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Petra

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Der Regen fegte schräg herab, es war abscheulich kalt. Anja hatte sich nicht die Zeit genommen, den Wintermantel herauszusuchen, sondern war in ihren Sommeranorak geschlüpft, um endlich fortzukommen. Der Anorak war dünn, vorn und an den Schultern glänzte er dunkel vor Nässe. Schnell, schnell in den Stall hinein!

Wenn nur der Reitlehrer nicht drin war! Der konnte es gar nicht leiden, dass man kam, ohne zur Stunde angemeldet zu sein. „Hier ist kein Spielplatz für Kleinkinder“, hatte er einmal gebrummt, als sie sich gerade mit Othello neckte. „Oder reitest du heute?“

„Nein, ich –“, hatte sie gestammelt und nicht weiter gewusst. Da aber war Herr Anders mit der Karre gekommen war und hatte ihr die Gabel in die Hand gegeben.

„Anja hilft, sie ist furchtbar tüchtig“, hatte er gesagt und hatte den Reitlehrer angelächelt. Der hatte eine Sekunde gezögert und war dann hinausgegangen. Anja hatte den Atem angehalten. Herr Anders hatte leise gelacht.

„Natürlich darfst du bleiben, so fleißig wie du bist.“

Aber Respekt vor dem Reitlehrer hatte sie eben doch noch. Es wäre jedenfalls besser, wenn er nicht da wäre.

Sie luchste durch den Türspalt. Die Stallgasse war leer. Gottlob! Hineingeschlüpft, Anorak aus, über den Pfosten geworfen. Warme, ein wenig feuchte, dunstige Luft, Geruch nach Heu, Stroh, Mist – und Pferden. Wunderbarer Geruch.

„Hallo Anja. Wieder mal durchgebrannt zu Hause?“

Das war Herr Anders. Er trat aus dem Stand von Faruk, die Mütze ein wenig schief auf dem Kopf, und lächelte Anja an. Sie lachte ihm zu, jetzt ganz selbstvergessen und glücklich.

„Ja, das heißt – ich darf! Mutter hat gesagt, ich kann laufen, weil ich vormittags fleißig war. Wenn ich vormittags helfe, darf ich nachmittags her, wissen Sie.“

„Dann hilf nur vormittags tüchtig. Damit ich nachmittags hier Hilfe hab.“

Herr Anders war früher Lehrer gewesen, eine der Reitschülerinnen hatte ihr das erzählt. Lehrer an einer Sonderschule, also bei schwach begabten Kindern, jahrelang. Und dann war er pensioniert worden und als Pferdepfleger hier hergekommen.

„Prima, nicht?“, sagte Petra, die schon zwölf Jahre alt war und seit längerem hier ritt. „Ich werd auch Pferdepfleger, aber schon eher. Nicht erst mit sechzig.“ Petra lachte, in ihren Augen tanzten die Funken. Sie trug neuerdings ihr Haar ganz kurz, abgeschoren wie ein Schäfchen, nur vorn über der Nasenwurzel war es ein ganz klein wenig länger und stand im Wirbel empor. „Was glaubst du, wie meine Mutter geschimpft hat, als ich so nach Hause kam“, erzählte sie und kratzte dem Condor den Huf aus. „Steh still, alter Zausel, ich tu dir schon nicht weh! Aber es war nicht mehr zu ändern, was ab ist, ist ab. Ich habe es ja nur abschneiden lassen, weil er“ – damit meinte sie den Reitlehrer – „dauernd über meine langen Haare schimpfte. Er behauptete, ich hörte nichts, wenn sie mir so über die Ohren wüchsen, und es wäre kein Wunder, wenn ich keine richtige Antwort geben könnte. Beim Reiten müsste man denken, und wenn man denken wollte, müsste man hören, was er sagt.“ Sie lachte, ihre Augen wurden zu ganz schmalen Schlitzen über den prallen runden Wangen. Petra lachte eigentlich immer, sogar, wenn sie runterflog, noch in der Luft, so hatte es Anja erlebt.

