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2.

Instabilitäten

Andernorts, zur selben Zeit

Sirenen jaulten durch die Hauptleitzentrale der Werft APERAS KOKKAIA.

Nur mit Mühe schaffte es Lywena, der das Kommando innehatte, solange Kaowen die Zerstörungszone begutachtete, den Überblick zu bewahren. Techniker, Wissenschafter, Soldaten und andere Spezialisten brüllten durcheinander. Verzweifelt versuchten Xylthen und Badakk-Siebenerbündel, Ordnung in das Chaos zu bringen, das durch QIN SHIS unvermitteltes Erscheinen noch gesteigert worden war.

Lywena schauderte. Die Superintelligenz hatte jedem Einzelnen, auch ihm, das Gesicht gezeigt.

Er war zum ersten Mal in den Genuss dieser Erfahrung gekommen. Minuten danach schlotterten ihm immer noch die Beine.

Sein eigenes Gesicht hatte sich reliefartig aus einer Wand gewölbt! Riesenhaft vergrößert und irgendwie charismatischer, doch unverkennbar. Perfekt nachgebildet in jeder Einzelheit, bis hin zur Tätowierung über dem rechten Stirnwulst, die den Anschein erwecken sollte, das Auge könne in alle Richtungen zugleich schauen.

Was QIN SHI zweifellos tatsächlich vermochte, im Unterschied zu Lywena ... Sein Gesicht, benutzt von der Superintelligenz, hatte ungleich markanter, bestimmter gewirkt, zugleich schmerzlüsterner und unbarmherziger.

Ihm war es vorgekommen, als erkenne er in den Augen überdies ein Flackern von Irresein. Aber wahrscheinlich hatte sich darin nur seine eigene Unsicherheit gespiegelt.

»Träumst du, Adjutant?«

Ertappt fuhr Lywena herum. »Ich bitte um Vergebung, Protektor Kaowen, dass ich deine Ankunft nicht bemerkt habe.«

Der Oberkommandant, der wohl wie meist über ein Transitparkett in die Zentrale gelangt war, klopfte ihm auf die Schulter. »Schon gut, wir stehen alle noch unter dem Eindruck der Begegnung mit QIN SHI.«

Spätestens in diesem Moment war Lywena hellwach, ja im höchsten Alarmzustand. Solch amikales Verhalten legte der Protektor gewöhnlich nur an den Tag, wenn er das zukünftige Ziel einer harten Disziplinierung in Sicherheit wiegen wollte. »Wü... wünschst du einen Statusbericht?«

Kaowen vollführte eine knappe, zustimmende Handbewegung. Das entsprach schon eher seinem Stil, er war kein Freund unnötiger Worte.

Der bullige Protektor der QIN-SHI-Garde, dem man seine Nahkampfstärke ansah, trug die übliche einteilige, eng anliegende Uniform. Deren tiefschwarze Farbe kontrastierte mit der hellen Haut des vollkommen haarlosen Kopfes. Kaowen lächelte ermunternd; aber seine schwarzbraunen Augen lächelten nicht mit.

»Die Lage in der Werft«, begann Lywena, »stellt sich uns ernster dar als noch vor Kurzem angenommen.«

*

APERAS KOKKAIA, der Ort des Wandels, war eine gigantische Hohlkugel mit einem Innendurchmesser von 133 Kilometern.

Durch die Detonation des aus der Anomalie im Zentrum hervorgekommenen Gebildes, das Kaowen als »Sonnenbombe« bezeichnet hatte, waren mehrere Sektoren der Werftinnenseite schwer beschädigt worden. Restenergien der Urgewalten, vergleichbar mit dem Aufriss einer extrem starken Strukturbombe, hatten die schützenden, formenergetischen Wolken rings um die Anomalie glatt durchstoßen.

