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Rosen-Rendezvous in Mailand

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„Ach, Kathleen, ich finde es so toll von dir, dass du diesen Auftrag so kurzfristig für mich übernehmen kannst.“ Diana von Rosenberg war begeistert. Kathleen, die Tochter ihrer Freundin Iris aus Schultagen, die sie seit deren Kindheitstagen kannte und von der sie wusste, dass sie eine begeisterte und sehr ambitionierte Hobbyfotografin war, hatte sich gerade am Telefon bereit erklärt, für Diana von Rosenberg nach Mailand zu fliegen.

Zu dumm aber auch, dass sich Tim, Diana von Rosenbergs Haus- und Hoffotograf, ausgerechnet jetzt den Fuß beim Tennisspielen hatte brechen müssen! Die Bilder für ihre neue Ausstellung in der Rosenberg-Galerie mussten in den Kasten, sie waren sowieso eigentlich viel zu spät dran, denn immerhin waren nur noch knapp acht Wochen Zeit bis zur Ausstellungseröffnung.

Einmal im Jahr lud die Galeristin aus Hamburg Freunde, Bekannte und vor allen Dingen natürlich Geschäftspartner zu einem großen Event ein. In diesem Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto Italienische Momente. Zu sehen sein sollten dieses Mal aber nicht nur Werke begnadeter junger Künstler, sondern auch Fotos, die Stimmungen einfingen. Tim, ihr Fotograf, war bereits in Rom und Neapel gewesen, in Florenz, Venedig und Verona, Siena und Turin, hatte Bilder von Menschen, von Gebäuden und Situationen eingefangen – doch nach Mailand hatte er es noch nicht geschafft. Für den 3. Juli waren Flug und Hotel gebucht, doch ausgerechnet drei Tage vorher musste dieser Kerl tatsächlich auf dem Tennisplatz über seine eigenen Füße stolpern und sich das Bein brechen.

„Herzchen“, hatte Tim nach der Diagnose zu Diana gesagt und dabei gelacht, „das ist doch kein Beinbruch, es wird bei der Eröffnung im Oktober ja wohl auch ohne Mailand gehen.“

„Italien ohne Mailand“, hatte Diana entrüstet gesagt „das ist wie Pisa ohne den Schiefen Turm!“ Nein, das ging gar nicht. Mailändische Impressionen musste es geben, schließlich waren viele ihrer Geschäftspartnerinnen regelmäßig bei der Mailänder Modewoche zu Gast, um sich – natürlich – über die neuesten modischen Trends zu informieren.

Vor allen Dingen aber, um zu sehen und gesehen zu werden. Wie sollte sie diesen Damen wohl erklären, dass ihr Fotograf es nicht nach Mailand geschafft hatte? Diana war zu sehr Perfektionistin, um ihre eigene Kunstausstellung um dieses Highlight zu bringen. Ihre Ausstellungseröffnung war für Ende September geplant, da kamen die Damen gerade erst von der Settimana della moda di Milano zurück und würden sicherlich sofort bemerken, dass ausgerechnet Mailand bei den fotografischen Impressionen fehlte.

Hinzu kam aber noch, und das wog nicht minder schwer, dass sich eine der aktuell angesagtesten Designerinnen aus Mailand mit ihren außergewöhnlichen Werken zu der Ausstellung angekündigt hatte. Und der hatte Diana von Rosenberg nicht nur einen ganz besonderen Raum für ihre Ausstellungsstücke versprochen, sondern auch Fotografien, die die Gesichter und das Lebensgefühl Mailands, dieser quirligen Großstadt, widerspiegelten ...

Diana von Rosenberg gab jedoch nie vorschnell auf. Und bei einem Telefonat mit ihrer Schulfreundin Iris, die mit ihrer Familie seit vielen Jahren in Düsseldorf lebte und der sie von diesem kleinen Drama um die Mailänder Fotografien erzählt hatte, war Iris die Idee gekommen, ihre Tochter Kathleen könne doch den Job übernehmen.

