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Unser pastor

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Lise Gast

Unser Pastor ist ein herzensguter Mensch, und wir lieben ihn alle. Nicht nur, weil er roßnärrisch ist wie wir, er hat auch eine ziemliche Anzahl von Kindern, auch wie wir. Insofern verstehen wir uns gut miteinander. Einer seiner Söhne heißt Michael wie einer von uns und hat mir mehr als einmal geholfen, als ich ohne Hilfe auf dem Ponnyhof lebte und irgendeine Schwierigkeit auftauchte, bei der zwei Mann nötig waren, sie zu beheben. Wenn ein Pony Kolik hatte oder Heu kam, das man allein nicht abladen und auf den Heuboden stapeln kann, oder wenn alle Ponys davonspaziert sind. Suchen und finden kann man sie auch allein, wie aber heimbringen? Wir dürfen in Notfällen auch auf Waldwegen mit dem Auto fahren, was sonst verboten ist, hat man aber die Bande aufgetrieben – Gottlob bleiben sie immer oder doch meist zusammen – wie soll man sie heimbringen? Hinten ans Auto binden oder vor sich her scheuchen? Da muß man schon zu zweit sein.

Er ist auch im Kriege viel geritten, in Rußland, davon erzählt er gern. Und als sich die Gelegenheit ergab, ein ehemaliges Jagdschlößchen zu pachten, das mitten im Wald liegt, tat er es sofort. Nun hat er die Möglichkeit, mit seinen Ponys dorthin zu reiten, sie unten in den Stall zu stellen und oben zu übernachten. Oft hat er uns eingeladen, und wir sind immer gerne hingeritten.

Wenn wir samstags kamen, gab es am Sonntag eine besondere Freude. Er steckte dann gegen neun eine schöne leuchtend violette Fahne zum Fenster seines kleinen Schlosses heraus und wartete auf Spaziergänger. Waren einige gekommen, die die rings ums Schlößchen grasenden Ponys ansahen, streichelten und fütterten, kam er dazu und hielt eine seiner schönen, herzlichen, lebensnahen Predigten. Im Singen unterstützten wir ihn dann, weil ja die Orgel fehlte. Das waren schöne Freilicht-Gottesdienste, und wir haben uns immer gern dazu eingefunden. Einmal hat er ein durchgehendes Islandpony vom Pferd aus mit dem Lasso gefangen, das sich überhaupt nicht greifen lassen wollte. Es gelang ihm, obwohl er dabei aus dem Sattel gerissen wurde. Er ist begreiflicherweise sehr stolz auf diese Tat. Seine Frau schüttelt freilich manchmal den Kopf über ihn. Aber eine alte Frau aus ihrer Gemeinde tröstete sie einmal: „Sie haben doch einen sehr guten Mann. Der schlägt Sie wohl nie.“ Meines Wissens hatte sie recht mit dieser Vermutung.

Ein anderes Mal wollten wir Pastors im Winter besuchen. Da wir uns zu Pferde angesagt hatten, kam er uns auch zu Pferde entgegen, mit dem Ponnyeinspänner. Seine kleine Stute ging im Geschirr vorwärts wie wild. Als sie unsere Pferde erspähte, wollte sie uns schnell erreichen, nahm eine Kurve zu eng, und der Dogcart kippte seitlich. Unser Pastor flog im hohen Bogen hinaus. Zum Glück trug er eine russische Ohrenmütze, die seinen Kopf schützte.

Im Sommer darauf sollte er eine Kur in Bad Mergentheim machen, weil etwas mit seiner Leber nicht in Ordnung war. Dort konnte er weder predigen noch reiten. Um seiner Frau Arbeit abzunehmen, verabredete er mit ihr, alle Familienpost, die ja meist die Frauen erledigen, für sie zu übernehmen. „Du brauchst mir nur zu sagen, an wen ich schreiben muß“, sagte er. Sie übergab ihm eine Liste, obenan standen beide Mütter, ihre und seine.

Etwas später bekam sie Besuch von ihrer Schwägerin. Die war etwas bedrückt, so erschien es unserer Frau Pastor. Was mag sie nur haben? rätselte sie. Endlich ließ die andere die Katze aus dem Sack. „Du, ich wollte dir nur sagen, der Hans hat es nicht nur an der Leber, der hat es auch im Hirn“, sagte sie. „Weißt du, was er gemacht hat?“

„Was denn?“ fragte unsere Pastorenfrau ahnungsvoll.

„Ach, er hat an unsere Mutter geschrieben, ihr zum Geburtstag gratuliert, dabei hat sie jetzt gar keinen, und zuletzt hat er ihr noch viele schöne Jahre mit Vater gewünscht. Dabei hat er Vater doch vor sechs Jahren selber beerdigt.“

„Meine Zeit aber …“

Nein, er hatte es gottlob nicht ‚im Hirn‘, wie seine Schwester es ausgedrückt hatte. Er hatte an beide Mütter geschrieben, an seine und an die seiner Frau, jedesmal mit der Überschrift ‚Liebe Mutter‘ und vor dem Wegschicken die Umschläge verwechselt. So kam das zustande.

Jetzt ist er im Ruhestand, es ist allerdings ein ziemlicher Unruhestand. Er besitzt noch immer Ponys und läßt die Kinder der Nachbarschaft darauf reiten. Von seinem Fenster aus sieht man auf den Reitplatz hinunter, der im Taubergrund liegt, und er zeigt voller Stolz seine Wägelchen, die Hindernisse, die er selbst gebaut hat, und die Pferde.

„Wer in der Kindheit gelernt hat, gut zu Tieren zu sein, ist auch später gut zu Menschen“, sagt er immer. Geduldig, einfühlsam, verantwortungsvoll. Und der liebe Gott hat die Tiere sicherlich ebenso lieb wie uns, zumal die Pferde.“

Ich habe viel von ihm gelernt. Er, seine Frau und seine Kinder gehören nun schon seit über zwanzig Jahren zu unserem Leben.

Die merkwürdige Predigt

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