Zwar war die acht Kilometer dicke Außenschale an keiner Stelle völlig durchbrochen worden, doch über eine viele Quadratkilometer große Fläche aufgerissen und Tausende Meter tief zerstört. Sämtliche Energiekuppeln über den 44 kreisrunden, je 39 Kilometer durchmessenden Öffnungen waren ausgefallen; sie hatten bislang nicht wieder errichtet werden können.

»Dank der automatischen Notschaltungen ist es gelungen, die Ausbreitung von Bränden zu verhindern und erste Schäden zu beheben«, sagte Lywena. »Mit Traktorstrahlen, Kraft- und Prallfeldern schotten die von dir zusätzlich hinbeorderten Raumschiffe die unversehrten Bereiche so gut wie möglich ab. Trotzdem kommt es immer wieder zu Sekundärexplosionen.«

»Wir kriegen die Situation nicht in den Griff.« Das war eine Feststellung, bar jeder Anklage.

Abermals vermeinte Lywena, seinen Oberbefehlshaber nicht wiederzuerkennen. Täuschte Kaowen Solidarität mit den Untergebenen vor, oder hatte sich wirklich sein Charakter verändert, seit sein Bewusstsein in einen neuen Klonkörper gewechselt war?

»Überlastete Aggregate, die Fehlfunktionen zeigten, mussten zur Sicherheit stillgelegt werden. Selbstverständlich sind alle wichtigen Systeme mehrfach redundant ausgeführt. Ungeachtet dessen summieren sich die Störfälle, schaukeln sich immer weiter auf, und die Verwüstungen breiten sich trotz unserer Aktivitäten aus. Wer hätte auch mit einem derart durchschlagenden Angriff von innen gerechnet?«

»Jeder vorausdenkende Baumeister«, knurrte Kaowen, »der genau im Mittelpunkt eines solchen Riesengebildes eine Ferntransport-Einrichtung installiert? Aber diese Kritik steht uns nicht zu und kommt sowieso zu spät. Weiter!«

»Inzwischen ist sogar die Stabilität der Werfthülle gefährdet.«

Auf Kaowens Stirn bildeten sich drei tiefe Falten. Er bewegte die Lippen, lautlos, jedoch konnte man unschwer einen geharnischten Fluch ablesen.

»Damit nicht genug: Die Anomalie stößt noch immer Energieeruptionen aus und pulsiert wieder schneller, fast schon wie irrwitzig. Sie zieht sich bis zu einem Durchmesser von drei Kilometern zusammen, während die größte bisherige Ausdehnung ein Maximum von nahezu siebenunddreißig Kilometern erreicht hat, Tendenz weiter steigend. Die golden und bernsteinfarben flimmernden Wolken, die die Anomalie umgeben, rotieren nun rasend schnell.«

Kaowen ballte die Finger der rechten Hand zur Faust. »Ich fürchte, es ist höchste Zeit für eine Krisensitzung.«

*

Der Protektor begab sich mit den leitenden Werftingenieuren, überwiegend Badakk, in einen angrenzenden Besprechungsraum. Lywena wurde nicht dazu eingeladen. Er musste die Stellung halten.

Ha! Wenn das so einfach gewesen wäre!

Er war Raumsoldat, Adjutant eines Heerführers, kein Technikspezialist. Schon mit den xylthischen Wissenschaftlern konnte er sich nur mangelhaft verständigen, ganz zu schweigen von den Angehörigen des überaus eigentümlichen Badakk-Volkes.

Angeblich standen sie schon sehr lange im Dienst von QIN SHI, weshalb die Superintelligenz ihnen eine gewisse Selbstständigkeit gewährte. Umso schwieriger und nervenaufreibender war der Umgang mit ihnen.

Badakk hatten die Gestalt schlanker, knapp eineinhalb Meter hoher Zylinder. Die lederartige, elfenbeinweiße, sehr feste und mäßig flexible Haut ersparte ihnen ein Knochengerüst. Sie konnten ihre Körper durchaus biegen, jedoch nur bis zu einem gewissen Grad.