„Du weißt doch“, hatte Iris gesagt, „dass Kathy schon seit vielen Jahren kaum ohne ihre Kamera aus dem Haus geht. Ihre Bilder sind wirklich sehr schön. Und sie hat damit sogar schon einmal eine kleine Ausstellung bei uns in Düsseldorf bestückt, die in der Presse recht positiv besprochen wurde. Überleg es dir, ich kann Kathleen gerne sagen, dass sie sich einmal bei dir telefonisch melden soll.“

Nach anfänglichem Zögern hatte Diana von Rosenberg schließlich zugestimmt, es mit der Tochter ihrer Freundin zu versuchen. Und nachdem ihr diese einige Fotografien von Kathleen via E-Mail gesendet hatte, war die Galeristin sogar recht angetan gewesen. Letztendlich hatte sie ja nichts zu verlieren. Entsprächen die Bilder von Kathleen nicht ihren Erwartungen oder wären gar richtig schlecht, dann würde sie sie einfach nicht ausstellen. Basta!

„Diana, du weißt doch, wenn Mama mich um einen Gefallen bittet, dann helfe ich gerne“, antwortete Kathleen gerade am Telefon in Dianas Begeisterungssturm auf ihre Zusage hinein. „Und wenn ich dann noch für dich nach Mailand fliegen kann, na, da wäre ich ja schön dumm, wenn ich dieses Angebot nicht annehmen würde, Tantchen ...“

„Ich warne dich“, rief Diana von Rosenberg gespielt entrüstet. „Tantchen, du weißt doch, wie ich diesen Ausdruck hasse!“

Als Kathleen noch klein gewesen war, hatte Iris ihrer Tochter nämlich immer wieder einmal gesagt, sie solle Diana, die damals in Münster im gefühlt 20. Semester Kunstgeschichte studierte, doch einfach Tante nennen, denn die Kleine hatte das Wort Diana stets so komisch ausgesprochen, dass man den Namen kaum je verstanden hatte. Und dabei war es dann über viele Jahre hinweg geblieben, bis sich Diana schließlich vehement gegen das Tante gewehrt hatte.

„Das macht mich doch irgendwie alt“, hatte sie lächelnd zu Kathleen gesagt. Die hatte dann darauf verzichtet und ärgerte die gute Freundin ihrer Mutter nur noch hin und wieder einmal damit, denn sie wusste, wie sehr sich Diana von Rosenberg darüber echauffieren konnte.

„Na gut, liebe Diana“, entgegnete Kathleen nun, „ich fliege für dich zu einem rosenbergschen Rendezvous nach Mailand. Soll ich alles buchen oder willst du das machen?“

„Lass meine Sekretärin das machen, sie schickt dir dann die Unterlagen zu. Dann brauchst du dich um nichts zu kümmern.“

„Gut, so machen wir es. Wann soll ich fliegen?“

„Passt es dir Ende Juli?“

„Hervorragend“, antwortete Kathleen. „Dann haben wir bereits vorlesungsfreie Zeit und ich verpasse nichts an der Uni.“ Und sie fügte noch hinzu: „Und was bek...“

Weiter kam sie nicht. „Du weißt doch, Kathleen, dass man in meinen Kreisen nicht über Geld spricht“, sagte Diana von Rosenberg. „Aber ich weiß nur zu gut, dass man als Studentin immer ein wenig um Geld verlegen ist. Also“, Diana von Rosenberg zog das Wort sehr breit, „ich zahle Hotel, Flug und eine Tagespauschale für deine sonstigen Ausgaben. Sagen wir mal 420 Euro pro Tag. Und ich denke, du wirst sicherlich so acht bis zehn Tage in Mailand verweilen müssen, um alles vor die Linse zu bekommen, was ich mir so vorstelle.“

Kathleen wäre fast in einen Jubelschrei ausgebrochen. Wenn sie im Kopf schnell überflog, dann waren das locker einmal 4000 Euro für den Job – so viel verdiente sie sonst nicht einmal in drei Monaten.

Gerade als sie Diana von Rosenberg antworten wollte, sagte diese: „Und dann zahle ich dir natürlich auch noch für jedes Foto, das wir ausstellen werden, ein angemessenes Honorar. Ich muss nur noch kurz mit Tim darüber sprechen, wo da aktuell der Satz liegt, aber ich denke, du wirst zufrieden sein. Und“, sie machte eine kurze Pause, „wie ich Tim, diesen Halunken, kenne, wird er für dich sicherlich noch einmal einen schönen Batzen Geld rausschlagen.“

Damit hatte Kathleen nicht gerechnet. „Wow“, entfuhr es ihr deshalb gleich, „das ist ja super von dir, vielen Dank!“

