Читать книгу mach's mir: verboten - Lilli Wolfram - Страница 5
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Sie war so schön, doch sie sprach nicht mit ihm
Hoch oben, an der Steilküste Schottlands, wo die Winde schon im August hart und eisig waren, wo die Seeluft von feinem Sprühregen durchwoben war, stand das monumentale Schloss am Rand der Klippen. Dort hatte es der Earl of May für seine geliebte Countess im 13. Jahrhundert errichten lassen.
Nun posierte die junge Gärtnerin Amy – nur ein paar Schritte vom Abgrund entfernt – barfuß auf dem feuchten Moos, während der Maler Jeremy sie auf seiner Leinwand verewigte. Während sie ganz still stand, blickte sie mit ihren wundersam smaragdgrünen Augen hinunter in die schäumende Gischt, die an den grauen, schroffen Felsen emporspritzte. Sie sah, wie sich die Wellen wild und tosend am jahrtausendealten Stein brachen – nur hören konnte sie es nicht. Amy war von Geburt an taub. Ihr geblümter, knöchellanger Rock wehte, ihr rötliches Haar flatterte und die Nase lief etwas. Sie hatte die Knöpfe ihrer derben Arbeitsbluse geöffnet, sodass ihre hellen Brüste mit den zartrosa Knospen schutzlos dem kalten Wind ausgesetzt waren. Die Hände hatte sie auf ihre Hüfte gelegt, was für zarte Finger sie hatte! So stand sie still und geduldig da; und das leuchtend orangene Abendrot schmiegte sich über ihr wunderschön gleichmäßig geschnittenes Gesicht, als würde es von innen her glühen. Wie die Venus von Milo sah sie aus. Still und unantastbar. Und doch vollendet weiblich.
Jeremy stand ein Stück entfernt von ihr an seiner Staffelei, in der rechten Hand hielt er seinen Pinsel, in der linken die Farbpalette, auf der er die unterschiedlichsten Ölfarben angemischt hatte. Mit sicherem Strich schaffte der, in Künstlerkreisen bewunderte Maler, auf seiner Leinwand das perfekte Abbild von Amy. Seit diesem Frühjahr war der 45-Jährige wie besessen davon, die liebliche Gärtnerin zu portraitieren. Mal wie ein Kaninchen hockend unter Himbeersträuchern, dann grazil ausgestreckt auf ihrem schmalen Bett in ihrer Kammer, notdürftig von einem weißen Laken bedeckt, dann wieder nackt auf einem Holzschemel in seinem Atelier, das sich im alten Orchideen-Gewächshaus hinter dem Schloss befand. Besonders mochte er das Motiv von ihr, wie sie in weißem Baumwollunterhemd und hochgebundenem Unterrock beim Erdbeerenpflücken auf allen Vieren zwischen den niedrigen Pflanzen über das gelbe Stroh kroch. Amy hatte Jeremy schon viele entzückende Posen angeboten; und jedes Mal war er erstaunt darüber, wie sich die junge Gärtnerin mit Bildkompositionen auskannte. Amy wusste genau, wie sie sich zu hocken, zu legen oder zu spreizen hatte, um für Jeremy das perfekte, spannungsgeladene und doch entrückte Motiv abzugeben. Ja, Amy, die wunderschöne Amy war zu Jeremys Muse geworden. Seit dem Tag im April, als er sie unter den ausladenden Blättern des exotischen Riesen-Rhabarbers gemalt hatte. Nur leider schenkte sie ihm nie ein Lächeln. Jetzt winkte er ihr zu, um sie auf diese Weise zu fragen, ob er lieber abbrechen sollte? Widerwillig sah sie zu ihm hinüber und schüttelte bockig den Kopf. Amy mochte es nicht, wenn Jeremy sie wie ein Zuckerpüppchen behandelte. Sie war zäh.
Tagsüber jätete die junge Gärtnerin im königlichen Gemüsegarten Unkraut, pumpte Wasser, grub Beete um oder erntete Kohlrabi. Unterdessen werkelte Jeremy in seinem Gewächshaus an neuen Rahmen für seine Leinwände oder legte nochmal Hand an einem der noch nicht ganz fertigen Gemälde an. Und immer wieder glitt sein sehnsüchtiger Blick durch die verwaschenen Scheiben des Gewächshauses hinaus zur emsig arbeitenden Amy, die sich partout nicht zu ihm umwenden wollte. Amy! Sie schien so gar nichts für ihn zu empfinden. Mittags aßen sie mit den anderen Angestellten des Schlosskomplexes an der langen Tafel im Speisesaal warmen Porridge mit Eiern und Speck. Bei dieser Gelegenheit würdigte Amy Jeremy ebenfalls keines Blickes. So, als würden sie sich gar nicht kennen.