Gerade kam sie hereingeschusselt, das Gesicht so nass vom Regen wie Anja vorhin, und vergnügt!

„Bist du schon da? Na prima. Du wohnst aber auch nahe, ich muss mit dem Fahrrad herstrampeln. Wen krieg ich denn heute? Die Wanda? Das darf doch nicht wahr sein!“

„Doch, die Wanda“, sagte Herr Anders und hob eine Gabel voll Mist auf die Karre, „die Wanda hat ja monatelang nichts getan, die dicke Kuh.“

„Du bist keine Kuh, hör ja nicht drauf!“, lachte Petra und schob die dralle Kruppe der Haflingerstute an die Seite, um in ihren Stand hineinzukönnen. „Dick bist du, wahrhaftig, aber deshalb noch lange keine Kuh.“

Wanda und Bubi standen in einem Behelfsstand am Ende der Stallgasse, sie waren die einzigen Haflinger im Stall, alles andere Großpferde. Dadurch wirkten sie kleiner und gedrungener, als sie waren, speckfett und stramm. Petra klatschte Wandas Hals.

„Dich soll ich in der Halle um den Hufschlag bringen? Lieber Himmel, da brauch ich ja Sporen. Dich vorwärts zu kriegen, dazu gehört Kraft!“

„Sag das nicht. Die Wanda ist schnell“, sagte Herr Anders und blieb am Stand stehen, „sie hat lange nichts getan, war bis jetzt Besitzerpferd, und der hatte nie Zeit. Vorige Woche hat der Reitverein sie übernommen.“

„Und ich bekomme also die ehrenvolle Aufgabe, sie zu reiten?“, sagte Petra. „Na, gute Luft. Komm her, erst wollen wir dich mal schön machen.“

Anja stand, in einer Hand den Striegel, in der andern die Kardätsche, und sah Petra an. Sie bewunderte die ältere, ohne es zu wissen, hingegeben und sehnsüchtig. Petra machte sich aus nichts etwas, aus keinem Anpfiff des Reitlehrers und keiner Schelte zu Hause. Sie ging in jeden Stand hinein, ohne sich in Acht zu nehmen, sprach das jeweilige Pferd zwar an, wie man es tun soll, aber es machte ihr überhaupt nichts aus, wenn es unruhig hin und her trat oder sie an den Rand drängte. Petra benahm sich überall, als sei sie zu Hause, beneidenswert, fand Anja. Wenn Petra in ihre Klasse ginge …

Aber die war natürlich zwei Jahre über ihr. Anja strich den Gedanken an die Schule schnell wieder aus und ging zu Kerlchen in den Stand, um ihn zu putzen. Sie putzte ihn jeden Tag, Herr Anders sagte, das täte ihm gut, auch wenn er nicht geritten würde. Gut geputzt ist halb gefüttert, eine alte Weisheit. „Ja ja, du bist doch mein Bester.“

Petra schimpfte mit Wanda, Anja hörte es bis hierher. „Steh still, alte Scharteke, oder es setzt was. Na, weißt du, der unterste ist meiner. Runter von meinem Fuß!“

Herr Anders lachte, leise amüsiert. Man hörte, wie er die Karre absetzte. „Geh rum – so ist’s schön.“

Anja reckte sich, um auf Kerlchens Rücken hinaufzureichen. Es war ein so gutes Gefühl, mit der Bürste über das blanke Fell zu fahren, mit Druck, trotzdem sanft. Nur mit dem Striegel kratzte sie nicht gern, sie hatte immer Angst, dem Pferd damit wehzutun. An manchen Stellen aber ging es nicht ohne Striegel, vor allem, wenn Kerlchen draußen gewesen war. Die Wiese hatte lehmige Stellen, und dann klebte der Schmutz in den langen Fesselhaaren, wenn er getrocknet war, sodass man ihn kaum herausbekam.

