Читать книгу Der Leinwandmesser - Лев Толстой, Leo Tolstoy, Liev N. Tolstói - Страница 5
II
ОглавлениеNachdem Nestor die Herde zum Flusse getrieben hatte, an welchem die Pferde weiden sollten, stieg er von dem Wallach herunter und nahm ihm den Sattel ab. Unterdessen fing die Herde schon an, sich langsam über die noch nicht zertretene Wiese zu verteilen, die mit Tau bedeckt und von dem Dunste überzogen war, der sowohl von ihr wie von dem sie zum Teil umgebenden Flusse aufstieg.
Nestor nahm dem scheckigen Wallach den Zaum ab und kratzte das Tier unter dem Halse; als Antwort darauf schloss der Wallach zum Zeichen der Dankbarkeit und des Vergnügens die Augen. „Das hat er gern, der alte Hund!“ sagte Nestor. Indessen liebte der Wallach dieses Kratzen ganz und gar nicht und tat nur aus Zartgefühl so, als ob es ihm angenehm sei. Er schüttelte ein wenig mit dem Kopfe, um sein Einverständnis auszudrücken. Aber plötzlich, ganz unerwartet und ohne jede Ursache, stiess Nestor, vielleicht in der Annahme, eine allzu grosse Familiarität könne den scheckigen Wallach zu falschen Vorstellungen von seinem Werte bringen, ohne jede Vorbereitung den Kopf des Wallachs von sich, holte mit dem Zügel aus und schlug den Wallach mit der Schnalle des Zügels sehr schmerzhaft gegen das magere Bein. Dann ging er, ohne ein Wort zu sagen, die Anhöhe hinan zu dem Baumstumpf, bei dem er zu sitzen pflegte.
Obgleich diese Behandlung den scheckigen Wallach kränkte, liess er es sich doch nicht merken und ging, indem er langsam den dünnhaarigen Schweif hin und her schwenkte, ab und zu an etwas schnupperte und, nur um sich zu zerstreuen, hier und da etwas Gras abrupfte, zum Flusse hin. Er blickte mit keinem Auge danach hin, was um ihn her die jungen Stuten, die jährigen Hengste und die Füllen in ihrer Freude über den schönen Morgen anstellten, und da er wusste, dass es, namentlich in seinem Alter, das gesündeste sei, zuerst auf nüchternen Magen einen tüchtigen Schluck zu trinken und dann erst zu fressen, so suchte er sich am Ufer einen geräumigen, sanft abgedachten Platz, trat so weit in den Fluss, dass er sich die Hufe und das Kötenhaar benetzte, steckte sein Maul in das Wasser und begann es mit seinen zerrissenen Lippen einzusaugen, die sich allmählich füllenden Seiten sachte zu bewegen und mit der kahlen Rübe des dünnen, scheckigen Schweifes zu wedeln.
Eine braune, mutwillige Stute, die den Alten immer hänselte und ihm allerlei Schabernack spielte, kam auch hier beim Wasser zu ihm heran, als ob sie gleichfalls trinken wollte, in Wirklichkeit aber nur, um ihm das Wasser vor seiner Nase zu trüben. Aber der Schecke hatte sich schon satt getrunken und zog, wie wenn er die Absicht der braunen Stute gar nicht bemerkte, seine Beine, die tief in den weichen Boden eingesunken waren, ruhig eines nach dem andern heraus, schüttelte mit dem Kopfe, ging ein wenig abseits von der Jugend und machte sich daran, zu fressen. Indem er die Beine auf mannigfache Weise auseinanderspreizte und es so vermied, unnötig viel Gras zu zertreten, frass er, fast ohne jemals den Kopf in die Höhe zu heben, drei volle Stunden lang. Nachdem er sich so vollgefressen hatte, dass ihm der Bauch wie ein Sad von den mageren, derben Rippen herunterhing, stellte er sich gleichmässig auf alle seine vier kranken Beine, um möglichst wenig Schmerz zu haben, besonders im rechten Vorderfuss, der der schwächste von allen war. Dann schlief er ein.
Es gibt ein würdevolles Greisenalter, es gibt ein hässliches und es gibt ein klägliches Greisenalter. Mitunter kommt es auch vor, dass ein Greisenalter hässlich und würdevoll zugleich ist. Das Greisenalter des scheckigen Wallachs war gerade von dieser Art.
