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»Die Geschichte ist zwar ein bißchen kraß, aber so nett, daß es mir das größte Vergnügen macht, sie Ihnen zu erzählen«, sagte Wronski und sah sie mit lachenden Augen an. »Ich werde keine Namen nennen.«

»Dann werde ich sie raten; das ist noch ergötzlicher.«

»Nun, dann hören Sie zu! Es fahren also zwei lustige junge Männer ...«

»Natürlich Offiziere von Ihrem Regiment?«

»Ich habe nicht gesagt ›Offiziere‹, sondern einfach ›zwei junge Männer‹. Also die fahren nach einem Frühstück ...«

»Soll heißen: gehörig betrunken ...«

»Kann schon sein. Sie fahren in heiterster Stimmung zu einem Kameraden zum Diner. Und da sehen sie, wie ein hübsches weibliches Wesen sie in einer Droschke überholt, sich nach ihnen umsieht und – so schien es ihnen wenigstens – ihnen zunickt und lacht. Sie natürlich hinter ihr her. Sie lassen den Kutscher jagen, so schnell die Pferde nur laufen können. Zu ihrem Erstaunen läßt die Schöne ihre Droschke vor demselben Hause halten, wohin sie selbst wollten. Die Schöne läuft die Treppe zum ersten Stock hinauf. Sie sehen nur die roten Lippen unterhalb des kurzen Schleiers und die kleinen, allerliebsten Füßchen.«

»Sie erzählen das mit so viel Gefühl, daß ich vermute, Sie sind selbst einer von den beiden gewesen.«

»Aber was haben Sie noch vor wenigen Minuten zu mir gesagt? Nun also, die jungen Männer gehen in die Wohnung ihres Kameraden, bei dem ein Abschiedsdiner stattfindet. Da trinken sie tüchtig, vielleicht auch etwas zuviel, wie das ja bei einem Abschiedsdiner immer so zugeht. Bei Tische erkundigen sie sich, wer denn in diesem Hause den oberen Stock bewohne. Niemand weiß es, und nur der Diener des Gastgebers gibt auf ihre Frage, ob da oben ›solche Damen‹ wohnen, die Antwort: ›Jawohl, eine ganze Menge.‹ Nach dem Diner begeben sich die jungen Männer in das Arbeitszimmer des Gastgebers und verfassen da einen Brief an die Unbekannte, einen ganz leidenschaftlichen Brief, eine Liebeserklärung, und tragen dann selbst diesen Brief hinauf, um, wenn in dem Briefe etwas nicht ganz verständlich sein sollte, die nötigen Erläuterungen zu geben.«

»Warum erzählen Sie mir solche Abscheulichkeiten? Nun weiter!«

»Sie klingeln. Ein Dienstmädchen öffnet, sie händigen ihr den Brief ein und beteuern dem Dienstmädchen, sie seien beide so verliebt, daß sie gleich da an der Tür sterben müßten. Das Mädchen, in höchster Verwunderung, redet mit ihnen hin und her. Auf ein mal erscheint ein Herr mit einem Backenbart; dieser Backenbart sah genauso aus, wie wenn rechts und links je ein Würstchen hinge; vor Wut rot wie ein Krebs, erklärt ihnen der Herr, es wohne niemand weiter dort außer ihm und seiner Frau, und jagt die beiden aus dem Vorsaal hinaus.«

»Woher wissen Sie denn das, daß er einen solchen Backenbart hat – wie sagten Sie doch? – in Würstchenform?«

»Hören Sie nur zu! Heute bin ich da gewesen, um sie zu versöhnen.«

»Nun, und wie ist es geworden?«

»Jetzt kommt das Interessanteste. Es stellt sich heraus, daß dieses glückliche Ehepaar ein Titularrat mit seiner Gattin ist. Der Titularrat reicht eine Klage ein, und ich werde Friedensvermittler, und was für einer! ... Ich versichere Sie, Talleyrand war ein Stümper gegen mich.«

»Worin liegt denn die Schwierigkeit?«

»Hören Sie nur weiter zu! – Wir baten also um Entschuldigung, wie es sich gehört: ›Wir sind in Verzweiflung und bitten, das unselige Mißverständnis gütigst zu verzeihen.‹ Der Titularrat mit den Würstchen beginnt milder zu werden, möchte aber doch auch seine eigenen Gefühle schildern; jedoch, sowie er damit anfängt, gerät er wieder in Hitze und sagt die größten Grobheiten, und ich muß von neuem alle meine diplomatischen Künste spielen lassen. ›Ich muß zugeben, daß das Benehmen der beiden Herren unangemessen war; aber ich möchte Sie bitten, doch auch in Betracht zu ziehen, daß sie sich in einem Irrtum befanden und daß sie noch in sehr jugendlichem Alter stehen; dazu kommt noch, daß die beiden jungen Männer eben erst gefrühstückt hatten. Sie bereuen das Getane von ganzer Seele und bitten, ihnen ihre Schuld zu verzeihen.‹ Wieder wird der Titularrat freundlicher. ›Ich erkläre mich einverstanden, Herr Graf, und bin bereit zu verzeihen; aber versetzen Sie sich in meine Lage, meine Frau, meine Frau, eine anständige Dame, sieht sich einer solchen Behandlung ausgesetzt, solchen Nachstellungen, Gemeinheiten und Unverschämtheiten der ersten besten Buben und Schuf ...‹ Und nun stellen Sie sich das vor: diese Buben standen dabei, und ich sollte die Parteien versöhnen! Wieder biete ich meine ganze Überredungskunst auf, und wieder fällt, gerade als die Sache zum Abschluß reif scheint, mein Titularrat in seine Aufregung zurück, bekommt einen roten Kopf, die Würstchen sträuben sich in die Höhe, und von neuem überbiete ich mich in diplomatischen Feinheiten.«

»Ach, das muß ich Ihnen erzählen!« rief Betsy lachend einer Dame zu, die zu ihr in die Loge trat. »Er hat mich so zum Lachen gebracht ... Nun, bonne chance!« fügte sie, zu Wronski gewendet, hinzu und reichte ihm einen Finger, den sie beim Halten des Fächers noch frei hatte; zugleich schob sie die Taille ihres Kleides, die sich etwas hinaufgezogen hatte, durch eine Bewegung der Schultern nach unten, um, wie es sich gehört, vollständig entblößt zu sein, wenn sie nach vorn an die Brüstung der Loge in das helle Licht der Gasflammen träte, um von allen gesehen zu werden.