Der Wind wurde immer heftiger, und Jeremy hielt mit Mühe die Leinwand an der Staffelei, damit sie ihm nicht um die Ohren und über die Klippen flog. Auch Amy gab sich alle Mühe, nicht ins Taumeln zu geraten. Ihr geblümter Rock blähte sich unter der steifen Brise, sodass ihre nackten Beine bis hinauf zu ihrem Unterhöschen entblößt wurden. Die Schöße ihrer Bluse flatterten aufgeregt. Doch Amys Gesicht blieb entspannt, als könnten der Wind, der Regen und die Kälte ihrem zitternden Busen nichts anhaben. Sie wollte Jeremy ein gutes Gemäldemotiv sein. Sie liebte seine Bilder, die oben in seinem Dachgeschoss entlang der Backsteinwand standen und ihre seltene Schönheit demonstrierten.
Dieses Gemälde, was er nun malte, hatte Darren McFever, ein wohlhabender, wie bedeutender Kunsthändler aus Aberdeen bei Jeremy in Auftrag gegeben. Überhaupt bestellte er Monat für Monat bei ihm ein großformatiges Gemälde, mit der dringenden Auflage, dass Amy darauf abgebildet war. Allerdings war Jeremy nicht ganz klar, ob McFever seine Kunst schätze, oder ob er vielmehr einen Narren an Amy gefressen hatte. Im Grunde genommen konnte das Jeremy auch egal sein, wenn McFever nicht bei seinem letzten Besuch darum gebeten hätte, Amy einmal persönlich kennenlernen zu dürfen. Kaum war die Bitte ausgesprochen worden, hatte Jeremys Herz unruhig zu schlagen begonnen. Was, wenn dieser McFever ihm seine Amy wegnahm?
Morgen schon wollte Darren McFever kommen; und Jeremy hatte Amy noch immer nichts von dem Wunsch des Kunsthändlers erzählt. Er wollte nicht, dass McFever Amy zu Gesicht bekam. Denn: In Natura war sie noch tausendmal schöner und anmutiger. Wahrscheinlich blieb Jeremy nur noch eine Möglichkeit: McFever als Kunden aufzugeben, um Amy nicht zu verlieren. Glücklicherweise bewölkte sich der Himmel zunehmend, der Regen wurde heftiger, sodass er Amy schließlich ein Zeichen des Aufbruchs gab. Widerwillig schüttelte sie den Kopf. Wie süß, wie niedlich sie doch war! Jeremy lachte auf. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie garantiert bis zur Nacht still gestanden. Obwohl ihre Lippen inzwischen schon bibberten. Sie schlackerte und zitterte. Jeremy packte seine Sachen, griff nach ihrer Hand und zog sie hinter sich her, den sandigen Weg durch den Park hinunter, am Irrgarten, den prächtigen Blumenrabatten und den Wasserfontänen vorbei, nach hinten in den Gemüsegarten. Sie musste sich dringend aufwärmen. Im Vorbeigehen stellte er nur rasch seine Malutensilien im Gewächshaus ab und zog Amy dann weiter Richtung Gesindehaus, durch die niedrige Tür, die durchgetretene Holzstiege hinauf, in sein Reich unter dem Dach.
Hier riss sich die junge Gärtnerin demonstrativ von seiner Hand los und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Dieses widerspenstige Fräulein! Was hatte sie denn nur? Tag für Tag malte er sie und kaum war er fertig, wollte sie nichts mit ihm zu tun haben. Sobald er McFever angerufen und ihm für morgen und alle Zeit abgesagt hätte, würde er Amy um eine „schriftliche“ Erklärung ihres seltsamen Verhaltens bitten. So ging das nicht weiter zwischen ihnen. Während er in seinen schweren Stiefeln grollend hinüber zum Kamin schritt, um Feuer zu machten, wählte er McFevers Nummer. Kopfschüttelnd kam sie näher, als er dem enttäuschten McFever am Handy absagte. Ihre smaragdgrünen Augen blitzten. Irgendetwas arbeitete in ihr. Das war ihr deutlich anzusehen. Und sie war wütend, dass Jeremy einfach nicht drauf kam, was sie wollte. Als er schließlich seufzend das Telefonat beendet und seinen besten Kunden verloren hatte, tippte sich Amy an die Stirn. Dann verschwand sie hinter dem Leinenvorhang, den Jeremy vor seine Toilette und die Waschschüssel gehängt hatte. Verwirrt hörte er das Wasser plätschern. Was sollte das alles?
Kurz darauf kam Amy wieder nackt hervor. Zart wie ein Reh schritt sie an den aufgebauten Gemälden entlang, auf denen immer wieder nur sie in unterschiedlichen Posen nackt zu sehen war. Am Ende des Dachbodens legte sie sich vor dem Kamin auf die beiden weißen Schaffelle. Auf den Bauch, dass die Flammen einen goldenen warmen Schimmer auf ihren formvollendeten Körper warfen. So wartete sie auf Jeremy. Der unschlüssig mitten im Raum stand. Als er sich noch immer nicht rührte, drehte sie sich lächelnd zu ihm um, griff sich einen von seinen dicken Pinseln, die in leeren Farbeimern auf dem Boden herumstanden und begann, sich mit diesem dicken Pinsel am Kitzler zu kitzeln.