Читать книгу Möppel Räuber - Lisa Lippinski - Страница 3
Möppel taucht auf
ОглавлениеDie Zwillinge Pitt und Pina hatten im Wald schon vieles gefunden.
Einmal war es ein verletztes Rehkitz. Das hatte Papa aber zu einem Bauernhof gebracht, noch bevor sie ihm einen Namen geben konnten.
Manchmal durften sie es besuchen, aber Papa erlaubte nicht, dass sie es mit nach Hause nahmen.
Einmal war es ein alter Zauberhut. So ein schwarzer, wie im Zirkus. Aber sie schafften es nicht, ein Kaninchen herauszuzaubern. Egal, was sie taten.
Simsalabim?
Nein, keineswegs.
Abrakadabra?
Keine Spur von einem Kaninchen.
Dreimal schwarzer Kater?
Immer noch gähnende Leere!
Also hatten sie den Hut auf den Kopf von Bauer Breuer gestülpt, als der auf einer Bank am Waldrand schlief.
Und der hatte sich gar nicht gewundert und trug ihn seither jeden Tag. Als wäre das schon immer so gewesen. Auf seinem Traktor und beim Ausmisten und beim Schlafen auf Bänken. Immer hatte er ihn an. Und ein ganz griesgrämiges Gesicht hatte er darunter. Dabei machte der Hut ganz schön was her.
Einmal hatte Pina im Wald sogar einen sprechenden Zwerg gefunden.
„Lass mich in Ruhe, du hässliche Riesin“, hatte der Zwerg geschimpft, als sich Pina zu ihm heruntergebeugt hatte. Und dann hatte er eine Eichel nach ihr geworfen.
Da hatte Pina den Zwerg in ein Marmeladenglas getan, um ihn später ihrem Bruder zu zeigen. Aber irgendwie war er abgehauen.
„Wahrscheinlich hat er jemanden überredet, ihn herauszulassen“, erklärte Pina Pitt.
Ihr Bruder war sich da nicht so sicher.
„Wahrscheinlich hast du das geträumt mit dem Zwerg“, erklärte er Pina.
„Gar nicht“, sagte Pina trotzig.
Ihr Bruder schaute sie streng an.
„Naja, ein kleines bisschen vielleicht.“ Sie schaute zurück, bis sie lachen musste.
„Gut, ich hab's geträumt. Aber in meinem Traum war der Zwerg ganz echt!“, wehrte sie sich.
Pitt und Pina hatten also im Wald schon ziemlich viel gefunden. In echt ein Rehkitz und einen Zylinder und noch viel mehr. Und im Traum sogar einen Zwerg.
Aber heute waren sie ganz wach. Und was sie heute fanden, das war wirklich unerhört.
Erst knackte es ganz laut.
Dann rutschte es ganz laut.
Dann weinte es ganz laut.
Und als sie dann hinliefen, da lag da etwas großes, braunes.
Ein Bär?
„Nein, Bären weinen nicht!“, sagte Pitt bestimmt.
Bauer Breuer?
„Ich kann keinen Zauberhut sehen“, rief Pina.
Ein Erdloch?
Nein, da waren sie sich einig. Erdlöcher rutschten nicht und knackten nicht und weinten nicht. Erdlöcher waren ganz leise. Und außerdem waren sie auch eher schwarz als braun.
Dann musste es also ein Räuber sein.
Und so war es auch.
Ein Räuber.
Mit einer großen braunen Jacke.
Mit einem großen braunen Hut.
Mit einer Feder dran.
Mit einem löchrigen kratzigen Bart.
Mit schwarzem Wuschelpuschelhaar.
Und dann mit diesen Tränen.
Pitt tippte ihn an.
„Was weinst du so?“, schimpfte er.
Da sah ihn der Räuber an. Aus großen braunen Augen. Braun und rot, weil er ja so weinte.
Er räusperte sich.
Und noch einmal.
Und noch einmal.
Jetzt hatte er den Hals ein bisschen frei.
„Wie redest du denn mit mir?“, sagte er nun böse.
Pitt stemmte die Arme in die Hüfte.