Wronski fuhr zum Französischen Theater. Er mußte wirklich dringend den Regimentskommandeur sprechen und wußte, daß er ihn dort träfe, da dieser nie eine Vorstellung im Französischen Theater versäumte; ihm wollte Wronski über seine Friedensvermittlung berichten, die ihn nun schon seit zwei Tagen beschäftigte und belustigte. Bei diesem Vorfall war einer der Beteiligten Petrizki, den Wronski sehr gern hatte, und der andere ein erst kürzlich eingetretener prächtiger junger Mann und vorzüglicher Kamerad, der junge Fürst Kedrow. Die Hauptsache aber war, daß es sich dabei um den guten Ruf des Regiments handelte.

Die beiden jungen Offiziere gehörten zu Wronskis Eskadron. Der Titularrat Wenden hatte den Regimentskommandeur vor einigen Tagen aufgesucht und sich bei ihm über zwei seiner Offiziere beschwert, die seine Gattin beleidigt hätten. Wenden erzählte, seine junge Frau – er sei nämlich erst ein halbes Jahr verheiratet – sei mit ihrer Mutter in der Kirche gewesen und habe dort ein Unwohlsein verspürt, das durch einen gewissen körperlichen Zustand hervorgerufen sei. Sie sei nicht imstande gewesen, länger zu stehen, und sei daher mit der ersten Droschke, die sie habe bekommen können – es sei eine Droschke erster Klasse gewesen –, nach Hause gefahren. Da seien zwei Offiziere in einem Wagen ihr nachgejagt. Sie habe einen furchtbaren Schreck bekommen und sei dadurch noch kränker geworden; so sei sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufgelaufen. Er selbst, Wenden, habe nach seiner Rückkehr vom Amt die Klingel an der Tür und dann mehrere Stimmen gehört; er sei hingegangen, und als er dort die beiden betrunkenen Offiziere mit einem Briefe erblickt habe, habe er sie aus dem Vorsaal hinausgedrängt. Er ersuche um strenge Bestrafung.

»Nein, das müssen Sie selbst zugeben«, hatte der Regimentskommandeur zu Wronski gesagt, den er hatte zu sich kommen lassen, »dieser Petrizki macht sich unmöglich. Es vergeht keine Woche ohne irgendeine Skandalgeschichte. Dieser Beamte wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, sondern wird weitergehen.«

Wronski hatte sofort eingesehen, daß dies eine undankbare Aufgabe sei und ein Duell dabei nicht in Frage komme, daß man vielmehr alles mögliche tun müsse, um diesen Titularrat zu besänftigen und die Sache damit aus der Welt zu schaffen. Der Regimentskommandeur hatte Wronski gerade deshalb zu sich bestellt, weil er ihn für einen vornehm denkenden, verständigen Menschen hielt, namentlich aber für einen Mann, dem die Ehre des Regiments am Herzen lag. Sie hatten nun die Sache miteinander durchgesprochen und waren zu dem Ergebnis gelangt, Petrizki und Kedrow sollten sich mit Wronski zu diesem Titularrat begeben und ihn um Entschuldigung bitten. Der Regimentskommandeur und Wronski waren beide der Ansicht, daß Wronskis Name und das Abzeichen des Flügeladjutanten auf seinen Achselstücken zur Besänftigung des Titularrates erheblich mitwirken würden. Und tatsächlich hatten sich diese beiden Mittel teilweise wirksam gezeigt; aber der Erfolg des Vermittlungsversuchs war doch noch einigermaßen zweifelhaft geblieben, wie das Wronski auch seiner Cousine erzählt hatte.

Als Wronski im Französischen Theater angelangt war, zogen der Regimentskommandeur und er sich in das Foyer zurück, und Wronski berichtete seinem Chef über seinen Erfolg oder Mißerfolg. Nachdem der Regimentskommandeur alles hin und her erwogen hatte, kam er zu dem Entschlusse, gegen die Schuldigen nicht weiter vorzugehen; aber dann fragte er des Spaßes halber Wronski über die Einzelheiten seiner Verhandlungen aus und mußte lange Zeit immer von neuem loslachen, als er Wronski erzählen hörte, wie der Titularrat, nachdem er sich schon einigermaßen beruhigt hatte, bei der Erinnerung an die näheren Umstände des Vorfalles immer wieder in Hitze geraten sei und wie er, Wronski, als die letzten Redewendungen halbwegs nach Versöhnung geklungen hatten, ausweichend sich schleunigst zurückgezogen und dabei Petrizki vor sich hergestoßen habe.

»Eine greuliche Geschichte, aber höchst komisch. Kedrow kann sich doch mit diesem Herrn nicht schlagen! Also er ist furchtbar erbost gewesen?« fragte er lachend. »Aber wie sich heute die Claire macht! Prächtig!« bemerkte er mit Bezug auf eine neue französische Schauspielerin. »Und wenn man sie noch so oft sieht, jedesmal ist sie eine andere. So etwas bringen doch nur die Franzosen fertig.«

Anna Karenina | Krieg und Frieden

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