„Heißt aber auch“, antwortete Diana von Rosenberg nun ganz geschäftsmäßig, „wenn wir keines deiner Fotos verwenden können, dann gibt es kein Extra mehr. Letztendlich wird Tim später deine Fotos auswerten und schauen, welche wir für die Ausstellung im September auf Großformat ziehen und präsentieren können.“

„Aber klar doch, Diana, kein Problem, so machen wir es.“ Mit nichts anderem hatte Kathleen gerechnet, es war aber auch egal. Sie würde sicherlich ihre Tagespauschale in Mailand nicht aufbrauchen, sodass ihr nach diesem Auftrag auch ohne weiteres Bildhonorar ausreichend Geld für die nächsten Wochen zur Verfügung stehen würde. Und dann noch Mailand! Was wollte sie zum Ende des Semesters mehr?

Nachdem sie sich von Diana von Rosenberg verabschiedet und mit ihr verabredet hatte, in den nächsten Tagen mit Dianas Haus- und Hoffotografen Tim ein ausführliches Telefonat zu führen, damit er sie für die Aufgaben in Mailand briefen könne, hockte sie sich wieder an ihren Schreibtisch.

Bis zum Ende des Semesters waren nicht mehr ganz drei Wochen Zeit und sie musste noch ihre Seminararbeit für diesen alten Stinkstiefel der Vergleichenden Sprachwissenschaft schreiben, worauf Kathleen überhaupt keine Lust hatte. Seit Wochen quälte sie sich durch dieses elendige Thema, das ihr so gar keinen Spaß machte, aber Pflichtprogramm ihres Germanistikstudiums war. Und Professor Dr. Dr. Heinz Hubertus Hubensiel nahm es mit den Seminararbeiten seiner Studenten sehr genau und ließ gerne auch mal den einen oder anderen eine Arbeit zweimal schreiben.

Allein sein Name war schon ein Witz, wenn man dann aber den kleinen, verstaubten Professor selbst kannte, wusste man sogleich, warum er sich ausgerechnet seinen Forschungsschwerpunkt gewählt hatte – als Philologe und Volkskundler beschäftigte er sich seit Jahrzehnten mit Flur- und Straßennamen im Münsterland. Gab es etwas Langweiligeres?

Leider hatte Kathleen erst im Laufe des Sommersemesters erkannt, wie schrecklich dieses Thema wirklich war. Nun aber gab es kein Zurück mehr – die Seminararbeit musste abgegeben werden, ob sie wollte oder nicht.

Kathleen hatte zwar bereits einen Studienabschluss in der Tasche, doch der Bachelor of Arts reichte ihr eigentlich nicht aus, deshalb hatte sie gleich noch einen Masterstudiengang Germanistik angeschlossen. Nicht zuletzt, weil ihre Mutter, die ebenfalls in den 80er-Jahren an der Johannes-Gutenberg-Universität Münster Germanistik studiert hatte, immer wieder betonte, dass ein Bachelor doch eigentlich gar kein richtiger Studienabschluss sei.

„Das ist für mich nicht mehr als der Abschluss eines Grundstudiums. Wie willst du denn in den paar Semestern Grundlagen für deine spätere berufliche Tätigkeit schaffen?“, hatte Iris mehr als einmal in Gesprächen betont. Sie hatte sowieso nie verstanden, dass man unbedingt das schöne alte Magister-Hochschulstudium so hatte herabwürdigen müssen und sich nun seit Jahren ein Großteil der Studenten stets nur mit diesem Bachelorabschluss begnügte.

„Bildung braucht Zeit“, war ihr Leitspruch und sie hatte Kathleen geraten, auf jeden Fall noch einen Masterstudiengang zu absolvieren.

Und das tat Kathleen nun auch. Eigentlich machte ihr das Studium sogar recht viel Freude, wären da nicht diese Pflichtveranstaltungen, die man besuchen musste und die so gar nicht Kathleens quirliger Art entsprachen. Vergleichende Sprachwissenschaft, das hörte sich schön förmlich nach Langeweile an. Eigentlich hatte sie den Kurs zum Thema Namensforschung bei Professor Dr. Dr. Heinz Hubertus Hubensiel auch nur gewählt, um etwas mehr über ihren eigenen Familiennamen Ayte erfahren zu können. Na ja, und weil sie eben ein Seminar in diesem Bereich belegen musste. Warum dann also nicht das Unabwendbare mit dem Nützlichen verbinden?

