Grace?«
Der Vetter berichtete dann vom Kampf um seine kleine Tochter.
»Unglaublich!« Die junge Dame schüttelte den Kopf. »Und wo ist Baby nun?«
»Vorläufig noch in dem Hause, in dem sich mir damals hilfsbereite Arme entgegenstreckten. In den nächsten Tagen kommt Kleinchen allerdings unter der Obhut einer zuverlässigen Pflegerin nach Hause zurück.«
»So hast du das Kind bei ganz fremden Leuten gelassen, Hans-Heini? Dein Leichtsinn ist wirklich bewunderungswürdig.«
»Was du nicht sagst«, spottete er. »Doch zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß die, bei denen Didi augenblicklich weilt, die prachtvollsten Menschen sind, denen ich jemals begegnete.«
»Hm, na ja – deinen Enthusiasmus in Ehren, doch entschuldige mich, ich muß hier abbiegen, um die Leute zu kontrollieren. Laß dich doch mal wieder in Hohenweiden sehen.«
»Danke, zuviel Ehre. Doch wo steckt denn der jeweilige Oberinspektor, daß du die Leute kontrollieren mußt?«
»Der Oberinspektor weilt seit einer Woche nicht mehr auf Hohenweiden.«
»Ah – interessant! Wollte er dich wieder heiraten, schöne Manuela?«
»Auch das. Nebenbei hat er auch noch Unterschlagungen gemacht.«
»Und was machst du nun?«
»Ich suche mir einen neuen Oberinspektor«, meinte sie sehr gelassen.
Nun lachte Brandler hellauf.
»Manuela, du bist einfach köstlich! Ist es dir nicht entsetzlich, immer wieder gerade den wichtigsten Wirtschaftsbeamten wechseln zu müssen?«
»Ach nein«, meinte sie, nun schon reichlich gelangweilt. »Man lernt auf diese Weise eine Menge Menschen kennen, hauptsächlich Männer.«
»Himmel, da reiße ich aus!« rief er jetzt in komischem Entsetzen.
Sie versetzte ihm einen leichten Schlag mit der Hand, die er haschte und an die Lippen zog. Dann zog er die Mütze, verharrte noch eine Weile und schaute ihr nach, wie sie auf ihrem Gaul davontrabte.
Wie schön dieses Stückchen Erde gerade um Hohenweiden herum doch war! Schade, daß mit der Zeit vieles hier verwahrlosen mußte; denn jeden zweiten Monat ungefähr ein neuer Verwalter – das vertrug kein Gut.
Ganz gewiß war unter den vielen, die als Oberinspektoren in Hohenweiden fungiert hatten, mehr als ein tüchtiger Mann gewesen. Ein Jammer nur, daß sie sich alle in die schöne junge Herrin verlieben mußten. Und sobald diese das wahrnahm, war das Schicksal der Herren besiegelt, sie wurden unweigerlich entlassen.
Selbstverständlich war sie allein nicht in der Lage, die große Herrschaft zu bewirtschaften. Sie war, trotz ihrer Herrinwürde, doch nur ein zartes, dreiundzwanzigjähriges Mädchen, verstand eben nur das von der Landwirtschaft, was sie sich in den zwei Jahren, solange ihr Hohenweiden gehörte, angeeignet hatte.
Es mußte ein Mann auf das Gut, der dem Zauber der jungen Herrin widerstand. Ganz leicht mußte es ja nicht sein, das sah er schon ein.
Ein Glück nur, daß er von diesem Zauber unberührt blieb.
Mit dieser Feststellung war das Interesse für die Base fürs erste erschöpft.
Als er jedoch auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers einen Brief von Jobst Oluf vorfand, kam ihm die Base wieder in Erinnerung.
Jobst Oluf Rave – daß er nicht sogleich darauf gekommen war! Der war ja für die Verwalterstelle in Hohenweiden wie geschaffen!
So aß er denn rasch etwas, kleidete sich um und fuhr nach Hohenweiden.
Er war nicht oft dagewesen, ganz einfach, weil er mit der Base nicht recht warm zu werden vermochte. Doch sooft er den Feudalsitz betrat, kam ein Staunen über ihn. Das Schloß war eine Sehenswürdigkeit, hatte früher einer fürstlichen Familie als jeweiliger Wohnsitz gedient und war mit aller Pracht und allem Komfort ausgestattet. Manuela hatte Hohenweiden samt Schloß und Einrichtung aus der Verlassenschaft des letzten Besitzers erworben.
