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Kapitel 3

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Izaak

Oh, das war zu viel des Guten. Den letzten Satz hätte er sich sparen sollen. Nein. Das war nicht gut. Fabian war zum Ende des Gesprächs endlich aufgetaut und hatte nicht mehr den Eindruck gemacht, er würde zur Schlachtbank geführt werden – mit Izaak als Henker. Und er musste es übertreiben. Ah, verdammt. Wieso konnte er nicht erkennen, wann es genug war?

Er selbst hatte gedacht, er würde träumen, als er ins Besprechungszimmer gekommen war. Er hatte den Namen Fabian Maier gelesen und sogar an »seinen« Fabian gedacht. Wie so oft in den vergangenen Wochen. »Seinen« Fabian – was für ein Unfug. Aber der Vorname hatte die Erinnerung natürlich wieder wachgerüttelt.

Für einen Moment hatte er gedacht, seine Vorstellungskraft hätte Fabian vor ihm materialisiert. Aber nein. Wie groß war der Zufall, dass der Kerl, der ihn so innig geküsst hatte, dass er Wochen danach noch immer davon träumte, ein Problem mit Geschwindigkeiten hatte. In Nicks Büro hatte Izaak davon nichts feststellen können. Fabian hatte in allem, was er getan hatte, das perfekte Tempo an den Tag gelegt.

»Alles klar?« Izaak drehte sich zu Bernadette um, die am Empfang saß und ihn fragend ansah. »Du stehst hier und beobachtest die geschlossene Aufzugtür wie … ich weiß nicht wie. Stimmt was nicht mit dem Mandanten?«

»Oh, nein. Alles Bestens. Ich hab nur kurz überlegt.« Unschlüssig, ob er es dabei belassen sollte, konnte es sich dann aber nicht verkneifen, sicher zu gehen, dass sie abgelenkt war. »Berni«, setzte er den von ihr so verhassten Spitznamen hinterher. Das obligatorische Schnauben der Empfangsdame kam prompt und zufrieden schritt er in sein Büro.

Der Rest des Tages verging wie im Flug. Da seine Gedanken ohnehin immer wieder zu Fabian und ihrer überraschenden Begegnung zurückkehrten, beschloss Izaak, entgegen seiner üblichen Gewohnheiten an einem Wochentag, die Kanzlei ungewöhnlich früh zu verlassen. Damit hätte er noch Zeit zu Nadines Pilates-Stunde im Fitnessstudio zu gehen. Er packte seine Sachen und verließ schnellen Schrittes das Bürogebäude.

Er musste dringend mit seinen Freunden über die Ereignisse des Tages reden. Wie vom Donner gerührt blieb er mitten auf dem Gehweg stehen. Eine Frau mit großen Einkaufstaschen an beiden Händen drehte sich zu ihm um, während sie ihn überholte und blinzelte ihn böse an. »O mein Gott«, formulierten seine Lippen lautlos und sie zog ihre Stirn in Falten. »O mein Gott«, sprach er etwas lauter und die Dame blieb stehen.

»Sind Sie in Ordnung?«

Izaak schüttelte sich und setzte ein geschäftsmäßiges Lächeln auf. »Entschuldigen Sie, ich blockiere den Weg.« Hastig lief er davon. Er konnte wegen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht niemandem davon erzählen. Fabian war sein Mandant und so unwillig, wie er mit seinen privaten Details rausgerückt war, wäre er vermutlich nicht erfreut, falls Izaak seine Verschwiegenheit brechen würde. Nein! Innerlich schrie er auf. Er würde platzen, wenn er nicht darüber reden konnte, Fabian wiedergesehen zu haben.

In welche Misere hatte er sich da geritten? Fieberhaft überlegte er, wie er Tobi und Nadine davon erzählen konnte, ohne seine Standespflichten zu verletzen. Er griff sich ins gestylte Haar und verstrubbelte es energisch. Es war völlig ausgeschlossen, einen Weg zu reden zu finden, ohne dass seine Freunde ihm jedes Detail aus der Nase zogen. Vielleicht sollte er statt ins Pilates zum Kickboxen gehen. Die nervöse Energie, die sich durch seinen Körper zog, fühlte sich ungesund an.

