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Der Kutscher

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Einst fiel ein Mann zwischen die Welt der Wirklichkeit und der Welt des Traumes. Er beabsichtigte eigentlich von der Welt des Lebens in die Welt des Todes zu wechseln, da er im Leben nicht mehr zu Recht kam. Zu viele Veränderungen geschahen beinahe zeitgleich in seinem Leben und er stellte sich die Frage nach dem Sinn. Doch er konnte keine Antworten auf seine Fragen finden und alles wuchs ihm zunehmend über den Kopf.

Darum nahm er eines Abends einen giftigen Drogencocktail zu sich, der ihn aus dieser Welt flüchten lassen sollte.

Als er einschlief, seine vermeintlich letzten Gedanken bei den großen Geheimnissen des Lebens, da glitt er nicht aus dem Leben sondern in eine Zwischenwelt.

Als er dort die Augen aufschlug spürte er keine Enttäuschung ob seines missglückten Selbstmordes, kein Entsetzen über die fremde Welt aber dafür eine tiefe, innere Ruhe. Diese Zwischenwelt war friedlich.

Als er sich umblickte, da sah er über sich nicht bloß die Nacht sondern das ganze Weltall. Welten zogen über ihm vorbei, bunte Galaxienebel zeigten Entstehen und Vergehen von Planeten und Welten.

Er sah Sonnen die Licht und Leben spendeten, und Sonnen die sich aufmachten um ihre Kinder zu verschlingen.

Die Bewegungen des Universums liefen beschleunigt ab, so konnte er Zusammenhänge erfassen, die ihm davor unerschlossen blieben. Alles schien richtig zu sein, so wie es war. Alles war bedeutend, alles war plötzlich sinnvoll.

Unter sich sah er nur Nebel, einen festen Boden konnte er nicht spüren. Der Nebel umgab seine Füße und Waden nur im Umkreis von ein paar Metern, danach zerfaserte er und gab wieder dem Weltall Platz.

Trotzdem fühlte er sich nicht gefangen auf diesem Plateau aus Nebel, das sich in einem unendlichen Universum befand. Er fühlte sich, so alleine im Nichts stehend, geborgen.

Und über allem lag kosmische, echolose und wohltuende Stille die Zeit für ruhige Gedanken ließ.

Während er das Universum voller Ehrfurcht betrachtete und die unendliche Größe spürte, da drehte er sich um und sah eine schwarz polierte Kutsche die aus dem Weltall auf das Wolkenplateau, auf dem er stand, zugeflogen kam. Die beiden ebenfalls schwarzen, vor die Kutsche gespannten, Pferde bewegten ihre Hufe in einem sanften Trab, und die Räder drehten sich im Einklang miteinander, obwohl es nirgends festen Boden gab, auf dem sich die Hufe abstoßen oder die Räder drehen konnten.

Auf dem Kutschbock saß ein alter weißhaariger und runzliger Mann dem man selbst unter seinem schwarzen Mantel und dem schwarzen Zylinder ansah, dass er sehr ausgemergelt war.

Die Augen des Kutschers waren auf den Mann gerichtet der vorgehabt hatte sich umzubringen.

Diesen strahlend blaugrünen Augen haftete etwas Großes an, das nicht zu beschreiben war. Diese Augen schienen ein See aus Weisheit zu sein. Mehr noch, denn neben Weisheit strahlte der Mann eine Tiefgründigkeit und ein Mitgefühl aus, das dem, der in die Zwischenwelt gefallen war, noch nie begegnet war.

Die Kutsche mit dem geschlossenen Verdeck, den goldenen Verzierungen auf dem schwarzen Holz und den zugezogenen Purpurvorhängen vor dem Fenster kam so vor ihm auf dem Wolkenplateau zu stehen, dass sich der Kutschbock nun genau vor ihm befand und der alte Mann ihm tief in die Augen blickte.

„Komm, steig auf“, sagte dieser in einem Plauderton, als ob sie seit Ewigkeiten Freunde wären. Als er das gesagt hatte, griff er neben sich und reichte ihm eine dreistufige Trittleiter hinunter. Der Reisende stieg mit Hilfe der Trittleiter zu dem alten Mann auf den Kutschbock und setzte sich, nach dem dieser ein wenig nach Links gerückt war, zu ihm.