„So schön, so brav – hoi!“ Anja tat einen kleinen Schrei, jemand hatte sie von hinten geschubst, und sie war gegen die Flanke des Pferdes gefallen. Jemand? Othello natürlich, der Zwergziegenbock. Wie in vielen Reitställen gab es auch hier einen Ziegenbock, halb als Maskottchen, halb aus dem alten Aberglauben heraus, dass Pferde nicht krank werden, solange ein Ziegenbock im Stall ist.

Wie weit das stimmte, wusste Anja nicht. Herr Anders hatte es ihr damit erklärt, dass Ziegenböcke sehr stark röchen, sehr scharf, und Ratten könnten diesen Geruch nicht leiden. Ratten übertragen oft ansteckende Krankheiten. Wo Hafer ist, stellen sich Ratten und Mäuse automatisch ein, also wäre es schlau, einen Ziegenbock zu halten und dieses Ungeziefer damit fernzuhalten.

Auch Katzen gab es in fast allen Reitställen, und viele Reiter und Reiterinnen brachten ihnen regelmäßig etwas mit, Wurstreste oder auch Fisch. Anja hatte das bei einer Reiterin erlebt, die nur einmal die Woche kam, um zu reiten. Sie war nicht sehr groß, schlank wie ein Junge und von einer frischen Resolutheit, die Anja gefiel.

„Die? Die ist Ärztin“, hatte Petra berichtet, als Anja sich nach ihr erkundigte. „Soll sehr tüchtig sein, hat deshalb wenig Zeit. Cornelia nennen wir sie. Ich weiß nicht, ob das stimmt, sie sagte es so, dass man nicht wusste, ob sie Spaß macht. Und sie wäre fünfhundert Jahre alt, hat sie geantwortet, als Elke sie nach ihrem Alter fragte.“

„Geh weg, du Ekel“, sagte Anja jetzt und versuchte, Othello aus dem Stand zu schieben. Sie konnte ihn gut leiden, den kleinen schwarzen Teufel mit den winzigen spitzen Hörnern. Othello ging im Stall umher, als gehörte der ihm allein, bei jedem Pferd im Stand schlief er, wie es ihm gerade passte, stahl sich Hafer und griff alle, die er nicht leiden konnte, von Zeit zu Zeit an, wütend, die Hörner gesenkt, oft auch Männchen machend, was sehr drollig aussah. Aber mitunter tat er einem auch richtig weh, wenn er einen unvermutet schubste und man gegen etwas Härteres flog als gegen Kerlchens weiche Flanke. Ein einziges Glück, dass dieser nicht erschrocken war, als Anja gegen ihn fiel.

Aber Kerlchen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, schnoberte nur ein wenig zu ihr hin, indem er den Hals drehte, und pustete dann wieder in seine leere Krippe.

„Ja, ich hab dir doch was mitgebracht.“ Anja grub in ihrer Hosentasche und ließ ein paar Möhrenstückchen in die Krippe fallen, die Kerlchen sogleich mit den Lippen aufnahm und zu kauen begann. Ein Glück, dass die kleinen Brüder jetzt schon Möhrenbrei bekamen. Da blieb immer etwas beim Putzen zurück, und das steckte Anja sofort ein. Sie erzählte das Petra, während sie beide um die Wette striegelten.

„Und wenn die Jungen erst Spinat bekommen …“, lachte Petra. „Mein kleiner Bruder bekam immer Spinat, na, der spuckte was zusammen!“

„Du hast auch einen kleinen Bruder?“, fragte Anja. „Ich hab zwei. Zwillinge, noch ganz klein.“

„Meiner ist schon neun, aber grässlich verwöhnt“, sagte Petra. Man hörte ihre Stimme dumpf von unten kommen, sie kratzte Wanda gerade den Bauch sauber. „So was von Heulemeier. Denkst du, der reitet? Der brüllt, wenn man ihn aufs Pferd setzt.“ Abgrundtiefe Verachtung klang aus ihrer Stimme. „Aber das kommt davon, wenn sich Eltern wie verrückt Söhne wünschen. Wir sind drei Schwestern, zwei sind größer als ich, die reiten schon lange. Nur der Herr Kronprinz nicht!“

„Vielleicht ist er mal tüchtig abgeschmiert?“, fragte jetzt eine andere Stimme dazwischen. Anja und Petra hoben die Köpfe. Ach so, Cornelia.

