Читать книгу Leni Behrendt Box 1 – Liebesroman - Leni Behrendt - Страница 6

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Als das Mädchen Dorothee geboren wurde, gab es glückselige Freude im Hause des Industriellen Sander. Der hünenhafte Vater sah auf das kleine Wesen wie auf ein Weltwunder, und die Augen der Gattin schienen in alle sieben Seligkeiten des Himmels zu schauen.

Acht Jahre lang hatte man auf das Menschlein warten müssen, acht Jahre voller Sehnsucht – und jetzt war es endlich da. Was Wunder, wenn die Eltern sich vor Freude kaum zu fassen wußten über diesen Gottessegen.

Daß Georg Sander sich eigentlich einen Sohn wünschte, war vergessen. Denn was da vor ihm lag, war sein Kind. Blut von seinem Blut und von dem seines Lieschens, das er trotz eines körperlichen Fehlers geheiratet hatte, weil es so lieb und so gut war. Weil das Pastorentöchterlein sich mit siebzehn Jahren ein silbernes Ringlein an den Finger stecken ließ von dem Glöcknersohn und Kindheitsgespielen, der damals noch die Bank der Obersekunda drückte. Denn die Eltern sparten an allen Ecken und Enden, um ihren Einzigen aufs Gymnasium schicken zu können.

Die Vorschule dazu absolvierte der gescheite Glöcknersohn zusammen mit dem Grafensohn, dessen Heimat die feudale Herrschaft Rautenau war, zu der das Kirchdorf gleichen Namens gehörte. Und da der Pastor ein guter Mann war, ließ er den begabten Glöcknersohn an dem Unterricht teilnehmen, den er dem vornehmen Sprößling erteilte. Natürlich mit Genehmigung des Grafen Sölgerthurn, unter dessen Patronat er stand.

Sie kamen später auf das Gymnasium der naheliegenden Stadt, die gleichaltrigen Knaben und hielten auch da gute Freundschaft miteinander. Und da Fortuna ja eine unberechenbare Dame ist, so konnte es kommen, daß sie eines Tages den Glöcknersohn mit ihrem Füllhorn förmlich überschüttete – er wurde sozusagen über Nacht ein reicher Mann.

Und zwar, als ein längstverschollener Onkel ohne Anhang in Kalifornien starb und seine Millionen somit an seinen Bruder, den Glöckner Sander, fielen. Doch da dieser bereits das Zeitliche gesegnet hatte, bekam den Mammon eben sein Sohn, der sich gerade mit dem Wenigen, was ihm sein Vater hinterlassen konnte, schlecht und recht auf der Technischen Hochschule durchschlug. Es war nun durchaus naheliegend, daß er seinen Freund, den Grafensohn, der die Landwirtschaftliche Hochschule besuchte, bat: »Komm mit mir, Bertram. Steh mir bei in dem kaum Faßbaren, was mich im fremden Land erwartet.«

Dazu war der Freund gern bereit. Und sein Vater riet den beiden Dreiundzwanzigjährigen, einen Rechtsbeistand mitzunehmen, was dann auch geschah, sehr zu Nutz und Frommen des jungen Erben. Denn ohne den Juristen hätte der Unerfahrene sich bei dem Verkauf der Liegenschaften ganz gehörig über den Löffel barbieren lassen, wie man so sagt. So jedoch holte der tüchtige Anwalt das Äußerste heraus und staunte nicht wenig über den reichen Segen, der seinem Klienten so mir nichts, dir nichts zufiel.

Doch Georg Sander schnappte deshalb nicht über, bummelte mit den beiden ihm vertrauten Menschen zuerst einmal für ein halbes Jahr in der Weltgeschichte herum und nahm dann in der Heimat sein Studium wieder auf. Machte den Dr. Ing. und baute ein Werk, um das die Götter ihn beneiden konnten.

Und dann holte er sich sein Lieschen in die prächtige Villa, die gleichzeitig mit dem Werk entstand. Daß das Mädchen ein kürzeres Bein hatte, machte ihm nichts aus. Er hatte sein Lieschen lieb und sah daher in ihm die schönste Frau der Welt.

Und so treu dieser Mann in der Liebe war, so treu war er auch in der Freundschaft. Fand es selbstverständlich, daß sein Intimus das Mädchen seines Herzens heiratete, obwohl es nicht das Geld besaß, das Rautenau so dringend nötig hatte. Und als der Besitz dann auch ernstlich zu wackeln begann, war es für Georg Sander selbstverständlich, helfend einzugreifen, ohne da erst viel Worte zu machen.

Den Stammhalter, der sich dann in dieser glücklichen Ehe einstellte, liebte Georg Sander wie einen eigenen Sohn und half diesen schönen, sonnigen Knaben nach Kräften mit verwöhnen.

Also war es kaum verwunderlich, daß er sowie sein Freund Bertram Zukunftspläne schmiedeten, als in der stattlichen Villa ein Töchterlein geboren wurde. Ein Töchterlein gar zart und fein, das die Eltern vergötterten und überängstlich hüteten. Der Vater nannte den Abgott kurz Dörth, die Mutter jedoch Doro.

Dörth oder Doro – damit stand und fiel alles in dem reichen Hause des Industriellen. Ein Lächeln des eigenwilligen Geschöpfchens machte froh, eine ungnädige Miene betroffen.

Es wurde auch nicht anders, als Lieschen, die sich nach der Geburt des Kindes nicht mehr so richtig erholen konnte, sechs Jahre danach starb und der Witwer seine Schwägerin Ruth heiratete. Die schloß sich dem Kult, den man mit der Tochter des Hauses trieb, durchaus an, setzte ihn auch noch nach der Geburt ihres Söhnchens fort.

Auch die Sölgerthurns, mit denen man in freundschaftlichem Verkehr stand, ließen sich von der kleinen Tyrannin beherrschen. Selbst der um acht Jahre ältere Edzard machte da mit, obgleich auch er verwöhnt war. So sehr verwöhnt, daß die Eltern ihrem Einzigen keinen Wunsch abschlagen konnten.

Das war aber auch wirklich schwer bei dem Knaben, den der Herrgott in seiner besten Laune erschaffen zu haben schien. Wohin er auch kommen mochte, überall bezauberte er in seiner mitreißenden Fröhlichkeit und dem unwiderstehlichen Charme.

Und dem konnten die Eltern natürlich am wenigsten standhalten – auch nicht, als der Sohn später Unsummen für seine Reisen verbrauchte. Er war ja noch so jung, ihr geliebter Einziger, mochte er also das Leben unbekümmert genießen. Später mußte er dann eben reich heiraten – und zwar Dorothee Sander. Das war jedenfalls die Rechnung der beiden Väter.

*

»Da bist du ja, mein Junge«, schloß Graf Sölgerthurn den heimkehrenden Sohn in die Arme. »Laß dich anschauen – also prächtig siehst du aus! Einfach ein Bild von einem Kerl.«

»Man tut, was man kann«, blitzten die prächtigen Zähne in dem braungebrannten Gesicht. Er eilte seiner Mutter entgegen, drückte schmeichelnd die Lippen auf die feinen Hände und strahlte die zarte, vornehme Frau an.

»Geht es dir auch gut, meine kleine Mama? Dumme Frage, wo doch dein böser Junge wieder da ist. Zause ihn nur tüchtig«, lachte er sein sieghaftes, unbekümmertes Lachen, das direkt mitreißend wirkte.

Ein ganzes Jahr war er diesmal weggewesen und hatte das Geld mit vollen Händen verstreut. Na was, wenn das Portemonnaie leer war, kam eben Nachschub. Ein Telegramm nach Rautenau genügte.

Und wer weiß, ob der unbekümmerte Verschwender heute schon nach Hause zurückgekehrt wäre, wenn der Vater ihn nicht zurückgerufen hätte. Und zwar nach einer Unterredung mit dem Gutsverwalter, der schon länger als zwei Jahrzehnte auf Raute­nau segensreich wirkte. Da konnte er sich schon erlauben, ein offenes Wort mit seinem Herrn zu sprechen –

»Also, lieber Graf, so geht es jetzt nicht länger«, eröffnete er ohne jede Einleitung die Debatte. »Wenn der junge Herr Graf immer weiter solche Unsummen für sein Bummlerleben verbraucht, sind wir bald Mathäi am letzten – und können bei Herrn Sander aufs neue betteln gehen.«

»Aber, aber, mein Lieber«, unterbrach der Graf seinen aufrichtigen Beamten peinlichst berührt. »Betteln dürfte ja wohl nicht die richtige Bezeichnung sein. Wir haben Hypotheken aufgenommen, für die wir Zinsen zahlen – also ein faires Geschäft.«

»Wir haben aber die Zinsen das letztemal nicht zahlen können…«

»Ja, ich weiß –«, unterbrach der Graf ihn, sich dabei nervös über den Kopf fahrend. »Mein Sohn hat diesmal reichlich viel Geld verbraucht, das sehe ich ein.«

»Also! Herr Graf wissen, ich stehe zu meiner Herrschaft mit jedem Tropfen Blut, hänge an Rautenau mit ganzem Herzen. Und das Herz tut mir jedesmal bitter weh, daß dieser prächtige Besitz immer wieder zurückstehen muß, damit der Erbherr herrlich und in Freuden leben kann. Man könnte weinen vor Jammer!«

»Ist ja schon gut, mein Getreuer«, beschwichtigte der Graf den bekümmerten Mann. »Lassen Sie mir die Bücher zugehen, damit ich mich überzeugen kann, wie wir überhaupt dastehen.«

Und sie standen schlecht da, wie er nach sorgfältiger Prüfung der Bücher betroffen feststellte. Noch eine Anleihe bei Sander – und ihm gehörte zu zwei Drittel die feudale Herrschaft Raute­nau. Der Verwalter hatte recht, so ging es nicht länger. Edzard mußte sein Globetrotterleben aufgeben, damit nicht weitere Unsummen dem Besitz entrissen wurden.

Und nun saß er da, der unbekümmerte junge Erbe, der keine Ahnung davon hatte, wie traurig es um dieses Erbe stand. Erzählte den Eltern von seiner Reise und tat es so fesselnd und charmant, daß es eine Lust war, ihm zuzuhören.

»Und wie geht es bei Sanders?« wollte er später wissen. »Was macht die Dörth? Ist sie immer noch so ein miesepetriges Dinglein, das sich selbst nicht leiden kann? Wehe dem armen Mann, der diese kleine Tyrannin einmal heiraten wird«, schloß er lachend – und der Vater hatte das Gefühl, als müßte ihm das Herz stillstehen vor Schreck.

Deubel noch eins, das konnte ja gut werden! Der Junge hatte natürlich keine Ahnung davon, was er mit seinem Freund Sander vereinbarte.

Auch die Gräfin ahnte nichts. Ebensowenig, wie verschuldet Rautenau war. Sie war ja so zart und fein, mußte vor jedem rauhen Luftzug des Lebens geschützt werden.

»Pfui, Junge, wie ungalant«, lachte sie jetzt, doch der Gatte winkte hastig ab.

»Edzard, unterlaß bitte derartige Bemerkungen, damit sie nicht womöglich Sanders zu Ohren kommen. Du weißt doch, wie vernarrt sie in ihre Kinder sind…«

»Natürlich weiß ich das«, warf der Sohn unbekümmert ein. »Aber ihr werdet ja das, was ich soeben über den Abgott bemerkte, bestimmt nicht weitersagen.«

In dem Moment schlug der Fernsprecher laut an, und Edzard nahm das Gespräch entgegen.

»Jawohl, ich bin es persönlich«, hörten die Eltern ihn sprechen. »Wie es mir geht? Blendend natürlich. Nun, nun, so arg ist es nun auch wieder nicht, daß ich meinem Globetrottertum Valet sagen müßte. Ich kann es ja nach einer geruhsamen Pause dann hier wiederaufnehmen. Was sagst du da?«

Jetzt lauschte er der Stimme am andern Ende und sprach dann lachend: »Danke, das werde ich bestellen. Natürlich finden wir uns morgen ein, das ist ja nun mal Ehrensache.«

Damit hängte er ab und wandte sich den Eltern zu, die ihn erwartungsvoll ansahen.

»Also, das ist wieder einmal ganz das kleine Scheusal Dörth«, ironisierte er, dabei seinen alten Platz einnehmend. »Eben sagte mir Onkel Georg, daß sein vielgeliebtes Töchterlein aus dem Pensionat ausgebrochen und heute zu Hause eingetroffen ist, was natürlich als Bravourstück beschmunzelt wird. Morgen feiert man ihren Geburtstag, wozu wir herzlichst eingeladen sind. Ich bin recht neugierig auf die Dörth.«

»Junge, ich bitte dich, sei lieb zu ihr«, bat der Graf so dringend, daß der Sohn ihn erstaunt ansah.

»Nanu, Vater, du tust ja so, als hättest du irgendwie Angst vor den Sanders!«

»Ach woher –«, gelang es dem anderen, gleichmütig abzuwinken. »Die vernarrten Eltern können es nun einmal nicht vertragen, wenn man an ihrem Abgott etwas auszusetzen findet. Mutter und mir würde es ja auch nicht gefallen, wenn man dich…«

»Das wäre ja auch noch schöner!« trumpfte die zarte, feine Frau auf. »An unserm prächtigen Jungen dürfte doch nun wirklich nichts auszusetzen sein, will ich meinen.«

»Uijeh!« lachte der Sohn herzlich. »Und wenn man es dennoch täte, mein eitles Muttilein?«

»Dem würde ich erbitterte Fehde ansagen.«

*

Hier stand die schwierige kleine Doro Sander da und ließ sich von den Gästen, die sich zur Feier ihres Geburtstages eingefunden hatten, gnädig becouren. Sie interessierten ihre Hochnäsigkeit samt und sonders nicht – außer Edzard Sölgerthurn. Denn als dieser, den sie ein ganzes Jahr nicht mehr gesehen hatte, vor ihr stand, sie strahlend anlächelte, seine Lippen schmeichelnd über ihr mageres Händchen tändeln ließ – da gab es dem blutjungen Menschenkind einen Schlag aufs Herz. Und da solche Siebzehnjährigen ja überschwenglich sein können und dürfen, so erkor sie sich spontan diesen »göttlichen Mann« zum Heros, zum Idol und Herzens-Schatz.

Nun, einen Schatz muß man ja wohl hüten. Also heftete Doro sich förmlich an die Fersen Edzards, was er sich gutmütig gefallen ließ. Er tanzte mit dem »hölzernen Gestellchen« immer wieder und ließ sich stets erneut lächelnd auf die Füße treten.

Allerdings erschrak er nicht wenig, als dieses kleine Wesen ihm beim langsamen Walzer verzückt zuflüsterte:

»Ich liebe dich, Edzard von Sölgerthurn. Ich liebe dich mehr als mein Leben. Du bist der Traum meiner Nächte, du bist mein Glück, wenn ich erwache. Du bist meine Seligkeit, mein ein und alles auf der Welt –«

»Nun, nun –«, dämmte der Mann diese Liebeserklärung peinlich berührt ab. »Mit siebzehn Jahren weiß man ja noch gar nicht, wohin das Herzchen gehört, kleine Doro. Laß dir mal erst vom Wind die Öhrchen trocken wehen!«

»Pfui, Edzard, du bist abscheulich!« funkelte sie ihn an. »Wie darfst du überhaupt so frivol mit mir sprechen. Ich werde es meinem Paps erzählen!«

»Frivol –?« Er lächelte mitten in ihre Augen hinein, die unter diesem strahlenden Glanz wieder weich und verträumt wurden. »Weißt du denn überhaupt, was frivol ist, du Dummchen?«

»Nein«, gestand sie kleinlaut – und da lachte er sein sieghaftes Lachen. Allen, die es hörten, wurde froh ums Herz, hauptsächlich dem Vater dieses »Götterknaben«.

Na also, es würde sich schon alles zum guten Ende entwickeln. Vor einem Jahr war an eine Verlobung sowieso nicht zu denken, und bis dahin würde die armselige, vermickerte Kleine sich bestimmt besser herausgemacht haben. Sie steckte ja schließlich noch in der Mauserung. Und aus manchem häßlichen Entlein ist schon ein stolzer Schwan geworden.

Von dieser Hoffnung seines Vaters hatte Edzard Sölgerthurn keine Ahnung. Sonst hätte er sich wohl kaum die überschwengliche Anhimmelung Doros so gutmütig gefallen lassen, sondern sie sich energisch abgewimmelt. Aber so – na was, er nahm das Schäfchen einfach nicht ernst.

Allein, Doro wollte ernst genommen sein. Wie sehr, sollte er schon noch erfahren.

Es war ein Junitag, der für die Landwirte zur Hochsaison zählte. Man befand sich allgemein bei der Heuernte, nur der junge Graf Sölgerthurn nicht. Der lag im schattigen Park in der Hängematte. Daß auch er sich betätigen könnte, darauf kam er gar nicht.

Unbehaglich sah er dem Mädchen entgegen, das sich ihm eilig näherte. Natürlich die Dörth! Man war tatsächlich nirgends mehr vor dem überschwenglichen kleinen Balg sicher. Wenn das so weiterging, würde er wohl wieder seine Koffer packen müssen, nur um so viel schmachtender Anhimmelei zu entgehen.

»Hat der Diener doch recht gehabt, daß ich dich hier finden würde«, atmete die Kleine hastig nach dem schnellen Lauf. »Mußt du dich denn immer so verkriechen?«

»Ich hatte ja keine Ahnung, daß du hier bist, Doro. Wann kamst du?«

»Eben. Meine Eltern wissen gar nichts davon. Paps arbeitet wie gewöhnlich um diese Zeit, und Ma ist auf einem Kaffeekränzchen. Ich muß auch gleich zurück, wollte dir nur rasch meine Gedichte vorlesen.«

»Ja, Dörth, soll ich denn meinen Ohren trauen?« fragte er amüsiert. »Du dichtest?«

»Das ist doch nun wirklich nicht zum Lachen!« funkelte sie ihn zornig an. »Du solltest dich mal schämen, mein armes Herz so mit Füßen zu treten!«

»Aber Doro, wer wird denn so exaltiert sein. Komm, lies vor!«

»Nein – jetzt nicht mehr!« schrie sie ihm weinend entgegen – warf ihm das kleine Heft mitten ins Gesicht und rannte davon.

»Das kann man schon mit hysterisch bezeichnen«, zog er unbehaglich die Schulter hoch, griff nach dem Heft und las die »poetischen Ergüsse«. Natürlich waren sie so, wie man es bei der zurückgebliebenen Siebzehnjährigen nicht anders erwarten durfte.

Schade, daß das kleine Dummchen sich ausgerechnet ihn für ihre Vergötterung aussuchte!

*

Auf Rautenau fand ein Sommerfest statt, zu dem alle die Gäste geladen waren, die mit der Familie Sölgerthurn in gesellschaftlichem Verkehr standen.

Lampions schaukelten an den Schnüren, die von Baum zu Baum gespannt waren. Die Tanzfläche fehlte natürlich nicht und auch nicht die Musiker, die aus einem versteckten Winkel die Tanzmusik lieferten.

Daß sich auch die Sanders zu diesem Fest einfanden, war ja wohl bei der engen Freundschaft der Familien selbstverständlich. Der hünenhafte Industrielle schmunzelte, seine hübsche Frau strahlte, und selbst das launenhafte Töchterlein zeigte eine gnädige Miene. Aber auch nur darum, weil es mit seinem Idol stundenlang zusammensein, mit ihm tanzen und es anhimmeln, andichten, anbeten konnte nach Herzenslust.

Der gute Paps hatte tief ins Portemonnaie greifen müssen, um seiner sehr anspruchsvollen Tochter die Toilette zu ermöglichen, die sie sich aussuchte und die für dieses zwanglose Fest viel zu kostbar war. Und dennoch – oder wohl gerade deshalb – wirkte das armselige Persönchen wie ein mißglückter Pfau unter reizenden Waldvöglein.

Aber was tat’s? Die Dörth wünschte das Prunkgewand, und die vernarrten Eltern fügten sich.

Sie ahnten dabei jedoch nicht, was die Tochter damit bezweckte, nämlich: Mit so viel Schönheit ihr Idol derart zu bezaubern, daß es überwältigt kapitulierte und ihr Lieb und Treue schwor für Zeit und Ewigkeit.

Aber wehe, o wehe – davon schien das »Idol« noch sehr weit entfernt zu sein. Denn des Globetrotters Auge war geschult für Schönheit und Charme.

Und dieses Auge tat ihm direkt weh, als das magere Mägdlein sich nun wie ein wirklich hölzernes Gestellchen vor ihm drehte.

»Bin ich nicht bezaubernd, du mein einzig Geliebter?«

Nun, zuerst machte der so Benamste ein Gesicht, als hätte man ihm unversehens auf sein bestes Hühnerauge getreten, dann meinte er vorsichtig:

»Na – ich weiß nicht. Ist deine Aufmachung nicht zu kostbar für dieses zwanglose Sommerfest?«

»Wo denkst du hin«, blähte die geputzte Maid sich bis zum Bersten auf. »Ich will doch die andern Gänschen in den Hintergrund drängen. Will ihnen beweisen, daß ich eine reiche Erbin bin, die zukünftige Herrin von Rautenau –«

»Na, nun mal hoppla!« rief er erschrocken dazwischen, doch das eingebildete Persönchen winkte nonchalant ab.

»Nicht heut’ oder morgen natürlich, dafür bin ich vorläufig ja noch zu jung. Aber du sollte mir heute schon Liebe und Treue schwören!«

»Doro, so sei doch vernünftig!« unterbrach er die Siebzehnjährige, wobei ihm heiß und kalt zugleich wurde. »Das alles liegt doch noch in so weiter Ferne. Komm, sei lieb.«

»Ich will aber nicht lieb sein! Ich will mein Recht, ich will deinen Schwur!«

»Ach du lieber Gott!« Der so in die Enge getriebene Mann wischte sich jetzt den Angstschweiß von der Stirn. Rettung, stöhnte er verzweifelt in sich hinein.

Und siehe da, die Rettung nahte. Groß und breit stand sie da wie ein Fels in der Brandung – und zwar in Gestalt Georg Sanders.

»Nun, ihr Verschworenen, wie ist’s?« lachte er in dröhnendem Baß. »Sich so einfach zu isolieren, das gibt es nicht. Man fragt allgemein schon nach euch. Ihr dürft nicht auffallen, Kinder. Müßt eure – ähem, Liebe – noch geheimhalten. Denn dazu ist die Dörth noch zu jung.«

»Natürlich –«, lachte der junge Graf ganz unmotiviert auf. »Wollen wir uns also dem verehrten Publikum zeigen.«

Wenig später steckten sie dann mitten im Trubel. Und die ohnehin schon erschütterte Seele des Schwerenöters Edzard erhielt einen weiteren Stoß, als zwei Damen sich ihm näherten. Und eine davon war die verführerische Blanka, die letzte Galanterie seines unbekümmerten Reiselebens.

»Nicht wahr, Graf Sölgerthurn, da staunen Sie?« fragte diese Unbekümmernis süß lächelnd –

»Allerdings –«, kam die Antwort eisig. »Woher kommen Sie denn so plötzlich, meine – Gnädige?«

»Oh, wie formell«, wurde das süße Lächeln nun perfid. »Diese sonderbare Sprache ist mir an dir fremd, mein kleiner Edzard. Willst du nicht…«

»Gar nichts will ich!« unterbrach der Mann sie schroff, dabei ängstlich nach allen Seiten spähend. Doch man schien dieses kleine Intermezzo nicht zu beachten, sondern unterhielt sich in Gruppen abgesondert recht lebhaft. »Ich möchte nur, daß Sie mich ungeschoren lassen. Wer verschaffte Ihnen überhaupt Eintritt in diese illustre Gesellschaft?«

»Illustre Gesellschaft sagt er –«, wollte die Mondäne sich halb totlachen, dabei die andere Mondäne, die neben ihr stand, umfassend. »Hast du das gehört?«

O ja, die Meda hörte es und lachte hintergründig. Diese Meda war gewissermaßen das schwarze Schaf der Gesellschaft. Man mußte sie leider in dem exklusiven Kreis dulden, weil ihr verstorbener Gatte, der Kommerzienrat Schratz sich durch große Stiftungen für Stadt und Land verdient gemacht hatte. Denn wer Geld hat, der hat auch Macht. Dem müssen sich selbst engverschlossene Türen schließlich öffnen.

Man mußte es diesem Nabob sogar nachsehen, daß er als Siebzigjähriger eine Zweiundzwanzigjährige heiratete, deren Vergangenheit im Dunkel lag.

Acht Jahre währte diese sonderbare Ehe, dann starb der Betagte, der Witwe einen guten Batzen hinterlassend.

Und mit diesem glaubte die lustige Witib die Welt erschüttern zu können – vor allen Dingen den um fünf Jahre jüngeren Edzard Sölgerthurn. Aber ach, er zeigte ihr die kalte Schulter, worauf sie dem Vermessenen bittere Rache schwor.

Und diese Rache stand nun neben ihr, in Gestalt der verführerischen Blanka, die Meda ganz durch Zufall kennenlernte in der »mondänen« Welt. Denn schöne Seelen finden sich zu Wasser und zu Land, sagt ein Sprichwort.

Es war direkt Musik für die Ohren der Rachsüchtigen, als Blanka ihr von dem Techtelmechtel mit dem Grafen Sölgerthurn erzählte – und schon war ihr Racheplan gefaßt. Sie machte die ewig in einer Geldklemme steckende Blanka zu ihrer Gesellschafterin – und genoß nun ihre Rache kaltlächelnd.

»Aber mein lieber Graf, wie kann man nur so unhöflich sein«, lächelte sie so recht niederträchtig. »Zwar hatte man vergessen, mich zu diesem illustren Fest zu laden, aber ich nehme das nicht weiter übel, weil bei solch Masseneinladungen schon ein Versehen vorkommen kann. Ich bin ja trotzdem hier. Und daß ich meine Freundin mitbringe, ist ja wohl Selbstverständlichkeit, nicht wahr?«

Es gab einen knirschenden Laut, so fest biß der Mann die Zähne zusammen, ihm kam zum erstenmal in seinem unbekümmerten Leben die Ahnung, daß man nicht jede »Sünde« einfach nonchalant abtun konnte, wie es ihm bisher doch stets geglückt war. Daß es auch Rechnungen gab, die man begleichen mußte. Nicht mit Geld, das hatte er allemal großzügig getan – sondern mit moralischen Ohrfeigen.

*

In dem weiten Park von Rautenau herrschte eine Fröhlichkeit, die kaum noch zu überbieten war. Auf der Tanzfläche drehte man sich zur flotten Musik, die älteren Damen plauschten ver­gnügt, und die dazugehörigen Eheliebsten droschen munter ihren Skat. Satt war man, ein guter Tropfen stand greifbar nahe, also konnte man schon vor Wohlbehagen schnurren wie ein Hauskater am warmen Ofen.

Allein die Dörth tat es nicht, sie mußte wachsam ihren Schatz hüten. Augenblicklich hatte sie ihn fest, schmiegte sich in seinen Arm und tanzte nach einer schmeichelnden Weise. Sie tanzte zwar schlecht, aber mit viel Gefühl.

»Und ich wußte, es ist vergeblich, sein Herz zu hüten«, sang man hie und da den Text des Tangos mit.

»O wie schön«, lächelte das blutjunge Menschenkind wie traumverloren zu ihrem Partner auf. »Ich will ja gar nicht mein Herz hüten, Edzard. Ich will es ja in deine Hände geben mit unerschütterlichem Vertrauen. Hör nur, was man jetzt singt: Tief wie das Meer, süß wie der Wein, können nur verliebte Nächte in Italien sein – kennst du so was?«

Da schämte sich der Mann unter dem unschuldigen Blick dieser Kinderaugen.

»Dummchen, du«, sagte er zärtlich. »Zerbrich dir doch darüber dein Köpfchen nicht. – Und nun weinst du gar. Aber Doro, kleine liebe Dörth, wie kann man denn alles nur so tragisch nehmen. Ganz blaß bist du geworden. Du darfst dich doch von so einer süßduseligen Weise nicht verwirren lassen. Dabei ist doch so viel Lug und Trug.«

»Aber nicht bei uns, Edzard – nicht wahr, nicht bei uns?« flehte sie so angstvoll, daß ihm miserabel zumute war. »Sag es mir doch, daß du mich liebst – bitte, bitte!«

»Aber das weißt du doch, Dörth«, beschwichtigte er das Mädchen, das in seinem Arm zitterte und bebte. »Wir lieben uns doch, solange wir uns kennen.«

»Ja – nun ist es gut –«, legte sie mit einem rührenden Lächeln das Köpfchen an seine Schulter. »Nun werde ich auch warten können.«

Zum zweiten Mal an diesem Abend wurde dem geplagten Mann Rettung, und diesmal, als die Musik schwieg. Gutwillig ließ sich Doro von ihm zu den Eltern führen, die mit den Gastgebern und noch einigen ihnen sympathischen Menschen im trauten Kreis beisammensaßen.

»Sekt möchte ich trinken«, sagte Doro mit so strahlenden Augen, wie man sie an ihr noch nie gesehen. »Hol mir ein Glas davon, Edzard, aber möglichst frisch und kühl.«

Er entwetzte mit einem Gefühl, als hätte man ihn aus einer Schlinge befreit. Doch er kam nicht weit – denn schon wurde ihm die zweite Schlinge gelegt. Und diesmal von einer verführerischen Frau, die seinen Arm nahm und ihn dorthin entführte, wo die Illumination nicht mehr hinreichte, wo es verschwiegen war und still im Dämmer des Parkes – und zwei wachsame Augenpaare spähten ihnen nach.

»Nun, mein Süßer«, girrte ein Lachen auf, das den Mann wie ein ekliges Reptil ankroch. »Komm, setz dich zu mir – und laß uns von der Liebe reden wie einst im Mai.«

»Lassen Sie das!« unterbrach er sie schroff, die sich nun auf eine Bank niederließ, während er vor ihr stehenblieb. »Sie nehmen doch nicht etwa an, daß ich Ihnen hierher folgte, um mir Ihr albernes Geschwätz anzuhören?«

»Ach, sieh mal an«, wurde die Stimme nun spitz und schrill, so daß er nervös zusammenfuhr und sich scheu nach allen Seiten umsah. Dann sagte er kurz: »Ich werde Ihnen noch heute einen Scheck zukommen lassen – denn darauf geht ja wohl das ganze Theater aus.«

»Oder auch nicht.« Sie lachte jetzt so richtig niederträchtig. »Ein zärtliches Schäferstündchen möchte ich mit meinem Süßen verleben. Oder hat der vornehme Herr Graf etwa Angst, daß die Erbtocher dahinterkommen könnte, mit der man ihn verkuppeln will? Mit diesem armseligen, vermickerten Scheusal, dieser Heuschrecke…«

Sie hielt entsetzt inne, als plötzlich eine breite Gestalt wie aus dem Erdboden gewachsen vor ihr stand, und auch Edzard fuhr erschrocken zusammen.

»Ich bin’s man bloß, Herr Graf«, klang eine tiefe Stimme beruhigend auf. »Lassen Sie mich nur machen; denn mit so einem Gewürm werden Sie in Ihrer Vornehmheit ja doch nicht fertig. Da muß man grob sein können wie Bohnenstroh!«

»Wer sind Sie Flegel, was wollen Sie überhaupt hier?« kreischte die »Mondäne« angstschlotternd. Doch schon legte sich eine Hand auf ihren Mund, die bestimmt nicht die kleinste Handschuhnummer hatte.

»Aber wer wird denn gleich so kreischen«, sprach der Verwalter von Rautenau gemütlich. »Wirst doch wohl noch den guten alten Emil Blade kennen, der dich einmal gehörig verprügelte, weil du ihm Mottenpulver in den Tabaksbeutel streutest – und der dann deine armen Eltern trösten mußte, als du mit dem alten Krauter durchgingst. Sag mal, Blanka, ist der eigentlich eines natürlichen Todes gestorben? Aber damit du diese Frage beantworten kannst, muß ich dir wohl zuerst den Mund freigeben.«

Er tat’s – und dann lachte er hinter der Frau her, die davonhetzte, als wären tausend Teufel hinter ihr drein. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, vernahm man ein klägliches Wimmern.

»Haben Sie das gehört, Herr Graf?«

»Ja…«

Ihre Augen, die sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten, spähten umher, entdeckten dann unweit im Gebüsch etwas Helles – und gleich darauf standen sie entsetzt vor einer Gestalt, die langgestreckt dalag.

»Nun haben wir die Bescherung«, brummte Blade. »Da ist dieses unglückselige Kind Ihnen nachgeschlichen, Herr Graf, und hat diese widerliche Auseinandersetzung mit angehört. Na, das wird ja einen guten Klamauk geben.«

Damit hob er die Ohnmächtige auf die Arme und sagte hastig zu dem jungen Gebieter, der verstört dastand:

»Wir müssen sie auf Umwegen ins Schloß bringen. Hoffentlich läuft uns keiner der Gäste dabei in den Weg.«

Doch sie hatten Glück. Unbemerkt erreichten sie das Schlafzimmer der Gräfin, wo Blade seine leichte Last auf den Diwan legte.

»Donner noch eins«, wischte er sich den Angstschweiß von der Stirn. »Ich glaube, Herr Graf, da können wir nichts machen, da müssen sich schon die Damen um die Ohnmächtige bemühen. Ich werde ihnen sofort Bescheid sagen.«

Fort war er, und verstört sah Edzard auf Doro nieder, die bewegungslos dalag. Das hagere Gesichtchen geisterhaft bleich, den Mund wie im Schmerz verkrampft.

Und dann war es die beherzte Ruth, die nicht so lange fassungslos auf das geisterhafte Mädchen starrte, wie der Gatte und die drei Sölgerthurns es taten, sondern handelte. Sie hielt dem wie tot erscheinenden Töchterlein einen mit belebender Essenz getränkten Wattebausch unter die Nase, und schon war das mit Erfolg gekrönt. Die schmale Brust begann zu arbeiten, die bläulichweißen Lider hoben sich schwer von den Augen, die umherirrten, als hätten sie bereits in eine andere Welt geschaut. Bis diese gehetzten Augen an Edzard hängen blieben.

»Nein!« schrie sie da so gepeinigt auf, daß es allen sozusagen durch Mark und Bein ging. »Nein, ich will ihn nicht mehr sehen! Er ist ja so schlecht – so erbärmlich schlecht.«

»Wer denn, mein Liebes?« fragte Ruth mit schwankender Stimme, dabei den kümmerlichen Körper des Stiefkindes, das ihr doch so fest ans Herz gewachsen war, erbarmend umfassend. »Wer hat dir denn etwas zuleide getan?«

»Edzard – er brach mir die Treue – mit dieser Kokotten – der Freundin der Frau Schratz…«

Wie auf Kommando gingen jetzt die Blicke der verstörten Menschen zu dem jungen Mann hin, der dastand – mit hängendem Kopf, mit hängenden Armen – wie das personifizierte Schuldbewußtsein.

»Edzard… du…?« fragte die Mutter so jammervoll, da er wie ein ertappter Sünder zusammenfuhr und bis in die Lippen erblaßte. Nicht ein Wort bekam er über die verkrampften Lippen – und das bedeutete gewissermaßen sein Todesurteil. Es herrschte eine an Herz und Nerven zerrende Stille im Raum, bis Doro aufschrie, ganz dünn und hell:

»Bring mich fort, Paps – bring mich fort. Er ist ja so schlecht – so abgrundtief schlecht – er hat mir das Herz gebrochen!«

Da biß der gepeinigte Vater die Zähne zusammen, hob seine Tochter auf die Arme, hastete davon, die Gattin folgte – und dann klappte die Tür zu.

»Edzard, um Gottes willen, was hat das zu bedeuten!« fuhr der Vater sich buchstäblich in die Haare. »Rede doch endlich, Junge! Steh doch nicht da wie ein Gebild aus Stein!«

Vom Park her kam flotte Musik, fröhliches Lachen perlte dazwischen.

»Lassen wir das«, sprach Edzard jetzt so hart, wie die Eltern es noch nie von ihm gehört. »Wir müssen uns jetzt um unsere Gäste kümmern. Später werde ich euch alles erklären.«

Er ging – und die Mutter weinte heiß auf. Der Gatte, der sie umfaßte, merkte, wie sie an allen Gliedern bebte.

»Liebste Frau, ich bitte dich, werde nicht auch noch ohnmächtig«, flehte er in heißer Herzensangst. »Komm, ich bring dich zu Bett –«

»Das geht nicht, Bertram«, winkte sie ab, die Tränen dabei trocknend. »Man würde mich unten vermissen. Mach dir keine Sorge, ich halte schon durch.«

Das tat sie denn auch in bewundernswerter Haltung. Keiner der Gäste wäre auf den Gedanken gekommen, daß die liebenswürdig lächelnde Gastgeberin so voller Angst und Sorge war. Der Gatte ließ sie nicht aus den Augen, weil er fürchtete, daß sie jeden Augenblick in sich zusammensinken könnte.

Und Edzard? Nun, der war ganz der Sohn seiner beherrschten Eltern. Er tanzte, lachte und scherzte – und dabei war ihm so erbärmlich zumute.

