Читать книгу Der Schneeti - Lissa Lehmenkühler - Страница 9
Оглавление»Ole, aufstehen!«, ruft Oles Papa.
Ole gähnt, reibt sich die Augen und verzieht das Gesicht. Ach Manno! Für einen Moment dachte er tatsächlich, er wäre in Hellabach in seinem alten Zimmer. Das hat Ole nämlich geträumt. Und dann ist in seinem Traum auch noch ein kleines, fluffiges Wesen vorbeigeschneit und hat es sich im Igel-Iglu unter Oles Bett gemütlich gemacht. Ole kratzt sich am Kopf und staunt, was Köpfe sich doch so alles zusammenträumen können. »Ein Schneeti! So ein Kokolores!«
Ole dreht sich auf die Seite und zieht sich die Bettdecke über den Kopf. Da hallt plötzlich – schnörch-schnörch – ein lautes, merkwürdiges Schnarchgeräusch oder genauer gesagt ein Schnörchgeräusch an sein Ohr. Ole schaut unter sein Bett. Tatsächlich! Da ist es: das Iglu. Vorsichtig lugt er herein. Im Iglu schnarcht ein kleines weißes Wesen, dessen kleiner, runder Bauch sich bei jedem Schnörcher hebt und senkt.
»Holy Moly!«, ruft Ole. »Ich glaube, ich spinne! Der Schneeti!« Da wackelt der Schneeti nacheinander mit allen Zehen, öffnet seine Augen, plustert und streckt sich und hüpft schon wieder –»Höppala!« – auf Oles Schoß.
»Halli-hallö-hallöle! Schönen guten Mörgen, Öle!«, begrüßt der Schneeti Ole. Ole will gerade antworten, da knurrt der Schneeti-Magen so laut, dass er sich beide Ohren zuhalten muss. Schon reckt der Schneeti schnuppernd seine kleine Nase in die Luft, klatscht in die Pfotentatzen und ruft ganz verzückt: »Kaffee! Köstlich! Nach Schököladeneis das Beste, was ihr Menschen erfunden habt!«
»Halt!«, ruft Ole noch, doch da flitzt der Schneeti schon Richtung Küche.
»Morgen, Schnuffelsocke«, begrüßt Oles Vater, der hinter seiner Zeitung am Frühstückstisch sitzt, seinen Sohn. »Toast oder Müsli?«
»Äh …«, stammelt Ole, denn er traut seinen Augen nicht: Mitten auf dem Tisch macht sich der Schneeti wie ein ausgehungerter Riesen-Yeti über die knusprigen Toastbrote her. Wenn das Opa Ottokar sehen könnte!
»Ole, könntest du bitte etwas leiser essen? Ich muss mich hier konzentrieren«, sagt Oles Vater, ohne von seiner Fachzeitung mit dem Titel »Zuhören! Das A und O in der Sprecherziehung« aufzublicken.
»Ähm, okay …«, antwortet Ole noch ganz verdattert, während der Schneeti sich wie ein tollkühner Profi-Bergsteiger an der Müsli-Packung hochzieht. Jetzt balanciert er sogar mit seinen Hinterpfotentatzen auf dem nur millimeterbreiten Rand und springt mit einem Bauchplatscher ins Früchtemüsli, dass rundherum Haferflocken wie Schnee auf den Frühstückstisch rieseln.
»Jöm-jöm!! Rösinen!«, hört Ole den Schneeti aus der Packung jubeln, die plötzlich gefährlich zu wackeln beginnt.
»Holy Moly!«, ruft Ole, springt auf, fängt die kippende Packung auf und versteckt sie mitsamt dem Schneeti im Kühlschrank. Oles Vater linst zu Ole herüber und Ole gibt sich alle Mühe, so zu tun, als wäre es das Normalste von der Welt, morgens wie ein Türsteher vorm Kühlschrank zu stehen.
»Ole, fehlt was? Dann nimm es dir und setz dich bitte wieder an den Tisch«, sagt Oles Vater und vertieft sich wieder in seine Zeitung. Da tönt plötzlich ein fröhliches Jauchzen aus dem Kühlschrank:
»Öh! Töll! Jöghurt! Jöm-jöm!«
Oles Vater horcht auf und schaut Ole über seiner Lesebrille mit einem Irgendwas-stimmt-hierdoch-nicht-Blick an.
»Äh, toll, Joghurt! Ich möchte Joghurt!«, ruft Ole und versucht, dabei so unschuldig dreinzublicken wie Samson, der Zwergdackel seiner ehemaligen Nachbarin Frau Wussel.