„Heut ist doch nicht Mittwoch“, sagte Petra verwundert. Sie hatte die Stundenpläne der Reitenden haarscharf im Kopf. Die ältere lachte.

„Ich reite trotzdem, wenn du gestattest. Wen krieg ich denn?“

„Ich seh nach.“ Petra schoss aus dem Stand heraus und durch die Tür, hinüber zur Baracke. Dort lagen die Nummern der Pferde aus, zusammen mit den Namen der Reiter für diesen Tag.

„Den Creon“, berichtete sie, wieder hereinflitzend, und strahlte Cornelia an. „Soll ich ihn Ihnen satteln?“

„Menschenskind, Petra! Ist nett gemeint, aber seh ich aus wie jemand, der sich das Pferd satteln lässt?“

„Oh, Entschuldigung, nein. Ich meinte nur –“

„Du meintest es gut. Na, Creon, wie ist das mit uns beiden? Werden wir uns vertragen?“

„Reiten Sie mit uns? Jetzt, um zwei?“, fragte Petra atemlos. Cornelia lachte.

„Wenn der Gestrenge mich in eure fortgeschrittene Abteilung hineinnimmt?“

„Och, Sie können doch viel mehr. Sie reiten doch sicherlich schon fünf Jahre!“

„Aber meist nur einmal die Woche, wenn überhaupt. Wer tut sonst noch mit? Paul und Thielo und – du auch, Anja?“ Sie fragte es freundlich und gar nicht spottend. Anja wurde feuerrot.

„Ich reite überhaupt noch nicht – ich –“

„Du hilfst nur? Siehst du, so hab ich auch angefangen“, sagte Cornelia freundlich und hob den Sattel vom Bock, „immer im Reitstall herumgekrochen und geputzt und ausgemistet, bis ich die Eltern soweit hatte, dass sie es erlaubten. Und den Reitlehrer, dass er mich nahm.“

„Warum wollte er denn nicht?“, fragte Petra und griff nach der Decke, die Cornelia eben entfaltet hatte und neu zusammenlegen wollte, „warten Sie, ich helfe Ihnen.“

„Weil ich kein Junge bin. Damals durften nur Jungen reiten, jedenfalls dort, wo ich anfing.“

„Gemein“, sagte Petra tief überzeugt. „Man kann doch nichts dafür, dass man kein Junge ist. Ich wäre nämlich gern einer. Ich sollte unbedingt ein Sohn werden, Peter sollte ich heißen.“

„Sei froh, dass du eine Tochter bist. Wenn Töchter brav und sanft sind und Puppenkleider nähen, sind die Eltern froh, und wenn sie lieber reiten oder herumtoben, sind sie auch froh – und stolz.“ Cornelia lachte leise, während sie die gefaltete Decke auf Creons Rücken legte.

„Puppenkleider nähen!“, murmelte Petra, „komm, Wanda, mein Püppchen, soll ich dich auf den Arm nehmen?“

Anja hielt die Tür auf, als Petra mit Wanda und Cornelia mit Creon hinauswollten. Es regnete im Augenblick nicht, sie kamen trocken hinunter zur Halle. Paul und Thielo waren schon darin und bewegten ihre Pferde. Sie ritten Besitzerpferde, Paul einen etwas massigen Schimmel, Wisky, und Thielo seinen Skanda. Anja lief durch die trockene Lohe und setzte sich jenseits der Bande auf die Bank. Von hier aus konnte sie die Halle gut übersehen. Gleich darauf erschien der Reitlehrer.

Er hatte schlechte Laune, wie man sogleich merkte. Nein, Anja war doch froh, dass sie noch nicht mitritt. Was würde er ihr alles an den Kopf werfen, wenn sie sich anfangs dumm anstellte, wo er schon bei Petra dauernd etwas auszusetzen fand!