*

Als Edzard nach dem Ende des ­Festes das Schloß betrat, tat er es schleichend wie ein Dieb. Nur jetzt nicht noch dem Vater Rede und Antwort stehen müssen, erst einmal mit sich selbst fertig werden.

Allein, das sollte ihm nicht vergönnt sein. Denn die Wohnzimmertür öffnete sich, und der Senior stand auf der Schwelle.

»Auf ein Wort, Edzard.«

»Hat das nicht Zeit bis morgen?«

»Nein, das hat keine Zeit«, kam es unwillig zurück. »Gekniffen wird hier nicht, mein Lieber.«

Wenig später stand der Sohn dann dem Vater gegenüber, der ohne Umschweife begann:

»Setzen wir uns. Und dann möchte ich auf meine Fragen klipp und klare Antworten haben. Erkläre mir, was Doro damit meinte, daß du ihr – die Treue – und das Herz – brachst. Denn schließlich wurde das Mädchen gerade erst siebzehn Jahre alt – und ist außerdem in ihrer ganzen Entwicklung zurückgeblieben. Du hast doch nicht etwa mit diesem Kind…«

»Ich habe gar nichts!« brauste Edzard jetzt dazwischen. »Für wie geschmacklos hältst du mich eigentlich!«

Danach war es erst einmal beklemmend still, dann fragte der Vater kurz:

»Und was war das für eine – Dame –, die diese obskure Schratz uns so mir nichts, dir nichts ins Haus brachte? Kanntest du sie?«

»Ja.«

»Woher?«

»Von meiner letzten Reise.«

»Dann hast du…«

»Ja, ich habe.«

»Ja, sag mal, mein Sohn, schämst du dich denn gar nicht, mit so einer zwielichtigen Person – anzubändeln? Nun sehe ich endlich klar. Sie ist dir hierher gefolgt, um dich an dein Versprechen zu mahnen.«

»Unsinn!« schnitt der Sohn dem Vater schroff das Wort ab. »Ich habe gar nichts versprochen, dafür bin ich viel zu vorsichtig der Weiblichkeit gegenüber. Es wäre auch alles halb so schlimm, wenn Doro uns nicht nachgeschlichen wäre und unser Gespräch belauscht hätte –«

»Großer Gott, auch das noch!« stöhnte Bertram gepeinigt auf. »Junge, mit dieser Kokette hast du dir dein ferneres Leben zerstört. Sieh mich nicht so verständnislos an – es ist zum Wahnsinnigwerden!«

Und dann brach es aus ihm heraus, alles das, was er mit seinem Freund Sander geplant und erhofft. Schonungslos eröffnete er dem Sohn, wie es um Rautenau stand – und ganz blaß hörte dieser zu.

»Na, wenn das keine niederschmetternde Eröffnung ist!« lachte er dann auf, so hart, so rauh, so voll bitterster Verzweiflung, daß dem Vater das Herz brechen wollte vor Jammer. Doch ehe er noch etwas sagen konnte, war der Sohn schon hinausgestürmt…

Und somit endete das herrliche, unbekümmerte Leben des Herrensöhnchens Edzard Sölgerthurn.

*

Es gab nun Wochen verzweifelter Angst und Not. Und nicht nur in der Villa, sondern auch im Schloß.

Und wenn man so sagt, daß ein Mensch sich über Nacht verändern kann, dann traf das bei Edzard Sölgerthurn voll und ganz zu. Denn aus dem strahlenden »Götterknaben« war ein Mann geworden – ein Mann, der über Nacht das Lachen verlernt zu haben schien. Und hatte er sich früher nie um den landwirtschaftlichen Betrieb gekümmert, so tat er es jetzt mit Verbissenheit. Gönnte sich weder Rast noch Ruh, bis es selbst dem sehr tüchtigen Verwalter zuviel wurde.

»Herr Graf, das ist ja nun wohl übertrieben«, sagte er an einem Tag, dabei besorgt in das Gesicht seines jungen Gebieters sehend, das sich in den vergangenen Wochen so sehr verändert hatte. Schmal war es geworden, hart und kantig. Die Augen, die einst so gestrahlt, blitzten jetzt wie kalte Kiesel, und wenn der harte Mund sich einmal zum Lächeln verzog, geschah es voll Bitternis und Sarkasmus.

»Herr Graf, wenn Sie das weiter so treiben, machen Sie sich kaputt.«

»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen«, kam es verbissen zurück. »Wie steht es überhaupt, werden wir die Zinsen aufbringen können? Denn von Herrn Sander haben wir keine Rücksicht mehr zu erwarten.«

»Leider –«, knurrte der Verwalter wie ein bissiger Kettenhund. »Der hegt und hätschelt seinen Groll wie ein zartes Baby. Wie geht es übrigens Fräulein Sander?«

»Sie scheint jetzt endlich über den Berg zu sein, wie man so sagt. Man erfährt ja nichts Genaues, weil Herr und Frau Sander sich von uns nicht sprechen lassen, weder persönlich noch fernmündlich. So gibt denn der Diener das Befinden der Kranken täglich durch, obwohl wir ihn darum nicht angingen.

Übrigens, Herr Blade, wenn wir das Geld für die Zinsen nicht zusammenkriegen sollten, bin ich bereit, das Nebengut Lindgau zu verkaufen. Sie wissen ja, daß mein Großvater es mir persönlich vermachte, weil es nicht direkt zu Rautenau gehörte, sondern von meiner Großmutter mit in die Ehe gebracht wurde. Also ist es mein unumschränktes Eigentum.«

Damit ging er – und der Verwalter sah ihm mitleidig nach.

Armer Kerl! Was andere verbrachen, dafür mußt du jetzt büßen. Denn nicht nur dein Vater machte sich an dir schuldig, indem er dich so unbekümmert in den Tag hineinleben ließ, sondern auch Sander, weil er das mit stets bereitgehaltenem Portemonnaie begünstigte. Und nun er dafür geradestehen soll, schmollte er wie ein vertrotztes Kind.

Nun, mit der Annahme tat der erbitterte Verwalter dem Mann unrecht. Er schmollte durchaus nicht, sondern bangte um das Leben seiner Tochter, das wochenlang wie an einem seidenen Faden hing. Also konnte man ihm nicht verdenken, daß er demjenigen bitter gram war, der seiner Ansicht nach die Krankheit seines Kindes verschuldet hatte. Der verbissene Groll begann sich erst langsam zu legen, als seine so sehr geliebte Dörth außer Gefahr war und man sie zur Erholung nach dem Süden gebracht hatte. Ruth und der Junge blieben bei der Rekonvalenszentin, während Georg sich nur eine Woche bei ihr aufhalten konnte. Länger ging es nicht, die Arbeit rief.

Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr Sander dann, daß Lindgau zum Verkauf stände. Warum, war dem Mann natürlich klar. Man konnte in Rautenau nicht die Zinsen aufbringen, und so war der junge Graf gezwungen, sein persönliches Eigentum herzugeben, weil das nicht der Herrschaft Rautenau unterlag, von der kein Stück laut Familiengesetz veräußert werden durfte.

Nun, dieser Verkauf paßte Sander nicht. Also erschien er bei Bertram Sölgerthurn, vor dessen Anblick er erschrak. Alt, müde und grau sah er ihm entgegen.

»Keine Angst, du sollst zu deinem Recht kommen«, sagte er bitter. »Die Zinsen werden pünktlich gezahlt.«

»Quatsch!« tat der andere unwirsch ab, während er unaufgefordert Platz nahm. »Deshalb erscheine ich nicht, sondern um zu verhindern, daß Lindgau verkauft wird. Du scheinst den Kopf verloren zu haben, mein lieber Freund.«

»Freund…?« dehnte der Graf. »Ich weiß nicht.«

»Aber ich weiß«, wurde er barsch unterbrochen. »Und zwar, daß ich nicht zugeben werde, daß dieses schöne Gut verkauft wird. Kannst du die Zinsen nicht pünktlich aufbringen, dann werde ich sie dir eben stunden – basta!«

»Das will Edzard nicht.«

»Ach was, grüne Jungen haben gar nichts zu wollen. Mag er lieber Gott danken, daß mir mein Kind nicht genommen wurde – sonst –«

»Laß mir den Jungen in Ruhe. Er ist wahrlich genug für etwas gestraft, was er gar nicht verbrach. Sieh ihn dir doch an, was in den sechs Wochen aus ihm geworden ist. Das Herz im Leib könnte sich einem umdrehen vor Jammer.«

»Das machen bei ihm die Gewissensbisse.«

»Gewissensbisse –?« brauste Bertram jetzt auf. »Warum sollte er denn welche haben, wenn ich fragen darf! Daß deine hysterische Tochter ihn als ihr Eigentum betrachtete, dafür kann er doch wahrlich nichts. Laß dir erklären…«

»Danke. Was ich wissen muß, hat meine Tochter in ihren Fieberphantasien hinlänglich erklärt.«

»Na also! Du stehst auf der Seite deines Kindes, ich auf der des meinen. Somit wäre wohl jeder Kommentar überflüssig.«

»Das scheint es tatsächlich zu sein.«

Eine steife Verbeugung. Sander ging – und der Graf stöhnte gepeinigt auf.

*

Fast drei Jahre waren vergangen. Drei Jahre, wo man bei dem Industriellen Sander das Sprichwort anwenden konnte: Wer Tauben hat, dem fliegen Tauben zu. Denn sein Reichtum mehrte sich. Was er auch beginnen mochte, das glückte, scheffelte Geld noch und noch.

Und bei den Sölgerthurns? Da konnte man mit dem Sprichwort sagen: Wer Unglück haben soll, stolpert im Grase, fällt auf den Rücken und bricht die Nase.

Denn was man in Rautenau auch tat, immer stand ein Unstern darüber. Verregnete Ernten, Viehseuchen, tödliche Krankheiten in der Pferdezucht und noch so manches Erschütternde mehr. Es schien fast, als hätten sich alle Teufel gegen die Sölgerthurns verschworen.

Der Vater, der Sohn und der treue Verwalter kämpften verbissen, gönnten sich weder Rast noch Ruh. Aber ach, wie ein Schreckgespenst standen die enormen Zinsen hinter ihnen, duckten und traten sie.

Was sollte man nun noch tun, um diesem Moloch zu opfern? Man hatte es ja bereits mit Lindgau getan, das, wie man wußte, der über sie triumphierende Geldmann Sander erworben hatte.

Was Rautenau noch retten könnte, wäre eine reiche Heirat des jungen Grafen. Und dieser hätte sich bestimmt dazu entschlossen, wenn er nur Gelegenheit gehabt hätte. Aber im Umkreis gab es keine solche Erbin, und sie anderswo kennenzulernen, war nicht möglich, weil der Mann nicht weiter als bis zur Stadt kam.

Mit Sanders kam man nur noch auf den Geselligkeiten zusammen, von denen man sich nicht ausschließen konnte. Man sprach dann natürlich miteinander, um dem Klatsch keine Nahrung zu bieten, kam aber über das Konventionelle nicht mehr hinaus.

Daher wurde auch Doro nie erwähnt. Was Sölgerthurns von ihr wußten, hörten sie durch andere. Aber auch die konnten nur erzählen, daß das vielgeliebte Töchterlein noch immer im Süden weilte und von den Eltern jeden Monat auf einige Tage besucht wurde. Wenn diese nach Hause zurückkehrten, schwiegen sie sich aus in tausend Sprachen, wie man so sagt.

Es war an einem Tag zu Anfang Mai, als der junge Graf das Bankhaus verließ, wo er einige Überweisungen angeordnet hatte. Lappalien gegen die Riesensumme, die man jedes Vierteljahr zahlen mußte. Aber man hatte es wenigstens schaffen können – Gott sei Dank!

Rasch schritt er die Hauptstraße hinunter, um zum Parkplatz zu gelangen, als ihm das Ehepaar Sander in Begleitung einer jungen Dame entgegenkam. Nun, so fremd geworden war man sich nun auch wieder nicht, um mit kurzem Gruß aneinander vor­überzugehen. Das ging schon wegen der Menschen nicht, denen man ja ständig etwas vormachen mußte.

Ergo blieb man stehen, begrüßte sich artig – und dann verharrte Edzard vor der jungen Dame in tadelloser Verbeugung.

»Tatsächlich, er kennt mich nicht mehr«, traf da ein silbernes Lachen an sein Ohr. »Muß ich mich aber sehr verändert haben! Rate mal, wer ich denn wohl sein könnte, Freund Edzard?«

»Doro…?« fragte er unsicher – und da lachte sie wieder.

»In Lebensgröße. Aber kommt in das Café, vor dem wir gerade stehen. Die Passanten bekommen nämlich schon Augen auf Stielchen.«

Damit schob sie ganz ungeniert die Hand unter seinen Arm, zog ihn mit sich fort – und den Eltern blieb nichts anderes übrig, als ihrem eigenwilligen Töchterlein zu folgen.

Das Café war gut besetzt. Man mußte an vielen Tischen vor­übergehen, bis man einen freien fand. Es war sehr still in dem weiten Raum, selbst die Musik spielte in dem Moment nicht.

»Das reinste Spießrutenlaufen«, bemerkte Doro mit spöttischem Lächeln. »Da haben die Leutchen jetzt wieder mal was zu klatschen.«

Man nahm Platz und gab dem Ober die Bestellung auf. Doch während die andern es bei einem Kännchen Kaffee bewenden ließen, verlangte Doro noch zwei Windbeutel mit recht viel Sahne dazu.

»Ich mag die doch so schrecklich gern«, plauderte sie unbefangen, während die Eltern verlegen lächelten und der Graf den Eindruck machte, als wäre er von einem Eiswall umgeben. Er steckte eine Zigarette in Brand, legte sich im Sessel zurück und betrachtete sein Gegenüber verstohlen.

Das sollte die vermickerte Dörth sein, diese kleine jämmerliche Heuschrecke? Kaum zu glauben! Denn was da saß, war ein rassiges Geschöpf mit dem sicheren Auftreten der jungen Dame von Welt. Wunderbar gewachsen, ein feines Gesicht mit einem leicht hochmütigen Ausdruck. Die einst so fahlblauen Augen schienen die leuchtenden Bläue des Himmels zu haben, das einst so stumpfe, schüttere Haar glänzte wie Altgold in dicken, vielleicht sogar natürlichen Locken. Und die Kleidung war von ausgesuchter Eleganz.

Dazu schien diese bezaubernde junge Dame von einer herzerfrischenden Natürlichkeit zu sein – und mit gutem Appetit gesegnet. Denn nachdem sie die beiden Windbeutel genießerisch verzehrt hatte, bestellte sie beim Ober zwei weitere nach, und die Mutter sagte vorwurfsvoll:

»Dörth, du kannst wieder einmal kein Maß halten.«

»Aber Ma, wenn es mir doch gut schmeckt. Doch so seid ihr nun. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ihr mich direkt anflehtet, doch um Himmels willen zu essen. Und nun ich es tu’, ist es auch nicht gut. Man kann euch aber auch nichts recht machen. Wenn das so weitergeht, entfleuche ich und krieche wieder unter die Flügel meiner guten Jo. Bei der konnte ich machen, was mir paßte.«

»Als ob du das nicht schon immer getan hättest«, bemerkte trocken der Vater, der sich gar nicht wohl in seiner Haut fühlte.

Da hatte man sich nun des Görs wegen mit den Sölgerthurns, mit denen man jahrzehntelang in treuer Freundschaft verbunden gewesen war, entzweit – und nur weil so eine überspannte kleine Person in Hirngespinsten schwelgte. Und nun schleifte sie den Mann, vor dem sie sich doch eigentlich hätte schämen müssen, ins Café und tat so harmlos wie ein Kind, das kein Wässerchen trüben konnte.

Was machte man da bloß mit dem Gör, das da in aller Seelenruhe saß und genießerisch die Windbeutel aß?

Dabei summte sie das Lied mit, das die Kapelle gerade spielte und das ihre damaligen Fieberphantasien ganz durchzogen hatte wie ein blutroter Faden.

Und ich wußte, es ist vergeblich, sein Herz zu hüten. Silberne Nacht von Sankt Michele, silberne Nacht im Paradies.

Das letzte kam nur noch wie ein sattes, zufriedenes Grunzen – denn der vierte Windbeutel war verzehrt.

»Um Gottes willen, Dörth!« wehrte die Mutter entsetzt, als das Töchterlein sich wie suchend umsah.

»Du willst doch nicht womöglich noch mehr Windbeutel bestellen?«

»Och, verdrücken könnte ich schon noch welche, aber ich will dir das ersparen. Und was geschieht nun?«

»Jetzt werden wir aufbrechen«, sagte der Vater nervös. »Dieser Kaffeehausbesuch war ja gar nicht vorgesehen, und nun muß ich mich beeilen, damit ich mit meinen Besorgungen zurechtkomme.«

»Und was hast du vor, Edzard?«

»Ich fahre nach Hause, Doro.«

»Ach, sieh mal, du kannst ja auch reden«, lachte sie ihn lieblich an. »Ich fürchtete schon, daß du taubstumm geworden sein könntest. Weißt du was? Ich komme mit dir nach Rautenau und sage Tante Linda und Onkel Bertram guten Tag.«

»Das wirst du nicht tun. Oder soll ich dir hier eine Szene machen?«

»Die mache ich dir zu Hause!« stieß der Mann ingrimmig hervor. »Nebenbei sollst du die erste Ohrfeige deines Lebens bekommen.«

»Das kriegst du ja doch nicht fertig, mein Papsileinchen«, lachte sie ihn einfach aus.

»Und wie ich das fertigkriege! Schämst du dich denn gar nicht, dich Edzard aufzudrängen? Hoffentlich lehnt er deine Begleitung ab.«

»Ach wo, dafür ist er zu ritterlich.«

Am liebsten wäre der verzweifelte Vater sich in die Haare gefahren, was hier unter den vielen neugierigen Augen natürlich nicht anging.

Indes hatte Edzard seinen Kaffee bezahlt, und auch Sander beglich seine Rechnung. Und als man auf die Straße trat, konnte der Vater wieder nicht so mit dem eigenwilligen Töchterlein verfahren, wie er liebend gern gewollt hätte. Denn auch hier gab es Menschen, denen man kein Schauspiel bieten durfte. Also mußte er zulassen, daß diese unverfrorene kleine Person an der Seite des Grafen davonging mit einer Selbstverständlichkeit, als müßte es so sein. Und was der Vater wirklich noch nie getan hatte, das tat er jetzt, nämlich: Er bereute, seine Tochter so maßlos verzogen zu haben.

*

Indes saß Doro quietschvergnügt an der Seite Edzards und fuhr Rautenau zu. Er hatte noch kein Wort gesprochen, was sie durchaus nicht zu stören schien. Sie war kein bißchen verlegen, auch dann nicht, als sie vor dem Ehepaar Sölgerthurn stand, das sie erstaunt musterte.

»Ja, wen hast du denn da mitgebracht, mein Sohn?« fragte der Vater, der sich erhoben hatte und in höflicher Haltung vor der jungen Dame verharrte… »Irgendwie kommen Sie mir bekannt vor, meine kleine Gnädige.«

»Nur irgendwie –?« lachte sie, dabei das Köpfchen schieflegend. »Betrachte mich nur genau, Onkel Bertram.«

»Ja, kann das möglich sein…?« dehnte er. »Sie sind doch nicht etwa Fräulein Sander?«

»Aber Onkel Bertram, wer wird denn so formell sein«, tat sie vorwurfsvoll. »Bin ich denn gar nicht mehr deine Dörth?«

Wie weggewischt war der liebenswürdige Ausdruck auf dem Männerantlitz, er wurde kalt und ablehnend. Auch die Gräfin, die dem allen verwundert gefolgt war, erstarrte sozusagen in Eis. Sie reichte dem Mädchen nicht einmal die Hand, als es sich ihr näherte, erwiderte den Gruß nur mit einem hochmütigen Kopfneigen.

Man bat den unerwünschten Gast auch nicht, Platz zu nehmen. Und als er es unaufgefordert tat, bekam man es dennoch nicht fertig, es ihm zu verwehren. Es gehörte auch allerlei Mut dazu, in dieser eisigen Atmosphäre zu verweilen. Doch Doro konnte es, sehr gut sogar.

»Da bin ich«, eröffnete sie die Unterhaltung. »Aber ich finde, daß ihr gar nicht nett zu mir seid. Lassen wir doch die alten Geschichten. Ich bin hier, um wiedergutzumachen.«

»Ich wüßte nicht, wie du das wohl zuwege bringen könntest«, winkte die Gräfin müde ab – und darauf wußte die kecke Doro nichts zu erwidern. Regungslos lehnte sie im Sessel, nur die Augen hasteten umher.

Und was sie erspähten, war sehr, sehr traurig. Aus allen Ecken des hohen, weiten Gemachs, in dem alles alte feudale Tradition atmete, schien es zu raunen von Sorge und Not, von Kummer und Trübsal. Weiß war das Haar der Gräfin, das vornehme Antlitz verhärmt und vergrämt. Der Senior, der noch vor drei Jahren so schneidig gewesen war, so lustig und vital, war jetzt gramgebeugt. Und der junge Graf? Aber auch nichts mehr war von dem sonnigen, strahlenden »Götterknaben« übriggeblieben. Der da so lässig gegen den Kamin gelehnt stand, war ein Mann mit hartem, herrischem Gesicht und kühlblickenden Augen.

»Na schön –«, sprach Doro jetzt in die peinigende Stille hinein, als beantworte sie sich eine Frage. »So kann ich denn ja wieder gehen.«

Als sie niemand zurückhielt, stand sie auf und wandte sich an den jungen Grafen.

»Bring mich zur Stadt zurück, Edzard.«

Ein frostiges Grüßen hüben und drüben, dann gingen die beiden jungen Menschen davon. Und obwohl sie im Auto nebeneinandersaßen, schien eine hohe, feste Mauer sie zu trennen. Jetzt schwieg nicht nur Edzard, sondern auch Doro, bis sie kurz sagte:

»Fahr bitte rechts und stopp ab. Ich sehe nämlich unser Auto kommen.«

Die beiden Wagen hielten, und das Mädchen wechselte rasch in den elterlichen über, ohne sich von dem Grafen verabschiedet zu haben.

Und auch in diesem luxuriösen Gefährt saß man schweigend, weil man des Chauffeurs wegen doch nicht so sprechen konnte, wie einem ums Herz war. Doch im Wohnzimmer angekommen, machte der Hausherr seinem arg bedrängten Herzen Luft.

»Ich möchte gern wissen, was du dir so eigentlich denkst!« fuhr er die Tochter an, die so uninteressiert dasaß, als spräche er gar nicht zu ihr. »Gehst einfach hin zu den Menschen, mit denen wir durch deine Hysterie auseinanderkamen und die dadurch in bittere Not gerieten.«

»Eben –«, warf sie seelenruhig ein. »Und diese Not wird ein Ende haben, wenn ich Edzards Frau werde.«

Aus dem Sessel, wo Ruth saß, kam ein kurzer Aufschrei, und der Gatte, der ruhelos im Zimmer umherwanderte, blieb nun ruckartig vor der Tochter stehen und starrte das bezaubernde Wesen an, als wäre es etwas Grausiges. Bis es sich endlich von seinen Lippen rang:

»Ja, sag mal, mein Kind, hast du etwa den Verstand verloren?«

»Mitnichten, der war nie klarer als jetzt. Ich will doch nur gutmachen – ist denn das so schwer zu begreifen?«

»Ja, in drei Deubels Namen!« schrie der Mann jetzt aufgebracht. »Da gibt es nichts mehr gutzumachen, hast du mich verstanden? Woher überhaupt plötzlich dieser Edelmut? Es hat dich doch fast drei Jahre lang absolut nicht gerührt, wenn ich von den Sorgen und Nöten der gräflichen Familie sprach. Bilde dir nur nicht ein, daß du einen Mann wie Edzard Sölgerthurn beherrschen kannst. Früher vielleicht, aber jetzt nicht mehr. Der ist in den drei Jahren durch eine Kelter gepreßt worden, die ihn hart wie Stahl werden ließ. Bei dem beißt du mit deinen Launen auf lauter kleine Kieselsteinchen, das kannst du mir glauben.«

»Mit meinen Launen schon«, klang da eine Stimme in seine quälenden Gedanken hinein. »Aber nicht mit meinem Vorschlag. Denn Edzard Sölgerthurn liebt sein Rautenau genauso wie seine Eltern. Also wird er bereit sein, dafür Opfer zu bringen.«

»Ich glaube, sie hat recht«, meldete sich jetzt Ruth, die dem allen in banger Sorge gefolgt war. »Aber auch du wirst Opfer bringen müssen, mein Kind. Denn die ungeliebte Frau eines Mannes zu sein, ist entsetzlich schwer.«

»Ma, jetzt werde bloß nicht elegisch«, wurde Doro nun doch nervös. »Ich habe es satt, mir immer wieder von euch vorhalten zu lassen, was alles ich mit meiner Überspanntheit an den Sölgerthurns verschuldet habe. Und gutmachen kann ich nur als Edzards Frau.«

»Na schön, sollst du deinen Willen haben. Aber die Konsequenzen wirst du allein tragen müssen. Und dein Herz wirst du hüten müssen – das heißt, wenn du kaltschnäuziges Persönchen überhaupt eins hast. Denn Edzard Sölgerthurn ist ein Mann, dem keine Frau widerstehen wird. Aber dann komm uns nicht mit Klagen, wenn er dich abtun wird wie eine Frau – nun – wie eine, die sich ihm – anbietet. Ich warne dich, mein Kind, vor dieser Ehe. Denn sie ist genauso ein Hirngespinst bei dir wie das vor drei Jahren.«

Nach diesen eindringlichen Worten war es zuerst einmal beklemmend still. Doro saß da, den Kopf in die Hand gestützt, über die die gleißende Lockenpracht fiel und so das Gesicht verdeckte.

»Doro –«, mahnte nun auch die Mutter leise. »Doro, mein geliebtes Kind. Komm, sei lieb. Laß uns beraten, wie wir den Sölgerthurns in anderer Weise helfen könnten!«

»Ach, laß mich doch endlich in Ruhe!« wurde das Mädchen jetzt heftig. »Habt ihr es denn noch nicht genug erfahren, wie stolz diese Menschen sind? Daß sie sich nicht ein Almosen zuwerfen lassen, wie die Bettler?«

»Und was ist deine Heiratsbereitschaft denn schon anders?« höhnte der Vater, und da sah sie ihn an mit einem Blick, vor dem er den seinen niederschlug.

»Das Geld wird meine Mitgift sein, mein lieber Paps. Und eine solche anzunehmen, bedeutet für keinen Mann Erniedrigung.«

»Jos Schule!« fuhr der Mann sich jetzt verzweifelt in die Haare. »O ich Rindvieh, der ich dich ihr ein ganzes Jahr lang vertrauensvoll überließ.

Also gut, es sei –«, wurde nun seine Stimme hart. »Doch damit du nicht hingehst und dem jungen Grafen einen Heiratsantrag machst, was ich dir ohne weiteres zutraue, werde ich es für dich tun. Dann bleibt wenigstens einigermaßen die Form gewahrt.«

*

Also machte Georg Sander sich auf den Weg, der ihm so sauer fiel, wie noch keiner in seinem Leben zuvor. Da es Sonntag war, fand er die Familie Sölgerthurn vereint im Wohngemach vor.

Es war nach fast drei Jahren wieder das erste Mal, daß er uneingeladen erschien wie zu alten Zeiten, da die befreundeten Familien in ihren Häusern zwanglos aus und ein gingen. Daher befremdete das unerwartete Erscheinen des Mannes, was man sich natürlich nicht anmerken ließ, sondern unter der Maske konventioneller Höflichkeit verbarg.

Und da saß nun der Industrielle, der eine große Anzahl Untergebener befehligte, der eine Macht besaß, vor der alle Türen aufsprangen – die Macht des Geldes. Und dem diese Macht eine herrische Sicherheit gab.

Aber jetzt fühlte er sich alles andere denn sicher. Kämpfte gegen Hemmungen an und wurde dabei immer verlegener unter dem Blick der drei Augenpaare, die abwartend an ihm hingen.

»Es will mir fast scheinen, Georg, als hättest du etwas auf dem Herzen, das nur schwer heruntergeht, stimmt’s?« sagte die Gräfin lächelnd.

»Ja – natürlich – so ist es –«, atmete er hörbar auf. »Es ist verflixt schwer, was ich zu eröffnen habe – denn es geht um Doro und – Edzard…

Die sollen nämlich ein Paar werden«, platzte er jetzt verzweifelt heraus. »Damit möchte die Dörth die Schuld abtragen, die sie gegen euch hat.«

Es war den drei Menschen gewiß nicht zu verdenken, daß sie erst einmal wie erstarrt verharrten. Doch dann war es der junge Graf, der amüsiert auflachte.

»Ganz Doro, die Menschen als Marionetten zu betrachten. Na was, das ist doch so einfach. Man zieht am Strippchen, und schon hampeln sie.«

»Leider kann ich dir da nicht widersprechen«, entgegnete Sander bedrückt. »Wenn ich etwas in meinem Leben zu bereuen habe, dann, daß ich in diesem Nichtsnutz einen Abgott sah und ihn förmlich anbetete. Ferner habe ich zu bereuen, daß ich diese ohnehin schon verschrobene kleine Person der Baronin Salte so völlig überließ.

Aber was sollten Ruth und ich wohl machen, als Doro trotz bester Pflege und Betreuung langsam, aber sicher dahinsiechte, fast zwei Jahre lang? Nach Hause konnten wir sie nicht nehmen, davon rieten sämliche Ärzte ab. Der jähe Wechsel aus dem sonnigen Süden nach dem rauhen Norden wäre gar ihr Tod gewesen.

Also kam Doro von einem Sanatorium ins andere, es waren im ganzen fünf Stück. Bis dann ein Psychiater uns riet, unsere arme Kleine nicht in einem Sanatorium vegetieren zu lassen, sondern sie aus ihrer Lethargie aufzurütteln, ihr Abwechslung zu bieten noch und noch. Sie möge reisen und an Vergnügungen teilnehmen. Dann würde sie begreifen, wie schön das Leben sei. Sie brauche einen Maître de plaisir. Und da Ruth und ich durch die ewige Sorge um Doro schon ganz zermürbt waren, griffen wir nach dem letzten Strohhalm – und der hieß Jo Salte. Eine Dame mittleren Alters, die, wie man so sagt, mit allen Wassern gewaschen ist – natürlich in gutem Sinne. Sie nahm lachend unser Miesepeterchen unter ihre charmanten Fittiche, und der Erfolg blieb dann auch nicht aus. Sie sorgte für ihren Schützling wie eine liebevolle Mutter und entfremdete uns damit das Kind immer mehr. Denn was wir sagen, ist für die Dörth einfach in den Wind gesprochen, aber was die Jo sagt, das ist Evangelium. Sie ist es sicher auch gewesen, die Doro zu dieser Heirat riet, obwohl diese es nicht direkt zugibt. Und nun sprich du, Edzard.«

Danach herrschte zuerst einmal Stille. So eine Stille, die an Herz und Nerven zerrt. Gelassen stopfte der junge Graf die Pfeife, steckte sie mit einer Umständlichkeit in Brand, die andere fast rasend machen kann, nahm sie wieder aus dem Mund, stieß den Rauch durch die Zähne, klemmte die Pfeife wieder ein – und sah dann zu seinen Eltern hinüber mit kurzem scharfem Blick. Sah zwei Augenpaare auf sich gerichtet, die wie um Gnade flehten – dann erst sprach er langsam und betont:

»Na schön, machen wir einen Vertrag, in dem ich meine Bedingungen stellen darf. Die erste wäre, daß die wetterwendische junge Dame nicht etwa die Verlobung heute eingeht, um sie morgen zu widerrufen. Zweite Bedingung: Daß, wenn die Ehe zustande kommen sollte, sie diese nicht in einem Moment übler Laune abtut wie einen wertlosen Fetzen. Dritte Bedingung: Daß, wenn eine Scheidung unausbleiblich ist, Doro uns nicht von Rautenau jagen darf…«

»Um Gottes willen, Junge, hör bloß auf!« stöhnte Sander dazwischen. »Es ist ja fürchterlich, wie du meine Tochter einschätzt. Ich werde ihr deine Bedenken Wort für Wort wiederholen, was sie hoffentlich abschrecken wird. Wenn nicht, dann sollst du einen Vertrag haben, der dir und den Deinen Rautenau sichert – und wenn es zur Scheidung kommen sollte. Denn darum geht es dir ja wohl, nicht wahr?«

»Ganz recht. Denn wenn ich schon mein Leben verpfusche, geschieht es um meiner Eltern und Rautenaus willen.«

Da sprang der gepeinigte Mann auf.

»Ist gut, Edzard. Ich werde mit Doro ein deutliches Wort reden und dir heute noch fernmündlichen Bescheid geben, wie sie sich entschieden hat.«

*

Es war am nächsten Vormittag, als der junge Graf Sölgerthurn in der Villa des Industriellen Sander erschien – im schwarzen Rock, in der Hand einen Strauß rosa Nelken. Der Diener nahm den Gast in Empfang und geleitete ihn in ein Zimmer, wo die Tochter des Hauses ihm lachend entgegensah. Die platzte mit ihrer Bemerkung erst heraus, nachdem der Diener die Tür von draußen geschlossen hatte.

»Himmel, Edzard, wie feierlich! Na ja, bist eben noch vom alten Zopf.«

»Wohl doch nicht ganz«, kam es ironisch zurück. »Dann müßte ich ja dem gnädigen Fräulein einen Heiratsantrag machen, mit heißen Liebesschwüren, Kniefall und anderem mehr. Aber dazu fehlt mir nun wirklich die Lust.«

»Du bist ja recht deutlich, mein Lieber. Aber macht nichts, den Ton wollen wir beibehalten. Sollen die Blumen für mich sein?«

»Bitte sehr.«

»Nelken – aber Edzard!«

»Na, was denn sonst?«

»Flammend rote Rosen.«

»Auch das noch. Der Illusion gib dich nur nicht hin, mein Kind.«

»Na schön. Sind wir uns nun einig?«

»Von mir aus – ja.«

»Hast du dir etwa noch mehr Bedingungen ausgedacht als die, welche mir durch meinen Vater schon bekannt sind?«

»Nur noch eine, meine liebe Doro: daß du mich nicht als dein unumschränktes Eigentum betrachtest, sondern mir meine Freiheit läßt, soweit sie nicht die Ehegesetze verletzt. Dasselbe sei auch dir zugesichert.«

»Puh, wie korrekt! Aber laß man, wir beide werden uns schon ganz gut vertragen.«

Da mußte er denn doch lachen, und lustig fiel sie ein, worauf sich ein dunkler Lockenkopf durch den Türspalt steckte.

»Ihr seid ja so vergnügt. Darf man nähertreten und gratulieren?«

»Man darf, geliebte Ma. Die Festung ist gestürmt.«

»Ist doch ein schreckliches Gör«, seufzte die Dame, während sie dem Mann die Hand reichte, über die er sich artig neigte. »Nichts nimmt sie ernst, muß alles glossieren. Komm her, du Tunichtgut, laß dir Glück wünschen. Und mach dem armen Edzard nicht gar so viel zu schaffen.«

»Na du, der versteht sich ganz gut zu wehren. Ah, da ist ja auch unser Paps. Kommst gerade zurecht, um zu gratulieren.«

Doch der Vater ging auf den munteren Ton nicht ein. Er war ernst und blaß. Und als er später mit dem jungen Grafen allein war, sagte er resigniert:

»Ich habe Doro gestern nicht geschont, das kannst du mir schon glauben. Habe ihr klipp und klar gesagt, daß sie sich dir aufgedrängt hat. Aber sie blieb bei ihrem Willen, dem ich trotzdem nicht nachgegeben hätte, wenn ich nicht selbst für diese Verbindung wäre. Mag dem sein wie es wolle, bei dir weiß ich Doro dennoch gut aufgehoben. Hier ist nun der Vertrag, in den ich Doro absichtlich einsehen ließ, damit sie sich zu richten weiß.«

Damit reichte er dem andern ein Schriftstück, das dieser gründlich las. Dabei stieg ihm dunkle Röte ins Gesicht, die Zähne bissen sich zusammen, daß die Wangenmuskeln spielten. Dann sah er auf, mitten in die Augen Sanders hinein, der scharf betont warnte:

»Sprich jetzt nicht, Edzard. Behalte es lieber für dich, was du mir sagen willst. Daß ich die Hypotheken strich, ist gewiß kein Gnadenakt von mir, sondern Berechnung. Du sollst dich als mein Schwiegersohn nicht immer weiter mit Sorgen plagen müssen, sondern als freier Herr auf freier Scholle schalten und walten. Hier ist meine Hand, schlag ein. Du hast keinen besseren Freund als mich.«

Zwei Männerhände fanden sich mit festem, warmem Druck, zwei Augenpaare trafen sich mit offenem Blick – und eine Freundschaft, die vor drei Jahren einen tiefen Riß bekam, wurde in diesem Augenblick neu gefestigt.

Als man später darüber sprach, wann man die Verlobung bekanntgeben solle, kam man schließlich überein, sie einfach zu übergehen und dafür die Hochzeit groß zu feiern. Und da das junge Paar ja keinerlei Veranlassung hatte, die Hochzeit hinauszuschieben, sollte sie in drei Wochen stattfinden, und zwar an Doros Geburtstag.

