Читать книгу Helmi und ihr grösster Wunsch - Lise Gast - Страница 4
Onkel Adrian
ОглавлениеKrach, reißt das Schuhband. Helmi gibt einen Laut von sich, der zwischen Fauchen und Schnarchen liegt – es klingt so komisch, daß Wulf in seinem Bettchen drüben laut auflacht. Und da kann Helmi nicht anders und lacht mit. Wulf hat solch ein ansteckendes, süßes Lachen, der dreijährige Knirps. Helmi läßt das abgerissene Band fallen und springt zu dem kleinen Bruder hin, kitzelt und rollt ihn und schilt:
„Lachst du mich aus? Wirst du wohl! Dabei muß ich fort!“
Sie muß wirklich fort. Die Kuckucksuhr im Kinderzimmer zeigt gleich sieben, und um acht beginnt die Schule. Gefrühstückt muß auch noch werden. Wer rechnet auch damit, daß ein ledernes Schuhband reißt!
Fünf nach sieben. Helmi weiß, daß alle Uhren im Forsthaus vorgehen, sie will es aber nicht wissen. Wenn man zurückrechnet, nützt es einem nicht. Höchste Zeit, los!
„Wiedersehen, Wulf! Heut nachmittag fahren wir Schlitten!“
Sie saust aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Mutter steht in der Küche und hat eben das Frühstückspäckchen fertiggemacht, das Helmi mitnimmt. Die Suppe steht schon auf dem Tisch. Helmi löffelt hastig drauflos.
„Nimm dir Zeit, sonst bekommt es dir nicht“, mahnt die Mutter. Sie sagt das jeden Morgen. Wenn man wie Helmi zwölf Jahre alt ist, hört man solche Wiederholungen nicht mehr.
Helmi schlingt. Sie ist immer in Fahrt, nicht nur, wenn es nötig ist und sie eilig zur Schule muß. Kein Wunder also, daß nichts bei ihr ansetzt.
Die Mutter bekommt einen flüchtigen Kuß, nachdem Helmi aufgegessen hat. Nelly, die Langhaardackelin, die mit hinausschlüpfen will, wird zurückgescheucht. Dann donnert die Haustür ins Schloß. Helmi ist lauter als drei Jungen, sagt die Mutter mitunter.
Jetzt trabt sie den Weg zur großen Straße hinauf. Wenn es viertel nach sieben ist, muß sie traben, auch bergauf. Jetzt, im Winter, kann sie nicht den verschwiegenen und vielverschlungenen Waldpfad laufen, der etwas abkürzt; sie muß der großen Straße folgen. Das ist weiter, aber im Wald liegt der Schnee zu tief. Heute wird es lustig in der Schule. Sie wollen im Werkunterricht Larven für Fastnacht machen. Fein, daß der Lehrer so was kann und einem beibringt. Helmi geht überhaupt gern zur Schule, obwohl sie nicht gerade zu den Besten zählt; dazu ist sie zu schusselig. Sie faßt rasch auf, aber ihre Arbeiten wimmeln von Leichtsinnsfehlern. Schade, daß Wulf noch nicht mitgeht, dann wäre der Weg nicht so langweilig. Jeden Tag allein die weite Strecke hin und her, manchmal sogar zweimal am Tage ...!
Als sie in die große Straße einbiegt, die von Blankenrode nach Espenhain führt, bremst da gerade ein Wagen. Es ist ein Opel Olympia, sie erkennt ihn an den eingelassenen Scheinwerfern, ein schöner, neuer Wagen. Der Fahrer kurbelt die linke Scheibe herunter und winkt Helmi heran. Hier fahren selten Autos.
„Nach Mittelwald?“ fragt er. Helmi nickt und weist den Weg hinunter, den sie eben heraufgekommen ist. Das Haus kann man von hier aus nicht mehr sehen. – „Noch weit?“
„Gar nicht. Kommen Sie zu uns?“ fragt Helmi. Ihre Augen verschlingen den Fremden förmlich vor Neugierde. Er ist groß und dick, sein Bauch reicht bis ans Steuerrad heran. Aber nette Augen hat er hinter der Brille und ein verschmitztes Lachen darin.
„Zu Revierförster Thomas, jawohl. Dann bist du wohl die Wilhelmine?“ fragt er.
Helmi nickt, obwohl sie den Namen nicht leiden kann. Vater heißt Wilhelm, so wurde sie nach ihm genannt.
