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Gandalfs Verführung
ОглавлениеDass der Rodensteiner Wolf mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks den Leuten in seiner Umgebung Ärger bereitete, darauf konnte man sich absolut verlassen. Er konnte einfach nicht anders. Es lag ihm ins Blut sozusagen. Das wäre allerdings nur halb so schlimm, wenn er den Ärger, den er bereitete, auch jeweils aus eigener Kraft wieder in die Reihe hätte bringen können. Aber genau das konnte er eben meist nicht. Fast jedes Mal musste die Weise Waldeule intervenieren und nicht selten bedürfte es einer kompletten Hilfstruppe, um ihn aus der selbst verschuldeten Bredouille heraus zu manövrieren. Wie neulich wieder gleich zweimal hinter einander.
Zunächst ging es nur darum, dass der Rodensteiner Wolf es irgendwie fertiggebracht hatte, auf dem Hofgut Rodenstein den Schwanz im großen Scheunentor einzuklemmen. Na ja, dieses Teil „Schwanz“ zu nennen ist eigentlich schon ein wenig euphemistisch, denn das, was davon übrig geblieben ist, nachdem der Rodensteiner Förster ihm eines Tages eine Ladung Schrot in selbigen Körperteil praktiziert hatte, erzeugt wohl eher Heiterkeit als Respekt, so verhutzelt es seitdem ausschaut. Dabei hatte der Rodensteiner Förster ihn deutlich genug gewarnt, was ihm blühen würde, sollte er es noch einmal wagen, hinter den Weihnachtsgänsekücken vom Hofgut-Wirt her zu schleichen. Aber ja, erzähl dem Rodensteiner Wolf mal, das er dies oder jenes besser lassen soll. Du kannst eine Wette darauf abschließen, dass er es gerade drum machen wird. Von daher eigentlich kein Wunder, wenn er so oft Ärger hatte.
Nun mag es vielleicht gerade daran liegen, dass dem Rodensteiner Wolf seine Rute ziemlich arg lädiert war, dass er sie nicht mehr so ganz unter Kontrolle hatte und von daher dieses ehemals prachtvolle Teil wohl gelegentlich wo herumhing, wo es besser fern bliebe. In sofern war das womöglich jetzt auch nicht ganz seine Schuld. Die vom Rodensteiner Wolf meine ich. Obwohl, was in aller Welt hat denn der Rodensteiner Wolf schon wieder am Scheunentor vom Hofgut Rodenstein zu suchen, wenn nicht zwecks Durchführung irgendeines unlauteren Vorhabens.
Nachher kam es freilich raus, um was es ging. Weil der Gandalf, der dortige Hofkater, es mir ein paar Tage später gesteckt hat. Wohlweißlich hat der Gandalf das nicht der Weisen Waldeule verklickert. Denn wenn die eines noch mehr hasst, als dass sie andauernd in Sachen Rettung vom Rodensteiner Wolf herum zu fliegen hat, dann ist das wohl das Gepetze vom Gandalf. In diesem Fall tat der Gandalf sowieso besser daran, der Weisen Waldeule gegenüber die Klappe zu halten, denn wenn man es genau nimmt, war die ganze Geschichte eigentlich auf seinen Mist gewachsen. Von daher, dass der Gandalf auch derart die Schadenfreude geschoben hat, dass er es nicht für sich behalten konnte. Was nutzt einem die schönste Schadenfreude, wenn man es keinem erzählen kann.
Gandalf, dem gelegentlich wohl auch Zugang zur Gaststube und Küche vom Hofgut gewährt wird, hatte mitgekriegt, dass der Küchenchef am Gebälk der Scheune an einem Eisenhaken einen dicken rohen Schinken zum an der Luft trocknen aufgehängt hatte. Hoch genug, dass Katzen und Marder nicht dran kommen konnten. Der Eisendraht zum Haken lang und dünn genug, dass Mäuse und Ratten da keinen Halt dran hätten, und der Schinken tief genug hing, dass der Küchenchef sich da bei Bedarf selbst schon mal eine Scheibe oder zweidrei von abschneiden konnte.
Man kann sich denken, dass der Gandalf wohl mehr als einmal in der Scheune gehockt und gegrübelt haben wird, wie er an jenem schmackhaften Brocken dran kommen könnte. Der Gandalf wäre nicht der Gandalf, wenn ihm dabei nicht irgendetwas komplett Hinterlistiges eingefallen wäre, bei dem allenfalls ein anderer den Ärger abbekäme, falls die Sache schief gehen sollte.
Jedenfalls hat der Gandalf dem Rodensteiner Wolf die Sache mit dem Schinken gesteckt. Er hat ihm sogar gezeigt, wo in der Scheune noch ein Beistelltisch stand, den der Wolf mit etwas Mühe unter der Beute hätte schleppen können, sodass er locker dran gekommen wäre.
