Читать книгу Der junge Häuptling - Liselotte Welskopf-Henrich - Страница 6
Jack, der Ponka
ОглавлениеDer Südweststurm fegte Sand und Schnee über die Prärien nördlich des Niobrara. Es war erst Nachmittag, aber der von treibenden Schneewolken verhangene Himmel ließ das Sonnenlicht kaum durch, und es dunkelte früh. Die Sicht war behindert.
Meter um Meter kämpfte sich die Gruppe der drei Dragoner mit ihrem geländekundigen Führer vorwärts. Die Schneekristalle setzten sich an die Haut, der Sand drang in die Augen. Der Sturm drohte zum Orkan zu werden und jedes Weiterkommen zu verhindern. Eine heftige Bö brachte die Gruppe zum Halten.
»Mord und Verdammnis!« Der eine der Dragoner schrie es hinaus, um sich beim Heulen und Fauchen des Sturmes dem Führer überhaupt verständlich zu machen. »Wir müssten schon da sein!«
Der Scout brüllte zurück. »Keine hundert Meter sind wir von der Furt, ihr hinkenden Buntröcke mit euren stelzbeinigen Schindmähren! Vorwärts, sage ich!« Er gab dem eigenen Tier die Sporen und trieb es weiter südwestwärts gegen Sturm, Flockenwirbel und Sandwehen. Die drei Uniformierten folgten, nur halb ermutigt. Ihre Pferde schwitzten trotz der Kälte. Sie waren erschöpft von tagelanger Anstrengung.
Die Stimmung hob sich, als die vier Reiter den Ausblick auf ein breites, sandiges Flussbett gewannen. Sie befanden sich am Nordufer. Jenseits des Flusses, am Südufer, waren zwischen Sand- und Schneeverwehungen die Umrisse von Holzbauten zu erkennen.
»… Teufel! Sind wir da?«
»Jaa – aa!« Der Führer im Lederanzug jauchzte die Antwort hinaus. Er hatte mehr Angst gehabt, als er den Dragonern hatte eingestehen wollen. »Der Niobrara und das Fort! Wir sind da!«
Die Sporen wurden wieder gebraucht, und die Reitpeitschen klatschten. Die Pferde stapften dem Sturm entgegen quer über die Sandbänke. Sie wateten durch das schnellfließende Wasser und kletterten den Hang am Südufer des Flusses hinauf bis zu den Palisaden. Ein Wachturm und die Giebel zweier Blockhäuser ragten über den Palisadenring auf. Vom Turm erklang ein scharfer Pfiff, mit dem der Posten die Herankommenden anmeldete.
Die Reitergruppe erreichte das Tor, das in die Westseite des Palisadenrings eingelassen war. Schon knarrten die Flügel in den Angeln. Die Ankömmlinge ritten ein und machten im Hof der vorgeschobenen Grenzstation halt. Die Dragoner und ihr Scout stiegen ab. Drei Männer in Lederkleidung kamen herbei, barhäuptig, mit faltigen, mageren Gesichtern. Auch in den Hof innerhalb der Palisaden stäubten Sand und Schnee, so dass alle die Augen zukniffen und einander im dämmrigen Licht nur undeutlich erkennen konnten. Die Ankömmlinge und diejenigen, die sie zunächst in Empfang nahmen, versicherten einander einleitend, dass alles verdammt sei: die Gegend, der Sturm, der Sand, der Schnee sowie die gesamte Situation, in der man sich befinde. Als festgestellt war, dass hierüber volle Einigkeit herrschte, wurden die Pferde in eine Koppel innerhalb der Palisaden gegeben. Den Scout und die Dragoner brachte man zu dem größeren der beiden Blockhäuser. Es war ein alter langgestreckter, niedriger Bau, ohne Fenster, nur mit Schießscharten versehen. Die schwere Eichentür befand sich an der östlichen Breitseite. Die Balken waren geteert, das Haus wirkte dadurch noch dunkler. Im Innern dieses Hauses vereinte sich alles, was die an Zahl geringe Besatzung der Grenzstation benötigte: Essvorräte, Decken, Holztische, Wandbänke und ein steinerner Herd, auf dem ein Feuer flackerte. Pitt, der Scout, löste den Riemen und nahm den breitkrempigen Hut vom Kopf.
Die drei Dragoner meldeten sich bei der Truppe der Blockhausstation, für die die Bezeichnung Fort recht hochtrabend wirkte. Pitt begab sich zu seinesgleichen, zu den Rauhreitern, die für Sold an der Grenze dienten. Von einem dieser Männer wurde er sofort erkannt und laut begrüßt: »Pitt mit der Stummelnase! Mann! Was suchst du bei uns in der Wildnis? Warst du nicht am gelobten Missouri auf Fort Randall?!«
Pitt stampfte, um die Füße zu erwärmen, spuckte aus, wischte mit dem Handrücken wässrigen Schleim von den Nasenlöchern und ließ sich auf die Wandbank an der linken Schmalseite des Hauses fallen. »Wo hast du den Brandy, Bill, du alter Knabe?«
Ein lautes spöttisches Gelächter war die Antwort.
»Was? Nicht einmal Brandy? Ich zahle!« Pitt war kein Säufer, aber doch ein kleiner Verschwender, wenn es um Branntwein ging. Er fingerte aus einer seiner vielen Taschen ein Geldstück heraus.
»Spar dir deine Münzen! Die helfen dir hier nichts. Wir haben auch den letzten Tropfen längst versoffen! Wer redet überhaupt noch von Brandy! Von Munition reden wir hier, von Munition, mein Lieber!«
Pitt trommelte auf die Tischplatte. Er war übermüdet und durchgefroren und hatte sich auf den Branntwein gefreut. »Gib mir wenigstens was zu fressen, Bill, du Hahnenkämpfer!«
Der Angeredete schob Pitt eine Konservendose hin.
»… das alles?«
»Alles!«
»Führt ihr hier ein Jammerleben!«
»Schickt uns endlich fünfzig Mann Verstärkung, damit das mal anders wird und wir die verfluchten Indsmen zum Teufel jagen können!«
»Indsmen! Mit den Indsmen werdet ihr nicht fertig?« Pitt hob mit seinem Messer das Salzfleisch aus der Konservendose heraus, verspeiste es hungrig, aber ohne Appetit, und kritisierte weiter. »Waschlappen seid ihr! Verkriecht euch doch hinter euren Urgroßmüttern! Mit den Indsmen nicht fertig werden! Wir sind fünf Tage geritten und haben keinen gesehen.«
»Was nicht heißen will, dass sie euch nicht gesehen haben.«
»Und gleich davongelaufen sind! Wo sich die Reiter von Fort Randall zeigen, da wagt keine Rothaut mehr, sich blicken zu lassen.«
»Pitt, kurznasiger Freund, du kannst reden, als ob du Oberst Jackman in Person wärest. Ich sag dir aber das eine: ’n paar tüchtige Männer mehr brauchen wir und reichlich Munition! Sonst gehen wir in diesem Frühjahr mit Grundeis ab!«
»Den Eindruck macht ihr! Aufs Haar genau. Aber wir werden euch helfen …«
»Darauf warten wir! Mit Prahlereien ist uns aber nicht geholfen.«
»… helfen, dass euch bunt vor den Augen wird. Ich habe einen Brief an euren Major dabei. Den kann er sich hinter den Spiegel stecken!«
»Du bist’s, der den Brief bei sich hat?!«
»Ich! Weil ich der Scout bin und jedermann angenommen hat, dass meine elenlederne Brusttasche immer noch der sicherste Ort für Kurierbotschaften sein dürfte.«
»Aha! Doch noch ’n bisschen Respekt vor den Rothäuten!«
»Respekt vor einem erfahrenen Grenzer, wie ich es bin. Wo ist denn euer Major Smith zu finden?«
»Drüben in seinem Kommandantenhaus.«
Pitt erhob sich. Der rangälteste der drei Dragoner war eben an der Tür erschienen und winkte ihm mitzukommen. Der Major wollte Brief und Meldung sofort entgegennehmen.
Als Pitt und der Dragoner über den Hof zu dem einfachen, mit dem Wachturm versehenen Holzbau gingen, wirbelten ihnen wieder Sand und Schnee in den Nacken und in die Augen. Sie mussten die Klinke der Tür fest packen, sollte der Sturm die Tür beim Öffnen und Schließen nicht aus den Angeln reißen.
In dem kahlen Arbeitsraum, am Eichentisch bei der Lampe, saß der Major, ganz allein. Er hatte gearbeitet und schaute jetzt auf. Pitt war überrascht. Der Major hatte, obgleich er noch nicht alt sein konnte, schon weißes Haar. Der Scout holte das Schreiben, das er als Kurier zu überbringen hatte, aus einer Innentasche seines Lederwamses.
Major Smith las aufmerksam und gab Bescheid, dass sich der Kurier am kommenden Morgen wieder bei ihm melden solle, um das Antwortschreiben sofort nach Fort Randall zu bringen.
Die Aussicht, schon mit dem nächsten Sonnenaufgang den Rückweg antreten zu müssen, verschlechterte Pitts Laune noch bedeutend. Er wäre am liebsten laut fluchend wieder hinausgegangen, machte auch schon eine halbe Wendung, als der Major ihn mit einem erstaunten, befehlenden Blick bleiben hieß.
Der Kommandant las das Schreiben, das er erhalten hatte, ein zweites und ein drittes Mal. Dann wies er den Dragoner an, Leutnant Warner und den Rauhreiterführer Adams herbeizuholen.
Das geschah, und mit dem Dragoner zusammen traten ein Leutnant und ein Rauhreiter ein. Pitt musterte nur den Letzten mit einigem Interesse. Der noch sehr junge Mann war mittelgroß, stämmig. Seine Hände schienen nicht die eines Schützen, sondern die eines Bauern zu sein, hart, breit ausgearbeitet. Der blonde Haarschopf, die hellen Augen ließen die sonnenverbrannte Haut dunkler erscheinen, als sie war. Auf den ersten Blick konnte Pitt sich noch nicht entscheiden, ob er diesen Rauhreiterführer als vollgültigen Westmann werde anerkennen können oder nicht.
Der Major war sitzen geblieben, straffte aber seine Haltung und richtete den Blick auf den Leutnant. »Leutnant Warner! Adam Adamson! Das Schreiben, das mir soeben überbracht wurde, enthält einige entscheidende neue Richtlinien, die sofort unter der Truppe und unter den Rauhreitern bekanntzumachen sind. Bei den Rauhreitern von Mann zu Mann, das wirkt bei diesen Grenzern am besten. Verstanden, Adams?«
»Ja.«
Pitt grinste unverhohlen, als der Major sich über das Seelenleben von Grenzern äußerte. Er hätte dem Offizier darüber genauere Auskunft geben können.
»Die Situation ist von Grund auf verändert«, erklärte der Major weiter. »Unsere bewaffneten Expeditionen haben bestätigt, dass die Goldvorkommen, die vor zwei Jahren in den nördlichen Black Hills entdeckt wurden, den bergwerksmäßigen Abbau erfordern und lohnen, und es ist bereits beschlossen, dass zu den Zentren des künftigen Bergbaus Bahnen gebaut werden, die von der Union-Pacific-Überlandbahn abzweigen. Das bedeutet … nun, was bedeutet das in Bezug auf unsere militärischen Aufgaben?«
»Schade«, maulte Pitt.
»Wie bitte?«
»Ich meine nur«, erläuterte der ehemalige Cowboy und jetzige Scout und Kurier, »das mit den Bergwerken ist schade. Da kommt kein kleiner Mann mehr an das Gold ran.«
»Die Bemerkung ist unerheblich und daher überflüssig. – Leutnant Warner?«
»Unsere militärische Aufgabe ist es, die rebellischen Dakota aus den bezeichneten Gegenden wegzubringen.«
Das war die Antwort, die der Major zu hören wünschte.
»Richtig. Der Bürgerkrieg liegt ein Jahrzehnt hinter uns. Unsere Staaten sind gewachsen und erstarkt, aber Tausende von Einwanderern sind auf dem Weg, unsere Armee ist frei für neue Aufgaben. Der ferne Westen wird jetzt erschlossen. Wir werden uns nicht mehr in so unwürdiger Weise mit den Rothäuten herumschlagen, wie das noch beim Bau der Union Pacific und in den vergangenen beiden Jahren hier am Niobrara der Fall war. Die Dakota werden ab sofort gezwungen, sich auf die für sie bereits eingerichteten Reservationen zu begeben. Das Mörder- und Brandstifterhandwerk wird ihnen gelegt. Sie werden zivilisiert. Sie werden endlich lernen zu arbeiten.«
Die vier Zuhörer bemerkten zu diesen Mitteilungen zunächst nichts. Sie warteten alle, ob der Major ihnen noch praktische Anweisungen zu geben habe. Als die Pause lange dauerte, nahm der Rauhreiterführer Adams noch einmal das Wort. »Der Termin, zu dem sich die Dakota auf den Sperrgebieten eingefunden haben sollten, war der 31. Januar unseres Jahres 1876. Aber wie hätten die Indsmen das mit Weibern und Kindern mitten im Winter schaffen sollen, selbst wenn sie es wollten? Sie haben keine Eisenbahnen und keine Landstraßen! Können wir nicht mehr Geduld aufbringen?«
Pitt pfiff verächtlich über so viel Mitgefühl.
Der Major runzelte die Stirn. »Adams, ich liebe das freie Wort eines freien Mannes, aber keine Witze zur Unzeit. Die Oberhäuptlinge der Dakota sind von der Regierung verständigt, dass sie ihren Stamm auf die Reservationen zu führen haben, und da die Wanderung der Stammesabteilungen dorthin nicht schnell genug vor sich geht, werden wir das Tempo mit Waffengewalt beschleunigen. Unsere Aufgabe hier ist es, die kleinen Stammesabteilungen am oberen Plattefluss und am Niobrara in die Reservation zu drängen. Unsere Aufgabe hier ist also eine Nebenaufgabe und ergibt, wenn die Indsmen widerspenstig bleiben, einen Nebenkriegsschauplatz. Die Hauptentscheidungen fallen weiter nördlich bei den Black Hills. Was nicht heißen will, dass wir hier irgendwie versagen oder irgend etwas verzögern dürften. Wir werden handeln.«
Der junge Adams kniff die Lippen zusammen. Pitt hörte auf zu pfeifen, da der Major begriffen hatte, woher der Ton kam. »Noch eine Frage?« Das war Rhetorik. In Wahrheit wollte der Major abschließen.
»Noch eine Frage«, sagte Adams trotzdem.
»Bitte?« Major Smith war ungehalten.
»Die Dakota haben mit unserer Regierung erst vor wenigen Jahren Verträge ›auf ewig‹ über ihr Eigentum an den Jagdgründen von den Black Hills im Süden bis zum nördlichen Missouri abgeschlossen. Was wird aus Brief und Siegel?«
Dem Major stieg das Blut in die Schläfen. »Nicht unsere Sache!«, erklärte er, schneidend genug, um vor Leutnant Warner zu bestehen und das eigene unruhige Gewissen einzuschüchtern. »Die Dakota haben auf die angewiesenen Reservationen zu gehen, und wenn sie sich weigern, so schießen wir.«
»Auf welche Reservation sind die südlich wohnenden Stammesabteilungen zu bringen?«, fragte Adams.
Der Major erkannte nicht, dass auch in dieser Frage ein Hintergedanke verborgen war. Er glaubte, dass sie nur noch das geziemende militärische Interesse verrate.
»Hier!« Der Kommandant breitete eine Karte aus, die ihm zusammengefaltet zur Hand gelegen hatte, und schob sie dem Leutnant und Adams vor Augen. »Hier … die mit schwarzen Linien eingegrenzten Gebiete. Dahin ziehen sich die Dakota zurück, geben die Waffen ab und lernen Ackerbau und Viehzucht.«
Pitt legte keinen Wert darauf, die Karte einsehen zu dürfen, da er sie doch nicht hätte lesen können. Der Dragoner hielt sich völlig gleichgültig im Hintergrund; seine einfache Uniform sagte ihm, dass er sich in dergleichen Beratungen mit dem Kommandanten nicht einmal mit einem Gedanken einzumischen habe.
»Das Reservationsgebiet unmittelbar südöstlich der Black Hills ist nur einen Katzensprung von unserem Fort entfernt«, erläuterte Smith noch. »Dorthin treiben wir die Stammesabteilungen vom oberen Platte und vom Niobrara. Begriffen?«
»Verstehe«, gab Warner, diesmal sehr kurz, zur Antwort. »Bekommen wir Verstärkung?«
»Das eben will ich in meinen beiden Handschreiben beantragen, mit denen sich Pitt morgen sowohl nach Fort Randall als auch nach Yankton zu Oberst Jackman persönlich auf den Weg machen wird. Ich denke, wir geben Pitt zur Begleitung drei von unseren Leuten mit, drei erfahrene Grenzer, die ihn zuverlässig beschützen und auf Randall sowie in Yankton unseren Standpunkt auch durch ihre mündlichen Berichte zur Geltung bringen können. Wen schlägst du von unseren Leuten vor, Adams? Wer kennt die Prärie gut, ist zuverlässig und traut sich, klar und eindeutig zu berichten?«
»Wenn’s beliebt, reite ich selbst.«
»Du nicht, dich brauchen wir hier. George?«
»Ist auf Spähdienst und noch nicht zurück.«
»Wie lange überfällig?«
»Fünf Stunden.«
»Habt ihr gesucht?«
»Hat in dem Sand- und Schneesturm keinen Zweck. Wenn wir suchen gehen, wird nur einer mehr abgeschossen.«
»Wieso abgeschossen? Woher weißt du, dass George abgeschossen worden ist?«
»Ich denke es mir.«
»Träume nicht so viel, Adams. – Mit George können wir also morgen früh nicht sicher rechnen. Warum schickst du übrigens den Mann allein? Habe ich nicht Befehl gegeben, dass ihr immer zu zweit und zu dritt geht?«
»Dave sollte ihn begleiten, aber Ihr wisst, Major, er ist beim Wasserschöpfen in den Fluss gefallen und nicht wieder hochgekommen.«
Pitt hörte gespannt zu. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich; er glotzte und zog die Mundwinkel herab, was ihm, zusammen mit der verstümmelten Nase, das Aussehen einer misstrauischen Bulldogge gab.
»Habt ihr immer noch nicht aufgeklärt, wo der besoffene Kerl hinuntergeschwommen ist?«, forschte der Major.
»Er war nicht besoffen, Major. Wir haben keinen Brandy mehr. Es muss ihn jemand auf den Grund gezogen haben.«
»Ein Krebs vielleicht? Oder ein Indianer? Adams, ihr fangt alle an, Gespenster zu sehen!« Der Major ging, ohne es selbst zu wissen, zu einem vertraulicheren Ton über. »Wenn ihr mit einem Fluss nicht umzugehen versteht, so bleibt bei der Pumpe im Hof. Konntest du keinen anderen mit George schicken?«
»Wir sind nur ein paar Mann und alle eingeteilt. Hatte keinen übrig.«
»Es ist klar, dass wir dringend Verstärkung brauchen. Allerdings wirst du zunächst einmal noch zwei bis drei Mann hergeben müssen, die Pitt zurückbegleiten. Dafür behalten wir die drei Dragoner hier.«
Leutnant Warner schien zufrieden. Adams aber meinte: »Ein sehr schlechter Tausch, Major. Wenn’s aber nicht anders geht, schicken wir den Hahnenkampf-Bill und den schmierigen kleinen Josef.«
»Einverstanden!«, rief Pitt und klopfte Adams auf die Schulter. »Die beiden kenn ich. Das sind Kerle.«
»Zwielichtige Grenzergestalten!«, kritisierte der Major. »Gut als Begleitmannschaft unterwegs, aber auf Randall und in Yankton werden sie uns schlecht repräsentieren. Hast du nicht noch eine respektablere Figur vorzuschlagen, Adams?«
»Wenn es sein muss – Tom ohne Hut und ohne Schuhe.«
Das nennt er eine respektable Figur, dachte Pitt, aber er sagte es nicht, denn er besaß ein gewisses Naturtalent dafür, zu erraten, wie weit er gehen durfte, ohne sich Nachteile zuzuziehen.