Die kam mit ihrer Wanda auch wirklich nicht zurecht. Erst ließ die Stute nicht aufsitzen, trat hin und her, und Petra, schon im linken Bügel, musste den Fuß wieder herausnehmen. Und dann, als sie sich beim zweiten Versuch rasch und geschickt hochgezogen hatte, ging Wanda los wie das Donnerwetter und ließ sich nicht aufnehmen. Der Reitlehrer tobte und brüllte etwas von Gernegroß und Pferde reiten wollen, mit denen man nicht fertig wird …

Als ob Petra sich das Pferd ausgesucht hätte! Anja fühlte eine dumpfe Wut in sich aufsteigen, wie immer, wenn sie Ungerechtigkeiten erlebte – sie konnte es einfach nicht ertragen, wenn jemand für etwas angepfiffen wurde, wofür er nichts konnte. Vielleicht kam das daher, dass ihre Mutter immer sehr darauf bedacht gewesen war, gerecht zu sein.

Petra ließ sich nichts anmerken. Sie ritt mit zusammengebissenen Zähnen und einem verschlossenen Gesicht, sah jetzt viel älter aus, als sie war. Nachdem sie Wanda in die Abteilung hineingebracht hatte – hinter Paul, dessen Wisky ruhig und unerregt ging –, schien es besser zu werden. Wanda schnaubte zwar noch aufgeregt und versuchte, sich auf das Gebiss zu legen, aber Petra war auf der Hut. Sie gab nach und nahm den Zügel wieder an, weich und fast unmerklich – Wanda versuchte es noch ein paar Mal, wurde dann vernünftiger. Anja hatte beide Daumen in die Fäuste gepresst und stand so da, an die Bande gelehnt, die Zähne in die Unterlippe gegraben.

Es wurde keine gute Stunde. Beim Angaloppieren ging Skanda seinem Reiter davon, überholte einfach die anderen und riss Creon, der bis dahin ganz gut gegangen war, mit sich. Cornelia verlor den einen Bügel und musste schwer schaffen, um ihr Pferd durchzuparieren, ohne allzu hart zu werden. Creon ließ sich keine harte Zügelfaust gefallen, er wurde dann bockig und fing an, rückwärts zu schieben – setzte man die Gerte ein, erst recht.

„Das ist keine Abteilung, das ist ein Sauhaufen“, knirschte der Reitlehrer. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgeschoben, und Herr Anders kam herein, die Florett am Zügel. Manchmal unterrichtete der Reitlehrer vom Sattel aus, das schien heute geplant zu sein. Anja hatte es noch nicht erlebt.

Herr Anders führte das Pferd in die Mitte der Halle, der Reitlehrer kam herüber, prüfte den Gurt, zog ihn nach und saß dann auf. Freilich, man sah sofort, dass er ein guter, ein hervorragender Reiter war. Florett schien es auch zu merken, sie ging sanft und geschmeidig unter ihm, vom ersten Schritt an. Er ließ sie an die Spitze der Abteilung gehen, hinter ihm ritt Cornelia, dann Petra, dann die beiden Jungen. Auf einmal war Ordnung in der Abteilung. Petra grinste verstohlen, als sie an Anja vorbeiritt. Anja verstand: Wenn er die Abteilung führte, konnte er nicht alles sehen. Insofern war das günstig.

Ach ja, reiten müsste man können! Nicht nur draufsitzen, nicht nur das Pferd rundum mitlaufen lassen – Anja fühlte genau den Unterschied, wenn sie so die Reitenden miteinander verglich. Auch Cornelia, die einen sehr guten Sitz hatte, war mit dem Reitlehrer nicht zu vergleichen. Petra hielt sich wacker auf ihrer widerspenstigen Wanda, mehr aber brachte sie nicht zu Stande. Als das Schlusskommando kam: „Rechts dreht, links marschiert auf!“, waren alle außer dem Lehrer verschwitzt und atemlos, Anja merkte es genau. Sie sprang in die Halle hinunter und streichelte erst Wisky, dann die anderen – nach der Stunde durfte man das. Cornelia schob die Reitkappe aus der Stirn und blies die Backen auf.