Gerade als Kathleen sich wieder ihrer Seminararbeit zuwenden wollte, klingelte das Smartphone erneut. Der Name, den das Display anzeigte, ließ Kathleens Herz ein wenig schneller schlagen. „Christian, ich freue mich, dass du anrufst“, sagte sie zur Begrüßung und wechselte vom Schreibtisch zu ihrem gemütlichen Bettsofa, denn Gespräche mit Christian dauerten für gewöhnlich etwas länger.

Christian Kahler war einer von Kathleens Professoren in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft während des Bachelorstudiums gewesen. Einer von denen, der mit Lust und Leidenschaft seinen Fachbereich vertrat. Stundenlang hatte Kathleen mit ihm über Brecht diskutiert ... und sich schließlich Hals über Kopf in den 45-Jährigen verliebt.

Zunächst hatte sie gar nicht zu hoffen gewagt, dass er ihre Gefühle erwidern könnte, denn Christian, das wusste Kathleen, war verheiratet und hatte zwei bezaubernde Töchter. Doch beim Uni-Sommerfest vor zwei Jahren hatte er sanft ihre Hand genommen und ihr ins Ohr geraunt, dass sie eine ganz besondere Frau sei. Eine begehrenswerte Frau! Dann hatte er sie geküsst. Zart und vorsichtig und dann immer heftiger und fordernder. Wie zwei Teenager, die es kaum erwarten konnten, eins zu werden.

Und so war es schon fast selbstverständlich gewesen, dass sie an diesem Abend gemeinsam in Kathleens Studentenbude gegangen waren und sich die ganze Nacht über voller Hingabe geliebt hatten.

In dem Bett, auf das sich Kathleen nun gemütlich niedergelassen hatte.

Christian und Kathleen waren seitdem ein Paar. Ganz fest. Und hätte es nicht die Ehefrau und die zwei Töchter gegeben, wäre es sicherlich eine ganz normale Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau gewesen, die sich einzig von anderen Beziehungen dadurch unterschied, dass er 20 Jahre älter als sie war. Doch das war in der heutigen Zeit ja nichts Besonderes mehr.

Aber es gab eben diese Ehefrau, mit der Christian seit fast 20 Jahren verheiratet war. Und es gab zwei Töchter, acht und zehn Jahre alt. Immer wieder hatte Christian, wenn er mit Kathleen über eine gemeinsame Zukunft gesprochen hatte, betont, dass er seine Frau doch jetzt, wo die Mädchen noch so klein seien, unmöglich verlassen könne. In ein paar Jahren aber, da wäre er für sie frei. Für Kathleen, für seine große Liebe.

Lange Zeit hatte Kathleen Christians Worten Glauben geschenkt und sich in die Rolle der Zweitfrau eingefunden. Hatte nur die Zeit mit ihm verbracht, die er seiner Familie hatte abringen können. Dann hatte Christian sie mit zu Tagungen genommen und auch schon mal zu seinem Kurzurlaub eingeladen. Aber an den Wochenenden, in den Ferien, an Feiertagen, da hatte er in der Regel keine Zeit für sie. Die verbrachte er mit Christiane, seiner Frau, und den Kindern.

Christian hatte Kathleen einmal erzählt, dass Christiane und er sich in ihrer Studentenzeit ineinander verliebt und dann auch ganz schnell geheiratet hätten. Während er eine wissenschaftliche Karriere eingeschlagen hatte, hatte Christiane sich mehr und mehr in ein Hausfrauendasein geflüchtet. Und auch zwischendurch in Depressionen, weil es mit dem Kinderkriegen nicht so geklappt hatte, wie sie sich das gewünscht hätte.

„Ich hatte schon ganz das Interesse an Christiane verloren und mit dem Gedanken gespielt, mich scheiden zu lassen“, hatte Christian eines Tages über seine Beziehung erzählt, „da kam sie und sagte, sie sei schwanger. Ich war so glücklich in dem Moment, dass ich unsere Ehe gar nicht mehr infrage stellte. Bis nach der Geburt des zweiten Kindes.“

Damals, so Christian, hätte Christiane sich zu einer Art Übermutter entwickelt, die für ihn als Mann irgendwann nicht mehr attraktiv gewesen sei. Vor allen Dingen aber, so betonte Christian immer und immer wieder, habe er den geistigen Austausch mit ihr vermisst. Von alledem, was sie einst zu Studentenzeiten verbunden hatte – die Lust an Büchern und die stundenlangen Diskussionen darüber –, war nach zwei Jahrzehnten Ehe nichts mehr übrig geblieben.