Die stolze, vornehme Erscheinung der neuen Herrin paßte wundervoll in den sie umgebenden Rahmen, das mußte Hans Heinrich wieder einmal feststellen, als er der Base gegenüberstand. Aufs neue frappierte ihn die aparte Schönheit, die wohl deshalb so eigenartig wirkte, weil Manuela einer deutsch-spanischen Ehe entstammte. Aus der tiefschwarzen Haarfarbe der Mutter und dem lichten Blond des Vaters hatte die Natur ein ganz eigenartig schönes, metallisches Blond hervorgezaubert. Die feingliedrige Gestalt war ungemein rassig und grazil. Das blütenzarte Antlitz trug stolze Züge.
Das Wunderbarste waren jedoch die Augen. Von grünblauer Farbe, abgrundtief, rätselhaft. Man vergaß sie nicht sobald, hatte man einmal in diese traumhaft schönen Sterne geschaut.
Und dieser Blick hatte auch die schöne, seltsame Herrin von Hohenweiden bekannt gemacht.
An alles das dachte Hans Heinrich Brandler, als er der Base gegenüberstand.
»Das ist aber nett von dir, Hans-Heini, daß du meiner Einladung von vorhin so schnell gefolgt bist«, grüßte sie ihn mit einem leichten Lächeln. »Komm, nimm Platz und erzähle mir etwas Angenehmes.«
»Ob es angenehm ist, was ich dir zu erzählen habe, wollen wir abwarten«, lachte er vergnügt und ließ sich in den tiefen, bequemen Sessel sinken. »Ich bin nicht ganz sicher, ob du mich nicht am Schluß unserer Unterredung hinauswerfen wirst.«
»Nun – rebellische Reden wirst du wohl nicht gerade führen, dazu bist du viel zu sehr Gemütsmensch«, lächelte sie nun wieder.
»Danke.« Sich leicht verbeugend, entnahm er seinem Etui eine Zigarette.
»So, nun verrate mir, was du auf dem Herzen hast.«
»Das ist schnell gesagt, Manuela, ich will dir zu einem neuen Oberinspektor verhelfen.«
Ihre Überraschung war noch größer, als er erwartet hatte. »Da bin ich aber neugierig!«
»Es handelt sich um Herrn Rave, bei dessen Mutter Didi in Pflege ist.«
»Dann kennst du den Herrn also näher?«
»Eben nur das Vierteljahr, solange mein Kleinchen dort ist. Aber ich würde dir Herrn Rave nicht empfehlen, wenn ich es nicht verantworten könnte. Dem armen Kerle geht es nämlich ebenso wie dir – man will ihn immer und überall heiraten. Er gefällt den Frauen und Mädchen zu gut und muß ihretwegen immer wieder seine Stellung wechseln. Er hat seine Mutter zu unterhalten und ist schon ein Jahr lang stellenlos. Ich wollte ihn zu mir nehmen, und eigentlich ist die Sache schon perfekt. Doch du kennst ja den gutorganisierten Betrieb in Groß-Löschen. So fürchte ich nun, daß er sich bald überflüssig fühlen wird. Und dann ist der Posten, den ich zu vergeben hätte, doch lange nicht mit dem eines Oberinspektors in Hohenweiden zu vergleichen. Er könnte sogar seine Mutter mitbringen, was ihm außerordentlich zusagen würde. Was meinst du nun, Manuela, willst du es mit ihm versuchen?«
»Warum nicht«, entgegnete sie. »Ob der oder ein anderer.«
»Ich danke dir, Manuela. Wann darf Herr Rave zur Vorstellung erscheinen?«
»Laß ihn so kommen, daß er möglichst gleich hierbleiben kann.«
*
»Wie ich sehe, wird hier bereits fleißig gepackt«, sagte Hans Heinrich vergnügt, als er am nächsten Tage die Ravesche Wohnung betrat und Jobst Oluf Papiere sichten sah.
»Das nicht gerade«, gab dieser ebenso vergnügt zurück.
»Hm«, machte Hans Heinrich und marterte fieberhaft sein Hirn, wie er Rave klarmachen sollte, daß er seine Stellung in Hohenweiden und nicht in Groß-Löschen anzutreten habe.