„Puh! Na, ein Vergnügen war das nicht!“

Beim Hinausführen der Pferde passierte es dann. Petra, jetzt wohl nicht mehr so achtsam wie die ganze Stunde lang, führte ihre Wanda durch die Tür, als ein Hund heransprang; er gehörte wohl einem Reitschüler, der eben erst gekommen war und aus dem Auto stieg. Der Hund, ein ziemlich großer, schwarzer, zottiger Kerl, sprang ohne böse Absicht heran, jappend, nicht einmal richtig bellend, aber Wanda erschrak anscheinend sehr. Sie riss den Kopf hoch, Petras Arm mit, duckte sich dann und fegte davon, am Misthaufen entlang zur Außenbahn, die jetzt nicht benutzt wurde und zur Hälfte unter Wasser stand. Petra, im Augenblick nicht darauf gefasst, ließ den Zügel nicht los, wurde mitgerissen und versuchte, Wandas Tempo zu halten. Das gelang ihr anfangs auch. Man merkte, dass sie eine gute Läuferin war, vor allem eine, die sich auf Blitzstarts verstand. Alle, die es sahen, verfolgten die beiden mit weit aufgerissenen Augen. Erst sah es bedrohlich aus, dann so, als würde es doch glimpflich ablaufen, eben, weil Petra so gut zu Fuße war, dann aber konnte man genau sehen, dass es auf die Dauer nicht gut gehen konnte. Das durch Wochen ausgeruhte, wenn auch gedrungene Pferd war eben erheblich schneller als seine Reiterin, und nun schlug Wanda auch noch einen unvermuteten Bogen, und Petra stürzte, noch immer den Zügel haltend. Sie landete mit ausgestrecktem Arm auf dem Bauch, wurde noch ein Stück mitgerissen, dann gab sie den Zügel frei.

„Liegen lassen!“, rief Cornelia mit klarer, befehlender Stimme, als sie sah, dass der Hundebesitzer hinüberrannte und sich über Petra beugte. Anja fühlte den Zügel von Creon in der Hand – hatte Cornelia ihn ihr gegeben oder hatte sie selbst zugegriffen? Sie wusste es später nicht mehr – Cornelia spurtete den Hang hinunter, Petra rührte sich soeben, versuchte, sich aufzurichten und fiel ächzend zurück. Jetzt war auch der Reitlehrer da.

„Nichts passiert. Nichts Schlimmes“, hörte man Cornelias Stimme. „Aber bleib liegen, Petra, rühr dich nicht. Warte ab.“

„Die Wanda! Dass sie nicht auf die Straße läuft!“, rief Petra halblaut. Cornelia machte eine beruhigende Handbewegung.

„Keine Angst, wir sind genug Leute, um sie einzufangen. Bleib liegen.“ Sie rannte über den Reitplatz, das Wasser spritzte hoch. Wanda hatte an der schmalen Seite des Platzes gebremst, schien zu überlegen, ob sie weiterlaufen sollte, wandte sich dann um. Cornelia fiel sofort in Schritt, grub in der Hosentasche und ging dann mit ausgestreckter Hand auf die Stute zu. „Ruhig, ruhig – ja, du bist doch die Beste! Komm, hier …“

Wanda legte die Ohren zurück, während sie den Hals streckte – sie sah wahrhaftig nicht wie „die Beste“ aus, sondern ausgesprochen tückisch und boshaft. Jetzt zog sie auch noch die Oberlippe zurück und bleckte die braun gefleckten Zähne.

„Olga, das Mistvieh, wie es leibt und lebt“, murmelte Cornelia den Titel eines Buches mit Pferdeanekdoten vor sich hin, auf dessen Umschlag ein solches Tier abgebildet war, schob sich aber vorsichtig näher. „Komm, komm, meine Gute, ich hab was für dich.“

Nein, Wanda widerstand der Versuchung nicht. Sie machte sich lang und länger, um den Zucker zu erreichen und als sie ihn hatte, hatte auch Cornelia ihr Backenstück erwischt. Ganz langsam und behutsam schloss sie die Finger darum, damit Wanda ja keinen Ruck spürte, und führte sie dann, freundlich mit ihr sprechend, zurück zu den anderen.

