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Kapitel 1

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Der hübsche, ja irgendwie sogar aufdringlich hübsche Po schob sich ohne ihr aktives Zutun in ihr Blickfeld. Er bannte ihren Blick und ließ kurz ihren Atem stocken. Doch noch während sie sich selbst stumm eine »Sexistin« schimpfte, weil irgendein Teil ihrer Persönlichkeit den Rest des männlichen Körpers ausgeblendet hatte, waren beide auch schon wieder verschwunden: Po wie Körper.

Dieses Mal bewusst und sich mit ihrer Libido herrlich einig reckte Melissa den Hals, um das Hinterteil wieder erspähen zu können. Doch im Inneren des Frühstücksbistros war es zu dunkel, um den Po – und den wahrscheinlich dranhängenden attraktiven Kerl – zu entdecken. Zumindest wenn man draußen und in der Sonne saß.

»Hast du das gesehen?« Melissa fuhr mit ihren Händen in der Luft eine imaginäre Linie nach und zusammen mit ihrem Gesichtsausdruck hätte auch der letzte Naivling begriffen, was sie dort gestikulierte.

»Habe ich was gesehen?« Geistesabwesend nippte Joanna an ihrem Latte Macchiato. Mit einem kleinen Milchbart auf der Oberlippe sah sie auf und versuchte zu ergründen, was ihre Kollegin und beste Freundin in Verzückung gesetzt hatte.

»Diese Eleganz, diese Linie. Hast du den Schwung bemerkt, der den Gesamteindruck noch unterstrichen hat?«

Ihre Augen folgten dem Blick, den Melissa jetzt fest auf das Objekt ihrer Begierde gerichtet hatte. Es stand in einem Lichtstreifen, der durch das Ostfenster nach innen fiel. Schon durch diese Beleuchtung wirkte der Kerl wie das blühende Leben. Genau wie ihre hormongeplagte Freundin.

»Ist schon wieder Frühling?«, kommentierte Joanna trocken und leckte sich den Milchschaum von den Lippen.

Melissa schnaubte und sah weiter auf die prachtvolle Rückenansicht des Mannes. Da ihre Freundin in einer festen Beziehung steckte, meinte sie wohl, die Heilige herauskehren zu müssen. Dabei würde ihr doch ein wenig Sündhaftigkeit gut zu Gesicht stehen. Melissa seufzte leise. Mit dem gesträhnten Blondhaar und dem hellblauen Oberteil zu einer Bluejeans war der Kerl selbst aus dieser Perspektive beinahe zu gut, um wahr zu sein. Als er einen Schritt näher Richtung Theke machte, kam sie nicht umhin, abermals seinen knackigen Po zu bemerken, dessen Bewegungen unter dem perfekt sitzenden Stoff einer Offenbarung gleich kamen.

»Wahrscheinlich eh schwul.« Joanna schlug das Magazin auf und begutachtete das Ergebnis von Melissas Arbeit. Gut recherchierte und noch besser aufbereitete Artikel, kleine Klatschkolumnen und heitere Berichte schmückten die ersten Seiten. Ihre Freundin hatte wirklich ganze Arbeit geleistet und innerhalb eines Jahres ein komplett neues, hippes Magazin aus dem Boden gestampft. Mit Insiderinformationen für die andere töten würden.

»Ja, aber ich könnte ihn bekehren.« Melissa schenkte ihrer Freundin einen intensiven Blick. Gekonnt durch die langen Wimpern und leicht von unten herauf. Unschuldig und verführerisch zugleich.

»Hör auf an mir zu üben«, tadelte Joanna. Seit sie für die Begleitagentur »Office-Escort« arbeitete, war sie in dieser Hinsicht deutlich abgebrühter als ihre beste Freundin.

»Ich dachte nur, falls das Magazin floppt …«, flirtete Melissa weiter und überlegte, ob sie Joanna trotz ihrer Beziehung mal wieder ins Bett bekommen könnte. Schließlich war sie eine Frau und Joanna mit einem Mann zusammen … streng genommen zählte das sicher nicht als Fremdgehen. Ihretwegen konnte Joannas Freund Ruben sogar zusehen.

»Erstens wird es nicht floppen und zweitens weißt du doch, dass du bei uns sofort anfangen kannst.«

»Ja, hat mir dein Chef auch schon angeboten!«, neckte Melissa.

»Bist du denn eher »S« oder »M«?«, erkundigte sich Joanna im selben Tonfall.

»Nennst du Ruben privat Chef oder Beziehung?«, konterte Melissa, die sich stets strikt an die Regel hielt: Arbeit und Privatleben müssen getrennt sein.

»Du bist doof!«, meinte Joanna und zog ein Schnütchen, weil der Punkt eindeutig an ihre Freundin ging.

Melissa lachte und blickte wieder zur Theke. Der entzückende Rücken war verschwunden.

»Na, Ladies?«

Schwungvoll wurde ein Stuhl vom Nachbartisch neben Melissa gezogen und mit demselben Schwung setzte sich jemand neben sie.

Nach einer Schrecksekunde begann Joanna ungeniert zu lachen.

