Читать книгу Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi - Страница 138

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Beim Eintritt in das Atelier richtete Michailow noch einmal seinen Blick auf seine Gäste und notierte sich in seinem Gedächtnis noch den Ausdruck des Wronskischen Gesichtes, besonders den der Backenknochen. Obgleich sein Künstlersinn unablässig weiterarbeitete und neues Material sammelte und obgleich seine Aufregung sich immer mehr steigerte, je näher der Augenblick der Kritik über seine Arbeit heranrückte, bildete er sich dennoch aus kaum wahrnehmbaren Merkmalen schnell und scharfsinnig ein Urteil über diese drei Persönlichkeiten. Jener da, Golenischtschew, war ein hier ansässiger Russe. Michailow erinnerte sich nicht, wie der Mann hieß, auch nicht, wo er ihn schon getroffen und worüber er mit ihm gesprochen hatte. Er erinnerte sich nur seines Gesichtes, wie er sich aller Gesichter erinnerte, die er jemals gesehen hatte; aber er erinnerte sich auch, daß er dieses Gesicht in seinem Gedächtnis in die gewaltig große Abteilung der Gesichter gelegt hatte, die eine gewisse Bedeutung vortäuschen, in Wahrheit aber ausdrucksleer sind. Das lange Haar und die sehr offene Stirn verliehen äußerlich diesem Gesicht etwas Bedeutsames, und doch lag in ihm eigentlich weiter nichts als ein kleinlicher, kindhafter, unruhiger Ausdruck, der sich über dem schmalen Nasensattel verdichtete. Wronski und Frau Karenina mußten nach Michailows Schlußfolgerungen vornehme, reiche Russen sein, die, wie alle diese reichen Russen, von Kunst nichts verstanden, sich aber als Liebhaber und Kritiker aufspielten. ›Sicherlich haben sie sich schon alle alten Bilder angesehen und fahren jetzt bei den Ateliers der neuzeitlichen Maler umher, bei den großmäuligen Deutschen und den verrückten präraffaelitischen Engländern, und zu mir sind sie nur um der Vollständigkeit der Besichtigung willen gekommen‹, dachte er. Er kannte sehr genau jene Art der Kunstliebhaber (je klüger sie waren, um so schlimmer), die Ateliers zeitgenössischer Künstler nur deshalb zu besichtigen, um ein Recht zu haben zu der Behauptung, die Kunst sei heruntergekommen, und je mehr man die Leistungen der modernen Maler betrachte, um so mehr komme man zu der Erkenntnis, daß doch die alten großen Meister schlechterdings unerreicht geblieben seien. Auf alles dies war er auch bei diesen beiden Besuchern gefaßt; alles dies las er auf ihren Gesichtern, ersah es aus der geringschätzigen Gleichgültigkeit, mit der sie untereinander sprachen und die Gliederpuppen und Büsten beschauten und zwanglos umhergingen, während sie darauf warteten, daß er das Gemälde enthülle. Trotzdem empfand er, während er seine Studien umdrehte, die Vorhänge aufzog und das Laken abnahm, eine starke Erregung, um so mehr, da, obgleich nach seiner Vorstellung alle vornehmen, reichen Russen Esel und Dummköpfe sein mußten, doch Wronski und namentlich Anna ihm gefielen.

»Hier, ist es gefällig?« sagte er, indem er mit seinem gezierten Gang zur Seite trat und auf das Gemälde wies. »Es ist das Verhör durch Pilatus. Matthäus, Kapitel siebenundzwanzig«, bemerkte er erläuternd und fühlte, daß ihm die Lippen vor Aufregung zu zittern begannen. Er trat beiseite und stellte sich hinter die Beschauer.