Die Einladungen schlugen denn auch sozusagen wie eine Bombe ein.

Na, der Edzard konnte sich ins Fäustchen lachen. Er bekam nicht nur eine reiche Frau, sondern auch eine bezaubernd schöne. Wer hätte es je gedacht, daß diese vermickerte Dörth sich noch einmal so wunderbar herausmachen würde. Jedenfalls war diese Heirat der Clou der Gesellschaft.

Es war den Leutchen nicht zu verdenken, daß sie vor Neugierde förmlich brannten und kaum die Hochzeitsfeier erwarten konnten.

Und sie wurden eigentlich enttäuscht. Nicht etwa von der Feier selbst, die war so glänzend und exklusiv, wie nur eine Feier sein kann. Und auch das Brautpaar war so märchenhaft, daß man vor Entzücken den Atem anhielt, als es sichtbar wurde.

Aber dennoch enttäuschte es. Was die Menschen eigentlich erwartet hatten, wußten sie selbst nicht. Doch da es sich ja um eine nicht alltägliche Hochzeit handelte, schwebte ihnen etwas Ausgefallenes vor.

Aber ach, es geschah nichts Außergewöhnliches. Der Bräutigam, eine so distinguierte Erscheinung, wie man sie selten sieht, sprach klar und deutlich sein Ja – und die Braut, einfach traumhaft schön in ihrem Hochzeitsstaat, den der reiche Herr Papa sich etwas hatte kosten lassen, lispelte das Ja nicht heißerrötend, sondern sagte es freudig.

»Du, Edzard, ich glaube, wir haben unsere Gäste enttäuscht«, lachte Doro, als sie an der Seite des Gatten in die Flitterwochen hineinfuhr. Der kostbare Wagen war nagelneu, ein Geschenk des reichen Sander an seinen Schwiegersohn, dessen alter doch schon gar zu schäbig war. Ein Chauffeur steuerte, und ein niedliches Zöfchen saß daneben.

Daher konnte man auf dem hinteren Sitz auch nur leise sprechen. Und wenn Doro das vergaß, hielt ihr der Herr Gemahl einfach den Mund zu, wofür sie ihn einmal kräftig in die Hand biß. Doch er lachte nur, und sie ärgerte sich.

»Was meinst du damit, daß wir die Gäste enttäuscht haben?« fragte er jetzt, und sie brummte:

»Mit einem Maulkorb kann keiner reden.«

»Aber ohne Maulkorb flüstern.«

Da lachte sie schon wieder.

»Es hat ja gar keinen Zweck, sich über dich zu ärgern.«

»Finde ich auch. Und nun beantworte meine Frage.«

»Na was, die Gäste waren enttäuscht, weil wir genauso ein Brautpaar waren wie alle andern. Sie haben von uns ganz was Besonderes erwartet.«

»Da brauchtest du ja nur mit einer deiner Extravaganzen aufzuwarten, und die Leutchen hätten ihre Sensation gehabt.«

»Und du willst ein ritterlicher Mann sein?«

»Habe ich noch nie behauptet.«

Mit einem Seufzer, wie ihn ungefähr eine Mutter für ihr mißratenes Kind hat, schmiegte sie sich in die Ecke. Und da sie müde war von dem Trubel vergangener Tage, schlief sie fast augenblicklich ein.

Indes fraß der starke Motor Kilometer um Kilometer. Und nachdem man einige Stunden gefahren war, tippte Edzard dem Fahrer auf die Schulter und fragte:

»Müde, Glätz?«

»Ein bißchen schon, Herr Graf.«

»Dann halten Sie am nächsten annehmbaren Gasthaus. Es ist ja egal, wo wir etwas zu essen und ein Bett bekommen.«

»Aber die Frau Gräfin ist doch an Luxus gewöhnt.«

»Dann wird sie sich mal eine Nacht ohne den begnügen müssen«, kam es gelassen zurück. »Immer noch besser, als wenn Sie uns vor Müdigkeit an den ersten besten Baum fahren.«

Nun, das Gasthaus war recht annehmbar, vor dem sie schon fünf Minuten später hielten. Es bekam jeder sein Zimmer, das zwar nicht luxuriös, aber nett und sauber war. Doro war so müde, daß sie beinahe ins Bett fiel, und auch die andern gaben sich mit Behagen der wohlverdienten Ruhe hin.

Am andern Morgen waren sie dann alle ausgeschlafen, frisch und munter. Nachdem man ausgiebig gefrühstückt hatte, ging die Fahrt weiter – und somit begann ein Gehetze von Ort zu Ort. Doro konnte gar nicht genug kriegen von dem Leben und Treiben der mondänen Welt. Und Edzard ließ sie gewähren. Einmal mußte ihr der Klimbim doch über werden.

Dabei vergaß er ganz, daß auch ihm noch vor drei Jahren dieser Klimbim Lebenselixier gewesen war. Daran mußte ihn erst die junge Gattin erinnern, als er ihr einmal wegen ihrer Vergnügungssucht Vorhaltungen machen wollte.

»Ach, sieh mal an«, kniff sie die Augen zu und besah ihn sich angelegentlich. »Soviel ich weiß, hast du noch vor drei Jahren dieser Vergnügungssucht ausgiebigst gefrönt. Und dabei warst du damals schon fünf Jahre älter als ich heute.«

Da stieg ihm die Röte der Beschämung ins Gesicht – und Doro freute sich. Denn es gelang ihr bestimmt nicht oft, ihren herrischen, selbstsicheren Gatten in Verlegenheit zu bringen.

»Paß mal auf, Edzard, ich mach dir einen Vorschlag«, wurde sie dann großmütig. »Du fährst nach Hause und läßt mich hier. Natürlich unter dem Schutz Jos, die heute mit ihrem Gatten hier eintrifft. Einverstanden?«

»Noch nicht. Erst muß ich mir deine Jo genau ansehen. Denn ich will ja schließlich wissen, wem ich meine Frau anvertraue.«

Doch als er die charmante Dame kennenlernte, die sich auch noch auf der Hochzeitsreise befand, wie sie lachend betonte, schwanden seine Bedenken dahin. Sie hatte eine wunderbare Art, mit der eigenwilligen Doro umzugehen. Leitete sie so geschickt, daß diese sich dessen gar nicht bewußt ward.

Die Baronin hatte vor acht Wochen den Bruder ihres verstorbenen Gatten geheiratet, und aus diesem Grunde war Doro in ihr Elternhaus zurückgekehrt, was andernfalls noch lange nicht geschehen wäre, da hätten die Eltern auch noch soviel bitten und auftrumpfen können.

»Ja, unsere Dörth ist ein arges Böckchen«, sagte sie lachend, als sie einmal mit dem Grafen allein war. »Es gibt wohl Menschen, denen eine Vergötterung nichts ausmacht, aber Doro hat sie geschadet. Ich glaube, Herr Graf, Sie lassen sie noch ein Weilchen unter meiner Fuchtel.«

So fuhr er denn beruhigt der Heimat zu.

»Junge, wie konntest du nur«, sagte Sander ungehalten, als er nur den Schwiegersohn begrüßen durfte. »Die Dörth entfremdet sich uns doch immer mehr, wenn sie wieder mit ihrer vielgeliebten Jo zusammen ist. Ich fahre heute noch hin und hole sie her.«

Er tat’s – aber ohne Erfolg. Denn das eigenwillige Töchterlein hatte absolut keine Lust, den Herrn Papa nach Hause zu begleiten.

»Machen Sie sich nichts daraus, Herr Doktor«, tröstete Jo den niedergedrückten Mann, als sie mit ihm allein am Tisch saß, während Doro mit dem Baron tanzte. »Unsere Dörth tobt sich schon noch aus, man muß ihr nur Zeit dazu lassen. Bedenken Sie, daß die Kleine viel nachzuholen hat. Daß sie sich nichts zuschulden kommen läßt, dafür sorge ich schon. Außerdem hat sie gar keine Veranlagung dazu.«

»Das war ein gutes Wort, Frau Baronin. Es beruhigt mich ungemein. Ich mache mir schon Sorge um meine Tochter, schon wegen ihrer Ehe allein. Aber ich mußte dieser fixen Idee von ihr nachgeben, damit sie mir nicht womöglich aus lauter Aufsässigkeit einen unmöglichen Schwiegersohn anbrachte.«

»Was man ihr ohne weiteres zutrauen kann«, warf Jo lachend ein. »Also ist es schon besser so. Ich glaube sogar, daß Graf Sölgerthurn der rechte Mann für unsern Tollkopf ist. Der läßt sich nämlich nicht an den Wimpern klimpern, wie man so sagt. Der hat seine starren Grundsätze, von denen er um kein Jota abweicht. Und wenn seine Gattin sich denen durchaus nicht beugen will, dann wird er sich von ihr trennen, ohne viel Worte zu machen. Das heißt, wenn sie ihm nicht schon vorher ausrückt«, schloß sie jetzt lachend, und er sah sie darum ziemlich vorwurfsvoll an.

»Aber, Frau Baronin, das wäre doch nun wirklich nicht zum Lachen – sehr, sehr traurig wäre das. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich ohne meine störrische Tochter auf den Weg zu machen und mich zu Hause auslachen zu lassen – was mir übrigens ganz recht geschähe. Denn was ich jetzt bei meiner Tochter ernte, sind die Früchte einer total falschen Erziehung.«

*

Nun, man lachte gewiß nicht. Ruth war im Gegenteil tief bekümmert, und Sölgerthurns nahmen Doros Fernbleiben mit Gleichgültigkeit auf, was verletzend wirkte.

Drei Wochen später erschien die Dörth dann unverhofft in ihrem Elternhaus – lachend, strahlend, quietschvergnügt.

»Da bin ich wieder«, erklärte sie einfach. Nahm den Eltern, die im Wohnzimmer saßen, gegenüber Platz und griff nach einer Zigarette.

»Und warum geruhen gnädigste Gräfin zu erscheinen?« fragte der Vater bissig, und sie lachte ihn lieblich an.

»Weil es mir nicht mehr gefiel, Herr Industrieller Doktor Sander. Die Jo ist ja so schrecklich verliebt in ihren Bertie und sah in mir nun ein lästiges Anhängsel – und das paßte mir nicht.«

»Hm – da bin ich aber neugierig, was dir hier so alles nicht passen wird, meine anspruchsvolle Tochter, die ja überall die erste Geige spielen will.«

»Nun, hier scheine ich sie ja schon ausgespielt zu haben«, entgegnete sie trocken. »Also werde ich diese gastliche Stätte verlassen und mich nach Rautenau begeben, wo ja wohl jetzt mein Zuhause ist.«

»Nimmst du etwa an, daß man dich dort mit überströmender Freude empfangen wird?«

»Zum mindesten mein Herr Gemahl. Sollst mal sehen, wie er herkommt, sofern ich mich melde.«

Aber ach, das war ein Trugschluß! Und man konnte wirklich nicht sagen, wie die selbstsichere junge Gräfin ihn aufnahm, so gleichmütig tat sie oder war sie.

»Nun, wann wird er hier sein?« fragte der Vater schmunzelnd, als die Tochter den Hörer auflegte.

»Überhaupt nicht, weil er stark beschäftigt ist. Na, wenn nicht, dann nicht. Ich bin ja nicht auf ihn angewiesen und bleibe fürs erste hier.«

Das tat sie denn auch drei Tage lang. Dann tauchte sie in Rautenau auf und begrüßte die Schwiegermutter, die auf der Terrasse saß und an einer feinen Handarbeit stichelte.

»Tag, Mama, wie geht es dir?«

»Gut, Doro. Und dir?«

»Danke, ich kann nicht klagen. Wo ist Edzard?«

»Auf dem Feld bei der Roggenernte.«

»Muß er denn auch jetzt noch so schwer auf Posten sein?«

Ein verwunderter Blick traf sie, vor dem sie den ihren niederschlug.

»Na, was denn sonst?«

»Nun – ich meine – wo er jetzt doch Geld hat – dank der Großzügigkeit von Paps.«

»Sprich bitte nicht weiter, Doro«, klang es da gelassen in ihre Stotterei hinein. »Vor allen Dingen laß derartige Bemerkungen nicht vor Edzard hören. Das würde nämlich das Ende deiner Ehe bedeuten – bevor sie überhaupt noch begonnen hat. Ich hoffe, daß du mich verstehst, mein liebes Kind.«

Doro kam zu keiner Antwort, weil die beiden Herren die Stufen der Terrasse emporstiegen.

»Ach, schau mal an, die Dörth ist ja wieder da«, bemerkte der Senior so gleichmütig, als wäre die Schwiegertochter nur auf Stunden weggewesen. »Somit wären wir ja hübsch vollzählig beisammen und können Kaffee trinken. Wir beiden Stoppelhopser haben nämlich gräßlichen Durst.«

Damit führte er die Hand der jungen Frau galant an die Lippen, ihr Gatte tat desgleichen, und dann nahm man Platz.

»Heute kommt ihr schon so früh?« fragte Gräfin Linda. »Es ist ja noch gar keine Kaffeezeit.«

»Das wohl nicht, Liebste, aber wir haben den Kaffee trotzdem verdient. Denn der Roggen ist geborgen, ährenschwer und knistertrocken. Endlich mal nach den verregneten Mißernten eine üppige.«

»Das freut mich aber! Und da kommt auch schon unser guter Balduin mit der Kaffeemaschine.«

Wenig später ließ man sich das aromatische Getränk gut munden. Aß dazu das herrliche Landbrot mit tropfenfrischer Butter nebst Honig und Marmelade. Auch ein Teller mit Kuchen fehlte nicht, den Doro denn auch mit Beschlag belegte.

»Ich mag Kuchen doch so schrecklich gern«, gestand sie freimütig. »Nur die Schlagsahne vermisse ich.«

»Die du dir sofort bestellen kannst, mein Kind«, entgegnete die Schwiegermutter freundlich. »Du bist ja die junge Herrin hier.«

»Uijeh, Mama, muß ich mich da etwa auch um die Wirtschaft kümmern?«

»Nur, wenn du es auch willst.«

»Na, Gott sei Dank! Ich will nämlich nicht.«

Balduin erschien und meldete, daß die Zofe mit den Koffern angekommen wäre. Sie warte auf die Befehle der Frau Gräfin.

»Ich komme selbst!« sprang diese auf, wirbelte davon – und die Schwiegermutter sah ihr seufzend nach.

»Na, nehmen wir es leicht«, brummte der Gatte.

»Vergessen wir nie, daß es uns durch dieses herrschsüchtige Persönchen vergönnt ist, auf unserm geliebten Rautenau zu bleiben. Dafür müssen wir schon manche bittere Pille hinunterwürgen.«

Es wurde übrigens gar nicht so arg, weil Doro nicht ständig in Rautenau weilte. Sie tauchte auf, wann sie wollte, und ging, wann sie wollte. Flatterte unbekümmert von Haus zu Haus wie ein schillernder Schmetterling von Blume zu Blume. Man gewöhnte sich daran, um es schließlich als Selbstverständlichkeit hinzunehmen.

*

Mittlerweile verging die Zeit, Woche reihte sich an Woche. Die Landwirte konnten gerade noch Kartoffeln und Hackfrüchte bergen, als auch schon die Schlechtwetterperiode einsetzte, die dann später von Eis und Schnee gelöst wurde, wie es sich nun einmal für den Winter gehört.

Das brachte neue Freuden für die Dörth, seitdem sie erst »so richtig Mensch geworden war«, wie sie es lachend zu bezeichnen pflegte. Und dieses »Menschwerden« hatte sich ja in südlichen Regionen abgespielt. In Italien, Spanien, Ägypten und anderen sonnigen Ländern. Und vordem, als Doro noch als vermickertes, tyrannisches Töchterlein im Elternhaus vor jedem kalten Windzug ängstlich gehütet wurde, hätte sie jeden wegen Beleidigung verklagt, der ihr zugemutet, sich in Eis und Schnee hinauszuwagen.

Aber wie war es jetzt doch so wunderherrlich, sich darin zu tummeln. Auf Schiern, Schlittschuhen und Schlitten. Natürlich mußte Edzard stets dabeisein als ritterlicher Helfer, Berater und Kamerad. Anders ging es bei dem anspruchsvollen Persönchen nicht.

Und das mußte man ihr lassen, zimperlich war die Dörth nicht. Ob sie da beim Skilauf den Berg hinunterrollte, sich beim Schlittschuhlauf empfindlich stieß oder beim Rodeln sich das Näschen lädierte, sie tat es munter ab, obwohl ihr manchmal das Weinen näher stand als das Lachen.

Mit roten Wangen, leuchtenden Augen und quietschvergnügt erschien sie zu den Mahlzeiten, wo sie wie ein kleiner Scheunendrescher einpackte. So ein richtiger sonniger Sorgenbrecher für die drei Menschen, zu denen sie kraft des Gesetzes gehörte.

Vor Weihnachten war sie dann so recht in ihrem Element. Eifrig besprach sie an den langen Winterabenden mit der Schwiegermutter, was man den Kindern der Herrschaft Rautenau wohl schenken könnte.

Und »ihren« Kindern noch ganz besonders. Denn sie war ja stolze Besitzerin von Lindgau, das der Vater ihr als Hochzeitsgabe zukommen ließ. Sie kümmerte sich um das Gut allerdings nicht, dafür war ja schließlich der Gatte da, aber so ab und zu sich blicken lassen, das mußte sie schon.

Schließlich kam man denn überein, die Lindgauer Leute mit den Rautenauern zusammen zu bescheren, und Doro war’s zufrieden.

Ob man dieses schenken könnte – oder jenes – oder lieber doch etwas anderes – so ging es in einem fort, und die Gräfin dämpfte lächelnd den allzugroßen Eifer, während die beiden Herrn, gemütlich ihr Pfeifchen schmauchend, amüsiert zuhörten.

So war es auch an diesem Abend. Wie ein Kätzchen kauerte Doro zu Füßen der Schwiegermutter und sprach auf sie ein.

»Hör mal, Mutti, ich sah heute eine Oma von uns auf Schlorren. Ich bitte dich, bei dieser Kälte! Der müssen ja die Hacken anfrieren.«

»Wenn sie solche Strümpfchen tragen würde wie du, dann allerdings«, lachte die Gräfin, und die Herren schmunzelten. »Aber sie trägt solche aus guter warmer Schafwolle gestrickt.«

»Aber trotzdem muß sie Schuhe haben.«

»Die sie bestimmt in den Schrank stellen und weiter auf Schlorren gehen würde«, bemerkte jetzt die Gräfin trocken. »Denn diese alten Leute sind daran von Kindheit gewöhnt, und eine Gewohnheit gibt man nicht so ohne weiteres auf, hauptsächlich dann nicht, wenn man alt ist.«

Darauf erwiderte Doro zuerst einmal nichts. Sie schmiegte ihr gleißendes Köpfchen in den Schoß der Schwiegermutter wie ein vertrauendes Kind. Sie sah so süß und lammfromm aus, daß ein Fremder sie für einen Engel in Menschengestalt gehalten hätte. Und der Senior sprach Gattin und Sohn aus der Seele, als er trocken bemerkte:

»Wie doch der Schein trügen kann.«

*

Es war einen Tag vor Weihnachten, als Doro in das traute Wohngemach wirbelte, wo man wie gewöhnlich um diese Zeit gemütlich beisammensaß. Hinter ihr her tollten die drei Hunde, die dieses Frauchen, das immer so lustig war, ganz besonders in ihre treuen Hundeherzen geschlossen hatten. Doch als das Herrchen kurz Ruhe gebot, schlichen sie beschämt an ihren Platz, während Doro sich in den Sessel warf und ein böses Gesicht machte.

»Na, was ist uns denn in die Krone gefahren, Prinzeßchen?« fragte der Schwiegervater. »Du machst ja ein Gesicht wie Donar, der Donnergott.«

»Also, Papa, ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt. Ich möchte ernst genommen sein.«

»Bitte sehr.«

»Ach, es ist schon ein Kreuz, mit euch Sölgerthurnmännern, und dabei brauche ich jetzt Trost. Paps will nämlich durchaus haben, daß ich bei der Bescherung zugegen bin. Er hätte schon dreimal auf mich verzichten müssen, was er hinnehmen mußte, weil ich ja im Süden weilte. Aber jetzt pocht er auf seine väterlichen Rechte. Was sagst du bloß dazu, Edzard?«

»Daß du ganz fürchterliche Sorgen hast, mein Kind.«

»Sei doch nicht immer so ironisch! Ich mag dich schon gar nicht mehr leiden.«

»Danke.«

»Na, nun mal hoppla, Kinder«, meldete sich der Senior. »Tragt euer Geplänkel ohne Mutter und mich aus, uns ist das zu ungemütlich. Selbstverständlich verlebst du den Heiligabend mit deinen Eltern, Doro. Die haben mehr Rechte auf dich als wir.«

»Ich will aber nicht, Papa!«

»Mein liebes Kind, man muß so manches im Leben tun, was man nicht will. Dahinter wirst du auch schon noch kommen.«

»Aber muß das denn ausgerechnet am Heiligabend sein?« fragte sie kläglich, und da mußte man denn doch lachen.

»Ist aber auch wirklich wahr«, begütigte die Gräfin. »Und nun verrate uns, warum du den Abend nicht in deinem Elternhaus verleben willst.«

»Weil es hier viel interessanter ist. Wenigstens bei den beiden Bescherungen von Arbeitern und Angestellten.«

»Die kannst du doch mitmachen, weil sie in den Nachmittagsstunden stattfinden. Eine um drei, die andere um fünf Uhr.«

»Dann bin ich beruhigt. Zwar pflegt die Bescherung bei uns um sechs Uhr zu beginnen, damit Jörn sich noch genügend an seinen Geschenken erfreuen kann, bevor er ins Bett muß, aber wenn das diesmal eine Stunde später geschieht, wird er auch nicht umkommen. Also werde ich anordnen, daß vor sieben nicht beschert werden darf.«

»Wäre das nicht sehr egoistisch von dir, Doro?«

»Warum denn, Mama?«

»Weil der aufgeregte Junge dann noch eine Stunde länger warten müßte. Wenn man dir das nun zumuten würde?«

»Ach was, der ist verzogen genug.«

»Und du nicht?«

»Von euch bestimmt nicht«, kam die Antwort schnippisch. »Ich fahre nach Hause.«

Weg war sie, um jedoch bald wieder zu erscheinen, lachend über das ganze Gesicht.

»Es hat geklappt«, frohlockte sie. »Dem Brüderlein macht es gar nichts aus, eine Stunde länger zu warten.«

Und doch sollte der vernünftige Junge, der seiner Schwester zuliebe zurückstand, doch noch zu seinem Recht kommen. Denn schon um halb sechs Uhr traf Doro zu Hause ein.

»Nanu, Dörth, schon so früh?« fragte die Mutter verwundert, und gereizt kam es zurück:

»Wenn ich dir nicht genehm bin, kann ich ja wieder gehen.«

»Aber Kind, was ist das denn für ein Unsinn. Natürlich freuen wir uns, daß du schon da bist. Hauptsächlich Jörn. Schau nur, wie er dich anstrahlt. Hast es also doch nicht über dein gutes Herz bekommen, den Bruder warten zu lassen. Das ist lieb von dir, mein Herzenskind.«

»Na ja, ist schon gut«, wehrte sie hastig ab. »Stelle mich nicht besser hin, als ich bin, Ma. Nachdem ich nämlich eine Feier in Rautenau mitmachte, die mir mit ihrem Krach gehörig auf die Nerven fiel, verging mir zur zweiten die Lust. Darum bin ich hier.«

»Was sagen Sölgerthurns dazu?«

»Weiß ich nicht. Ich bin einfach losgefahren. Sie werden mich in dem Trubel gewiß nicht vermissen.«

»Das ist wieder einmal ganz du«, bemerkte der Vater kopfschüttelnd. Dann ging er zum Fernsprecher, an dessen anderem Ende sich der Diener Balduin meldete, und sagte diesem Bescheid, daß die junge Herrin in ihrem Elternhaus wäre.

Und zwar nach einem Zwischenfall, den sie verschwieg. Die Feier war ihr durchaus nicht auf die Nerven gefallen, hatte sie im Gegenteil begeistert. Ihre Augen strahlten mit denen der Beschenkten um die Wette.

Ach, wie war das doch alles so aufregend neu und wunderbar schön. Denn so eine fröhliche Weihnachtsfeier hatte sie noch nie erlebt. Und da sie ihrer Freude irgendwie Luft machen mußte, fiel sie dem Gatten, als sie ihn nach der Feier allein erwischte, um den Hals und küßte sein Gesicht, wohin die Lippen gerade trafen.

»Ach, Edzard, wie so sehr liebe ich dich doch!« sprudelte sie hervor – und merkte dabei gar nicht, wie stocksteif er dastand. Erst als sie ihm in das maskenstarre Gesicht sah, ließ sie erschrocken von ihm ab.

»Nun, mein Kind, ich bin dir heute als Spielzeug wohl gerade genehm, nicht wahr?« bemerkte er sarkastisch. »Aber weißt du, dazu eigne ich mich nun einmal nicht. Mir sind exaltierte Menschen, die nach Lust und Laune ihre Gnade vergeben und sie in nächster Minute wieder entziehen – ein Greuel.«

Entsetzt starrte sie ihn an, während ihr jeder Blutstropfen aus dem Gesicht wich – und schon im nächsten Augenblick flammte tiefes Rot darüber hin. Das Entsetzen aus den Augen wich, tiefverletzter Stolz sprühte darin auf, ihre Hand hob sich – und wurde von einer andern mit hartem Druck erfaßt und festgehalten.

»Na, so weit wollen wir es denn doch nicht kommen lassen, mein böses Kind. Ich bin nämlich ein Mann – und nicht deine Marionette, mit der man nach Willkür verfahren kann!«

Da riß sie ihre Hand los, wandte sich ab und rannte davon, als wäre der Böse hinter ihr drein.

*

»Was hat das nun schon wieder zu bedeuten«, trat Graf Bert­ram zu Gattin und Sohn, die im Saal standen und die Weihnachtsgäste erwarteten. »Doro war doch von der ersten Feier so restlos begeistert, daß sie die zweite kaum erwarten konnte. Und nun sagte mir Balduin, Georg hätte angerufen und erklärt, daß seine Tochter soeben zu Hause eingetroffen wäre. Warum denn bloß, um alles in der Welt?«

»Es wird ihr wahrscheinlich etwas nicht gepaßt haben«, entgegnete Edzard leichthin. »Und dann wechselt sie eben das Quartier. Das haben wir doch schon oft erfahren müssen.«

»Es ist eine Schande, daß man sich von einem so jungen Ding andauernd auf der Nase herumtanzen lassen muß«, knirschte der Vater hervor, mußte sich dann aber zu einer freundlichen Miene zwingen, da die ersten Gäste eintraten.

Und so stürmisch es bei dieser Feier zuging, so stillvergnügt verlief die im engsten Kreise. Man hatte sich gegenseitig nicht reich beschenkt, doch die wenigen Gaben brachten Erfüllung von Wünschen, die einer dem andern abgelauscht hatte.

Nur bei Doro hegte man Zweifel, ob man das Richtige traf. Es war ja auch nicht so einfach, diesem verwöhnten Menschenkind, das alles im Überfluß besaß, etwas zu schenken. Die vernarrten Eltern erfüllten ihm ja jeden Wunsch, sofern er nur angedeutet wurde.

Und nun kamen diese Geschenke, um derentwillen man sich hatte so den Kopf zerbrechen müssen, gar nicht zum Vorschein. Denn sie war ja nicht da, die sie erhalten sollte. Und man hütete sich wohl, sie zu erwähnen, um sich damit nicht die trauliche Stimmung zu verderben.

Man blieb in dem Saal, wo die Tanne stand, und schaute versonnen in die Kerzen, bis sie abgebrannt waren. Dann erst ging man zum trauten Wohngemach, um sich an der Bowle gütlich zu tun.

»Na, denn Prosit, ihr Lieben«, hob der Senior das Glas und tat genießerisch den ersten Schluck. »Mein Kompliment, Junge, hast den Zaubertrank wieder einmal wunderbar gemixt. Es geht doch nichts über einen guten Trunk und über traute Behaglichkeit.«

In dem Moment schlug der Fernsprecher an, und Edzard, der ihm am nächsten saß, hob den Hörer ab. Er meldete sich, lauschte der Stimme am andern Ende und sprach dann gelassen:

»Es wäre ja lächerlich, Papa, wollte ich etwas verbieten, was du, soviel ich heraushören kann, schon längst genehmigt hast. Weil dir nichts anderes übrigblieb, als nachzugeben? Nun, daran müßtest du dich in den zwanzig Jahren, die deine Tochter auf der Welt ist, doch eigentlich schon gewöhnt haben. Sehr aufmerksam von dir, mich nicht zu übergehen, so bleibt wenigstens die Form gewahrt. Im übrigen kenne ich es bei meiner Frau nicht anders, als einfach vor die vollendete Tatsache gestellt zu werden. Also macht mir dieses schon gar nichts mehr aus. Freut mich, daß du beruhigt bist. Ich wünsche euch frohe Weihnacht allerseits.«

Damit legte er den Hörer auf, und die Mutter fragte bang: »Junge, was hat es denn jetzt schon wieder gegeben?«

»Nichts von Bedeutung, Muttchen«, kam es sarkastisch zurück. »Mein lieber Schwiegervater machte mir nur die Eröffnung, daß er seiner Tochter eine Reise nach Sankt Moritz bewilligt hat, so als unvorhergesehene Weihnachtsgabe. Die vielgeliebte Jo rief nämlich von dort an.«

»Diese Jo mag der rote Kuckuck holen, damit sie die Dörth endlich mal in Ruhe läßt!« knurrte Bertram böse dazwischen, doch die Gattin winkte beschwichtigend ab.

»Nun mal nicht gleich so hitzig, mein lieber Mann. Du weißt ja noch gar nicht, wie alles zusammenhängt. Laß Edzard doch erst den Sachverhalt erklären.«

»Da gibt es nicht viel zu erklären, Muttchen. Wie ich von meinem Schwiegervater erfuhr, soll die Baronin angerufen haben, wahrscheinlich, um ihr frohes Fest zu wünschen. Was Doro dann mit ihr sprach, wußte er nicht, weil nur Stichworte fielen, dazu noch in einer Sprache, die ihm nicht geläufig war. Jedenfalls hat die Tochter den Vater nach Beendigung des Gesprächs bestürmt, ihr die Reise nach Sankt Moritz zu bewilligen. Und da wir seine Schwäche dem Abgott gegenüber ja kennen, ist jeder Kommentar überflüssig.«

»Und das läßt du dir so ohne weiteres bieten, mein Sohn? Schließlich bist du als Ehemann immer noch erste Instanz bei deiner Frau.«

»Und was sollte ich deiner Ansicht nach wohl tun, Vater?«

»Mal ordentlich mit der Faust auf den Tisch hauen!«

»Und du meinst, daß es etwas nützen würde?«

»Wahrscheinlich nicht –«, mußte er widerwillig zugeben.

»Also!«

»Und wie denkst du dir den Fortgang dieser unsinnigen Ehe überhaupt, mein Sohn? Denn solange Doro Rückhalt bei ihren vernarrten Eltern hat, wird sie sich nicht ändern, ist dir das klar?«

»Gewiß.«

»Deine Gelassenheit möchte ich haben, Junge. Na, lassen wir diese verfahrene Geschichte heute ruhen. Verderben wir uns mit diesem schwierigen Problem nicht den Weihnachtsabend. Trinken wir uns lieber mit diesem köstlichen Gesöff einen Schwips an.«

*

Es war an einem besonders unwirtlichen Wintertag zu Anfang Februar. Schon seit dem Morgen schneite es unentwegt vom grauen Himmel hernieder. Dazu wehte ein eisiger Wind. Es war ein Wetter, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund hinausjagt, wie man so sagt. Und schon gar nicht derjenige, der noch ein besonders gutes Herz für seine Tiere hatte.

Also lagen im Rautenauer Schloß das vornehme Windspiel, der bildschöne Cocker-Spaniel und der nicht minder schöne braunglänzende Langhaardackel langgestreckt vor dem Kamin und hielten ihr Schläfchen. Ab und zu wurde ein leises Schnarchen hörbar, ein unwilliges Knurren oder auch ein winselnder Laut. Das Klirren von langen Stricknadeln vermischte sich mit dem silbernen Klingen der alten Spieluhr, die auf dem Kaminsims unter einem Glassturz schon viele, viele Jahre kokett ihren Platz behauptete.

Die nimmermüden Hände der Gräfin strickten, die beiden Herren spielten Schach und rauchten dabei das geliebte Pfeifchen. Man fühlte sich wie auf einer Insel des Friedens.

Man zuckte schmerzhaft zusammen, als in diese traute Harmonie ein Ton gellte, ungemein schrill und aufreizend, als wollte die arge Welt hohnlachend in den Frieden dringen wie ein böser Feind.

Und dieses bösartige Schrillen rührte von dem Fernsprecher her. Der junge Graf, der ihm am nächsten saß, hob unmutig den Hörer ab und erkannte dann am andern Ende die aufgeregte Stimme des Schwiegervaters.

Je länger der junge Graf der aufgeregten Stimme lauschte, um so mehr verdüsterte sich das stolze, rassige Antlitz. Als der Mann dann sprach, klang es knapp und kühl: »Und das konntest du wirklich nicht verhindern, Papa? Nein? Weißt du auch, welch ein Armutszeugnis du dir damit ausstellst? Das ist jetzt nebensächlich? Na schön. Was ich tun kann, soll geschehen. Ich rufe dich später an.«

Damit legte er den Hörer in die Gabel, fuhr sich einige Male ruckartig über den Kopf und sagte dann zu seinen Eltern, die ihn beunruhigt ansahen: »Doro ist da – und schon hält sie alles in Atem. Sie ist nämlich auf den Schiern hierher.«

»Um Gottes willen!« rief die Mutter entsetzt. »Ist denn das Kind ganz von allen guten Geistern verlassen, um sich bei diesem Schneesturm auf ein fremdes Gelände zu wagen? Rasch, Edzard, eile, damit nicht ein Unglück geschieht. Nimm die Hunde mit.«

Dieser Verzweiflungsruf rief die prächtigen Gesellen aus tiefem Schlaf. Sie sprangen auf, scharten sich um das geliebte Herrchen und sahen es aufmerksam an.

»Na, denn kommt schon«, tätschelte Edzard zärtlich die Köpfe der Rüden. »Halte Glühwein bereit, Vater, und du, kleine Mama, sorge dafür, daß wir Doro in ein gewärmtes Bett legen können. Sie wird nicht wenig verklammt sein.«

Er ging, von den Hunden kläffend umsprungen. Es war ein Schneetreiben, daß man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Winselnd drängten die Hunde sich an Herrchen, das immer wieder aufmunternd sagte:

»Sucht Frauchen – sucht Frauchen!«

Das brachte selbst das Windspiel »Elegant« aus seiner vornehmen Ruhe. Es lief winselnd hin und her, der Dackel Schlumps belferte wie besessen, nur der wohldressierte Spaniel Harras verhielt sich ruhig. Die empfindliche Nase schnupperte, der Körper bebte.

»Such Frauchen, Harras, such Frauchen!«

Und dann setzte der prächtige Rüde in langen Sätzen davon. Aber nicht durch die Anlagen, über den riesengroßen Hof zum Tor hinaus, sondern nach der entgegengesetzten Seite. Raste quer durch den verschneiten Park, über den zugefrorenen Weiher, wo sich inmitten zierlich und kokett das Schwanenhaus erhob. Jetzt unbewohnt, weil seine stolzen Insassen während der klirrenden Kälte im warmen Stall untergebracht waren.

Die beiden andern Hunde setzten dem Spaniel nach. Das Windspiel ohne Laut, in weichen, eleganten Sprüngen, der Dackel aufgeregt kläffend, daß das samtige Gehänge nur so flog.

Bis die hohe, oben mit scharfem Stacheldraht versehene Parkmauer den Tieren Einhalt gebot. Winselnd sahen sie Herrchen entgegen, der ihnen Platz gebot und zum Gärtnerhaus glitt, um sich von dort den Schlüssel zur nächsten Pforte zu holen. Leise jaulend verharrten die Rüden, bis ein scharfer Pfiff ertönte. Da rasten sie ihm nach, durch die geöffnete Pforte, über das weite, weiße Feld – und Herrchen immer dem Bellen nach, das fern und ferner klang.

Es war selbst für diesen routinierten Schifahrer nicht einfach, vorwärtszukommen. Denn die Schneeflocken klebten an der Brille und nahmen ihm so die Sicht. Immer wieder mußte er stehenbleiben, um die Gläser zu wischen, was natürlich aufhielt. Der eisige Wind drang durch Mark und Bein, gellte in den Ohren wie Höllenmusik.

Aber dieser mühsame Weg schien wenigstens nicht umsonst zu sein, wie der Mann befürchtete; denn weitab hörte er Harras Standlaute geben. Also schien er die Gesuchte gefunden zu haben, wovon der Graf sich dann auch schon fünf Minuten später überzeugen konnte. Denn inmitten der weißen Einsamkeit saß die Dörth und streichelte die Hunde, die sie winselnd umdrängten.