„Ich werde aber Helmi genannt“, erklärt sie deshalb gleich. Sie ist an den Wagen herangetreten und guckt durch die Scheibe hinein. Fein ist der Olympia auch innen, sogar eine Uhr hat er am Armaturenbrett.
„Geht die richtig?“ fragt sie.
„Genau. Nach Radio.“ Er dreht an einem Knopf, und schon erklingt lustige Musik.
„Wunderbar“, sagte Helmi noch andächtig. Dann aber reißt sie sich los.
„Muß fort. Wiedersehn!“
Der Fahrer sieht ihr nach, wie sie die Straße hinaufrennt, in ihrem dunkelblauen Trainingsanzug mit der roten Mütze, unter der blonde, nicht allzu lange und unten schon wieder aufgegangene Zöpfe herausschlenkern. Helmi wird kleiner, verschwindet. Er lächelt ein wenig. Das Mädchen ist ein netter bunter Fleck inmitten des weißen Waldes.
Er selbst hat keine Kinder. Wenn ein kinderlieber Mann viel zu tun hat, bleibt ihm wenig Zeit, darüber nachzugrübeln. Begegnet er aber in aller Morgenfrühe und unvermutet einem gesunden und springlebendigen Kind, so einem wie dieser Helmi, dann wird er wieder daran erinnert ...
Werkunterricht in den letzten zwei Schulstunden des Tages bedeutet eigentlich, daß man nicht sehr pünktlich fortkommt. Da muß das Klassenzimmer noch ausgefegt und alles aufgeräumt werden, und man schließt auch nicht so genau mit dem Glockenschlag wie nach einer Rechen- oder Erdkundestunde, weil es so schön war. Heute aber meldet sich Helmi nicht zum Nachräumen. Während sie ihren Ranzen vollstopft, um schnell fortzukommen, schiebt sich Wilma heran.
„Du kannst bei uns essen, hat Mutter gesagt. Weil wir doch heute nachmittag Flötenstunde haben. Magst du?“
Helmi guckt hoch. Wilma ist ein lieber Kerl und wäre sicher ihre Freundin, wenn sie nicht so weit auseinander wohnten. Trotzdem schüttelt sie den Kopf.
„Heute nicht. Wir haben Besuch. – Was gibt’s denn?“ fragt sie aber doch noch. Wilmas Mutter kocht „technisch“, wie augenblicklich der Lieblingsausdruck für alles Großartige lautet. Alles ist technisch, was einem gefällt, ein Opel Olympia genau wie ein Wurf junger Ferkel.
„Hefeklöße. Eben deshalb“, sagt Wilma bittend. Helmi ist betrübt.
„Schade! Die ess’ ich so gern. Danke, du. Aber ich muß ...“
Hoffentlich stimmt’s auch mit dem Besuch, denkt sie, während sie heimwandert. Aber wenn es nur ein Holzhändler oder irgend so ein langweiliger Kerl wäre, hätte er nicht ihren Namen genannt. Wilhelmine – am Ende ist es ihr Patenonkel Adrian, den sie noch nie gesehen, von dem sie aber mitunter herrliche Sachen geschenkt bekommen hat, in Paketen, die weder zu Weihnachten noch zum Geburtstag, sondern ganz unregelmäßig eintreffen, manchmal häufig, dann wieder zwei Jahre lang nicht. Der Märchenonkel Adrian – Helmi fängt schon wieder an zu laufen. Das wäre allerdings technisch, wenn er das wäre!
Er ist es wirklich, sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa und lacht ihr entgegen. Es ist wahrhaftig Onkel Adrian, sie hat richtig vermutet. Er zieht sie zwischen seine Knie und guckt sie sich genau an.
„Weißt du, wer ich bin?“
„Mein Patenonkel“, antwortet Helmi. Er nickt.
„Und mir hat er das Auto mitgebracht, sieh mal, Helmi!“ ruft Wulf und läßt ein buntlackiertes, wunderschönes, mindestens dreißig Zentimeter langes Holzauto unter dem Tisch hervorfahren. Helmi streift es mit einem Blick, der Onkel hält sie noch immer fest, so daß sie sich nicht umwenden kann.