Als Izaak und seine beiden Freunde drei Stunden später aus dem Übungsraum gingen, hielt ihn Tobi am Arm fest. »Okay, was ist los mit dir? Du bist ein Nervenbündel.«

»Es ist nichts. Gar nichts. Stress in der Arbeit.«

»Seit wann lässt du dich von der Arbeit stressen?«

»Gar nicht – es ist quasi schon vorbei.«

Mit skeptischer Miene betrachtete ihn Tobi von oben bis unten. Nadine hakte sich bei Izaak unter und zog ihn in den Flur in Richtung der Umkleiden. »Sollen wir noch in die Sauna? Du wirkst wirklich etwas angespannt.«

Izaak pustete die Luft lange über seine Lippen aus. »Warum geht ihr nicht in die Sauna und ich mach mich in Ruhe fertig und warte auf euch?«

Nadine seufzte und Izaak setzte an, etwas zu sagen, als Tobi ihn unterbrach: »Du musst loslassen, Izi. Er ist nicht da. Du denkst, wir merken das nicht, dass du hier sitzt und nach Fabian Ausschau hältst? Auch wenn es nichts für mich ist – deine romantische Ader in allen Ehren –, ich will dir nicht reinreden. Aber das wird langsam ungesund. Vor allem musst du endlich mal lernen, was casual sex bedeutet. Das war das nämlich. Nicht mehr.«

In Izaak brodelte es. Wie oft hatte ihm Tobi genau dieselbe Rede gehalten? Aber darum ging es nicht. Oder nicht genau. Also irgendwie schon, aber doch nicht. Und er konnte nichts sagen. Es war zum Mäuse melken. »Du sagst doch immer, ich solle mehr unverbindlichen Sex haben, seit wann soll ich das nicht mehr?«

Tobi hob abwehrend die Hände. »Ich habe mich getäuscht. Ich gebe es zu – ich habe von mir auf andere geschlossen. Vor allem dachte ich, du könntest es lernen, aber das ist wohl nicht möglich. Dein letzter Versuch hat gezeigt, dieses Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt. Manche Menschen sind nicht für Gelegenheitssex geschaffen – es ist unerklärlich. Entweder der Sex ist schrecklich für dich oder du hängst dich an den Typen auf. Es gibt keine gesunde Mitte für dich. Ich gebe auf mit dir. Und ich ertrage es nicht, dass du weiterhin so einen Flunsch ziehst.« Nachdenklich tippte sich Tobi mit dem Finger auf der Lippe herum. »Was sag ich denn jetzt zu dir? Am liebsten würde ich dir raten: Lenk dich ab. Aber wie macht man das, wenn man keinen neuen Mann unter oder über sich will, um den Letzten zu vergessen?«

Izaak und Nadine lachten beide und Tobis Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Keine Ahnung, Tobi. Was könnten wir machen, außer noch mehr Sex zu haben, um uns von Sex abzulenken?« Tobi schubste Nadine leicht an der Schulter und schüttelte lachend den Kopf.

»Hi!«

Ruckartig schnellten alle drei Köpfe herum, zur Quelle der tiefen Stimme, die hinter ihnen aus dem Nichts aufgetaucht war.

Fabians Gesicht zeigte wieder diese verspannte Konzentriertheit, die Izaak als Erstes an ihm aufgefallen war. Die grauen Augen fest auf Izaak gerichtet wurde der intensive Blick jedoch durch Fabians Lippen, um die ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte, aufgeweicht.

»Na wen haben wir denn da?« Izaak erschrak über Tobis Worte und versetzte ihm einen kleinen Schubs.

Fabians Mund presste sich leicht zusammen und sein Ausdruck nahm etwas um Entschuldigung Bittendes an. »Ich dachte, ich nehme mir deine Worte gleich zu Herzen und schau mal wieder vorbei.« Dabei sah er Izaak weiter an.

»Was für Worte?« Tobi hatte Blut geleckt. Er würde nicht lockerlassen.

Aus dem Augenwinkel konnte Izaak sehen, wie Nadine Tobi am Arm nahm und die Treppen zum Empfang hinabzog. »Wir holen uns jetzt die Saunatücher. Tobi komm, du wolltest mit mir in die Sauna.«

Tobi murmelte einen grummelnden Protest vor sich hin, während die beiden über die Treppe verschwanden.