„Wenn ich heute einen Schriftsteller für mich neu entdecke und ihn Christiane vorstellen möchte, dann winkt sie jedes Mal ab. Sie sei zu müde, sie habe an dem Buch kein Interesse. Ich weiß nicht mal genau, ob Christiane in den letzten Jahren überhaupt noch ein Buch gelesen hat“, hatte Christian Kathleen erzählt. „Deshalb habe ich mich ja in dich verliebt. Unsere hitzigen Diskussionen im Seminar über Brecht. Deine Ansichten zu seinen Werken, die sich von meinen so sehr unterscheiden und dennoch so interessant sind. In dir habe ich eine Frau gefunden, mit der ich nicht nur körperlich harmoniere, denn der Sex mit dir ist einzigartig, sondern die auch meinem Geist guttut.“

Das aus dem Mund eines etablierten Germanistikprofessors zu hören, hatte Kathleen damals natürlich ungemein geschmeichelt. Dennoch war sie in den letzten 24 Monaten immer skeptischer dieser Beziehung in Warteschleife gegenüber geworden. Nicht zuletzt, seit sie vor acht Wochen zufällig Christian und Christiane Arm in Arm am Aasee gesehen hatte. Und da hatte es nicht so gewirkt, als hätte Christian tatsächlich das Interesse an seiner Frau verloren, denn er hatte sie voller Leidenschaft geküsst.

Als Kathleen ihn abends am Telefon darauf angesprochen hatte, hatte er abgewehrt. „Das war doch kein hingebungsvoller Kuss“, hatte er entrüstet gesagt. „Du müsstest doch wohl am besten wissen, wie es ist, wenn ich leidenschaftlich küsse. Ich habe Christiane nur einen kurzen Kuss auf den Mund gegeben, mehr nicht. Das werde ich als ihr Ehemann ja noch tun dürfen, ohne mich zu rechtfertigen. Oder?“

Wenn Kathleen die beiden nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dann hätte sie ihm an dieser Stelle sicherlich geglaubt. Aber seitdem saß ein Stachel tief in ihrem Herzen, der verdammt wehtat, wenn sie darüber ernsthaft nachdachte.

„Ja, meine Süße“, antwortete Christian jetzt auf Kathleens Begrüßung hin. „Ich hatte Sehnsucht nach dir und wollte deine Stimme hören.“

Kathleen kuschelte sich ein wenig in die Decke ein, die auf ihrem Bettsofa lag, das tagsüber als Sitzmöbel diente. „Und ich dachte, du kommst heute noch vorbei“, entgegnete sie, denn genau das hatten die beiden mittags in der Mensa verabredet.

Dort trafen sie sich fast täglich, denn unter den vielen Leuten fiel es nicht auf, wenn sie zusammensaßen und aßen oder auch nur einen Kaffee tranken. Bislang hatte wohl auch noch niemand an der Uni mitbekommen, dass sie mehr als nur Professor und Studentin waren, denn natürlich traten sie in Münster, wenn sie sich sahen, nie als Paar auf. Und sie hatten sich auch nur das eine Mal auf dem Sommerfest vor zwei Jahren in der Öffentlichkeit geküsst, was aber zu dieser vorgerückten und beschwipsten Stunde wohl niemand um sie herum wirklich mitbekommen hatte.

„Ich kann nicht kommen, tut mir leid. Ich muss mit Christiane und den Kindern zu meinen Schwiegereltern. Ich hab da heute Mittag gar nicht mehr dran gedacht.“ Christian machte eine kurze Pause. „Aber, Liebe meines Lebens, morgen sehen wir uns ganz bestimmt. Und dann bleibe ich über Nacht und wir tun viele wunderbare Dinge. Zieh doch was Nettes an, wenn ich komme. Meine Frau bleibt zwei Tage bei ihren Eltern, sie will mit ihrem Vater irgendwelche Papiere sortieren. Und dann bin ich nur für dich da. Versprochen! Bis morgen. Und nicht vergessen: Ich liebe dich! Gute Nacht.“

Trotz dieser Ankündigung blieb nach dem Telefonat mit Christian in Kathleen eine gewisse Bitterkeit zurück. So oft hatte sie sich schon von ihrem Geliebten vertrösten lassen. So oft hatte er wegen seiner Familie Verabredungen nicht eingehalten. Kathleen war gerade einmal 25 Jahre alt. Sollte das ihr ganzes Leben so weitergehen? Wann würde sich Christian endlich scheiden lassen? Würde er sich überhaupt jemals scheiden lassen?