Der Wallach war von hohem Wuchs, nicht kleiner als zwei Arschin drei Werschok. Von Farbe war er schwarz-scheckig; oder vielmehr er war einstmals so gewesen; aber jetzt waren die schwarzen Flecke schmuzigbraun geworden. Solcher dunklen Flecke hatte er drei: der eine war am Kopfe, mit einer schiefen Blesse an der Seite der Nase, und reichte bis zur Mitte des Halses. Die lange Mähne, die ganz voll Kletten sass, war an manchen Stellen weiss, an anderen braun. Der zweite Fleck zog sich an der rechten Seite hin bis zur Mitte des Bauches; der dritte befand sich auf der Kruppe, umfasste noch den oberen Teil des Schwanges und reichte bis zur Mitte der Schenkel. Der übrige Teil des Schwanzes war weisslich-bunt. Der grosse, knochige Kopf mit den tiefen Einsenkungen über den Augen und der herabhängenden, bei irgendeinem Anlasse eingerissenen schwarzen Unterlippe hing schwer und tief an dem vor Magerkeit krummen, wie von Holz aussehenden Halse zum Boden hinunter. Hinter der herabhängenden Lippe wurden die seitlich zwischen die Zähne geklemmte, schwärzliche Zunge und die gelben Reste der durch das Kauen fast ganz zerstörten Unterzähne sichtbar. Die Ohren, von denen das eine zerschnitten war, hingen tief nach den Seiten herab und bewegten fidh nur von Zeit zu Zeit lässig, um die zudringlichen Fliegen zu verscheuchen. Ein langer Büschel Schopfhaar hing hinter dem einen Ohr herab; die unbedeckte Stirn war eingesunken und rauh; an den breiten Unterkiefern hing die Haut beutelförmig herunter. Am Halse und am Kopfe schlangen sich die Adern in Knoten zusammen, die bei jeder Berührung durch eine Fliege zuckten und zitterten. Das Gesicht trug den Ausdruck ernster Geduld, tiefen Nachdenkens und schmerzlichen Leidens.
Seine Vorberfüsse waren an den Knien bogenförmig gekrümmt; an beiden Hufen waren Geschwülste; und an dem einen Vorderbein, an welchem der farbige Fleck bis zur Mitte herabreichte, befand sich beim Knie eine faustgrosse Beule. Die Hinterbeine waren etwas weniger befekt, aber an den Schenkeln, offenbar schon seit langer Zeit, abgescheuert, und Haar wuchs an diesen Stellen nicht mehr nach. Alle Beine erschienen bei der Magerkeit der ganzen Gestalt unverhältnismässig lang. Die Rippen waren zwar derb und kräftig, lagen aber offen sichtbar da und waren so straff von der Haut überspannt, dass es aussah, als sei diese in den Vertiefungen zwischen ihnen angetrocknet. Widerrist und Rücken waren ganz übersät mit den Spuren alter Hiebe, und hinten war noch eine frische geschwollene Stelle, die sich zwar schon mit einem Schorfe überzog, aber noch eiterte; die schwarze Rübe des Schwanzes mit den deutlich erkennbaren Wirbeln ragte lang und beinah kahl hervor. Auf der braunen Kruppe, nicht weit vom Schwanz, befand sich eine mit weissen Haaren bewachsene handgrosse Wunde, die anscheinend von einem Bisse herrührte. Eine andere, schon vernarbte Wunde war vorn am Schulterblatt sichtbar. Die Hinterbeine und der Schweif waren infolge der steten Magenverstimmung unsauber. So kurz das Haar des Felles war, so stand es doch am ganzen Körper struppig in die Höhe.
Aber trotz des abschreckenden Aussehens, welches das Greisenalter dieseim Pferde verliehen hatte, konnte man, wenn man es betrachtete, unwidkürlich nachdenklich werden, und ein Renner hätte sofort gesagt, das müsse seinerzeit ein auffallend schönes Pferd gewesen sein. Ein Kenner hätte sogar gesagt, dass es in Russland nur einen Schlag gebe, der ein so breites Knochengerüst aufweisen könne und so gewaltige Schenkels knochen und solche Hufe und so schlanke Beine und eine solche
Aufsetzung des Halses und vor allen Dingen eine solche Schädelbildung und so grosse, schwarze, leuchtende Augen und so rassige Aderklümpchen an Kopf und Hals und eine so feine Haut und eine so feine Behaarung.
In der Tat, es lag etwas Würdevolles in der Gestalt dieses Pferdes und in dieser furchtbaren Vereinigung einerseits der abstossenden Merkmale der Gebrechlichkeit, deren Eindruck durch die Buntschedigkeit des Felles noch erhöht wurde, und anderseits seiner Gebärden und Manieren und des Ausdrucks von Selbstvertrauen und ruhigem Bewusstsein der eigenen Schönheit und Kraft.
Wie eine lebende Ruine stand das Tier einsam mitten auf der tauigen Wiese, und unweit von ihm erscholl das Stampfen, das Schnauben und das jugendfrohe Wiehern und Kreischen der weit zerstreuten Herde.