Читать книгу Der Hase - Ein Fabelroman - Lorenzo Emanuele Tomasello - Страница 4
ОглавлениеVorgeschichte
Auf der Erdnordhalbkugel befand sich in einer gemäßigten Zone ein großstadtgroßer Wald, der eine Vielzahl an Bäumen, Pflanzen und Tieren beherbergte; es wimmelte dort nur so von Leben. Im Inneren des Waldes gab es riesige Eichen und Fichten, hin und wieder sah man auch mehrere Meter hohe Ahorne und Birken. Unter der Erde konkurrierten Baumwurzeln um Wasser und lebensnotwendige Mineralstoffe, darüber wuchs Gras, wild und unregelmäßig; an einigen Stellen stand es in kräftigen Büscheln, während es an anderen nur spärlich wuchs.
Menschenartige Hasenwesen lebten dort in steinzeitlichen Verhältnissen. Ihre zwei frontal sichtbaren Schneidezähne im oberen und unteren Kiefer waren ausschlaggebend für ihre vegetarische Nahrung, die aus Obst und Gemüse bestand. Ihre Gestalt war schlank, denn sie aßen instinktiv nur, was sie zum Überleben brauchten.
Charakteristisch war ihr dunkles Fell, das ihnen Schutz vor nachtaktiven Räubern bot, da sie dadurch in der Dunkelheit schwerer zu erkennen waren. Ihre Blume saß am Steißbein und wurde zur nonverbalen Kommunikation eingesetzt, um sich gegenseitig vor einer Gefahr zu warnen, denn mit ihren beiden langen Ohren bekamen sie selbst das leistete Geräusch ihrer Fressfeinde mit und konnten daher meist rechtzeitig Sicherheitsvorkehrungen treffen. Zusätzlich konnten die Hasenwesen das Feuer bändigen, wodurch sie Raubtiere fernhielten. Wie die Menschen, so gingen auch die Hasenwesen aufrecht, um Materialien für ihren Bau transportieren zu können. Sie lebten in hoch entwickelten Gemeinschaften und besaßen als sprachbegabte Wesen Stimmbänder zur verbalen Kommunikation und Stärkung des sozialen Zusammenhaltes. Trotz ihrer soziohierarchischen Strukturen handelten Hasenwesen stets gerecht und verantwortungsvoll, denn sie wollten nur das Beste für die anderen. Das Leben in der Gemeinschaft war für sie überlebenswichtig.
Ihr Fortpflanzungsverhalten war dem der Menschen ähnlich. Sie gingen lebenslange Partnerschaften ein und blieben zeit ihres Lebens mit ihren Jungen zusammen, um ihnen zu helfen, das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen und ihnen dann auch beim Großziehen deren Jungen beizustehen, sodass die Überlebenschancen dadurch zunahmen. Die Weibchen gebaren ihre Nachkommen lebend zu jeder Jahreszeit.
Eines Nachts, bei stürmischem Wetter mit Donner und Blitzen, kam in einer Hasenwesenfamilie ein männliches Jungtier zur Welt. Dieser junge Hase liebte seinen Wald vom ersten Tag an. Oft ging er heimlich auf Erkundungstour, dann rannte er durch den Wald und sprang ausgelassen über umgefallene Bäume. Seine Eltern wollten das nicht, weil der Wald trotz seiner Schönheit gefährlich war. Es gab dort jede Menge Wölfe, Bären und andere Raubtiere, die auch Hasenwesen fraßen, wenn ihnen eines über den Weg lief. Trotz dieser Gefahren hatte das Jungtier keine Angst, es tat aber dennoch meistens, was seine Eltern ihm sagten.
*
Das großstadtgroße bewaldete Gebiet grenzte an eine Stadt namens Silva, in der es einige kleine innerstädtische Wälder gab. Durch den großstadtgroßen Wald und die Stadt floss ein breiter Fluss, den nur geübte Schwimmer durchqueren konnten. Der Hafen war klein, sogar der kleinste der Welt; nur wenig Handel wurde mit anderen Städten und Ländern betrieben. Vielmehr wurde ein hoher Wert auf regionales und jahreszeitgerechtes Obst und Gemüse gelegt, um dem heimischen Verbraucher frische Lebensmittel anbieten zu können, wodurch die Beförderungswege kürzer waren und die Umwelt geschont wurde. Dennoch gab es viele Fähren, die hauptsächlich die Menschen Silvas von einem Ort zum anderen transportierten, aber auch diese nutzten den kürzesten Fahrweg, um ihre Reisegäste möglichst treibstoffsparend an die jeweiligen Ziele zu bringen.