»Also, Herr Rave, nehmen Sie Platz, damit Sie mir nicht vor lauter Überraschung in die Arme sinken. Also – ich kann Ihnen wirklich eine Verwalterstelle besorgen wie die, von der ich sprach.«
Nun war ihm doch sehr beklommen zumute, als er sah, wie dunkle Röte dem anderen bis in die Stirn kroch. Obendrein trat auch noch Frau Hortense ein. Ihr Blick ging von einem zum anderen.
»Habe ich recht gehört, Herr Brandler – Sie mögen meinen Sohn nun doch nicht – wollten ihm einen anderen Posten besorgen?« fragte sie leise.
Hans Heinrich war tief erschrocken. »Um Gottes willen, nein, gnädige Frau!« bat er flehentlich. »Mit tausend Freuden würde ich Sie, Herr Rave, auf Groß-Löschen gern willkommen heißen. Was ich jedoch mit Recht fürchte, ist, daß Sie die Arbeit dort nicht zufriedenstellen wird. Bei meiner Base Manuela Brandler, der Herrin von Hohenweiden, ist der Posten eines Oberinspektors zu besetzen. Kein leichtes Amt, das gebe ich gern zu. Bisher haben die Herren es nicht länger als einige Wochen ausgehalten – oder noch richtiger gesagt – sie wurden dann schon entlassen.
Vielleicht wäre ihnen das nicht passiert, wenn sie die Verhältnisse in Hohenweiden besser gekannt hätten – vor allen Dingen die junge Herrin selbst. Sie gaben sich wohl auch kaum Mühe, sie kennenzulernen, sondern verliebten sich vielmehr gleich Hals über Kopf in meine Base, und das ist etwas, was diese durchaus nicht vertragen kann. Mit dem Moment, wo ihr diese Verliebtheit zur Gewißheit wurde, war der Mann für sie erledigt.
Diese Männerfeindschaft ist eine Folge schlimmer Erfahrungen. Mein Großvater wanderte in jungen Jahren nach Südamerika aus, wo er eine Erbschaft antreten mußte. Er war also über Nacht ein reicher Mann geworden. Doch er arbeitete weiter, wie er es gewohnt war, und vermehrte seinen Reichtum in das Ungemessene. Er hatte sich eine deutsche Frau mitgenommen, und dieser Ehe entsprossen zwei Söhne – mein Vater und Manuelas Vater. Während Heinrich – mein Vater – ein ehrwerter, tüchtiger Mann wurde, war und blieb Robert – Manuelas Vater – das Sorgenkind der Eltern.
Mein Vater lernte eine Deutsche kennen, die bei Nachbarn zu Besuch weilte, verliebte sich in sie und machte sie zu seiner Frau. Sie war die Tochter eines Industriellen, und mein Vater wurde der Nachfolger seines Schwiegervaters und siedelte infolgedessen nach Deutschland über.
Robert heiratete eine Spanierin. Sie trieben es beide so arg, daß der Vater seinen Sohn entmündigte. Dadurch löste dieser sich ganz von den Eltern los.
Dieser Ehe entsprossen vier Kinder, das jüngste davon ist Manuela. Sie zeichnete sich nicht nur durch ihr Aussehen von ihren Geschwistern aus, sondern auch durch ihren Charakter. Der Großvater liebte das Kind abgöttisch, während er seine anderen Enkelkinder kaum beachtete. Manuela war mehr bei den Großeltern als in ihrem Elternhaus.
Selbstverständlich wurde Manuela von Eltern und Geschwistern mit scheelen Augen angesehen.
Daher war es ein harter Schlag für Manuela, als die Großeltern kurz nacheinander starben. Nun stand sie allein. Und als gar noch das Testament bekannt wurde, daß Manuela die Erbin des Riesenvermögens sei, während Eltern und Geschwister nur den knappsten Pflichtteil erhielten, schlug die Geringschätzung ihrer Familie in Haß um.
Damit hatte der Großvater wohl gerechnet und in einem letzten Brief an meinen Vater diesen gebeten, sich Manuelas anzunehmen, falls er sterben sollte. Mein Vater fuhr also nach seiner alten Heimat.
Die Verhältnisse, die mein Vater dort unten vorfand, waren derartig, daß mein Vater es als seine Pflicht erachtete, Manuela, sein Mündel, mit nach Deutschland zu nehmen.