Sie hatte keine Lust mehr, an ihrer Seminararbeit zu arbeiten. Christian hatte ihr wieder einmal einen Tag so richtig schön versaut. Wann war er das letzte Mal bei ihr zu Hause gewesen? Das war sicherlich schon zwei Wochen her. Sie öffnete eine Flasche Rotwein, schenkte sich ein Glas ein und prostete sich selbst zu.

***

Als Kathleen am nächsten Morgen erwachte, war die Bitterkeit des letzten Abends noch immer nicht ganz verflogen. Sie hatte sich in dieser Nachte stundenlang mit dem Gedanken gequält, ob es nicht besser wäre, die Beziehung zu Christian zu beenden. Das täte sicherlich erst einmal weh, aber noch schrecklicher wäre es, wenn sie über Jahre hinweg ein solches Schattendasein als Frau führen müsste. Immer nur auf halber Fahrt, manchmal nicht mal das. Trotzdem freute sie sich auf die Begegnung mit ihrem Geliebten am heutigen Tag. Er hatte ihr nachts noch eine SMS geschrieben, dass er gegen 20 Uhr bei ihr sein würde. Und sich sehr auf diese schönen Stunden mit ihr freute.

Kathleen setzte sich an ihren Schreibtisch. Jetzt hatte sie ein paar Stunden für sich ... und Professor Dr. Dr. Heinz Hubertus Hubensiel. Wenn sie sich beeilte, konnte sie diese elendige Arbeit über Namensforschung vielleicht sogar bis zum Abend abschließen.

Christian stand schließlich Punkt 20 Uhr vor ihrer Tür – da hatte Kathleen nicht nur ihre Seminararbeit beendet, sondern auch die trüben Gedanken über ihre Beziehung zu Christian einfach zur Seite schieben können. Sie freute sich auf das Zusammensein mit ihm und hatte sich besonders viel Mühe gegeben, dieses Mal nicht wie eine fleißige Studentin, sondern wie eine aufreizende Geliebte auszusehen. Sollte Christian doch einmal sehen, was er verpasste, wenn er nicht häufiger zu ihr kam. Und vor allem sollte er sehen, dass sie alles andere als ein biederes Hausmütterchen war.

Umso mehr staunte Christian, als Kathleen ihm nun die Tür auf High Heels und nur in aufreizenden Dessous öffnete. Das hatte er noch nie bei ihr erlebt und konnte kaum noch die Tür hinter sich schließen, bis sie ihm fast die Kleider vom Leib riss.

„Das wünscht ihr Männer euch doch, oder?“, säuselte sie ihm ins Ohr.

Und weil er vor lauter Begierde nur noch nicken konnte, zog sie ihn auf ihr Bettsofa und die beiden liebten sich, als seien sie ausgehungert. So fordernd, dass Christian später nur noch sagen konnte: „Das war die schönste Nacht, die ich je in meinem Leben erlebt habe. Ich liebe dich so sehr.“

***

Die zwei Tage mit Christian gingen schnell vorbei. Sie hatten diese Zeit – fast – wie ein ganz normales Liebespaar verbringen können.

Christian hatte sie am Samstagmorgen nach Enschede entführt, um mit ihr ein wenig bummeln zu gehen. „Ich möchte, dass du heute Abend bezaubernd aussiehst“, hatte er gesagt und sie von einem Modegeschäft ins andere gezogen. „Such dir aus, was du möchtest, ich zahle.“

Sein Angebot kam Kathleen tatsächlich dieses Mal sehr gelegen. Ihr Kleiderschrank gab schon lange nichts Besonderes mehr her und im Angesicht der Tatsache, dass sie in Kürze nach Mailand fliegen sollte – wovon sie Christian allerdings noch nichts erzählt hatte –, kam ihr sein Angebot doch sehr verlockend vor. Ein paar neue Klamotten für den Trip in Italiens Modemetropole Numero eins konnten sicherlich nicht schaden. Schließlich wusste sie noch nicht so genau, wer oder was sie dort erwartete. Außerdem fand sie es tatsächlich sehr aufregend, einmal ganz ungezwungen mit Christian in der Öffentlichkeit umgehen zu können, denn hier in Enschede kannte sie niemand. So nahm sie überall, wo es nur ging, seine Hand und küsste ihn am laufenden Band, was auch Christian zu gefallen schien.