„Ja. Und dir hab’ ich nichts mitgebracht, aber das hat seine guten Gründe, Helmi. Bei kleinen Jungen ist es leicht zu erraten, was ihr Herz beglückt – ist ja noch nicht lange her, da war man selbst noch einer. Aber bei jungen Damen ...“
Helmi lacht. Wie sie so vor ihm steht, sehen ihre dunkelblauen Augen eindringlich in die schwarzen des Onkels hinein. Ganz schwarze hat er. Tolle Augen! Helmi hat solche noch nie gesehen.
„Du sollst dir lieber was wünschen, mir sagen, was du am liebsten haben möchtest“, vollendet er seinen Satz.
Also etwas wünschen! Helmi denkt an das Märchen vom Armen und vom Reichen, sie denkt an die gute Fee, die dem kleinen Jungen erschien und ihm drei Wünsche freigab. Fast alle diese Leute haben es falsch gemacht, haben sich blöde Dinge gewünscht – außer dem Armen, der den lieben Gott aufnahm, ohne zu wissen, wer es war.
„Muß ich es gleich sagen?“ fragt sie deshalb atemlos. Sie will es richtig machen, gut überlegen. Der Onkel lacht.
„Nein. Ich bleibe bis morgen. Du kannst ruhig ordentlich nachdenken, ehe du es mir sagst. Oder mach mir Vorschläge!“
Helmi nickt eifrig. Der Onkel ist richtig, hat haarscharf gemerkt, was ihr durch den Kopf gegangen ist. Nun will sie aber klug sein und – und bescheiden natürlich. Der Onkel hat ja nicht gesagt, wie hoch sich ihre Wünsche versteigen dürfen.
„Darf ich – ich meine, wieviel ungefähr kann es denn sein?“ fragt sie zögernd.
„Schwer zu sagen. Hast du denn einen ganz großen Wunsch auf Lager?“
Helmi schüttelt den Kopf. Nein, das hat sie eigentlich nicht. Nur Kleckerwünsche, heute dies, morgen das. Neue Bindung für die Schier, einen Bleistiftspitzer in Form einer Weltkugel, das Buch, das sie neulich in einer Buchhandlung anguckte und das ihr so gut gefiel, mit einem Riesenwalfisch auf dem Schutzumschlag und wilden Bildern innen, mit Bildern, bei denen man schon beim Ansehen das Gruseln bekommt, wieviel mehr erst beim Lesen! Ja, und eine Lederhose für Wulf. Mutter sagt immer, Wulf habe noch Zeit für eine lederne, er wüchse so schnell, aber es wäre doch zu niedlich: Lederhose und vielleicht noch buntes Hemd und Janker dazu! Aber das ist natürlich unverschämt, denn der Onkel hat sie ja nur nach einem Wunsch gefragt. Außerdem ...
Die Mutter ruft zum Essen. Es gibt Brühsuppe mit Nudeln und hinterher eine süße Eierspeise. Die Hühner legen trotz des Schnees schon ganz brav. Der Onkel ißt so gern Süßes, hat er gesagt. Helmi lacht.
„Onkel Adrian, du hättest heute bei Wilma mitessen müssen. Wilmas Mutter hat mich eingeladen. Dort gibt’s Hefeklöße.“
„Warum bist du denn nicht geblieben?“ fragt die Mutter. – „Na, wegen Onkel Adrian. Ich werde doch nicht in Espenhain bleiben, wenn wir Besuch haben!“ sagt Helmi entrüstet. Der Onkel blinzelt.
„Tatsächlich. Und woher wußtest du ...“
„Wir hatten uns doch schon begrüßt. Ich muß überhaupt wieder fort“, sagt Helmi und schaut auf die Uhr, „um drei hab’ ich Flötenstunde.“
„Du bist ja kaum gekommen“, meint der Onkel. Helmi aber schluckt den letzten Bissen und schiebt den Stuhl mit der Kniekehle nach hinten.
„Tschüß ...“
„Wie weit ist es denn von hier bis zur Schule?“ fragt Onkel Adrian, als sie hinausgelaufen ist. Mutter erklärt es ihm. Der Onkel ist entsetzt.
Er, der ja einige Kilo mehr als Helmi mit sich herumzutragen hat, läuft nur sehr ungern. Daß ein Mensch innerhalb von zwei Stunden, nur um einen ihm bisher unbekannten Besuch begrüßen zu können, fünf Kilometer hin und fünf Kilometer zurück läuft, wenn er noch dazu Hefeklöße angeboten bekommen hat, kann er kaum verstehen. Helmi wächst in seinen Augen beinahe zu einem Heldenmädchen.