Neben der wirtschaftlichen Nutzung des Flusses galt dieser auch als Ort der Erholung und Entspannung. Dort gab es weite Felder für Strandfußball. Deren Bau war vor etlichen Jahren von der Stadtbehörde in Auftrag gegeben worden, um die Jugend zu motivieren, sich draußen zu bewegen, damit ihre körperliche Gesundheit positiv gefördert wurde, und tatsächlich sah man nach der Fertigstellung dieser Felder fast immer Jugendliche darauf spielen.
*
Arnold war ein dreitagebärtiger silvanischer Geschäftsmann. Er war ein hellhäutiger Nordmensch mit langen Armen und Beinen, schiefen Zähnen und einem birnenförmigen Kopf; braune Locken fielen ihm ins Gesicht. Seit er denken konnte, lebte er in Silva. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen und hatte sich ohne Hilfe seiner Eltern hochgearbeitet, denn die waren in seiner Kindheit aufgrund schlechter Ernährung an Krebs gestorben. Nach ihrem Tod hatte er niemanden gehabt, der sich um ihn kümmern konnte. Seine einzige Erinnerung an die verstorbenen Eltern war eine Gitarre, die sie ihm zum Geburtstag schenkten. Damals hatte sein Vater ihm beigebracht, dass man durch das Spielen darauf die Harmonie der Natur zu erkennen lernte: Eine harmonische Melodie erfüllte die Welt mit Frieden und verband alles Lebende miteinander. Laut seines Vaters war es die Aufgabe eines jeden Musikers, das perfekte Zusammenspiel der Töne zu begreifen und sich mit dem wahren Sein zu verbinden.
Nachdem seine Eltern ihn verlassen hatten, war er dem Leben auf der Straße schutzlos aufgeliefert gewesen. Fast alles hatte er verloren, außer diese Gitarre. Um über die Runden zu kommen, spielte Arnold damit auf den Straßen der Stadt, aber das Geld, das man ihm gab, reichte gerade so aus, um sich etwas zu essen zu kaufen.
Irgendwann hatte er keine Lust mehr, auf der Straße zu leben. Er nahm sich vor, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ein wohlhabender Mensch zu werden. Um ungestört an seinen musikalischen Fähigkeiten arbeiten zu können, zog er sich oftmals in die kleinen Wälder der Stadt zurück, wo er stundenlang probte und sich immer wieder an die Verbundenheit zur Natur erinnerte.
Mit der Zeit wurde er als Straßenmusiker immer beliebter. Menschen aus allen Ecken der Stadt kamen und baten ihn, auf ihren Konzerten zu spielen. Später hatte Arnold so viel Geld beisammen, dass er sich eine eigene Wohnung leisten konnte, in die er Zimmerpflanzen stellte. Immer, wenn er schwere Zeiten durchmachte und an seinen musikalischen Fertigkeiten zweifelte, reichte ihm ein Blick auf seine wunderschönen Pflanzen, und er fühlte inneren Frieden. Aber trotzdem wünschte er sich einen eigenen Garten.
Jahre vergingen, bevor er sich durch harte Arbeit ein Haus mit einem weitläufigen Garten kaufen konnte. Umso größer war seine Freude, weil er sah, dass seine Anstrengungen sich gelohnt hatten.
Als wohlhabender Mann entdeckte Arnold das Golfspiel für sich. Innerhalb kurzer Zeit wurde er ein begeisterter Golfer, dem es Spaß machte, auf dem Rasen und an der frischen Luft körperlicher Aktivität nachzugehen. Besonders gefiel ihm, wie man durch die einfache Kombination von Rasen, Schläger, Ball und Loch ein komplexes Spiel hervorbringen konnte, wobei das Versenken des Balles im Loch jedes Mal eine neue Herausforderung war, weil es unzählige Wege gab, wie man den Ball mit dem Schläger treffen konnte, um an sein Ziel zu kommen. Das erinnerte ihn an die Desoxyribonukleinsäure, das Molekül des Lebens, durch die sich mit der alleinigen Kombination der vier Nukleinbasen Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin die unterschiedlichsten Formen von Lebewesen ausbilden können, was beweist, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, um erfolgreich in einem bestimmten Habitat angepasst zu sein und sich dadurch das Überleben zu sichern.