»Oh mein Gott!« Melissa starrte ihren Fotografen John an, der – durch Joanna angeworben – ebenfalls ab und zu als gebuchter Begleiter arbeitete. Schließlich rang sie sich unter Joannas Grinsen ein »Du warst beim Friseur?« ab.

»Es gefällt euch nicht?« Er fuhr sich mit den Fingern durch die unordentlichen Strähnen. Leicht gebräunt und athletisch sah er mehr denn je aus wie ein typischer amerikanischer Surfer. Nur dass seine Wellen in Deutschland beheimatet waren. Meistens jedenfalls. Genau wie Joanna ließ er keine Gelegenheit aus, sich in den Grenzen des Escort-Jobs zu vergnügen. Notfalls eben auch sportlich.

»Doch, sieht sehr gut aus.« Melissa gab dem Verlangen nach und wuschelte ebenfalls durch das frisch gesträhnte Haar. Es schien noch weicher geworden zu sein. Immer noch unverschämt dick, immer noch unverschämt seidig.

»Und dass die Jeans klasse ist, ist ihr auch schon aufgefallen«, half Joanna hilfsbereit nach.

»Nein, das war der Hintern unter der Jeans«, korrigierte Melissa zuckersüß. Wenn ihre Freundin glaubte, sie so schnell aus der Fassung oder in Verlegenheit zu bringen, dann hatte sie sich aber geschnitten. Nur weil sie mal mit John in der Kiste gelandet war … also … bevor sie begriffen hatte, dass John bereits für sie arbeitete …

»Mei, Mei, Mei. Bezahlt Ruben euch das extra oder wollt ihr nur meinem Ego schmeicheln?«

»Deinem Ego schmeicheln«, meinten die beiden unisono, machten aber mit ihrem Lachen den Effekt kaputt.

»Ihr seid sooo böse.« John zog das Magazin zu sich und schlug die erste Seite auf. Dabei gab er sich Mühe, seine beleidigte Miene beizubehalten. Es gelang ihm nur bedingt.

»Ja, du bist ein guter Fotograf«, witzelte Joanna und versuchte, ebenfalls in das Magazin zu blicken. Doch Melissa saß zwischen ihr und John und machte es beinahe unmöglich, zu sehen, was Melissas »Haus und Hof«-Fotograf betrachtete.

»Und wer von euch wird mir beim nächsten Job zur Hand gehen, mh?«

Während Joanna rot wurde, weil sie Dank des gemeinsamen Jobs beim »Office-Escort« sofort in eine erotische Richtung dachte, schenkte Melissa ihrem Untergebenen genau den Blick, den sie vorher an ihrer Freundin geübt hatte. Als sie sich sicher war, John zumindest ein bisschen aus der Fassung gebracht zu haben, lehnte sie sich so vor, dass ihr Gesicht nur noch Zentimeter von seinem entfernt war und hauchte: »Fürs zur Hand gehen brauchen wir doch keinen gemeinsamen Job, oder?«

Johns Gesichtsausdruck wechselte von frech zu ungläubig zu verlangend. Trotzdem gelang es ihm, ein Stückchen nach hinten und außer Melissas Reichweite zu rutschen. »Du willst doch nur spielen.«

»Will ich das nicht immer?«

John warf einen Blick in die Runde und sein Ausdruck sprach Bände. Wenn sie nicht in der Öffentlichkeit wären, würde Melissa vermutlich ihren unverschämten Flirt bereuen. Zumindest bis sie seinen Namen stöhnte. Wahlweise auch seufzte oder keuchte. Aber sie waren in der Öffentlichkeit, und so blieb John nur ein Mitspielen. Er rückte wieder näher und kehrte in die Ausgangssituation zurück. Jetzt war er derjenige, der mit gefasstem Gesichtsausdruck hauchte: »Du bist ein Biest.«

»Der Punkt geht trotzdem an Melissa.« Joanna hatte sich wieder das Magazin geschnappt und das Geschehen nur aus dem Augenwinkel betrachtet. Doch zum Schiedsrichter reichte es.

»Ein Punkt für Melissa«, gab John zu, nicht ohne die Beule in seinem Schritt so langsam zu verbergen, dass die beiden sie auf jeden Fall entdecken mussten.

»Wir gehen dann schon mal vor.« Melissa stand mit einem triumphierenden Gesichtsausdruck auf und Joanna klappte das Magazin zusammen. Mit gespielt bedauernden Blick auf ihren Teilzeit-Kollegen stand sie auf. »Punkt zwei für Melissa.«

»Ich weiß nicht wer, aber eine von euch wird das in nächster Zeit bezahlen«, grummelte John mit zusammengebissenen Zähnen. Dass ihm die Erektion in der engen Jeans auf lustvolle Art Schmerzen bereitete, war ihm deutlich anzusehen.

Melissa ließ ihren Blick zu der Kellnerin schweifen, die das Geplänkel neugierig verfolgt hatte. Dass auch sie einen Narren an dem hübschen Fotografen gefressen hatte, war offensichtlich. Wahrscheinlich würde John doch noch auf seine Kosten kommen. Da konnte er auch noch einen weiteren Spruch vertragen.