Also ist der Rodensteiner Wolf eines Morgens in aller Frühe, noch bevor das Küchenpersonal zum Dienst erschien, aus den umgebenden Wald herangeschlichen, um sich Zugang zur Scheune zu verschaffen. Wie auch immer er das angestellt hat, er hat das Scheunentor offenbar soweit auf bekommen, dass er sich hindurch hätte zwängen können. Da er den Torflügel noch nicht gesichert hatte, ist dieser - als er sich noch mal umdrehte um den Gandalf zu sagen, er solle gleich mitkommen - hinter ihm wieder zugeknallt, noch bevor der Räuber in spe dazu kam, seine Rute einzuziehen. Mit der bekannten Folge.
Laut zu jaulen hat er sich freilich nicht getraut, denn damit hätte er zweifellos die gesamte Belegschaft vom Hofgut auf den Plan gerufen. Man kann sich vorstellen, wie es ihm da ergangen wäre. Also musste er sich auf ein ziemlich leises Winseln beschränken.
Ausnahmsweise war es mal von Vorteil, dass der Kleine Wolf an dem Tag seinen Onkel besuchen wollte, wo ich ihn sonst eher heftig davon abrate. Gescheites kann er dort gewiss nicht lernen. Als er in der Frühe am Ort des Geschehens kam und die Bescherung sah, zögerte das clevere Kerlchen keinen Moment, die Tauben vom Rodensteiner Schlag zur Weisen Waldeule zu schicken.
Zum Glück waren die Tauben vom Rodensteiner Schlag, seit sich unter der Ruine jene schreckliche Tragödie mit dem Schutzdrachen Wigolant zugetragen hatte, echt alert geworden. Wo sie sonst eher etwas poetisch veranlagt waren, hatten sie dieses Mal sofort begriffen, dass es jetzt erst richtig interessant werden könnte und eine kleine Truppe ihrer besten Flieger los geschickt.
Da damit zu rechnen war, dass die Mäusebevölkerung der Rodensteiner Ruine den Braten in Null Komma Nix gerochen haben würden und sie dem dortigen Wolf aus reihenweise von guten Gründen alles andere als freundschaftlich ergeben waren, konnte man absehen, was da in weniger als zehn Minuten für eine Gaudi los gewesen wäre. Man kann sich die Szene lebhaft vorstellen: Ein paar Hundert Mäuse verhöhnen den gefangenen Wolf, während dieser, schäumend vor Wut, sich nicht zu wehren imstande ist. Irgendwann hätte der Rodensteiner Wolf sich über alle Vernunft und Schmerzen hinweg gesetzt, sich losgerissen und unter der ihm umgebenden Mäusepopulation ein Massaker angerichtet.
In kluger Voraussicht hat die Weise Waldeule deshalb einen kleinen Umweg gemacht, um mich zuhause abzuholen, damit ich das Mäusevolk irgendwie zur Raison bringe. Und den Gandalf gleich mit, denn das der sich das Spektakel nicht entgehen lassen würde, war von Anfang an sowieso klar. Den Respekt, den ich unter den örtlichen Nagern genieße, kam da freilich gut zu pass. Und das der Gandalf mir gegenüber zahm ist wie ein Stubenkätzchen, liegt wohl vor allem daran, dass mir einige seiner bestgehüteten Geheimnissen, seiner diversen Schrulligkeiten und Schandtaten betreffend, wohl bekannt sind. Er kann es einfach nicht riskieren, dass ich der Weisen Waldeule oder gar den Sieben Elfen gegenüber einmal richtig auspacken würde.
Na ja, was soll ich sagen. Es kam freilich wie vorhergesehen. Bis wir dort eintrafen waren, außer den unvermeidlichen Gandalf, schon so um die sechshundert Mäuse aus der Ruine herbeigeströmt. Der Gandalf tat so, als würde er die Mäuse nicht sehen, denn dann hätte er sie von Amtswegen jagen müssen, aber er wollte freilich nicht auf deren Spektakel verzichten, logo. Meine weitläufige Verwandtschaft war schon fleißig dabei, vor dem Wolf herumzutanzen, immer knapp an seiner Schnauze vorbei, während sie despektierliche Sprüche von sich gaben und immer wieder „Der Wolf ist eingefaaahaaangen“ skandierten. Ein paar ganz verwegene Exemplare sprangen zwischen dem Wolf seinen Hinterläufen hindurch und schnappten nach seinen Kronjuwelen, wohl wissend, dass er sich kaum bewegen konnte, ohne sich selbst noch mehr Schmerzen zu bereiten. Dass der Rodensteiner Wolf sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium von Panik befand, war unübersehbar. Die Augen quollen hervor, die Lefzen weit geöffnet, die Zunge hing ihm tief herunter und sein Fell sträubte sich in alle erdenklichen Richtungen.
Nun ist der Rodensteiner Wolf eigentlich nicht jemand mit dem man spontan viel Mitleid hat, nach dem was er in den letzten Jahren so alles angestellt hat. Aber was zu viel ist, ist zu viel. So eine Schande sollte man seinen schlimmsten Feind nicht wünschen. Das konnte man ja nicht mit ansehen.