„Was rutschst du hier so durch unseren Wald?“, fragte er zurück.
„Oho!“, rief der Räuber da und vergass seine Tränen. „Euer Wald! Euer Wald, was? Dass ich nicht lache! Warum glauben eigentlich immer alle, dass alles irgendwem gehören muss?“
„Was weinst du so?“, fragte jetzt Pina. Sie fragte aber viel netter als Pitt. Ihr tat der Räuber leid.
Pina taten alle Menschen leid, die weinten.
„Hatte ich nicht gerade aufgehört zu weinen?“, fragte der Räuber patzig.
„Das stimmt“, sagte Pitt.
„Pff“, sagte Pina. „Bitte. Dann will ich auch gar nicht mehr wissen, warum du geweint hast. Ich geh Bucheckern sammeln.“
Und sie drehte sich um.
Aber da fing der Räuber wieder an. Und noch viel lauter als vorher.
„Jetzt geht ihr einfach wieder weg?“, schluchzte er.
„Ja,“ sagte Pina, „schon. Es sei denn.“
„Es sei denn was?“
„Es sei denn, du hörst auf, auf alle Fragen Fragen zu stellen, statt Antworten zu geben. Und es sei denn, du sagst uns, warum du hier so rumweinst!“
„In unserem Wald“, ergänzte Pitt schnell. Er wollte klarstellen, dass er nicht auf der Seite des Räubers stand, bloß weil er gesagt hatte, dass es stimmte, dass der mit dem Weinen aufgehört hatte.
Was ja aber auch gestimmt hatte.
„Na gut“, sagte der Räuber ganz leise.
„Aber erst müsst ihr mir ein Taschentuch geben!“
Pina gab ihm eins. Ein rosanes. Mit einer kleinen pinken Fee drauf.
Der Räuber putzte sich so doll die Nase, dass ein Strauch in seiner Nähe ein paar Blätter verlor und danach ein bisschen trauriger aussah.
Dann zog er die Nase noch einmal hoch.
Dann wischte er sich mit dem Ärmel über die Augen.
Und dann sagte er:
„Ich weine, weil ich ein Räuber bin!“
Pitt und Pina sahen sich an.
„Das ist doch aber keine Begründung“, sagte Pina grummelig.
„Ich wein ja auch nicht, weil ich ein Turner bin“, sagte Pitt grummelig.
„Und ich nicht, weil ich Trommlerin bin“, sagte Pina grummelig.
„Turner“, sagte der Räuber und weinte wieder ein bisschen, „Turner turnen ja auch! Und Trommlerinnen, die trommeln! Aber ich? Ich tu gar nichts!“
„So als Räuber“, sagte Pitt, „würde ich vor allem rauben.“
„Und was, bitte?“, schluchzte der Räuber.
„Hm. Geld. Und Schmuck. Und Diamanten.“
„Postkutschen gibt es nicht mehr. Könige gibt es nicht mehr. Die Leute haben ihr Geld nicht mehr in ihren Schatzkisten dabei. Alles ist anders! Oder habt ihr einmal eine echte Schatzkiste gesehen? Gold? Geschmeide?“
„Aber Postkutschen! Das ist doch schon ewig her, oder?“, sagte Pitt ganz erstaunt.
„Ewig und drei Tage!“, bestätigte Pina.
„Heute heute muss man sich als Räuber mit Computern auskennen!“, fuhr der weinende Räuber unbeirrt fort. „Und das kann ich nicht! Und das will ich auch nicht! Ich will am Lagerfeuer sitzen! Ich will Lieder singen! Ich will Kutscher mit meinem Gebrüll zum Stehen bringen! 'Halt, Überfall!', will ich brüllen. Und noch mehr so Sachen. Heute haben die Leute ihr Geld auf einem Konto und ihre Juwelen in Tresoren. Und wo Geld ist, sind auch Alarmanlagen und Gewehre und ... ach!“
„Aber“, fing Pina vorsichtig an. „Gab es denn noch Postkutschen, als du dir den Beruf ausgesucht hast? Und gab es da noch Könige? Ich meine ...“
„Nein! Das ist es ja gerade!“, wurde Möppel laut. „Ich war furchtbar schlecht beraten, als ich mir diesen Beruf ausgesucht habe! Furchtbar schlecht beraten!“
„Wer hat dich denn beraten?“, erkundigte sich Pitt vorsichtig.