Vier Jahre, weilte die damals zwölfjährige Manuela in deutschen Pensionaten. Als sie sechzehn Jahre alt geworden war, wünschte sie Eltern und Geschwister wiederzusehen. So kehrte sie denn zu ihnen zurück. Man begrüßte sie gnädiger, als man sie vor Jahren verabschiedet hatte und suchte sie schleunigst zu verheiraten.
Es fand sich auch ein Mann von bestechendem, betörendem Äußern, dem das Herz des unerfahrenen, jungen Mädchens im Sturm zuflog. Es traf sie deshalb fast zu Tode, als sie – einige Tage vor der Hochzeit – Zeuge sein mußte, wie er sie mit ihrer Zofe betrog.
Vier Jahre später lernte sie wiederum einen Mann kennen, der ihr beim ersten Sehen mehr galt als alle anderen Männer. Sie liebte ihn nicht so schwärmerisch wie ihren ersten Verlobten, doch sie hatte ihn gern und vertraute ihm.
Sie nahm seine Werbung an – doch auch diese Verlobung sollte nicht zur Hochzeit führen. Sehr bald kam sie dahinter, daß ihr Verlobte der Galan ihrer Mutter war.
Man wollte sie fangen, wollte so in den Besitz ihres vielen Geldes gelangen, an das man anders nicht herankommen konnte, da der erfahrene Großvater es sicher angelegt hatte. Zudem war noch mein Vater der Verwalter des Riesenvermögens.
Und das war noch nicht alles! Als man sah, daß man so nicht mehr zu ihrem Geld gelangen konnte – trachtete man der Ärmsten nach dem Leben.
Von Entsetzen geschüttelt, floh Manuela aus der Heimat.
Sie kam zu uns. War vollständig menschenscheu, mochte niemanden sehen. Mir hatte mein Vater schon damals Groß-Löschen gekauft, und so kam sie denn dahin, um nicht von Menschen behelligt zu werden. Das Landleben gefiel ihr so gut, daß sie ein Jahr später, als Hohenweiden zum Verkauf stand, dieses für sich erwarb.
So sitzt sie denn mutterseelenallein auf der großen Herrschaft und beehrt jeden, der in ihre Nähe kommt, mit ihrem Mißtrauen. Sie hat sich in den zwei Jahren so gründliche landwirtschaftliche Kenntnisse angeeignet, daß man staunen muß. So ist sie denn ungeheuer selbstherrlich geworden, und eine anderer Meinung als die ihre läßt sie nicht gelten.
So, nun habe ich Ihnen reinen Wein eingeschenkt, und wenn Sie so viel Mut aufbringen können, Herr Rave, dann rate ich Ihnen dringend, den Posten anzunehmen. Sie haben da die Möglichkeit, Ihre Frau Mutter bei sich zu haben, denn dem Oberinspektor steht als Wohnung ein ganzes Haus zur Verfügung.«
Es herrschte unter den drei Menschen tiefe Stille. Jobst Oluf kämpfte mit sich.
Doch dann sprang er auf, trat zu Hans Heinrich hin und streckte ihm beide Hände entgegen. »Sie sollen sich nicht umsonst um mich gesorgt haben – ich will hiermit den Kampf mit Ihrer schönen Base wagen.«
*
»Selbstverständlich alles wie ausgestorben in diesem Märchenschloß«, brummte Hans Heinrich Brandler, der vor dem Portal des Hohenweider Schlosses stand.
»He – Wirtschaft!« rief er laut, und endlich öffnete sich die Tür, und eine Livree wurde sichtbar.
»Der Herr Baron…«, grinste der Portier erfreut.
»Noch nicht«, brummte Brandler ungeduldig. »Herrin zu Hause?«
»Nein, Herr Baron. Die Herrin ist ausgefahren. Wollen der Herr Baron warten?«
»Selbstverständlich will ich das!«
Er bat Jobst Oluf in die Halle und folgte ihm.