Als Arnold das Gefühl hatte, sich mit der Natur verbunden zu haben, wollte er das auch seinen Mitmenschen ermöglichen. Somit gab er arbeitslosen Gärtnern Aufgaben und ließ sie bei sich im Garten tätig werden. Oftmals lud er Freunde aus seinem Golfverein zu sich ein, und sie verbrachten Stunden in seinen Garten.
Bei den vielen Gesprächen und Beobachtungen seiner Mitmenschen fiel Arnold eine Sache auf, die ihn neben seiner erfolgreichen Karriere als Gitarrenspieler sehr beschäftigte: Bei vielen Jugendlichen hatte er bemerkt, wie diese sich erschreckten, sobald sie in Kontakt mit Insekten kamen. Das Leben in der Stadt hatte sie von diesen Lebewesen getrennt, sie hatten den harmonischen Kontakt zu ihnen verloren. Auch wenn am Strand von Silva weite Felder für Fußball vorhanden waren und man Jugendliche dort spielen sah, gab es trotzdem viele, die oft den ganzen Tag zu Hause blieben und die eigenen vier Wände kaum verließen. Arnold sah kaum Kinder draußen im Schlamm spielen. Nach seiner Meinung war der mangelnde Kontakt mit den vielfältigen Bakterien dafür verantwortlich, wenn Kinder und Jugendliche eine schwache körpereigene Abwehr ausbildeten. Konsequenterweise wurden jene, die meist zu Hause blieben, öfters krank. Arnold wünschte sich aus tiefstem Herzen, dass er der Gesellschaft helfen könnte, sich mit der Natur so zu verbinden, wie er es selbst getan hatte.
Somit fasste er irgendwann den Entschluss, eine Bildungseinrichtung erbauen zu lassen. Da in der zivilisierten Stadt keine Naturnähe umsetzbar war, wollte er eine Schule in der Nähe des großstadtgroßen Waldes bauen lassen, fernab vom Zentrum, aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Jener Wald war nämlich von Menschenhand unberührt, und Arnold hielt es für eine gute Idee, einen Teil des Waldes zu opfern, um die Jugend aus der Stadt zu locken, sodass die Kinder in aller Ruhe wieder zur Natur zurückfinden konnten. Doch dafür musste ein Teil des riesigen Waldes gerodet werden, und um dies in die Tat umzusetzen, brauchte Arnold die Genehmigung der Stadtbehörde.
Die Behörde zweifelte die Notwendigkeit für die Rodung an: »In der Stadt gibt es genug Platz, um eine neue Schule zu bauen.« Doch Arnold hatte stur immer und immer wieder darauf bestanden: »Diese Schule soll die Schüler an die Natur heranführen, und deshalb ist ihr Standort im Wald notwendig. In der Stadt fehlt nämlich fast gänzlich der Bezug zur Natur.« Am Ende gab die Stadtbehörde nach und genehmigte den Bau. Sie sah ein, dass Naturnähe sich wohl nur im Wald verwirklichen ließ. Diese Schule sollte ein Privatgymnasium für Abiturienten sein, deren Eltern den Schulbesuch bezahlten. Für ihren Bau wurden die erfahrensten Handwerker hinzugezogen. Arnold wollte alle zum Staunen bringen.
*
Alfred war schon lange ein fanatischer Umweltschützer. In seiner Kindheit war er ein begeisterter Kletterer gewesen und auf die höchsten Bäume gekraxelt. Es hatte ihm großen Spaß gemacht, Meter für Meter die schwierigsten Stämme zu erklimmen und am Ende die Aussicht zu genießen. Damals gab es in der Nachbarschaft einen riesigen Tannenbaum, auf den er am liebsten geklettert war. Seine Eltern machten sich immer Sorgen, denn sie hatten Angst, der kleine Alfred könne beim Klettern vom Baum fallen und sich verletzen. Aber Alfred scherten die elterlichen Sorgen nicht, und er kletterte trotzdem immer wieder begeistert hinauf. Seine Eltern klagten über sein ungehorsames Verhalten. Wütend zürnte einmal der Vater: »Alfred, hoffentlich verletzt du dich mal am Baum, damit du mit dieser gefährlichen Kletterei aufhörst.« Hin und wieder rutschte der kleine Alfred auch aus und fiel auf den grasbewachsenen Boden. Dabei schlug er sich einmal leicht sein Knie auf, sodass es blutete, und er weinte, aber seine Eltern trösteten ihn nicht. Nachdem er sich ausgeweint hatte, kletterte er trotzig wieder auf den Baum, als habe er sich nie verletzt.