»Komische Bezeichnung. Seit etlichen Jahren sollte Tom doch wieder voll bekleidet sein. Der Mann hat mir keinen üblen Eindruck gemacht. Geben wir ihn dazu.« Der Major wollte zu einem Ende kommen.
»Alle drei sollen mit Pitt reiten?«, fragte Adams nochmals.
»Alle drei. Diese Aufgabe hat den Vorrang.«
»Den Vorrang!«, echote Leutnant Warner.
»Wenn es sein muss, wird’s gemacht.« Adams fügte sich, allerdings nicht, ohne sehr sichtbar und etwas geringschätzig mit den Achseln zu zucken.
Der Major entließ die vier.
Pitt öffnete die Tür. Der Sturm fauchte in den Raum und wehte Sand herein. Pitt und der Dragoner beeilten sich, den Hof zu durchqueren und in dem alten Blockhaus wieder Schutz zu finden. Warner und Adams folgten etwas langsamer und gemessener. Adams schloss als letzter die Tür hinter sich. Unter dem wolkenverhangenen Himmel, zwischen den Sand- und Schneewehen, war es finstere Nacht.
Der Leutnant knickte in die Knie. Adams glaubte, dass er fehlgetreten sei, sprang ihm bei und packte ihn am Arm, um ihm wieder aufzuhelfen. Aber Warner sackte am Boden zusammen. Der junge Rauhreiter erschrak, riss die Tür hinter sich wieder auf und schleppte den Zusammengesunkenen in das Kommandantenzimmer.
Major Smith war aufgesprungen. Er schloss rasch die Tür und hob die Lampe vom Tisch, um den am Boden liegenden Leutnant zu beleuchten. Der Lichtschimmer fiel auf das Gesicht. Die Augen waren gebrochen. Als der junge Rauhreiter den leblosen Körper zu untersuchen begann, fand er den Uniformrock durchstochen; Blut war schon in das Tuch gesickert. Ein Dolchstich hatte den Leutnant auf der Stelle getötet. Adams kniete sich zu dem Toten und drückte ihm die Augen zu. Er war daheim auf der Farm von der Mutter zur Achtung vor dem Menschen und zu strengen Lebensregeln erzogen worden.
Der Major und der junge Rauhreiter schauten sich über den Toten hinweg einen Moment schweigend an. Ohne einen Befehl abzuwarten, lief Adams dann durch eine Zwischentür zur Turmtreppe und rannte, drei und vier Stufen auf einmal nehmend, zum Auslug des Wachturms hinauf. Er wollte Überblick gewinnen und Mike, den Posten, anweisen, Alarm zu geben.
Oben stand Mike nicht mehr Wache. Sein Körper lag am Boden. Ein Pfeil hatte Nacken und Gurgel durchbohrt. Adams blieb in Deckung hinter der Brüstung und brüllte gegen den Sturm an: »Indsmen im Fort!«
Er sprang die Treppe wieder hinunter, um sich beim Major weitere Befehle zu holen.
»Hof und Gebäude durchsuchen!«
Adams stürzte zu dem alten Blockhaus und gab Alarm.
Die Männer wären in der undurchsichtigen Finsternis, im nächtlichen Sandsturm, alle lieber hinter den Blockwänden geblieben. Pitt und Hahnenkampf-Bill bestimmten sofort sich selbst als Hauswache. Munition und Essvorräte durften nicht ohne Aufsicht bleiben.
Die übrigen Männer ließen sich durch den Befehl in den Hof hinausscheuchen. Adams gesellte sich zu ihnen. Es wurde hin und her geschrien. Nur an den Stimmen konnte man sich gegenseitig erkennen oder daran, dass man die Uniform oder die Lederjoppe des anderen fühlte. Es wurde viel unnütz geschossen. Allen war unheimlich zumute, auch Adams selbst und dem Kommandanten. Die Suchenden beruhigten sich gegenseitig nur durch ihre Vielzahl. Jeder Quadratmeter des Hofes wurde mehrfach abgesucht, die Gebäude wurden durchwühlt. Dazu fauchte der Sturm, und der Sand stäubte. Die unheimliche und zugleich unruhig-geschäftige Atmosphäre hemmte das Nachdenken und Beobachten.
Doch ereignete sich nichts mehr. Kein Feind wurde gefunden, niemand wurde mehr angegriffen. Kein Brandpfeil landete auf den Dächern.
Die Männer sammelten sich. Sie fluchten leise, dann laut. Als Ersatzmann für den erschossenen Turmposten schickte Adams den indianischen Kundschafter des Forts hinauf, der zur Zeit des Überfalls abgelöst gewesen war und geschlafen hatte. Die Schießluken am Palisadenring wurden alle besetzt.
Äußerlich trat wieder Ruhe ein.
Die beiden Toten, Warner und Mike, wurden in dem großen Blockhaus aufgebahrt und mit Decken verhüllt. Adams nahm den Pfeil an sich, mit dem der Posten auf dem Turm abgeschossen worden war. In der Ecke hinten auf der Wandbank saßen Hahnenkampf-Bill und der schmierige kleine Josef mit Pitt zusammen. Adams ging auf diese Gruppe zu.
»Alle drei beieinander!«, sagte er und würgte dabei alle leiseren Empfindungen hinunter. »Könnt gleich beisammenbleiben. Morgen früh reitet ihr nach Fort Randall mit Briefen des Majors.«
»Wir?« Hahnenkampf-Bill war an diesem Abend auch ohne Brandy heiser. »Wie ist der Alte denn auf uns verfallen? Davon hast du mir noch nichts gesagt, Pitt!«
»Erfahrene Grenzer müssen es sein«, antwortete Adams an Pitts Stelle, »Männer, die auch auf Fort Randall den Mund auftun. Wir müssen Verstärkung haben, das begreift ihr wohl alle.«
»Ich denke es jetzt auch.« Pitt nagte an der Oberlippe. »Das ist’n schlechter Stall hier bei euch. Begreife immer noch nicht, wie’s zugegangen ist.«
»Nein? Ganz einfach.« Adams sprach trocken und zornig. »Erst haben sie mit dem Pfeil den Wachtposten auf dem Turm oben abgeschossen. Gemeinheit – oder wie ihr’s nennen wollt, aber das sind eben die Büffeljäger und Scharfschützen unter den Roten! Da, seht euch den Pfeilschaft an! Wie ist der gekerbt?«
Bill nahm den Schaft und drehte ihn in der Hand. »Dakota – unter den Dakota die Teton – unter den Teton die Oglala – unter den Oglala die Bärenbande und bei denen der Bund der Roten Hirsche. Die Gesellschaft kenne ich bestens! Seit mehr als zehn Jahren.«1
»Als der Posten auf dem Turm abgeschossen war, müssen ein oder zwei übers Tor gekommen sein – oder auch über die Palisaden, wenn sie zu mehreren waren und einander helfen konnten.«
»Mann!«, rief Pitt dazwischen. »Was es bei euch alles gibt!«
»Was willst du? Ein Dakota ist seine zwei Meter groß und gewandt wie ’ne Katze. Übers Tor kommt er immer, wenn ihn keiner dabei stört! Hat sich jedenfalls eingeschlichen, der Rote, und im Hof gelauert. Er hat den Leutnant niedergestochen, obwohl ich keine vier Schritt hinter Warner zurück war. Der Indsman muss von der Seite zugestoßen haben. Dann ist er wieder verschwunden, vermutlich auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.«
»Hätte auch mich mit seinem Messer erwischen können«, dachte Pitt laut, »aber das Amulett hat dem Sohn meines Vaters mal wieder geholfen.«
»Es ist auch immer ein Vorteil, wenn einer für ganz unwichtig gehalten wird«, spottete Bill.
»Einen Tag und eine Nacht Sandwehen – drei Tote!«, rechnete der kleine Josef. Er schaute böse und erregt auf Adams. »’s ist nicht gut, dass wir hier festsitzen. Die Indsmen wissen immer, wo sie uns finden können, aber sie selber schwirren um uns herum wie die Mücken und sind nicht zu fassen.«
»Drei Tote!«, wiederholte Adams fragend.
»George zählt mit! Den hast du wohl vergessen!«
»Vielleicht hält ihn der Sturm auf.«
»Adams, mach uns nichts weis, was du selbst nicht glaubst.«
»So gehen die also mit euch hier um, die verlausten Rothäute?« Pitt summte vor sich hin. »Uns aber haben sie während des ganzen Rittes in Ruhe gelassen. ’s war beinahe unheimlich.«
»Woher denn! ’s war ganz natürlich!«, höhnte der schmierige kleine Josef. »Den Herren vom Fort Randall zollt der Indsman Respekt!«
Die Kehlen blieben rauh, die Stimmung düster, und der Schlaf war unruhig. Noch immer rüttelte der Sturm an Häusern und Palisaden. Adams hatte sich in seine Decke gewickelt und lag neben Tom ohne Hut und Schuhe. Tom war nicht mehr der Jüngste. Sein Bart wurde schon eisgrau. Er wälzte sich unruhig hin und her.
»Du, Adams!«, begann er nach einer Stunde seinen jungen blonden Nachbarn zu stören.
»Was ist?«
»Muss ich morgen unbedingt mit nach Randall?«
»Der Alte will es so haben.«
»Wenn wir wirklich Verstärkung bekommen, mag’s angehen. Ich werde den Mund weit genug auftun.«
»Erst mach ihn mal zu und schlaf!«
Gegen Morgen legte sich der Wind. Die Wolken waren vertrieben, und der Himmel wölbte sich blau über versandetem, verschneitem, gefrorenem Boden.
»Frühlingsanfang!«, bemerkte Pitt. Obgleich er in das gelobte Land am Missouri zurückkehren durfte, war er giftig gestimmt.
Das Tor öffnete sich, und die vier Reiter verließen als Kuriergruppe mit den Handschreiben des Majors das Fort. Sie überquerten den Niobrara und wandten sich ostnordostwärts.
George war noch nicht zurück. Daran dachten alle, aber keiner sprach davon.
Die Reiter ließen ihre Tiere schnell laufen. Der kurzgrasige Boden war ein gutes Terrain für galoppierende Pferde. Dumpf klang der Hufschlag, das dem Präriereiter so gewohnte Geräusch. Hoch oben am Himmel zogen Raubvögel. Die steppenartige Prärie lag einsam im Morgenlicht. Kein Wild, kein Reiter, keine Spur war zu bemerken. Als die vier etwa eine Stunde unterwegs waren, hielten sie an und spähten von einem erhöhten Platz aus ringsumher.
Hahnenkampf-Bill zeigte auf den Kamm einer benachbarten Anhöhe: »Seht ihr dort was liegen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, glitt er selbst vom Pferd, huschte hinunter und den Hang der nächsten Anhöhe hinauf. Dort fand er, was er schon gesehen hatte. Ein Toter lag ausgestreckt im Gras, mit dem Gesicht zur Erde. Das Lederwams zeigte im Rücken einen Einstich und war blutig. Der Hut lag neben dem Toten. Die Skalplocke war vom Wirbel abgezogen. In das Wams hatte der Sieger mit dem Messer das Zeichen eines Vierecks eingeschnitten.
Bill kümmerte sich nicht weiter um den toten Kameraden. Er rannte schleunigst zu seinem Pferd und seinen drei Begleitern zurück, sagte kein Wort, sondern zeichnete nur mit der Hand ein Quadrat in die Luft.
»Schon wieder!«, Josef war bestürzt.
»Ja, wieder.« Bill knurrte. Er war selbst sehr unruhig und ärgerte sich umso mehr, als der andere seine Angst spüren ließ.
»Was bedeutet das? Das Viereck!«, fragte Pitt. Er kannte sich in dieser Gegend und den Gewohnheiten von Freund und Feind hier noch nicht aus.
»’s ist ein Zeichen«, murmelte Josef. »Sein Zeichen wird’s sein.«
»Wessen Zeichen?«, bohrte Pitt.
»Halt’s Maul!«, verwies ihn Bill. »Ich nenn den Namen nicht gern. War dabei, als sein Vater erstochen wurde, und es könnt sein, dass er auch mich noch im Gedächtnis hat!«
»Den Harry meint er!«, belferte der schmierige kleine Josef, »den Harry meint er, das rote Schwein, den Messerstecher und Meuchelmörder!«
Die Reiter sprangen alle auf und trieben ihre Tiere zu einem fluchtartigen Galopp. Es war vorläufig keine Zeit und keine Gelegenheit mehr zum Sprechen gegeben.
Als die vier jedoch nach Mittag eine Rast einlegten und an ihrem Proviant kauten, ohne Feuer zu machen, fing Pitt wieder an: »Was ist das für ein Harry, den du ein rotes Schwein nennst? Mestize?«
»Vollblutdakota! Einer, wie du ihn noch nicht so leicht getroffen hast in deinem bequemen Leben da hinten im gelobten Fort Randall.«
»Oho! Hab auch schon andre Gegenden kennengelernt, und selbst bei Randall treibt sich noch allerhand herum. Der Harry geht also auf Mord an euch aus?«
»Er geht nicht nur darauf aus. Wie du siehst, betreibt er das Gewerbe mit bestem Erfolg!«
»Ein ganz verfluchter Schweinehund und Verräter ist das.« Bill, der nicht über das Thema hatte sprechen wollen, mischte sich jetzt doch ein. »War früher unser Kundschafter beim Bau der Union Pacific, dann hat er sich in den Black Hills herumgetrieben und hat Goldsucher meuchlings niedergemacht, und jetzt ist er wieder bei seinem Stamm und versauert uns das Leben! Tokei-ihto nennen ihn seine Dakota. Dieser Verbrecher, der ist mit allen Wassern gewaschen und mit allen Hunden gehetzt. Unser Major will es nicht wahrhaben, aber ich sage euch, der Harry Tokei-ihto, der führt seine paar Leute bedeutend besser als der Major uns! Daran liegt’s, dass wir nichts ausrichten!«
»Ah so!«, Pitt zog an der kalten Pfeife. »Ihr braucht also nicht nur Verstärkung, sondern auch einen jüngeren, energischen Offizier!«
»Bleibt uns vom Leibe mit euren jungen Offizieren. Hast ja gesehen, was aus Warner geworden ist! Eine Leiche! Nein, Leutnants brauchen wir nicht. Männer brauchen wir, die kundschaften und schießen können. In der Überzahl müssen wir sein! Dann lässt sich was machen. Überzahl gleicht alle Dummheit aus.«
»Und den Harry müssten wir wegfangen!«, ergänzte der schmierige Josef. »Das sollte mir eine Freude sein, den lebendig abzuhäuten!«
»Träum nur weiter von deiner Freude. Lebendig kriegst du den nie!« Bill spottete gereizt. »Du nicht! Hab noch nie gesehen, dass ’ne Schnecke ’ne Heuschrecke fängt!«
Die vier Reiter beendeten ihre Rast. Sie trabten bald, bald galoppierten sie weiter ostnordostwärts. Das Wetter war ihnen günstig. Wenn die Kälte der letzten Februartage ihnen auch zu schaffen machte, so blieben sie doch von Sturm, Schnee und Sand von nun an verschont. Wild kam ihnen kaum vor die Flinte. Fährten von Indianertrupps waren nirgends zu sehen. Die Prärien wirkten, als seien sie von Menschen noch nicht entdeckt. Ringsum erklang kein Laut. Nachdem die Reiter die Nacht und den zweiten Tag unbehelligt geblieben waren, gewöhnten sie sich an den Gedanken, dass keine Gefahr mehr für sie bestehe, und wurden inmitten der Stille und Einsamkeit sorglos. Wenn jemand eine Absicht hatte, ihnen unbemerkt zu folgen, so war das jetzt ohne Schwierigkeit möglich.
In der letzten Nacht gönnten sich die Reiter nur wenig Schlaf. Sie überquerten zwei fast ausgetrocknete Bäche und ritten so scharf, dass sie mit Sonnenaufgang Fort Randall und den Missouri erreichten. Durch die zahlreichen Fährten, die ihnen hier begegneten, durch die Geräusche, die zu ihnen drangen, wurden sie dem allgemeinen Leben wieder enger verbunden. Im Gebiet des großen Stromes wuchs das Gras der Wiesen saftiger und kräftiger unter dem tauenden Schnee hervor als auf den Sandsteppen. Laute Rufe und ein vielfältiges Stimmengewirr drangen aus den Fortanlagen selbst und aus der Umgebung des befestigten Militärlagers bis zu den Heranreitenden. Die Pferde beschleunigten von selbst ihren Gang.
Trotz der frühen Jahreszeit und der noch winterlichen Kälte lagerten außerhalb des Forts schon zahlreiche Menschen. Zu einem Teil waren es Weiße, Jäger, Fallensteller, Vagabunden, Händler, zum großen Teil aber Indianer, die mit Zelten, Frauen und Kindern gekommen waren und sich niedergelassen zu haben schienen, um zeitraubende Handelsgeschäfte mit erbeuteten Winterpelzen abzuwickeln. Die meisten der Indianer machten schon auf den ersten Blick den Eindruck von Halbzivilisierten. Sie trugen bunte Kopftücher, schlechte Kattunhemden, schlugen billige Wolldecken um die Schultern, und der Ausdruck ihrer Augen war verschwommen. Einige schienen am frühen Morgen schon betrunken zu sein. Die vier Reiter trieben ihre Pferde rücksichtslos durch die Lagernden hindurch. Wer nicht umgeritten werden wollte, musste schnell zur Seite springen.
Das Fort selbst, bei dem die Reiter anlangten, war, wie sich schon von außen erkennen ließ, viel größer, geräumiger und besser befestigt als die Station am Niobrara. Die Atmosphäre der ständigen Gefährdung in der Wildnis, in der noch die Flinten, Pfeile und Messer der Dakota herrschten, bestand hier nicht mehr. Jedermann bewegte sich mit Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Die Reiter erreichten das Tor. Pitt mit der verstümmelten Nase war der Wache bekannt, und die Kuriergruppe wurde sofort eingelassen. Im Innern der Fortanlage konnten die Ankommenden die aufgestellten Geschütze bewundern. Die Kuriere meldeten sich in einer Wachstube an und rechneten damit, dass sie warten müssten, da es noch sehr früh am Morgen war. Überraschend schnell wurden die Männer jedoch zu einem Leutnant mit Namen Roach befohlen, und nach wenigen Minuten schon standen sie in einem geheizten, komfortabel ausgestatteten Raum, der recht ungewohnt auf sie wirkte.
Der junge Leutnant saß hinter einem Schreibtisch auf einem Stuhl mit Armlehnen. Er nahm aus Pitts Hand dasjenige Schreiben in Empfang, das an den Kommandanten von Fort Randall gerichtet war, und öffnete es auftragsweise ohne Bedenken. Während er las, hatte Pitt Zeit, ihn näher zu betrachten. Dieser Leutnant Roach stand dem Stummelnasigen auf irgendeine Weise näher als der weltfremde und pflichteifrige Major Smith. Der Leutnant lehnte sich beim Lesen lässig zurück. Seine Uniform war private Schneiderarbeit und saß tadellos. Sein Haar war mit Sorgfalt gescheitelt und mit Pomade geglättet. Die Fingernägel waren gepflegt. Dieser Leutnant hatte also Schwächen, an die ein geschickter kleiner Mann vielleicht anknüpfen konnte.
Die Mundwinkel des Leutnants verzogen sich, während er den Brief des Majors las.