»Fein! Lang zu! Joghurt ist gesund«, sagt Oles Papa und erklärt: »Beim Wort Joghurt liegt die Betonung übrigens auf dem Selbstlaut O. JO-ghurt. Und jetzt du, Ole: JO-ghurt.«
»JO-ghurt«, spricht Ole seinem Vater nach.
Seit Oles Papa die Umschulung zum Logopäden macht, nimmt er es mit der deutlichen Aussprache sehr genau. Etwas zu genau für Oles Geschmack.
»Super!«, lobt Oles Vater. »Ich bin ja froh, dass du wieder ordentlich frühstückst. Seit dem Umzug hast du gegessen wie ein Spatz. Mama und ich, wir haben uns schon Sorgen gemacht.« Oles Papa setzt seine Brille ab und reibt sich über die müden Augen. »Wir müssen uns alle neu eingewöhnen. Die neue Schule … Mamas neuer Job … meine Umschulung …«, sagt Oles Vater und schenkt sich aus der Thermoskanne einen dampfenden Becher Kaffee ein. »Gibst du mir mal bitte die Milch aus dem Kühlschrank?«,
»Ähm«, antwortet Ole, denn er hält die Sache mit der Milch für keine gute Idee.
»Schnuffelsocke, träumst du? Die Milch bitte.«
Vorsichtig öffnet Ole die Kühlschranktür einen Spaltbreit und als das Kühlschranklicht angeht, glaubt er nicht, was er da sieht: Zwischen all den säuberlich ausgeschlabberten Joghurtbechern, den leeren Oliven-, Gurken- und Senfgläsern, den angeknabberten Möhren und der ausgetrunkenen Ketchupflasche sitzt der Schneeti im Käsefach und beißt in den höllisch stinkenden Stinkbombenkäse, den Oles Mama und Opa Ottokar so gerne essen.
»Harzer Röller!!! Jöm-jöm, willst du auch mal pröbieren?«, fragt der Schneeti mit vollen Backen.
Sprachlos schüttelt Ole den Kopf. Genüsslich schleckt sich der Schneeti zum Nachtisch einen Rest Mangojoghurt von den Pfotentatzen, als sich plötzlich seine kleinen Nasenlöcher weiten.
»Ka-Ka-Kaffeee!!!«, jauchzt der Schneeti und schnüffelt wie hypnotisiert Richtung Küchentisch. Und noch ehe Ole dem kleinen Vielfraß die Kühlschranktür vor der Schnüffelnase zuschlagen kann, ist der Schneeti schon mit einem dreifachen Salto über Oles Kopf hinweg auf den Frühstückstisch gehopst und trinkt den randvollen Kaffeebecher in einem Zug leer. Und dann passiert alles rasend schnell: Der Schneeti rollt mit den Augen, plustert sich auf und zischt wie ein schneeweißer Blitz durch die Küche. So schnell, dass Ole ihn kaum sehen kann. Der Schneeti hopst vom Tisch auf den Küchenschrank, vom Küchenschrank auf den Kühlschrank, vom Kühlschrank aufs Gewürzregal, vom Gewürzregal in die Petersilie, von der Petersilie in den Ofenhandschuh, vom Ofenhandschuh auf die Thermoskanne, hoch auf die Küchenlampe, runter in Oles Pulloverkragen.
»Aufhören! Das kitzelt!«, kreischt Ole, als der kaltwarme Schneeti unter seinem Pullover vom linken zum rechten und vom rechten zum linken Ärmelbündchen saust wie ein Meerschweinchen mit Raketenantrieb. Ole schüttelt sich vor Lachen. Da haut sein Vater, der sich bei dem Radau überhaupt nicht mehr konzentrieren kann, mit der Zeitung auf den Tisch. »Ole, hast du einen Clown gefrühstückt oder was ist heute mit dir los?«
»Los? Genau … Du sagst es, Papa! Haha! Ich … ich muss jetzt ganz schnell lo-hos!« Ole schnappt sich seine Brotbox und die Kühltasche mit der Kanada-Flagge und läuft kichernd aus der Küche.
»Ole! Hast du meinen Kaffee getrunken?
Kein Wunder, dass du so aufgekratzt bist! Kaffee ist nichts für Kinder!«, hört Ole seinen Vater schimpfen, als er im Rekordtempo in seine riesige Opa-Strickjacke schlüpft. Mit offenen Schnürsenkeln und einem aufgekratzten, kitzelnden Schneewesen unterm Pullover, verlässt er schnell die Wohnung, bevor sein Vater auch noch das Chaos im Kühlschrank entdeckt.