Lywena hatte sich mehr als einmal ausgemalt, wie es wäre, einen der eingebildeten Wichte so weit abzuknicken, dass er aufplatzte wie eine Graupelmettwurst. Aber diese Wunschvorstellung behielt er wohlweislich für sich.

Die Badakk bewegten sich auf winzigen Pseudopodien fort. Bei Bedarf bildeten sie bis zu vier Arme mit je vier kurzen Greifspitzen aus.

Damit konnten sie feinmotorische Arbeiten verrichten; oder sich kratzen, was sie leider häufig und genüsslich taten. Das dabei entstehende unangenehme Geräusch reizte Lywena regelmäßig zur Weißglut.

Einen Kopf gab es nicht, nur eine Art Zylinderdeckel von sattlila Farbe, deren primitive Intensität jedem modebewussten Xylthen in den Augen wehtat. Davon ragten zahlreiche schwenkbare Stacheln, Stiele und Röhren auf, die diverse, zu einem guten Teil unbekannte Sinnesorgane trugen.

Besonders abstoßend fand Lywena, dass die bleichen Wurstwesen am liebsten als Bündel auftraten. Einer stand dann in der Mitte, sechs weitere kuschelten sich rundherum an ihn, zur Vervollständigung des Badakkdajan, wie sie die so formierte Siebenergruppe nannten.

Im Bündel kommunizierten sie intern über dünne, zusammengekoppelte Neuronalstränge. Man musste ihnen zugutehalten, dass sich dabei erstaunliche Datenspeicher- und Rechnerkapazitäten ergaben.

Die Badakk wurden nicht müde zu prahlen, dass sie noch auf kein Volk getroffen wären, dessen organische Gehirne, wie und in welcher Anzahl auch kombiniert, eine ähnliche Leistungsfähigkeit zustande brachten. Dies gelte bei technischen Problemstellungen ebenso wie beim Einschätzen von Situationen und sogar für taktisches Verhalten.

Für Lywena, der zutiefst an die Überlegenheit des xylthischen Volkes glaubte, waren sie Maulhelden ohne ein richtiges Maul. Aber nun konnten sie ja endlich beweisen, was sie draufhatten.

Kaowen und die Werft-Experten kehrten aus dem Besprechungsraum zurück.

*

Merklich bemüht, Entschlossenheit und Zuversicht zu verbreiten, beorderte der Protektor drei der 41 Kristallkugeln, die in der Nähe von APERAS KOKKAIA Position bezogen hatten, zur Werft.

Diese beeindruckenden, 18 Kilometer durchmessenden Gebilde erfüllten gleich mehrere Zwecke. Zum einen handelte es sich um mobile Versionen riesiger Transitparketts.

Rund 40.000 Schlachtschiffe hatten sie mittlerweile ausgespuckt, überwiegend Standard-Zapfenraumer, aber auch einige tausend vom selben Typ wie Kaowens Flaggschiff RADONJU: eine mächtige Invasionsflotte, dazu bestimmt, via Anomalie in die Galaxis Escalian vorzudringen.

Der Flottenaufmarsch war wie am Schnürchen verlaufen. Sie hatten den Zeitplan sogar ein wenig unterboten.

Die Sabotage durch die Sonnenbombe aber drohte sie weit zurückzuwerfen, wenn nicht das gesamte Vorhaben zu torpedieren. Gelang es nicht, sowohl die Werft als auch die Anomalie in deren Zentrum zu stabilisieren, würde die Invasion wohl abgeblasen werden müssen und Escalian unerreichbar bleiben.

Zwei der drei Kristallkugeln, die den Flottennachschub per Transitparkett beendet hatten und nun APERAS KOKKAIA anflogen, sollten ihre Mittel zur Sicherung und Reparatur der Werft einsetzen. Sie stellten nämlich auch beachtliche Reservoire von Chanda-Kristallen aller Varianten dar, von Ramol-0 bis zu den hochwertigen Ramol-4.