»O Edzard, wie gut, daß du da bist«, sagte sie kleinlaut. »Ich glaube, ich habe mich verirrt.«

»Das ist nicht nur Glaube, sondern Tatsache«, kam es knapp zurück. Ein Griff unter die Achselhöhlen, ein scharfer Ruck – und sie stand wieder aufrecht. Und obwohl das vergötterte Töchterlein eines reichen Vaters sonst gewiß nicht ängstlich war, sah es jetzt doch unsicher in das rassige Männerantlitz.

»Edzard, sei mir nicht böse –«, begann sie zaghaft, doch schon schnitt eine herrische Bewegung ihr das Wort ab. Nicht gerade zärtlich griff er nach ihrer Hand und zog sie mit sich fort. Immer dem eisigen Wind entgegen, der bis auf die Knochen ging, wie man so sagt.

Doch keine Klage kam über Doros Lippen, obgleich sie das Gefühl hatte, jeden Augenblick in sich zusammensinken zu müssen. Tapfer hielt sie stand, bis das Schloß erreicht war, wo ihnen in der Halle das gräfliche Paar angstvoll entgegeneilte.

»Unserem Herrgott Lob und Dank«, sagte Linda leise, dabei die Schulter der Schwiegertochter umfassend, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Wenig später lag diese dann in dem durchwärmten Bett und schlief vor Erschöpfung sofort ein.

Doch schon drei Stunden später erschien sie zum Abendessen, munter und vergnügt wie eh und je.

»Ich glaube, du bist einfach nicht kleinzukriegen«, sagte der Schwiegervater halb anerkennend, halb ärgerlich, und sie lachte ihn lieblich an.

»Uijeh, Papa, werde bloß nicht grantig. Freue dich lieber, mich so wohlbehalten vor dir zu sehen, was bestimmt nicht der Fall wäre, wenn mein lieber Gatte mich nicht aus dem Hexenkessel herausgeholt hätte. Im übrigen habe ich Hunger.«

Ja, was sollte man da machen? Am besten gute Miene zum bösen Spiel. Denn Vorwürfe hätten ja doch jeden Eindruck auf diesen kleinen Nichtsnutz verfehlt.

»Das war grausig«, bekannte dieser jetzt offen, während er sich den delikaten Fleischsalat trefflich munden ließ. »Kein Wunder, daß ich mich bei dem abscheulichen Schneetreiben, das mir jede Sicht nahm, verirren mußte.«

»Und warum bliebst du da nicht zu Hause?« fragte die Schwiegermutter knapp.

»Weil ich die Vorwürfe, die man mir wie am laufenden Band machte, endlich satt bekam.«

»Nimmst an, daß man dich hier damit verschonen wird?«

»Ja –«, kam es mit solch entwaffnender Zuversicht zurück, daß man verblüfft war. »Ihr seid hier anders als Paps und Ma – ihr seid beinahe so wie meine Jo.«

»Wie uns das ehrt«, mußte der Schwiegervater widerwillig lachen. »Und warum bliebst du denn nicht bei dieser phänomenalen Jo?«

»Damit ist es leider ex«, bekannte sie traurig. »Sie will jetzt seßhaft werden mit ihrem Bertie, der ein fanatischer Gestütler ist. Pferde, Pferde und nochmals Pferde – wie kann man nur. Na, bescheide ich mich eben. Hier ist es ja auch ganz schön.«

»Da fühlen wir uns aber geehrt«, ironisierte der Gatte. »Neugierig bin ich nur, wie du deine Zeit hier totzuschlagen gedenkst.«

»Dein Spott rührt mich gar nicht, mein lieber Mann«, wies sie achselzuckend ab. »Ich werde mir schon die Zeit vertreiben.«

Was sie denn auch tat. Tagsüber tummelte sie sich im Freien, und abends machte sie gleich der Schwiegermutter Handarbeiten, wobei zuerst eine arge Pfudelei zustande kam. Doch sie ließ nicht nach, versuchte es im verbissenen Eifer immer wieder aufs neu.

»Warum plagst du dich so ab?« fragte eines Abends der Schwiegervater.

»Um mir nicht immer nachsagen zu lassen, daß ich zu nichts nütze bin.«

»Hm. Wer hat dir denn den Vorwurf gemacht?«

»Paps. Gestern erst, als er hier war. Der hat nämlich neuerdings ständig an mir etwas auszusetzen. Wahrscheinlich will er schleunigst nachholen, was er in zwanzig Jahren versäumte.«

Es kam so trocken heraus, daß die andern lachen mußten, und vergnügt tat sie mit. Sie nahm eben nichts ernst, spielte sich durchs Leben wie ein unbekümmertes Kind.

*

Der Frühling wollte sich in diesem Jahr durchaus nicht kalendermäßig einstellen. Der Schnee lag noch dick auf den Fluren, und immer noch wehte ein kalter Wind, der einen Aufenthalt im Freien nicht lange zuließ. Also suchte man gern die warmen Stuben auf und empfand die Wärme des brennenden Kamins als wahre Wohltat.

So saß denn auch an einem Nachmittag Familie Sölgerthurn geruhsam beisammen. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielten die Herren Schach, während die beiden Damen sich beim Halma vergnügten.

Dabei ging es nicht so ruhig zu wie bei den Schachpartnern. Hauptsächlich Doro tat lebhaft ihre Freude kund, wenn ihr ein ganz besonders guter Zug geglückt war, was allerdings nicht oft geschah. Denn sie als Anfängerin konnte sich nur schwer gegen die routinierte Spielerin behaupten.

»Gefangen, mein Kind«, sagte die soeben lachend. »Aber hast dich gut gewehrt. Noch eine Partie als Revanche?«

Dazu sollte es jedoch nicht kommen, weil der Diener eintrat und den Justizrat Elbitz meldete, der dann auch gleich danach in Erscheinung trat.

»Schönen guten Tag, meine Herrschaften«, grüßte er vergnügt die ihm bekannte Familie. »Ich komme diesmal als Amtsperson.«

»Dann bleiben Sie lieber draußen«, lachte die Hausherrin, ihm dabei die Hand entgegenstreckend und ihm einen Platz bietend, nachdem er auch die andern begrüßt hatte. »Mit Amtspersonen wollen wir nichts zu tun haben.«

»Erst abwarten, Frau Gräfin. Auch von Amtspersonen kann etwas Gutes kommen.«

»Und das wäre?«

»Eine Erbschaft.«

»Jetzt hören Sie aber auf«, lachte der Hausherr. »Wer sollte uns schon etwas vererben?«

»Tante Eulalia zum Beispiel.«

»Ausgerechnet das liebe Kirchenmäuslein. Außerdem pflegt man nur Verstorbene zu beerben.«

»Eben, Herr Graf«, wurde der Anwalt nun tiefernst. »Fräulein von Grottau ist gestern verschieden.«

»Um Himmels willen, wie konnte das denn so plötzlich geschehen?« rief Gräfin Linda zutiefst erschrocken. »Sie war doch immer gesund, unser gutes Eulachen. Allerdings hatte sie sich schon längere Zeit nicht mehr gemeldet. Nun reden Sie doch endlich, Herr Justizrat.«

»Da lassen wir lieber die Verewigte in ihrem letzten Brief zu Wort kommen.«

Damit entnahm er seiner Brieftasche ein versiegeltes Schreiben, reichte es dem Grafen, der es zuerst mißtrauisch von allen Seiten besah und dann schließlich erbrach. Während er las, kam und ging die Farbe auf seinem Gesicht im jähen Wechsel – und dann sah er wie hilflos alle der Reihe nach an, deren Augen gespannt an ihm hingen.

»Tja, da kann man nichts machen«, schüttelte er traurig den Kopf, als könne er noch immer nicht begreifen. »Unser liebes Weiblein spricht hier tatsächlich das letzte Mal zu uns. Hört zu, was sie vor ungefähr acht Wochen schrieb«, setzte er mit einem raschen Blick auf das Datum hinzu.

Mein lieber Neffe Bertram und Familie! Ihr seid gute Menschen, und darum sollt Ihr mich auch beerben. Ihr habt Euch als einzige aus der Verwandtschaft stets um mich gekümmert, obwohl ich ein armes, einflußloses Nichts war. Habt mich jeden Sommer liebreich bei Euch aufgenommen und mir sogar ein monatliches Taschengeld zugebilligt, auch noch, als ihr schwer zu kämpfen hattet, und das alles danke ich Euch von ganzem Herzen.

So, das wäre das – und nun zur Sache: Ich war auch tatsächlich arm – bis vor einem Vierteljahr – dann floß mir plötzlich ein reicher Segen zu. Und zwar nach dem Tode meines Bruders Aldur, der, wie Ihr ja wißt, als Grobian und Sonderling verrufen war. Aldur war nicht arm, wie wir alle annahmen. Er hatte sich im Laufe von Jahrzehnten durch wissenschaftliche Werke unter einem Pseudonym sehr viel Geld erarbeitet, das ich bestimmt nicht geerbt, wenn er ein Testament gemacht hätte, bevor ihn ein schneller Tod ungeahnt ereilte – Gehirnschlag. So jedoch fiel mir als nächster gesetzlichen Erbin der reiche Segen zu, mit dem ich nichts mehr anzufangen weiß, weil ich sehr müde geworden bin und kaum noch das Leben habe.

Ich wohne jetzt mit Ambrosius, dem Diener meines Bruders, zusammen, weil ich den armen Teufel nicht allein lassen will, der nicht zu bewegen ist, diese trostlose Stätte zu verlassen. Vielleicht gelingt es Euch, ihn fortzubekommen, wenn ich nicht mehr bin. Nehmt Euch bitte seiner an. Er hat es verdient, der Treueste aller Getreuen.

Doch mich holt zu Euch. Begrabt mich auf meinem Lieblingsplätzchen unter der alten Linde. Alles Geschäftliche wird Justizrat Doktor Elbitz erledigen, dem ich alles Erforderliche zu treuen Händen übergebe.

Und nun Gott befohlen, Ihr lieben Menschen. Laßt Euch für alles Gute, das Ihr an mir tatet, segnen von Eurer alten und müden Tante Eulalie von Gottau.

Nachdem die Stimme schwieg, war es erst einmal beklemmend still. Bis dann die Gräfin schmerzlich aufweinte.

»Unser gutes Eulachen. So gar nichts mehr hat sie von dem Geld gehabt. Und so keine Ahnung hatten wir davon, daß sie nicht mehr im Stift weilte. Hätten Sie uns nicht einen Wink geben können, Herr Justizrat?«

»Das war unmöglich, Frau Gräfin. Ich wurde zum Schweigen verpflichtet.«

»Aber warum bloß diese Geheimniskrämerei?«

»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Darf ich das Testament hier verlesen, oder soll es in meinem Arbeitszimmer geschehen?«

»Tun Sie es bitte gleich, damit wir es hinter uns haben«, brummte Bertram, sich mit zwei Fingern in den Kragen fahrend. »Deubel noch eins, so eine Sache kann einen schon mitnehmen.«

Dann nannte der Notar eine Summe, welche die Sölgerthurns mit einem Schlage zu reichen Menschen werden ließ. Zehntausend Mark waren für Ambrosius ausgesetzt, alles andere fiel dem Haupterben zu. Man konnte das gar nicht fassen, sah sich immer wieder wie hilflos an.

»Na ja –«, meinte der Erbe dann kläglich. »Der Herr gibt’s den Seinen im Schlaf. Haben wir das überhaupt verdient, Linda?«

»Ich weiß nicht, Bertram, ich bin wie vor den Kopf geschlagen. Denn was wir am Eulachen taten, war doch Selbstverständlichkeit.«

»Die Verstorbene scheint es jedoch anders aufgefaßt zu haben«, bemerkte der Notar. »Doch wie ist es nun mit der Überführung? Wissen die Herrschaften überhaupt, wo das Waldhaus liegt? Sonst bin ich gern bereit, Sie zu führen.«

»Was dankend angenommen wird«, sprach jetzt der junge Graf, der sich bis dahin schweigend verhalten hatte. »Lohnt es heute noch aufzubrechen, Herr Doktor?«

»O ja. Ich bin deshalb schon gleich nach dem Mittagessen erschienen, damit wir noch viel erledigen können. Schaffen wir es heute nicht, übernachten wir irgendwo in der Nähe.«

»Dann wollen wir uns sofort auf den Weg machen. Du bleibst wohl hier, Vater, um alles Erforderliche für die Beerdigung vorzubereiten.«

»Das soll geschehen, obgleich es mir bitter genug ankommt. Am liebsten möchte ich plärren wie ein kleines Gör, das Wehwehchen hat. Es war doch immer so nett, wenn unser verhutzeltes, verschmitztes Weiblein hier weilte. Es hatte einen so trockenen Humor – na ja. Zuerst werde ich mir den Platz unter der Linde ansehen.«

Die drei Herren eilten davon, und Doro sah ihnen mit großen, erschrockenen Augen nach.

»Mutti, nun wein doch nicht so schrecklich, sonst fang ich auch noch an«, sagte sie kläglich. »Mir stülpt sich schon ohnehin der Magen um. Was tut man eigentlich vor einem Begräbnis? Ich habe noch nie eins mitgemacht, außer dem von meiner ersten Mama. Aber da war ich noch zu klein, um alles richtig zu erfassen. Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«

»Ich glaube nicht, Doro. Fahr zu deinen Eltern. Denn was die nächsten Tage hier bringen werden, ist nichts für dich.«

»Kommt gar nicht in Frage! Ich werde doch nicht feige kneifen und dich in deinem Kummer allein lassen.«

»Wie energisch, kleine Dörth. So kenne ich dich ja noch gar nicht.«

»Na, einer aus der Familie muß doch den Kopf oben behalten«, tat sie großartig.

*

Nun ruhte Eulalia auf dem Plätzchen, das sie so geliebt hatte. Wie behütend streckte die uralte Linde ihre weitverzweigten Äste über den frischen Hügel, der unter Kränzen und Blumen fast verschwand. Von allen Seiten waren sie gekommen, obgleich das Begräbnis still begangen wurde. Nur Sanders waren zugegen gewesen, weil sie ja zur Familie gehörten.

Nun saß man zusammen, noch tief beeindruckt von der feierlichen Zeremonie. Selbst Doro war blaß und still.

Heute, am Frühlingsanfang, tobte der Schneesturm sich noch einmal so richtig aus in grimmiger Wut, daß er nun wohl oder übel doch endlich dem Frühling würde weichen müssen.

»Scheußliches Wetter«, sprach Georg Sander in die feierliche Stille hinein. »Hoffentlich haben sich unsere Damen bei dem eisigen Wind nicht erkältet. Wie fühlst du dich denn, Dörth?«

»Da fragst du ausgerechnet mich, die Jüngste, Paps.«

»Na ja, weil du von jeher so ein anfälliges Schiepchen warst.«

»Warst – Paps. Die Zeit ist doch wohl vorüber, wo ich von meinen überängstlichen Eltern in Watte gepackt und in den Glasschrank gestellt wurde.«

»Soll das vielleicht ein Vorwurf sein, Liebes?«

»I bewahre, Ma.«

»Dann bin ich beruhigt«, lachte die kleine Frau, was in dieser Trauerstimmung eigen berührte. Aber sie konnte nun einmal nicht lange ernst sein, zumal der Tod der alten Dame sie wenig berührte. Zwar hatte sie diese gekannt, aber ihr nicht nähergestanden.

Wer hätte das je gedacht, daß dieses verhutzelte Persönchen, welches die Sölgerthurns aus ihrem guten Herzen heraus bei sich aufnahmen und ihm auch da noch ein monatliches Taschengeld zahlten, als sie selbst mit jeder Mark rechnen mußten, einen solchen Reichtum hinterlassen würde. Wäre das ein Jahr früher geschehen, dann hätte der junge Graf nicht um Geld zu freien brauchen. Was würde er nun tun? Etwa die ihm aufgedrängte Ehe lösen?

Das war die Frage, die das Ehepaar Sander sich bangen Herzens stellte. Und selbst Ruth, die noch vor einigen Wochen alle Bedenken des Gatten zerstreute, war sich jetzt ihrer Sache längst nicht mehr so sicher.

Verstohlen ging ihr Blick zu dem Mann hin, der da so lässig im Sessel lehnte. Etwas ungemein Stolzes, Unnahbares ging von seiner ganzen Persönlichkeit aus. Wenn sie doch einmal für kurze Augenblicke nur die Gedanken lesen könnte, die hinter dieser markanten Stirn arbeiteten – aber nichts, auch gar nichts gewährte darin Einblick.

Wie wollte sich Doro wohl neben diesem fast einmaligen Mann behaupten können. Wohl war sie schön, zauberhaft schön sogar, aber ein kleines Dummchen, das diesen einstigen Globetrotter, der gewiß mit viel schönen, geistreichen Frauen zusammengetroffen war, wohl kaum fesseln konnte. Und spontan, wie Ruth nun einmal war, platzte sie mit der Frage heraus:

»Wirst du dein Globetrotterleben jetzt wieder aufnehmen, Edzard?«

Zuerst sah er sie verblüfft an, dann stellte er die Gegenfrage:

»Wie kommst du darauf?«

»Nun, weil – weil du jetzt doch – das viele – viele – Geld

hast –«, stotterte sie unter seinem ironischen Blick, der so deprimierend wirken konnte. »Oder gedenkst du – ich meine –«

»Ja, Uti, was stotterst du da bloß zusammen«, fiel der Gatte kopfschüttelnd ein. »Das sind wir bei deiner sonstigen Zungenfertigkeit ja gar nicht gewohnt.«

»Du bist abscheulich, Georg«, war sie jetzt pikiert. »Man wird unter so nahen Verwandten doch wohl eine Frage stellen dürfen.«

»Aber dabei doch nicht so jämmerlich stottern«, sah er sie verschmitzt an, und da lachte sie schon wieder.

»Dieser Edzard ist doch ein verflixt schwieriger Herr«, stellte sie fest, als sie später mit dem Gatten nach Hause fuhr. »Man kann einfach nicht so mit ihm reden wie mit anderen Menschen. Ich bin wirklich neugierig, was er jetzt unternehmen wird.«

Edzard widmete sich auch nach der Erbschaft der Landwirtschaft wie bisher. Sein Sinnen und Trachten ging dahin, Raute­nau zu einem Mustergut zu machen, was jetzt nicht weiter schwierig war, weil ihm ja Geld genug zur Verfügung stand. Seine junge Gattin nahm er als etwas hin, das nun mal in sein Leben gehörte. Er ließ ihr so viel Freiheit, wie sie nur wenigen Frauen gewährt wurde. Griff jedoch scharf durch, wenn sie etwas tun wollte, was außer der ihr gesteckten Grenze lag.

Also auch, als Doro sich mehr und mehr dem Volontär anschloß, der sein landwirtschaftliches Studium hinter sich hatte und am ersten März zur praktischen Ausbildung nach Rautenau kam. Ein schneidiger junger Mann aus tadellosem, begütertem Hause, aber auch ein liebenswürdiger Schwerenöter. Was Wunder, wenn die junge Doro Gefallen an ihm fand, der von Verliebtheit jedoch weit entfernt war. Sie mochte ihn deshalb, weil man mit ihm so nett lachen und plauschen konnte.

Es war ja auch nichts dabei, wenn die beiden jungen Menschen ausritten, Tennis spielten oder sich beim Krockett vergnügten. Doch als Graf Edzard merkte, wie die Liebe dem jungen Mann überm Kopf zusammenzuschlagen begann, gab er ihm den Abschied, ohne sich dabei aufzuregen.

»Herr Graf, was habe ich denn getan?« wollte der Tiefgekränkte aufbrausen, doch der andere winkte kurz ab.

»Lassen Sie sich jetzt nicht zu etwas hinreißen, was Ihnen hinterher leid tun würde. Ich meine es nämlich ehrlich mit Ihnen, dahinter werden Sie schon noch kommen. Denn es hat noch nie gutgetan, die Frau eines anderen zu – lieben. Da ist ein scharfer Schnitt angebracht. Verstehen Sie mich jetzt?«

Da wandte der junge Mann sich brüsk ab, rannte davon, um seine Koffer zu packen. Als er gerade mit seinem eigenen Wagen durch das große Hoftor fuhr, kam ihm eine Reiterin entgegen, die zuerst stutzte und dann das Pferd zum Stehen brachte, während der Mann dasselbe mit dem Auto tat.

»Ja, wohin wollen Sie denn mit Sack und Pack«, zeigte sie verwundert auf die Koffer, und er lachte höhnisch.

»Man gab mir den Abschied, Frau Gräfin. Und ich muß schon sagen, daß der Herr Gemahl der beste Kerkermeister ist, der mir je im Leben vorkam. Lassen Sie es sich weiter wohl sein in Ihrem – goldenen Käfig…«

»Eine abgeschmackte Redensart«, sprach da eine sonore Stimme hinter ihnen. Herumfahrend sahen sie den jungen Grafen, dessen Nähertreten sie nicht bemerkt hatten. Er trug die Flinte überm Rücken und hielt den Spaniel kurz an der Leine. Doch bevor sein Herrchen noch weiterspechen konnte, gab der Auto­fahrer Gas, und der Wagen flitzte um die Ecke.

»Nun, mein böses Kind, du willst mich doch nicht mit deinen Blicken erdolchen?« kam es ironisch von den harten Männerlippen. »Sprich jetzt nicht, es käme ja doch nur Unsinn heraus. Such dir lieber ein einsames Plätzchen aus und denk darüber nach, warum ich dem armen Jungen wohl den Abschied gab.«

Damit ging er, und Doro sah ihm nach, mit Empörung geladen bis zur Halskrause.

Doch wie wenig ihr alle Empörung nützte, sollte sie schon noch erfahren. Aber erst am Abend, weil es ihr früher nicht möglich war, mit dem arroganten Spötter abzurechnen. Ihrer Ansicht nach kniff er, als er nicht zum Abendessen erschien, sondern fernmündlich durchgab, daß er dieses in der Oberförsterei einzunehmen gedächte.

Feigling –! dachte Doro verächtlich. Jetzt hat er Angst vor der eignen Courage. Aber sie wollte ihn schon stellen.

Das tat sie denn auch am späten Abend in seinem Schlafzimmer. Sie lag schon im Bett, als das Licht hinter den Scheiben der breiten Glastür aufflammte, welche die ehelichen Gemächer verband. Sie prang auf, warf einen »Traum« von Morgenkleid über und stand gleich darauf vor dem Mann, der erstaunt aufsah.

»Doro – du –?« fragte er langsam, der gerade im Begriff war, die Jagdjoppe auszuziehen, sie jetzt jedoch wieder hochzog. »Du wünschest?«

Es war das erste Mal in ihrer Ehe, daß sie das Schlafgemach des Gatten betrat. Es war gewiß nicht so luxuriös eingerichtet wie ihr eigenes, aber immerhin so behaglich, daß man sich darin wohl fühlen konnte. Ein herber Duft von Juchten und gutem Tabak schwebte in dem Raum, der sich ihr beklemmend auf Herz und Gemüt legte. Sie holte einige Male tief Luft und bemühte sich dann, ihrer Stimme Festigkeit zu geben.

»Ja – ich –«, sprach sie dann genau in demselben Ton wie er vorher. »Man muß ja schon bis hierher vordringen, um deiner habhaft zu werden…«

»Aber, mein liebes Kind…«

»Ich bin nicht dein liebes Kind!« brauste sie dazwischen. »Ich will wissen, warum du den Quede entließest. Er hat sich doch weiß Gott nichts zuschulden kommen lassen.«

»Noch – nicht«, dehnte er. »Aber da die Erfahrung gelehrt hat, daß Vorbeugen allemal besser ist als Heilen, habe ich mich danach gerichtet.«

»So meinst du – daß Quede…«

»Jawohl – ich meine –«, unterbrach er sie hart. »Und da dieser sympathische junge Mann mir zu schade als dein Spielzeug erschien, habe ich ihn eben aus deiner gefährlichen Nähe verbannt.«

»Gefährlich findest du mich?« fragte sie perplex, was ihn

so recht erkennen ließ, wie wenig sie sich des Fluidums ihrer zaubersüßen Schönheit bewußt ward. »Das ist mir wirklich neu.«

»Dir ist noch so manches neu, mein Kind«, versetzte er gelassen. »Vor allen Dingen das, was einer Ehefrau geziemt. Die muß vorsichtig sein, damit sie nicht in das Gerede der Leute kommt. Da du das in deiner Unbekümmertheit nicht zu bedenken scheinst, mußte ich es für dich tun…

Und nun laß uns diese Unterredung abbrechen. Sie ist unerquicklich und führt außerdem zu nichts.«

Damit schob er sie aus der Tür, schloß sie mit Nachdruck – und die über die Maßen verwöhnte Doro hatte das Gefühl, zum ersten Mal in ihrem Leben geohrfeigt worden zu sein.

Am liebsten hätte sie ja wie ein ungezogenes Kind mit Händen und Füßen gegen die Tür gepoltert – wenn das nur Eindruck auf diesen gräßlichen Menschen machen würde, der sie in aller Gelassenheit unter seinen herrischen Willen zwang – den sie allerdings noch nie so zu spüren bekommen hatte wie heute.

Na was, er brauchte ja jetzt ihr Geld nicht mehr – brauchte durch die Geldheirat seinem Besitz und seinen Eltern keine Opfer mehr zu bringen.

Und an diesem Abend weinte die sonst so unbekümmerte junge Gräfin sich in den Schlaf.

*

Es war endlich Frühling geworden. Der Schnee war von der Sonne restlos weggetaut, die ersten Frühlingsblumen entfalteten ihre Pracht. Es war an manchen Tagen schon so warm, daß man sich im Freien aufhalten konnte. Wie auch an diesem Sonntag­nachmittag. Da ruhte man auf der Schloßterrasse in Liegestühlen und ließ sich von der Sonne bescheinen, die schon ganz nett brannte. Die Vöglein sangen, die Bienen summten, und von den Insthäusern her klang Harmonikamusik und Gesang.

Im Schloß lauschte man gern diesen sehnsüchtigen und wehmütigen Weisen und auch der Harmonikamusik, gab sich also auch heute mit Genuß dem ländlichen Konzert hin.

Nur die Dörth hörte nichts von all der Liebe und all dem Leid, das da so wehmütig besungen wurde – sie schlief.

Wie sie so dalag, langgestreckt, die Hände hinterm Kopf gefaltet, um den Mund ein Lächeln von sinnverwirrender Süße, erschien sie so sanft und fromm, als könnte sie gar kein Wässerchen trüben.

»Nun seht euch das mal an«, zeigte der Schwiegervater mit unterdrücktem Lachen zu der holden Schläferin hin. »Ein Kind, kein Engel ist so rein. Und in Wirklichkeit steckt ihr ein Teufelchen im Nacken. Wollen es mal gleich ausprobieren.«

Damit griff seine Hand hinüber, hielt das feine Näschen zu, der Mund tat sich auf, zwei Reihen prächtiger Zähne bloßlegend – und dann öffneten sich die Augen, strahlend blau, wie der lachende Frühlingshimmel über ihnen.

»Heda, du Murmeltierchen, zum Schlafen ist die Nacht da!« neckte der Schwiegervater, und schon war das Töchterlein munter.

»Also, das ist ein tückischer Überfall, Papa! Na warte, zu gegebener Zeit werde ich mich schon rächen.«

Dabei lachte sie alle der Reihe nach an, dehnte die Glieder wie ein schnurrendes Kätzchen, lauschte dann der Musik, die Weise dabei mitsummend.

Und in dieses Idyll platzte Balduin mit einem Eilbrief hinein, den er der Gräfin Linda überreichte. Diese las mal erst den Absender, bevor sie den Umschlag öffnete, überflog dann das Schreiben und sagte nicht gerade erfreut:

»Freda fragt an, ob sie mit ihrer Tochter den Sommer hier verleben könnte.«

»Freda, wer ist denn das?« fragte der Gatte dazwischen. »Kenne ich die denn überhaupt?«

»Ich glaube schon. Sie ist eine Base zweiten Grades von mir, die gegen den Willen ihrer Eltern, überhaupt der ganzen Sippe, einen Bildhauer heiratete.«

»Ach, die ist das…«, dehnte er. »Die saß doch auf einem gar hohen Roß. Ist sie etwa von dem heruntergepurzelt und besinnt sich nach mehr als zwanzig Jahren ihrer Verwandten?«

»Ihr Mann ist tot.«

»Und hinterließ eine Menge Schulden, wie das so üblich ist…«

»Ganz recht.«

»Hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Und was nun? Sollen wir die Schulden bezahlen?«

»Das nicht gerade. Sie bittet nur um einige Wochen Aufnahme, weil ihre Tochter leidend ist. Der Arzt verschreibt ihr Landluft und gute Kost, doch sie haben gerade nur so viel Geld, um schlecht und recht davon leben zu können, also zum Kuraufenthalt reicht es nicht.«

»Die alte Geschichte«, brummte Bertram. »Das kommt davon, wenn man auf blauen Dunst hin heiratet. Diese Dummheit sollen dann andere mitbüßen. Laß die es tun, die näher mit ihr verwandt sind, basta!«

Darauf schwieg Linda, weil sie wußte, daß jetzt mit dem Gatten nicht zu reden war. Erst mußte sein gutes Herz über den Unmut siegen, was dann auch bald geschah.

»Meinetwegen laß sie kommen. Man ist ja schließlich kein Unmensch.«

»Nein, das bist du wirklich nicht«, entgegnete sie lachend. »Du zeigst das nur nicht immer gern.«

So kam es denn, daß die beiden Damen schon einige Tage später ihren Einzug hielten. Die Mutter vergrämt, die Tochter krank – wahrscheinlich todkrank. Ein Persönchen von solcher Zartheit, daß man fürchtete, es mit dem Atem wegzupusten.

»Du liebes bißchen«, sagte der Senior kläglich, als die Gäste sich zurückgezogen hatten. »Vor so was Ätherischem habe ich Angst. Wenn uns das man nicht hier unter den Händen wegstirbt. Mir liegt nämlich noch das Begräbnis von Eulachen in den Knochen. Wollen mal sehen, was unser guter alter Hausdoktor sagt.«

Nun, der zuckte bedenklich die Achseln.

»Herzkrank, und zwar gefährlich. Wahrscheinlich von Geburt an damit belastet. Gute Pflege, keine Aufregung, am besten Sanatorium.«

Doch davon wollte die Leidende nichts wissen, weil sie sich in Rautenau so wohl fühlte, wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Und vor allen Dingen, weil das bedauernswerte Menschenkind eine spontane Liebe zu dem jungen Schloßherrn packte.

Und damit begann eine harte Probe für die selbst so verwöhnte Doro. Denn alles im Haus drehte sich jetzt um Sitta, die mit dem Egoismus der Kranken das für selbstverständlich hielt. Auf ihre Wünsche hatte man zu achten. Tat man es nicht, regte sie sich so sehr auf, daß ein Herzanfall unausbleiblich war.

Am glücklichsten fühlte sie sich, wenn Edzard neben ihr saß und ihre Hand hielt. Und weil das nicht immer anging, da er ja seine Beschäftigung hatte, gab es jedesmal Tränen bei der eigensinnigen Kranken, sobald er sich entfernte. So auch heute.

»Liebling, du mußt doch vernünftig sein«, redete die geplagte Mutter ihr gütlich zu. »Edzard ist doch Landwirt, hat also immer viel zu tun. Außerdem muß er sich doch seiner jungen Frau widmen!«

»Das geht mich nichts an – ich hasse sie…«

Punktum –! hätte man darunter setzen können.

Und Doro, wie verhielt die sich? Wie gewöhnlich schweigend bei solchen gehässigen Überfällen. Was sie sich dabei dachte, konnte kein Mensch ergründen. Nicht einmal die Eltern, die ihr Kind doch so gut zu kennen glaubten.

»Uti, da sehe ich schwarz«, knurrte Georg, als er und die Gattin nach so einem »Affentheater«, wie er es verbissen zu bezeichnen pflegte, von Rautenau nach Hause fuhren. »So an die Wand gedrückt zu werden, verträgt keine Frau – und mag sie doch noch so vernünftig sein. Am besten ist, du fährst mit unserer Dörth in ein Bad, bis die hysterische Person tot ist oder in ein Sanatorium kommt.«

»Um Gottes willen, Mann, wie kannst du ersteres überhaupt aussprechen!« wehrte sie erschrocken. »Du versündigst dich ja.«

»Ach was…«, brummte er verlegen. »Mir steht mein Kind eben näher. Und das leidet unter dem allen, da kannst du mir sagen, was du willst.«

Und: »Ich habe das Theater jetzt satt«, knurrte Bertram, als sein Sohn mit Sitta am Arm in den Park gegangen war. »Wie ein Liebespaar muten sie an, die dort so selbstvergessen dahinwandeln. Der Junge wird sich doch nicht etwa in das kranke Mädchen verliebt haben? Soll schon alles vorgekommen sein.«

»Aber nicht bei unserm Jungen«, wehrte die Mutter entschieden ab. »Der will weiter nichts, als dem todkranken Mädchen seine letzte Erdenzeit verschönern.«

»So – und seine Frau?«

»Die muß vernünftig sein.«

»Und wenn sie das nicht ist?«

»Bertram, so quäle mich doch nicht so entsetzlich!« Sie preßte nervös die Fingerspitzen gegen die Schläfen. »Ich mache mir schon Vorwürfe genug, Sitta und ihre Mutter aufgenommen zu haben. Wie hätte ich auch ahnen können, was sich daraus ergeben würde. Könnte ich nur alles ungeschehen machen.«

Ihre Stimme brach, und das konnte der Mann, der seine Frau nach dreißigjähriger Ehe fast noch mehr liebte als am ersten Tag, durchaus nicht vertragen. Er nahm sie in die Arme, küßte die Tränen aus den Augen und brummte:

»Es fehlt gerade noch, daß du weinst, du Liebste und Beste aller Frauen. Dein gutes Herz ging mit dir durch. Dein einziger Fehler, den ich von jeher beanstanden mußte.«

Verlegen werdend, ließ er seine treue Ehehälfte aus den Armen, weil Doro auf die Terrasse trat. Ein flüchtiges Lächeln huschte um den Mund der jungen Frau. Doch sie sagte nichts, ließ sich in einen Korbsessel sinken und schlug mit der Reitgerte gegen die Stiefelchen.

»Schon zurück von dem elterlichen Besuch?« fragte der Schwiegervater, so harmlos er konnte.

»Ja –«, kam es einsilbig zurück. »Ma will mit mir durchaus ins Bad.«

»Na – und?«

»Ich mag nicht.«

»Tu’s doch, Doro«, redete die Schwiegermutter ihr eifrig zu – und da umzuckte ein bitteres Lächeln den jungroten Mund.

»Gib dir keine Mühe, Mama – ich bleibe hier – selbst als unerwünschte Gattin und Schwiegertochter.«

Sie sprang auf, ging davon – und Bertram sagte hart:

»Jetzt ist Schluß, Sitta muß aus dem Haus. Doro ist ein uns anvertrautes Gut, und das müssen wir schützen. Sitta kommt in ein Sanatorium, dafür werde ich sorgen. Wenn wir die Kosten dafür tragen, haben wir unserer Menschenpflicht vollauf genügt, will ich meinen. Denn uns alle von der unverschämten Kranken tyrannisieren lassen, die uns noch nicht einmal etwas angeht, das kann und darf ich als Familienvorstand nicht dulden.«

*

Es herrschte tiefe Stille im Schloß, die Stille der Nacht. Die Bewohner lagen im festen Schlaf, bis auf einige, die diesen Schlaf nicht finden konnten.

Dazu gehörte erst einmal die kranke Sitta, der das Herz arg zu schaffen machte.

»Ich werde den Arzt herrufen, mein Liebling«, tröstete die geängstigte Mutter. »Der gibt dir eine Spritze.«

»Ich will keine Spritze, ich will Edzard!« wurde sie mit schriller Stimme unterbrochen. »Nur er kann mir helfen. Wenn er bei mir ist, wird das dumme Herz gut und still.«

»Sittalein, mein süßes Kind – bedenke doch, es ist Nacht!«

»Und wenn es tausendmal Nacht ist!« schrillte die Stimme wieder dazwischen. »Er soll kommen – und mein Herz in seine beiden guten Hände nehmen.«

Ja, was sollte die gepeinigte Mutter da machen? Sagte sie nein, gab es bei der Tochter einen der Herzanfälle, welche die Frau unsagbar fürchtete. Also schlich sie wie ein Dieb durch das Schloß, bis sie vor der Schlafzimmertür des jungen Grafen stand. Zaghaft klopfte sie, und schon meldete sich eine sonore Männerstimme: »Ja – was gibt’s?«

»Edzard, komm doch bitte an die Tür…«

Er tat’s und sah dann in ein angstverzerrtes Gesicht. Ein Mutterantlitz, in dem sich die Zeichen des Martyriums ausprägten.

»Verzeih, daß ich dich im Schlaf störte – Sitta ist so unruhig, sie verlangt nach dir…«

»Ist gut, Tante Freda, ich komme. Ich zieh mich nur rasch an.«

»Gott wird es dir lohnen, du guter Junge.«

Das alles hörte Doro mit an, die trotz der leise geführten Unterhaltung erwachte. Sie drückte das Gesicht in die Kissen, zog die Daunendecke über den Kopf, wie ein Mensch das tut, der nichts mehr hören will.