„So, da hätten wir dich also. Ja, Thielo, kannst du sie nehmen? Ich will mich mal um Petra kümmern.“

Es war dann ein Schlüsselbeinbruch, „die übliche Reiterfraktur“. Cornelia sagte das so und klopfte Petra freundlich auf die Wange. „Ist nicht die erste, nein? Na, siehst du. Und wird nicht die letzte sein. Eigentlich holt man sich solch einen Bruch meistens, wenn man im Hechtsprung vom Pferd schießt, nicht beim Nebenherhoppeln. Egal, ehrenvoll ist es doch, oder nicht? Wenn du jetzt nicht in die Schule kannst, klingt das gut: ein Reitunfall. Alle werden dich beneiden. Ein Glück, dass es rechts ist.“

„Na, wahrhaftig.“ Petra saß auf dem Tisch in der Baracke, sie hatten ihr Pullover und Bluse vorsichtig abgezogen, und Cornelia war dabei, ihr eine elastische Binde umzuwickeln. An der heilen Schulter fing sie an, führte die Binde über den Rücken zur rechten, schlang sie dort herum und wieder kreuzweise zur anderen.

„Merkst du, dass es stützt? Ist wahrscheinlich nur angebrochen.“ Sie tastete noch einmal mit den Fingerspitzen vorn, dort, wo das Schlüsselbein die Verbindung zwischen Brustbein und Schulter bildet. „Na, vielleicht doch ganz durch, man merkt hier eine Stufe. Die kann aber auch vom vorigen Mal sein. Wann war denn das? Und auch rechts?“

„Vor zwei Jahren. Auch rechts.“ Petra nickte mit zusammengepressten Zähnen. Cornelia lachte.

„Und wie oft hat Helga Köhler das Schlüsselbein gebrochen? Weißt du das?“

„Neunzehnmal“, brummte Thielos Bass von hinten. „Du hast also noch siebzehnmal vor dir, Petruschka.“

„Danke schön – ihr habt gut lachen!“ Petra versuchte es auch. Aber es wurde mehr ein Grinsen, das nicht sehr fröhlich aussah. Cornelia blickte sie unauffällig prüfend an.

„Wird dir schlecht?“, fragte sie leise.

„Ist schon“, meldete Petra und verzog das Gesicht. Paul sprang mit einem Eimer heran. Petra würgte.

„Aha. Also auch eine Gehirnerschütterung“, stellte Cornelia fest. „Am besten, ich bring dich selbst nach Hause. Wirst du Krach kriegen? Reitverbot für zehn Jahre? Oder ‚Du Armes!‘ und Küsschen und derartige Köstlichkeiten, die man so gern hat?“

„Keins von beiden. Meine Eltern sind Kummer gewöhnt. Die beiden Schwestern von mir haben – pfui Teufel!“ Sie würgte wieder. Cornelia hielt ihr die Stirn.

„Ja ja. ‚Das Pferd ist ein gefährliches Tier, das dem Reiter nach dem Leben trachtet – so steht es in vielen Reithallen angeschrieben. Geht’s wieder? Dann komm, ich bring dich heim. Wenn jemand meinen Creon absattelt –“

„Der wird weitergeritten, von drei bis vier“, sagte Thielo und hielt Cornelia die Tür auf. Sie hatte Petra auf den Arm gehoben, geschickt und geübt, und trug sie zum Auto. „Bis bald, Struwwelpeter!“, rief Thielo Petra noch nach. „Komm ja bald wieder! Wir weinen uns die Augen nach dir aus!“

Petra war schon wieder so weit getröstet, dass sie ihm die Zunge herausstrecken konnte.

Endlich im Pferdeglück

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