Der Räuber, der keiner war, wischte sich schon wieder mit dem Ärmel über die Nase und sah Pitt an. Pina kramte ein neues Feentaschentuch hervor.
Der Räuber fing an: „Der ...“
Dann schwieg er wieder.
„Ein ...“
Ratlos schaute er die Kinder an.
„Ich habe einen Film gesehen!“, stieß er dann hervor.
„Was denn für einen Film?“, fragten die Zwillinge gleichzeitig.
„Mit so einem Räuber! Der hatte ein Pferd! Das war schwarz und schlank und sehr sehr schnell. Und dann gab es noch einen Hund. Der hieß Salmiak und hat immer aufgepasst, wenn der Räuber geschlafen hat. Und eine Pistole, eine Pistole hatte er auch! Und dann ritt er so durch den Wald und raubte Grafen und Prinzen aus, die da langfahren mussten. Und die waren schrecklich unfreundlich und schrecklich reich, und der Räuber hat ihnen mal gezeigt, wo es langgeht.“
„Und sonst hat er nichts gemacht?“, wollte Pina wissen.
„Klar hat der sonst auch was gemacht! Mit seinem Pferd geredet hat er. Und Feuer gemacht. Und über Wiesen galoppiert ist er, dass einem ganz schwindelig wurde vom Zugucken. Und ein bisschen hat er sich mit anderen Räuberbanden gestritten.“
Er überlegte.
„Und außerdem hat sich auch noch eine schöne Gräfin in ihn verliebt“, fiel ihm ein.
„Und deshalb bist du Räuber geworden?“, staunte Pitt.
„Ich habe auch noch ein Lied gehört!“, sagte der Mann. „Das ging ungefähr so.“
Er räusperte sich wieder, legte den Kopf in den Nacken und sang so laut, dass Pitt sich erschrocken die Ohren zuhielt:
„Frei ist das Räuberleben und schön, rumpeldipumpeldibumm! Brauchen niemals ins Büro zu gehen, rumpeldipumpeldibumm!“
„Was ist ein Büro?“, fragte Pina.
„Das ist ein Zimmer in einem Haus. Mitten in einer Stadt. Und in der Stadt gibt es nur Autos und Beton und Hunde an Leinen, die nicht länger sind als so.“
Der Räuber streckte seine Arme ein bisschen aus.
„Ins Büro geht man morgens ganz früh rein“, fuhr er fort. „Dann ist man da den ganzen Tag und arbeitet. Man sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch mit einem Computer und guckt da drauf. Man macht lauter Sachen für irgendeinen Chef. Und wenn man abends nach Hause geht, ist es schon dunkel, und man hat furchtbar schlechte Laune. Und am nächsten Tag geht man wieder da hin. Und im Stockwerk über einem sitzen genau solche Leute wie man selbst. Und unten drunter auch. Und auch daneben.“
„Ich glaube, Papa geht auch in ein Büro“, flüsterte Pitt Pina ins Ohr. „Und der hat nur ganz selten schlechte Laune.“
„Und Bauer Breuer geht nicht in ein Büro, und der hat eigentlich meistens schlechte Laune!“, flüsterte Pina zurück.
„Hast du das auch aus einem Film?“, fragte Pitt.
Doch der Räuber antwortete nicht.
„Aber den ganzen Tag an einem Feldweg zu sitzen, und keine einzige Postkutsche kommt vorbei ... Das ist auch nicht besser. Das ist fast so schlimm wie ein Büro“, sagte er stattdessen.
„Ich will niemals-nie erwachsen werden!“, flüsterte Pina ihrem Bruder ins Ohr.
„Und ein Pferd hast du auch nicht, was?“, fragte Pitt. „Oder einen Hund?“
„Nein“, der Mann zuckte die Achseln, „hab ich auch nicht. Nicht mal eine Gräfin habe ich. Ich bin allein. Ganz, ganz allein.“
Und er seufzte.