Sogleich gab der Kutscher eine Bewegung mit den Zügeln und die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung. Sie hob am Ende der Nebelwolken wieder ab und die Hufe der Pferde schlugen wieder ins Nichts, und natürlich waren dabei auch keine Geräusche zu hören.

Nachdem sie eine Weile durch das Universum geglitten waren, fragte der Mann den Kutscher: „Warum bin ich hier?“

„Wo wärst du, wenn du nicht hier wärst?“, fragte ihn der Kutscher zur Antwort.

Der Mann dachte eine Zeit lang über die Frage nach, ehe er meinte: „Ich würde zu Hause tot im Bett liegen.“

Der Kutscher nickte und blickte weiter in die Unendlichkeit hinaus, als ob er einen bestimmten Weg befahren würde, von dem er nicht abkommen wollte.

Nach einer weiteren Zeit sprach der Mann nachdenklich weiter: „Aber genau das sollte ich eigentlich. Tot zu Hause im Bett liegen. Warum bin ich dennoch hier?“

„Du solltest eben nicht tot zu Hause im Bett liegen, genau darum bist du hier. Sieh dich um und sag mir was du siehst.“

„Ich sehe das Universum. Ich kann sehen wie Welten entstehen und wieder vergehen. Meine Gefühle dabei sind sonderbar. Es scheint nicht schlimm, wenn Welten vergehen. Es scheint einen Zusammenhang zu geben und richtig zu sein. Als ob es in ein großes Gefüge passt. Nur leider habe ich das Gefühl nicht alles zu sehen, obwohl ich das ganze Universum vor meinen Augen habe. Es muss noch etwas hinter dem Universum sein das ich nur mit den Gedanken, mit meiner Seele, erkennen kann, da es auf einer anderen Ebene des Seins existiert. Einer Ebene, die man nicht mit den Sinnen wahrnehmen kann. Das ist es, was ich sehe.“

Wieder nickte der Kutscher. „Du siehst richtig“, meinte er, „denn du sagst die Wahrheit. Dinge vergehen weder Grundlos noch Folgelos. Dir ist bestimmt schon einmal aufgefallen, dass sich ein vermeintlicher Fehler später in etwas verwandelt hat, dass dir viel mehr gebracht als genommen hat. Sieh die Welt nicht nur mit den Augen sondern mehr mit dem Geist. So siehst du richtig. Du wirst so unendlich viele neue Entdeckungen machen, die dich lehren werden.“

„Was werden sie mich lehren?“, fragte der Mann.

„Alles, was du wissen willst.“, lautete die schlichte Antwort des Kutschers dessen Augen seit dem Blick vorhin steif in die Unendlichkeit schauten.

„Aber wenn man alles weiß, wofür will man dann noch leben?“, lautete eine weitere Frage des Mannes.

„Das wirst du dann schon wissen“, erwiderte der Kutscher verschmitzt.

Der Mann seufzte, besah sich das Weltall und sprach: „Ich fühle mich so fehlerhaft, so ausgestoßen vom Leben. Ich habe viel Falsch gemacht was mir wohl nie vergeben werden wird. Mein ganzes Leben tut mir so Leid.“

„Wie kannst du so etwas sagen? Sobald du deine Fehler erkennst, werden sie dir vergeben werden. Es ist so unglaublich einfach. Und ohne Fehler ist man schließlich kein Mensch. Man muss sie begehen, manchmal sogar absichtlich, um Erfahrung zu machen. Wenn du nicht weißt was Schlecht ist, woher willst du dann wissen was Gut ist? Fehler sind gut, solange man sie auch als solche erkennt. Das bringt dich dem Menschsein näher.“

„Was weißt du über den Sinn des Menschen?“, damit stellte der Reisende eine gewichtige Frage.

„Ich weiß dasselbe was du weißt“, antwortete der Kutscher, „Jeder kennt schließlich den Sinn seiner Existenz, den Sinn vom Leben. Warum sollte Gott dem Leben einen Sinn geben, wenn er gleichzeitig den Menschen so dumm gemacht hätte, dass er ihn nicht verstehen kann? Der Sinn muss so einfach sein, dass ihn jedes Tier spürt. Also auch der Mensch.