Die kurze Zeit über, während die Besucher das Gemälde schweigend betrachteten, sah auch Michailow es an, und zwar mit gleichmütigem Blick, als ob er ein Fremder wäre. Während dieser wenigen Augenblicke war er im voraus des Glaubens, daß sie das maßgebendste, gerechteste Urteil abgeben würden, gerade sie, diese Besucher, die er noch eine Minute vorher so sehr verachtet hatte. Vergessen hatte er alles, was er früher über sein Bild gedacht hatte, die drei Jahre über, in denen er daran gemalt hatte, vergessen all seine Vorzüge, die ihm als ganz zweifellos erschienen waren: er betrachtete das Bild jetzt mit ebenso gleichgültigen, fremden Blicken wie seine Besucher und fand an ihm nichts Gutes mehr. Er sah im Vordergrund das ärgerliche Gesicht des Pilatus und das ruhige Antlitz Christi und im Hintergrund die Gestalten der Untergebenen des Pilatus und das Gesicht des Johannes, der aufmerksam verfolgte, was da vorging. Jede einzelne Gestalt, die nach so langem Suchen, nach so vielen Irrtümern und Verbesserungen sich mit ihrer besonderen Charakterisierung in seinem Geiste herausgebildet hatte, jede einzelne Gestalt, die ihm soviel Pein und soviel Freude bereitet hatte, und alle diese Gestalten zusammen, die er so oft um des Gesamteindrucks willen ihren Platz hatte wechseln lassen, alle mit so vieler Mühe erzielten Schattierungen der Farben und der Töne: alles dies zusammen erschien ihm jetzt, wo er es mit den Augen seiner Besucher sah, als eine schon tausendmal wiederholte Alltäglichkeit. Die Figur, die ihm die liebste und teuerste war, die Christusfigur, der Mittelpunkt des Gemäldes, über die er, als sie sich ihm einst offenbart hatte, in höchste Begeisterung geraten war, sie hatte für ihn allen Reiz verloren, nun er das Gemälde mit den Augen Fremder beschaute. Er sah eine gut gemalte (eigentlich nicht einmal gut gemalte, da er jetzt deutlich eine ganze Menge von Mängeln wahrnahm) Wiederholung jener zahllosen Christusse von Tizian, Raffael und Rubens, eine Wiederholung der nämlichen Kriegsknechte und des nämlichen Pilatus. All das war so alltäglich, armselig und veraltet, und es war sogar schlecht gemalt: bunt und schwächlich. ›Diese drei Besucher‹, sagte er sich, ›werden ganz recht haben, wenn sie in Gegenwart des Künstlers ein paar heuchlerisch höfliche Phrasen hinreden und, sobald sie unter sich allein sind, ihn bedauern und sich über ihn lustig machen.‹

Dieses Schweigen, obwohl es nicht länger als eine Minute gedauert hatte, wurde ihm gar zu drückend. Um es zu unterbrechen und zu zeigen, daß er nicht aufgeregt sei, tat er sich Gewalt an und wandte sich zu Golenischtschew:

»Ich habe wohl schon einmal das Vergnügen gehabt, mit Ihnen zusammenzutreffen«, sagte er, blickte aber dabei unruhig bald zu Anna, bald zu Wronski hin, um sich keine Veränderung ihres Gesichtsausdruckes entgehen zu lassen.

»Gewiß! Wir haben uns bei Rossi getroffen; Sie besinnen sich: bei der Abendgesellschaft, wo dieses italienische Fräulein, die neue Rachel, vortrug«, antwortete Golenischtschew in munterem Ton; er wandte seine Augen ohne das geringste Bedauern von dem Gemälde weg und blickte den Maler an.

Als er jedoch bemerkte, daß Michailow ein Urteil über sein Bild erwartete, sagte er:

»Ihr Bild ist sehr fortgeschritten, seit ich es zum letzten Male gesehen habe. Und wie damals, so hat auch jetzt die Figur des Pilatus für mich etwas außerordentlich Überraschendes. So gewinnt man Verständnis für diesen Menschen, einen ganz braven, wackeren Gesellen, aber eingefleischten Beamten, der nicht weiß, was er tut. Aber mir scheint ...«