»Vollkommen klar.« Er faltete das Schreiben wieder zusammen. »Ihr braucht Verstärkung, Munition und einen tüchtigen Offizier. Wo habt ihr das zweite Handschreiben, das nach Yankton an Oberst Jackman gerichtet ist?«
Pitt holte bereitwillig auch dieses Schreiben, das mehrfach versiegelt war, aus der Brusttasche und wies es vor. Der Leutnant nahm es und drehte es ein paarmal in der Hand. Zu öffnen wagte er in diesem Falle nicht. »Der Inhalt wird der gleiche sein«, bemerkte er schließlich. »Ich reite sowieso nach Yankton und werde das Schreiben dort Oberst Jackman persönlich übergeben. – Also gut!«, schloss er ab. »In ein paar Tagen! Ich bespreche das mit unserem Kommandanten und mit Oberst Jackman selbst in eurem Sinne.«
Der elegante junge Offizier erhob sich, und weder Pitt noch ein anderer Rauhreiter fühlte das Bedürfnis, noch ein Wort zu sagen. Wozu auch? Die Mission hatte über alles Erwarten Erfolg gehabt. Auf den ersten Anhieb schon wurden die Verstärkungen versprochen, auf die man am Niobrara seit einem Jahr vergeblich gewartet hatte. Was wollten die Boten noch mehr? Die Ruhetage lockten, besonders nach einem solch unerwartet schnellen Erfolg. Pitt, Bill, Josef und Tom zogen sich in bester Laune zurück. Ein Bursche des Leutnants hatte schon Anweisung, für die vier zu sorgen.
»Der Herr Leutnant schmiert sich bei uns an«, flüsterte Tom dem Hahnenkampf-Bill zu. »Der will wohl unseren alten ehrlichen Major aus dem Sattel heben!«
Bill, Pitt und Josef teilten Toms moralische Bedenken nicht. »Was geht’s uns an? Hauptsache, wir kriegen ein paar Tage lang zu fressen, zu saufen und zu rauchen. Der Roach, das ist unser Mann.«
»Auch wenn er nach Pomade stinkt. Lasst ihm seinen Spleen.«
Der Bursche des Leutnants war umgänglich und schien Langeweile genug zu haben, um sich den Ankömmlingen aus der fernen Wildnis zu widmen. Er steckte ihnen die Taschen voll Rauchzeug, verschaffte ihnen reichlich Essen, Branntwein mit Maßen und machte zum Schluss noch auf einen besonderen Anziehungspunkt aufmerksam: Vor den Toren des Forts sollte gerade an diesem Tag ein Stockball-Wettspiel der dort lagernden Indianer stattfinden. Stockball – dem Hockey gleich – war ein bei den Stämmen der Prärie, speziell den Dakota, heimisches und sehr beliebtes Spiel, das schon die Indianerjungen übten. Der Kommandant hatte sich herbeigelassen, einen Geldpreis zu stiften, in der Meinung, den Wetteifer der Halbzivilisierten dadurch anzuspornen und seiner gelangweilten Truppe die erwünschte Unterhaltung noch spannender zu gestalten. Mit der Aussicht auf das Wettspiel wurden die vom Niobrara mit ihrem Kollegen Pitt vorläufig sich selbst überlassen.
»Wird was Rechtes sein, wenn die lumpenbehangenen roten Schweine auf dem Rasen durcheinanderrennen!«, schätzte Pitt.
»Können wir Wetten abschließen?«, interessierte sich der schmierige Josef. »Wenn nicht gewettet werden kann, geh ich lieber saufen.«
Hahnenkampf-Bill schaute sich suchend um. »Dort – nein, dort drüben – siehst du noch immer nichts? Schmieriger Knabe Josef, siehst du nichts? Die beiden dort mit dem Bauchladen, schon mitten drin im Gewimmel! Die scheinen Wetten anzunehmen!«
Ohne weitere Abrede setzten sich die vier gleichzeitig in Bewegung und steuerten auf eine Gruppe zu, deren Mittelpunkt zwei große Gestalten bildeten. Der eine, ein wahrer Hüne, massig, fett, mit schütterem Haar, war schon mit einigen Wettkunden beschäftigt. Er zog die Aufmerksamkeit der vier Rauhreiter weniger an als der zweite Händler und Wetteinnehmer, ein schwarzhaariger Kerl, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte und sich laut als reelles Wettbüro anpries. Wenn er den Mund aufmachte, war zu sehen, dass er schon alle Zähne verloren hatte.
»Ben!«, rief der Hahnenkampf-Bill ihn an. »Zahnloser, verdächtiger Geselle! Bist du auch wieder im Jagdrevier?«
»Wie du siehst, vielfacher Hahnenkämpfer. Wollt ihr Wetten abschließen?«
»Gib uns einen Tipp, Ben!«, suchte Bill seinen alten Bekannten zu überreden. »Einen guten Tipp! Welche Partei siegt?«
»Was weiß ich! Ihr müsst wetten! Nicht ich.«
»Alter Gauner!«, Bill war erbost. »Du wirst schon wissen, auf wen du setzt, aber uns sagst du nichts, damit wir nicht deine Quote drücken.«
Die gesamten, von den Wettern eingezahlten Beträge wurden unter Abzug eines Prozentsatzes für den Wetteinnehmer an diejenigen ausgezahlt, die auf den Sieger gesetzt hatten. Je weniger Wetter also den Einsatz auf den Sieger gemacht hatten und je mehr Wetter ihr Geld verloren, desto höher war im Verhältnis zum Einsatz der Betrag, der an die Gewinner ausgezahlt wurde.
»Gib uns einen Tipp!«, versuchte jetzt auch Pitt den Wetteinnehmer zu überreden. »Können dir dafür schöne Grüße bestellen von deinem alten Blockhaus am Niobrara, wo du mal so gut verdient hast – bis vor zwei Jahren.«
»Es steht immer noch«, ergänzte Tom.
»Müsste ich mir beinahe mal wieder ansehen! Habt ihr noch keinen neuen Wirt?«
»Keinen Wirt, zurzeit nicht mal Brandy!«
»So, so. Ich werde mir das beschnuppern. Aber wie steht’s jetzt? Wettet ihr?«
»Gibst du uns einen Tipp?«
»Hab doch keinen!«
Die Reiter wurden ärgerlich. Pitt hatte während des Gesprächs umhergespäht. »Kommt! Ich seh einen Freund von mir, einen besseren als diesen zahnlosen Gauner hier!«
Pitt steuerte, von seinen Gefährten gefolgt, auf einen in bunt gesticktes Tuch gekleideten kleinen Kerl zu. Die lebhaften schwarzen Augen des anderen schienen Pitt schon entdeckt zu haben.
»Pitt, mon ami, ganz guter Freund, lass dich umarmen!«
»Louis, der Kanadier!«, stellte Pitt vor. »Louis, wir brauchen dich!«, ging er gleich auf sein Ziel los. »Es wird gewettet. Wir sind alle arme Teufel, haben wenig Geld, müssen was gewinnen. Gib uns einen Tipp!«
»Tipp? Oh! Tipp? Ihr wollt haben Tipp? Ganz großen Tipp?«
»Ganz großen Tipp, Mann! Lass uns gemeinsame Kasse machen für die Wetten!«
»Gemeinsame Kasse? Oh! Pitt, Stummelnase, du bürgst für deine Freunde?«
»Ich bürge.«
»Also, ganz großen Tipp!«, begeisterte sich der Kanadier, der nur gebrochen Englisch sprach. »Kommt, meine Freunde! Ich führe euch zu dem, der alles weiß, wie es wird kommen! Zu dem Capt’n von blaue Partei!«
Die kleine Gruppe machte sich wieder auf den Weg. Das ganze Lager vor den Toren des Forts war schon auf den Beinen, und die Männer steuerten zusammen durch das Gewimmel von Menschen hindurch.
Das Spielfeld wurde eben abgemessen. Zwei Zelte waren als Tore einander gegenüber aufgestellt worden. Bei diesen Toren sammelten sich bereits die Spielmannschaften. Der lebhafte kleine Kanadier führte seine Begleiter zu dem im Norden aufgestellten Zelt. Innerhalb einer Gruppe von indianischen Spielern, die sich dort zusammengefunden hatten und ihre Stöcke schon zur Hand hielten, war ein riesiger Neger zu erkennen. Mit lebhaften Gesten instruierte er seine indianische Mannschaft.
»He! Bobby!«, schrie der Kanadier. »Bobby!«
Der Neger schaute zu der Gruppe her.
Tom ohne Hut und Schuhe riss die Augen weit auf. »Was seh ich! Das ist doch … das ist doch …«
Bei Toms Ausruf wurde auf dem lebhaft und intelligent wirkenden Gesicht des Afrikaners für den Bruchteil einer Sekunde ein Mienenspiel sichtbar, als ob er sehr unliebsam überrascht, vielleicht sogar tief erschrocken sei. Aber das ging so schnell vorüber, dass die vier Rauhreiter, auch Tom selbst, nicht darauf aufmerksam geworden waren.
Der Neger durchbrach, schnell gefasst, den Ring der Umstehenden. Mit einem Hochsprung setzte er über einige noch hinderliche Gestalten hinweg, dann war er bei Tom angelangt, umschlang den Bärtigen mit seinen starken Armen und presste ihn an die Brust. »Tom ohne Hut und ohne Schuhe! Oh, wahrhaftig! Was sehen meine glücklichen Augen! Tom ist da! Tom ohne Hut und Schuhe! Tom ist gekommen mit Hut und Schuhen!«
Dem Umarmten ging bei der stürmischen Begrüßung fast die Luft aus. »Tschapa Kraushaar!«, gurgelte er, »Tschapa Kraushaar! Erdrück mich nicht! Wo kommst du denn her?! Bist du nicht mehr bei …«
Der Neger küsste den Verblüfften und halb Erstickten wieder und wieder. »Tom, wir sehen uns wieder! Tom hat Hut! Tom hat Schuhe!«
»Ja doch, ja doch!«, Tom versuchte, aus der allzu stürmischen Umarmung herauszuschlüpfen. »Aber nun sag mir bloß …«
»Tom ist da! Tom ist da!«
»So nimm doch Vernunft an, Tschapa Kraushaar!«, schrie Tom. »Du erstickst mich noch!«
Der Neger gab Tom frei und betrachtete den alten Grenzer freundlich. »Tom ist da!«
Tom setzte seinen Hut wieder zurecht, tat einen tiefen Atemzug und fragte: »Du bist’s also wirklich, Tschapa Kraushaar! Wie kommst du hierher? Ich dachte, du bist bei der Bärenbande?«
Pitt fuhr auf. »Was hör ich? Bei den Bärenbanditen?«
»Da haben wir uns kennengelernt«, erläuterte Tom seelenruhig. »Als ich einmal bei dieser berüchtigten Abteilung der Dakota-Teton-Oglala gefangen war!«
»Und jetzt?« Pitt blieb argwöhnisch.
»O Tom! O Tom!«, rief der athletisch gebaute Neger mit dem freundlichen Gesicht immer wieder. »O Tom, o nein, ich nicht mehr Bärenbandit! Bobby nie mehr Bärenbandit sein! Nein, nein, nein!«
»Warum denn nicht?«, erkundigte sich Pitt, immer noch voller Misstrauen.
»Fremder weißer Mann mit kurzer Nase glaubt mir nicht? Aber Tom mir glauben! Was hat Tom gesehen in meinem Zelt, als er bei mir war? Sieben Weiber! Sieben Weiber und armen Bobby dazu! Bobby ist weggelaufen!«
Die Rauhreiter fingen an zu lachen.
»Es ist wahr«, bestätigte Tom. »Zu viele Witwen und Waisen haben sie bei der berüchtigten Bande. Es sind viele Männer umgekommen, im unaufhörlichen Kampf, auf der Jagd, und die hungrigen Mäuler in den Zelten bleiben übrig. Als ich gefangen war, musste ich auch so eine Witwe heiraten. Bin bald wieder ausgerissen! Und du bist deinen sieben Großmüttern, Tanten und Nichten entkommen, Kraushaar. Gratuliere! Du bist also kein schlauer Tschapa mehr, sondern unser Bobby geworden!«
Die beiden fielen sich wieder an die Brust.
»Vielleicht kommen wir heute noch mal zur Sache!« Pitt dachte an das Wettgeschäft und wurde ungeduldig. »Bobby, hör zu, du bist Capt’n beim Stockball? Bei der blauen Partei?«
»Bin ich! Bin ich!«
»Und wie steht’s? Siegt deine Mannschaft?«
»Soll ich sie machen siegen?«
»Was heißt das? Geht’s nicht ehrlich zu?«
»Ehrlich, ehrlich, ganz wahrhaftig!«
»Weißt du, wie die rote Partei spielt? Wer ist ihr Capt’n? Kennst du ihn?«
»Steht da drüben! Gewaltiger Indsman. Ein Ponka!«
Die Blicke richteten sich auf den Indianer, der in der Nähe des gegenüberliegenden Torzeltes stand. Er war groß, sehr schlank, in buntes Baumwollzeug, aber nicht geschmacklos gekleidet. Sein langes blauschwarzes Haar hatte er in Zöpfe geflochten. Das hagere Gesicht war bemalt. Die Farben waren so dick aufgetragen, dass sich die natürlichen Züge überhaupt nicht mehr erkennen ließen. In seinem Gürtel steckte ein Revolver. Sonst war keine Waffe an ihm zu sehen. In der Hand hielt er den Schlagstock, der einem Hockeyschläger ähnlich geformt war. Nicht weit von ihm stand seine Gruppe indianischer Stockballspieler.
»Was hältst du von ihm?«, drang Pitt in den Neger.
»Weiß nicht, meine Freunde, wie Jack der Ponka spielen will. Wenn er hat Laune, gut zu spielen, bin ich besiegt. Hat er Laune schlecht, treibe ich den Ball in sein Tor.«
»Laune gut! Laune schlecht! Laune schlecht! Laune gut! Sollen wir erst um die Laune eines Indsman würfeln?! Kann dem Kerl keiner Bescheid sagen, wie er zu spielen hat?!«
Bobby, der Athlet, zog die Schultern bis zu den Ohren hoch. »Kann ihm keiner Bescheid sagen! Jack der Ponka tut, was ihm passt. Soll ich ihn bitten, einen Tipp zu geben?«
»Ihr beiden Captains müsst was miteinander ausmachen!«, schlug Pitt vor. »Den Gewinn schöpfen wir zusammen ab!«
Der Neger wiegte den Kopf und zeigte die Perlenzähne. »Indianer immer halsstarrig! Aber ihr seid meine Freunde! Ich werde versuchen, mit Ponka zu reden!«
So ging die Gruppe, die nun schon aus sechs Mann bestand, am Rande des Spielfelds entlang zur anderen Partei hinüber.
Der Ponka schaute den Herankommenden entgegen. Er hatte den Spielstock in der Rechten und wippte leicht damit. Die blauschwarze Bemalung machte es unmöglich, einen Ausdruck in seinem Gesicht wahrzunehmen. Aus dem Spielen seiner Hand, aus der Haltung seiner Schultern, aus der halben Wendung des Kopfes sprachen aber betonter Hochmut und eine nur nachlässige Aufmerksamkeit.
»Jack!«, redete Tschapa Kraushaar den Indianer an, »hier bitten fünf ehrenwerte Gentlemen um deine Aufmerksamkeit! Sie möchten auf einen von uns wetten. Bisschen was gewinnen, bisschen lustig leben, ehe die vier da wieder zum Niobrara reiten müssen – willst du ihnen einen Rat geben?«
Der Ponka hörte auf, mit dem Spielstock zu wippen, und blieb einen Augenblick unbeweglich. Pitt schaute in das blauschwarz bemalte Gesicht, in diese Maske eines Menschen, hinter der selbst die Augen unter gesenkten Lidern verborgen blieben. Es rieselte ihm plötzlich kalt über den Rücken, und er griff unwillkürlich nach seinem Amulett. Aber er hatte nicht Zeit, weiter darüber nachzudenken, was ihn erschreckt hatte, denn der Indianer antwortete leise: »Bobby wird Sieger sein.«
Beim letzten Wort hatte er sich schon abgewandt, ließ die sechs stehen und ging daran, seine Spielergruppe einzuteilen.
Die Rauhreiter schauten sich verblüfft an.
»Das hat ja schnell funktioniert!«, meinte der kleine Josef. »Hier auf Randall geht wohl alles wie geölt! Gleich nach Sonnenaufgang beim Leutnant empfangen – Verstärkung schon zugesagt – und jetzt auf Anhieb der Tipp erteilt! Was hat denn der Ponka für einen Vorteil dabei, wenn er dich gewinnen lässt, Bobby?«
Der Neger lächelte überlegen. »Jack der Ponka hat gute Laune und ist Bobbys Freund!«
»Das versteh, wer will!«
»Los, los! Wir müssen jetzt schnell sein!«, flüsterte Pitt. »Überall erzählen, dass Jack der Ponka siegt! Dann steigt unsere Quote, wenn wir auf Bobby wetten. Bobby, du bist Gold wert!« Pitts offene Nasenlöcher wirkten in diesem Augenblick freundlich. Er roch Geld.
Die sechs verteilten sich, um den Wettschwindel zu organisieren. Kurz ehe das Spiel begann, trafen sie sich wieder und legten alle Geldbeträge zusammen, die sie nur irgend aufbringen konnten. Louis, der Kanadier, wurde als gemeinsamer Wettbankier gewählt. Bobby leistete eine erstaunlich hohe Einlage.
»Bobby Kraushaar!«, sagte Tom überrascht und strafend, »woher hast du so viel Geld? Bist du unter die Diebe gegangen?«
»Tom ohne Hut und ohne Schuhe! Ich habe ein wenig gehandelt.«
»Das hast du ja schnell gelernt.«
Louis, der Kanadier, ging mit den gesammelten Wetteinsätzen nicht zu dem zahnlosen Ben, über den sich die Rauhreiter geärgert hatten, sondern zahlte den Gesamtbetrag bei Johnny, dem großen fetten Händler mit dem schütteren Haar, ein, und zwar im letzten Augenblick vor Beginn des Spiels, damit sich die anderen Wetter nicht mehr danach richten konnten.
Der Neger begab sich zu seiner Mannschaft, die aus dreißig Mann bestand. Das Spiel setzte ein. Der harte kleine Ball wurde geschlagen und flog über den grasigen Boden. Die Spieler rannten gewandt und geschwind. Sie jagten aneinander vorbei und nahmen sich den Ball vom Stock weg. Bobby und Jack hielten sich noch zurück, doch wurde den Kennern schon klar, was in diesen beiden Spielern an Schnelligkeit, Wendigkeit und Umsicht steckte. Die Zuschauermenge vergrößerte sich rasch. Die Wetter feuerten die Spieler an. Nach den Soldaten kamen auch Offiziere aus dem großen Tor heraus. Einer folgte dem anderen, um dem immer lebhafter werdenden Spiel zuzuschauen.
Alle waren sehr überrascht, was für gute Mannschaften sich Bobby und Jack aus den bunt gekleideten, verluderten und versoffenen Indianern rings um das Fort zusammengestellt hatten. Auch unter den Indianern, die zuschauten, schlug plötzlich das Feuer des Stolzes hoch, als sie ihresgleichen gut spielen sahen. Aus ihren Reihen bildete sich spontan eine Ordnergruppe, die die Zuschauer von dem großen Spielfeld fernhielt.
Die beiden Mannschaftsführer gingen aus sich heraus und spielten hervorragend.
»Bobby! Bobby!«
»Jack! Jack!«
»Donnerwetter, können die spielen!« Louis, der Kanadier, war begeistert. »Da hätte ich mitmachen sollen!«
Nachdem die ersten drei Tore errungen waren und das Spiel 2:1 für die rote Partei stand, konnte fast zwei Stunden hindurch keine Partei mehr den Ball in das Zelt der anderen treiben.