Der Sinn des Lebens ist das, was du tust. Der Sinn der Menschen ist das, was sie tun. Sie sind dazu geschaffen diesen Sinn zu erfüllen, nicht danach zu suchen. Sie kennen ihn bereits, es ist eine Art Gefühl in ihnen, in dir. Leider ist es nicht in Worte zu fassen, denn es ist zu komplex für Sprache. Aber nicht komplex genug für die Seele, den Geist.

Geh ihn dich und suche. Befrage nicht deinen Verstand, befrage deinen Geist.“

Der Mann verinnerlichte diese Worte dankbar.

„Vielen Dank“, sagte er deshalb.

Und der Kutscher antwortete: „Das habe ich gerne gemacht. Du hast mich gefragt und ich habe dir geantwortet. Man muss die Dinge selbst erkennen um sie zu verstehen. Ich helfe immer gerne, wenn man etwas verstehen will. Nur bei unlösbaren Problemen kann ich nicht helfen, denn diese lösen sich von selbst.“

Wieder dachte der Mann über die Weisheiten des Kutschers nach.

„Wer sitzt eigentlich in der Kutsche? Wen bringst du wohin?“

„In meiner Kutsche ist Alles. Gutes und Böses bringe ich überall hin, denn beide zusammen sind die antreibende Kraft in der Welt. Sie halten gemeinsam die Welt in Bewegung, wo eines alleine den Stillstand bringen würde.“

„Hm“, machte der Mann. „Wenn man es so betrachtet, dann liegt im Bösen etwas Gutes. Und im Umkehrschluss muss das bedeuten, dass auch im Guten etwas Böses liegt. Denn Alles ist in Allem.“

„Du hast Recht. Alles ist in Allem. Ein gutes Beispiel sind die Fehler die auch etwas Gutes haben“, stimmte ihm der Kutscher zu.

Nach einer langen Zeit der Stille und des Blickens in das Universum, brach der Kutscher diesmal das Schweigen: „Nun wirst du wieder zurück kehren, denn du hast gelernt.“

„Wohin werde ich zurückkehren?“

„Na zurück in deine Welt, in dein Bett. Aber hab keine Angst, du wirst dort nicht Sterben. Alles, was passieren soll, wird passieren. Dein Tod jedoch sollte jetzt nicht passieren, darum habe ich eingegriffen. Hin und wieder tue ich das und gebe dem Leben eine neue Richtung die besser ist. In gewisser Weise gibt sich das Leben von Manchem von selbst eine neue Richtung, denn man muss sich erst vollkommen verlieren um sich Selbst finden zu können.“

„Gut, dann bringe mich zurück. Aber bevor du das tust, verrate mir doch bitte deinen Namen. Du hast heute mein Leben und meinen Geist gerettet, darüber hinaus hast du mir Weisheit geschenkt. Ich will wenigstens den Namen von dem wissen, dem ich so unendlich dankbar bin.“

„Dein Leben habe ich wohl gerettet, doch die Weisheit hattest du schon vorher. Lediglich den Weg zu ihr hab ich dir gezeigt. Du willst wissen, wer ich bin? Ich bin wie der Sinn des Lebens. Alle kennen mich, doch Worte gibt es für mich keine. Und das ist schon genug das du wissen musst.“

Obwohl er sicher war, dass die Kutsche nur gerade aus gefahren war, tauchte vor ihm wieder der Nebelfleck auf, auf dem er von der Kutsche abgeholt wurde. Und als die Räder der Kutsche dort zum Stillstand gekommen waren und er abgestiegen war, da wachte er plötzlich wieder in seinem eigenen Bett auf. Er sah, dass er eine viel zu hohe Dosis von dem Gifttrank zu sich genommen haben musste, denn er hatte sich wohl kurz vor seinem Tod übergeben, so dass das gesamte Gift seinen Körper verlassen hatte.

Der Perspektivenwechsel des himmlischen Kutschers

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