Am nächsten Morgen regnete es. Kein Wunder, denn es war ja April. Als Doro verspätet das Frühstückszimmer betrat, fand sie nur noch die Schwiegermutter darin vor. Die beiden Herren waren schon gegangen, und Sitta nahm ihr Frühstück sowieso im Bett ein, von der Mutter aufs beste betreut.

»Guten Morgen, mein Kind«, grüßte die Gräfin herzlich. »Hast du gut geschlafen?«

»Bist du denn nicht wach geworden, als Freda unseren Edzard zu der unruhigen Sitta holte?«

»Doch – aber ich schlief danach gleich wieder ein. Geht es Sitta denn schlechter als sonst?«

»Eigentlich nicht.«

»Und warum muße Edzard denn Nachtwache bei ihr halten? Der hat doch nach der anstrengenden Tagesarbeit den Schlaf wahrlich verdient.«

»Ach, Kind, danach fragt doch eine egoistische Kranke nicht.«

»Haben wir etwa hier ein Krankenhaus – und ist Edzard ein Krankenpfleger?«

»Doro – bitte!«

»Na schön – die Dummen werden eben nie alle.«

Damit häufte sie delikate Pastete auf den Toast und ließ es sich gut schmecken.

Wenn man nur klug werden könnte aus der kleinen Sphinx – dachte die Gräfin bekümmert. Wenn man sie schon zu haben glaubt, entgleitet sie einem immer wieder.

Da es auch am Abend noch regnete, saß man im Wohnzimmer nach dem Abendessen zusammen. Es war drückend schwül in dem weiten Raum, weil Sittas wegen Fenster und Türen geschlossen bleiben mußten. Die Kranke ruhte, durch Kissen gestützt, im Sessel, nebenan saß der junge Graf und hielt ihre Hand. Ein Bild, an das man nun schon gewöhnt war und das eher lächerlich als rührend wirkte. Die geplagte Mutter der anmaßenden Kranken hockte wie ein Häuflein Unglück da und schlief, was sie stets tat, sofern ihr eine Atempause vergönnt war. Gräfin Linda hatte den Kopf in die Hand gestützt und sah bekümmert vor sich hin, während der Gatte ein Gesicht machte, das davor warnte, ihn zu reizen.

Und Doro? Die saß da wie ein Mensch, der sich langweilt, aus Höflichkeit aber verharren muß. Tief im Sessel zurückgelehnt, die Arme über die Seitenlehnen gestreckt, die Beine übereinandergeschlagen, so wippte sie mit dem Fuß zum Takt der Musik, die gedämpft aus dem Rundfunk klang. Ab und zu pfiff sie sogar leise mit, was ihr einen bösen Blick Sittas eintrug. Doch sie ließ sich nicht beirren, pfiff ruhig weiter und machte dabei ein Gesicht, das so etwas wie Schadenfreude ausdrückte. Jedenfalls war es alles andere als gemütlich, zumal keiner sprach, und der Anblick, den die Kranke bot, gewiß nicht vergnüglich stimmte. Und ihr Gebaren dem Grafen gegenüber wirkte direkt abstoßend.

Und plötzlich geschah etwas. Und zwar, als aus dem Rundfunk ein Lied ertönte, das die andern wohl kaum beachteten – nur Doro gab es einen Stich durch und durch. Der Fuß wippte nicht mehr, die gespitzten Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln.

Wie lange war es her, da sie diese Weise zum letztenmal hörte, sie vergnügt mitsummte und genießerisch den vierten Windbeutel dazu aß? Noch nicht einmal ganz ein Jahr. Da dachte sie es sich so einfach, ihr Herz zu hüten.

Und ich wußte, es ist vergeblich, sein Herz zu hüten – resignierte die Männerstimme.

Doro sah auf, mitten in die Augen des Gatten hinein, aus denen es ihr wie ein heißer blauer Strahl entgegenblitzte.

Da sprang sie so jäh auf, daß die andern erschraken, wünschte kurz gute Nacht und war dann verschwunden.

»Oh, wie hab ich mich erschreckt«, klagte Sitta wehleidig. »Doro ist aber auch zu rücksichtslos und vor allen Dingen schlecht erzogen.«

»Gehen wir schlafen«, sagte der Senior und sprang auf. »Du auch, Edzard, der du dir schon die vorige Nacht um die Ohren schlagen mußtest.«

»Onkel Bertram, diese Sprache vertrage ich nicht!« kreischte Sitta. Man sah direkt, wie dem Mann langsam das Blut in die Schläfen stieg, wie er die Hände zu Fäusten ballte – doch er blieb ruhig.

»Ja, wenn du diese Sprache nicht vertragen kannst, dann mußt du eben in ein Sanatorium, wohin du ja überhaupt gehörst!«

»Onkel Bertram, du bist herzlos!«

»O ja, so herzlos, daß ich sogar für dich die Sanatoriumskosten tragen werde, die du mich eigentlich gar nichts angehst.«

»Bertram – bitte!« flehte die Gattin – da gab er sich einen Ruck, drehte sich kurz um und ging hinaus.

»Mein Kind – o mein süßes Kind – es stirbt!« schrie jetzt die Mutter verzweifelt. »Ach, wie seid ihr doch alle grausam!«

O ja, so grausam war man, daß man sich die vier Tage, bis Sitta ins Sanatorium kam, ohne Widerrede von ihr tyrannisieren ließ, die es aus lauter Bosheit jetzt ganz besonders arg trieb. Und so grausam war der junge Graf, daß er die Tyrannin sogar ins Sanatorium geleitete.

*

Nachdem die Kranke fort war, atmete man in Rautenau wie von schwerer Last befreit auf. Endlich konnte man es sich jetzt wieder gemütlich machen, ohne die Befürchtung zu hegen, durch irgend etwas das Mißfallen der anmaßenden Sitta zu erregen.

»Ach ja, so ist es schön«, streckte Bertram sich mit Behagen in dem Liegestuhl, wie Gattin und Schwiegertochter es bereits getan hatten. »Jetzt ist es bei uns wieder schön. Jetzt kann man doch wieder in Beschaulichkeit seine Sonntagsruhe genießen. Neugierig bin ich, wie lange Edzard sich von dem egoistischen Persönchen festhalten läßt. Nun, mag dem sein, wie es wolle, wir sind sie jedenfalls los.«

»Was sind wir doch bloß für herzlose Menschen«, lachte Gräfin Linda. »Denn auch ich bin froh. Und wie steht es mit dir, Doro?«

»Ich kann nicht sagen, daß ich Sitta nachtrauere«, gab sie offen zu. »Ich hatte immer so ein unbehagliches Gefühl bei ihrem hysterischen Benehmen. Dann glaubte ich nämlich mich selbst zu sehen, so wie ich war, bevor mich die Jo ummodelte. Ich muß ja ein unleidliches Scheusal gewesen sein.«

»Da kann ich dir nicht widersprechen«, schmunzelte der Schwiegervater.

»Du konntest mit den Launen und der Herrschsucht deine Umgebung schon in Atem halten. Und dabei warst du noch nicht einmal krank, sondern nur erbarmungsvoll vermickert. Wenn man dich jetzt so sieht, muß man an Wunder glauben. Nicht wahr, Linda?«

»Kann man wohl sagen. Aber ganz so arg wie die Sitta war unsere Dörth denn doch nicht. Sie hatte ja auch ihre netten Touren – wenn auch nur selten«, schloß sie lachend, dem Schwiegertöchterlein, das dicht neben ihr saß, zärtlich über die Wange streichelnd. »Dafür hat sie sich aber auch in den vergangenen beiden Wochen ganz tadellos benommen.«

»Ehrt mich zu hören«, schnitt Doro eine Grimasse. »Dann habe ich ja Aussicht, mir so peu à peu euer Wohlwollen zu erringen.«

»Als ob du es nicht schon längst hättest, du dummes Ding«, brummte der Schwiegervater jetzt. »Aber du scheinst dir daraus ja nichts zu machen.«

»Vielleicht –?« blitzte sie ihn an, und da mußte er wieder einmal feststellen, daß man dem kleinen Sprühteufelchen einfach nicht böse sein konnte.

Und dann stand Edzard plötzlich vor ihnen, in aller Gelassenheit. Der Vater sprang auf, beklopfte ihm den Rücken und sagte freudestrahlend: »Da bist du ja, Junge! So schnell habe ich dich nicht zurückerwartet. Leg dich lang, siehst müde aus.«

»Das bin ich auch tatsächlich.« Er ließ sich in den Liegestuhl fallen, während der Vater seinem Beispiel folgte. »Ich habe nämlich in den beiden Nächten, die ich fort war, kaum geschlafen.«

»Stand es denn so schlecht um Sitta?«

»Nicht schlechter als gewöhnlich, Muttchen. Aber du kennst ja ihre unselige Anhänglichkeit an mich.«

»Das weiß Gott«, knurrte der Vater. »Und wie nahm sie deinen Abschied auf?«

»Das weiß ich nicht. Als sie nach einer Spritze endlich schlief, fuhr ich einfach ab, ohne mich von Tante Fredas Gejammer zurückhalten zu lassen. Denn ich kann ja schließlich meine kostbare Zeit nicht bei so einem egoistischen Persönchen vertrödeln. Ja, wenn ich ihm noch helfen könnte, aber das steht leider nicht in meiner Macht.«

»Hm, na ja. Und was sagte der Professor über die Patientin?«

»Du kennst ja die Art dieser Kapazitäten, Vater. Zuerst fragt er, ob Sitta meine Braut wäre. Als ich das verneinte, schickte er mich kurzerhand nach Hause. In dem Sanatorium hätten nämlich nur Angehörige der Patienten etwas zu suchen.«

»Ein kurz angebundener Herr«, meinte die Mutter. »Ach, Kinder, was bin ich doch froh, für meine Gemütlichkeit, die ich in den beiden Wochen mehr als einmal verwünschte, nicht härteres Lehrgeld zahlen zu müssen. Aber noch einmal passiert mir so eine Eselei nicht.«

»Abwarten –«, schmunzelte der Gatte. »Wollen wir wetten, daß du beim nächsten Jammerbrief dein gutes Herz doch wieder durchgehen läßt?«

»Lieber nicht«, wehrte sie lachend. »Ich trau mir nämlich selbst nicht so recht.«

Während dieser Unterhaltung hatte Doro sich schweigend verhalten. Sie lag in beliebter Stellung da, langgestreckt, die Hände hinterm Kopf gefaltet, und schaute zum Himmel empor, der sich wie blauer Atlas über das Firmament spannte. Was sie dachte und empfand – nun das konnten die drei Menschen, deren Blicke immer wieder verstohlen zu ihr hingingen, wie gewöhnlich nicht ergründen.

Sie ist wie ein Buch mit sieben Siegeln – dachte die Mutter bekümmert. Genauso wie Edzard. Die schwierigsten Charaktere, die mir je in meinem Leben vorgekommen sind.

Und dabei ist die Dörth noch nicht einmal verschlossen. Sie gibt sich im Gegenteil frei und ungezwungen. Nur ins Herz hinein läßt sie sich nicht blicken. Wenn man da nur anzutippen wagt, verkriecht sie sich wie eine Schnecke in ihr Häuslein.

Wie lange soll das noch so weitergehen? Die Ehe währte ja bald ein Jahr. Allerdings war Doro mit Unterbrechungen mindestens die Hälfte davon auf Reisen gewesen – und dennoch.

Ach, es war schon ein Jammer!

Jetzt seufzte sie schmerzlich auf, und der Gatte sah sie forschend an.

»Wo flog denn dieser Seufzer hin? Darf dein Ehegespons es wissen?«

»Ich möchte eine Hellseherin sein.«

Auf diese Antwort war er denn doch nicht gefaßt. Machte ein so verdutztes Gesicht, das die andern amüsiert lachen ließ.

»Nanu, was würdest du da erleuchten?« fragte der Sohn neckend.

»Menschenherzen.«

»Ei du, wünsche dir das nicht«, warnte der Gatte. »Da möchtest du ein schönes Kuddelmuddel zu sehen kriegen. Gib dich zufrieden, daß du unsere Herzen durchleuchten kannst, so bis in alle Ecken und Winkel hinein.«

»Meinst du, daß ich dabei auch wirklich alle Winkel erfassen kann?«

»Also Kinder, jetzt hört euch das bloß an! Unsere Mutti fängt an zu philosophieren. Das ist bestimmt ein Zeichen nahenden Alters.«

»Dann kommt sie in die Jungmühle«, schlug Doro lachend vor. »Und damit sie dann nicht zu jung für Papa wird, muß dieser eben mit. Doch hoffentlich geratet ihr nicht in die falsche Mühle und kommt als Babys wieder heraus.«

Doro schaute nachdenklich drein.

Sie war einfach unwiderstehlich in ihrem Charme, wie sie so dasaß mit leuchtenden Augen und verträumtem Gesicht.

Wie kann der Junge bei diesem bezaubernden Anblick bloß so gelassen bleiben – schoß es der Mutter durch den Sinn. Entweder hat er kein Herz – oder er versteht es eisern zu hüten.

Am Nachmittag erschien dann Familie Sander unerwartet. Denn es herrschte jetzt ja wieder wie früher ein zwangloses Aus- und Eingehen zwischen Villa und Schloß.

Doro, die aufsprang, um ihre Lieben zu begrüßen, verhaspelte sich im Liegestuhl und fiel buchstäblich auf die Nase. Doch bevor sich die andern noch von ihrem Schreck erholen konnten, war Edzard schon heran und hob die Gattin auf, ohne darauf zu achten, daß das strömende Blut seinen Anzug befleckte. Er trug Doro zum nächsten Diwan, setzte sich zu ihr, drückte mit der einen Hand ihren Kopf nach hinten und preßte mit der andern sein Taschentuch auf die verletzte Nase.

»Rasch, Vater, hol blutstillende Watte, und ordne an, daß Balduin eine Schüssel mit kaltem Wasser und weiche Tücher bringt.«

Der Mann eilte davon, und als Edzard sich bequemer setzen wollte, schrie Doro auf:

»Au – mein Fuß!«

»Ja, ist er denn auch verletzt?«

»Wahrscheinlich. Denn er tut erbärmlich weh.«

»Komm, Papa, löse mich hier ab, damit ich den Fuß untersuchen kann.«

»Junge, laß mich zufrieden«, wehrte er, dem der Schreck gehörig in die Glieder gefahren war. »Mach du das, Ruth.«

»Nein, ich habe Angst. Vielleicht ist das Nasenbein gebrochen.«

»Dann komm du her, Jörn.«

»Aber ich kann kein Blut sehen.«

»Ihr seid mir ja schöne Helden«, wurde Edzard jetzt ärgerlich. Doch schon stand die Mutter da und löste ihn ab.

»Welcher Fuß ist es, Doro?«

»Der linke – was ist mit ihm?«

»Er ist arg geschwollen. Hol eine Schere, Jörn, damit ich Schuh und Strumpf aufschneiden kann.«

Das war ein Auftrag, den der Junge schleunigst ausführte. Und die Eltern liefen aufgeregt hinterher, als müßten sie den Sohn beschützen. Es wirkte so komisch, daß selbst die schmerzgeplagte Doro mit den andern lachen mußte.

»Edzard, was macht man da zuerst?« fragte der Vater, der das Päckchen mit Watte in der Hand hielt, während Balduin die Schüssel brachte und in die Nähe des Diwans rückte. »Mit einer Sache konntest du dich wohl nicht zufriedengeben, Dörth, wie?«

»Nein…«, gab sie trocken zurück. »Ich kann eben nie genug kriegen. Ach, Edzard, das tut ja gemein weh!«

»Ja, Kind, ganz kann ich dir die Schmerzen leider nicht ersparen. Da mußt du schon die Zähne zusammenbeißen.«

Er nahm dem jungen Schwager die Schere ab, die dieser so ängstlich hielt, als wäre es ein Mordinstrument, mit dem jemand umgebracht worden war. Verstört schaute er auf die Schwester, welche die Handballen gegen die Zähne drückte, während der Gatte behutsam Schuh und Strumpf aufschnitt und dann den Fuß entblößte.

»Verstaucht«, stellte er sachlich fest. »Sei also froh, Doro, daß nicht der Knöchel gebrochen ist.«

Damit schob er ihr ein Kissen unter den verletzten Fuß, und schon ließen die Schmerzen nach.

»Tauch ein Tuch ins Wasser, Balduin, winde es gut aus und lege es der Frau Gräfin auf den Fuß. Ich muß mich jetzt um die Nase kümmern.

Wunderbar, die Blutung hat bereits aufgehört. Aber in den Spiegel sehen darfst du einige Tage nicht, sonst kriegst du einen Ohnmachtsanfall. Deine Nase gleicht jetzt nämlich einer unförmigen Kartoffel.«

»Pfui, Edzard!«

»Pfui, Doro, das wäre angebrachter. Du hast es erstklassig raus, deine Mitmenschen in Atem zu halten.«

»Du hältst die Schmerzen ja nicht aus«, funkelte sie ihn böse an.

»Das wäre ja auch noch schöner.«

»Edzard, nun ärgere unsere arme Kleine nicht noch«, knurrte der Schwiegervater.

»Lieber Papa, es schallt immer so, wie es gerufen wird.«

»Eben –«, bemerkte Doro – und niemand konnte es sich erklären, warum sie plötzlich so heiß errötete. Sie dachte nämlich an den Weihnachtsabend – da sie so ganz anders zurückschallte, als sie hineinrief.

Später lag sie wohlgebettet auf der Terrasse im Liegestuhl und ließ sich von dem besorgten Bruder wie ein Baby füttern, während die andern am Tisch den Nachmittagskaffee tranken.

»Unser guter Junge«, sagte die Mutter gerührt, was den

Zwölfjährigen verlegen machte. Er brummte etwas vor sich hin, das ganz nach »Quatsch« klang.

Balduin wurde sichtbar und überreichte dem jungen Grafen ein kleines Salbentöpfchen.

»Das schickt Ambrosius für die Nase und den Fuß der Frau Gräfin«, erklärte er in seiner feierlichen Art, und der Senior lachte.

»Natürlich tritt der Ambrosius gleich in Aktion. Seitdem er hier ist, brauchen wir keinen Arzt mehr. Er kuriert alles mit seinen Heilkräutern sieben Meilen in der Runde. Und da die Dörth sein besonderer Liebling ist, wird er ihr auch was Besonderes zukommen lassen.«

»Sie hat aber auch eine ganz besondere Art, mit dem knurrigen Alten umzugehen«, lachte nun die Gräfin. »Und dabei geht sie noch längst nicht so behutsam mit ihm um wie wir andern alle.«

»Aber sie becirct ihn«, bemerkte Edzard trocken. »Damit dürfte wohl alles gesagt sein.«

Es war nicht einfach gewesen, den Alten aus der halbverfallenen Waldhütte, in der er jahrzehntelang mit seinem Herrn gehaust, wegzukriegen. Fast mit Gewalt hatte das geschehen müssen – und mit List. Der junge Graf hatte ihm nämlich vorgehalten, wie undankbar es doch von ihm wäre, der guten Eula nicht das letzte Geleit zu geben, die ja nur seinetwegen in dieser armseligen Bude ausgehalten hätte. Da senkte der Alte, der wie Rübezahl anmutete, den Kopf und fügte sich. Hing sein treues Herz an ihn, der ihn nicht unter die Dienerschaft steckte, sondern ihm das kleine Haus als Wohnsitz anwies, das gleich hinterm Park lag und nur durch eine Wiese vom Wald getrennt war. Drückte ihm eine Flinte in die Hand – und gewann damit einen Getreuen, der sich ohne Muck hätte für ihn totschlagen lassen.

Ebenso wie für die junge Gräfin, die allein durch ihr goldiges Lachen das unbestechliche Herz gewann. Und wenn der Alte einmal störrisch war, mit diesem Lachen bekam sie ihn windelweich.

Außerdem war Ambrosius der beste Wildhüter, den man sich denken konnte. Er sammelte Kräuter, mixte Salben, hielt das Häuschen, bestehend aus zwei Zimmern und Küche, blitzblank und war immer so beschäftigt, daß der Tag kaum ausreichte.

Die Lebensmittel vom Gut nahm er zwar an, beköstigte sich aber selbst. Denn ein weibliches Wesen um sich dulden, wäre für ihn dasselbe gewesen, als sollte er des Teufels Großmutter in Quartier nehmen.

Woher der Einsiedler so schnell den kleinen Unfall erfahren hatte, war allen unklar, aber die Salbe war jedenfalls zur Stelle. Und daß sie heilsam war, daran hegte man keinen Zweifel – außer Ruth.

»Ich glaube, wir lassen doch den Arzt kommen«, meinte sie ängstlich, doch schon winkte Doro ab.

»Nicht nötig, Ma. Seitdem Edzard die Salbe schmierte, spüre ich keine Schmerzen. Außerdem habe ich mir nicht zum ersten Mal den Fuß verknackst und weiß daher, wie man ihn kurieren muß.«

»Davon weiß ich ja gar nichts, mein Kind. Wann geschah das denn?«

»Im Pensionat, Ma. Da ließ man den Arzt kommen, der bestimmt nicht so behutsam mit mir umging wie Edzard heute.«

»Und warum schriebst du nichts davon?«

»Weil die Vorsteherin das nicht haben wollte, Paps. Sie meinte, das wäre nur viel Lärm um nichts.«

»So ist das nun«, klagte Ruth. »Man weiß nie, wem man seine Kinder, das Köstlichste, was man besitzt, anvertraut.«

»Utichen wird elegisch«, ironisierte Edzard. »Beruhige dich nur, bei uns ist dein Kleinod bestimmt in besten Händen.«

»Oh, über diesen arroganten Spötter! Gehen wir, die wir hier ganz überflüssig zu sein scheinen.«

»Na, Ma, sei bloß nicht gekränkt«, lachte Doro. »An Edzards Art müßtest du dich doch schon gewöhnt haben.«

»Hast du es denn?«

»Schon längst.«

»Und du möchtest ihn nicht anders haben?«

»Nein. Ich trage gottergeben mein Kreuz.«

»Und ich werde ›mein Kreuz‹ jetzt nach oben tragen«, lachte Edzard gleich den andern. »Hier hat sie nicht die Ruhe, die sie haben muß, hampelt zuviel herum.«

»Und wenn ich nicht will?«

»Du mußt, mein Kind.«

»Da seht ihr, wie er mit mir verfährt«, schlug Doro absichtlich einen munteren Ton an – und die Eltern ließen sich täuschen. Als sie nach Hause fuhren, sagte Ruth:

»Du, Georg, ich glaube, die beiden stehen sich doch näher, als wir annehmen. Sie können es nur nicht so zeigen.«

»Hm –«, brummte der Mann. »Aus denen mag der Deibel klug werden.«

Indes wurde Doro von Schwiegermutter und Zofe zu Bett gebracht. Und erst als sie darin lag, trat der Gatte wieder in Erscheinung.

»Wie geht es dir, Doro?«

»Danke, gut. Ich komme mir fast wie ein verzärteltes Wickelkind vor.«

»Das bist du jetzt ja auch. Was möchtest du zu Abend essen?«

»Viel und gut.«

»Das gibt es heute nicht. Höchstens ein Omelett.«

»Nein, zwei – und mit viel Kirschfüllung.«

»Na, der kann nun wirklich nichts den Appetit nehmen«, lachte die Mutter gleich Sohn und Zofe herzlich. Letztere brachte auch später das Gewünschte, das mit Genuß verzehrt wurde.

Indes erneuerte Tina unermüdlich die Umschläge. Tat es auch noch, als die Herrin eingeschlafen war. Und der Schlaf war bei diesem frischfröhlichen Menschenkind genauso fest wie der Appetit gut.

Doro erwachte auch nicht, als der Gatte eintrat.

»Schläft wie ein Murmeltierchen«, lachte er unterdrückt. »Sie können gehen, Tina, ich bleibe jetzt hier. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Herr Graf. Wenn ich gebraucht werden sollte, bin ich jederzeit bereit. Ich habe sie ja so lieb, meine schöne, süße Frau Gräfin.«

Dabei warf die schwärmerische Maid Edzard einen Blick zu, der erkennen ließ, daß er in diese Liebe mit eingeschlossen war. Dann ging sie, und er lächelte amüsiert.

*

Es war schon gegen Morgen, als Edzard aus tiefem Schlaf auffuhr. Hatte Doro nicht geschrien?

Angestrengt lauschte er zur Glastür hin, die er heute offengelassen hatte, doch alles blieb still. Trotzdem stand er auf, warf den Morgenmantel über und ging ins Nebenzimmer.

Der Schein der Ampel erhellte matt den luxuriösen Raum. Tauchte das breite, seidengepolsterte Bett in rosenrotes Licht und ließ die Schläferin darin märchenhaft hold erscheinen. Leise erzitterte das Spitzengeriesel des Nachtkleides unter den ruhigen Atemzügen, das im Schlaf gelöste Gesicht trug den Ausdruck von kindlicher Süße.

Schon wollte der Mann wieder gehen, als Doro auffuhr, ihn, noch halb im Traumland weilend, anstarrte und dann flüsterte:

»Geh weg – laß mich träumen – ich hüte mein Herz.«

»Na, zuerst hüte mal deinen Fuß«, lachte er amüsiert, und da wurde sie erst richtig wach.

»Du… Edzard«, dehnte sie.

»Ja – ich. Wundert dich das?«

»Allerdings. Ich habe dich nicht gerufen.«

»Nein, nur geschrien«, versetzte er.

»Dann wahrscheinlich nur, weil mein Fuß weh tut.«

»Laß mal sehen.«

Ehe sie es verhindern konnte, hatte er die Decke vom Fuß gezogen.

»Kein Wunder, daß er weh tut. Er liegt nämlich nicht mehr auf dem Kissen und hat somit keinen Halt. Wollen wir den Tyrannen mal gleich in die alte Lage bringen – ist es nun besser?«

»Ja, danke. Es tut mir leid, dich in deiner Nachtruhe gestört zu haben.«

»Mein liebes Kind, das ist nun wieder zu viel Bescheidenheit«, bemerkte er achselzuckend. »Sitta tat es bestimmt nicht leid, daß ich mir ihretwegen so manche Nacht um die Ohren schlug.«

»Das war ja auch Sitta«, entfuhr es ihr ungewollt, worauf sie ein Blick traf, der ihr das Blut heiß ins Gesicht schlug. Und die Worte, die der Mann dann langsam und betont sprach, empfand sie wie eine Ohrfeige.

»Eben, das war Sitta – ein mir fremder Mensch. Du aber bist meine – Frau.«

Gelassen wandte er sich ab, tauchte das Tuch ins Wasser und legte es dann vorsichtig auf den Fuß, dessen Geschwulst schon erheblich zurückgegangen war.

»Hast eine gute Heilhaut«, stellte er sachlich fest. »Das merkt man schon an der Nase, die schon fast ihre alte Form wieder hat. Allerdings trug wohl auch Ambrosius’ Salbe viel zu dieser raschen Heilung bei. Kann ich noch etwas für dich tun?«

»Nein, danke. Ich möchte jetzt schlafen.«

»Das Beste, was du machen kannst. Dann hältst du wenigstens den Fuß still.«

Damit ging er, die breite Glastür offenlassend, was Doro ein beruhigendes Gefühl gab. Da sie keine Schmerzen verspürte und sehr müde war, schlief sie sofort wieder ein und erwachte erst wieder, als die Zofe vor ihrem Bett stand. Heller Sonnenschein durchflutete das Gemach. Beide Flügel der Tür, die zum Altan führte, waren weit geöffnet. Auf dem Servierwagen stand ein Frühstück, wie Doro es liebte – delikat und reichlich.

»Guten Morgen«, grüßte das Mädchen fröhlich. »Wie mir scheint, geht es der Frau Gräfin gut.«

»Dann scheint es Ihnen richtig, Tina. Ist es denn schon so spät?«

»Neun Uhr«, kam es von der Tür her, durch welche die Gräfin soeben schritt, lachend über das ganze Gesicht.

»Guten Morgen, du kleiner Siebenschläfer! Zweimal war ich bereits hier oben, um nach dir zu sehen. Aber du schliefst so fest, daß du mich gar nicht hörtest. Jetzt ist es aber Zeit, daß du frühstückst.«

»Mit Wonne«, kam es vergnügt zurück. Und dann ließ sie es sich so lange gut schmecken, bis all die delikaten Dinge restlos verputzt waren.

»Bist du jetzt wenigstens satt?« fragte die Schwiegermutter lachend, während die Zofe den Servierwagen hinausschob.

»So halbwegs«, kam es gleichfalls lachend zurück. »Was meinst du, Mama, ob ich wohl aufstehen kann?«

»Ich glaube nicht, Doro. Wenn dein Fuß sich auch erheblich gebessert hat, wie Edzard sagte, wirst du dennoch nicht auftreten können. Gedulde dich also noch ein wenig. Edzard versprach, so um zehn herum hier zu sein, um dich nach unten zu tragen.«

»Er soll sich aber meinetwegen nicht bemühen«, wehrte Doro so heftig, daß die andere sie erstaunt ansah.

»Na, wer denn sonst, mein Kind? Dazu ist er als Mann seiner Frau gegenüber direkt verpflichtet.«

In dem Moment traten Doros Eltern ein, welche die Sorge um ihr Kind hertrieb.

»Gottlob, sie ist munter«, seufzte die Mutter so befreit, als hätte sie eine Todkranke vorzufinden erwartet, und Doro lachte.

»Wieder einmal ganz meine Ma, die so gern aus einer Mücke einen Elefanten macht.«

»Ei, Dörth, werde nicht ungezogen«, rügte der Vater. »Wie mir scheint, bist du so treue Liebe und Sorge gar nicht wert.«

»Ist sie auch nicht«, sprach diesmal der junge Graf von der Tür her. »Aber da wir allesamt Menschen sind, die keinen Dank begehren, üben wir Barmherzigkeit aus Güte.«

Am liebsten hätte Doro ihm die schroffe Antwort gegeben, die sie gerade noch im letzten Moment verbiß. Aber ihren Augen konnte sie denn doch nicht gebieten – und so quittierte er mit amüsiertem Lächeln den funkelnden Blick.

»Verschwindet, ihr beiden Männer, damit wir unser Liebes ankleiden können«, gebot Ruth resolut. »Nach ungefähr zwanzig Minuten kannst du wieder erscheinen, um deine Frau auf Händen zu tragen, Edzard.«

»Als ob ich das nicht schon immer täte, verehrte Schwiegermama.«

Ihr einen seiner bewußten Blicke zuwerfend, ging er mit dem Schwiegervater davon, und sie sah ihm lachend nach.

»Ist das ein gräßlicher Bengel! Aber man muß ihn gern haben, ob man will oder nicht. Und nun wollen wir mal das schwere Werk beginnen.«

»Überlaßt das lieber Tina, Ma. Ich fürchte nämlich, daß ihr mir mit eurer Überängstlichkeit mehr weh tun könntet, als unbedingt nötig ist.«

»Da hast du sogar recht«, gestand die Schwiegermutter ohne weiteres zu. »Gehen wir also, Ruth.«

»Ihr gönnt mir aber auch gar nichts«, beklagte diese sich. »Wie schön war es doch, als ich mein Liebes so recht von Herzen verhätscheln und betreuen durfte.«

»Daher konnte aus mir auch so ein Scheusal werden«, spottete Doro. »Und ich wäre es geblieben, wenn die Jo sich nicht meiner erbarmt hätte.«

»Schon ganz nett von Edzard abgefärbt«, war die Mutter nun gekränkt. »Dem ist auch nicht wohl, wenn er nicht ironisieren kann. Aber du wirst schon sehen…«

Was, das bekam Doro nicht zu hören, weil Linda die gekränkte Frau lachend mit sich zog.

»Verschwende keine schönen Worte, Ruth. Die fallen hier genauso auf Granit wie bei Edzard.«

»Leider. Aber auch er wird sehen.«

Die weiteren Worte wurden bereits hinter der geschlossenen Tür gesprochen, so daß Doro sie nicht mehr vernahm. Bald danach trat die Zofe ein und kleidete ihre Herrin mit leichten, geschickten Händen an.

Und dann erschien der junge Graf, um die Gattin nach unten zu tragen, während Tina schon vorauseilte, um auf der Terrasse ein bequemes Lager zu richten.

»Mach dich nicht so steif«, sagte Edzard kurz, da Doro das Kreuz einbog, als er sie auf die Arme hob. »Leg die Arme ruhig um meinen Hals, damit vergibst du dir bestimmt nichts, du kleiner Trotzteufel, und ich kann dich so leichter tragen.«

»Dann laß mich eben liegen.«

»Ei, Doro, jetzt werde nicht ungezogen«, warnte er mit einem gefährlichen Aufblitzen in den Augen. »Ich laß mir wahrlich genug von dir bieten – viel mehr, als eines Mannes würdig ist. Nun, wird’s jetzt bald?«

Da legte sie mit einem Ruck die Arme so fest um seinen Hals, daß er fürchten mußte, erwürgt zu werden. Er sollte sich nur nicht einbilden, daß sie sich von ihm kommandieren ließ.

Ein gräßlicher Mensch – oder auch nicht –?

Sich selbst wohl kaum bewußt, atmete sie den Duft ein, der seiner Person eigen. Ein eigenartiger Duft, so ein Gemisch von herbem Parfüm, von Harz, von Heu und Sattelzeug. Ein Duft, der sich verwirrend auf Herz und Atem legte. Schon wollte sie den Kopf fest an seine Schulter legen, als sie eine warnende Stimme zu vernehmen glaubte:

»Hüte dein Herz.«

Da zuckte sie zusammen. Und schon hörte sie die sonore Stimme dicht an ihrem Ohr: »Tu ich dir weh?«

»Ein wenig schon. Aber es geht ja wohl nicht anders.«

»Nein, es geht nicht anders«, wiederholte er so hart, daß sie ihn betroffen ansah. Kalt war sein Gesicht und blaß.

Auch dann noch, als er ihr ein Glas Wein reichte, nachdem er sie auf den Liegestuhl gebettet hatte. Widerwillig trank sie und gab sich dann alle Mühe, bei der Besorgnis der Menschen, die sie umstanden, nicht abweisend zu werden. Sie erntete ohnehin schon Liebe genug, wo sie noch keine gesät hatte.

Nur einer schloß sich davon aus. Der richtete sich nach dem Bibelwort: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

*

Schon längst war der kleine Unfall Doros, der hauptsächlich von ihren Eltern so wichtig genommen wurde, behoben. Leichtfüßig wie zuvor schritt sie dahin, und hochmütiger denn je reckte und rümpfte sich das damals lädierte Näschen.

Und es rümpfte sich ganz besonders, als die mondäne Dame sichtbar wurde, die es auf den jungen Grafen abgesehen hatte, wie man teils unwillig, teils amüsiert zur Kenntnis nahm. Woher sie kam, wußte kein Mensch zu sagen. Jedenfalls war sie plötzlich da und fragte das nicht wenig erstaunte ältere gräfliche Paar naiv, ob es sie denn gar nicht erkenne. Sie wäre doch Bella, Graf Bertrams Vetterkind.

»Hm –«, brummte er, es klang schon mehr wie ein unwilliges Grunzen. »Wer garantiert mir dafür?«

»Natürlich ich selbst, Onkelchen«, wollte die Mondäne sich jetzt halbtot lachen. »Du warst doch sogar Trauzeuge, als ich Kuno von Märbitz heiratete.«

»Aha, jetzt tagt’s so langsam in meinem Hirn. In deinem auch, Linda?«

»Schon längst«, kam es lachend zurück. »Wenn Bella sich auch in den vierzehn Jahren, da wir sie zuletzt sahen, verändert hat, zu erkennen ist sie trotzdem. Was führt dich zu uns, Bella?«

»Ich brauche Erholung, liebes Tantchen.«

Dabei ging ein Blick zu Edzard hin, der nur zu gut andeutete, wo sie diese »Erholung« zu finden hoffte. Und obgleich man den Grafen Sölgerthurn seit jeher Ritterlichkeit nachsagte, kam es bei ihnen immer noch darauf an, wo man diese für angebracht hielt – nämlich bei der »holden« Weiblichkeit – und nicht bei der »raffinierten«.