Fabian fuhr sich verstohlen über den Kopf. »Ich dachte, du hättest ihnen vielleicht erzählt, dass wir uns getroffen haben.«

Durch sein Kopfschütteln flogen Izaaks Strähnen in sein Gesicht und er wischte sie sich energisch wieder heraus. »Nein, das darf ich gar nicht wegen der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht.« Er musste ja nicht hinzufügen, dass er bereits wenige Stunden nach dem Treffen in der Kanzlei nicht mehr wusste, wie er diese Pflicht einhalten sollte.

Mit einem Schmunzeln deutete Fabian mit dem Daumen über seine Schulter die Treppe hinab. »Du willst mir sagen, Engelshaar mit Teufelszunge konnte dir diese Info noch nicht entreißen?«

»Du nennst Tobi Engelshaar?« Was Izaak eigentlich wissen wollte, war: Hast du einen Spitznamen für mich? Wie nennst du mich, wenn du an mich denkst? Diese Fragen verkniff er sich aber tunlichst, um nicht den Anschein zu erwecken, dass – ja, was eigentlich? – dass er selbst dauernd an Fabian dachte und hoffte, ihm ginge es genauso. Tobi hatte recht. Er war ein hoffnungsloser Fall.

»Du hast die Teufelszunge unterschlagen. Er sieht aus wie ein Engelchen, aber er kann mich nicht täuschen.« Erschrocken riss Fabian die Hände abwehrend zwischen sie beide. »Nicht, dass ich was gegen deinen Freund habe.«

Izaak winkte ab. »Schon gut. Er ist mein bester Freund, mir fällt schon was ein, wie ich ihn ablenken kann. Aber da er uns nun gesehen hat, gibt er sich vielleicht damit zufrieden.«

Fabian atmete schwer aus. »So ganz haben wir das nicht durchdacht, oder?«

Zerknirscht musste Izaak ihm recht geben. Das war alles keine gute Idee. Heute Nachmittag schien es alles so einfach. Fabian wäre sein Mandant. Dass sie beide über Izaaks Hand gekommen waren, war eine Nebensache, die sie als reife Mitglieder der Gesellschaft beiseiteschieben konnten. Er selbst würde niemals das Vertrauen eines Mandanten verletzen, egal, welches dringende Mitteilungsbedürfnis er hatte. Izaak nickte. Es war das Beste, wenn Fabian sich einen neuen Anwalt suchen würde. Dass er dann wiederum keine Gelegenheit hatte, Fabian außerhalb ihrer »zufälligen« Treffen im Studio, zu sehen, durfte ohnehin nie Grund gewesen sein, dass er das Mandat angenommen hatte. Izaak schluckte schwer. »Ich habe schon ein paar Sachen zusammengestellt. Also wenn du wechseln willst, gebe ich dir einfach alles und …«

Fabian starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du willst mich nicht weiter vertreten?«

»Was? Doch, natürlich! Ich dachte, du wolltest das nicht mehr?«

»Nein. Überhaupt nicht. Ich wollte dir vorschlagen, dass du den beiden ruhig erzählen kannst, dass du mich vertrittst, wegen einer Verkehrssache. Nur bitte ich dich, keine Details über meine Schwester zu erzählen. Und über meine Mutter. Sie mögen der Grund sein, wieso ich meinen Schein brauche, aber ich will nicht, dass Details über ihre Gesundheit breit getratscht werden.«

Izaak wusste, was es bedeutete, wenn Familieninterna nach außen getragen wurden, wo sie nichts verloren hatten. Fabian hatte wieder diese stoische Intensität angenommen. Dieser Gesichtsausdruck, der keinen Widerspruch duldete und nur abgeklärte Überzeugung ausdrückte.

»Das würde ich niemals tun. Ich verspreche es dir!«

Fabians Gesichtsmuskeln um seinen Kiefer entspannten sich etwas und er nickte kurz. »Gut. Danke.«

Unschlüssig standen sich beide gegenüber, um schließlich gleichzeitig zu reden zu beginnen.

»Du willst sicher auch in die Sauna«, sagte Fabian, während Izaak über den Fall redete.

Fabian bat ihn fortzufahren.