Nach dem Ausflug nach Enschede waren die beiden nicht nur mit prall gefüllten Einkaufstaschen in Kathleens kleine Wohnung zurückgekehrt, sondern auch mit allerlei Leckereien, die sie in einem Spezialitätengeschäft etwas außerhalb der Stadt eingekauft hatten. An diesem Abend genossen sie die vielen kleinen Gaumenfreuden und sich gegenseitig ...

Und so fiel es besonders Kathleen schwer, als Christian am Sonntagmorgen nach dem Frühstück zu ihr sagte: „Meine Schöne. Ich muss los. Meine Schwiegereltern erwarten mich zum Mittagessen. Aber es waren zwei aufregende Tage mit dir. Das werden wir bald wiederholen.“

Sekunden später stand er an ihrer Tür und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.

Kathleen war den Tränen nahe. Schon wieder musste sie ihn gehen lassen. Und dann fiel ihr ein, dass sie ihm noch nicht von Mailand berichtet hatte. „Schatz, bevor du gehst, muss ich dir noch etwas sagen“, fing sie an zu erzählen. „Ich habe von Diana von Rosenberg einen Job bekommen. Sie traut mir zu, dass ich nach Mailand reise und dort Fotos für ihre nächste Ausstellung mache. In gut zwei Wochen muss ich los, Ende Juli. Ich werde etwa zehn Tage weg sein. Vielleicht könntest du ...“

Weiter kam sie nicht, denn Christian unterbrach sie. „Ach, das ist ja wunderbar, ein Rosen-Rendezvous in Mailand“, sagte er. „Dann muss ich ja kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mit Christiane und den Kindern drei Wochen an die Ostsee fahre. Hatte ich dir noch nicht erzählt. Aber ist ja egal, jetzt hast du auch was vor. Ich wünsche dir viel Spaß in Mailand.“ Und mit diesen Worten und einem in die Luft gehauchten Kuss zog Christian die Tür von Kathleens Wohnung einfach hinter sich ins Schloss.

Wenn Kathleen während dieser wundervollen zwei Tage mit ihrem Geliebten auch nur ansatzweise gehofft hatte, dass Christian sie vielleicht nach Mailand begleiten würde, so war nun jede Hoffnung darauf zerstört.

Und noch viel mehr. Denn Christian hatte in den zwei Jahren ihrer Beziehung noch nie mehr als acht Tage Ferien mit seiner Frau gemacht. Umso erstaunter hatte sie deshalb soeben vernommen, dass er sich mit Christiane und den Kindern nun gleich drei Wochen an der Ostsee eingemietet hatte – ohne sie auch nur ansatzweise im Vorfeld in seine Pläne einzuweihen.

So schön die letzten Stunden mit Christian auch gewesen waren, umso trauriger war Kathleen nun. Und die Zweifel an dieser Beziehung waren plötzlich stärker als je zuvor ...

***

Bis zu ihrer Abreise nach Mailand gab es noch einige Dinge zu erledigen, sodass Kathleen in den folgenden Tagen tatsächlich die Gedanken an ihren Geliebten ein wenig verdrängen konnte.

Tim, Diana von Rosenbergs Haus- und Hoffotograf, hatte Kathleen gleich mehrmals angerufen und sie für ihren Job in Mailand gebrieft. Er wusste, was Diana an Fotos für die Ausstellung erwartete, und hatte der Kleinen, wie er Kathleen stets liebevoll nannte, gerne bereitwillig darüber Auskunft gegeben. Zunächst hatten sie per Smartphone kommuniziert, dann aber hatte Tim darauf bestanden, mit ihr zu skypen. Er könne ja leider aufgrund seines gebrochenen Fußes nicht nach Münster kommen, hatte er bedauernd geäußert, aber ihre Kameraausrüstung wolle er sich dennoch einmal ansehen. Schließlich käme es bei einem solchen Job nicht nur auf das künstlerische Auge des Fotografen, sondern natürlich auch auf das technische Equipment an.