Michailows ganzes bewegliches Gesicht strahlte plötzlich auf; seine Augen leuchteten. Er wollte etwas sagen; aber er konnte vor Aufregung nicht reden und stellte sich, als ob er husten müsse. Wie gering er auch Golenischtschews Kunstverständnis einschätzte, wie unbedeutend auch dessen richtige Bemerkung über den wohlgetroffenen Beamtencharakter im Gesicht des Pilatus an sich war, wie verletzend es ihm auch sein konnte, daß jener zuerst eine so geringfügige Bemerkung aussprach und von wichtigeren Dingen nichts sagte: trotzdem war Michailow von dieser Bemerkung ganz entzückt. Er selbst dachte über die Figur des Pilatus genau dasselbe, was Golenischtschew soeben gesagt hatte. Und der Umstand, daß diese Beobachtung nur eine einzige unter vielen anderen Beobachtungen war, die, wie Michailow fest überzeugt war, alle ebenso zutreffend sein würden, dieser Umstand verringerte in seinen Augen den Wert der Bemerkung Golenischtschews in keiner Weise. Er faßte um dieser Bemerkung willen eine Neigung für Golenischtschew und ging aus seinem Zustande der Niedergeschlagenheit unvermittelt in den der Glückseligkeit über. Sogleich gewann sein ganzes Bild in seinen Augen Leben und ließ die ganze, unsagbar kunstvolle Organisation erkennen, wie sie allem Lebendigen eigen ist. Michailow setzte wieder dazu an, zu sagen, daß er den Pilatus ganz ebenso aufgefaßt habe; aber seine zitternden Lippen versagten ihm den Dienst, und er vermochte es nicht auszusprechen. Wronski und Anna sagten ebenfalls etwas in jenem gedämpften Ton, in dem man gewöhnlich vor ausgestellten Bildern zu sprechen pflegt, teils um den Künstler nicht zu verletzen, teils um nicht laut eine Dummheit zu sagen, die einem ja bei Gesprächen über Kunst so leicht über die Lippen kommen kann. Michailow hatte die Empfindung, daß sein Bild auch auf sie Eindruck gemacht habe. Er trat zu ihnen.

»Wie wundervoll der Ausdruck des Christuskopfes ist!« sagte Anna. Von allem, was sie sah, gefiel ihr dieser Ausdruck am meisten; sie fühlte, daß dies der eigentliche Mittelpunkt des Gemäldes sei und dieses Lob daher dem Künstler besonders angenehm sein müsse. »Man sieht, daß ihm Pilatus leid tut.«

Dies war wieder eine von jenen unzähligen zutreffenden Beobachtungen, die man an seinem Gemälde und besonders an der Figur Christi machen konnte. Die Dame hatte gesagt, Pilatus tue Christus leid. In dem Gesichtsausdruck Christi muß ja auch der Ausdruck des Mitleids liegen, weil in ihm der Ausdruck der Liebe liegt und der Ausdruck einer himmlischen Ruhe und der Bereitschaft zum Tode und des Bewußtseins, daß weiteres Reden nutzlos ist. Natürlich muß in dem Gesicht des Pilatus der Ausdruck der Denkweise eines Beamten liegen und in dem Gesicht Christi der Ausdruck des Mitleides, da eben der eine die Verkörperung des fleischlichen Lebens ist, der andere die Verkörperung des geistigen Lebens. All diese und viele andere Gedanken huschten Michailow durch den Kopf. Und wieder erstrahlte sein Gesicht vor Entzücken.

»Ja, und wie diese Gestalt ausgeführt ist, wieviel Luft zwischen ihr und den anderen Figuren ist! Als könnte man um sie herumgehen«, sagte Golenischtschew, der durch diese Bemerkung offenbar zeigen wollte, daß er mit dem geistigen Gehalt und der Idee dieser Figur nicht sonderlich zufrieden sei.

»Ja, eine erstaunliche Meisterschaft!« bemerkte Wronski. »Wie sich diese Gestalten vom Hintergrunde abheben! Das nennt man Technik!« fügte er, zu Golenischtschew gewendet, hinzu und spielte damit auf ein früheres Gespräch zwischen ihnen beiden an, bei dem Wronski geäußert hatte, er verzweifle daran, sich eine gute Technik zu eigen zu machen.

»Ja gewiß, erstaunlich!« stimmten Golenischtschew und Anna bei.