»Ich habe schon einige Sachen zusammengetragen, aber ich glaube, es wäre besser, wenn du mir zu einigen Punkten etwas sagen könntest. Nicht nur wann und wie oft die Termine Lenas sind, sondern auch, warum ihr nicht in einer näheren Einrichtung seid und dergleichen.«

»Okay. Kein Problem. Schickst du mir eine Liste und ich schreibe dir zu jedem Punkt was auf?«

Izaak gab einen undefinierbaren Laut von sich, der eine gewisse Ablehnung ausdrückte. »Hm, ich dachte eher, wir könnten das vielleicht persönlich besprechen. Bevor wir hundert Mal hin und her schreiben, ist es vielleicht besser, einfach alles Punkt für Punkt durchzugehen. Das klappt meist besser.«

Fabian nickte zustimmend. »Sicher, alles, was du denkst, was dem Fall hilft.«

Izaak krümmt sich innerlich. Er war sich nicht sicher, ob dieser Vorschlag rein der Bearbeitung des Falles geschuldet war; aber es war mit Sicherheit auch nicht hinderlich. Wow, er schreckte wirklich vor nichts zurück. »Ich bin überzeugt, es ist dem Fall dienlich.« Dienlich war so ein schönes Wort. Es war nicht gelogen und lenkte hoffentlich von der Röte ab, die mit Sicherheit über seine Wangen kroch, wenn die Hitze, die er spürte, ein Indikator dafür war, wie sehr er sich hier zum Affen machte.

»Dann soll ich noch mal in der Kanzlei vorbeikommen?«

»Hm. Vielleicht lässt sich das in anderer Umgebung besser besprechen. Bei einem Essen?« Es war absolut nicht ungewöhnlich, mit Mandanten essen zu gehen. Die Bewirtungsbelege, die Berni jeden Monat abrechnen musste, bewiesen dies. Fabian war vielleicht nicht der typische Mandant, mit dem ein Kanzleimitarbeiter essen ging. Aber das war Izaak egal.

Fabians »okay« war Frage und Antwort gleichermaßen, doch Izaak strahlte innerlich. Er würde Fabians Führerschein retten – auch wenn der Weg etwas unkonventionell schien. Es lohnte sich, diesen Extraeinsatz zu zeigen. Dass vielleicht auch eigennützige Motive eine Rolle spielen könnten, drängte er von sich.

»Wann passt es dir denn diese Woche? Mal abends gegen 19:00 Uhr?«

»Abends?« Das Erstaunen in Fabians Stimme konnte Izaak nicht ausblenden und so biss er die Zähne zusammen.

»Ich dachte, das wäre einfacher für dich.« Diesmal hörte sich Izaak an, als ob er eine Frage stellte. Fabians Miene verriet ihm nicht, wie er seine Erläuterung aufnahm.

Dieser nickte nur kurz. »Okay. Gib mir doch einfach Bescheid, wo und wann. Ich bin jeden Abend frei.«

Diese Info hätte Izaak nicht so freuen sollen, wie sie es tat. »Dann geb ich dir Bescheid. Deine Kontaktdaten habe ich ja.« Und wieder zog die untrügliche Hitze über seinen Kopf. Er musste sich am Riemen reißen. Der einzige Grund, wieso er diese Daten hatte, war, weil Fabian sein Mandant war. Der einzige. Das durfte er nicht vergessen. Seine Position auszunutzen, wäre unverzeihlich, und kurz überlegte er, das ganze abzublasen. Doch Fabian lächelte ihn so frei an, wie seit ihrem Stelldichein in Nicks Büro nicht mehr. Es sprach nichts gegen dieses Essen. Izaak hatte sich schon unzählbare Male mit Mandanten getroffen.

»Mach das. Und Izi …« Fabian sog seine Unterlippe ein und blickte schnell an Izaak vorbei, bevor er ihm wieder ins Gesicht sah. »Es ist kein Zufall, dass ich heute hier bin. Ich habe mir deine Worte wirklich zu Herzen genommen. Ich kann nicht einerseits dich als meinen Anwalt beauftragen und andererseits versuchen, dir aus dem Weg zu gehen. Das war von vornherein nicht in Ordnung.« Er seufzte tief. »Allerdings hatte ich wirklich viel um die Ohren. Egal. Das war es eigentlich, was ich dir sagen wollte.«

Izaak versuchte, sich die Freude darüber nicht zu sehr ansehen zu lassen. Es sollte ihm egal sein. Aber er konnte nichts dagegen tun. Er konnte die Sonne auch nicht am Aufgehen hindern. Jedoch würde er nicht zu viel Bedeutung in diese Aussage legen. Fabian ging ihm nicht mehr aus dem Weg. Ja, dies erhellte seine Laune. Und ein bisschen gute Laune hatte er verdient.

Luft an Land

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