„Alles, was recht ist, ich finde das bewundernwert“, sagt er. Die Mutter lacht.
„Es schadet ihr nichts. Manchmal tut sie mir auch leid, wenn es stürmt und regnet, oder im Winter, am späten Nachmittag. Aber sie ist frisch und gesund dabei und außerdem jung.“
Als Helmi an diesem Nachmittag aus dem Schulhaus tritt, steht davor der Opel Olympia. Und darin sitzen Onkel Adrian und Wulf. Sie wollen sie abholen. Helmi fegt noch einmal zurück und erwischt Wilma. – „Du mußt ein Stück mitfahren!“
So fahren sie erst Wilma nach Hause. Das ist, leider, nicht weit. Espenhain ist nicht groß und besteht nur aus einem Gut und einigen Häusern. Aber es ist trotzdem schön, nach Hause gefahren zu werden. Dann gleitet der Wagen die weiße Waldstraße hinauf gen Mittelwald. – Am Abend sitzen sie alle um den kleinen Tisch in der Ofenecke. Mutter stopft Strümpfe. Vater hat die kurze Pfeife im Mund und Onkel Adrian eine dicke Zigarre zwischen Mittel- und Zeigefinger. Während er blaue Ringe bläst, sagt er nach einem nachdenklichen Schweigen:
„Hör mal, mein Patenkind, ich hab’ mir da allerhand überlegt. Du solltest dir was wünschen; gut und schön. Ich glaube, es ist besser, ich rate dir etwas. Du kannst doch radeln? Na, ich hätte mich ja sonst auch sehr gewundert. Du scheinst mir überhaupt ein ziemlicher Junge zu sein, Vater schrieb mir das schon immer, aber als ich dich dann so blond und bezopft sah, dachte ich, es wäre doch nicht so. Also meiner Meinung nach ist das Wichtigste, was du jetzt brauchst, ein Rad. Ist das nicht wahr?“
„Onkel!“ ruft Helmi. So hoch hinauf haben sich ihre Wünsche nicht zu versteigen gewagt. Ihre Augen funkeln. Der Onkel fährt fort:
„Tja, das wäre sehr schön. Aber so mir nichts, dir nichts kann ich dir das auch nicht schaffen. Vielleicht klingt es euch merkwürdig, aber gar so reichlich hab’ ich es eben auch nicht. Der Wagen gehört der Firma, neu angefangen haben wir alle – na, und so weiter. Ich habe aber Beziehungen zu einer Fabrik und könnte ein neues Rad zumindest zum Einkaufspreis haben, also für ungefähr hundert Mark. Fünfzig davon will ich gern springen lassen, so hoch zu gehen hatte ich sowieso die Absicht. Kannst du die restlichen fünfzig Mark nicht sparen, Helmi?“
„Onkel Adrian, ein Rad!“ Helmi ist, ihrem sonstigen Tempo zum Trotz, noch gar nicht ganz mitgekommen. „Ein Rad – das wär’ das Allerschönste. Das ist schon so lange mein größter Wunsch –, aber wie soll ich mir denn das verdienen?“ fragt sie dann, plötzlich umschaltend.
„Nun, geht das nicht? Bekommst du kein Taschengeld, von dem du etwas sparen kannst?“
„Doch. Aber dafür muß ich Schulhefte kaufen und – nun, was eben so nötig ist“, zögert Helmi. Die Mutter schüttelt ein wenig den Kopf.
„Davon wird wohl nicht viel bleiben. Du mußt sehen, daß du es dir verdienst.“
„Im Sommer kann ich Himbeeren pflücken“, sprudelt Helmi heraus, „und im Herbst Kartoffeln lesen und Rüben ausmachen – und –“
„Aber jetzt ist es noch Winter“, sagt der Vater trocken, „immerhin, wir können ja mal überlegen. Wie wäre es, Helmi, wenn du von jetzt an nur noch Einsen und ‚Null Fehler‘ nach Hause brächtest? Soll ich für jedes Diktat, das mit null Fehlern endet, fünfzig Pfennig aussetzen?“
„O, Vater, das wär’ technisch!“ ruft Helmi glücklich.
„Gut, abgemacht, damit du nicht sagst, ich griffe dir nicht ein bißchen unter die Arme. Nur für eine Eins im Turnen gibt es nichts, die bringst du sowieso“, sagt Vater und lacht.