Die Weise Waldeule, sonst eigentlich eher für ihre zurückhaltende Art bekannt, stieß noch bevor sie landete einen durchdringenden schrillen Schrei aus, der mir von den Schnurbärtchen bis zur Schwanzspitze wie ein Elektroschock durch das Fell schoss. Woraufhin alles was Pfote hatte augenblicklich zum Eisblock erstarrte. Um ein Haar wären noch ein paar Tauben aus der Luft gefallen. Ich ließ mich noch im Flug von ihrem Rücken fallen und mit dem Schwung der Landegeschwindigkeit direkt vor der Mäusetruppe rollen.
Mein Charterflieger marschierte schnurstracks zum Wolf und herrschte ihn an, er solle auf der Stelle das Maul zumachen und sich unterstehen, sich in den kommenden zwei Minuten auch nur ein Millimeterchen zu bewegen. Das Wolfsmaul klappte zu und nickte heftig, dass ja. Zur gleichen Zeit stellte ich mich vor meinen Verwandten und schrie aus Leibeskräften: „Aufstellung in Zehnerreihen. Zack zack! Ein bisschen dalli, wenn ich bitten darf. Und wer das Wort ‚Wolf‘ oder ‚eingefangen‘ auch nur zu hauchen wagt, kann heute mit einer Gesangsstunde vom Feinsten rechnen, lasst euch das gesagt sein.“ Ich musste mir die Hutkrempe ein Bisschen vor die Beißerchen ziehen, damit man mein Grinsen nicht sehen konnte, so schnell huschte die Mäusebande in die Zehnerreihen-Marschformation.
Na ja, der Rest ist schnell erzählt. Während die Weise Waldeule den Wolf in Schach hielt, dirigierte ich die Mäusetruppe zum Scheunentor, wo ich sie in Windeseilen in Fünfziger-Reihen direkt am Torflügel Aufstellung nehmen ließ. Auf meinem Kommando fingen sie alle gemeinsam an, gegen das Scheunentor zu drücken, das sich nach einem kurzen Moment leise quietschend Millimeter um Millimeter öffnete. Als der Torflügel ein paar Zentimeter geöffnet war, gab er die eingeklemmte Rute vom Wolf wieder frei. Dieser machte einen Satz vom Tor weg, damit er nicht gleich wieder eingeklemmt werden konnte. Gleich weg zu rennen traute er sich nicht. Die Weise Waldeule hätte ihn sowieso in Sekunden wieder eingeholt.
Die Mäuse ließen den Torflügel langsam wieder zurückgleiten und kamen die eine nach der anderen, noch schnaufend vor Anstrengung, zurück auf den Scheunenvorplatz. Ich blitzte sie alle noch einmal wütend an und empfahl ihnen mit einem Kopfnicken in Richtung Ruine, sich schnellstens aus dem Staub zu machen. Da wäre sowieso jedes Wort zu viel gewesen. Mal davon abgesehen, dass ich mir schon ein wenig verlogen vorgekommen wäre, hätte ich ihnen irgendeine Predigt gehalten im Stile, wie schamlos es sei, sich auf Kosten des ‚armen Wolfes‘ derart aufzuführen.
Unterdessen hatte die Weise Waldeule sich den Rodensteiner Wolf vorgeknüpft. Sie drohte ihn damit, wenn er sich wieder mal bei einem derartigen Blödsinn erwischen ließ, sie die Sieben Elfen herbeirufen würde. Und da diese schon einmal damit gedroht hatten, den Tunichtgut zu seinen Verwandten in die Karpaten zu verbannen, damit die ihm in ihrer berüchtigt robust-freundlichen Art mal ein paar Manieren beibiegen könnten, blieb dem ertappten Einbrecher nichts anderes übrig, als demütig mit dem Kopf zu nicken und irgendetwas von „Besserung“ und „ehrlich bemühen“ zu hauchen.
„Und überhaupt, was wolltest du denn in der Scheune“, fügte die Weise Waldeule noch hinzu. Aber dann besann sie sich, dass sie das lieber nicht so genau wissen wollte und sagte: „Ach, was soll’s. Schau, dass du dich aus dem Staub machst, bevor das Personal hier nach dem Rechten sehen kommt“, und gab dem Wolf damit zu verstehen, dass er abtreten könne.
Die Weise Waldeule hat mich dann wieder heimgebracht, wo meine liebe Freundin Ameise Pimperle schon einen Topf, randvoll mit frisch gekochten Spaghettis mit Käsesahnesoße auf den Tisch gestellt hatte. Sie weiß ja, wie hungrig ich manchmal bin, wenn ich von so einem Einsatz wieder nach Hause komme. Und dass die Weise Waldeule sich bei dieser duftenden Mahlzeit keine zweimal bitten ließ, braucht man wohl kaum betonen. Den Gandalf habe ich am nächsten Tag in die Mangel genommen. Aber was er mir dabei zu beichten hatte, das wisst Ihr ja schon.