Und daß diese Bella mit aller Raffinesse gewaschen war, dazu gehörte bestimmt nicht große Menschenkenntnis, um das zu ergründen. Daher sagte der Senior ganz unmotiviert: »Unser Sohn Edzard ist verheiratet.«

»Das weiß ich doch, Onkel Bertram«, ließ Bellachen sich nicht verblüffen. »Und zwar mit der geborenen Sander, dieser verkümmerten Erbtochter.«

»Nanu, mal langsam«, fuhr Edzard, der dem allen bisher mit stillem Ergötzen gefolgt war, ihr jetzt in die Parade. »Wenn du etwa hergekommen bist, um meine Frau zu beleidigen, dann mach gefälligst die Tür von draußen zu.«

»Aber, Vetter Edzard, wo bleibt da die vielgepriesene Ritterlichkeit der Sölgerthurns?«

»Immer da, wo sie angebracht ist«, unterbrach er sie gelassen. »Und nun mach uns hier keinen blauen Dunst vor, darauf fallen wir nicht herein. Wir wissen ganz genau, weshalb du hier bist, nämlich: Weil dein Mann, ein übler Ha­sardeur, sich vor einigen Wochen erschoß, als er vor lauter Schulden nicht mehr aus noch ein wußte.«

»Woher weißt du das denn«, entfuhr es ihr ungewollt, und jetzt gab Graf Bertram Antwort: »Von Freda, die mit ihrer kranken Tochter Sitta zwei Wochen bei uns weilte. Es war ihr direkt eine Genugtuung, uns mitzuteilen, daß in der Verwandtschaft, die sich einst wegen ihrer Heirat von ihr lossagte, auch alles mehr Talmi ist als Gold.«

»Onkel Bertram, du beleidigst mich!«

»Dann geh weiteren Beleidigungen aus dem Wege, indem du schleunigst von hier fliehst«, gab er mit einer Härte zurück, die dieser Grandseigneur nur in den äußersten Fällen anwandte. Und siehe da, die eben noch auf so hohem Roß reitende Dame fiel kläglich mit einem Plumps herab.

»Onkel Bertram«, flehte sie. »Wenn du mir die Tür weist, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich umzubringen.«

»Theater –«, knurrte der Mann verbissen. »Komm uns nicht mit deinen Mätzchen. Sag lieber frei heraus, daß du von unserer reichen Erbschaft erfahren hast und nun Geld von uns willst. Doch daraus wird nichts. Zwar haben wir eine offne Hand – aber nur da, wo es nottut.«

Weiter konnte er nicht sprechen, weil Doro dazukam – lachend, strahlend wie ein Frühlingswunder. Sie trug den Reitdreß, der sie so fabelhaft kleidete. Die leuchtendblauen Augen schauten verwundert auf die aufgetakelte Dame – und dann rümpfte sich das feine Näschen, was die Ihren ungemein ergötzte.

»Meine Frau –«, stellte Edzard in gewohnter Gelassenheit vor. Meine Frau – nicht mehr und nicht weniger.

»Sie sind Doro Sander…?« fragte Bella fassungslos, und hochmütig kam es zurück:

»Jetzt Gräfin Sölgerthurn. Tag, ihr Lieben! Gibt’s bald Kaffee?«

Da lachte der Senior auf. Es war ein Lachen, das alles Dunkle, Zwielichtige verscheuchte. Und mit diesem Lachen fiel alle Hoffnung zusammen, mit der Bella hergekommen war. Wie etwas Grausiges starrte sie die bezaubernde junge Gräfin an, die sich in der Runde niederließ wie ein Mensch, der mit allem, was auf dem feudalen Rautenau lebte und webte, unlöslich fest verbunden war.

Und sie hatte Geld, diese kindhafte Frau – viel Geld sogar, von ihrem Vater her. Und Geld hatten jetzt auch die Sölgerthurns durch die Erbschaft der Tante Eulalia.

Und das viele Geld umgab diese hochmütige, feudale Grafenfamilie wie ein eiserner Panzer, der nichts an sie heran ließ.

Plötzlich sah die mondäne Bella müde und alt aus – viel älter, als ihre vierunddreißig Jahre bedingten. Und da tat sie den gutherzigen Menschen leid.

»Höre, Bella –«, begann der Senior, sich dabei räuspernd, als müßte er eine Rede halten. »Wir wissen, daß du arm und verlassen bist – denn deine Eltern sind tot – dein Mann ist tot. Ohne deiner Vergangenheit nachzuspüren, wollen wir dir Gastfreundschaft gewähren, bis du über dein weiteres Leben entschieden hast. Aber nur unter der Bedingung, daß du hier nicht unsern Frieden störst. Wir lieben Licht und Sonne, ohne die wir hier nicht leben, nicht atmen können. Ist dir klar, was ich damit meine?«

»Ja, Onkel Bertram – ich danke dir.«

»Na schön. Und nun wollen wir zusehen, daß unsere Dörth zu ihrem Kaffee kommt.«

*

Es war am nächsten Morgen. Ein Sonntag, an dem jeder ausschlafen durfte. Bis zehn Uhr blieb der Tisch gedeckt. Fand man sich bis dahin nicht ein, mußte man auf das Frühstück verzichten und bis zum Mittagessen warten. Jetzt war es gerade neun Uhr, als Doro die Terrasse betrat und einen genießerischen Blick auf den Frühstückstisch warf, an dem nur der Gatte saß.

»Guten Morgen«, grüßte sie fröhlich. »Solo, mein Herr Gemahl?«

»Jawohl, meine Frau Gemahlin«, parierte er launig. »Die andern schlafen noch – und wer schläft, der sündigt, wie bekannt, nicht.«

»Phrasen –«, lachte sie ihn lieblich an, während sie Platz nahm. Sie griff nach Toast und Pastete, mit dem sie jedes Frühstück zu beginnen pflegte, versorgte sich aus der Maschine mit Kaffee und setzte sich bequem zurecht.

»Schönes Wetter heute«, eröffnete sie die Unterhaltung, was ihn schmunzeln ließ.

»Das soll wohl im Mai so sein, meine wenig geistreiche Frau.«

»Na, du –«, wehrte sie sich lachend. »An dem nötigen Esprit fehlt es mir sonst wahrlich nicht. Aber was soll man sonst mit dir wohl reden, du fanatischer Stoppelhopser, der so sehr vom Wetter abhängig ist.«

»Zum Beispiel von der Liebe«, schlug er vor, doch sie winkte nonchalant ab.

»Veraltete Angelegenheit. aber sag mal, wieviel Basen besitzest du eigentlich noch, die plötzlich auftauchen und nach dir angeln können?«

»Kluges Kind.«

»Werde gefälligst nicht ironisch, sondern beantworte meine Frage.«

»Na schön. Außer der unbemannten Sitta und der nun verwitweten Bella ist unsere Sippe vorzüglich an den Mann, respektive an die Frau gebracht. Alles brave, biedere Leutchen, die ihrer Familie leben und Geld genug haben, um uns die Erbschaft Tante Eulalias – und mir persönlich – meine reiche Frau neidlos zu gönnen.«

»Und Sitta – und seit gestern auch Bella?«

»Sind schwarze Schafe, die jede ehrenwerte Familie aufzuweisen direkt verpflichtet ist.«

»Arroganter Spötter!«

»Danke. Noch etwas?«

»Nein.«

»Dann bin ich beruhigt.«

»Und das beruhigt mich nun wiederum. O seht, da naht schon das Verderben!«

Wie Doro das meinte, erfaßte Edzard sofort, als Bella sichtbar wurde. So raffiniert zurechtgemacht, daß man ihr zehn Jahre weniger geben konnte – aber noch lange nicht die zwanzig Lenze des wunderholden Menschenkindes, das ihr da so harmlos entgegenlächelte. Fast schmerzhaft empfand die Vierunddreißig­jährige diese zauberschöne Konkurrenz in ihrer prangenden Maienblüte.

Noch einmal so jung sein – dachte sie resigniert. Noch einmal zwanzig sein! Doch was hätte ihr das genützt? Denn schon mit siebzehn Jahren hatte sie sich verzettelt. Und nur deshalb, weil ihr vorher kein Mann begegnet war wie Edzard Sölgerthurn. Den könnte sie lieben – mit ganzem Herzen lieben – und auch wirklich treu sein.

»Na, Bella, gut geschlafen?« fragte eine sonore Stimme in ihre schmerzhaften Grübeleien hinein. Eine Stimme, dunkeltönend wie eine Glocke und schmiegsam wie edler Samt.

Schon dieser Stimme wegen hätte ich ihn lieben können – dachte sie wehmütig. Weiß diese hochnäsige junge Gräfin überhaupt, welch einen kostbaren Edelstein ihr das Schicksal in die Hände gab? Wahrscheinlich nicht. Die pochte auf ihre Jugend, auf ihre Schönheit und auf ihr Geld.

»Na schön –«, sagte sie gottergeben. »Esse ich eben. Denn essen und trinken soll ja Leib und Seele zusammenhalten.«

»Darin wird dir meine Frau recht geben«, lachte Edzard. »Sie ißt nämlich wie ein kleiner Scheunendrescher.«

»Und die Taille, Gräfin?«

»Ist mir wurscht.«

Da lachte Bella. Lachte überhaupt viel in den Tagen, die ihr in diesem feudalen Schloß vergönnt waren.

Daß sie daraus scheiden mußte, daran trug sie allein die Schuld. Denn wie die Katze nicht das Mausen läßt, so ließ die Mondäne nicht von ihrem Männerfang, obwohl sie wußte, wie gefährlich das hier war.

Aber wer kann schon gegen seine Natur an?

Also bekam die leichtsinnige Bella ihren Abschied, als sie dem Ehemann Edzard, den sie einmal allein erwischte, feurig ihre Liebe kundtat. Und es war ihr Pech, daß die junge Gräfin dazukommen mußte.

Diese schien über das Tête-à-tête durchaus nicht erstaunt zu sein. Sie enthielt sich auch jeder Bemerkung, lächelte nur verächtlich – und ging.

Und dieses Lächeln kam dem Ehegemahl gewissermaßen in die falsche Kehle. Mit hartem Griff befreite er sich aus der unerwünschten Umschlingung – und schon wenig später verließ die geknickte Sumpfdotterblume das Schloß. In ihrer Handtasche steckte ein Scheck über tausend Mark als Wegzehrung.

*

»Jetzt langt’s mir aber«, knurrte der Senior verbissen, nachdem Bella tränenüberströmt entschwunden war. »Jetzt haben wir genug Barmherzigkeit geübt. Jetzt kommt mir keine Weiblichkeit mehr von der Art einer Sitta und Bella ins Haus. Zum Kuckuck, haben denn solche Frauen kein Schamgefühl, daß sie herkommen, eine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, die ihnen überhaupt nur aus Gnade und Barmherzigkeit gewährt wird, und zum Dank dafür in eine Ehe eindringen?! Sie hätten damit das größte Unheil anrichten können, wenn unsere Dörth nicht so vernünftig wäre. Du kannst von Glück sagen, mein Sohn, so eine patente Frau vom Schicksal zugeteilt bekommen zu haben.«

»Das tu ich ja auch«, kam es gelassen zurück – viel zu gelassen für des Vaters Gefühl. Weiß der Himmel, so ein Prachtkerl der Junge sonst auch war, aber viel Herz schien er von der Natur wirklich nicht mitgekriegt zu haben. Außerdem schien eisgekühltes Blut in seinen Adern zu fließen.

Das sagte er auch der Gattin, nachdem der Sohn gegangen war, und sie seufzte bekümmert.

»Ich kann mir nicht helfen, zwischen den beiden muß etwas vorgefallen sein, wovon wir nichts wissen. Und was wir wahrscheinlich auch nie erahren werden, weil sie sehr verschlossen sind.«

»Unser Junge wohl, aber die Dörth doch nicht. Die ist doch ein so lichtes, frischfröhliches Menschenkind, wie man es nicht oft im Leben findet.«

»Und doch werden selbst die Eltern nicht mehr klug aus ihr, wie Ruth neulich durchblicken ließ. Beobachte die beiden doch einmal. Da gibt es zwischen ihnen keinen zärtlichen Blick, kein inniges Sichverstehen. Denke doch bitte daran, wie es zwischen uns war.«

»Na ja, liebste Frau, wir waren ja auch ein ganz besonders verliebtes Paar«, lächelte er verlegen. »Die heutige Jugend ist eben anders.«

»Aber nicht, wenn es um die Liebe geht«, beharrte sie. »Da kannst du reden, was du willst – da stimmt etwas nicht.«

»Hm – was machen wir denn da?«

»Wir können gar nichts machen, Bertram. Die ganze Angelegenheit ist so überaus zart und empfindsam, daß man sie lieber unangetastet läßt. Wir haben es hier nämlich nicht mit Durchschnitts-, sondern mit Elitemenschen zu tun.«

»Ach was – Elitemenschen –«, brummte er. »Mir wäre Durchschnitt lieber, den man nicht wie ein rohes Ei zu behandeln braucht.«

Und während die Eltern an ihnen herumrätselten, ritt das junge Paar dahin. Beide Reiter voll Schick und Schneid. Wirklich zwei Elitemenschen, die der Herrgott füreinander geschaffen zu haben schien – und die doch nicht zueinander finden konnten. Sie nicht zu ihm, weil die demütigende Zurückweisung am Weihnachtsabend gleich einer starren Mauer zwischen ihnen stand – er nicht zu ihr, weil er sich nicht als Marionette in die spielerischen Händchen geben wollte.

Das war des Rätsels Lösung, welche die beiderseitigen Eltern nicht finden konnten.

»Schön ist das«, lachte Doro vergnügt. »Weißt du, was ich jetzt werde?«

»Dummheiten machen. Etwas anderes steckt ja nicht in deinem kapriziösen Köpfchen.«

»Ei du, vielleicht doch. Ich werde dichten.«

»Um Himmels willen!« wehrte er so entsetzt, daß sie sich vor Lachen schier ausschütten wollte. »Das wäre ja die dümmste aller Dummheiten.«

»Ich muß aber dichten – um mich zu revanchieren.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Ganz einfach«, lachte sie ihn lieblich an. »Ich bin nämlich angedichtet worden.«

»Von wem?«

»Von Herrn Quede, unserem früheren Volontär.«

Schon erschien die steile Falte zwischen den Brauen, was dem rassigen Männerantlitz etwas Finsteres gab, etwas von unbeugsamer Härte. Der ohnehin schon hartgeschnittene Mund preßte sich zusammen zu einem schmalen Strich, in den Augen wetterleuchtete es. Einige Male atmete der Mann tief und schwer, dann sagte er drohend:

»Und das wagst du mir in aller Lieblichkeit zu eröffnen?«

»Ja, warum denn nicht?« fragte sie erstaunt zurück. »Wäre es dir lieber, wenn ich dir verschweigen wollte, daß ich heute einen Brief von Herrn Quede erhielt, in dem er mich andichtet?

Oder nimmst du etwa an, daß ich mit dem jungen Mann im heimlichen Briefwechsel stehe? Ich mag wohl Fehler haben noch und noch – aber ich verabscheue alles Zwielichtige. Ich liebe den hellen Tag und den Sonnenschein.«

Da stieg dem Mann dunkle Röte ins Gesicht – bis zu den Haaren hinauf.

»Verzeih, Doro.«

»Na also.«

»Wie gelangte der Brief in deine Hände?«

»Ein Bote gab ihn an Tina ab.«

»Stand ein Absender auf dem Schreiben?«

»Natürlich nicht, dann hätte ich es gar nicht geöffnet. Willst du den poetischen Erguß lesen? Ich habe ihn bei mir.«

»Dann vernichte ihn, Doro. Die Antwort darauf werde ich dem waghalsigen jungen Mann zukommen lassen. Und ich wette, daß ihm dann die Lust vergehen wird, bei so einem guten Kerkermeister das arme Vöglein aus seinem goldenen Käfig befreien zu wollen. Das steht doch wohl in dem Geschmiersel, nicht wahr?«

Ihr Gesicht überzog sich mit heißer Glut. Schweigend zog sie den Brief aus der Tasche der Reithose, riß ihn in kleine Fetzen und verstreute sie. Der Wind nahm sie auf, wirbelte sie davon – und dann griff eine nervige Männerhand hinüber, fing eine feine, zarte ein und drückte sie mit unendlicher Zartheit an Augen und Lippen. Die sonore Stimme vibrierte:

»Ich danke dir für dein Vertrauen, kleine Dörth.«

Sie wagte nicht den Blick zu heben. Gehorchte wieder einmal der tyrannischen Stimme, die hart mahnend in ihr aufklang:

»Hüte dein Herz. Tust du es nicht, wirst du es dem Mann aufdrängen. Dann wird er es entweder zurückstoßen, wie er es ja schon einmal tat – oder es mit mitleidiger Hand aufnehmen. Und du wirst da Almosen empfangen, wo du auf pures Gold hoffst.«

Da fuhr der Kopf in den Nacken, daß die Locken wie goldene Schlänglein tanzten. Der Blick wurde gebändigt und der Mund zum Lachen gezwungen.

»Hach, so eine Beichte ist gar nicht so einfach«, blitzte sie ihn mutwillig an. Ein leichter Schenkeldruck, der Trakehner flitzte davon – und der Reiter sah ihr mit zusammengekniffenen Augen nach. Sein Gesicht wurde hart.

Na warte, mein stolzes Kind, lange entfliehst du mir nicht mehr – da kannst du dein Herz auch noch so ängstlich hüten. Ich nehme es mir schon – wenn meine Zeit gekommen ist.

*

Pfingsten, das liebliche Fest, nahte. Im Park von Rautenau gab es eine Blütenpracht, die sich schier verschwenden wollte. Der Flieder blühte an allen Ecken und Enden, Rhododendron, Schneeballen, Pfingstrosen und Jasmin. Auf der Terrasse steckten zartgrüne Birkenäste in Kübeln, und eben erschien Doro, den Arm voll Blumen.

»Wie der junge Frühling in Person«, betrachtete Bertram jetzt schmunzelnd sein holdes Schwiegertöchterlein, das langsam die Stufen zur Terrasse emporstieg. Dann ein Stutzen, ein jubelnder Aufschrei, die letzten Stufen wurden im Sturmschritt genommen – und dann hing Doro der Dame am Hals, die aus dem Zimmer auf die Terrasse getreten war. Unbemerkt von den drei Menschen, die ihr den Rücken zukehrten, doch für die aus dem Park kommende Doro im Blickfeld stehend.

»Jo –!« jubelte es hell und klingend auf. »Jo, wo kommst du denn so plötzlich her?«

Jetzt sprangen auch die beiden Herren aus den Liegestühlen hoch, während Gräfin Linda langsamer folgte.

»Mutti, das ist die Jo«, stellte Doro freudestrahlend vor. »Ach, was habe ich bloß für eine Mordsfreude!«

»Das sieht und hört man«, lachte die Hausherrin, dem unverhofften Gast liebenswürdig die Hand reichend. »Seien Sie uns herzlich willkommen, Frau Baronin.«

»Nicht böse, Frau Gräfin, daß ich so formlos hier hereinplatze?«

»Dann würde meine Frau bestimmt ein anderes Gesicht machen«, pirschte sich der Hausherr an den Gast heran, der ihn jetzt zutraulich anlachte.

»Sie brauchen sich erst gar nicht vorzustellen, Herr Graf. Denn daß Sie der Vater des Grafen Edzard sind, fühlt selbst ein Blinder mit dem Stock.«

In dem Moment rasten die drei Hunde aus dem Park heran, umbelferten den Gast, bis Herrchen Ruhe gebot. Da nahmen sie das fremde Wesen mißtrauisch unter die Nase – und steckten sich dann zufrieden zu seinen Füßen.

»Na also«, schmunzelte Bertram. »Jetzt erst sind Sie richtig willkommen geheißen, Frau Baronin. Denn die Kerlchen hier sind unser Menschenbarometer.«

»Und wie zeigt es?«

»Auf schön Wetter.«

Vergnügt nahm man Platz, und nun gab es endlich die wohltuende Ruhe nach dem Sturm.

»Nun laß schon endlich die Blumen los«, zeigte Jo lachend auf den Strauß, den Doro noch immer im Arm hielt. »Die sind ja ganz zerquetscht von der stürmischen Begrüßung.«

»Ach, Jo, ich muß mich erst ausfreuen. Warst du schon bei den Eltern?«

»Nein, dann wäre ich wohl so bald nicht losgekommen. Ich, ich wollte doch sehen, in welch ein Nest sich mein Goldfasan verflogen hat.«

»Und gefällt dir das Nest?«

»Kann man wohl sagen. Im Paradies kann es wohl nicht schöner sein. Bist schmal geworden, mein geliebter Vielfraß. Gibt man dir hier etwa nicht genug zu essen?«

Man lachte herzlich über die quicklebendige Frau, die überall, wohin sie auch kam, gleich Leben in die Bude brachte. Es war ja kein Wunder, daß Doro so an ihr hing.

»Du, Jo, ich rufe die Eltern an und bitte sie, mal herzukommen«, erklärte sie jetzt eifrig. »Ich verrate aber nichts, du sollst eine Überraschung für sie werden.«

Sie wirbelte davon, und es war ein sehr zärtlicher Blick, mit dem die Baronin ihr nachsah.

»Ich habe mich schon richtig nach dem lieben Balg gebangt«, erklärte sie in der ihr eigenen Offenheit. »Man hängt sein Herz bald an so etwas Goldiges, zumal dann, wenn man keine Kinder hat.«

»Nun entführen Sie uns die Dörth bloß nicht wieder«, wehrte der Hausherr. »Unser Herz hängt nämlich auch an ihr. Ohne sie würden wir viel Sonne entbehren müssen. Wenn man daran denkt, wie sie früher war, bevor Sie sie in Ihre charmante Schule nahmen, Frau Baronin, dann muß man tatsächlich an Wunder glauben.«

»Und ich habe doch so gar kein Wunder vollbracht«, entgegnete sie einfach. »Ich habe nur das ans Tageslicht befördert, was in der Kleinen steckte, aber bisher nicht gehoben worden war. Denn trotz aller Liebe und Verwöhnung fehlte den Erziehern das rechte Verständnis für die Psyche des sehr sensiblen Kindes. Ihr damals so unleidliches Wesen war nichts anderes als eine Tarnung ihres frierenden Seelchens – das sie zuweilen auch heute noch empfindet. Aber jetzt versteckt sie das nicht hinter Unleidlichkeit, sondern hinter Trotz und unbändigem Stolz…«

In dem Moment trat Doro hinzu.

»Bald wäre die Sache schiefgegangen«, lachte sie. »Denn Paps, mit dem ich sprach, ist ja keiner von den Dummen und wundert sich daher über die Einladung, die zwischen uns doch wahrlich nicht erforderlich ist. Ich habe mich aber ganz gut herausgeredet. Na, auf die Gesichter bin ich gespannt.«

Und sie waren denn auch zum Malen. Zuerst Verblüffung – dann Freude.

»Bist du gewachsen, Jörn«, staunte Jo, die den Jungen von den Besuchen bei seiner Schwester her gut kannte, dann jedoch längere Zeit nicht mehr gesehen hatte. »Du bist ja beinahe schon ein junger Herr.«

»Ach, weißt du, Tante Jo, das möchte ich gar nicht sein«, bekannte er treuherzig. »Dann muß man sich immer so tadellos benehmen – und das fällt mir manchmal schwer.«

»Na, wenn das kein offenes Bekenntnis ist!« lachte die Baronin gleich den andern. »Aber weißt du, Jörn, ich kenne junge Herren, die sich alles andere als gut benehmen.«

»Dann sind das Banausen, sagt mein Paps. Er jedenfalls benimmt sich stets gut – und von Onkel Bertram und Edzard ganz zu schweigen. Einer ist ein Grandseigneur, der andere ein Mann von Welt.«

Jetzt ging das Leben in stürmische Heiterkeit über. Er war aber auch zu nett, der dunkle Krauskopf. Ein frischer Junge, aufgeweckt und gut geartet. So ein richtiger Stolz für die Eltern. An der Kaffeetafel führte die Baronin das große Wort. Sie mußte viel erzählen, was sie in ihrer lebhaften Art auch gern tat. Ein bedauerndes »Oh« kam von allen Seiten, als sie erklärte, nur über die Feiertage bleiben zu können.

»Ja, meine Herrschaften, mehr Zugeständnisse machte mir mein Ehetyrann nicht«, erklärte sie verschmitzt. »Wenn der mir nicht am Rock hängen kann, ist ihm nämlich nicht wohl.«

»Kunststück – bei so einer Frau –«, bemerkte der Hausherr galant. »Und warum brachten Sie den Herrn Gemahl nicht mit?«

»Weil er zur Jagd fuhr.«

»Die hätte er auch hier haben können.«

»Das schon. Aber mein lieber Friedbert ist ein Mensch, der erst einen Scheffel Salz mit jemand gegessen haben muß, bevor er zutraulich wird. Mit mir sogar zwei, bis er sich zur Werbung entschloß.«

Jetzt mußte man wieder lachen über das quecksilbrige, fidele Persönchen, das so eine witzige, charmante Plauderin war. Und dazu gut von Herz und Gemüt, sauber von innen und außen. Eine bessere Lehrmeisterin hätte das Scheusälchen Dörth ja gar nicht finden können als diese patente Frau.

Man saß dann auch noch lange zusammen. Trank einen vorzüglichen Wein, unterhielt sich so richtig fidel und genoß dabei den wundervollen Maiabend mit allen Sinnen.

»Ein Duft ist das hier, der direkt trunken macht«, sagte Jo, die von Rautenau restlos entzückt war. Sie hatte es sich wohl großartig vorgestellt, aber so feudal denn doch nicht.

»Ein Labsal für denjenigen, der von einem Gestüt kommt, wo einem die Pferde fast über die Beine laufen und dabei ihren Eigengeruch verströmen. Für sie wird alles getan, für die Menschen nichts. Die müssen sich auf einen engen Raum beschränken.«

»So ist der Gatte ein Pferdenarr, Frau Baronin?« fragte Edzard.

»Ein sehr leidenschaftlicher, Herr Graf.«

»Und dann war er noch nicht hier, um sich unsere Pferdezucht anzusehen?«

»Haben Sie denn eine?«

»Ja. Allerdings nur klein, aber auserlesen.«

»Das hätte mein Friedbert wissen müssen! Dörth, warum hast du mir nicht davon geschrieben?«

»Weil ich es für nebensächlich hielt.«

»Pferde – und nebensächlich – einen Schock würde mein Bertie bei der beleidigenden Äußerung kriegen! Würde seine Liebe zu dir aus dem Herzen reißen mit Stumpf und Stiel.«

»Liebt er die Dörth?« fragte der Hausherr schmunzelnd, und sie lachte verschmitzt.

»Und wie! Er nahm mich ja nur, weil er sie nicht kriegen konnte.«

Diese Bemerkung hatte nun wieder einen Heiterkeitsausbruch zur Folge. Dann sagte Edzard: »Sie haben uns aber noch gar nicht Ihren jetzigen Wohnsitz verraten, Frau Baronin.«

»Nanu wird’s Tag«, entgegnete sie verblüfft. »Wissen Sie ihn denn nicht von Doro?«

»Nein. Das hielt sie wohl auch für – nebensächlich.«

»Na, warte bloß, du Strolch! Wo wir doch so stolz auf unser Gestüt sind, wäre es wohl einer Erwähnung wert. Wir kauften es von der Fürstin Zern, die es nur deshalb abgab, weil sich kein richtiger Verwalter finden ließ. Es war kein leichtes Verhandeln mit dieser hochfahrenden, bissigen Dame.«

»Uijeh, ist die auch schon wieder im Lande?« fragte Georg Sander direkt entsetzt.

»Ja. Sie gedenkt jetzt im Schlößchen, dem Buen Retiro der Zern, seßhaft zu werden, weil ihr Mann verstorben ist und sie das Herumzigeunern einfach satt hat.«

»Na, da macht euch nur gefaßt, ihr Lieben«, sagte Georg jetzt so richtig schadenfroh. »Die wird euch jetzt ständig im Haus liegen, da sie eine so große Vorliebe für euch hat.«

»Laß mich zufrieden«, brummte Bertram. »Ich habe keine Lust, meinen Geist fortan in Gala zu hüllen. Denn das muß man bei dieser geistreichen, bissigen Dame.«

»Onkel Bertram, dann benimm dich doch einfach wie ein Banause«, schlug Jörn vor, der, mollig an sein geliebtes Schwesterlein geschmiegt, wachsam die Unterhaltung verfolgte. »Dann kneift diese Galadame bestimmt.«

»Du hast den Sinn erfaßt, mein Sohn«, schmunzelte Bertram. »Aber nun mal eine Frage, meine verehrte Frau Baronin: Handelt es sich etwa um das Gestüt ›Pferdelust‹, das Sie käuflich erwarben?«

»Ganz recht, Herr Graf.«

»Und das erfahren wir erst jetzt, wo doch dieses schmucke Gestüt gewissermaßen nur einen Katzensprung von Rautenau entfernt liegt?«

»Den Vorwurf müssen Sie Doro machen, die meinen Bertie und mich bei Ihnen – verleugnete.«

»Also Jo, jetzt tu bloß nicht so scheinheilig«, schnitt die Beschuldigte eine Grimasse. »Sag lieber, daß dein vielgeliebter Bertie dich bisher so aufgezäumt hielt, daß du nicht loskommen konntest, um den nachbarlichen Besuch zu machen. So gehört es sich nämlich für die Zugezogenen den Alteingesessenen gegen­über.«

»Sie hat sogar recht«, war die schlagfertige Weltdame jetzt so verblüfft, daß die andern sich die Lachtränen aus den Augen wischen mußten. Und als man sich dann zur guten Nacht trennte, mußte man zugeben, schon lange nicht mehr einen so fidelen Abend verlebt zu haben.

*

Baronin Salte, deren zierliches Figürchen fast in dem breiten Bett verschwand, zog das Näschen unwillig kraus und brummte:

»Bertie, so laß mich doch schlafen. Oder ist etwas mit deinen Pferden passiert?«

Schon saß sie aufrecht, wischte den letzten Schlaf aus den Augen und starrte dann verdutzt auf Doro, die auf dem Bettrand saß und sich vor Lachen schier ausschütten wollte. In der Hand hielt sie eine Federpose, mit der sie erneut nach Jos Nase zielte.

»Bertie, natürlich Bertie! Du bist mein Traum in dunkler Nacht, mein höchstes Glück, wenn ich erwach’ –«

»Hör bloß auf, du übermütiger Strolch! Den Unsinn macht Bertie nämlich auch immer, wenn er mich anders nicht wachkriegen kann«, warf sie sich lachend in die Kissen zurück. »Nur daß der greuliche Mensch dazu nicht eine Federpose wie du benutzt, mit dem er meine Nase kitzelt, sondern Pferdehaare. Was ficht dich an, mich so brutal zur nachtschlafenden Zeit zu wecken?«

»Nachtschlafende Zeit nennst du das?« zeigte Doro zu dem weit geöffneten Fenster hin, durch das die Sonne golden lachte. »Mein liebes Kind, wir haben sieben Uhr. Ich will doch nicht annehmen, daß du ansonsten als Frau eines Gestüters dir um elf Uhr die Morgenschokolade ans Bett bringen läßt?«

»Kluges Kind. Um acht Uhr wird bei uns gefrühstückt. Und bei euch?«

»Gleichfalls. Das heißt, für Papa und Edzard ist das schon die zweite Mahlzeit. Die erste nehmen sie kurz vor sechs während des Ankleidens ein. Eine Tasse starken Kaffee und eine halbe Schnitte grobes Landbrot, dick mit Butter bestrichen. An Sonn- und Feiertagen jedoch bleibt der Frühstückstisch bis zehn Uhr gedeckt.«

»Dann geht es hier genauso zu wie bei uns. Aber sag mal, Kleines, ist es nach der fabelhaften Erbschaft, welche die Sölgerthurns machten, immer noch notwendig, daß die beiden Herren so straff in den Sielen liegen müssen?«

»Notwendig ist es wahrlich nicht, Jo. Das war es schon nicht, als ich – mein Geld – hier hereinbrachte. Aber das Wirken auf der Scholle ist nun mal ihre Passion.«

»Die Friedbert mit ihnen teilt. Der könnte einen Kartoffelsack voll Geld hinter sich stehen haben, er würde trotzdem arbeiten.«

Während sie sprach, sah sie Doro unentwegt an, die in dem duftigen Morgenmantel, den sie über dem Nachtkleid trug, wie ein holdes Märchenwesen anmutete. Das seidige Haar, von einer koketten Schleife gehalten, fiel seitwärts in das feine Gesichtchen, das Pantöffelchen, das sie auf einem Fuß balancierte, erschien kinderklein.

»Weißt du auch, Dörth, daß du zauberhaft schön bist?« sprach die Frau jetzt so ernst, wie man sie selten sah. »Von einer köstlichen – einer gefährlichen Schönheit.«

»Gewiß weiß ich das«, kam es gleichmütig zurück. »Dafür sehe ich ja in den Spiegel.«

»Und warum nutzt du diese Schönheit, die man poetisch des Weibes Waffen nennt, nicht mehr aus?«

Es war ein fast entsetzter Blick, der die lebenserfahrene Frau aus den strahlendblauen Augen traf. Zärtlich strich sie eine gleißende Locke aus dem heißerglühten Gesichtchen des jungen Menschenkindes und sprach dann behutsam weiter:

»Ich bin nicht etwa von ungefähr hier, mein Kind – ich kam extra deinetwegen. Und ich will gleich mit dir sprechen, weil jetzt die beste Gelegenheit dazu ist.«

»Jo, was hast du vor?« fragte Doro erschrocken. »Wenn du nämlich so ein tiefernstes Gesicht machst, ist irgend etwas kritisch. Und ich freute mich doch so sehr über deinen Besuch.«

»Das kannst du auch weiter tun, wenn ich dir dein törichtes Köpfchen zurechtgesetzt habe.«

»Was verbrach ich denn?«

»Du schreibst mir Briefe, die mir gar nicht gefallen wollen. Es klingt da so ein wundes Herzchen in den Zeilen mit. Natürlich nur für den, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Hast du dir überhaupt schon Gedanken über deine Zukunft gemacht?«

»Eigentlich nicht.«

»Das mußt du aber, Doro. Bedenke, daß ein altes, stolzes Geschlecht mit deinem Gatten ausstirbt…«

»Bitte nicht, Jo –!«

»Doch, Dörth. Du wirst bald einundzwanzig Jahre alt, bist also kein Kind mehr.«

»Ja, was soll ich denn tun?« flammte sie jetzt auf. »Mich ihm wieder an den Hals werfen wie am Weihnachtsabend – um wieder in so demütigender Art abgewiesen zu werden? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie das an meinem Stolz zerrte und riß?«

»Und wie ich das kann, du Dummchen, das du damals noch warst. Sonst hättest du bestimmt den Fehler nicht begangen. Denn so gewinnst du einen Mann wie Edzard Sölgerthurn nicht. Der schießt keine Wildtaube ab, die ihm von ungefähr gegen die Flinte fliegt. Der will sie sich herunterholen aus des Himmels Bläue.«

»Eben. Daher wird er mir nie verzeihen, daß ich ihn mir aus dem Eigensinn des verzogenen Kindes heraus – erkaufte. Daher war diese Ehe verfahren von Anfang an. Nun muß ich für meine Eselei büßen, was mir ganz recht geschieht.«

»Dir schon – aber nicht deinem Gatten, der mit dieser Heirat seinen Eltern und dem Erbe seiner Väter ein Opfer brachte.«

»Jo, was soll das!« wehrte sie sich verzweifelt. »Sieh mich nicht an mit dem verflixten Blick, der mich immer so klein und häßlich werden läßt. Laß mich in Ruhe!«

»Mitnichten, mein eigenwilliges Kind. Ich bin nämlich hergekommen, um dir zu helfen.«

»Du kannst mir nicht helfen.«

»Abwarten. Vor allen Dingen verlange ich Aufrichtigkeit von dir…«

»Ich pflege nicht zu lügen!«

»Aber manches zu verschweigen, du unglaublicher Trotzteufel. Es ist ja gar kein Wunder, daß ein Mann wie Edzard Sölgerthurn sich mit einem solchen nicht abplagen will – sondern ihn einfach links liegen läßt.«

»Also Jo…«

»Also Dörth! Ich laß mich noch lange nicht von deinen trotzfunkelnden Augen abschrecken, das müßtest du wohl wissen.«

»Was du Trotz nennst – ist Stolz.«

»Na schön, streiten wir darüber nicht. Verrate mir lieber, wie du dir den Verlauf deiner Ehe denkst.«

»Edzard kann sie ja lösen, wenn sie ihm nicht paßt.«

»Daß sie ihm von Anfang an nicht paßte, haben wir nun schon genügend erörtert. Aber daß er sie nicht löste, nachdem die reiche Erbschaft ihn von deinem Geld unabhängig machte, muß ja wohl einen stichhaltigen Grund haben.«

»Gewiß. Es verträgt sich eben nicht mit seinen Ehrbegriffen, eine Ehe ohne Grund zu lösen.«

»Ohne – Grund –«, dehnte Jo, und da wurde die andere böse.

»Jetzt wird es mir aber zu bunt! Du nimmst doch nicht etwa an…?«

»Ich nehme nichts an – sondern ich weiß, nämlich: Daß du ja gar nicht mehr von hier weg kannst, du törichtes Kind, weil du schon viel zu tief verwurzelt bist mit allem, was hier lebt und webt. Sonst hättest du schon die Ehe von dir aus gelöst – die du ja nur eingingst, um deinem Edzard zu helfen, den du schon immer liebtest – und ihn auch heute noch liebst, heißer und hartnäckiger denn je zuvor.«

»Soll ich ihm das etwa zum zweiten Mal sagen?«

»Nein – aber so ein wenig des Weibes Waffen gebrauchen«, zwinkerte sie ihr zu. Da sprang Doro auf, rannte davon – und die lebenserfahrene Frau sah ihr mit gerührtem Lächeln nach.