So hatte Kathleen bereitwillig Objektiv für Objektiv vor die Linse ihres Laptops gehalten und Tim stundenlang erklärt, wie und wo sie in der Regel welches Zubehör für ihre Kamera einsetzte. Der hatte stets aufmerksam zugehört, Tipps gegeben und Kathleen zu der ein oder anderen Sonderausstattung geraten, die sie sich doch auf jeden Fall noch anschaffen sollte.

„Mach dir über die Kosten keine Gedanken, das kläre ich mit Diana“, hatte Tim fürsorglich gesagt. „Ich weiß doch, dass du als Studentin das Geld nicht unbedingt locker sitzen hast. Also soll Diana mal ein bisschen was rausrücken, damit du ihr fantastische Bilder aus Mailand mitbringen kannst.“

Natürlich hatte sich Tim auch eine ganze Auswahl an Fotos von Kathleen zumailen lassen. Und sich nach deren Sichtung mehr als begeistert gezeigt.

„Mädel“, hatte er gesagt, „lass die Literatur sausen und komm zu mir nach Hamburg. Ich mach aus dir die beste Fotografin, die mir je begegnet ist.“

Kathleen hatte dies anfangs für einen Scherz gehalten, doch Tim hatte sein Angebot mehr als einmal in ihren Gesprächen wiederholt. Und als Kathleen einmal erwidert hatte, ob es ihm vielleicht nicht nur um sie ginge, da hatte er herzhaft und laut gelacht.

„Mädel, ich bin so stockschwul, du könntest nackt neben mir liegen und es würde sich nichts regen. Das kann ich dir versichern. Und: Mein Mann Frido würde schon gut auf uns aufpassen. Nein, um das, an was du denkst, geht es mir bei dir nicht. Es geht mir wirklich nur um deine Kunst. Was ich bislang an Fotografien von dir gesehen habe, zeigt mir, dass du auf dem Weg bist, eine echte Künstlerin zu werden. Dabei würde ich dich gerne begleiten. Ich weiß, wann ich ein Ausnahmetalent an der Kamera entdeckt habe, dafür habe ich hier in meinem Studio schon zu viele Nieten gesehen, die sich allerdings selbst alle ohne Ausnahme für echte Talente hielten. Und wenn dieser verdammte gebrochene Fuß nicht wäre, würde ich mit dir nach Mailand fliegen.“

Kathleen hörte, wie am anderen Ende der Leitung im Hintergrund geflüstert wurde, verstand aber die Worte nicht. Auf ihre Nachfrage antwortete Tim: „Frido hat gerade geflüstert, ich solle dir ausrichten, du würdest das auch alleine schaffen. Ich solle dir Mut machen und dir nicht das Gefühl geben, du würdest das ohne mich nicht hinkriegen. Deshalb, Kathleen, noch einmal meine Versicherung: Du schaffst das und wirst großartige Bilder mitbringen. Da sind Frido und ich uns sicher.“

***

Am Tag vor Kathleens Abreise waren auch die Flugtickets und die Hotelreservierung endlich bei ihr angekommen. Diana von Rosenbergs Sekretärin hatte es offensichtlich nicht besonders eilig damit gehabt. Nun war Kathleen froh, alles in Händen halten zu können. Und da sie darauf bestanden hatte, von Düsseldorf aus nach Mailand zu fliegen, weil sie bei ihren Eltern, die in der Hauptstadt NRWs lebten, noch die große Kamera abholen musste, die sie bei ihrem letzten Besuch ihrem Vater für einige Fotoarbeiten geliehen hatte, drängte die Zeit tatsächlich ein wenig.

Der Koffer und die Fototasche waren gepackt, nur von Christian hatte sich Kathleen aufgrund der Vorbereitungen noch nicht persönlich verabschieden können. Da sie wusste, dass er so wenige Tage nach Vorlesungsende immer noch einmal für Ordnung in seinem Büro in der Uni sorgte, beschloss sie, ihm auf dem Weg zum Bahnhof einen Kurzbesuch abzustatten. Sicherlich würde er sich freuen, sie zu sehen, bevor sie nach Düsseldorf abfuhr. Kurzerhand schickte sie ihm eine SMS, dass sie gleich bei ihm sein werde, und verließ die Wohnung.

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