Es war vorgesehen, das Spiel bis zum Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen. Gegen Mittag wurde die erste längere Pause eingelegt. Es stand noch immer 2:1.
Da Jack der Ponka gleich zu Beginn der Pause verschwand, war es Bobby, der der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Neugier wurde. Er gab den erstaunten Zuschauern und eifrigen Wettern ein Interview nach dem anderen. Sogar der Kommandant und der elegante Leutnant Roach fanden es nicht unter ihrer Würde, den »Nigger« anzusprechen. Die Spielstärke der beiden Mannschaften wurde allgemein diskutiert. Bobby heimste zahlreiche Zigarren und Zigaretten ein und orakelte freigebig und widersprechend über den Ausgang des Spiels. Als die Spieler sich ausgeruht hatten und das Spiel wieder aufgenommen werden sollte, war auch der Indianer wieder pünktlich zur Stelle.
»Den Jack und den Bobby scheint das nicht einen Tropfen Schweiß zu kosten!«, sagte ein Dragoner neiderfüllt. »So ’n Herz und so ’ne Sehnen wie die müsste man haben! Sagenhaft!«
Das Spiel wurde immer leidenschaftlicher. Mit hellen Schreien begleiteten die Zuschauer den Lauf der Spieler, ihre überraschenden Wendungen. Der Kommandant hatte auf Jack, der Leutnant hatte auf Bobby gesetzt, da der schmierige Josef ihm den Tipp verraten hatte. Als nach drei Stunden noch immer kein weiteres Tor gefallen war und eine Zwischenpause eingelegt wurde, schienen die erregten Zuschauer fast erschöpfter als die Spieler.
Bobby tänzelte, um seine Beine zu entspannen, und lachte. Er war sichtlich guter Stimmung. Jack warf sich hinter dem Torzelt der blauen Partei ins Gras und entzog sich damit dem Gesichtskreis der durcheinanderlaufenden und durcheinandersprechenden Zuschauer. Als Pitt hinter das Torzelt ging, traf er Jack jedoch nicht mehr dort an. Er schaute sich um und erblickte den Gesuchten auf einmal, wie er in aller Ruhe durch das Tor aus dem Fort herauskam. Die Zigarette, die er rauchte, hatte ein feines Aroma.
»Wo hat er die geschnorrt!«, schalt der Kurznasige. Er konnte keine weitere Feststellung treffen, denn das Spiel wurde wieder aufgenommen.
Jack lief glänzend, und schon gleich zu Anfang fielen zwei weitere Tore zugunsten der roten Partei. Der Kommandant zollte Beifall. Dann aber holten Bobby und seine Partei der Blauen auf. Fortwährend war der Neger mit seiner Mannschaft vor dem Zelt der Gegenpartei.
Es gab keinen Schiedsrichter. Die Ordnergruppe setzte sich gegenüber den Zuschauern durch, aber sie hatte keine Autorität über die Spieler. Diese beurteilten ihr Spiel selbst. Im Endkampf erwachten die Leidenschaften. Die Spieler gerieten handgreiflich aneinander, und Leutnant Roach wurde sehr nervös, als die Rufe der Spieler in ein Kriegsgeschrei der um den Ball kämpfenden Parteien übergingen. Bobby und Jack verloren die Ruhe jedoch nicht. In offenbar bestem Einvernehmen warfen sie das Spielerknäuel auseinander, wobei es nicht anders als in einem Ringkampf zuging.
Als es dämmerte, fiel das letzte Tor. Bobby hatte 5:4 gewonnen.
Der Beifall war dünn. Zu viele Wetter, die auf Jack gesetzt hatten, sahen sich enttäuscht. Die Quote für die Wetten auf Bobby stand 83:10. Die Sechsergruppe der Wetter strich hochbefriedigt ihr Geld ein; auch der Leutnant war zufrieden. Die ermüdeten Spieler begaben sich in ihre Zelte. Die Soldaten und Offiziere gingen in das Fort zurück.
»Die beiden Captains sollten wir im Auge behalten«, bemerkte der Kommandant dabei zu Roach, »eventuell als Läufer für uns.« Pitt hörte die Bemerkung mit.
Roach drückte als Untergebener die Zustimmung zur Meinung seines Vorgesetzten aus, obgleich ihm bei dem Vorschlag seines Kommandanten nicht ganz wohl zu sein schien. Pitt aber beschloss, den Vorschlag des Kommandanten bei Roach zu unterstützen. Nachdem die beiden Spielführer Wort gehalten hatten und Pitt seinen Gewinn einstrich, vergaß er jegliches Grauen vor dem Indianer.
Eisschollen treibend, floss der Missouri in seinem breiten Bett dahin. Die Sterne flimmerten, eisig wehte der Nachtwind. Soweit sich die Pferde im Freien befanden, drängten sie sich wärmesuchend aneinander. Die Soldaten gingen in ihre Unterkünfte. Die Posten wachten wieder aufmerksamer. Leutnant Roach stellte mit Schrecken fest, dass er vergessen gehabt hatte, sein Zimmer abzuschließen. Aber es schien alles in Ordnung, nichts fehlte ihm außer einer von seinen besten Zigaretten. Aber vielleicht hatte er sich auch verzählt. Er redete sich ein, dass tatsächlich nur noch acht lose Zigaretten übrig gewesen seien, als er das Zimmer verlassen hatte, und atmete auf.
Gegen Jack wurden viele abfällige und unzufriedene Bemerkungen laut, er habe zum Schluss nachlässig gespielt und seine gesamte Mannschaft dadurch entmutigt. Aber den Ponka schien weder die Meinung seiner Mitspieler noch die der Zuschauer zu kümmern. Er ließ sich von Bobby noch einige gute Zigaretten abgeben. Pitts Einladung zu einem abendlichen Drink lehnte er mit der Begründung ab, dass er ermüdet sei und schlafen wolle. Geld kassierte er nicht ein. Er hatte überhaupt nicht gewettet.
»Spleeniger buntbeschmierter Kauz!«, fasste Bill die allgemeine Meinung zusammen.
Pitt kam in sein Element; er spielte den großen Mann und gab in der Gaststube des Forts seinen gesamten Wettgewinn für Brandy aus. Nach Mitternacht fand er mit den drei Rauhreitern vom Niobrara zusammen in einer Mannschaftsunterkunft Quartier. Im Bewusstsein, ein paar Tage Ruhe vor sich zu haben, schliefen und schnarchten alle zufrieden. Die Schrecken der Prärie waren für den Augenblick vergessen.
Als die Nacht vorüber war und die Sonne wieder aufging, hielt eine kleine Abteilung Dragoner schon zu Pferd vor dem Tor, bereit zum Aufbruch und zum Ritt nach Yankton. Der Rappe für Leutnant Roach wurde von Pitt bereitgehalten, der selbst schon zu Pferd saß. Vorn bei der kleinen Truppe standen Jack und Bobby. Pitt, der sich als Kurier fühlte und sich von jeglichem Spähdienst entlasten wollte, hatte Leutnant Roach noch beim Frühstück darin bestärkt, den Ratschlag des Kommandanten zu befolgen und den Neger sowie den Ponka als Läufer und Späher anzuwerben. Obgleich auf dem Weg von Fort Randall bis Yankton am Missouri keinerlei Gefahren zu drohen schienen, hatten die Berichte des Majors Smith in dem eleganten Leutnant eine Empfindung geweckt, in Grenznähe zu sein. Pitts Rat hatte daher an diesem Morgen bei Roach ein offenes Ohr gefunden.
Bobby Kraushaar, der athletische freundliche Neger, stand in wartender Haltung bei Pitt und dem Pferd des Leutnants und schaute nach dem Tor, aus dem Roach kommen musste. Eben war der Schritt des Leutnants zu hören. Roach dankte dem Gruß der Wache in seiner saloppen Weise, kam herbei und schwang sich auf seinen Rappen, mit leichter Bewegung, durch die die Eleganz seines Äußeren unterstrichen wurde. Während er das Tier antrieb, gab er den beiden Spähern mit der Reitpeitsche ein Zeichen, vorauszulaufen. Es war ein Zeichen, wie es gegenüber Sklaven üblich gewesen war. In Bob waren mit einem Schlage Erinnerungen aus seiner schweren Kindheit wach. Die Striemennarbe eines Peitschenschlages brannte wieder, und wenn Leutnant Roach sich die Mühe gemacht hätte, in das Gesicht des Mannes zu blicken, würde er in diesem Augenblick etwas ganz anderes als Freundlichkeit darin wahrgenommen haben. Ein gleicher Versuch, in den Mienen des Ponkas zu lesen, wäre aber auch jetzt vergeblich geblieben. Der Indianer hatte gleichmütig gewartet, bis der Leutnant kam. Er hatte den Lauf schon aufgenommen, ehe Roach mit der Peitsche winkte. Das Gesicht des Indianers war mit einer neuen, sorgfältig überlegten Fratzenmalerei, in Schwarz, Blau und Weiß, bedeckt. Während Bobby mit nacktem Oberkörper lief, hatte Jack über das Hemd sogar noch einen Poncho gezogen.
Jack lief voraus, und Bobby hielt sich in seiner Spur. Mit seinen langen muskulösen Beinen war der Indianer ein ausgezeichneter Läufer, und der Neger stand ihm in nichts nach. Die beiden schlugen das Tempo schnell trabender Pferde an, das sie stundenlang durchhalten konnten. Zeitweise liefen sie voraus, um das Gelände zu durchspähen, durch das die Truppe reiten musste. Pitt und Roach waren mit diesen beiden Läufern und Kundschaftern durchaus zufrieden.
Die frische Morgenluft strich über die hügelige Landschaft.
Leutnant Roach genoss den Morgen in bester Laune. Er hoffte, bei Oberst Jackman, der mit dem Vater des Leutnants befreundet war, Erfolg zu haben. Überdies hatte er in Yankton Grüße an die Gattin seines unmittelbaren Vorgesetzten, Frau Jones, zu bestellen, und endlich wusste Anthony Roach, dass seine Verlobte, Cate Smith, die Tochter des Majors Smith, in Yankton eingetroffen war.
Yankton lag im südlichen Teil des Territoriums Dakota, nordöstlich des Missouri. Es war noch eine kleine Stadt und hatte erst mehr als ein Jahrzehnt später Aussicht, die Hauptstadt eines sich neu bildenden Staates zu werden. Die begüterten oder an politische und militärische Funktionen des Ehemanns und Vaters gebundenen Familien hatten sich in einem Viertel zusammen angesiedelt. In einem der Einfamilienhäuser dieses Viertels war man eben beim Abendessen. Die sinkende Sonne strahlte noch über den kleinen Garten, dessen Beete abgedeckt waren. Sie schien durch die blinkenden Fensterscheiben und ließ die Ausläufer ihrer Strahlen über das damastene Tischtuch, die Silberbestecke und das weißglänzende Porzellan auf dem Esstisch gleiten. Zwei ältere Damen und ein junges Mädchen saßen an dem runden Tisch.
»Wie sehr freue ich mich für dich, liebe Cate, dass du deinen Verlobten hier sehen wirst!« Die Gastgeberin, Frau Jones, war beleibt, appetitreich, menschenfreundlich gestimmt.
»Wie reizend von Ihnen, dass Sie mir ein Wiedersehen mit Anthony möglich machen wollen«, antwortete das junge Mädchen artig und vergaß nicht, der zweiten älteren, weniger menschenfreundlich wirkenden Dame das Salzfässchen zu reichen.
»Noch ist gar nichts gewiss!«, bemerkte diese zweite Dame, die ihr faltiges Gesicht stark gepudert hatte.
»Gewiss, Tante Betty«, antwortete das blasse junge Mädchen, »und ich werde standhaft sein, wenn ich die Enttäuschung erlebe, Anthony nicht wiederzusehen.«
»Standhaftigkeit ist mehr eine Sache für Männer, Cate«, tadelte die Tante. »Ich würde es nicht für unwürdig halten, wenn du als junges Mädchen auch einmal mit einer Träne ein Gefühl verraten würdest. Du wirkst oft zu kalt.«
»Gewiss, Tante Betty, ich werde hierüber nachdenken.«
»Cate, sei nicht so ernsthaft!«, rief die dicke Gastgeberin. »Wenn Herr Roach kommt, will er eine fröhliche Braut sehen! Und sei unbesorgt! Kann er nicht nach Yankton kommen, so lasse ich anspannen, und wir fahren nach Randall!«
»Um des Himmels willen!«, Tante Betty wurde rot vor Schreck. »Doch nicht etwa durch die Prärie?«
»Die Strecke ist vollkommen sicher, liebe Cousine, und die Fahrt eine wahre Pracht! Wir haben ein neues Viergespann; wir fahren wie im Fluge!«
»Aber das können wir nicht annehmen, liebe Cousine …«
»Aber liebste Betty, es wird mir selbst das größte Vergnügen sein, eine solche Fahrt mit dem neuen Gespann zu unternehmen und meinen Mann auf Fort Randall zu überraschen! Ja, tatsächlich, er liebt solche Überraschungen sehr!«
Die Damen gingen zum warmen Pudding über.
In der Gesprächspause, die dabei eintrat, horchten alle auf das Pferdegetrappel, das auf der staubigen Straße draußen zu hören war. Cate saß mit dem Gesicht zum Fenster und konnte auf die Straße schauen. Sie hatte diesen Platz eingenommen, weil hier die abendlichen Sonnenstrahlen die Augen besonders störten und der Platz daher von den beiden alten Damen gemieden war. Cate sah auf der Straße zunächst zwei Läufer vorübereilen, ehe die kleine Abteilung zu Pferd mit ihrem Leutnant erschien.
In den Augen des jungen Mädchens stand noch ein ausgesprochenes Entsetzen, als Leutnant Anthony Roach sich draußen auf dem Rappen etwas herabbeugte und durch das Fenster herein grüßte. Der Leutnant schien leicht verwirrt, da er nicht wissen konnte, ob das Entsetzen seiner Braut etwa durch sein Erscheinen hervorgerufen war. Die beiden alten Damen nickten, und sie grüßten noch, als die Dragoner und ihr Leutnant längst wieder verschwunden waren.
Cate hatte sich einigermaßen gefasst, als die Aufmerksamkeit am Tisch sich ihr von neuem zuwandte.
»Wie entzückend!«, rief Frau Jones. »Ich werde sofort veranlassen, dass Leutnant Roach Nachricht erhält und uns seine Aufwartung machen kann.« Sie klingelte und gab einer schwarzen Dienerin Bescheid.
»Cate«, fragte sie dann, »was hat dich denn erschreckt? Du bist auf einmal bleich!«
»Nichts …«
»Vertraue mir, Kind!«
»Bitte, entschuldigen Sie. Ich bin sehr töricht. Vor der Truppe mit Anthony kamen zwei Läufer vorbei. Der eine war ein Indianer.«
»So etwas sieht man hier am Missouri noch häufig.« Die Gastgeberin war leicht missgestimmt.
»Er hatte sich schaudererregend bemalt.«
»Muss man den Leuten abgewöhnen! Es ist heidnische Unkultur, natürlich. Sage deinem Verlobten, liebe Cate, dass er dem Mann befehlen soll, sich abzuschminken, und er wird es tun. Es gibt keine ›Maguas‹ mehr. Solche existieren nur noch in den Romanen des Herrn Cooper! Bist du nicht ganz glücklich, deinen Verlobten wiederzusehen, Cate?«
»Vollkommen.«
»Wann soll denn Hochzeit sein?«
Das junge Mädchen blickte zögernd auf Tante Betty.
»Nicht so bald, nicht so bald!«, betonte diese. »Cate und Anthony sind erst seit einem Jahr verlobt. Ich denke, eine Verlobungszeit von drei Jahren wird genau das Richtige sein.«
Das junge Mädchen unterdrückte einen Seufzer, und Frau Jones betrachtete Cate mitleidig. Das Mädchen war schon zwanzig Jahre alt. Es schien dringlich, sie unter die Haube zu bringen, aber Tante Betty fürchtete wohl, eine gehorsame unbezahlte Dienerin zu verlieren. Cate war arm, seitdem die großelterliche Farm mit Weizenfeldern und Gebäuden während des Aufstandes der Ostdakota 1862 niedergebrannt worden war. Cates Vater, Major Smith, machte keine Karriere, und die vermögende Mühlenbesitzerin und Witwe, Tante Betty, verlangte von ihrer künftigen Erbin Bedienung von früh bis spät. Das alles bedachte die Gastgeberin, aber sie ließ kein Wort in dieser Richtung verlauten.
Eine Stunde nach den Abendessengesprächen der Damen eilte Leutnant Anthony Roach beflügelten Schrittes zu dem kleinen Haus. Er entschuldigte sich lebhaft wegen der ungewöhnlichen Stunde seines Besuchs, spielte den Glücklichen, von Wiedersehensfreude Belebten, sagte den beiden alten Damen, besonders der Erbtante Betty, einige in die Situation passende Schmeicheleien und begrüßte seine Braut. Dabei spürte er, wie kalt Cates Hand war. Es fiel ihm auf, dass das Mädchen blass aussah und dass sich die ersten feinen Falten der Müdigkeit und Enttäuschung um ihren Mund legten. Das missfiel ihm, denn er wollte neben der reichen Erbschaft auch eine hübsche und lebenslustige Frau gewinnen, die ihn nicht mit Grillen störte. Er beschloss, den Grund für Cates Blässe und Kälte zu erforschen, und verbündete sich zu diesem Zweck mit Frau Jones. Es gelang der Gastgeberin, Tante Betty für ein paar Minuten in einen anderen Raum zu lotsen, und die Verlobten blieben so lange allein.
»Wann heiraten wir?«, fragte Roach seine Braut sofort. »Hast du mit Tante Betty gesprochen?«
»Ja, das habe ich«, antwortete Cate langsam, mit einer ganz anderen, etwas tieferen Stimme, als sie mit ihrer Tante zu sprechen pflegte. »Frühestens in zwei Jahren will Tante Betty einwilligen.«
»Das ist Unsinn! Humbug ist das. Deshalb bist du so blass, ich verstehe! Was können wir beide tun?«
»Willst du nicht selbst mit Tante Betty sprechen, Anthony? Du bist gewandter als ich. Vater wäre einverstanden, wenn wir sofort Hochzeit machten.«
»Hm – ja – ich sehe schon, ich muss das selbst in die Hand nehmen! Dein Vater ist einverstanden? Ausgezeichnet. Dann – hm … Ihr kommt alle drei zu Besuch nach Fort Randall?«
»Frau Jones ist sehr dafür. Sie will das neue Gespann ausprobieren und ihren Mann auf dem Fort überraschen.«
»Ich werde dafür sorgen, dass dieser Besuch stattfindet. Ich begleite eure Kutsche mit meinen Dragonern bis Randall. Von Fort Randall aus breche ich ein paar Tage später mit einer Munitionskolonne zu deinem Vater an den Niobrara auf. Cate – kommst du dorthin mit? Wir holen uns den Segen deines Vaters! Dann kann Tante Betty keine Schwierigkeiten mehr machen! Enterben wird sie dich wegen eines solchen Schrittes nicht.«
»Anthony! Anthony!« Das Blut stieg dem jungen Mädchen bis in die Schläfen; ihre Gestalt straffte sich. Nichts ersehnte sie mehr als das Ende ihres freudlosen Daseins bei der Erbtante.
»Cate, so gefällst du mir! Also abgemacht! Tante Betty darf natürlich nichts ahnen. Du nimmst dir kein Reitkleid nach Randall mit; du fährst als gehorsame Nichte in der Kutsche mit den beiden alten Damen – für alles weitere sorge ich.«
Roach trat einen Schritt zurück, denn die Tür des Nebenzimmers öffnete sich. Frau Jones und Tante Betty kamen wieder herein.