»Nehmen Sie Platz, Herr Rave.« Brandler zeigte auf einige Sessel, die, vor dem Kamin stehend, sich um einen kunstvoll eingelegten Rauchtisch gruppierten. »Es ist unbestimmt, wie lange wir warten müssen, denn die Dame Manuela ist niemals pünktlich; sie kommt und geht, wie es ihr beliebt. Es würde mich durchaus nicht wundern, wenn jetzt ein Diener erschien, um zu melden, daß die Herrin soeben telefonisch aus irgendeiner Stadt Bescheid gegeben hätte, als sei sie auf dem Wege nach Honolulu.«
»Dann dürfte uns wohl die Wartezeit etwas lang werden und wir bekämen inzwischen prächtige Vollbärte«, ging Rave auf Brandlers heiteren Ton ein. »Ah, hier läßt es sich wohl sein!« Dabei streckte er sich behaglich in dem Sessel.
»Wie es Manuela in der Totenstille dieses Schlosses aushält, ist mir ein Rätsel«, nahm Brandler wieder das Wort. »Mir fällt sie jetzt schon auf die Nerven.«
Er sprang auf, lief einige Male in dem Zimmer hin und her, trat dann an das Fenster und schob die kostbaren Stores zurück.
»Herr Rave, kommen Sie doch einmal her zu mir. Sehen Sie das Häuschen da drüben hinter der Hecke? Darin hat immer der jeweilige Oberinspektor gewohnt. Dahinein können Sie nun mit Ihrer Mutter ziehen, wenn Sie sich Mühe geben, meiner Base zu gefallen.«
»Nun – nach allem, was ich von der jungen Dame gehört habe, dürfte das nicht so ganz einfach sein. Doch was ist das?«
»Das? Meine Base in Lebensgröße.«
Er zeigte lachend auf den eleganten Dogcart, der soeben vor dem Portal des Schlosses hielt. Die junge Herrin lenkte das rassige Viergespann selbst.
Sie warf dem herbeieilenden Kutscher die Zügel zu und sprang vom Wagen. Die kurze Peitsche in der Hand, stieg sie mit ruhigen, lässigen Schritten die zum Schloß führende Freitreppe empor.
Dort trat ihr ein Diener entgegen und machte eine Meldung, die die Herren im Arbeitszimmer nicht verstehen konnten.
»Der Herr Oberinspektor soll warten«, hörten sie dann die junge Herrin sagen.
»Auch ganz nett«, meinte Hans Heinrich spöttisch und ging zu dem Sessel zurück, in den er sich aufseufzend niederfallen ließ.
»Kommen Sie, Herr Rave, folgen Sie meinem Beispiel. Man weiß nicht, wie lange Gnädigste geruhen, Toilette zu machen.«
»Sie sprechen mit einer beispiellosen Respektlosigkeit von dieser einflußreichen Base«, lachte Jobst Oluf.
»Gott sei Dank kann ich mir das ja leisten«, war die phlegmatische Antwort. Doch gleich darauf erhob er sich von seinem Sessel, denn die junge Herrin von Hohenweiden betrat das Zimmer.
»Du bist auch da, Hans-Heini – verzeih«, sagte sie mit einer weichen, süßen Stimme.
»Der Diener hat mir deinen Besuch nicht gemeldet, sonst wäre ich gleich gekommen.«
»Zuviel Ehre«, quittierte der und verbeugte sich übertrieben tief.
»Frechdachs!« lächelte sie, und dann ging ihr Blick zu Rave hin.
Kritisch, abschätzend war der Blick, mit dem sie ihn musterte, und dann zog ein Lächeln ihre Mundwinkel nach unten.
Hans Heinrich sah, wie es rot auf der Stirn Raves aufflammte, und ärgerte sich zum ersten Male ernstlich über seine Base. Seine Stimme klang daher recht frostig, als er sagte: »Das ist Herr Rave, Manuela.«
Sie bot den Herren einen Platz in der Sesselgruppe an, doch beide warteten, bis sie sich gesetzt hatte.
»Du, Manuela, ich habe mir erlaubt, einige deiner unvergleichlichen Zigaretten zu rauchen«, plauderte Hans Heinrich frisch drauflos, um nur keine peinliche Stille aufkommen zu lassen.
»Dazu sind sie ja da«, war die gelassene Erwiderung.
»Das finden aber nicht alle Menschen«, widersprach er. »Dieser Herr zum Beispiel raucht lieber seine eigenen Zigaretten.«
»Wenn sie ihm besser schmecken – bitte. Doch wir wollen zur Sache kommen«, sagte sie mit leichter Ungeduld. »Haben Sie schon eine ähnliche Stellung bekleidet, Herr Rave?« wandte sie sich dann kühl an Jobst Oluf, wobei ihre Stimme herrisch klang.