Nichts konnte ihm die Freude an seinem Baum nehmen. Am Ende verboten seine Eltern ihm nicht mehr, den Baum zu besteigen, denn sie hatten schließlich akzeptiert, dass Alfred manchmal frech und abenteuerlustig war, wie kleine Kinder es eben sind.
Eines Tages, während Alfred auf dem Baum die Aussicht genoss, kamen zwei fremde Männer. Als sie ihn entdeckten, verscheuchten sie ihn mit lautem Gebrüll: »Weg da, Kleiner!« Aber Alfred lief nicht weg, sondern versteckte sich in einem Gebüsch und beobachtete die beiden heimlich. Sie hatten alte grüne Arbeitskleidung an und hielten Kettensägen in den Händen. Dann gingen sie zu seinem Baum und begannen gelassen, an dessen Stamm zu sägen. Zentimeter für Zentimeter fraß sich die Kettensäge hinein, bis der Baum nachgab und in seiner ganzen Länge zu Boden krachte. Wo eben noch eine prächtige Tanne gestanden hatte, war nur noch ein lebloser Baumstumpf übrig. Hilflos hatte der kleine Alfred alles mit angesehen und schaute nun schockiert auf den Baumstumpf. Eine Weile betrachtete er ihn traurig. Tränen kullerten über seine Wangen. Dann lief, er so schnell er konnte, schluchzend nach Hause.
Bald fand er einen anderen Baum, den er beklettern konnte, aber der war viel kleiner als sein Tannenbaum. Jedes Mal, wenn er dort oben war, erinnerte er sich an seinen ersten Baum, den man vor seinen Augen abgesägt hatte. Weit und breit war kein anderer Baum zu finden, der den alten Tannenbaum ersetzen konnte. Seit er sich erinnern konnte, hatte es ihn gegeben, immer war er für ihn da gewesen. Er hatte sich mit ihm verbunden gefühlt, als wäre er ein Teil von ihm, der ihm jetzt genommen war. Seine Eltern dachten zunächst, seine Trauer und Verzweiflung wären bloß eine Marotte, aber der Verlust des Baumes bedeutete für den kleinen Alfred sehr viel mehr.
An einem sonnigen Tag fand er einen schwarzen Käfer auf dem Spielplatz. Er ließ ihn auf seiner Hand krabbeln und beobachtete fasziniert, wie geschickt der Käfer sich zwischen den Fingern bewegte. Andere Kinder schaukelten währenddessen oder bauten Sandburgen, die Eltern schauten ihnen beim Spielen zu. Da kam ein gleichaltriger Junge mit Brille und gegelten kurzen Haaren auf den kleinen Alfred zu. Er war neu hier und seine Eltern noch mit dem Umzug beschäftigt. Hektisch trugen sie einen Karton nach dem anderen in ihre neue Wohnung, ohne auf ihren Sohn zu achten. Er hieß Benjamin und war etwas dicker als die anderen. Als Alfred ihn bemerkte, zeigte er Benjamin begeistert seinen krabbelnden Käfer; er staunte immer noch, wie das kleine Insekt es schaffte, sich mit seinen vielen Beinchen so schnell und elegant zu bewegen. Aber Benjamin verzog nur das Gesicht und schaute den Käfer angeekelt an. Alfred hockte sich hin und ließ den Käfer von seiner Hand auf den Boden krabbeln. Da machte Benjamin einen schnellen Schritt und zertrat den Käfer mit dem Fuß. Der kleine Alfred kochte vor Wut. Wie konnte Benjamin nur so etwas tun? Was für ein Mörder! Er hat den Käfer zerquetscht, weil er daran Gefallen fand, ihn zu töten, dachte Alfred.
Es war die erste Prügelei seines Lebens, als Alfred begann, auf Benjamin einzuschlagen. Die Eltern der beiden kamen angelaufen und trennten sie voneinander. Alfred hatte Benjamin die Vorderzähne ausgeschlagen und bekam eine Woche Hausarrest dafür.