»Herr Roach!«, sagte die Gastgeberin in ihrer lebhaften Sprechweise. »Ich hoffe, Sie haben mit Ihrer Verlobten ausgemacht, dass sie meine Einladung annimmt und mit uns nach Randall fahren wird?«
»Nicht nur das, Frau Jones, ich werde Ihr Viergespann mit meinen Dragonern nach Fort Randall begleiten!«
»Wie artig und wie großartig! Was für eine Idee! Nicht wahr, Betty?«
»Nicht schlecht«, meinte diese, bedeutend zurückhaltender, aber doch sichtlich beruhigt.
»Allerdings«, auch Frau Jones lächelte, »werden Sie, Herr Roach, Ihrem indianischen Läufer befehlen müssen, sich abzuschminken. Seine verschmierte Fratze hat Ihre liebe Braut allzu sehr erschreckt.« Roach lächelte höflich, etwas gezwungen. »Cate ist von Natur mutig. Ich zweifle nicht, dass sie sich rasch an die Atmosphäre des Wilden Westens gewöhnen wird!«
Am Morgen nach diesem Zusammentreffen begab sich Leutnant Roach zur befohlenen Stunde zu Oberst Jackman. Er verstand es, eine korrekte, achtungsvolle, nicht unterwürfige Haltung einzunehmen, und der verkniffene Gesichtsausdruck des Obersten wurde beim Anblick dieses Leutnants etwas lockerer. Roach legte das versiegelte Handschreiben des Majors Smith vor.
Das Dienstzimmer des Obersten war sehr hell, die immer noch winterliche Atmosphäre draußen ganz rein, und Oberst Jackman bedurfte keines Augenglases, um die große deutliche, wie gestochene Handschrift des Majors Smith zu lesen. So sehr ihn aber das Schriftbild befriedigte, so wenig tat es der Inhalt des Schreibens.
»Immer und ewig dieselben Klagen und Bitten! Ich bin weder blind noch taub. Auch Major Smith sollte allmählich einsehen, dass durch die unaufhörliche Wiederholung derselben Litanei diese weder neuer noch wirkungsvoller wird. Was machen wir denn nun, Leutnant Roach? Ich habe Befehl: Die Dakota sind in ihre Reservationen zu treiben! Also werden wir sie hineintreiben! Auch diese kleinen Banden, mit denen Smith unbegreiflicherweise nicht fertig wird.«
»Sehr wohl. Gestatten einen Vorschlag?«
»Bitte. Auf Fort Randall wird man sich auch schon seine Gedanken gemacht haben.«
»Sehr wohl. Wir können jetzt auf Randall einige Mannschaften entbehren und diese am Niobrara einsetzen. Entsprechende Munition und Verpflegung hat mitzugehen. Ich wäre bereit, einen solchen Transport zu übernehmen und am Niobrara zu bleiben, bis auch in dieser windigen Ecke endlich Ordnung geschaffen ist.«
»Bravo, Roach! So wünsche ich mir unsere jungen Offiziere! Sie gleichen ganz Ihrem von mir hoch geschätzten Vater. Werde dementsprechend an den Kommandanten von Randall schreiben. Noch etwas: Wie beurteilen Sie die Ursache unserer unaufhörlichen Misserfolge am Niobrara? Zu wenig Leute oder – hm – ich meine – auch zu wenig Umsicht und Energie des Kommandanten?«
»Ich möchte mir darüber kein Urteil erlauben!« Roach schaute auf seine Stiefelspitzen. »Nur, gewissermaßen, wenn ich mir die Meinung der einfachen Mannschaften, auch der Miliz, anhöre – die Leute möchten besser geführt sein. Es ist doch wie im Tollhaus, wenn ein kleiner Kriegshäuptling, ein indianischer Bandenführer, der sicherlich nicht mehr Männer zur Verfügung hat als Major Smith – wenn ein solcher roter Halunke von sich reden macht durch die Streiche, die er uns fortwährend spielt, während wir von unserer Seite – nun, bestenfalls Bettelbriefe durch die Prärie durchschmuggeln.«
»Ganz meine Meinung, Roach, ganz meine Meinung! Ich habe übrigens einen guten, westerfahrenen Berater gewonnen. Fred Clarke ist sein Name. Ein wahrer schlauer Fuchs ist das! Brauchbar. Er macht den Vorschlag, dass wir das Fort verstärken, eine junge energische Kraft hinschicken und dann, wenn wir den Dakota imponiert haben, diesen roten Halunken, diesen – Harry, ja, Harry, wegfangen. Er war früher Kundschafter bei uns. Wir können ihn wegen Verrats hängen, wenn es uns passt.«
»Ausgezeichnet! Ich werde alle Chancen in dieser Richtung erwägen.«
»Gut. Ich diktiere die Briefe. In einer Stunde wieder, bitte!«
Roach zog sich zurück. Sobald der Oberst ihn nicht mehr hören konnte, pfiff der Leutnant vor Vergnügen. Die Straße seiner Karriere lag geglättet vor ihm.
»In einer Stunde«, sagte er zu Pitt, der auf ihn gewartet hatte. »Wir bekommen alles, was wir uns nur wünschen! In einer Stunde machst du dich mit den Briefen von Oberst Jackman auf den Weg nach dem Fort. Ich selbst komme in ein paar Tagen mit unseren Dragonern nach. Ich muss die Gattin von Major Jones nach Randall geleiten!«
»Und wer geleitet mich und die Briefe in meiner elenledernen Brusttasche?«
Roach überhörte in diesem Fall den allzu vertraulichen Ton, denn er hatte selbst kein reines Gewissen.
»Du kannst die beiden Läufer mitnehmen, Jack und Bobby. Die Damen haben sich sowieso vor Jacks Bemalung erschreckt. Sie erwarten, dass der Indsman sich abschminkt!« Roach hüstelte, um nicht ungeziemend zu lachen.
Pitt grunzte vor Vergnügen. »Aber nicht doch«, meinte er dann. »Ein Schwein muss seinen Dreck und ein Indianer muss seine Farben haben. Sonst werden sie beide unverträglich. Ich nehm also den Jack und den Bobby mit mir!«
Die Abrede wurde eine Stunde später ausgeführt. Pitt erhielt zwei von einem Schönschreiber geschriebene, von Oberst Jackman unterzeichnete und mit vielen Siegeln versehene Briefe, die er als zuverlässiger Eilbote nach Fort Randall bringen sollte.
Der Kurznasige holte sich sein Pferd. Die beiden Läufer hatten im Stall übernachtet und hielten sich bereit, wieder mitzukommen. Pitt erklärte ihnen wortreich, was für Erfolge Leutnant Roach bei Oberst Jackman erzielt hatte und dass große Verstärkungen an den Niobrara gehen sollten. Bobby bewunderte das Erreichte gebührend. Jack der Ponka mochte von dem Bericht Pitts nur wenig verstanden haben oder sich nicht dafür interessieren, und es berührte ihn scheinbar gar nicht, wenn der Rauhreiter ihn darum für dumm und hochnäsig hielt.
Auf dem Herweg von Randall nach Yankton hatten die Kuriere den Missouri bei Randall überquert und die Biegung des Stromes abgeschnitten. Jetzt erklärte Pitt, er wollte gleich bei Yankton über den Strom und das Missouri-Knie umreiten. Da dies durchaus unzweckmäßig und als eine Zeitvergeudung erschien, gab er Bob gegenüber schließlich zu, er habe noch einige Privataufträge für das Städtchen Niobrara zu erledigen und wolle daher die umständliche Route wählen. Die Läufer hatten dazu nichts zu sagen. Ob sie sich gern oder ungern fügten, blieb offen; Pitt kümmerte das nicht. Wenn Leutnant Roach seine Privatinteressen mit dem Dienst zu verbinden wusste, warum nicht auch der kleine Mann Pitt mit der Stummelnase, der für kurze Zeit einmal sein eigener Herr war?
Der Kurier begab sich mit seinen beiden Läufern an das Ufer des Missouri, um mit einer Fähre überzusetzen.
Während des Aufenthalts der Kuriergruppe in Yankton hatte sich das Bild des Stromes wesentlich geändert, Hochwasser war im Kommen. Die lehmgelben Wasser leckten an den Ufern hinauf. Der Eisgang war bedrohlich. Auch auf der Oberfläche des Stromes ließen sich Wirbel erkennen, die der Schifffahrt auf dem Missouri gefährlich waren. Die Dampffähre hatte am Ostufer angelegt. Der Fährmann rauchte. Seine beiden Hilfskräfte, hochaufgeschossene, sehr junge Burschen in blauen Hosen und gestreiften Sweatern, räkelten sich. Niemand schien Anstalten für eine Überfahrt zu treffen.
Als Pitt mit Bob und Jack an das Ufer kam, warteten schon zwei Fahrgäste. Die beiden Gruppen standen zunächst still auf der Landebrücke und warteten nun gemeinsam. Die beiden Fahrgäste, die sich zuerst eingefunden hatten, zogen durch ihre Erscheinung die Aufmerksamkeit auf sich. Der eine der beiden war ein Weißer, der andere ein Indianer. Beide waren äußerst sorgfältig und sauber gekleidet, der Weiße nach Cowboyart, aber in teures weiches Leder, der Indianer nach indianischer Sitte; er trug lederne Gamaschenhosen mit Fransen an den Nähten, einen überhängenden ledernen, schön gestickten Rock und eine Kette aus Gold und Edelsteinen. Beide hatten edle Pferde bei sich. Der Indianer führte ein Maultier mit Gepäck.
»Tja«, sagte der Fährmann endlich, betrachtete die fünf Anwärter auf die Überfahrt und schob seine Pfeife in den Mundwinkel. »Wer von euch will denn nun unbedingt ersaufen? Ich nicht.«
»Wir müssen hinüber!«, schritt Pitt daraufhin ein. »Militärischer Auftrag!«
»Den Befehl gebt mal an den Missouri weiter!«, antwortete der Fährmann ungerührt. »Vielleicht gehorcht der Eisgang!« Er wies mit dem Daumen über die Schulter auf die treibenden Eisblöcke und die Stauungen. »Zahlt euer militärischer Auftraggeber eine neue Dampffähre und die Rente für meine Witwe?«
»Spar dir doch die dummen Redensarten! Wir müssen sofort hinüber!« Pitt dachte an seine kleinen Privatgeschäfte; er wollte sie sich nur ungern entgehen lassen.
Der gutgekleidete Herr zog seine Brieftasche. »Was verlangt Ihr für die Überfahrt?«
»Hm, na ja.« Der Fährmann nannte den zehnfachen Preis. »Aber für einen jeden!«, fügte er hinzu und blickte rundum. Unwillkürlich folgten alle Blicke den seinen, um die Meinung aller Fahrgäste zu erkunden. Jeder der Wartenden sah die anderen der Reihe nach prüfend an. Dabei schien der schön gekleidete Indianer, dessen Gesicht nicht bemalt war, plötzlich zu erschrecken. Er sagte aber kein Wort, sondern wandte sich nur ab und blickte über den Strom.
»Also los!«, drängte Pitt. »Bobby! Du hast Wettgewinn gemacht und noch einen Teil des Siegerpreises dazu bekommen! Du zahlst für uns drei!«
»Nein, nein, nein! Nix zahlen! Ich alles versoffen.«
»Was, alles versoffen? Bist du noch bei Sinnen?«
»Ganz bei Sinnen!«
»Wird das mit dem Strom hier in den kommenden Tagen besser oder schlechter?«, fragte der fremde Herr den Fährmann.
»Schlechter. Die nächsten zwölf bis vierzehn Tage ist’s bestimmt nichts mehr mit dem Überfahren. Kein Schiffer und kein Steuermann, der organisiert ist, übernimmt das Risiko.«
»Du bist nicht organisiert? So mache dein Schiff klar! Ich zahle für uns alle den geforderten Preis.«
»Und für die Pferde? Und für das Maultier?«
»Wie willst du sie rechnen?«
»Jedes Tier gleich vier Männern. Ärger machen die uns noch viel mehr!«
Der Herr mit der Brieftasche ließ sich nicht abschrecken. Das schien allen verwunderlich, denn er hatte zarte Hände, kränkliche Züge und graues, weiches, gepflegtes Haar. Er wirkte nicht wie ein Mann des großen Risikos. Irgendein Wunsch oder irgendeine Idee musste ihn so stark beseelen, dass er bereit war, eine Gefahr auf sich zu nehmen, der er nicht gewachsen schien.
Während er zahlte, führte Pitt seinen Braunen schon auf die Fähre, sehr befriedigt von diesem Fortgang der Angelegenheit. Es war nicht leicht, die Tiere auf das Schiff zu bringen, denn sie witterten die Gefahr. Der Indianer mit der kostbaren Halskette hatte seinen eigenen Schecken und den Apfelschimmel des Weißen am Zügel. Bob sprang ihm bei und übernahm das Maultier mit dem Gepäck. Mit Mühe wurden auch diese Tiere auf die schaukelnde Fähre gebracht.
Inzwischen hatte der Herr in der Cowboykleidung gezahlt. Bob half ihm auf die Fähre. Der Fährmann selbst und einer der Jungen kamen auf das Schiff; der Kessel wurde angeheizt, die Schaufelräder begannen zu arbeiten. Der zweite Junge löste die Taue und sprang gleichzeitig mit dem Ponka auf das Fährschiff, das flott wurde.
Das Schiff hatte sofort starke Abdrift. Niemand spürte Neigung, viel Worte zu machen. Alle beobachteten den Strom und den Fährmann am Steuer. Am Ufer sammelten sich etliche Leute, um die Überfahrt zu beobachten. Die Bewohner des Stromufers waren gespannt, wie sich das Fährschiff unter den schwierigen Verhältnissen von Hochwasser und Eisgang bewähren würde.
Als die Pferde und das Maultier sich beruhigt hatten und die Fahrt gut vonstatten zu gehen schien, fragte der Herr mit dem grauen Haar Bobby freundlich: »Wo soll’s hingehen?«
»Nach Fort Randall!«
»Aha.« Der Herr wechselte mit seinem indianischen Begleiter einen Blick. »Auf einem kleinen Umweg.«
Das Fährschiff begann sich zu drehen. Der Strom spielte damit. Das Gesicht des Steuermanns wurde finster.
Die Maschine kämpfte das Schiff aus dem Wirbel hinaus. Die Strommitte wurde gewonnen und durchquert. Das Schiff steuerte schon auf das Westufer zu, als es unter Wasser einen heftigen Stoß erhielt. Alles Weitere spielte sich mit einer erschreckenden Schnelligkeit ab.
Das Steuer funktionierte nicht mehr. Während das Schiff steuerlos abwärtstrieb, bekam es Schlagseite. Plötzlich saß es fest und neigte sich. Eisschollen stauten sich sofort, und es bildeten sich neue Wirbel. Der Strom wandte seine unheimliche Gewalt an, um das Hindernis in seinem Lauf zu beseitigen.
Die beiden jungen Burschen verließen den Kessel und die Maschine, die nicht mehr arbeitete. Keuchend und spuckend kamen sie auf Deck. Der Fährmann krampfte die Hände noch um das untaugliche Steuer. Endlich kam es aus ihm heraus: »Rette sich, wer kann!«
Boote waren nicht vorhanden.
Der grauhaarige Fahrgast riss die Jacke herunter, um besser schwimmen zu können. Eine Woge brach gestautes Eis auseinander, schwemmte über Deck, schreckte mit ihrer Kälte und nahm die Lederjacke mit sich fort.
Bob hängte den einzigen Rettungsring, den das Fährschiff mitführte, ab und reichte ihn stillschweigend dem Fremden. Dieser wurde verlegen, nahm aber den sichernden Ring.
Pitt hatte sich nach niemandem mehr umgesehen. Er war schon im Wasser und begann zu schwimmen. Das Maultier, das ungenügend festgemacht war, folgte dem Beispiel, begab sich samt Gepäck ins Wasser und schwamm stromabwärts davon. Bob und der Indianer mit der kostbaren Halskette machten die Pferde frei. Sie wollten sie vom Schiff ins Wasser drängen, aber die Tiere rutschten, brachen ein, bäumten sich und schlugen aus vor Angst. Der Ponka, der abseits gestanden hatte, kam mit einem Sprung herbei. Er wies den gutgekleideten Indianer durch eine Handbewegung an, sich um den grauhaarigen Herrn zu kümmern, und übernahm selbst mit Bob zusammen die Pferde. Der Grauhaarige sprang gleichzeitig mit seinem indianischen Begleiter in den Strom. Der Ponka, der mit Bob zusammen noch zurückgeblieben war, ließ jetzt seine Kräfte spielen und zeigte, was er von Pferden verstand. Es dauerte keine halbe Minute mehr, und schon waren die Tiere alle drei im Wasser. Jack selbst glitt in die schlammgelben Wogen und hielt sich schwimmend in der Nähe der Tiere. Er hatte es nicht für notwendig befunden, etwas von seinen Kleidungsstücken abzulegen; sogar den hinderlichen Poncho hatte er noch um.
Mit Bob zusammen verließen die beiden Jungen, die als Maschinist und Heizer gearbeitet hatten, das Schiff.
Der Fährmann selbst stand noch immer am unbrauchbaren Steuer; das strömende Wasser reichte ihm schon bis über die Hüften. Er ließ das Steuerrad nicht los. Am Ostufer, von dem das Schiff abgefahren war, sammelten sich immer mehr Menschen und gestikulierten. Wahrscheinlich schrien sie auch, aber über den breiten Strom waren ihre Stimmen kaum zu hören. Die Wirbel verstärkten sich und verschlangen Schiff und Steuermann. Die Schwimmer im Strom konnten nicht darauf achten; sie hatten genug mit sich selbst zu tun.
Pitt gelangte als erster an das Westufer. Triefend stieg er heraus und schaute sich nach den Übrigen um. Sie schwammen zerstreut im Wasser. Jack hielt sich bei den Pferden. Die beiden Fremden schwammen nebeneinander. Es schien, dass der Indianer mit der kostbaren Halskette und Bob den grauhaarigen Herrn im Rettungsring noch mit allen Kräften unterstützten, damit er nicht vom Strom einfach mitgenommen wurde. Die Jungen holten diese letzte Gruppe rasch ein.
Pitt rannte zu der Stelle hin, an der die Pferde an Land kommen mussten. Er wartete nur kurze Zeit, da kletterten die angsterfüllten Tiere schon ans Ufer und hangaufwärts. Es gelang Pitt sofort, die Zügel seines Braunen zu fassen. Der Ponka war schon im Wasser auf den Schecken des fremden Indianers hinaufgeglitten. Den Apfelschimmel griff er jetzt am Zügel. Pitt und Jack erkannten stromabwärts das Maultier, das samt Gepäck ans Ufer stieg und südwärts davongaloppierte. Pitt begann, Jagd nach dem Tier zu machen.
Auch der grauhaarige Herr, der ihn begleitende Indianer und Bob konnten sich retten. Mit den beiden Jungen zusammen kamen sie an das Ufer. Durchnässt, vor Kälte schlotternd, stolperten sie den Hang hinauf. Die Jungen liefen zu einer Rindenhütte am Hochufer. Diese Behausung, die wahrscheinlich dem Fährmann als Notunterkunft zu dienen pflegte, suchten auch die beiden Fremden auf.
Der Ponka und Bob blieben für sich allein im Freien. Sie sammelten sich Holz, machten ein Feuer und zogen sich aus, um sich selbst, die Waffen und die Kleider im Winde und am Feuer zu trocknen. Doch legte der Ponka das Baumwollhemd auch jetzt nicht ab; er wollte es am Körper trocknen lassen.