„Bekomm’ ich auch was für Abwurfstangen, wenn ich welche finde?“ fragt Helmi gespannt. Sie als Försterkind kriecht ja überall im Wald umher und weiß da gut Bescheid. Er nickt.
„Wieviel?“ fragt Helmi erwartungsvoll.
„Sagen wir: eine Mark für jede gute.“
„Nanu?“ fragt Onkel Adrian erstaunt. Helmi hat den Vater plötzlich losgelassen und ist davongeschossen, die Tür hinter sich offenlassend. Vater lacht verständnisvoll.
„Aha! Da war ich also wieder einmal leichtsinnig und voreilig.“
Er hat recht vermutet. Helmi erscheint nach einer halben Minute mit zwei Abwurfstangen, die, schon dunkel vor Alter, wahrscheinlich bereits eine Reihe von Jahren gelegen haben. Die eine weist drei, die andere sogar vier Enden auf. Stark sind sie auch – der Vater wiegt sie mit hochgezogenen Brauen in der Hand. Dann zieht er den Geldbeutel und legt Helmi zwei Mark in die Hand.
„Na also! Der Anfang ist gemacht“, lacht Onkel Adrian. Er lacht so behaglich und ansteckend, daß Vater auch lachen muß. Dann aber, ein wenig zögernd, fährt der Onkel fort, während sein Blick nachdenklich auf Helmis Gesicht ruht, das jetzt vor Aufregung glüht:
„Sag, Helmi, könntest du mir wohl – ich meine, ich muß ja wissen, wie weit du bist mit deiner Sparerei. Könntest du mir da nicht, sagen wir, alle Vierteljahre Bericht erstatten? Oder schreibst du sehr ungern Briefe?“
„Nein, furchtbar gern, Onkel“, sagt Helmi sofort. Sie sagt es so schnell und so bestimmt, daß sie im Augenblick selbst davon überzeugt ist. Natürlich schreibt sie gern Briefe, vor allem an einen Onkel, der allein ist, der selbst keine Tochter hat und keinen Sohn.
Helmi gehört nicht zu der Art Mädel, die einem Menschen, den sie liebhaben und der ihnen leid tut, so mir nichts, dir nichts um den Hals fallen können. Bei Vater kann sie das, und bei Wulf, aber nicht bei einem Onkel, den sie bis gestern noch nicht gesehen hat. Es ist sehr schade, denn dem Onkel würde es wohltun, das spürt sie deutlich. Aber er könnte selbstverständlich denken, sie wollte sich bei ihm einschmeicheln, weil er das von dem Rad gesagt hat.
Nein, das geht nicht. Aber anderes geht, oder wird gehen. Helmi wird fleißig sein, in der Schule und auch sonst, und sie wird dem Onkel jedes Vierteljahr einen schönen, viele Seiten langen Brief schreiben. Beinah vergißt sie, daß das Endergebnis dieser ganzen Geschichte ein Rad sein wird. Das heißt, es fällt ihr immer wieder ein; aber schon das andere ist wunderbar, die guten Zensuren in der Schule und der Fleiß zu Hause, und überhaupt ihr ganzes zukünftiges Bravsein.
Am andern Morgen fährt der Onkel fort. Er nimmt Helmi noch mit bis Espenhain und setzt sie dort vor dem Schulhaus ab. Gerade kommt Wilma und lächelt den Onkel mit ihren sanften braunen Augen vertraut und dankbar an.
„Da, das schickt Mutter dir“, sagt sie zu Helmi, während Onkel Adrian die Fahrhandschuhe anzieht, und reicht ihr ein Päckchen in weißem Papier, das hier und da schon etwas durchfettet.
„Hefeklöße? O danke!“ ruft Helmi und macht dem Onkel wilde Zeichen, das Fenster noch einmal herunterzukurbeln. „Für unterwegs! Sie sind bestimmt technisch!“
So fährt der Onkel ab, Hefeklöße auf dem Polster neben sich, mit der Gewißheit, daß ein glückliches Mädelherz zurückgeblieben ist; und er selber ist auch froh. Ein bißchen über das eine und ein bißchen über das andere, wenn er auch nicht so strahlt wie Helmi. Das kann man in seinem Alter nicht mehr, aber manchmal gelingt es einem, andere Gesichter strahlen zu lassen, und das ist noch schöner.