Читать книгу Anna Karenina - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 70
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Als Wronski auf der Terrasse des Kareninschen Landhauses nach der Uhr gesehen hatte, war er so aufgeregt und mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er zwar die Zeiger auf dem Zifferblatte gesehen hatte, aber nicht zur Erkenntnis hatte kommen können, wieviel Uhr es war. Er ging auf die Landstraße hinaus und begab sich, vorsichtig durch den Schmutz schreitend, zu seinem Wagen. Er war von seinem Gefühl für Anna so erfüllt, daß er gar nicht daran dachte, wieviel Uhr es sei und ob er noch Zeit habe, zu Brjanski zu fahren. Es war ihm, wie das nicht selten vorkommt, nur eine äußere Erinnerungsfähigkeit geblieben, die ihm angab, in welcher Reihenfolge er sich vorgenommen hatte, die einzelnen Handlungen zu verrichten. Er trat zu seinem Kutscher, der auf dem Bocke in dem schon schräg fallenden Schatten einer dichten Linde eingeschlummert war, betrachtete einen Augenblick die schillernden Mückenschwärme, die über den schweißbedeckten Pferden umherschwirrten, weckte dann den Kutscher, sprang in den Wagen und befahl ihm, zu Brjanski zu fahren. Erst als er bereits sieben Werst zurückgelegt hatte, kam er wieder so weit zur Besinnung, daß er nach der Uhr sah und begriff, daß es halb sechs und somit schon sehr spät war.
Es fanden an diesem Tage mehrere Rennen statt: ein Rennen der Leibwache, dann ein Offiziersrennen über zwei Werst, eines über vier Werst und das, bei dem er selbst mitritt. Zu seinem Rennen kam er, wenn er sogleich hinfuhr, völlig zur rechten Zeit; aber wenn er erst noch zu Brjanski fuhr, so kam er erst im allerletzten Augenblick hin und erst dann, wenn schon der ganze Hof da war. Das war übel. Aber er hatte Brjanski sein Wort gegeben, noch zu ihm zu kommen, und daher entschloß er sich, weiterzufahren, und befahl dem Kutscher, die Pferde scharf anzutreiben.
Er kam bei Brjanski an, blieb fünf Minuten bei ihm und jagte zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn. Alles Bedrückende, das in seinem Verhältnisse zu Anna lag, die ganze Ungewißheit, die nach ihrem Gespräche zurückgeblieben war, all das kam ihm jetzt aus dem Sinn und den Gedanken; mit heller Freude und lebhafter. Erregung dachte er nun an das Rennen und daran, daß er doch noch zur rechten Zeit kommen werde, und nur zuweilen flammte der Gedanke an die Wonne des für die heutige Nacht bevorstehenden Zusammenseins wie ein heller Lichtschein in seinem Inneren auf.
Das Gefühl der Spannung wegen des bevorstehenden Rennens wurde bei ihm immer stärker und stärker, je mehr er in die Umgebung der Rennen hineinkam und einen Wagen nach dem anderen überholte, die von den Landhäusern und aus Petersburg zu den Rennen fuhren.
In seinem Heim war niemand mehr zu Hause; alle waren sie schon auf der Rennbahn, und nur sein Diener wartete auf ihn am Torwege. Während er sich umkleidete, berichtete ihm der Diener, das zweite Rennen habe schon begonnen; es seien viele Herren gekommen, um sich nach ihm zu erkundigen, und der Stallbursche aus dem Rennstall sei schon zweimal dagewesen.
Nachdem Wronski sich ohne Hast umgekleidet hatte (er überhastete sich niemals und verlor nie die Selbstbeherrschung), fuhr er nach den Baracken. Schon von den Baracken aus erblickte er das Meer von Wagen, Fußgängern und Soldaten, das die Rennbahn umgab, und die von Menschen wimmelnden Tribünen. Wahrscheinlich begann gerade das dritte Rennen, da er in dem Augenblicke, als er in die Baracke trat, ein Glockenzeichen hörte. Als er sich dem Stalle näherte, begegnete er Machotins weißfüßigem Fuchse Gladiator, der, eingehüllt in eine gelb und blaue Decke mit gewaltig groß aussehenden, blau eingefaßten Ohren, nach der Rennbahn geführt wurde.
»Wo ist Cord?« fragte er den Stallburschen.
»Im Stall. Er sattelt.«
In der offenstehenden Box stand Frou-Frou schon gesattelt und sollte eben hinausgeführt werden.
»Ich komme doch nicht zu spät?«
»All right, all right!« antwortete der Engländer. »Seien Sie nur nicht aufgeregt.«
Wronski umfaßte noch einmal mit einem Blicke die prächtigen Formen des ihm so lieben Pferdes, das am ganzen Leibe zitterte; nur mit Überwindung riß er sich von diesem Anblicke los und ging aus der Baracke hinaus. Er kam zu den Tribünen gerade im geeignetsten Augenblick, als er niemandes Aufmerksamkeit auf sich zog. Das Vier-Werst-Rennen ging eben zu Ende, und aller Augen richteten sich auf den führenden Chevaliergardisten und den an zweiter Stelle liegenden Leibhusaren, die beide mit letzter Kraft ihre Pferde antrieben und sich dem Pfosten näherten. Von der Mitte und von außen her drängte alles nach dem Pfosten hin, und die dort stehende Gruppe von Soldaten und Offizieren des Chevalier-Garderegiments drückte mit lautem Jubelgeschrei ihre Freude über den unerwarteten Sieg ihres Offiziers und Kameraden aus. Wronski mischte sich unbemerkt mitten unter die Menge, fast in demselben Augenblick, als das Glockenzeichen ertönte, das das Rennen als beendet erklärte, und der hochgewachsene, mit Schmutz bespritzte Chevaliergardist, der Erster geworden war, sich auf den Sattel zurücksinken ließ und seinem grauen, vom Schweiß ganz dunkel gewordenen, schwer atmenden Hengste die Zügel nachließ.