Bobby schaute sich nach der Rindenhütte und nach den Pferden um. Der fremde Indianer war wieder herausgekommen und begann, den Schecken und den Apfelschimmel, die ebenso erbärmlich froren wie die Menschen, trockenzureiben. Pitt kehrte von seiner Jagd auf das Packtier ohne Erfolg zurück. Das schlaue Maultier war in dem Augenblick, in dem es eingefangen werden sollte, wieder ins Wasser gegangen. Der Kurznasige pflockte seinen Braunen an und verschwand, durchnässt, wie er war, in der Rindenhütte. Bald kam er in trockenen Kleidern wieder heraus. Er hatte sich offenbar einen Arbeitsanzug des ertrunkenen Fährmanns angeeignet, schlenderte herbei und blieb bei Bob stehen.
»Schöne Schweinerei!« Pitt pflanzte sich breitbeinig auf. »Alles nass! Nicht einen einzigen Schuss könnte man jetzt abgeben! Aber die Briefe hab ich gerettet. Wasserdichter Überzug! Bobby, hör mal, hast du wirklich alles versoffen, oder kannst du für den Anzug, den ich angezogen habe, den beiden Jungen was zahlen? ’s war ihr Vater, der ertrunken ist. Der Herr mit der Brieftasche ist pleite. Er hatte sein Geld noch im Rock stecken, der jetzt den Missouri hinabschwimmt. Gepäck und Waffen sind samt dem Maultier beim Teufel! Erst in Niobrara oder auf Fort Randall wird dieser Herr Morris wieder Bankverbindung haben! Dorthin ist’s für uns jetzt näher als zurück nach Yankton – über den dreimal verdammten Strom!«
»Zahl doch du selbst, was du den Waisen weggenommen hast!«, gab Bob zur Antwort.
»Ich hab doch nichts mehr. Ich hab nie was! Darüber hat sich schon mein Alter erbost, und darum bin ich in den Wilden Westen ausgerückt. Willst du mich jetzt noch ans Sparen bringen? Das nützt einem kleinen Mann doch nichts.«
»Ein Schweinekerl bist du!«
»Kann ich die Jungen zu dir schicken, Bob, oder nicht?«
»Mal sehen. Sie sollen herkommen!«
»Gut, das ist ein Wort.«
Pitt entfernte sich, um den beiden Bescheid zu sagen.
Die Jungen kamen. Hochaufgeschossen waren sie, mager, muskulös. Das Wetterbraun ihrer Haut konnte nicht verbergen, dass sie blass waren.
»Euer Vater ist nun tot«, sagte Bob. »Er hat’s nicht anders gewollt.
Wo ist eure Mutter?«
»Drüben in Yankton.«
»Habt ihr noch ein Schiff?«
Kopfschütteln antwortete.
»Hat die Mutter Arbeit?«
»Sie wäscht bei den Leuten.«
»Wie alt seid ihr?«
»Ich bin dreizehn, mein Bruder zwölf.«
»Was wollt ihr jetzt machen?«
»In der Hütte leben, bis der Strom sinkt.«
»Habt ihr bis dahin zu essen?«
Kopfschütteln antwortete.
Bob wandte sich an den Ponka. »Was machen wir mit den beiden Kröten? Was sollen sie essen, bis sie zur Mutter hinüberkommen?«
Jack gab keine Antwort. Er schien anzunehmen, dass eine solche Frage für zwölf- und dreizehnjährige Jungen keine Frage mehr sein könne. Aber Bobby blieb besorgt. »Hallo!«, rief er den beiden Jungen zu. »Wie weit ist es von hier bis zum nächsten Dorf?«
»Zu Pferd eine Stunde.«
»Die Strecke könnt ihr laufen. Ich kauf euch eures Vaters Anzug ab, den der Pitt jetzt trägt, und geb euch noch was dazu. Ihr kauft euch zu essen und arbeitet im Dorf. Was ihr dann an Geld übrig habt, gebt ihr der Mutter. Verstanden?«
Dem Jüngeren sickerten ein paar Tränen über die Backen.
Bob öffnete seine Gürteltasche. Es zeigte sich, dass er keinen Penny versoffen hatte. Den Jungen gab er einen Dollar. Sie staunten, als ob ein Wunder geschehen sei. Von diesem Geld konnten sie einen halben Monat leben, und wenn sie sehr sparten und etwas dazu verdienten sogar noch länger. Es schien ihnen unfasslich, dass der Nigger ohne Jacke so reich und dass er so freigebig war.
»Du kannst auch in der Hütte sitzen!«, lud der Ältere ein.
»Im Freien ist es mir aber gemütlicher. Haben wir nicht ein schönes Feuer? Setzt euch zu uns her!«
Die Jungen folgten.
Aus der Rindenhütte kam ein merkwürdiger Ton. Es war, als ob jemand schluchzte.
»Das ist der reiche Mann, der jetzt kein Geld mehr hat«, sagte Bob.
»Er weiß, dass das Schiff nicht gesunken und der Schiffer nicht ertrunken wäre – ohne dieses Geld«, antwortete der Ponka, der sonst kaum je etwas sprach.
»Ja, so ist’s. Wer will ihm die Schuld abnehmen? Mit seinem Geld hat er den Kindern den Vater genommen.« Bob war traurig und kümmerte sich um das Feuer, um etwas zu tun.
»Auf dem Grunde des Missouri liegen schon viele hundert Schiffe«, sagte der jüngere der beiden Burschen leise.
Bob nickte. »’s ist ein böser Strom, ein wilder Strom.« Er wandte sich an Jack. Bis dahin hatte er mit dem Ponka stets Englisch gesprochen, jetzt aber sagte er in einer Indianersprache, die die Jungen nicht kannten und nicht verstanden: »Hast du die beiden Fremden auch erkannt? Das ist Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab, der Bilder malen kann, und sein roter Bruder Langspeer, der Cheyenne, den er aus einer Reservation freigekauft hat.«
Der Ponka nickte.
»Langspeer hat dich erkannt – fürchte ich«, fügte Bob in der Dakotasprache sehr leise hinzu.
»Er kennt meine Narben am Kopf, die ich als Kind im Kampf mit einem Adler davontrug«, antwortete Jack. »Aber er wird schweigen.«
Sie brachen ihr Gespräch ab, denn Pitt kam wieder aus der Hütte heraus und zu Bob und Jack herbei. »Was ist? Brechen wir auf? Mein Pferd muss Bewegung haben, sonst wird’s mir noch krank nach dem Bad.«
Bob und Jack erhoben sich stillschweigend.
»Der Maler da drin heult, weil das Schiff untergegangen ist«, sagte Pitt. »Das Beste wäre doch, er ritte mit uns zusammen nach Randall!«
»Gib ihm den trockenen Anzug«, riet Bob, »dann kommt er mit!«
»Und ich?«
»Du verträgst die nasse Hose. Auf Randall wird der Mann wieder reich sein und dich belohnen!«
»’ne Idee! Gut!«
So kam es, dass alle Geretteten bald aufbrachen. Die Jungen liefen südwärts zum nächsten Dorf. Pitt bestieg seinen Braunen, der Cheyenne Langspeer seinen Schecken. Bob hielt den Grauschimmel für den Maler bereit, der als letzter aus der Rindenhütte herauskam.
Die Pferde begannen zu galoppieren, die beiden Läufer liefen im Dauerlauf in weit ausgreifenden Sätzen mit. Ihnen war nicht mehr kalt.
Als Pitt, Bob und Jack mit den beiden Fremden zusammen bei Fort Randall anlangten, waren sie selbst, ihre Kleider, ihre Pferde und ihre Waffen längst wieder getrocknet. Nur der ärmliche Schifferanzug des Malers deutete noch für jedermann darauf hin, dass etwas Unerwartetes geschehen war.
Die Gruppe kam zum Tor. Der Posten hatte Bedenken, den Maler und seinen indianischen Begleiter einzulassen, und fragte nach deren Namen.
»Dan Morris und Langspeer, der Cheyenne.«
Ein Rauhreiter lief auf Bitte des Kuriers Pitt zum Kommandanten und kam eiligen Schrittes mit dem Bescheid zurück, dass Morris mit seinem Begleiter willkommen sei und sofort empfangen werden sollte. So ritten diese beiden mit Pitt in das Fort ein.
»Kommt auch herein!«, forderte Pitt die beiden Läufer Bob und Jack gönnerhaft auf. »Ihr habt Dienst bei uns getan, also könnt ihr auch im Stall bei uns schlafen.«
Der kraushaarige Bob sah fragend auf Jack den Ponka. Als dieser einverstanden schien, nahmen beide das Angebot an. Die Gruppen trennten sich. Pitt brachte Morris zum Kommandanten. Langspeer führte die Pferde und das Packtier mit Hilfe der beiden Läufer zum Stall. Die beiden Indianer und der Neger sprachen kein Wort miteinander. Als die Tiere untergebracht waren, entfernte sich Langspeer. Bob und Jack suchten sich sauberes Stroh und warfen sich in eine Stallecke. Sie waren müde.
Es war noch früh am Morgen. Als es Mittag wurde, zeigte sich der Cheyenne Langspeer wieder im Stall, sah nach den Pferden und kam auf Jack und Bob zu.
»Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab möchte Jack den Ponka malen.«
»Papier und Farben werden von einem Maultier am Ufer des Missouris umhergeschleppt«, antwortete Jack. »Soll ich zurückreiten und das Maultier für den Maler Morris Gelbbart wieder einfangen?«
Langspeer senkte die Augen. »Willst du kommen?«, fragte er nur noch.
Der Ponka überlegte nicht lange. »Ich komme.« Er rollte sich vom Boden ab auf die Füße und folgte dem Cheyenne.
Langspeer führte den Ponka über den Hof zu einem Turmbau und im Innern des hölzernen Turmes eine Treppe hinauf. Als er eine Tür öffnete, tat sich der Blick in eine helle Stube auf, die als Wachstube dienen konnte, jetzt aber dem Maler zur Verfügung gestellt worden war. Morris saß am Tisch. Er hatte eine fremde, ihm schlecht sitzende, aber aus bestem Stoff gefertigte Kleidung an. Vor ihm lagen Papiere, in denen er gelesen hatte.
Er erhob sich, um den Ponka förmlich als seinen Gast zu begrüßen, bot ihm Platz an, und als der Indianer sich setzte, ließen sich auch Morris und Langspeer nieder. Morris bot Tabak an. Der Ponka und der Cheyenne stopften ihre Pfeifen. Auch als sie die ersten Züge taten und der Maler eine gute Zigarre – sicher ein Geschenk des Kommandanten – zum Brennen gebracht hatte, wurde nicht gleich gesprochen. Aus dem Fenster der Stube hatte man einen Blick über das ganze Gelände des Forts und darüber hinaus auf die hügelige Landschaft. Alle drei schauten hinaus und sahen einander dann zurückhaltend, mit halbem Blick, an.
Der Maler griff nach einem kleinen Zettel, schrieb etwas darauf und schob es dem Ponka hin.
Dieser las: Harry Tokei-ihto. Er knüllte das Papier, rieb mit seinem Feuerzeug Funken und verbrannte den Zettel.
»Was willst du von mir?«, fragte er den Maler.
»Wir schweigen.«
»Ich weiß es. Sonst würdet ihr noch im Missouri schwimmen.«
»Ich habe dich gebeten zu kommen.« Der Maler suchte offensichtlich nach den rechten Worten gegenüber dem Gast, dessen bemalte Züge er nicht entziffern konnte. »Wir haben uns vor dreizehn Sommern zum ersten Mal gesehen. Damals warst du ein Knabe im Zelt deines Vaters Mattotaupa, den ich bei euch Dakota als einen prachtvollen Mann kennenlernte. Wir haben uns zum zweiten und zum dritten Mal gesehen. Dein Vater war verbannt worden; die weißen Männer ruinierten ihn mit ihrem Brandy, und du warst unser Kundschafter – neunzehn Jahre alt. Jetzt bist du vierundzwanzig und Häuptling bei deinem Stamm. Was ist aus deinem Vater geworden?«
»Der weiße Mann mit Namen Jim, dieser Fuchs, der sich auch Fred Clarke nennt, hat meinen Vater ermordet und skalpiert. Der Tote wurde den Fischen zum Fraße gegeben.«
Der Maler fuhr zusammen. »Das war also das Ende.«
Es trat wieder Schweigen ein.
Der Maler schob eines der Blätter, die er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, hin und her. Er schien es noch einmal zu lesen.
»Vielleicht abwegig«, sagte er endlich, noch immer zögernd, »aber doch solltest du es lesen. Weißt du etwas von dem Stamme der Shäheptin?«
»Ein kleiner Stamm im Nordwesten.« Der Indianer brachte seine Pfeife, die ihm ausgegangen war, wieder zum Brennen.
»Ein tapferer kleiner Stamm. Die Shäheptin wollten über die Grenze nach Kanada auswandern, um nicht in eine Reservation bei uns in den Staaten ziehen zu müssen. Mitten im Winter machten sie sich auf, in Eis und Schnee wanderten sie mit Frauen und Kindern durch die Berge. Als sie die Grenze fast erreicht hatten, waren ihrer so viele erfroren und verirrt, dass sich die Häuptlinge mit dem Rest des Wanderzugs ergaben. Ich habe hier den Bericht über die Rede des Häuptlings, mit der er kapitulierte.« Der Maler schob dem Indianer das Blatt hin.
Dieser las, langsam, mehrmals, als ob er die Worte dieser Rede auswendig lernen wolle. Als er das Blatt zurückgab, sagte er: »Der Große Vater in Washington und die vielen kleinen Väter, die ihm herrschen helfen, sind merkwürdige Menschen. Sie sind wie Reiter, die die Pferde am Zügel zurückreißen und dabei auf sie einschlagen. Sie halten die roten Männer mit viel Anstrengung fest und quälen sie in den Reservationen.«
»Du weißt, dass die Dakota schon vor einem Monat die neuen Reservationen bezogen haben sollten?«
»Hau. Mitten im Winter.«
Morris schien zu überlegen, ob er die weitere Frage, die ihn bewegte, aussprechen dürfe. Er entschloss sich dazu, sie zu stellen: »Was werden die Dakota tun?«
»Das musst du die Oberhäuptlinge und die oberste Ratsversammlung dieses Stammes fragen.«
»Hast du selbst vielleicht eine Frage an uns – Jack?«
»Nein. Oder wollt ihr mir sagen, mit welchem Recht die weißen Männer alle heilig beschworenen Verträge brechen?«
Der Maler senkte den Blick. »Du weißt«, brachte er stockend hervor, »dass ich das Totem Tashunka-witkos, eures Oberhäuptlings, besitze und dass ich keinen Dakota töte oder verrate. Ich weiß nicht, ob ihr gegen unsere Armeen kämpfen wollt. Wenn ihr kämpft, so werdet ihr diesen Kampf verlieren. Ich weiß nicht …«
»Aber vielleicht«, sagte Jack der Ponka, der in Wahrheit Harry Tokei-ihto hieß und ein Dakota war, »vielleicht weißt du, Weitfliegender Vogel, warum jene weißen Männer, die dafür gekämpft haben, die Negersklaven zu befreien, jetzt dafür kämpfen, die Dakota in ein großes Gefängnis einzusperren, das sie Reservation nennen, und warum sie sie dort behandeln wollen, wie weiße Männer in einem Irrenhaus behandelt werden – ohne Recht, ohne Freiheit?«
Der Maler starrte den Indianer an. »Die Neger sind Arbeitskräfte unserer Farmer und Unternehmer, auch wenn sie frei sind. Die Dakota wollen einen Staat für sich bilden und nach Prinzipien leben, die wenig Nutzen für die Wirtschaft abwerfen.«
»Die Menschen sollen also für euren Nutzen oder gar nicht leben?«
»Jack, die Sieger im Bürgerkrieg sind korrupt und übermütig geworden. Über uns selbst regieren die republikanischen Stahlmänner heute in fast unerträglicher Weise. Vielleicht ändert sich das einmal. Aber für euch ist es dann zu spät.«
»Hast du etwas von den Dakota aus Minnesota gehört, Weitfliegender Vogel, die vor vierzehn Sommern nach Kanada gezogen sind?«
»Sie leben bis heute am Sourisfluss.«
Der Indianer erhob sich. »Du wirst mein Bild nie malen, Weitfliegender Vogel Geheimnisstab. Ich gehe.«
»Sehen wir uns noch einmal?«
»Ich glaube nicht.«
Als der Indianer schon nach der Türklinke griff, hielt ihn der Maler noch einmal auf. »Jack – erinnerst du dich aus deiner Kundschafterzeit noch an Henry Henry, den Ingenieur, den jungen Freund von Joe Brown, diesen großen Pionier der Union Pacific? Ihr kanntet euch.«
»Ich erinnere mich.«
»Er ist hier.«
Der Indianer zeigte keine Unruhe.
»Henry will zu der Station am oberen Niobrara reiten. Er hat sein Geld versoffen, hat beruflich einen großen Rückschlag erlitten und will etwas wettmachen. Durch die Black Hills sollen Zweigbahnen gebaut werden. Henry …«
»Es ist für Henry besser, wenn er in die Städte des Ostens zurückgeht.«
»Du würdest ihn nicht schonen?«
Der Indianer tat, als ob diese Frage nicht gestellt worden sei. Er ging. Leise schloss er die Tür hinter sich.
In der hellen Stube saß Morris, der Maler, und hatte den Eindruck, dass es rings um ihn dunkel werde. »Langspeer?«
»Ja?«
»Die Freundschaft der Menschen, die ich schätze, entgleitet mir. Sie werden sich untereinander morden …«
Der Maler erschrak und verstummte, denn er hörte einen festen Schritt die Treppe heraufkommen. Der Indianer war auf leisen Sohlen weggegangen, sein Tritt war nicht zu hören gewesen.
Es klopfte, gleich darauf trat ein Mann von etwa dreißig Jahren in die Stube ein. Er knallte die Tür zu. »Morris«, rief er, »wir haben uns vorhin beim Kommandanten nur so kurz begrüßt! Was für ein Wiedersehen nach so vielen Jahren, das muss doch gefeiert werden! Hier, ich habe eine Flasche exquisiten Whisky mitgebracht.«
»Henry, du sollst nicht schon wieder trinken! Du ruinierst dich!«
»Nur heute noch einmal! Nur heute! Zum Abschied. Morgen reite ich zu der Station von Smith am Niobrara. Das Leben in der Wildnis fängt noch einmal an! Mein alter Gönner und Lehrmeister Joe Brown baut die Northern Pacific, Henry Henry aber wird die Bahn zu den Goldbergwerken der Black Hills bauen. Kommt, haltet mit!«
Morris nippte. Langspeer schob das gefüllte Glas weg.
»Mit wem zusammen reitest du zum Niobrara?«, forschte der Maler beunruhigt.
»Mit wem? Mit dem Brief von Oberst Jackman und mit zwei ausgezeichneten Scouts, Bob und Jack. Pitt hat die kurze Nase voll, er will vorläufig nicht mehr zwischen die Dakota geraten.«
»Lass du das auch sein, Henry! Um Gottes willen, lass das sein!«
»Was hast du denn, Morris? Angst vor unserem ehemaligen Scout Harry, der jetzt unter dem Namen Tokei-ihto als Häuptling der Bärenbande die Gegend am Niobrara unsicher machen soll?«
»Angst um dich! Ehrlich gestanden, ja.« Der Maler war etwas erleichtert, weil er mit gutem Gewissen wenigstens die halbe Wahrheit sagen konnte. »Wenn Joe Brown, dein alter Freund, hier wäre, er würde dich ebenso warnen, wie ich es tue!«
Henry goss den Inhalt eines Glases hinunter. »Um unseren ehemaligen Harry wird viel Legende gesponnen! So weit her ist es mit dem jungen Mann wirklich nicht; wir haben uns doch gekannt. Ein schussfertiger Revolver – und schon liegt der Häuptling auf der Nase im Gras!«
Morris schüttelte es.