»Gnädiges Fräulein können sich von meinen Zeugnissen überzeugen«, klang nun seine sonore Stimme auf.
Manuela horchte einen Augenblick überrascht auf. »Später«, tat sie dann kurz ab und sah nun sehr hochmütig aus. »Zeugnisse sagen mir in der Regel nicht viel. Jeder Betrieb ist anders und verlangt vollständige Umstellung. Was liegt Ihnen mehr, Acker- oder Viehwirtschaft?«
»Das kann ich selbst wirklich nicht beurteilen, gnädiges Fräulein.«
»Herr Rave, wenn Sie sich verpflichten wollen, sich meinen Wünschen unbedingt zu fügen und nie etwas zu unternehmen, wovon ich nichts weiß – ich meine, soweit es Ihre Obliegenheiten als Oberinspektor betrifft, denn die Privatsachen meiner Beamten gehen mich nichts an – ehrlich, zuverlässig, bescheiden und anpassungsfähig sind, dann will ich es mit Ihnen versuchen. Sie haben den ganzen Betrieb von Hohenweiden und dessen Nebengütern unter sich und müssen auch mit der Waldwirtschaft und Förstern Verhandlungen führen. Streitigkeiten dulde ich nicht, und Beschwerden und ähnliche Dinge finden bei mir niemals Gehör. Halten Sie sich also für hinreichend befähigt, den schwierigen Posten auszufüllen, Herr Rave?«
Es war so still in dem Zimmer, daß einer des anderen Atemzüge hörte. Rave hatte sich leicht abgewandt und kämpfte mit sich. Doch dann blitzte es kurz in seinen Augen auf. Er wandte sich der Gutsherrin wieder zu, die ihn mit unverhohlenem Spott ansah.
»Ja, ich fühle mich allen diesen Anforderungen gewachsen, gnädiges Fräulein«, klang seine Stimme hart auf – es war wie eine Herausforderung zum Kampf.
Sie warf den Kopf in den Nacken. »Gut, Herr Rave, ich schicke Ihnen meine Privatsekretärin, die Ihnen alles Weitere mitteilen wird. Sie hat bereits eine gewisse Routine darin, denn Sie sind nicht der erste Herr, der sich einbildet, der hier an ihn heranretenden Aufgabe gewachsen zu sein.«
Sie klingelte dem Diener und sagte ihm Bescheid, und gleich darauf erschien die Privatsekretärin Manuelas.
Unglaublich reizend war dieses kleine Fräulein. Hans Heinrichs Augen hingen an ihr mit Entzücken, was sie gar wohl bemerkte. Sie errötete tief, wurde immer verwirrter und achtete nicht auf das Bärenfell, das vor dem Kamin lag. Schon stolperte sie über dessen plumpen Kopf und wäre unweigerlich längelang hingeschlagen, wenn Jobst Oluf sie nicht in seinen Armen, aufgefangen hätte.
So lag sie denn an seiner breiten Brust, zu Tode erschrocken, unfähig sich zu rühren.
Und Jobst Oluf vergaß die ohnmächtige Wut, die ihn angesichts der allzu großen Selbstherrlichkeit der jungen Besitzerin von Hohenweiden gepackt hatte. Sein dunkles, herzfrohes Lachen klang auf.
»Na, wenn das noch kein Willkommensgruß ist!« lachte er übermütig.
Jetzt befreite sich die Kleine energisch aus der unerwünschten Umschlingung – stand da, wie mit Blut übergossen.
»Fräulein Friese, Herr Rave bewirbt sich um die freie Oberinspektorstelle«, durchschnitt die kalte Stimme Manuelas das peinliche Schweigen. »Sie wissen ja Bescheid. Machen Sie den Herrn mit den Bedingungen bekannt und leiten Sie alles Weitere in die Wege. Auf Wiedersehen, Hans-Heini, laß dich mal wieder blicken«, wandte sie sich an den Vetter. Dann verließ sie das Zimmer.
Zuerst herrschte tiefes Schweigen in dem Gemach, dann machte Hans Heinrich seinem Herzen Luft.