Als sie dann später auf der Terrasse erschien, charmant, elegant, gepflegt von Kopf bis Fuß, fand sie Familie Sölgerthurn, außer Doro, bereits am Frühstückstisch vor. Es gab ein frohes Begrüßen, hinterher ein gemütliches Mahl.

Und dann stand die junge Herrin des Hauses da – strahlend, zauberschön wie ein lachender Frühlingsmorgen. Und frühlingsduftig war auch das Kleid­chen, schlicht erscheinend, doch ungemein apart und auserwählt. Der jungrote Mund lachte mit den leuchtenden Blauaugen um die Wette.

Beherrschen kann die Kleine sich, das muß ihr der Neid lassen – schoß es Jo durch den Sinn. Mein geliebter kleiner Goldfasan, du bist nicht nur eine zauberschöne, sondern auch eine stolze Trägerin deines jetzigen Namens. Du kannst dem alten Geschlecht schon zur Zierde gereichen.

Und der Herr Gemahl? Der wachsamen Jo entging der versteckte, zärtliche Blick nicht, mit dem er die wunderholde Gattin betrachtete.

Ach, wie wurde es der Jo da mit einem Mal so froh und leicht ums Herz! Sie sprühte förmlich vor Witz und guter Laune. Dabei paßte sie scharf auf. Machte so ihre Beobachtungen, die andern entgingen.

Dumme kleine Dörth – dachte sie gerührt. Du hast ja keine Ahnung, wie warm und weich du bereits in diesen stolzen, sonst so verschlossenen Herzen sitzt. Du herrschst hier genauso, wie du in deinem Elternhaus herrschest.

»Jo, du darfst morgen noch nicht abfahren«, drang Doros Stimme in ihr Grübeln hinein. »Du mußt unbedingt an meinem Geburtstag hier sein. Es sind ja nur noch fünf Tage bis dahin. Bitte, Jo!«

»Liebchen, laß diesen bettelnden Blick«, wehrte die Dame lachend. »Du weißt ganz genau, daß du mich damit weich kriegst. Ich muß zwischendurch nach Hause, doch zu deinem Geburtstag finde ich mich wieder ein. Das heißt, wenn das deinen Lieben genehm ist.«

»Dieser Nachsatz war nun wirklich nicht nötig«, meinte die Hausherrin liebenswürdig. »Wir werden uns über Ihren Besuch stets freuen, Frau Baronin.«

»Herzlichen Dank…«

In dem Moment trat Balduin leise hinzu und bat den jungen Grafen an den Fernsprecher.

»Wer ist denn am Apparat, Alter?«

»Fräulein Sittas Mutter, Herr Graf.«

»Ach du liebes bißchen!« entfuhr es dem Senior, während der Sohn enteilte. »Sitta läßt von sich hören – und das bedeutet bestimmt nichts Gutes.«

Und damit sollte er recht behalten. Denn als Edzard zurückkam, zuckte es ihm nervös um Augen und Lippen.

»Sitta ist anscheinend kränker geworden«, erklärte er unmutig. »Und ich soll daran schuld sein, wie ich den konfusen Andeutungen Tante Fredas entnehmen konnte. Ich hätte ihrer Tochter das Herz gebrochen, als ich sie so unbarmherzig verließ. Es wäre meine Pflicht gewesen, bei ihr zu bleiben.«

»Na, da hört doch wohl alles auf!« wurde Graf Bertram so böse, wie man ihn selten sah. »Du hast dich doch wahrlich genug um die unverschämte Kranke bemüht, will ich meinen. Hast bei ihr ausgeharrt bis zur Lächerlichkeit. Hast dir ihretwegen die Nächte um die Ohren geschlagen. Selbst deine Ehe hast du gefährdet, die bestimmt in die Brüche gegangen, wenn Doro nicht so vernünftig gewesen wäre. Und nun sollst du dich gar noch als Krankenpfleger an ihrem Bett niederlassen – bei ihr, die wir aus Gnade und Barmherzigkeit aufnahmen.«

»Bertram, so beruhige dich doch«, mahnte die Gattin, und da hielt er beschämt inne.

»Ist doch auch wahr«, brummte er. »Die Freda ist genauso unverschämt wie ihre Tochter. Was wollte sie überhaupt von dir, Edzard?«

»Daß ich schleunigst im Sanatorium erscheinen und ihre Tochter hätscheln soll.«

»Das wirst du nicht tun – das verbiete ich dir!«

»Aber ja, Bertram, ist doch schon gut«, beschwichtigte die Gattin jetzt. »Sei doch nicht so ungehalten. Du mußt ja der Frau Baron als fürchterlicher Baubau erscheinen.«

»Das tut er keineswegs«, wehrte diese ab. »Dafür besitze ich wohl eine zu gute Menschenkenntnis. Und daher möchte ich den Grafen Edzard auch davor warnen, der eigensinnigen Kranken und ihrer anmaßenden Mutter jetzt nachzugeben. Dann könnte er sich wirklich als barmherziger Samariter am Krankenbett niederlassen. Ich kenne den Fall nämlich aus Doros Briefen und weiß daher, daß Sie alle hier bei der Kranken Ihrer Menschenpflicht mehr als genügten. Schon allein damit, daß Sie ihr den kostspieligen Sanatoriumsaufenthalt ermöglichten…

Aber die beiden Damen scheinen tatsächlich zu den Menschen gehören, die hinterher gleich nach der Hand greifen, sofern man ihnen den kleinen Finger bietet. Und wenn man sich dagegen nicht wehrt, dann haben die – Unverschämten – auch bald den ganzen Menschen.«

»Bravo, Frau Baronin, mir ganz aus der Seele gesprochen«, sagte Bertram begeistert. »Also, Edzard, bleib lieber hier. Denn wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um«, schloß er lachend, und nur zu gern fielen die andern ein.

Auch Doro, die sich bisher schweigend verhalten hatte. Gleichmütig schaute sie drein. Aber Jo, die ihre Dörth ja besser kannte als alle andern, wußte, daß diese Gleichmütigkeit nur Tarnung war. Daß Doro davor bangte, Edzard könnte zu Sitta fahren und sich von ihr festhalten lassen – selbst über den Geburtstag der Gattin hinaus, der außerdem noch mit dem Hochzeitstag zusammenfiel. Und diese Demütigung mußte Jo, die ihre Dörth ja so zärtlich liebte, dieser auf jeden Fall ersparen – und wenn sie da gleich Intrigen spinnen müßte, die ihrem offenen Wesen so gar nicht lagen.

»Rufen Sie doch den Leiter des Sanatoriums an, Graf Edzard«, sagte sie jetzt so harmlos, wie sie nur konnte. »Der wird Ihnen ja am besten sagen können, ob die gute Frau Freda Ihnen da nicht womöglich so ein bißchen Bluff vorgemacht hat.«

»Also, Frau Baronin, Sie werden mir immer sympathischer«, bekannte Bertram treuherzig. »Geh, Junge, laß dich mit dem Leiter des Sanatoriums verbinden. Der wird dir am besten sagen können, was da gespielt wird.«

Und es war kein faires Spiel, wie es dann ergab. Denn der Leiter des Sanatoriums, ein kurzangebundener Herr, machte dem jungen Grafen klar, daß zu viel Gutmütigkeit in Dummheit ausarten könnte. Er würde ihm raten, sich um die anmaßenden Verwandten überhaupt nicht mehr zu kümmern, die dafür bekannt seien, herumzuschmarotzen. Sie wären sehr gut in der Lage, die Sanatoriumskosten selbst zu tragen, wie er aus sicherer Quelle wüßte. Und von den Verzweiflungsrufen der lieben Freda brauchte man sich auch nicht beirren zu lassen. Deren Nerven gingen manchmal durch, was bei der ständigen Betreuung der tyrannischen Kranken gewiß kein Wunder wäre. Augenblicklich dichte sie ihr Idol an – und peinige zwischendurch die Mutter.

Nach diesem Bericht, den Edzard wörtlich wiedergab, war es zuerst einmal still. Dann schlug sich Bertram mit der flachen Hand vor die Stirn, daß es nur so klatschte.

»Großer Gott, die Dummen werden nicht alle. Und zu denen gehören wir.«

So komisch klang es, daß man hellauf lachte. Und das konnte man auch, so richtig aus vollen Herzen heraus – und der Geldbeutel der Sölgerthurns freute sich mit.

*

Und nun war die Jo fort, die so viel lustiges Leben in das Rautenauer Schloß gebracht – und dessen junge Herrin mit ihren Ermahnungen aufgewühlt hatte bis zum tiefsten Herzensgrund. Wie sollte diese sich zurechtfinden in dem Chaos von Empfindungen? Was sollte sie tun, was unterlassen?

Aber wie schon so oft, kam ihr auch diesmal der Stolz zur Hilfe, der sie ermahnte, sich um nichts zu vergeben, alles auf sich zukommen zu lassen. Wollte Edzard die Ehe lösen, konnte ja er den Auftakt dazu geben, sie jedenfalls unternahm da nichts.

»Nun, kleine Dörth, sehr traurig, daß deine Jo wieder fort ist?« fragte der Schwiegervater, als man zum Abendessen zusammentraf. »Wenn wir auch nur einen Teil der Anhänglichkeit besäßen, die du förmlich an die Jo verschwendest, wären wir schon zufrieden.«

»Wobei ich feststellen muß, daß du ungerecht bist, mein lieber Papa«, gab sie schlagfertig zurück. »Ist es etwa nicht Anhänglichkeit, wenn ich seit vier Monaten hier klebe und kaum noch meine Eltern besuche. Aha, jetzt machst du ein verdutztes Gesicht, Papachen.«

»Und das mit Recht, Marjellchen. Sind es denn wirklich schon vier Monate her, die du hier dein Gastspiel gibst?«

»Na – Gastspiel…«, dehnte sie. »In dem einen Jahr meiner Ehe war ich mehr als die Hälfte hier, will ich meinen.«

»Womit du doch nicht womöglich sagen willst, daß du schon ein Jahr verheiratet bist?«

»Das ist ganz mein Bertram«, lachte Gräfin Linda lustig. »Der dachte nie an unsern Hochzeitstag.«

»Liebste Frau, blamier mich doch nicht so fürchterlich«, wehrte er schmunzelnd. »Wer zählt im Glück die Tage? Sie vergehen in der Ehe zuerst wie ein Frühlingstraum – dann wie ein lachender Sommertag – und dann wie ein milder, reifender Herbst…«

»Papa, du bist ja ein Dichter«, lachte Doro lustig dazwischen, und er zog eine Grimasse.

»Auch das noch! Dann schon lieber Stoppelhopser. Und nun sag deinem trauten Ehegemahl, was du dir an deinem doppelten Ehrentag wünschst.«

»Ich wünsche mir vom Himmel das Blau«, gab sie schlagfertig zurück. »Kannst du damit aufwarten, mein Herr Gemahl?«

»Warum nicht?« parierte er schmunzelnd. »Ich male es dir schön säuberlich.«

»Na du, das laß lieber bleiben«, wehrte der Vater im komischen Entsetzen. »Wenn du mit deinem jämmerlichen Talent malst, wird bestimmt aus der Kuh eine Windmühle.«

»Und das nennt sich nun väterliche Eitelkeit«, lachte Edzard gleich den andern. »Doch wie ist es, mein ehelich Weib, hättest du Lust, mit mir durch den herrlichen Maiabend zu reiten? Und zwar nach Lindgau, das seine Herrin schon lange entbehrt. Du siehst, auch ich kann poetisch werden.«

»Du und poetisch«, lachte sie kurz auf. »Spotten kannst du – und das aus dem Effeff. Reite allein nach Lindgau, wenn du magst. Ich bin zu müde, um dich zu begleiten. Die Tage mit Jo waren recht anstrengend.«

»Hauptsächlich dann, wenn du sie aus dem Schlaf reißen mußtest. Gestern mit einer Federpose ihren Nacken kitzelnd, heute mit einem nassen Schwamm.«

»Woher weißt du das?«

»Von der charmanten Baronin, die es mir in lachender Entrüstung erzählte. Sie meinte, du wärest doch gar zu übermütig geworden, ich müßte da so ein wenig abstoppen.«

Gott sei Dank –! dachte Doro inbrünstig. Ich fürchtete schon, daß er das unerquickliche Gespräch, das ich am Pfingstmorgen mit Jo führte, belauscht haben könnte.

Und was dann –! sann sie weiter, als sie später im Bett lag. Wäre das so schlimm gewesen? Ja – und nein. Auf jeden Fall wäre die Entscheidung gefallen, die herbeizuführen sie viel zu feige war. Es hätte dann nur noch ein Entweder – Oder gegeben. Entweder sie hätte sich mit Almosen begnügt – oder sie hätte die Ehe lösen müssen.

Und sie konnte doch weder eins noch das andere. Großer Gott, wie war doch das Leben schwer!

Und der große Gott schaute lächelnd herab auf das ratlose junge Menschenkind, dessen Herzrädchen sich heißgelaufen hatten, die nur eine ganz besondere Mechanikerin wieder flottmachen konnte. Und diese Mechanikerin hieß Liebe.

*

Als Doro am nächsten Morgen erwachte, regnete es rieselnd sacht, wie es einem Mairegen zukommt. Dankbar empfing die Natur dieses köstliche Naß und ließ den Duft ihrer Frühlingskinder verschwenderisch verströmen. Er drang durch die geöffnete Altantür bis zu Doros Bett, umschmeichelte das junge Herz und erfüllte es mit Sehnsucht.

Wozu bin ich überhaupt nütze auf der Welt – sann die Dörth ihrem Leben nach. Meinen Eltern habe ich bisher noch wenig Freude gemacht. Trotzdem lieben sie mich und möchten mich nicht missen. Sie würden bitterlich weinen, wenn ich nicht mehr wäre.

Aber so richtig ihres Lebens Inhalt bin ich trotzdem nicht. Das ist Jörn, der intelligente Knabe und Nachfolger des Vaters. Der Sohn ist ihnen Lebensbedürfnis, die Tochter nur der lieben Gewohnheit Kind.

Und was bin ich hier in Rautenau? Nichts weiter als eine Staffage. Man braucht ja jetzt nicht einmal mehr mein Geld.

Und was bin ich der Jo? Viel, gewiß – aber nicht alles. Das ist ihr Bertie.

Weiter kam Doro in ihren trübseligen Betrachtungen nicht, weil die Zofe eintrat. Frisch gewaschen und frisch geplättet, wie ihre Herrin feststellte. Alles an dem zierlichen Persönchen blitzte nur so vor Sauberkeit.

»Guten Morgen, Frau Gräfin!« grüßte es. »Heute gibt’s keine Dusche, heute gibt’s ein Bad bei dem kühlen Wetter.«

»Jawohl, mein Herr Feldwebel!« lachte Doro hellauf. »Da ich unter Ihrer Fuchtel stehe, werde ich mich wohl fügen müssen.«

Sie huschte ins Badezimmer, und Tina sah ihr verklärt nach.

Heute nahm man im Frühstückszimmer das Frühstück ein, wobei die beiden Herren sich Zeit lassen konnten, weil das Regenwetter ihren Arbeitseifer hemmte. Sie trauten alle ihren Augen kaum, als Jo auf der Schwelle stand, ihr entzückendes Spitzbubenlächeln auf dem pikanten Gesichtchen. Über ihrem Kopf ragte ein anderer, männlicher…

»Da sind wir…«, erklärte Jo einfach. »Dem Köder, den ich meinem besessenen Gestüter mit Evalist zuwarf, konnte er denn doch nicht widerstehen.«

Das gab nun ein freudiges Hallo. Die Begrüßung, welche die sonst so zurückhaltenden Sölgerthurns für diese Gäste hatten, wurde bestimmt nicht allen zuteil. Und Doro? Die war einfach aus dem Häuschen, wie man so sagt.

Der Baron Friedbert von Salte, ein großer, hagerer Herr mit guten blauen Augen, der so verschmitzt lächeln konnte, tat es auch jetzt.

»Gegen die List einer Eva kann ich natürlich nicht an. Und darum bin ich hier. Willkommen?«

»Aber sehr«, neckte die Hausherrin. »Denn mit Ihnen brauchen wir ja gar kein Federlesen zu machen, Herr Baron. Wir sperren Sie in den Pferdestall – und dann sind Sie selig.«

»Wunderbar, Frau Gräfin. Fangen wir gleich damit an.«

Wie gut doch der Mann mit dem trockenen Humor und der bedächtigen Art zu seiner quicklebendigen Gattin paßte. Hier hatte sich wieder einmal ein ideales Paar zusammengefunden.

»Nun, habe ich das gut gemacht, mein Dörthlein?« fragte Jo zärtlich, als die junge Gräfin sie in das Fremdenzimmer geführt hatte. »Dein Gesichtchen war aber auch beim Abschied gar zu kläglich. Doch das bemerkte nur ich, die ich dich ja so gut kenne.«

»Sag mal, Jo, was hast du eigentlich vor?« forschte Doro mißtrauisch. »Gedenkst du mich etwa meinem Herrn Gemahl warm ans Herz zu legen?«

»Ich werde mich hüten!«

»Aber irgend etwas planst du, sonst müßte ich dich nicht kennen.«

»Ich weiß gar nicht, was du hast«, wurde Jo jetzt scheinheilig. »Friedbert will sich die Pferdezucht ansehen, deshalb sind wir hier.«

»Na – tru de Düwel dem Ap’theker! Du, ich paß scharf auf, das laß dir nur gesagt sein.«

»Aber natürlich, mein mißtrauisches Marjellchen. Sei ja wachsam – und hüte dein Herz.«

»Worauf du dich verlassen kannst!«

Damit stürmte sie hinaus – und Jo bewegte sich fortan auf Schleichpfaden als Spionin der Liebe. Aber das war nicht so einfach, wie sie bald erkennen mußte. Sie hatte sogar das unangenehme Gefühl, von dem jungen Grafen durchschaut zu werden. Denn dieses amüsierte Lächeln, das blitzartig seinen harten Mund umzuckte, wenn sie Doro so himmelhoch pries, konnte bestimmt nicht von ungefähr kommen.

»Der Mann ist ja noch klüger, als ich annahm«, gestand sie an einem Abend kläglich dem Gatten, als sie sich mit ihm zurückgezogen hatte. »Du kannst ihm auch noch so geschickt die Falle stellen, er geht einfach nicht hinein. Nun sei mal ehrlich, Bertie. Was würdest du tun, wenn du so eine Frau hättest wie Doro?«

»Ich würde sie an die Kandare nehmen wie meine störrischen Rassegäulchen.«

»Sie ist aber doch kein Pferd, Bertie.«

»Und das ist schade. Dann hätte dieser Prachtkerl Edzard sie schon längst unter der Hand. Du hättest mal sehen sollen, wie er diese Stute Ira, ein kleiner Satan an Eigensinn, unter die Faust bekam. Donner noch eins, da konnte einem das Herz aufgehen vor Entzücken.«

»Nun redet dieser Mensch natürlich wieder von Pferden!« fuhr sich Jo buchstäblich in die Haare. »Zum roten Kuckuck mit deinen Gäulen!«

»Sag das nicht, mein süßes Ponychen, damit versündigst du dich. Diese Ira in meiner Zucht, das wäre noch so was.«

»Wollen Sölgerthurns sie denn abgeben?« fragte Jo jetzt interessiert, und er zuckte resigniert die Achsel.

»Danach habe ich nicht erst gefragt, weil ich die Stute gar nicht bezahlen könnte. Die ist nämlich ein Vermögen wert. Rasse und Klasse – gerade so wie unsere kleine Dörth. Aber laß man, mein Ponychen, die bändigt der Edzard schon mit der gleichen Nonchalance, mit der er auch die Ira gebändigt hat. Die ließ er nämlich ihre Kapriolen machen, ohne sich dabei aufzuregen. Doch bei der ersten Unvorsichtigkeit des sonst so wachsamen Teufelchens packte er blitzschnell zu – und so wird er es auch bei der Dörth tun.«

»Hör bloß auf«, nahm Jo ihn lachend bei den Ohren und beutelte ihn. »Daß du nicht als Pferd auf die Welt gekommen bist, wird mir ewig ein Rätsel bleiben.«

*

Es war am Donnerstag, einen Tag vor Doros Geburtstag und der Wiederkehr des Hochzeitstages. Prangend schön präsentierte sich die Natur, wunderbar erquickt von dem warmen, sachten Mairegen. Doro, die bei den Vorbereitungen zu dem Fest, das morgen steigen sollte, mithelfen wollte, wurde von der Schwiegermutter verscheucht, weil sie ja doch mehr hemmen als nützen würde.

So zog Doro denn den Reitdreß an und ging zu den Ställen hinunter, wo sie den Gatten und das Ehepaar Salte bereits vorfand. Auch sie waren im Reitdreß und warteten auf die gesattelten Pferde, die dann auch bald erschienen, vier an der Zahl. Und eins davon war die kapriziöse Ira.

»O wie schön!« sagte Doro entzückt. »Darf ich sie heute reiten, Edzard?«

»Nein. Sie ist noch lange nicht soweit, um sie dir unbedenklich in die Hand geben zu können.«

»Das sagst du schon seit Wochen«, schob sie enttäuscht die Unterlippe vor. »Was befürchtest du eigentlich?«

»Dich mit zerschmetterten Gliedern irgendwo auflesen zu müssen.«

»Das wollen wir doch gleich mal sehen…!«

Ehe man es noch verhindern konnte, saß sie im Sattel, lachte hellklingend auf – und schon schoß das erschreckte Tier davon, daß die Erde unter den Hufen nur so flog. Jo hielt sich den Mund zu, um einen Aufschrei zu unterdrücken, und ihr entsetzter Blick ging zum Grafen hin, der sich soeben in den Sattel des zunächststehenden Pferdes schwang. Sein Gesicht war blaß und von unnachsichtiger Härte, die Zähne bissen sich zusammen, das Kinn schob sich vor, die Augen blitzten wie kalte Kiesel.

Und dann setzte dieses Pferd dem andern nach – es war ein Ritt mit dem Tod.

»Na, wenn das man gut geht«, murmelte der Baron, dem der Schreck nicht zu knapp in die Glieder gefahren war. »Wenn dem Grafen bei diesem tollkühnen Ritt nun etwas zustößt…«

»Um Gottes willen, Bertie, sprich bloß nicht weiter!« hielt Jo ihm den Mund zu. Ihre Hand zitterte dabei wie Espenlaub, das Gesicht war aschfahl. Und auch dem Pferdepfleger, der an der Stalltür lehnte, saß die Angst in den Augen.

Indes ging es kurz und hart zwischen dem gräflichen Paar zu. Doro, die sich gar nicht wohl in ihrer Haut fühlte, als das nervöse Tier davonpreschte, wollte das aber nicht zugeben, als der Graf sie eingeholt hatte, der Stute mit harter Faust in die Zügel fuhr und sie so zum Stehen brachte.

»Na, mein Herr Gemahl, was sagst du nun?«

Das Weitere blieb ihr in der Kehle stecken. Denn sie wurde mit harten Fäusten gepackt, aus dem Sattel gehoben und mit Nachdruck auf die Erde gestellt.

»Wage das nicht noch einmal…«, stieß der Mann zwischen den Zähnen hervor. »Sonst…«

»Na, was denn… sonst…?« empörten Stolz und Trotz sich so sehr, daß sie selbst dem eiskalten Zorn des Mannes standhalten konnten. »Dann jagst du mich aus dem Hause, nicht wahr?«

»Wahrscheinlich.«

Damit schwang er sich in den Sattel der Stute und ritt ab. Doch nicht dem Gutshof zu, sondern nach der entgegengesetzten Seite.

Und nun stand Doro da und hatte das Gefühl, als hätte er sie geschlagen. Was nun? Ja – was nun. Das war wohl das Ende ihrer Ehe. Sie hatte in ihrem törichten Stolz alles auf eine Karte gesetzt und alles verloren.

Sie schrak zusammen, als ein warmes, samtenes Maul sich gegen ihre Wange drückte. Denn es war ihr Reitpferd, mit dem der tollkühne Reiter ihr nachgesetzt war. Und das Tier hing mit rührender Liebe an ihr.

Aber wie sah es aus! Schweißbedeckt, Schaumflocken vor dem Maul, aus dessen Winkeln Blut tropfte, die Flanken zitterten.

Da erst wußte Doro, in welcher Gefahr sie sich befand, als sie sich der ungebärdigen Stute, die noch gar nicht richtig eingeritten war, anvertraut hatte. Denn sonst hätte der Mann, der in hellen Zorn geraten konnte, wenn Tiere rücksichtslos behandelt wurden, das Pferd nicht so hart strapaziert.

Und so siegessicher Doro abgeritten war, so geschlagen ritt sie nun wieder dem Gutshof zu.

»Da kommt sie«, sagte der Baron zu der Gattin, die noch immer zitternd vor Angst neben ihm stand. »Und zwar auf ihrem Reitpferd. Na, der Trotzteufel soll von mir was zu hören bekommen!«

»Bitte nicht, Friedbert«, wehrte sie hastig. »Sie ist jetzt ganz und gar unzugänglich. Laß uns lieber gehen, damit wir nicht mit ihr zusammentreffen. Später knöpfe ich sie mir schon vor.«

So kam es denn, daß Doro nur den Pferdepfleger antraf, als sie vor dem Stall hielt. Und dieser treue Mann, der um seinen geliebten Herrn so große Angst ausgestanden hatte – und der nun auch noch das zerschundene Pferd in Empfang nehmen mußte, sah seine junge Herrin nur an.

Da senkte sie den Kopf und ging rasch davon.

Sie zuckte erschrocken zusammen, als sie ihr Wohnzimmer betrat und Jo darin vorfand, die ruhig sagte: »Bist du in der Verfassung, wo man vernünftig mit dir reden kann?«

»Laß mich in Ruhe!«

»Also nicht – und das ist schade.«

»Ich habe jetzt keine Zeit für deine Vorhaltungen, ich muß packen.«

»Nanu, willst du verreisen? Ausgerechnet am Vortage deines Geburtstages?«

»Ich kehre zu meine Eltern zurück – und zwar noch heute.«

Jetzt wurden Jo denn doch die Knie weich. Sie mußte zuerst einmal kräftig schlucken, bevor sie fragen konnte:

»Doro, was ist zwischen dir und dem Grafen vorgefallen?«

»Das geht dich nichts an.«

»Na schön, mein Kind…«, tat sie äußerlich ruhig, während innerlich jeder Nerv angespannt war. »Dann gehst auch du mich nichts mehr an. Ich werde mit meinem Mann sofort abreisen. Und wenn du etwa Hilfe bei uns suchen solltest – dann findest du eine verschlossene Tür.«

Sie ging – und Doro ließ sich aufstöhnend in den nächsten Sessel sinken.

Was nun? Daß Jo zu ihrem Wort stand, hatte sie schon mehr als einmal erfahren müssen. Und wenn sie nicht mehr zu ihr flüchten durfte, wie sie es im vergangenen Jahr mehr als einmal tat, was sollte dann werden?

Natürlich konnte sie in ihr Elternhaus zurück. Aber ob man sie da trotz aller Liebe so gut verstehen würde, wie Jo sie verstand? Und was Jo bisher geraten, war stets ein guter Rat gewesen.

Nein, sie mußte verhindern, daß Jo abreiste – und sich somit ein für allemal von ihr lossagte. Sie brauchte ihre Jo jetzt – dringender als je zuvor. Hoffentlich war sie noch nicht fort.

Wie gejagt rannte Doro davon, riß die Tür zu Jos Zimmer auf… es war leer. Also nach unten…

Man fand sich gerade im Speisezimmer zur Mittagstafel zusammen, als Doro hineinwirbelte, verstört, zerzaust, atemlos vom schnellen Lauf. Sie stolperte, und lachend fing der Schwiegervater sie in den Armen auf.

»Hoppla, Marjellchen, das ging aber forsch! Plagt dich denn ein so großer Hunger, daß du nicht schnell genug an die Futterkrippe kommen kannst?«

Man lachte herzlich, und Doro atmete auf, tief, ganz tief.

Gottlob, die Schwiegereltern schienen von dem skandalösen Vorfall, dessen Doro sich jetzt gehörig schämte, nichts zu wissen. Denn Gräfin Linda winkte lachend ab, als Doro ihres Reitdreß wegen, der für die Mittagstafel ganz unvorschriftsmäßig war, um Entschuldigung bat.

»Das macht nichts, Doro. Heute geht es hier ohnehin schon ein bißchen drunter und drüber.«

»Dafür gibt es aber auch morgen ein glänzendes Fest«, schmunzelte der Hausherr. »Und Sie werden meine Tischdame, Frau Baronin.«

»Mit dem größten Vergnügen, Herr Graf«, entgegnete sie lachend, und Doro atmete wieder ganz tief auf.

Jo bleibt – konnte sie jetzt schon wieder ruhig denken. Und damit ist sehr viel, wenn nicht sogar alles, gewonnen.

Sie wagte die Jo jetzt nicht anzusehen – und den Gatten schon gar nicht. Sie beteiligte sich auch nicht an dem fröhlichen Gespräch und würgte beinahe an jedem Bissen, was den Schwiegereltern zum Glück nicht auffiel.

Und die andern wußten ja Bescheid.

So gern wie heute war Doro noch nie von der Tafel aufgestanden. Und beim Mokka, den man stets in einem kleinen lauschigen Gemach einnahm, schmiegte sie sich so tief in den Sessel, daß ihr Gesicht im Schatten lag.

Und so konnte sie auch wagen, Edzard zu mustern, der ihr schräg gegenüber saß. Er hörte einer Erzählung des Barons zu, die sich natürlich um Pferde drehte. An der Rechten, mit der er in Abständen die kleine Tasse zum Mund führte, glänzte der glatte, schmale Reif, und an der Linken der schwergoldene Wappenring der Sölgerthurns.

Sie trug dieselben Ringe in verkleinerter Form – und würde diese wohl nun ablegen müssen.

Großer Gott, wie konnte doch ein Herz so furchtbar weh tun! Eine Träne, die das gepeinigte junge Menschenkind durchaus nicht zurückhalten konnte, sprang glitzernd von der Wimper direkt auf das in Edelstein geschnittene Wappen der Sölgerthurns, das sie bisher so voller Stolz hatte tragen dürfen.

Erschrocken sah sie hoch – und mitten in die Augen des Gatten hinein, in denen es so seltsam aufblitzte. Nur augenblickslang, dann lagen sie wieder in kühler Bläue unter den dichten Brauen.

Wenn ich doch nur aufstehen könnte – dachte Doro verzweifelt. Sie hielt es nicht mehr länger aus. Aber sie als Jüngste konnte doch unmöglich zuerst den Kreis verlassen, das durfte man in diesem exquisiten Hause einfach nicht.

Doch als hätte die Hausherrin ihre Not gespürt, erhob sie sich und die andern mit ihr.

»Sie werden mich entschuldigen, Frau Baronin«, sagte sie bittend. »Ich muß ganz rasch einen Brief schreiben. Unsere Dörth kann Ihnen indes Gesellschaft leisten.«

»Aber bitte sehr, Frau Gräfin, lassen Sie sich durch mich nur nicht aufhalten. Ich vertreibe mir schon meine Zeit.«

»Dann bin ich beruhigt.«

Sie ging, und auch Jo entfernte sich. Doro schlich ihr nach, sah sie in ihrem Zimmer verschwinden – und mußte zuerst noch mit Hemmungen kämpfen, die wohl jeden Menschen befallen, der nach einer Verstimmung den ersten Schritt tun muß. Doch Doro überwand sich tapfer, trat ein – und Jo sagte lachend:

»So ungefähr habe ich mir das gedacht.«

»Ach, Jo, dann bist du mir nicht mehr böse?«

»Ich war es zuerst, Doro – sehr sogar«, wurde die Dame nun ernst, »ich hätte auch meine Drohung, abzureisen, ohne weiteres wahrgemacht, wenn ich mir nicht überlegt, welch eine Bestürzung ich damit bei meinen Gastgebern hervorrufen würde. Ich wäre auch dann noch geblieben, wenn du die unerhörte Rücksichtslosigkeit begangen hättest und ausgerechnet einen Tag vor deinem Geburtstag in dein Elternhaus zurückgekehrt wärest. Dann hätten wir eben einen Grund für die Gäste, die morgen hier zusammenströmen werden, finden müssen, um ihnen deine Abwesenheit so glaubhaft wie möglich plausibel zu machen.

Denn die Wahrheit hätte man ihnen doch unmöglich sagen können, ungefähr so: Entschuldigen Sie, meine Herrschaften, daß wir ohne das Geburtstagskind feiern müssen, es ist nämlich gerade gestern ihrem Mann davongelaufen. Was meinst du wohl, welch ein Futter das für sensationslüsterne Leutchen gewesen wäre.«

»Nenne das alles doch nicht so unverblümt beim richtigen Namen«, wurde Doro nervös, doch die Jo ließ sich nicht beirren.

»Bei dir muß man das manchmal leider tun, mein liebes Kind. Immer dann, wenn der Trotzteufel dich in seinen Krallen hält. Und wie ist es jetzt? Willst du immer noch zu deinen Eltern?«

»Ich will ja gar nicht – aber ich muß doch fort.«

»Du mußt fort?« sah Jo sie forschend an. »Hat der Graf dich etwa – hinausgeworfen?«

»Noch nicht, aber…«

»Hör mal, Doro, am besten ist, du erzählst mir möglichst wörtlich, was sich zwischen dir und deinem Gatten zutrug«, unterbrach Jo sie resolut. Als sie es wußte, schüttelte sie bekümmert den Kopf.

»Meine liebe Dörth, da hast du dich ja wieder mal in deinem ganzen Glanz gezeigt. Hast also den Mann, der für deinen Eigensinn Kopf und Kragen riskieren mußte, auch noch verhöhnt. Leider ist der Mann zu vornehm. Denn ein anderer hätte dir bestimmt die Ohrfeige versetzt, die du verdientest.«

»Das hätte er mal wagen sollen!«

»Na und – was dann?«

»Ach, Jo…«

»Ach, Dörth. Dank dem Herrgott, daß alles noch so gut ablief. Daß du deinen Edzard noch gesund vor dir sehen darfst, diesen Prachtkerl, der sein Leben einsetzte für deinen Eigensinn. Schäm dich, Doro.«

Was diese auch tat. So zerknirscht hatte Jo sie noch nie gesehen. Und da sie stets dafür war, das Eisen zu schmieden, solange es noch heiß ist, tat sie es auch jetzt.

»Da du für deinen Eigensinn Strafe verdient hast, wirst du deinem Mann ein gutes Wort geben. Das wird dir bestimmt nicht leichtfallen – aber das soll es ja auch nicht.«

»Jo, du kennst ihn nicht. Er kann ja so eiskalt sein und wird mich bestimmt abweisen.«

»Wahrscheinlich. Aber dann hast du dich wenigstens entschuldigt, wie es sich gehört.«

»Jo, ich will es ja tun – aber heute noch nicht«, flehte sie. »Schau mal, ich habe doch morgen Geburtstag – außerdem einjährigen Hochzeitstag. In dem einen Jahr…«

»Hat dein Mann wenig Freude an dir gehabt«, warf Jo trocken ein. »Du mußt ja wissen, was du tust. Sieh aber zu, daß ich nicht die Achtung vor dir verlieren muß.

Und nun geh, damit ich mich mal erst von dem Schreck erholen kann. Du hast mir wohl schon so manchen eingejagt, du schwieriges Persönchen, doch dein heutiges Bravourstück setzt denn doch allem die Krone auf.«

*

Strahlend zog der Tag herauf, einer der letzten im Mai. Er hatte seinem Namen alle Ehre gemacht, hatte sich schier verschwendet in Blütenpracht. Hatte aber auch darüber nicht die Saat vergessen, hatte sie wachsen lassen bei Sonnenschein und warmem, rieselndem Regen.

Und nun stand sie da, leuchtend grün und üppig, eine Augenweide für jeden Landwirt. Und ganz besonders für die beiden Sölgerthurns, die ja Landwirte mit Leib und Seele waren.

Jetzt ritt der jüngere gemächlich durch die grünen Fluren. Stolz leuchtete in seinen Augen auf. Stolz über all das, was sich da so prächtig vor ihm ausbreitete und was ihm gehörte. Alles das, wohin sein Blick reichte, und noch weit darüber hinaus.

Und Stolz schwellte auch des Reiters Brust, der dem anderen entgegenritt. Stolz, zu dieser blühenden Scholle zu gehören und darauf schaffen zu dürfen wie auf der eignen.