„Ich hab mir das alles furchtbar anders vorgestellt.“
„Ich wollte früher mal Prinzessin werden“, tröstete ihn Pina schnell. „Als ich noch ein Kind war. Aber da wusste ich noch nicht, dass wir nur Bundeskanzler und so was haben.“
„Du bist immer noch ein Kind“, grummelte der Räuber.
„Aber ein großes“, sagte Pina und verschränkte die Arme.
Eine einzelne, letzte Träne rollte über das Gesicht des Mannes.
„Ich wollte Abenteuer erleben“, murmelte er.
„Aber du weißt schon“, sagte Pitt, „dass man als Räuber Böses tut?“
„Ja. Ach. Gut. Böse. Wer wird denn da gleich so pingelig sein“, brummte er.
„Es gibt auch gute Räuber“, rief Pina. „Robin Hood zum Beispiel!“
Dann schwiegen sie alle ein bisschen und guckten in die Baumkronen dabei.
„Und was machen wir jetzt mit dem?“, fragte Pina ihren Bruder. Sie wusste keinen Rat. „Wir können ihn doch hier nicht so rumweinen lassen!“
Und dann guckten sie wieder in die Baumkronen. Aber da gab es auch nicht mehr zu sehen als vorher.
„Ich hab's!“, rief Pitt schließlich. „Du wirst ein Guträuber!“
„Was meinst du denn damit?“, fragte der Mann und kratzte sich seinen löchrigen kratzigen Bart.
„Gutes gibt es immer zu tun“, erklärte Pitt. „Schlechtes gibt es nämlich ganz schön viel. Und wo es was Schlechtes gibt, da muss was Gutes getan werden. Du wirst so wie Robin Hood! Und dann erlebst du ganz viele Abenteuer. Und wir, wir schauen uns sofort nach einem Fall für dich um! Alles klar?“
Ganz langsam breitete sich ein Lächeln über das Räubergesicht aus. Erst war es ganz klein. Dann immer größer. Die Augen blitzten. Pina zählte drei fehlende Zähne.
„Alles klar!“, rief er.
„Wo wohnst du?“, fragte Pitt.
„Haha!“, brüllte der Räuber da. „Ich habe mich in einem alten Wohnwagen niedergelassen! Mitten im Wald! Und da bleibe ich auch! Und wenn ihn jemand wiederhaben will, dann ... päng!“ Er zielte mit dem Zeigefinger in die Luft. „Päng, päng!“
„Jaja, päng päng“, sagte Pitt, „ist gut. Das merken wir uns. Wir wissen, wo der Wohnwagen ist. Dann kommen wir dort hin.“
Die Zwillinge wollten schon gehen, aber dann drehte sich Pina noch einmal um.
„Sag mal“, fragte sie, „wie heißt du eigentlich?“
„Das ist doch egal!“
„Wenn wir dir helfen sollen, müssen wir deinen Namen wissen“, widersprach sie.
„M-m“, sagte der Räuber ganz leise.
„Wie bitte?“
„Mpl.“
„Ich kann dich nicht verstehen.“
„Ich auch nicht!“, bekräftigte Pitt.
„Möppel“, schrie der Räuber wütend.
„Möppel?“ Pina konnte nicht anders, sie musste schon wieder lachen.
„Was ist denn das für ein Name? Und dann auch noch für einen Räuber? Das passt aller-aller-höchstens zu einem Kaninchen!“
Schon wieder verzogen sich die Räubermundwinkel bedenklich nach unten.
„Zu einem Guträuber“, meinte Pitt schnell, „zu einem Guträuber passt das auch ganz gut, finde ich. Früher Robin Hood, und jetzt eben Möppel.“
„Ich bin bloß froh“, sagte Pitt auf dem Rückweg zu Pina, „dass der Wohnwagen keinem gehört. Wenn man Möppel nicht kennt, könnte man vielleicht im ersten Moment ein bisschen Angst kriegen.“
Pina überlegte.
„Vielleicht ein klitzekleines Bisschen“, meinte sie dann wenig überzeugt.