Über Jahre hinweg per Transitader aus dem Kollaron-Viibad eingesammelt und im Ort des Wandels veredelt, ließen sich abgetrennte Hyperkristallsplitter unterschiedlicher Größe in vielfältiger Weise nutzen – insbesondere als Ersatzteile für Aggregate, die auf fünfdimensionaler Basis arbeiteten. Hinzu kamen große Mengen programmierbarer Nanomaschinen, praktisch beliebig modifizierbar und daher auf verschiedensten Anwendungsgebieten gut zu gebrauchen.

»Teams der fähigsten Badakkdajan werden den Rettungseinsatz koordinieren«, sagte Kaowen. »Es wäre doch gelacht, wenn wir damit die weitere Ausbreitung der Schäden nicht zum Erliegen bringen könnten.«

Der Optimismus, den der Protektor zur Schau stellte, sprang auf die Zentralebesatzung über. Auch Lywena ließ sich bereitwillig davon anstecken, zumal man ja 37 gleichartige Kristallkugeln quasi in Reserve hatte.

In der einen mit 23 Kilometern Durchmesser noch deutlich größeren befand sich die legendäre, bernsteinfarbene Scheibenstation, eine Hinterlassenschaft aus fernster Vergangenheit. Deren Technik hatte den Badakk angeblich als Vorbild für die Entwicklung der hiesigen Transittechnologie gedient.

*

Lywena fühlte sich bemüßigt, ebenfalls etwas zur allgemeinen Aufmunterung beizutragen. »Immerhin haben die beiden BASIS-Elemente erfreulicherweise ihren Anflug auf die Anomalie gestoppt. Sie schweben bewegungslos etwas mehr als zwanzig Kilometer von der Innenseite der Werft entfernt.«

»Um sie soll sich die dritte Kristallkugel kümmern«, sagte Kaowen, mit dem Anflug eines herablassenden Lächelns zum Ausdruck bringend, dass er dies längst in die Planung einbezogen hatte. »Sie soll sich ihnen aber vorerst nur behutsam nähern und gegebenenfalls den Weg zur Anomalie versperren.«

»Ihre Schutzschirme haben sich verändert. Vielleicht bietet sich nun eine Möglichkeit, sie zu durchbrechen?«

»Ich sagte, einstweilen halten wir uns zurück! Die Lage steht auf Messers Schneide, da will ich keine zusätzlichen Scharmützel anzetteln. Wir dürfen unsere Kräfte nicht zu sehr aufsplittern. Sobald die Werfthülle konsolidiert ist, wenden wir uns wieder dem Auftrag zu, das Multiversum-Okular und den Anzug der Universen für QIN SHI zu bergen; worum auch immer es sich dabei handeln mag.«

Lywena wollte trotzig erwidern, dass ihm angesichts ihrer Truppenstärke die Furcht vor Zersplitterung doch etwas übertrieben schien. Warum nicht gleich mehr Kristallkugeln aus dem Aufmarschgebiet abziehen?

Der Nachschub und Weitertransport der Invasionsflotte würde so oder so ins Stocken geraten, wenn sie es nicht schafften, Werft und Anomalie zu stabilisieren. Außerdem war in den meisten Fällen Klotzen besser als Kleckern.

Er setzte zum Sprechen an, da machte eine xylthische Ortungstechnikerin, die im hinteren Teil der Zentrale an einer Konsole saß, durch heftiges Winken der Arme auf sich aufmerksam. In der immer wieder an- und abschwellenden Dissonanz der Alarmsirenen war der neu hinzugekommene Warnton untergegangen.

»Ruhe!«, fauchte Kaowen. Der Lärm verringerte sich so weit, dass er die Orterin fragen konnte: »Ist etwas von Bedeutung vorgefallen?«

»Ich denke doch. In mehreren Sektoren von APERAS KOKKAIA werden Eindringlinge angemessen.«

Perry Rhodan 2651: Rettet die BASIS!

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