»Guten Morgen, Herr Graf«, grüßte der Verwalter von Rautenau schon von weitem. »Na, wenn einem bei dem allen hier nicht das Herz aufgeht, dann ist es verschlossen mit sieben Siegeln.«

»Die aufgesprungen sind, seitdem Sie sich in Ihrem Bereich so richtig loslassen können, mein lieber Blade«, zwinkerte der junge Gebieter ihm zu. »Ist’s schön jetzt auf Rautenau?«

»Gar kein Ausdruck dafür, seitdem wir Geld haben«, kam es schmunzelnd zurück. »Und daß die Dukaten sich mehren, dafür wird schon die liebe Mutter Erde sorgen. Denn alles Gute, was man ihrem Schoß anvertraut, gibt sie tausendmal zurück. Und nun muß ich mich zuerst einmal wundern.«

»Warum denn?«

»Weil der Herr Graf so seelenruhig durch die Gegend reiten, wo alles im Schloß doch fast kopfsteht von wegen Geburtstag und einjährigem Hochzeitstag.«

»Davor bin ich ja gerade ausgerückt«, lachte Edzard. »In den Wirbel gerate ich noch früh genug hinein. Außerdem ist es nicht viel mehr als sechs Uhr, wo zum mindesten die Damen noch im tiefen Schlummer liegen dürften.«

Das stimmte, bis auf Doro. Die lag wach und machte sich das Herz mit schmerzlichen Grübeleien schwer.

Edzard hatte sie gestern behandelt, als wäre sie einfach Luft. Woher sollte sie da wohl den Mut nehmen, sich ihm zu nähern und ihm ein bittendes Wort zu sagen, wie Jo es verlangte? Ja, wenn sie dabei so handeln dürfte, wie ihr ums Herz war – aber das durfte sie nicht – sie mußte ihr Herz doch hüten.

Nicht weinen, nur nicht weinen. Tränen hinterließen Spuren, und ein verweintes Geburtstagskind hätte Bestürzung hervorgerufen – wenigstens bei den Eltern und Schwiegereltern, die ja von dem gestrigen, für Doro so blamablen Vorfall nichts wußten.

Sie horchte auf und lauschte dann mit angehaltenem Atem der Stimme, die so tief schwingen konnte wie eine Glocke und auch wiederum so hart und ehern, als wenn Stahl auf Eisen schlägt. Ganz deutlich hörte sie durch die weit geöffnete Altantür, was diese fast einmalige Stimme sprach: »Natürlich rote Rosen, Kerbel – die müssen’s ja wohl heute sein. Ganz recht, einundzwanzig Stück…«

Das galt dem Gärtner – und das andere, in lachender Frage Gestellte, der Jo: »Nanu, Frau Baronin, so früh schon auf den Beinchen? Was sagt denn die Schönheit dazu?«

Die lachenden Stimmen verloren sich – und Doro tat das Herz bitter weh. Wenn Edzard doch auch mit ihr so lustig sprechen würde. Aber dann klang seine Stimme entweder gelassen – oder ironisch – oder gar so eiskalt wie gestern. Und da sollte sie ihr Herz nicht vor ihm hüten…?

Nein, sie hielt es nicht mehr länger im Bett aus. Also sprang sie auf, huschte ins Badezimmer, duschte fast kalt und ging dann ins Ankleidezimmer, um nach passender Garderobe zu suchen. Aber wer die Wahl hat, der hat nun einmal die Qual, aus der die eintretende Zofe sie dann erlöste.

»Guten Morgen, Frau Gräfin«, grüßte sie erschrocken. »Ist es denn schon so spät?«

»Nicht später als sonst, Tina. Ich bin heute nur früher aufgestanden.«

»Ich weiß, wegen des Geburtstages«, strahlte die adrette Kleine jetzt. »Darf ich Frau Gräfin Glück wünschen – so ganz doll viel Glück?«

»Herzlichen Dank, Tina. Glück kann man immer gebrauchen. Und nun machen Sie mich mal recht schön.«

»Als ob die Frau Gräfin das nicht sowieso ist«, tat Tina nonchalant ab. »So eine schöne und süße Herrin wie ich hat keine andere Zofe.«

»Ist doch nur gut, daß Sie für mich eingebildet sind«, lachte Doro so köstlich jungfrisch und froh, daß Tina sie ganz verklärt ansah.

Und dieses goldige Lachen hörten noch drei andere Menschen. Es flatterte durch das geöffnete Fenster zu ihnen hin, die auf der Terrasse saßen und rasch noch ein kleines Frühstück nahmen. Denn man konnte nicht wissen, wann das festliche steigen würde.

»Na also«, meinte der Baron, der Gattin dabei einen verschmitzten Blick zuwerfend. »Unser Vöglein zwitschert ja schon wieder munter, nicht wahr, Herr Graf?«

»Na, ist doch bloß gut, daß Sie diesmal nicht ein Pferd als Vergleich stellten«, war die lachende Erwiderung. »Dann hätten Sie nämlich wiehern sagen müssen.«

»Siehst du, da hast’s…«, wollte Jo sich ausschütten vor Lachen über des Eheherrn verdutztes Gesicht. »Ja, ja, mein Lieber, wer den Schaden hat…«

»Dem tut der Spott nicht weh«, trat der Hausherr hinzu. »So eine lustige Gesellschaft laß ich mir am frühen Morgen schon gefallen. Gefrühstückt wird hier? Großartig! Da halte ich vor Begeisterung mit.«

»Nur nicht so laut, Herr Graf«, warnte Jo. »Sonst hört das noch unser geliebter kleiner Vielfraß und erscheint ganz unprogrammäßig verfrüht.«

»Man ja nicht«, schmunzelte Bertram. »Dann wären die beiden Mamachen kreuzunglücklich, die mit so viel Liebe den Gabentisch aufbauen.«

»Ist Ruth denn schon hier?«

»Jawohl, mein Sohn. Georg und Jörn müssen Handlanger spielen, während es mir gelang, auszukneifen.«

Und dann sahen sie mal erst verblüfft auf Doro, die plötzlich dastand. Und dann brach stürmische Heiterkeit los, die noch zunahm, als Bertie trocken bemerkte:

»Also doch das Festprogramm verpatzt. Kriech bloß untern Tisch, Dörth.«

»Warum denn?«

»Damit deine beiden Mamachen und das eine Papachen keinen Schlaganfall kriegen, wenn sie dich hier sehen. Du sollst nämlich mit Trompetenstoß geweckt werden, geschmückt…«

»Wie ein Galapferdchen zum Parademarsch.«

»Also, Graf Edzard, das ist ja nun nicht nett von Ihnen. Und Sie habe ich bisher für einen seriösen Menschen gehalten. Na ja – und da haben wir die Bescherung.«

Damit meinte er die beiden Damen, die auf die Terrasse traten und die entzückende junge Gräfin anstarrten wie etwas Grausiges. Mamachen Ruth erholte sich zuerst von ihrem Schreck.

»Aber Dörth, mein Liebes, wie kannst du nur«, sagte sie kläglich. »Du hast uns unser ganzes Programm verpatzt. Warum lacht ihr denn so unbändig! Ich komme mir ganz dumm vor.«

»Laß gut sein, Utichen«, tröstete Bertram. »Es ist eben eine ganz übermütige Bande. Und nun unser Geburtstagskind einmal da ist, wollen wir auch ohne den geplanten Klimbim mit der Gratulationscour beginnen.«

»Aber vor dem Geburtstagstisch«, verlangte Ruth energisch, was dann auch geschah. Doro wanderte von einem Arm in den andern, selbst der Baron drückte sie väterlich ans Herz. Nur Edzard nicht. Der ließ es bei einem Handkuß bewenden, was in dem Trubel nicht weiter auffiel.

Der Tisch war so mit Geschenken belegt, daß Doro gar nicht wußte, was sie zuerst anschauen sollte. Und die meisten Gaben von den Eltern. Unter anderm eine wunderbare Festtoilette mit allem Drum und Dran, welche das Geburtstagskind heute abend tragen sollte.

»Freust du dich auch wirklich dar­über, mein Liebes?« fragte Ruth schon zum drittenmal. »Ich habe mir bei der Auswahl so große Mühe gegeben.«

»Und hast wirklich gut gewählt, Ma. Ich danke dir von ganzem Herzen.«

Und dann hielt der Bruder ihr ein Bild unter die Nase.

»Sieh dir mal Edzard an, ist der nicht prima?« fragte er stolz. »Ich knipste ihn heimlich, als er dich mal ganz besonders verliebt ansah.«

Da lachten sie alle – und Doro atmete auf. Um den Gatten nicht ansehen zu müssen, kramte sie in ihren Geschenken, die alle mit Liebe gewählt waren. Und doch ging ihr Blick immer wieder zu dem Rosenstrauß hin, der ihr wie ein flammender Liebesgruß entgegenleuchtete. Es war die einzige Gabe des Gatten.

Als man dann später am festlich gedeckten Frühstückstisch saß, wollte Papa Sander eine schwungvolle Rede halten, doch man winkte von allen Seiten ab.

»Aber ich muß ihr doch sagen, daß sie heute einundzwanzig Jahre wurde und somit mündig ist. Also, Dörth, du kannst jetzt frei über dein Leben bestimmen!«

»Ganz falsch, verehrter Schwiegerpapa«, warf Edzard trocken ein. »Ich bin nämlich auch noch da. Und er soll ihr Herr sein.«

Zuerst Verblüffung, dann Heiterkeit, wobei Doro mittat, um nicht aufzufallen.

*

Das Rautenauer Schloß erstrahlte im Lichterglanz, hielt seine Pforten weit geöffnet. Zu Ehren der jungen Herrin, die heute Geburtstag hatte, zu Ehren des jungen Paares, das vor einem Jahr die Ehe schloß.

Und es wurde ein glänzendes Fest. Denn man brauchte ja jetzt nicht mehr zu sparen, konnte unbekümmert alle Pracht entfalten.

Was diese Grafen Sölgerthurn doch für einen Dusel hatten. Zuerst erwischte der junge Graf die reiche Erbin, und dann kam noch für die Familie die reiche Erbschaft hinzu. Teils gönnte, teils neidete man es ihnen. Aber einig war man sich darin, daß man es sich bei dieser exquisiten Feier gutsein lassen wollte.

»Nun sehen Sie sich bloß dieses Rackerchen Dörth an«, sagte die distinguierte Tischdame Edzards lachend. »Die wickelt diesen verschworenen Junggesellen ein, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Jetzt ißt sie gar mit ihm Vielliebchen, na, da sehe ich schwarz. So gar nicht eifersüchtig, Edzard?«

»Da muß ich Durchlaucht schon mit Geibel antworten: Eifersucht macht scharfsichtig und blind, schießt wie ein Schütz – und trifft wie ein Kind.«

»Na, ich sagte schon immer, Ihr Sögerthurns seid nicht zu unterschätzen«, lachte die Dame herzlich. »Immer schlagfertig, nie um eine Antwort verlegen. Übrigens gedenke ich jetzt auf Burgen seßhaft zu werden. Und da es nur ein Hasensprung von Rautenau entfernt liegt, hoffe ich auf guten nachbarlichen Verkehr.«

»Es wird uns eine Ehre sein, Durchlaucht.«

»Na – auch ehrlich, Sie Spötter?«

»Von ganzem Herzen.«

»Dann bin ich beruhigt. Aber was fangen wir mit meinem Vetter an, der sich an der bezaubernden kleinen Dörth ganz ernstlich zu entflammen scheint. Wollen Sie mir da etwa auch mit einem Zitat antworten?«

»Gewiß, Durchlaucht: Jedem steht das Recht zu, sich an der Sonne zu wärmen.«

Zuerst sah sie ihn verblüfft an, dann lachte sie wieder.

»Das nennt man Großzügigkeit.«

Sie war eine geistreiche Frau, die Fürstin Zern, und als Gattin eines Diplomaten weit in der Welt herumgekommen. Jetzt war er tot und sie des Reisens müde, obwohl sie mit ihren fünfzig Jahren noch manchen Jungen in die Tasche steckte, wie man so sagt. Trotzdem wollte sie ein geruhsames Leben führen, wozu das kleine, aber herrschaftliche Burgen wie geschaffen war. Sie hatte dort auch stets mit dem Gatten einige Wochen im Jahr verbracht, war daher in der Gesellschaft bekannt und nicht beliebt. Wenigstens nicht bei den Engstirnigen, die es ja in jeder Gesellschaftschicht gibt. Die fürchteten ihren Esprit – und ihren Sarkasmus.

Aber die Sölgerthurns, ja, das waren Menschen nach ihrem Herzen. Daher war sie auch entsetzt gewesen, als sie hörte, daß der Edzard, den sie noch besonders in ihr Herz geschlossen, die Doro Sander gefreit, die sie nur als kleines Scheusälchen kannte. Doch als sie diese dann nach drei Jahren wiedersah, war sie vor Überraschung einfach sprachlos gewesen, was der klugen und weltgewandten Dame wahrlich nicht oft geschah.

Na, wenn man da nicht an Wunder glauben sollte!

Und dann hatte sie in sich hineingelacht. Dieser Edzard, das war schon einer! Pflückte sich in aller Nonchalance eine der schönsten Blumen aus dem Mädchenflor.

Die Fürstin und ihr Vetter, auch ein früherer Diplomat, der jetzt jedoch nur der Wissenschaft lebte, waren die schwierigsten Gäste in der illustren Gesellschaft. Daher wollte Doro streiken, als sie hörte, wer sie zu Tisch führen sollte.

»Was soll ich mit dem wohl reden! Ich verstehe weder etwas von Wissenschaft noch von Diplomatie.«

»Brauchst du ja auch gar nicht«, schmunzelte der Schwiegervater. »Du becirct ihn, und Edzard läßt bei der Fürstin seinen Geist blänkern. Seid vernünftig, Kinder. Wir wüßten nämlich nicht, wem anders als euch wir diese schwierigen Gäste zuteilen sollten.«

»Jo und Friedbert.«

»Warum auch nicht«, meinte dieser trocken. »Ich erzähle meiner Dame, wie man Pferde füttert, und Jo ihrem Herrn, wie man eigensinnige kleine Mädchen bändigt – siehe da, Dörth –! Das wird vielleicht seine Liebe zur holden Weiblichkeit erwecken.«

»Du bist ein Scheusal, mein lieber Bertie«, lachte Doro gleich den andern. »Also gut, becirce ich den Hagestolz.«

Was ihr denn auch gelang. Und ebensogut konnte Edzard sich neben der geistreichen Frau behaupten.

Sie wurden beide auch nicht mehr los, als man sich nach dem Tischtanz zum »Sympathisierclub« zusammenfand. Wie selbstverständlich reihten sie sich dem ein und waren nun gar nicht mehr schwierig, sondern fröhlich mit den Fröhlichen.

»Unsere Dörth ist heute wieder einmal glänzend in Form«, lachte Jo, als Doro mit einem glatzköpfigen Dicken vergnügt davonwalzte. »Die schaukelt den ein, daß seine Beine nur so fliegen.«

»Ja, sie ist ein ganz entzückendes Menschenkind«, sprach die Fürstin so warm, wie sie es selten tat. »Schon deshalb möchte ich um gütige Aufnahme in diesen Kreis bitten, damit mein altes Herz sich oft an dem Sonnenstrahl wärmen kann.«

»Es ist uns eine Ehre, Durchlaucht«, verneigte der Hausherr sich, und sie lachte.

»Dasselbe versicherte Edzard bereits. Aber ob ehrlich gemeint oder nicht, mich werden Sie nicht mehr los.«

Sie wurde zum Tanz geholt, und da auch ihr Vetter nicht zugegen war, schnitt Georg Sander eine Grimasse.

»Die schwierigen Herrschaften haben uns gerade noch in unserm trauten Familienkreis gefehlt. Da werden wir aber unsern Geist schleifen müssen.«

»Oder wie benehmen uns wie Banausen, wie Jörn damals riet«, zwinkerte die Hausherrin vergnügt.

»Dann sind wir die ›Eindringlinge‹ unter Garantie los.«

»Prosit, liebste Frau, du hast den Sinn erfaßt«, hob das Ehegespons ihr sein Glas entgegen, sie dabei verliebt betrachtend, was ein allgemeines Schmunzeln hervorrief.

»Sag mal, meine Trautgemahlin, werden wir beide auch nach dreißig Ehejahren noch so verliebt sein?« fragte Bertie, und Jo lachte.

»Wenn du mich mit deinem Pferdeverstand bis dahin nicht umgebracht hast, dann wahrscheinlich. Außerdem wären wir dann abgeklärte Leute voll Güte und Milde. Ich nämlich fünfundsiebzig und du achtzig.«

»Was gibt’s denn hier zu lachen«, wollte die Fürstin wissen, die soeben an den Tisch trat, Arm in Arm mit Doro. »Darf ich mithalten? Ich lache doch für mein Leben gern.«

»Dann man zu, Durchlaucht«, ermunterte der Hausherr. »Wir hielten uns nämlich vor, wie es sein müßte, wenn wir nach dreißig Jahren alle mit dem Kopf wackeln.«

»Müßte ein schöner Anblick sein«, schüttelte die zierliche Frau mit dem weißen Haar und den jungen Augen sich in komischem Entsetzen. »Denken wir nicht daran, heut’ ist heut’! Stoßen wir darauf an.«

Man tat’s – hauptsächlich Doro. In einem Zuge trank sie das Sektglas leer, dabei lachte sie den Gatten so lieblich an, daß ihm das Blut heiß in die Schläfen stieg. In seinen Augen blitzte es auf.

»Paß auf, jetzt packt er zu«, raunte Friedbert, der neben Jo saß, dieser ins Ohr. »Jetzt gibt er dem störrischen Rassegäulchen zuerst die Kandare – und hinterher Zucker.«

Da erhob sie sich mit spitzbübischem Lächeln, pirschte sich unauffällig an die Musikkapelle – und kam mit dem harmlosesten Gesicht an den Tisch zurück, während ein Tango aufklang. Und schon verneigte sich der junge Graf vor seiner Gattin.

Es war ein schönes Paar, ein elegantes Paar, das da zu den schmeichelnden Klängen über das Parkett glitt. Ein Paar, das der liebe Herrgott sich selbst zur Freude erschaffen zu haben schien. Daher ließ er es auch nicht in einer Durchschnittsliebelei gleich zueinanderfinden, sondern preßte ihre Herzen erst einmal durch die Keller des Schmerzes und der Sehnsucht. Solange, bis sie geläutert waren für ein Liebesglück, wie es nur den Sonntagskindern des Schicksals vergönnt ist.

Hüte dein Herz – da war die Warnung wieder, der diese beiden Menschen bisher gefolgt waren. Aber länger konnten sie es nicht, zu heiß brannten die Herzen einander zu. Es ist vergeblich, sein Herz zu hüten – klagte der Tango – und er hatte recht.

Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr aus noch ein – dachte Doro verzweifelt. Wo ist mein Stolz, wo ist mein Trotz geblieben, mit dem es mir bisher gelang, mein Herz zu hüten. Feige haben sie mich im Stich gelassen.

Und dabei sang die Geige doch so süß.

Zaghaft schaute sie auf, mitten in die Männeraugen hinein, aus denen es brach wie ein heißer blauer Strahl.

»Na, denn in Gottes Namen –«, flüsterte sie resigniert, und schon raunte eine Stimme an ihrem Ohr:

»Das war ein gutes Wort, kleine Dörth. Denn an Gottes Segen ist alles gelegen.«

Was dann geschah, ging blitzartig rasch. Doro spürte nur, wie sein Arm sie fester umfaßte, wie er sie ohne Erbarmen aus den Reihen der Tanzenden führte. Die Musik klang ferner und ferner, schwebte dann nur noch wie ein Hauch durch das Gemach, das abseits der Festräume lag.

Und in diese süße Weise hinein schwang eine Stimme dunkel wie in Moll:

»Nun, mein törichtes Mädchen, siehst du nun endlich ein, wie vergeblich es war, dein Herzchen zu hüten?«

»Edzard, hab Erbarmen und laß mich gehen!« flehte sie verzweifelt, und da lachte er – so das sieghafte Lachen, das an den Edzard erinnerte, als dieser noch unbekümmert sein Globetrotterleben genoß.

»Der Narr war ich einmal, mein zaubersüßes Kind – ein ganzes Jahr lang. Ein Narr des Mißtrauens, des skeptischen Wenn und Aber. Ein Narr, der sein Herz so ängstlich hütete – ihm dann doch unterlag –«

»O Edzard – du auch?«

Das hätte sie nicht fragen dürfen, begleitet von dem Blick, der ihre ganze Liebe verriet. Damit gab sie ihm ihr Herz in die Hände. Mund fand zu Mund, Mißtrauen gegen Mißtrauen verklang – und nur die Liebe triumphierte.

»Oh –«, sagte Doro nur, als sie wieder Luft schnappen konnte, und er lachte.

»Das hat gut getan nach all dem Hangen und Bangen. Ach, was waren wir doch nur für törichte Herzhüter, mein Herzliebelein.«

»Ja –«, bestätigte sie kläglich, das heiße Gesichtchen an seine Brust drückend. »Es ist so schwer, mit all dem Glück, das mir fast das Herz berstet, zu den Gästen zurückzugehen.«

»Ich weiß was, Liebchen«, sagte er lustig. »Wir rücken einfach aus – hinein in unsere Flitterwochen.«

»Geht das denn?«

»Und wie das geht! Natürlich nicht nach langem Palaver mit der Sippe, sondern ganz heimlich, still und leise, wie auch die Liebe zu uns kam. Du machst Tina und ich Balduin zu unsern Verbündeten. Sie packen unsere Koffer, der Chauffeur hält den Wagen bereit – und dann fliehen wir ins Land der Liebe. Einverstanden?«

»Mit Wonne! Aber wird unser langes Fernbleiben nicht auffallen?«

»Da hast du recht. Also machen wir es so: Nachdem ich unsern Getreuen Bescheid gesagt haben, kehre ich in die Gesellschaft zurück und mache allen blauen Dunst vor…«

»Na du, denk an die Jo…«

»Allerdings. Die hört das Gras wachsen und sieht durch sieben Bretter. Aber laß nur, es wird schon klappen. Halte du dich bereit.«

Noch rasch einen Kuß, dann ging er. Dorthin, wo das Fest im vollsten Gange war. In einer gemütlichen Ecke saß die liebe Familie, zu der seit heute nun noch die Fürstin Zern und ihr Vetter zählten. Sie taten bereits ganz familiär und entpuppten sich dabei als liebe Menschen.

»Nun Edzard, lassen Sie sich endlich blicken«, tat die Fürstin vorwurfsvoll. »Wo ist denn unser kleiner Goldfasan Dörth?«

»Der zwitschert irgendwo herum, Durchlaucht.«

Er nahm dem Diener, der gerade vorüberkam, ein gefülltes Sektglas vom Tablett, leerte es in einem Zuge – und schaute dann in Jos Augen hinein, in denen tausend Teufelchen zu lachen schienen. Er verneigte sich vor ihr, führte sie zum Tanz und tat zuerst einmal harmlos.

Bis sie mit dem entzückend spitzbübischen Lächeln, das ihr eigen, ein Haar nahm, das da wie Goldgespinst glänzte auf seines Frackes Schwärze.

Sie ringelte es um den Finger und hielt diesen dem verblüfften Mann unter die Nase.

»Ich würde auf einen Seitensprung tippen, Freund Edzard, wenn dieses Haar nicht einmalig wäre. Hat sich nun endlich das gleißende Köpfchen an Ihr Herz gelegt?«

»Frau Baronin, ich muß schon sagen…«

»Bitte, keine Ausflüchte, Edzard. Wo ist Doro?«

»Oben. Sie packt.«

»Wozu denn?«

»Für die Flitterwochen.«

»So wollen Sie heimlich verschwinden?«

»Jolein, ich bewundere Ihren Scharfsinn.«

»Na, viel davon gehört hier wohl nicht«, lachte sie mitten in seine strahlenden Augen hinein. »Verschwinden Sie, ich tarne Ihr Auskneifen schon so lange, bis es geglückt ist. Alles Glück der Erde wünsche ich Ihnen, Edzard – schon deshalb, weil meine Dörth damit verbunden ist.«

Da neigte der Mann seinen stolzen Nacken, drückte voll Verehrung seine Lippen auf die zarte Frauenhand und dirigierte seine Tänzerin geschickt bis zu einer Tür, durch die er unauffällig entschlüpfen konnte. Ein lachender Blick hüben und drüben, dann war der Mann verschwunden und eilte in langen Sätzen zu Herzliebelein, das schon ungeduldig seiner harrte.

»Hat’s geklappt?«

»Wo die Jo ihre Hand im Spiel hat, da klappt es immer. Fertig!«

»Schon längst. Die Koffer sind bereits im Wagen. Tina liebäugelt mit dem schmucken Chauffeur, und der gute Balduin wartet darauf, dir beim Umkleiden zu helfen. Nun geh schon.«

»Noch einen Kuß als Wegzehrung.«

Die wurde ihm gut und reichlich gewährt. Doch als er schon an der Tür war, rief sie ihn noch einmal zurück.

»Komm doch noch einmal her, Edzard –«

»Aber mit dem größten Vergnügen!«

»Nein, du, geküßt wird jetzt nicht«, schob sie den Übereifrigen lachend von sich. »Ich will dir nur was ins Ohr sagen.«

»O wie schön! Ich bin ganz Ohr.«

Fest zog er sie an sich, und was er dann zu hören bekam, ließ ihn schmunzeln. Dann blitzte es in seinen Augen auf.

»Natürlich, mein Süßes, so wird’s gemacht. Ganz genau so, Wort für Wort.«

Dann klappte die Tür zu – und Doro liefen die hellen Tränen übers Gesicht.

Wie kann ein kleines Menschenherz nur so viel Glück fassen – dachte sie erschüttert. Zumal dann noch, wenn es wie ein Wirbelwind hineinbraust. Vor einer Stunde noch war alles in mir so unstet und zerrissen – und jetzt ist es voller Glückseligkeit. So hartnäckig, wie ich vorher mein Herz hütete, so will ich jetzt mein Glück hüten. Und du, lieber Herrgott, der du es so gut mit mir meinst, wirst mir dabei bestimmt behilflich sein.

Zwanzig Minuten später saß sie im weichen Polster, von dem Arm des Gatten weich und warm umfangen. Wie traumverloren ging ihr Blick zu dem hellerleuchteten Schloß hin, wo an einem geöffneten Fenster sich ein menschlicher Körper gleich einer Silhouette abhob. Jetzt hob sich ein Arm, eine Hand winkte, Musik flatterte zu den Glückseligen hin, die sich lachend in die Augen sahen. Der Wagen rollte langsam ab, und wie ein schnurrendes Kätzlein kuschelte sich Doro fester in den molligen Platz.

»Das war ein Gruß von Jo –«, sagte sie verträumt. »Ich habe mein Herz gehütet – und Jo mein Glück.«

*

»Was lachen Sie denn so spitzbübisch in sich hinein, Baronin?« fragte die Fürstin, als Jo sich wieder dem fröhlichen Kreis zugesellte.

»Sie sind weg –«, erklärte sie einfach. »Auf der Hochzeitsreise.«

Hundert Fragezeichen waren gar nichts, die da in sieben Augenpaaren standen – und sieben verblüffte Gesichter waren zum Malen.

»Also, meine Herrschaften, so was von Begriffsstutzigkeit…«

»Jo, wenn du jetzt nicht deutlicher wirst, drehe ich dir den Hals um!« drohte Bertie, und sie lachte hellklingend auf.

»Trau ich dir ohne weiteres zu, da ich ja keinen kostbaren Pferdehals habe. Sie sind auf der Hochzeitsreise, ist das nicht deutlich genug erklärt. Sang- und klanglos ausgerückt sind

sie. Aha, bei Gräfin Linda scheint es langsam zu tagen. Begriffen?«

»Und wie!« lachte Linda auf, so recht von Herzen glücklich. »Wie konnte das geschehen, Jo?«

»Weil sie heute vergaßen, ihre stolzen, törichten Herzen zu hüten.«

Immer noch ein Nichtbegreifen, doch dann tagte es auch in den andern Hirnen. Nur in denen der Fürstin und ihres Vetters nicht, weil sie ja nicht im Bilde waren.

»Na endlich –«, seufzte Georg Sander so recht aus Herzensgrund. »Kinder, jetzt sauf’ ich mir einen an, daß ich in drei Tagen noch nicht nüchtern bin. Hältst du mit, Bertram?«

»Und wie!« kam es schmunzelnd zurück. »Ich habe nur noch etwas zu verkünden.«

Er erhob sich, ging zu den Musikern – und schon klang ein Tusch auf, der die Gäste zusammenrief. Erwartungsvoll sahen sie zu dem Gastgeber hin, der lachend sagte:

»Falls einer von den Herrschaften unser junges Paar, das ja heute die Wiederkehr seines Hochzeitstages feierte, vermissen sollte, so soll er wissen, daß sich das Paar zum zweiten Mal auf die Hochzeitsreise begeben hat – weil die erste doch zu schön war –«

Ein Jubel brandete auf, der sobald kein Ende nehmen wollte. Das war doch mal etwas, das aus dem Rahmen des Herkömmlichen fiel. Und dafür sind die Menschen ja stets zu haben.

»So –«, sagte Bertram zufrieden, als er sich wieder den andern zugesellte. »Jetzt brauchen sensationslüsterne Leutchen sich nicht den Kopf zu zerbrechen, warum unser junges Paar unsichtbar bleibt. Wie heißt es in einem alten Spinnstubenlied: Die Dornen und die Disteln, die stechen gar zu sehr, doch die falschen Zungen noch viel mehr. Und von so einem Gegeifer soll unser geliebtes Paar verschont bleiben.«

»Ganz richtig, denn sowas können auch Pferde nicht vertragen«, nickte Bertie tiefsinnig – und da brandete ein Lachen auf, das so viel Menschen anzog, wie die gemütliche Ecke nur aufnehmen konnte.

Und während es in dem großen Kreis gar lustig zuging, klärte Jo verstohlen die Fürstin über das auf, was allen, die das junge Paar so innig liebten, seit einem Jahr Herz und Seele bedrückt hatte.

»Das kenn’ ich –«, lächelte die vornehme Frau wehmütig. »So begann auch meine Ehe – und wurde dann doch noch der glücklichsten eine. Gott schütze und erhalte das schwer errungene Glück dem jungen Paar, das ich bereits fest in mein Herz geschlossen habe. Überhaupt alles, was Sölgerthurn heißt und zu ihnen gehört.«

»Ich bin ja auch so glücklich, mich zu ihnen zählen zu dürfen«, bekannte Jo ernst. »Denn bei ihnen ist alles aufgebaut auf Vornehmheit, Warmherzigkeit und gütiges Verständnis. Alles weiße Raben in unserer jetzt so bewegten Zeit.«

»Da haben Sie recht, Jo. Ich bin ja jetzt so einsam, seitdem mein treuer Ehekamerad mich verließ. Ich lechze förmlich nach ein bißchen Liebe und gutem Verstehen. Ob ich das wohl in dem festgefügten Kreis der Sölgerthurns finden werde, in den ich so rücksichtslos einbrechen will?«

»Sie sitzen ja bereits fest drin.«

»Wirklich?«

»Auf Ehre, Durchlaucht.«

»Na, den hochtrabenden Titel wollen wir doch mal gleich lassen. Der ist unter Freunden doch nun wirklich nicht angebracht. Und Freundinnen sind wir doch bereits – oder nicht, Jo? Ich heiße übrigens Annastasie – für meine Freunde kurz Stasi.«

Die Gläser gaben guten Klang – und neugierig rückte Bertie näher.

»Was macht ihr denn da. Trinkt ihr etwa Brüderschaft?«

»So ist es, mein lieber Mann. Neidisch?«

»Sollte mich plagen…«

In dem Moment überreichte ein Diener ihm einen Brief, den der Baron erst mißtrauisch von allen Seiten betrachtete und dann zögernd öffnete. Doch kaum hatte er die wenigen Zeilen gelesen, strahlte er auch schon über das ganze Gesicht.

»Paß auf, mein süßes Ponychen, was hier steht«, sagte er so aufgeregt, wie man ihn selten sah. »Paßt du auch wirklich gut auf?«

»Aber ja…«

»Dann höre und staune: Ira wiehert ihrem neuen Herrn ein fröhliches ›Pferdeheil‹ zu. Sie präsentiert sich als Dank von zwei Menschen, die ihre Herzen so schlecht hüteten.«

Tatsächlich, der Mann hatte Tränen in den Augen, über die Jo zärtlich strich.

»Bertie, es ist ein Zeichen, daß auch Menschen dankbar sein können – nicht nur Pferde.«

Da lachte der Mann auf, so herzlich frisch und froh, daß all die andern mitlachen wollten. Doch das durften nur die beiden Ehepaare Sölgerthurn und Sander nebst dem Herrn Diplomaten a.D., der heute so aufgeräumt war wie nur je.

Und das alles hatte ein junges Paar zuwege gebracht, das sich nun unbeschwert seinen Flitterwochen hingab. Wohl ein Jahr zu spät, aber darum um so köstlicher. Denn es hatte ja nicht in Verliebtheit zusammengefunden, sondern nach einem Jahr mißtrauischer Prüfung in heißer, alles umfassender Liebe.

So strolchten sie denn frohgemut durch die schöne Gotteswelt. Nahmen alles mit, was sich ihnen bot, unbekümmert, ohne das Portemonnaie verschließen zu müssen.

Was sie auch unternehmen mochten, geschah immer gemeinsam. Hatte sie einen besonderen Wunsch, wurde er zugebilligt, hatte er einen Wunsch, geschah dergleichen.

Vier Monate währte das glückselige Herumstrolchen von Land zu Land, von Ort zu Ort, dann wurde die bezaubernde junge Gräfin, der Abgott des Eheherrn, blaß und still.

»Herzliebelein, was hast du denn?« forschte er ängstlich. »Bist du etwa krank?«

»Von einer Krankeit, die nur vorübergehend ist«, lachte sie ihn lieblich an, was ihm immer noch das Blut heiß zum Herzen schießen ließ. »Übers Jahr, mein Schatz, übers Jahr, wenn das Heu so würzig in Rautenau duftet, wird es auch eine kleine, hoffentlich echt Sölgerthurnsche Nase kitzeln.«

»Herzliebste Frau – du willst damit sagen –?«

»Ich sage, herzliebster Mann.«

Da hatte er begriffen. Und seit dem Tage galt seine Dörth ihm als Heiligtum.

*

Es war ein Junitag voll Duft und Reife, ein Ausklang des Götterknaben Mai – und die Krönung einer glückseligen Ehe. Denn das war der kleine Erbherr von Rautenau, der da in seinem Spitzenbettchen ruhte und sich so gar nicht seines Wertes bewußt ward. Er stieß die winzigen Fäustchen wie zornig in die Luft, brüllte nach Leibeskräften, um schließlich zu resignieren. Das Däumchen fuhr in den kleinen Mund, die blauen Augen schlossen sich, und das Gesichtlein schien verächtlich auszudrücken:

»Macht doch bloß nicht so ein Theater um mich.«

»Na, wenn das kein echter Sölgerthurn ist«, schmunzelte Baron Bertie, der das kleine Menschenwunder genauso verliebt betrachtete wie die andern alle, die da waren: Der junge Vater, die beiden Großelternpaare, der kindliche Onkel Jörn, die gerührte Jo und die Fürstin Zern, die indes ihren ehescheuen Vetter gleichen Namens geheiratet hatte.

»Aus lauter Einsamkeit fanden wir uns zusammen«, pflegte sie lachend zu sagen. »Aber ich glaube, es ist dennoch ein Glück – wenn auch ein spätes.«

Diese zehn Menschen umstanden nun das Babykörbchen vol­ler Andacht. Und hätte jemand gewagt zu behaupten, daß das Menschlein darin einem niedlichen Äffchen glich, wäre man dem Vermessenen voller Empörung an den Hals gefahren. Denn was da vor ihnen lag, war ein winziger Knabe mit großer Bedeutung, der kleine Träger eines alten, feudalen Geschlechts – schlechthin gesagt: Ein echter Sölgerthurn.

Und die kleine Mama? Ganz ohne viel Trara hatte sie dem alten Stamm das junge Reislein aufgepfropft.

»Ich sagte es ja schon immer, daß unsere Dörth Rasse und Klasse ist«, meinte der Gestütler bedächtig. »Genauso wie unsere Ira, die hat auch ihr Fohlchen gewissermaßen aus den Hufen geschüttelt…«

Die allgemeine Entrüstung ließ ihn schweigen. Man wollte ihn sogar lynchen. Er war sogar gekränkt.

»Na, ich meine, ein größeres Lob kann man der Dörth doch nun wirklich nicht spenden.«

Lachend entschwand der junge Vater. Es zog ihn zu seiner Trautgemahlin, die ihm vom Bett aus munter entgegenlachte.

»Dörth, du wonniges kleines Etwas«, sagte er erschüttert. »Gibt es überhaupt etwas, das dich kleinkriegen kann? Hast du denn noch nicht genug ertragen in den letzten, qualvollen Stunden?«

»Ach was, das ist schon längst vergessen. Freust du dich über unsern Jungen?«

»Freuen – das ist gar kein Ausdruck, du liebste Frau. Danken möchte ich dir, so recht aus tiefstem Herzensgrund danken.«

Er sank vor dem Bett in die Knie. Legte seinen Kopf in die zarten Hände wie ein vertrauendes Kind. In seinem Herzen war ein Glücksgefühl, das ihm fast die Brust sprengen wollte.

»Doro und Dörth –«, sagte er andächtig. »Zwei Namen, die für mich die Welt bedeuten. Ich liebe dich.«

Und dann küßte er behutsam die Tränen fort, die über das wunderholde, jetzt noch so blasse Gesichtchen perlten – es waren Tränen des Glücks.

Leni Behrendt Box 1 – Liebesroman

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