»Morris, zartbesaiteter Künstler! Wenn du mitten im Fort Randall schon bei dem bloßen Gedanken an Harry Schüttelfröste kriegst, dann reite doch lieber schnurstracks wieder nach Hause! Denn etwas lebhafter als zurzeit dürfte es diesen Sommer in den Prärien hier noch werden!«
»Lass den Spott, Henry! Und reite um des Himmels willen nicht allein mit zwei Scouts, die du kaum kennst, zum Niobrara! Warte ab! In vierzehn Tagen gehen eine Abteilung Kavallerie, eine Munitionskolonne und Miliz nach dem Fort von Smith. Schließe dich diesen an!«
»Ich bin doch kein Kind! Eben diese Munitionskolonne soll der Station am Niobrara durch den Brief angekündigt werden, den ich dorthin bringe.«
»Das ist doch unzulässig! Eine Privatperson als Kurier! Es ist mir unverständlich, mit welchem Leichtsinn wir oft verfahren!«
»Der Kommandant gibt mir die fest verpflichteten Scouts seiner Truppe mit, zu deiner Beruhigung sei es gesagt! Übrigens habe ich auch Presseaufträge. Ich werde der Erste sein, der vom Niobrara Augenzeugenberichte schreibt.«
Morris gab auf diese Antwort hin seinen Widerspruch auf.
Henry lachte und trank noch drei Glas. »Aufs nächste Mal!«
»Hoffen wir es.« Morris’ Nerven zogen sich zusammen. Er war nahe daran, sich vor Aufregung zu erbrechen. Henry schüttelte den Kopf, schürzte die Lippen und verabschiedete sich.
Als der Indianer Jack-Harry die Stube des Malers verließ, hatte er durch das Fenster schon den Ingenieur über den Hof kommen sehen. Er war daher die Turmtreppe nicht hinunter-, sondern ein Stück hinaufgegangen. Sobald Henry die Stubentür hinter sich zugeknallt hatte, war der Indianer die Treppenstufen lautlos wieder hinabgestiegen und hatte gelauscht.
Der Inhalt des Gesprächs zwischen Morris und Henry war ihm somit bekannt. Kurz ehe Henry die Stube verließ, ging der Indianer aus dem Turmgebäude hinaus. Er begab sich in den Stall hinüber, in dem er mit Bobby Kraushaar zusammen geschlafen hatte. Dort fand er den Neger noch in derselben Stallecke hocken und setzte sich zu ihm. »Henry reitet morgen früh mit einem Brief an Smith zum Niobrara«, sagte er in der Sprache der Dakota. »Wir beide begleiten ihn. Der Brief wird nicht an sein Ziel kommen.«
Bob machte dazu keine Bemerkung. Henry war in seinen Augen nur ein kleiner Fisch.
Dem Indianer und dem Neger stand als Läufern Naturalverpflegung zu. Bobby Kraushaar hatte die Ration des Tages schon für beide abgeholt und kaute jetzt an einem Stück Konservenfleisch, während der Indianer einen Knochen abnagte.
»Hier beim Fort fängt eine Reservation für die Dakota an. Das ist das Osteck«, sagte Bobby Kraushaar auf einmal.
»Hast du nicht mehr erfahren?«
»Doch. Es werden mehrere Reservationen eingerichtet, und der Stamm der Dakota soll gespalten werden. Bei Fort Robinson bauen sie Agenturbaracken aus. Dort wird künftig einer der Männer wohnen, die über die Krieger der Dakota befehlen sollen. Sie haben sich hier alle schon geeinigt, wie sie die Beute unter sich teilen wollen. Major Jones lässt sich pensionieren und wird ein Reservationsagent. Er braucht nicht immer in der Einöde zu leben; er wird sich einen Vertreter nehmen. Johnny, der fette Wetteinnehmer mit der Glatze, will eine Gastwirtschaft bei dieser Agentur aufmachen. Anthony Roach sieht sich schon als Capt’n und militärischen Befehlshaber. Der zahnlose Ben denkt daran, das Fort am Niobrara wieder in eine Handelsstation umzuwandeln, sobald er uns nicht mehr zu fürchten braucht! Aber die Grenzen der Reservationen sind noch offen. Es werden vorläufig nur Dragoner und Rauhreiter umherreiten, um die Dakota in diesen Stall zu treiben und dort zu bewachen.«
»Die Grenzen sind auf den Karten zu sehen, aber nicht auf der Prärie. Die Herren haben ohne uns gerechnet. Wenn nur die achtzig Krieger gekommen wären, um die ich unsere Oberhäuptlinge gebeten hatte, ich hätte während des Stockballspiels das ganze Fort Randall ausgehoben.«
»Du hättest das gekonnt. Aber die achtzig Krieger waren nicht da, und so vermochtest du nichts weiter zu tun, als dir in den Pausen ein paar Papiere anzusehen und eine Zigarette zu holen. Fort Randall ist bestehen geblieben. Mein Bruder, du weißt, ich fürchte, dass die Dakota einen großen Fehler gemacht haben. Sie haben bis heute Büffel gejagt. Die Büffel werden immer weniger. Die Dakota aber haben nicht gelernt, Vieh zu züchten.«
»Was macht deine Pferdzucht, Tschapa Kraushaar?«
»Du weißt es. Zwei meiner Fohlen sind mir krepiert, und die Krieger sagen, dass dein Falbhengst, den du dir wild eingefangen hast, alle anderen Mustangs übertrifft.«
»Tschapa, werden wir in diesem Sommer damit beginnen können, ernsthafter über zahme Büffel nachzudenken?«
»Nein, in diesem Sommer sprechen die Waffen, das sehe ich kommen. Aber was soll dann aus uns werden?«
»Auf der Reservation?«, fragte der Indianer. Seine Stimme klang verändert; der Hass durchbrach die Kruste der Beherrschung.
»Auf diesen Reservationen, die uns der Große Vater anweist, könnten wir auch als Farmer nicht selbständig leben. Sie sind zu klein, und es ist zu viel schlechtes Land dabei. Aber wir können auch nicht ewig Büffel jagen. In den letzten beiden Sommern sind die Büffel schon um die Hälfte weniger geworden.«
Der Indianer beantwortete diese Feststellung mit Schweigen.
»Was also dann?«, fragte Kraushaar.
»Wir müssen frei bleiben und etwas lernen. Nur ein freier Mann lernt gut. Ich habe jetzt unter unseren Männern genug Ansehen gewonnen, um für dich und deine Pläne zu sprechen, sobald der große Kampf beendet ist.«
Kraushaar legte seine Hand auf die seines Gefährten. »Gut, du hast das Rechte gesagt. Ich war als Kind ein Sklave. Mein Vater ist mit mir zu euch geflohen. Ich will nicht mit euch zusammen wieder ein Sklave werden.«
»Noch hindert dich niemand, hinzugehen, wohin es dir beliebt.«
»Mein Bruder, das könntest du von dir selbst auch sagen. Du hast zehn Sommer und Winter fern von deinem Stamm gelebt. Du bist vor zwei Sommern zurückgekommen, um den schwersten Teil des Kampfes mit uns zusammen zu kämpfen und das schwere Ende unseres Weges mit uns zusammen zu gehen. Meinst du, ich will fortlaufen und euch vergessen? Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht. Ich liebe unsere Zelte, unsere Weiber und Kinder, ich liebe meine Freunde und Kampfgefährten mehr als mein Leben.« Tschapa Kraushaar hatte das alles sehr leise gesagt. Er richtete den Blick auf ein Brett der Stallwand und verbarg den Ausdruck seines weichen und starken Gefühls.
Die Gefährten saßen fast eine Stunde wortlos beisammen.
Als es dämmerte, gingen sie vor das Tor hinaus, denn sie wollten die Nacht außerhalb des Forts in dem Indianerlager verbringen und mit den Männern ihrer Spielmannschaften noch einmal zusammen sein.
Zur selben Stunde saß Henry Henry auf seiner Stube und überprüfte den Inhalt seiner Geldtasche. Der Abend, der vor ihm lag, erschien ihm leer und endlos. Wie sollte er die Zeit verbringen? Er musste feststellen, dass das Geld in seiner Tasche für einen Abschiedsabend nicht mehr reichte, falls er den Willkommensabend auf dem Fort Niobrara mit einkalkulierte. Aber wer zwang ihn zu einer solchen Kalkulation? Heute war heut’! Henry ging hinunter in den Hof, schlenderte umher und lud diesen und jenen ein. Bei der tödlichen Langeweile, die die Offiziere quälte, hatte der Ingenieur sehr bald genügend Zusagen gesammelt.
Das kleine Trinkgelage begann nach dem Abendessen, und es endete erst kurz vor Sonnenaufgang.
Für Henry lohnte es sich nun nicht mehr, sich noch schlafen zu legen. Er packte seine Sachen zusammen. Grau im Gesicht, fröstelnd, verkatert schaute er durch das Fenster seiner Kammer hinaus auf den Hof. Wo der Nigger sich wohl herumtrieb?! Aha, Hufgeklapper! Diesem Kerl, den er sich noch erziehen wollte, hatte also doch das Gewissen geschlagen, und er brachte Henrys Pferd.
Der junge Ingenieur, Kurier und Presseberichterstatter, begab sich hinaus und schwang sich auf. Er ritt in schnellem Trab über den Hof zum Tor, das sich für ihn öffnete. Nordwind fauchte, aber die Sonne schien klar, und blau wölbte sich der Himmel über der hügeligen Prärie. Henry durchritt das Tor. Vom Pfosten löste sich eine lange Gestalt ab, in Baumwollhemd, Samthose und Poncho gekleidet. Das schwarze gescheitelte Haar war in Zöpfe geflochten, das hagere Gesicht bis zur Unkenntlichkeit bemalt.
Mit einer ähnlichen Geste wie Roach wies Henry die beiden Läufer mit der Reitpeitsche an, ihm voranzulaufen. Er setzte sein Pferd in Galopp, und es war ihm in seinem Zustand eine unsinnige, grausame Freude, dass die Läufer schnell wie ein galoppierendes Pferd laufen mussten.
Mühe schien ihnen das jedoch nicht zu machen.
Henry im Sattel war ausgelaugter als die beiden.
Gegen Mittag wechselte die Landschaft. Der Boden wurde sandiger, das Gras kurz. Fort Randall war längst aus dem Gesichtskreis entschwunden. Henry legte eine Rast ein und aß. Die Läufer warteten stumm und nüchtern.
Nachmittags nahmen der Indianer und der Neger ihre Aufgabe ernst. Oft spähten sie von Anhöhen aus in die Runde. Mehr als einmal wählten sie verschlungene Wege durch die Täler der Grassteppe, um mit dem Reiter zusammen unsichtbar zu bleiben. Als die Dämmerung hereinbrach, geleiteten sie ihn zum Ufer des Niobrara und gaben ihm den Rat, hier zu lagern.
Henry war einverstanden. »Mach Feuer!«, befahl er Jack.
Der Mann im Poncho setzte sich dem Weißen gegenüber. »Wir machen kein Feuer.«
»Willst du frech werden? Tonart wie einst der Harry! Aber diese Zeiten sind für euch Indsmen vorbei. Such Holz und mach Feuer. Wofür wirst du bezahlt?«
Der Fluss rauschte leise, der Wind pfiff. Aus einem Erdloch spähte ein hungriger Hamster und verschwand wieder.
Henry klopfte mit dem Knopf seiner Reitpeitsche auf den Boden. »Wird’s bald?!«
»Nein.«
Henry schwankte. Seine aufsteigende Wut stachelte ihn, dem Indianer mit der Peitsche über das Gesicht zu schlagen. Aber er befand sich in der Wildnis, es wurde Nacht, und dieser Indsman bewahrte nicht nur eine unheimliche Ruhe, sondern besaß auch einen Revolver. Henry hätte, so dachte er jetzt, lieber dem Bobby Kraushaar befehlen sollen, Feuer zu machen, doch hatte es ihn gereizt, den hochmütig wirkenden Indianer gehorchen zu sehen, und nun konnte er nicht mehr zurück.
Aber er konnte noch zur Seite ausweichen.
»Du schmutzige Rothaut mit deinem verschmierten Gesicht! Wann hast du dich wohl zum letzten Mal gewaschen? Kratz dir die Farbe von deiner Visage!«
Der Indianer gab keine gereizte Antwort, wie Henry erwartet hatte. Er widersprach überhaupt nicht, sondern holte eine kleine Dose und ein Lederläppchen hervor und begann die Bemalung mit Fett und Lappen sorgfältig abzureiben. Er nahm sich Zeit.
Henry war zufrieden, dass sein zweiter Befehl unverzüglich ausgeführt wurde. Er sah interessiert zu, wie aus der Farbenmaske ein menschliches Gesicht hervorkam. Der Indianer entfernte mit Sorgfalt auch den letzten Farbrest. Der Mond ging auf; sein Licht blinkte auf dem Wasser des Flusses und beschien den Indianer. Von Strapazen und Leiden ausgezehrte und verhärtete Züge wurden sichtbar; sie wirkten verwegen und ganz unzugänglich; durch das Spiel von Mondlicht und Schatten verstärkte sich dieser Eindruck.
Henry starrte auf den Menschen, der seine Maske abgelegt hatte, und erkannte ihn. Der Unterkiefer sank Henry herab, seine Mundwinkel zitterten. Er riss den Revolver aus dem Gürtel. Ehe er abdrücken konnte, sank er um.
Es war kein Schuss gefallen. Der Indianer stand auf und holte den Dolch wieder, mit dem er im Wurf seinen Gegner getötet hatte. Der Griff des spitzen, zweischneidig geschliffenen Messers war in Form eines Vogelkopfes kunstvoll geschnitzt. Der Dakota reinigte das Messer, indem er es in die Erde stieß, und ließ die Klinge in die Scheide gleiten. Henrys Revolver gab er Bob Kraushaar. Dann nahm er Henrys Brieftasche mit dem Schreiben an Major Smith an sich.
Der Indianer legte seine Verkleidung ab und rauchte mit Kraushaar im Dunkeln eine Pfeife.
Nach dem toten Henry sah sich der Dakota nicht mehr um. Sein Volk stand in einem Kampf, in dem es keine Gnade gab, und der Dakota hatte nie gelernt, Gnade zu üben. Die roten Männer und die weißen Männer hatten ihn von Kindheit an gelehrt, dass es notwendig und ein großer Ruhm sei, Feinde zu töten. Die Skalplocke hatte Henry nicht darum behalten, weil der Häuptling nicht skalpierte. Aber Henry hatte sich zu leicht töten lassen. Es war keine Auszeichnung für einen Dakota, ihn besiegt zu haben.
»Was nun?«, fragte Tschapa Kraushaar seinen Häuptling.
»Unser Späher Ihasapa sollte mit Pferden und Nachrichten hier in der Nähe auf uns warten. Meine Boten, die ich zu unseren Oberhäuptlingen Tatanka-yotanka und Tashunka-witko und zu den Häuptlingen der Absaroka und der Pani gesandt habe, müssen zurück sein.«
»Traust du diesen Pani, die deine Mutter getötet haben, als du noch ein Knabe warst, und diesen Absaroka, gegen die Tatanka-yotanka als junger Krieger gekämpft hat?«
»Denen, die kommen werden, vertraue ich. Ich habe in den vergangenen Sommern auch bei unseren Feinden einsichtige Krieger kennengelernt.«
»Wie du meinst. Ich will deinen großen Plänen nicht länger im Wege sein.«
Der Dakota lief auf die höchste der in der Nähe gelegenen Anhöhen und heulte wie ein Kojote. Er wiederholte das Zeichen im Zeitraum einer halben Stunde viermal.
Bald darauf erschien weiter oben am Fluss ein Indianer zu Pferde. Er führte zwei ledige Mustangs mit, den einen nur mit großer Mühe. Der ledige Falbhengst stieg und schlug und wollte sich losreißen. Der Häuptling winkte; da gab der junge Krieger den Hengst frei, und das Tier galoppierte zu seinem gewohnten Reiter, der es mit leise gesungenen Worten begrüßte. Der junge Reiter übergab das zweite ledige Pferd Kraushaar. Der Häuptling forderte ihn zum Sprechen auf.
»Ein Größerer als ich ist da, um mit dir zu sprechen, Tokei-ihto«, gab der junge Mensch zur Antwort. »Unser Oberhäuptling Tashunka-witko ist mit drei Kriegern für eine Nacht gekommen.«
Tokei-ihto hatte sich beim ersten Wort schon aufgeschwungen. »Führe uns zu ihm, Ihasapa!«
Der Galoppritt währte nicht mehr als eine Viertelstunde. In einem Wiesental trafen sich die Männer. Umgebende Hügel warfen Schatten gegen das Mondlicht. Auch hier brannte kein Feuer.
Als die drei herankommenden Reiter absprangen, erhob sich aus der Mitte von vier am Boden sitzenden Indianern einer. Er war von gleich stolzer Haltung wie der junge Kriegshäuptling und nicht anders gekleidet. Der Schattenriss seines Gesichts war scharf, die Kopfform schmal und langgestreckt. In einem Schimmer nächtlichen Lichtes trafen sich die Augen der beiden. Die Männer sahen sich zum ersten Mal wieder, seit Harry zu seinem Stamme zurückgekehrt war. Früher hatten sie gegeneinander gekämpft. Zuletzt hatten sich der ältere und der jüngere Mann bei einem großen Sommerfest, bei dem mehrere Stämme zusammenkamen, in friedlichem Wettstreit gemessen.
Sie schwiegen beide fast eine Minute hindurch.
»Da bist du«, sagte dann die dunkle, fast mürrisch klingende Stimme des Oberhäuptlings. »Du hast mir einen Boten geschickt. Ich bringe dir die Antwort selbst. Sechzig Dakotakrieger kommen zu euren Zelten. Auch zehn Krieger der Pani mit einem Häuptling und fünf Krieger der Absaroka mit einem jungen Häuptling, die dich aus früheren Sommern kennen, haben sich gemeldet, und wir sind bereit, sie an unserer Seite kämpfen zu lassen. Alle diese Krieger und Häuptlinge werden bei euch sein, sobald der Mond wechselt.«
»Das ist zu spät.« Der junge Kriegshäuptling sagte es kurz, nüchtern, ohne Vorwurf, ohne Klage. »Das Langmesser Smith am Niobrara erwartet noch vor dem Mondwechsel sechs Wagen mit Munition und Nahrung. Wir müssen die Munitionswagen und die Langmesser, die sie begleiten, abfangen. Sie dürfen niemals auf das Fort am Niobrara gelangen. Wenn unsere Brüder, die an unserer Seite kämpfen wollen, zu spät kommen, müssen wir allein handeln.«
»Das müsst ihr, und ich vertraue dir, dass du das auch vermagst. Seit zwei Sommern und drei Wintern bist du über Smith und seinen Männern wie ein Adler über einer Herde lahmender Antilopen. Wir haben unser Vertrauen nicht vergeblich in dich gesetzt. Wie viele Krieger hast du selbst bereit?«
»Vierundzwanzig Männer vom Bunde der Roten Hirsche.«
Tokei-ihto wandte sich wieder Ihasapa zu. »Wo stehen unsere Zelte jetzt? Wo ist Tschetansapa?«
Der Späher berichtete: »Unsere Zelte sind aus den Bergwäldern schon zum Pferdebach herabgezogen. Tschetansapa hält sich mit allen Männern, die dem Bunde der Roten Hirsche angehören, auf halbem Wege zwischen unserem Zeltdorf und dem Fort des Majors Smith bereit. Sie wollen dir in den Kampf folgen.«
»Das sind die vierundzwanzig. Genug, wenn wir rasch und überlegt handeln! Reite zurück zu Tschetansapa und sage ihm, dass ich in wenigen Tagen bei ihm bin. – Tschapa Kraushaar«, gab der junge Häuptling weiter seine Anweisungen, »du bleibst hier und horchst, was die Kundschafter, die wir bei Fort Randall für uns gewonnen haben, melden. Wir müssen wissen, an welchem Tag Leutnant Roach mit der Munitionskolonne aufbricht. Ich selbst reite unterdessen noch nach Saint Pierre; mit meinem Falben bin ich rasch genug.«
Der junge Häuptling trat zu seinem Mustang. »Ich muss nach Fort Saint Pierre«, wiederholte er für seinen Oberhäuptling. »Oder kannst du mir ein Repetiergewehr geben? Für den Kampf um die Munitionskolonne brauche ich es.«
Durch die Stimme Tashunka-witkos klang es wie ein Lächeln, als er erwiderte: »Ich kann es dir nicht geben, Tokei-ihto, aber wir reiten zusammen nach Saint Pierre.«
Die Männer schwangen sich auf. Während sich Ihasapa und Tschapa aufmachten, um ihre Aufträge auszuführen, ließ der junge Häuptling seinen Falbhengst in der Reihe mit Tashunka-witko und dessen drei Kriegern nordostwärts galoppieren.
