Читать книгу Ich bin das Volk - Leopoldine Evelyne Kwas - Страница 7

Wer bin ich?

Оглавление

Ich bin das Volk. Ich bin irgendeine Wählerin. Ich bin diejenige, die Sie, meine Damen und Herren in der Politik, fragen, ob ich Ihnen vertrauen möchte. Ich bin diejenige, für die Sie Ihre Parteiprogramme schreiben. Ich bin die Stimme, um die Sie in Ihren Wahlkämpfen buhlen. Ich bin die Person, die den Kugelschreiber, die Kappe, die Autogrammkarte oder den roten Apfel bekommt.

Sie wollen meinen Beifall, mein wohlwollendes Nicken, Sie schütteln gerne meine Hand und sehen mir dabei professionell in die Augen. Sie versuchen, mir die Worte aus dem Mund zu nehmen. Oft, indem Sie über andere schimpfen. Sie wollen mir damit klar machen, dass Sie meine Anliegen kennen und dass Sie genau für diese Anliegen bis ans Ende Ihrer politischen Tage kämpfen werden, weil es ja auch die Ihren sind.

Ich bin die, der Sie sich vorstellen als die Retter meines Haushaltsbudgets, der abstürzenden Mittelschicht, der Umwelt, der Außenseiter und von allem, das ich sonst noch gerettet haben möchte.

Ich bin die, der Sie gerne erzählen, Sie wüssten ganz genau, wie es da unten ist bei uns, dem Volk. Wie es sich anfühlt, kämpfen zu müssen. Ich brauche Sie bloß zu wählen, dann wird alles gut. Und wissen Sie was? Es funktioniert sogar. Bei jeder Wahl tue ich, worauf Sie so scharf sind wie Nachbars Lumpi auf den neuen Postler. Ich mache in der Wahlzelle mein Kreuzchen für einen von Ihnen.

Ich bin auch diejenige, die mit ihren Steuern Ihre Limousinen bezahlt, deren Felgen wahrscheinlich mehr kosten, als ich jemals in einem Monat verdient habe. Ich bin diejenige, die Ihre Gehälter bezahlt und damit für das Wohlergehen Ihrer Familien sorgt. Ich bin diejenige, die damals Ihre Schulbildung und Ihr Studium mitfinanziert hat, damit Sie jetzt, als Politiker, für mich da sein können. So etwas Ähnliches haben Sie ja auch bei Ihrer Angelobung versprochen, oder nicht? Für mich da zu sein.

Gut, Sie haben dieses Versprechen bisher nicht gehalten. Aber dann, vor der Wahl, haben Sie wieder einmal wirklich alles getan, um mich von Ihren Qualitäten als Führungspersönlichkeiten zu überzeugen. Also denke ich jedes Mal in der Wahlzelle: Lassen Sie uns nach vorne blicken. Schwamm drüber, was die Vergangenheit betrifft. Genauso, wie Sie das von mir erwarten.

Ich bin aber auch diejenige, die nach jeder Wahl noch frustrierter ist als davor, und die sich dann immer zwei Fragen stellt:

Geht es mir am Ende doch nicht so gut, wie Sie es mir vor der Wahl eingeredet haben?

Kann die schöne Zukunft, die Sie mir ausgemalt haben, mit Ihnen an der Macht vielleicht doch nicht Realität werden?

Warum zum Beispiel ist mein Gefühl von Wohlstand und Sicherheit soweit aus meinem Alltag verschwunden, dass ich es nur noch mit meiner Jugend in Verbindung bringe? Warum ist es Nostalgie geworden, ein »Damals-Gefühl« aus den 1970er-, 1980er- und auch noch den 1990er-Jahren?

Dann denke ich: Sie sehen und hören uns nicht, weil Sie uns gar nicht sehen und hören wollen. Irgendjemand muss Sie aufwecken. Irgendjemand muss Ihnen sagen, was wirklich los ist in diesem Land.

Genau das werde ich jetzt tun.

Ich bin das Volk

Подняться наверх