Trotz der gehobenen Stimmung, in der sich Michailow befand, ließ diese Bemerkung über die Technik sein Herz schmerzlich zusammenzucken; ärgerlich blickte er Wronski an und machte plötzlich ein sehr finsteres Gesicht. Er hatte dieses Wort Technik oft gehört und schlechterdings nicht verstanden, was die Leute eigentlich damit sagen wollten. Er wußte, daß sie unter diesem Wort eine mechanische Fähigkeit zu malen und zu zeichnen verstanden, die von dem Gegenstand des Bildes ganz unabhängig ist. Oft hatte er, wie auch bei dem jetzigen Lob, gemerkt, daß die Leute die Technik dem inneren Wert gegenüberstellten, als ob es möglich wäre, etwas an sich Schlechtes gut zu malen. Er wußte, daß viel Aufmerksamkeit und Vorsicht vonnöten war, um, wenn man von dem vorschwebenden Idealbilde die Hüllen abnahm, das Kunstwerk selbst nicht zu beschädigen, und um auch wirklich alle Hüllen herunterzubekommen; aber das war eben die Kunst des Malens – von Technik war dabei gar nicht die Rede. Wenn das, was er mit dem geistigen Auge sah, sich ebenso einem kleinen Kinde oder seiner Köchin offenbarte, so würden auch sie verstehen, was sie gesehen hatten, herauszuschälen. Aber anderseits würde der erfahrenste, geschickteste Techniker der Malerei durch die bloße mechanische Fähigkeit nicht imstande sein, etwas zu malen, wenn sich ihm nicht vorher der Inhalt in klarer Umgrenzung geoffenbart hätte. Außerdem war Michailow sich bewußt, daß, wenn man nun einmal von Technik reden wolle, man gerade ihn in dieser Hinsicht nicht loben könne. In allem, was er malte und gemalt hatte, erkannte er Mängel, die ihm in den Augen weh taten, Mängel, die von der Unachtsamkeit herrührten, mit der er die Hüllen abgenommen hatte, und die er jetzt nicht mehr verbessern konnte, ohne das ganze Kunstwerk zu verderben. Und auch bei diesem Bilde sah er an fast allen Gestalten und Gesichtern Reste nicht vollständig abgenommener Hüllen, die den Wert des Bildes minderten.

»In einem Punkte könnte man anderer Ansicht sein, wenn Sie mir eine solche Bemerkung gestatten wollen ...«, begann Golenischtschew.

»Aber es freut mich sehr, und ich bitte Sie herzlich«, erwiderte Michailow, gezwungen lächelnd.

»Ich meine: daß Christus bei Ihnen ein Menschgott ist, und nicht ein Gottmensch. Übrigens weiß ich recht wohl, daß Sie das gerade beabsichtigt haben.«

»Ich kann keinen Christus malen, der nicht in meiner Seele vorhanden ist«, versetzte Michailow mit finsterem Gesichte.

»Ja, aber in diesem Falle ... wenn Sie mir gestatten, meinen Gedanken auszusprechen ... Ihr Bild ist ja so vortrefflich, daß meine Bemerkung ihm keinen Abbruch tun kann, und dann ist das ja auch nur meine persönliche Meinung. Bei Ihnen ist der ganze Vorgang ein anderer geworden; das Motiv selbst ist ein anderes. Aber nehmen wir meinetwegen Iwanow als Beispiel. Ich meine, statt Christus auf die Stufe einer bloßen historischen Persönlichkeit zu stellen, hätte Iwanow besser getan, sich ein anderes historisches Thema, ein frisches, unangerührtes, auszusuchen.«

»Aber wenn dies doch das erhabenste Thema ist, das sich der Kunst darbietet?«

»Wenn man nur suchen will, finden sich schon noch andere. Aber die Sache ist die, daß ein Kunstwerk keinen Streit und keine Auseinandersetzungen vertragen kann. Und bei Iwanows Bild entsteht für den Gläubigen und für den Ungläubigen die Frage: ist das ein Gott oder kein Gott? Und dieser Zweifel zerstört die Einheitlichkeit der Wirkung.«

»Wieso?« erwiderte Michailow. »Mir scheint, daß für gebildete Leute darüber kein Streit mehr möglich ist.«

Golenischtschew stimmte diesem Satze nicht zu, und indem er an dem vorher von ihm ausgesprochenen Gedanken von der für ein Kunstwerk erforderlichen Einheitlichkeit der Wirkung festhielt, schlug er Michailow aus dem Felde.

Michailow geriet zwar in große Erregung, wußte aber zur Verteidigung seiner Anschauung nichts vorzubringen.

Anna Karenina | Krieg und Frieden

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