Der Ritt der Häuptlinge führte durch Grassteppen, durch öde, von Mensch und Tier verlassene Felslandschaften. Niemand hielt die einsamen Reiter auf. Die Mustangs waren unermüdlich. Der falbe Hengst des jungen Kriegshäuptlings hatte lange gestanden; nun fegte er übermütig, mit großartigen Kräften, über das Wiesen- und Steppenland dahin, in dem auch er geboren und das auch seine Heimat war.
Die Männer ritten die Nacht und die Morgenstunden des anbrechenden Tages hindurch. Um die Mittagszeit hielten sie die erste längere Rast an einem Gewässer, von Gesträuch und Anhöhen gedeckt. Sie streckten sich auf ihre Decken, schliefen jedoch nicht, sondern aßen und rauchten.
Jetzt blieb ihnen die Ruhe, sich gegenseitig zu betrachten. Dem jungen Häuptling erschien sein Oberhäuptling in den vier Jahren, in denen er ihn nicht mehr gesehen hatte, kaum älter geworden, aber doch verändert. In die kühne Zuversicht der Züge Tashunka-witkos begann sich der Ausdruck einer entschlossen-verbitterten Abwehr zu mischen. Seine Mundwinkel zogen sich herab; die Falten, die an den Nasenflügeln ansetzend herunterliefen, waren tiefer geworden. Die Augen, die der Indianer gegen Sonne, Wind und Staub der Prärie meist mit gesenkten Lidern schützte, hatte Tashunka-witko jetzt ganz geöffnet, und mit diesem offenen Blick begegnete er dem Jüngeren.
Er begann einiges zu besprechen, wozu ihm in der Nacht vorher, bei der ersten Begegnung, nicht Zeit und Ort gewesen zu sein schien. »Die Watschitschun sind entschlossen, alle ihre Schwüre und Verträge zu brechen«, sagte er. »Sie sind Lügner. Wir aber werden die Prärie und unser Recht verteidigen.«
»Greift ihr die Forts an? Mit achtzig Männern hätte ich Randall ausheben können.«
»Wir greifen die Forts nicht an. Aber sobald die Frühjahrsjagden vorüber sind, das Gras dunkelgrün wird und die Sonne warm scheint, sammeln wir unsere Häuptlinge und unsere Krieger in den Prärien im Norden der Che sapa2 und an den Flüssen, die dem Gelbsteinstrom zufließen. Du bist eingeladen, an den Beratungen teilzunehmen, und magst deine Männer fragen, ob sie mit uns allen zusammen kämpfen wollen, wenn die Langmesser uns nicht in Frieden lassen.«
»Sobald wir die Munition erbeutet haben und mit der Station von Smith fertig sind. Es ist der Platz, an dem ich den Mord an meinem Vater räche.«
»Ich wusste, dass du auch daran denkst, mein jüngerer Bruder. Tatanka-yotanka und ich wären bereit gewesen, dir sofort sechzig Krieger zu senden, die mit euch zusammen die Munitionskolonne abfangen. Aber ich brauche eine Schar, um General Crook am Rosebud entgegenzutreten, und die übrigen Männer wollten die Kriegspfeife noch nicht rauchen. Nach dem Winter hungern die Frauen und Kinder in vielen Zelten, und die Krieger wollen erst jagen. Sie erinnern sich auch daran, dass eure Bande vor zwölf Wintern auf eigene Faust sehr weit südwärts gezogen ist, und sie erwarten, dass ihr in dem Sommer, der kommt, wieder zu den Che sapa heraufwandert.«
»Ich verstehe. Was hört ihr von den anderen Stämmen?«
»Die Cheyenne, die noch frei sind, wollen mit uns zusammen kämpfen. Die Absaroka und die Siksikau werden uns nicht in den Rücken fallen. Es sind nur einzelne Verräter, die den Langmessern dienen.«
Der junge Kriegshäuptling senkte den Blick, und das Blut stieg ihm in die Schläfen, weil er daran dachte, dass er selbst einmal den Feinden als Kundschafter gedient hatte. Auch Tashunka-witko schien über Kundschafter und Kundschafterschicksal in diesem Augenblick nachzudenken, denn er fragte: »Ich habe von einem Kundschafter Tobias gehört, der Smith dient. Wer ist das? Hat er noch einen anderen Namen?«
»Chef de Loup.«
»Ah, Chef de Loup! Lass ihn beobachten.«
Das Gespräch war beendet. Als die Männer sich erhoben, blickten sie über das Land; es waren die Gebiete, in denen sie künftig gefangen gehalten werden sollten.
Sie schwangen sich auf und setzten ihren Ritt fort. Sie mieden die Zeltdörfer, die in diesen Gegenden zu finden waren und die sich schon unterworfen hatten. Sie kreuzten Fährten von Kavallerietrupps und Milizeinheiten, ohne sich von diesen sehen zu lassen, und keiner der feindlichen Kundschafter entdeckte sie.
Als es zum zweiten Mal Morgen wurde, erreichten die Dakota die große Handelsstation Saint Pierre, viel weiter nördlich am Missouri gelegen als Fort Randall. Hier herrschte noch der Handel, nicht das Militär. Da die Ankömmlinge keine Stunde zu verlieren hatten, hängten sie ihre Mustangs sofort bei dem Laden an, den der junge Häuptling aufsuchen wollte. Auch Tashunka-witko trat dort ohne Zögern ein. In seiner einfachen Kleidung erkannte ihn kein Unkundiger. Es hatten sich in der geräumigen Verkaufsstelle trotz der frühen Stunde schon zahlreiche Indianer und Jäger eingefunden, die die Winterausbeute der Pelzjagd gegen Waffen, Pulver, Blei und Branntwein eintauschen wollten.
Mehrere Einkäufer waren damit beschäftigt zu taxieren. Der Leiter des Verkaufsladens war ein kleiner Mann mit einem Fuchsgesicht. Er hatte den jungen Dakotahäuptling sofort ins Auge gefasst, denn er kannte ihn von einem langwierigen Handel her persönlich und ließ die Neuigkeit sofort die Runde machen: »Harry Tokei-ihto ist da!«
Der junge Häuptling brauchte sich hier nicht zu verbergen. Die Kämpfe im Gebiet des Niobrara waren lokaler Art; bis nach Saint Pierre drangen nur die Anekdoten. Aber deren Verbreitung genügte, dem jungen Häuptling freien Durchgang zu dem Leiter des Ein- und Verkaufs zu verschaffen. Tashunka-witko und seine Begleiter hielten sich im Hintergrund.
Der langgewachsene Dakota schaute auf den kleinen Mann mit dem Fuchsgesicht herunter. Es war rings im Raum still geworden; damit war das höchste Maß an Achtung bezeigt, das Handelsleute erweisen konnten.
»Was wünscht der große Häuptling der Dakota in meinem bescheidenen Laden zu kaufen? Ich hoffe, Harry Tokei-ihto heute ebenso zufriedenstellen zu können wie vor zwei Sommern!«
»Ein Repetiergewehr.«
»Großartig! Selbstverständlich! Bitte – hier ist eine Flinte, die ich sehr …« Der Händler hob eine alte Waffe in die Höhe.
»Ein Repetiergewehr.«
»Die Vorderladerflinte ist nicht gefällig? Ich habe Hinterlader … bitte … werde gleich …«
»Ein Repetiergewehr.«
»O ja, natürlich, eines Häuptlings würdig! Eine Büchse! Eine Büchse muss es sein!«
»Ein Repetiergewehr.«
»Wir führen die verschiedensten Konstruktionen. Einen gezogenen Lauf würde ich nicht einmal empfehlen. Nein, warum? Eine solche Büchse …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Gebrauchte Waffen, tadellos gepflegt, kann ich anbieten – diese sogar für Felle –, ist es gefällig, in Fellen zu zahlen? Eine berühmt gewordene Flinte …«
»Ein Repetiergewehr.«
»O ja, Oberst Cody, genannt Buffalo Bill, hat eine Repetierbüchse, ich weiß, ich weiß! Macht viel Umstände, braucht viel Pflege, schwer zu handhaben! Häufig Ladehemmungen. Hat sich auch bei der Armee nicht sonderlich bewährt. Ich würde das dem Häuptling nicht empfehlen! Eine vorzügliche Jagdflinte …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Vielleicht ist es gefällig, in Dollars zu zahlen? Eine doppelläufige Büchse mit gezogenem Lauf? Das Beste vom Besten!«
»Ein Repetiergewehr.«
Die Zuhörer dieses Handelsgesprächs begannen zu grinsen. Nur Tashunka-witko und seine Begleiter blieben ernst. Der kleine Mann schnappte nach Luft. »Es ist zurzeit eigentlich nicht gestattet … ich meine, nicht gern gesehen, wenn Indianer Repetiergewehre führen, wie sie bei der Armee in Gebrauch sind – ich meine, also nur für Jagdzwecke, nicht wahr …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Vielleicht beliebt es, in … in Gold zu zahlen? Die Jagdflinte …«
»Ein Repetiergewehr.« Der junge Dakota wiederholte wie ein Automat, immer mit dem gleichen Stimmklang, ohne Ungeduld oder Zorn zu verraten.
Der kleine Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Für die Büffeljagd, nicht wahr? Für die Büffeljagd!« Da der Sprecher aufgeregt war, lispelte er. »Das Praktischste ist immer noch …«
»Ein Repetiergewehr.«
»Alle Teufel und Heiligen, ich will tun, was in meinen Kräften steht, aber der große Häuptling braucht die Waffe sofort? In diesem Falle ist das Beste …«
»Ein Repetiergewehr.«
Die Umstehenden lachten. Tashunka-witko blieb sehr aufmerksam.
Der junge Häuptling öffnete einen kleinen Lederbeutel, dessen Innenseite zur Hälfte grün, zur Hälfte rot gefärbt war, und legte Dollars auf den Ladentisch, sagte dazu aber kein Wort mehr.
»Ach so, der Häuptling beliebt, in Dollars … es muss also unbedingt … ich meine, es soll unbedingt …«
Der Dakota schwieg, betrachtete den kleinen Mann aber erstaunt und eindringlich.
»Wir haben eine solche Waffe nämlich für den Leiter unserer Station bestellt! Ich weiß nicht, ob ich sie weggeben darf. Die Lieferungen lassen immer so lange auf sich warten. Der Häuptling wird noch einen Dollar dazulegen!«
Der junge Dakota klopfte mit zwei Fingernägeln auf den Tisch und sagte: »Das Repetiergewehr und dreihundert Patronen dazu. Ich habe wenig Zeit.«
»Allmächtiger! Moment! Ich werde den Stationsleiter rufen.«
Aber der Dakota hielt mit seinem Blick den fuchsgesichtigen Mann fest. Die Mienen des Verkäufers wurden schlapp und betrübt. Er fuhr mit der Zungenspitze über die Lippen, als ob er sie anfeuchten müsse. »Wenn es also sein muss! Aber mein Schaden ist zu groß, viel zu groß! Wie soll ich das wieder hereinbringen! Ein Geschenk ist es, ein Geschenk für einen großen Häuptling!« Er ging in einen Nebenraum und kam mit der gewünschten Waffe sowie mit der Munition zurück. Es war ein gutes Gewehr, und zum ersten Mal wurde der junge Dakota unruhig, weil er mit ansehen musste, wie der Händler diese Waffe handhabte. Er nahm sie ihm aus der Hand und spielte damit, so wie ein Zimmermann mit der Axt oder ein Maurer mit dem Hammer spielt. Eine Waffe war für einen Häuptling in einem Volk von Jägern ein gewohntes und vertrautes Arbeitsinstrument.
Er lud, entlud, lud und sagte dabei: »Du schenkst mir die Waffe und die Munition. Ich schenke dir die Dollars. Hau. Sechs Patronen habe ich frei für sechs Probeschüsse!«
Ohne das Einverständnis des Händlers abzuwarten, ging der Dakota mit dem geladenen Repetiergewehr aus dem Verkaufsraum hinaus. Tashunka-witko und seine Begleiter schlossen sich ihm an. Die Indianer liefen durch den Hof und durch das offene Tor ins Freie hinaus.
Der junge Häuptling blieb auf der Wiese stehen. »Was soll ich treffen?«
»Den Birkenstamm«, schlug Tashunka-witko vor. Das Bäumchen war fünfhundert Meter entfernt.
»Das oberste Astloch und die schwarze Stelle darunter«, entschied der junge Kriegshäuptling für sich selbst.
Die Probeschüsse krachten. Einer der Krieger lief zu dem Bäumchen. Die Meisterleistung des Schützen mit der noch ungewohnten Waffe überraschte selbst Tashunka-witko, der den jungen Kriegshäuptling einige Jahre zuvor den sonst nur in Legenden genannten Schuss mit Pfeil und Bogen über dreihundert Meter ins Ziel hatte abgeben sehen.
Aus der Handelsstation kam der Händler. Schreiend und gestikulierend rannte er herbei. »Mein Geld!«
»Ja, dein Geld.« Der Dakota händigte ihm die ausgemachte Summe aus.
»Großer Häuptling!«, rief der kleine Mann. »Die Summe stimmt. Aber du hast mir das ganze Geschäft verdorben! Alle in meinem Laden drin wollen jetzt ihre Felle teurer verkaufen und machen die Ware, die ich ihnen anbiete, schlecht. Wenn du so mit mir handeln willst, wie du das gemacht hast, so darfst du das nie vor anderen Leuten tun. Nein, das hättest du mir nicht antun dürfen! Nur weil du vor zwei Jahren schon einmal hier warst, mit zwei deiner Männer, habe ich dich jetzt so gut bedient! Es macht auch der Abschiedsschmerz! Wie soll das nur alles noch werden?«
»Was soll werden?«, fragte der Dakota, während er noch mit seinem neuen Repetiergewehr beschäftigt war.
»Mein Laden wird ruiniert sein! Ich habe immer viele Indianer als Kunden gehabt. Saint Pierre ist seit Jahrzehnten bei den Indianern östlich und westlich des Mississippi berühmt. Wie viele rote Freunde hatte der alte Leiter unserer Station! Nun soll das alles mit einem Schlag aus sein.«
»Warum?«
»Weil ihr auf die Reservation gehen müsst! Dort seid ihr unmündig; wie Idioten werdet ihr gehalten! Ihr werdet keine Möglichkeit haben, aus- und einzugehen. Keine Möglichkeit werdet ihr mehr haben, als Jäger zu leben und Felle zu verkaufen! Es wird euch überhaupt nicht mehr gestattet sein, eine Handelsstation zu besuchen! Wenn sie euch erst in der Reservation eingesperrt haben, seid ihr nichts mehr als eine hungrige Herde, und ich bin pleite!«
»Hungrig?«, fragte der Dakota ruhig, wie unbeteiligt.
»Ja! Kennst du die Verhältnisse auf den anderen Reservationen nicht? Zur eigenen Wirtschaft reicht der Boden nicht hin und nicht her. Ihr müsst von Almosen leben, von Viehlieferungen, von Konserven … und was dann wirklich bis zu euch kommt – bei der Korruption, die wir jetzt allerorts haben –, ich danke!«
»Warum sagst du das nicht eurem Großen Vater in Washington?«
»Der Vater ist wirklich groß, und Washington ist weit; ich aber bin ein ganz kleiner Mann.«
»Du musst es wissen.«
Der Händler lief zu seinem Laden zurück, um nicht etwa ein Geschäft zu versäumen.
Die fünf Indianer standen beieinander. Stumm dachten sie noch über das nach, was sie soeben wieder vernommen hatten. Wortlos gingen sie zusammen zurück zu ihren Pferden. Tashunka-witko schwang sich als erster auf den Mustang. Der junge Kriegshäuptling nahm das Bild und den Blick dieses Mannes noch einmal ganz in sich auf. Als Harry Tokei-ihto ein zwölfjähriger Knabe mit Namen Harka gewesen war, hatte er Tashunka-witko zum ersten Mal gesehen, und es war dieser Eindruck gewesen, der ihn nicht mehr losgelassen, ihm mitten in seinem Verbanntenleben Stolz auf den eigenen Stamm eingeflößt hatte. Es begann jetzt ein großer Kampf, der größte, den die Dakota je zu bestehen hatten. Die beiden Häuptlinge waren bereit, ihre Freiheit auch unter den schwersten Bedingungen zu verteidigen. Alle weiteren Worte darüber waren unnütz.
Die Männer verabschiedeten sich. Während Tashunka-witko mit seinen Begleitern nordwestwärts ritt, begann der junge Kriegshäuptling den Ritt südwestwärts zu den Seinen. Fast ohne Rast, fast ohne Schlaf, fast ohne Nahrung zu sich zu nehmen, legten Tokei-ihto und sein Falbe den weiten Weg zurück.
Die Sichel des abnehmenden Mondes war dünn und scharf, die Nacht dunkel, als der Reiter bei der Kriegerschar eintraf, die ihn in den Prärien westwärts des kleinen, von Smith befehligten Forts erwartete. Selbst Tschetansapa, der Anführer der Männer vom Bunde der Roten Hirsche, hatte nicht geglaubt, dass sein Häuptling in so kurzer Frist zurück sein könnte. Tokei-ihto ließ seinen Falben ruhen und weiden und setzte sich selbst zu den Kriegern, die im Dunkeln in dem Grassteppental lagerten. Auf den Anhöhen wachten die Posten.
Unbemerkt ließ der junge Häuptling den Blick von Mann zu Mann wandern. Jeden kannte er von Kind an: Tschetansapa, den um fünf Jahre älteren Freund, Speerspitze, den Sohn Tschotankas, Antilopensohn, Ihasapa sowie alle anderen. Seit Harry Tokei-ihto vor zwei Jahren zu seinem Stamm zurückgekehrt war, waren ihm diese Männer in den Kampf gefolgt. Er hatte sie einzeln, in Gruppen oder alle zusammen bei vielen kühnen Handstreichen geführt, zuletzt bei dem Angriff, dessen Opfer Leutnant Warner geworden war. In den vergangenen beiden Jahren, in denen er die Verantwortung trug, war nicht ein einziger Krieger der Bärenbande gefallen. Die Hauptlast des Kampfes hatte der Häuptling selbst getragen. Smith und seine Leute aber lebten wie Gefangene hinter den Palisaden. Das Vorhaben, das der junge Häuptling jetzt plante, war jedoch größer und schwieriger als alle vorangegangenen.
Tschetansapa, ein hagerer langer Mensch, hatte sich bei seinem Häuptling eingefunden, und diese beiden Anführer sprachen in der angehenden Nacht noch leise miteinander. Die Kundschaftermeldungen besagten, dass die Munitionskolonne und ihre Begleitmannschaften bereits aufgebrochen waren und sich auf dem Weg zu dem Fort am Niobrara befanden. Die Männer der Bärenbande planten, die Kolonne abzufangen, ehe sie das Fort erreichte. Sie wollten dann mit der Munition, die sie dringend brauchten, an dem Fort vorbei in ihre Jagdgründe durchbrechen. Die zweite Aufgabe war nicht leichter als die erste.