Ein andermal war der kleine Alfred mit seinen Eltern am Fluss. Es war warm, und er zog gleich seine Badehose an, um ins Wasser zu gehen. Da bemerkte er plötzlich einen Plastikbecher und eine Tüte auf der Wasseroberfläche schwimmen. Als er sie nehmen und einen Mülleimer dafür suchen wollte, sah er, dass sich am Ufer schon ganz viel Müll gesammelt hatte. Überall lagen Plastikflaschen, Geschirr und Verpackungen herum und der Fluss schwemmte immer mehr an, man konnte regelrecht zusehen, wie mit jeder Welle weiterer Müll ans Ufer gespült wurde. Dann auf einmal hieß es, niemand dürfe mehr im Fluss baden, die Rettungswacht hatte es wegen des vielen Mülls gerade verboten. Der kleine Alfred verstand nicht, was geschehen war. Sonst war der Fluss immer durchsichtig und klar gewesen. Sogar ohne Taucherbrille hatte er die elegant schwimmenden Fische beobachten können. Nun war alles verschmutzt, und auch Fische sah man nicht mehr.
An diesen Tag am Fluss, an dem der ganze Müll angeschwemmt wurde, erinnerte Alfred sich so gut, als sei es gestern gewesen.
Er war inzwischen ein kräftiger dreißigjähriger Mann geworden. Er trug ausschließlich Naturkleidung, die in Kleinbetrieben ohne Gentechnik hergestellt wurde. Seine schwarzen glatten Kopfhaare reichten ihm bis auf die Schultern, und den vollen langen Bart hatte er sich wachsen lassen, weil er schon immer leidenschaftlicher Anhänger der These war, dass jeder reife Mann einen solchen tragen sollte. Erst mit seinem Bart fühlte er sich männlich und dominant. Aber auch sonst war er stolz auf seine Körperbehaarung, die Arme, Beine, Achseln, Brust und noch einige weitere Stellen dicht bedeckte. Er sah sie als ein Geschenk der Natur und bedankte sich täglich dafür. Auf seinen Armen schimmerten durch die Haare hindurch große Narben, welche die Geschichte einer brutalen Auseinandersetzung erzählten:
Eines Tages war Alfred in den Park gegangen, um sich zu entspannen. Der Park bestand aus mehreren weitläufigen Wiesen, die von vereinzelt stehenden Bäumen umgeben waren. Warum Menschen wenige weit auseinandergepflanzte Bäume schöner fanden als viele auf einem Haufen, so wie in einem Wald, würde Alfred nie verstehen. So kam ihm der Park leer vor, und er suchte sich einen Platz im Schatten von einem der wenigen Bäume. Doch aus seiner Entspannung wurde nichts, denn ein kleines Stück von Alfred entfernt standen vier Männer auf der Wiese und tranken lärmend Bier aus Plastikflaschen. Drei von ihnen waren tätowiert und trugen Piercings, nur der vierte nicht. Alfred erkannte ihn sogleich wieder: Es war Benjamin. Aus dem dicken Kind von damals war ein Erwachsener geworden, dessen Übergewicht rekordverdächtig war. Ohne Tätowierungen und Piercings fiel er unter den anderen sofort auf. Trotzdem akzeptierten seine Kameraden ihn, das war offensichtlich. Inzwischen hatte sich seine Sehschärfe offenbar weiter verschlechtert, denn er trug eine Brille mit noch dickeren Gläser. Benjamin trank sein Bier, als sei es Wasser. Alfred schenkte der Gruppe anfangs keine Beachtung, doch das änderte sich, als die ersten Bierflaschen ausgetrunken waren und die Männer sie lachend in die Gegend warfen. Alfred wurde wütend. Was für eine Umweltverschmutzung! Eine Unverschämtheit! Er ging auf Benjamin zu und befahl ihm: »Hebe die Bierflaschen auf und entsorge sie anständig!« Jener lachte ihn nur aus: »Der kleine Saubermann ist da.« Da explodierte Alfred vor Wut und gab Benjamin zwei kräftige Lowkicks rechts und links in die Oberschenkel. Der heulte vor Schmerz auf. Da sprangen die anderen beiden auf, zogen ihre Messer und attackierten Alfred. Schützend hob der die Arme vors Gesicht und schrie: »Hilfe!« Einige Jogger riefen Polizei und Krankenwagen, während die Täter sich aus dem Staub machten und den blutenden Alfred auf der Wiese liegen ließen. Der Krankenwagen kam gerade noch zur rechten Zeit, sonst wäre Alfred verblutet.