»In welcher Währung?«, lachte sie und brachte sich gerade noch in Sicherheit, als er das rasch gerollte Magazin hinter ihr herwarf.

Zielsicher schnappte Joanna das Machtwerk noch in der Luft. Noch bevor sie aus Johns Blickfeld traten, versetzte sie ihrer Freundin einen Klaps mit dem Papier und tadelte: »Jetzt wirst du beim nächsten Termin wieder auf jedem zweiten seiner Fotos zu sehen sein …

Melissa strahlte geschmeichelt. Dann verdunkelte sich ihr Gesicht. »Wärst du lieber auf den Fotos?«

»Nö, wieso?«

»Wenn du was Ernstes mit John willst …«

»Ne, lass mal.« Joanna hakte sich bei ihrer Freundin unter. »Ich bin mit Ruben glücklich. Er akzeptiert mich wie ich bin und zwar als ›S‹ und als ›M‹.«

Melissa kicherte, da sie sich ihre Freundin kaum als devote Lustsklavin vorstellen konnte. Das war beinahe so abwegig, wie selbst zu einer zu werden.

»Stimmt, John ist mehr ein Leckerlie zwischendurch«, stimmte Melissa zu. Sie hatte den One-Night-Stand mit ihrem Fotografen zwar genossen, aber das Besondere hatte gefehlt. Das, was man unbedingt und unter allen Umständen noch einmal erleben wollte. Nicht, dass sie es bereits einmal erlebt hatte … aber irgendwo musste es ihn geben. Den Life-Changing-Sex.

»Du bist unmöglich«, meinte Joanna.

»Stets zu Diensten.«

»Und du kannst nicht einmal fünf Minuten ohne sexuelle Anspielung leben.« Die Blondine schüttelte den Kopf, ohne zu bemerken, dass sie durch diese Geste die Aufmerksamkeit zahlreicher Männer auf sich zog.

»Aber ich kann fünf Minuten ohne Sex … ist doch schon einmal ein Anfang, oder?«

Joanna versetzte Melissa einen weiteren Klaps.

»Hei, lass das. Die Leute denken nachher noch, ich stehe auf devot.«

»Ein bisschen devot würde dir mal ganz gut tun.«

Lachend sprang Melissa zur Seite, als Joanna abermals mit der Zeitung drohte.

»Reicht fürs erste ernst?«

»Ich nehme, was ich kriegen kann.«

»Tue ich auch.«

Joanna verdrehte die Augen. »Wieso arbeitest du doch gleich noch mal nicht für uns?«

»Weil mir der Job zu gut bezahlt ist?«

»Ist ein Argument. Wer will schon viel Geld verdienen?«

»Genau!« Melissa hakte sich wieder bei Joanna unter, nahm ihr aber sicherheitshalber das zusammengerollte Magazin ab.

»Aber mal ehrlich: Vielleicht komme ich irgendwann darauf zurück.«

»Wenn du deinen Traummann nicht findest?«

»Wenn ich meinen Traummann nicht innerhalb … sagen wir des nächsten Jahres finde?«

Joanna blieb stehen und wirkte mit einem Mal ernst. »Du weißt, dass das gegen unsere Regeln ist?«, erkundigte sie sich.

Melissa nickte. »War nur ein Spaß. Ich will das Magazin, das wollte ich schon …«

»… seit ich sieben Jahre alt bin«, vervollständigte Joanna. Denn seit die beiden sechs Jahre alt waren, kannten sie sich, und seit Melissa mit sieben ihren Wunsch ein eigenes Magazin zu besitzen, gegen alle Mitschüler verteidigt hatte, waren sie beste Freundinnen.

»Nächste Woche, selbe Zeit, selbe Stelle?«, erkundigte sich Melissa, nur um sich beinahe zeitgleich an den Kopf zu fassen. »Geht ja gar nicht, ich bin ja in Rom.«

»Ohh …«, machte Joanna. »Rom ist toll.«

»Möchtest du mit?«, erkundigte sich Melissa. Jemand von Joannas Format war überall gerne gesehen und könnte rasch an intime Hintergrundinformationen gelangen. Sogar noch deutlich rascher als sie selbst. »Hochzeit, Formalitäten, Adel …«, lockte die Journalistin ihre Freundin. »Spiel, Spaß und Spannung …«

»Menschenaufläufe, Stress und Interviews …«, konterte Joanna. »Und alles ohne Office-Escort-SM oder echten Sex – ohne mich.«

»Du kannst aber auch eine Spaßbremse sein!«

»Immer zu Diensten.« Joanna deutete einen Knicks an.

»ICH freue mich!« betonte Melissa. Unwillkürlich seufzte sie und befeuchtete mit der Zunge ihre vollen Lippen. Rom, verführerisch und aufregend. Sie warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu und auf einmal konnte sie kaum erwarten, dass es endlich losging. Mit oder ohne SM oder Sex oder Vanilla-Sex oder was auch immer …

Schlagzart

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