»Heiliger Bimbam – das schlägt allerdings dem Faß den Boden aus! Mein liebes kleines Fräulein«, wandte er sich darauf an die Privatsekretärin, »vielleicht sehen Sie sich fünf Minuten lang die Sehenswürdigkeiten der Halle des Schlosses an, ich habe mit Herrn Rave noch eine dringende Unterredung.«
Das Mädchen verstand und verließ sofort das Zimmer.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, so packte Brandler Jobst Olufs Schulter in tiefster Erregung.
»Lieber Freund, ich flehe Sie an, lassen Sie die Finger von dieser Sache!«
Er war fassungslos, als Jobst Oluf ganz vergnügt lachte, ihn in einen Sessel drückte und sich gelassen eine Zigarette anzündete.
»Lieber Herr Brandler, die Selbstherrlichkeit Ihrer Base macht auf mich gar keinen erschütternden Eindruck. Sie ist weiter nichts als eine ungewöhnlich schöne, ungewöhnlich ungezogene junge Dame.«
»Rave, Menschenskind – da sind Sie also ganz und gar nicht entrüstet?« fragte Hans Heinrich ungläubig.
»Aber nicht im geringsten, Herr Brandler.«
»Bei Ihnen beißt sie da sozusagen auf Granit?«
»So ähnlich«, entgegnete Rave, und es klang stark ironisch. »Wollen nun mal hören, was das süße Mädchen uns zu sagen hat, das da in der Halle wartet.«
Er schritt zur Tür, öffnete sie und rief das Mädchen herbei.
Sie hastete an ihm vorüber in das Zimmer, setzte sich an den kleinen Tisch, der eigens für sie neben dem Schreibtisch der Herrin stand, und schlug einen Aktendeckel auf, der eine Anzahl von Schriftstücken enthielt.
»Führen Sie etwa Buch über die Herren Oberinspektoren von Hohenweiden?« fragte Brandler, der ihr über die Schulter sah.
»So ähnlich ist es«, gab die Kleine sehr ruhig zur Antwort.
»Sagen Sie mal, wie lange sind Sie schon auf Hohenweiden?« fragte Hans Heinrich amüsiert.
»Ein Jahr, Herr Brandler.«
»Na, in der Zeit schon ganz nett abgefärbt«, stellte er fest und lachte über die verständnislosen Augen der Privatsekretärin.
»Der wievielte Oberinspektor ist es denn schon, der hier sein Gastspiel zu geben gedenkt?« fragte er augenzwinkernd.
»Der dreizehnte«, gab sie geschäftsmäßig zur Antwort.
»Oh, Himmel!« rief Brandler entsetzt und rang die Hände. »Haben Sie es gehört, Herr Rave? Wenn das nichts zu bedeuten hat!«
»Sind Sie etwas abergläubisch, Herr Brandler?« fragte das Mädchen geringschätzig.
»Fürchterlich«, gab er zu und verdrehte die Augen so schrecklich, daß sie ihre Würde vergaß und lachen mußte.
»Meine Herren«, gebot sie alsdann ordentlich energisch, »ich bitte jetzt um Gehör. Der Oberinspektor von Hohenweiden muß sich verpflichten, sich den Wünschen der Herrin unbedingt zu fügen«, las sie aus dem Aktenstück vor. »Gleichwohl wird eine gewisse Selbständigkeit von ihm verlangt, die jedoch die ihm gesteckte Grenze nicht überschreiten darf. Er muß imstande sein, sich bei Beamten und Arbeitern der Herrschaft durchzusetzen, ohne seitens der Herrin einen Rückhalt zu erwarten. Er darf die Herrin nur aufsuchen, wenn es sich um geschäftliche Angelegenheiten handelt, mit Privatangelegenheiten darf er sie niemals behelligen.
Dem Oberinspektor von Hohenweiden unterstehen die Arbeiter und Beamten der Herrschaft, die aus dem Hauptgut Hohenweiden und den drei Nebengütern Schalen, Trenken und Gollen besteht. Mit dem Oberförster und den Förstern hat er Hand in Hand zu arbeiten.
Der Oberinspektor von Hohenweiden erhält freie Wohnung, ein angemessenes Deputat und ein Monatsgehalt von achthundert Mark. Zwei Reitpferde stehen ihm zur Verfügung.
Der Oberinspektor von Hohenweiden steht in einem Dienstvertrag von zweiwöchentlicher Kündigung. Er kann von der Herrin jedoch auch sofort entlassen werden, sofern er sich etwas zuschulden kommen läßt.«
Das Mädchen klappte den Aktendeckel zu und sah erwartungsvoll zu Rave hin, der wie gedankenverloren in seinem Sessel saß.
»Sind Sie mit diesen Bedingungen einverstanden, Herr Rave?«
»Aber gewiß, mein Fräulein«, fuhr er aus seinen Gedanken auf. »Ich wäre ja ein Trottel, wenn ich mir das glänzende Angebot entgehen lassen wollte.«
»So sagten die Herren alle«, seufzte die Kleine leise. »Darf ich um Ihre Papiere und Zeugnisse bitten? Sobald alles erledigt ist, sende ich sie Ihnen mit dem Vertrag zusammen zu.«
*
»Guten Tag, Manuela, ich komme, um dich zu fragen, ob du über den Antritt des Oberinspektors schon etwas bestimmt hast.«
»Guten Tag, Hans-Heini, rührend ist es, daß die Sehnsucht dich immer zu mir treibt«, spottete sie. »Nimm Platz und entschuldige mich, dieser Brief muß schleunigst fort, dann stehe ich dir zur Verfügung.«
Noch einige Minuten schrieb sie, dann steckte sie das Schreiben in den Umschlag und versah diesen mit der Adresse.
»So, mein lieber Vetter, jetzt bin ich frei für dich.«
»Hast du den Oberinspektor schon vergessen, Manuela?«
»Eigentlich ja«, gab sie zu und lachte. »Fräulein Friese erinnerte mich heute allerdings daran, doch ich habe es wieder vergessen.«
»Und kommt dir denn gar nicht der Gedanke, daß ein anderer auf Antwort wartet, Manuela? Zwei Wochen sind schon vergangen…«
»Ich bin zerknirscht«, lachte sie wieder, klingelte dann und gab dem eintretenden Diener den Auftrag, die Privatsekretärin herbeizurufen.
»Fräulein Friese, wir müssen die Angelegenheiten mit dem Oberinspektor regeln. Haben Sie alles Erforderliche dazu da?«
»Sehr wohl, gnädiges Fräulein.«
»Nehmen Sie Platz.«
Da hockte die Kleine nun auf ihrem Stühlchen, das extra für sie neben dem Schreibtisch der Herrin stand. War lange nicht so würdevoll wie neulich. Die Hand, die die Papiere hielt, zitterte leicht.
Manuela sah es, und ein spöttisches Lächeln erschien auf ihrem Antlitz. »Was sind das für Briefe?«
»Das sind die Antworten auf die Erkundigungen, die ich über Herrn Rave eingezogen habe, gnädiges Fräulein.«
Die Base las die Briefe und schüttelte dann den Kopf. »Sehr vertrauenerweckend sind die Auskünfte gerade nicht – scheint ja ein Don Juan schlimmster Sorte zu sein, der Herr Oberinspektor. Überall war er nur kurze Zeit, nur auf einem Gute machte er eine Ausnahme. ›Diplomlandwirt Rave‹ steht in den meisten Briefen – er hat uns aber nichts davon erzählt, daß er die landwirtschaftliche Hochschule absolviert hat. Wie erklären Sie sich das, Fräulein Friese?«
»Das fiel mir auch gleich auf, gnädiges Fräulein«, stotterte die Kleine ängstlich. »Ich habe darum bei Herrn Rave angefragt und die Antwort erhalten, daß er wohl die landwirtschaftliche Hochschule besucht hätte, er das aber für nicht so sehr wichtig gehalten haben, um es erwähnen zu müssen.«
»Gut! Nun zu den Briefen. Hier schreibt ein Herr: ›Tüchtig, zuverlässig, nur ungeeignet für ein Haus, in dem es eine Frau und eine erwachsene Tochter gibt.‹
Der zweite Brief: ›Muß mich leider von Herrn Rave trennen, da private Verhältnisse meinerseits mitsprachen. Kann ihn jedoch warm empfehlen.‹
Der dritte Brief: ›War mir zu vornehm, wußte alles besser als ich und machte mir die ganzen Frauen im Hause rebellisch.‹«
Nun mußte Manuela lachen, und auch der Vetter fiel mit ein.
»Doch nun der vierte Brief: ›War ein vornehmer, anständiger Kerl, der den landwirtschaftlichen Kram aus dem Effeff verstand. Konnte ihn leider nicht länger behalten, da meine Frau und meine Tochter ihn heiraten wollten.‹