Alfred war stolz auf seine Narben. Jede einzelne galt ihm als Zeichen für seinen Kampfgeist und seine Überzeugungen, die ihn zutiefst erfüllten. Nachdem er sich im Krankenhaus erholt hatte und entlassen worden war, wurde er ein radikaler Umweltaktivist. Zunächst trat er einer Öko-Partei bei und arbeitete sich schnell zu einem der führenden Mitglieder hoch. Gleichzeitig organisierte er verdeckt mit einer kleinen radikalen Gruppe eine Umweltkontrolle, denn es gab viele Menschen in der Stadt, die ihren Müll einfach auf den Boden oder in die falsche Mülltonne warfen. Dieser Barbarei wollte Alfred ein Ende machen und schickte mit Baseballschlägern bewaffnete Männer auf Patrouille. Sobald sie jemanden entdeckten, der seinen Müll achtlos fortwarf, forderten sie ihn auf, ihn korrekt zu entsorgen, ansonsten setzte es Prügel. Sie errichteten ein regelrechtes Terrorregime des Umweltschutzes, was nicht bei allen Gleichgesinnten gerne gesehen wurde.
Einmal trafen Alfred und seine Aktivisten auch wieder auf Benjamin und dessen Kameraden. Denen war langweilig und sie wollten herausfinden, wie viele Mülltonnen sie wohl an einem Tag umkippen konnten, ohne dass jemand sie daran hinderte. Die Passanten, die es sahen, trauten sich nicht, einzuschreiten. Dann kamen Alfred und seine Leute vorbei. Das war die Gelegenheit! Diesmal sollten die Kerle nicht so leicht davonkommen, und zur Abwechslung landeten jetzt Benjamin und seine Freunde im Krankenhaus.
Das hatte für Alfred allerdings dramatische Konsequenzen. Aufgrund seines Radikalismus wurde er aus der Partei geworfen und fand keine neue, die bereit war, ihn aufzunehmen, denn die Stadt Silva hatte ihm jede politische Beteiligung untersagt. Nachdem er nicht mehr aktiv werden und für seine Überzeugungen kämpfen durfte, beschloss er, die zivilisierte Welt zu verlassen. Das Stadtleben war nichts mehr für ihn. Seine Freunde verstanden ihn nicht, hielten ihn gar für verrückt: »Du hast den Verstand verloren! Werde wieder vernünftig!«
Alfred war enttäuscht: »Wie könnt ihr nur so etwas Gemeines sagen?« Wo blieb ihre Kameradschaft? Schon bei seinen umweltpolitischen Aktionen waren sie ihm nicht zur Seite gestanden, auch seine Familie nicht, sondern fremde Parteimitglieder hatten ihn unterstützt. Alle, die ihn im Stich gelassen hatten, sollten keinen Platz mehr in seinem Leben haben, und so ging er in den Wald.
Er litt nicht unter der Einsamkeit, im Gegenteil genoss er es, keinen Stress mehr zu haben. Keine verhasste Bürokratie, die immer alles zu Papier bringen musste, ohne dass es jemandem half. Viele Bäumen hätten gerettet werden können, wenn die Bürokraten das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden könnten und nicht für jede Kleinigkeit eine Bescheinigung verlangen würden. Alfred dachte oft an die Bäume, die wegen der Bürokratie der Menschen gefällt werden mussten. Er gehörte zu den wenigen, welche die Natur achteten und respektierten.
Niemand sonst lebte in dem Waldgebiet, in das er gegangen war, jedenfalls hatte er noch keinen gesehen. Nichts liebte er mehr als die Wälder. Ihre Schönheit war für ihn überwältigend. Er liebte das Vogelzwitschern, den Chor der verschiedenen Vogelstimmen und das Plätschern und Rauschen der Bäche und Flüsse. Die Geräusche der Natur entspannten ihn. Er hatte sich eine Hütte mit einem flachen Dach gebaut, in deren Inneres eine Holztreppe führte. Die Hütte war so winzig klein, dass gerade mal eine zweite Person noch hineinpasste. Er hatte sie so platzsparend wie möglich gebaut, um die Natur zu schonen, denn auch wenn er es hasste, musste er dafür ein paar im Weg stehende Bäume fällen. Es hatte ihn einiges an Überwindung gekostet, auch nur einen seiner geliebten Bäume abzusägen. Als seine Waldhütte fertig war, hatte er sich geschworen, niemals wieder auch nur einen einzigen Baum zu fällen. Er entschuldigte sich bei der Natur: »Ich bitte um Vergebung. Dies ist meine erste und letzte Hütte, die ich je in meinen Leben gebaut habe.« Er lebte von dem, was die Natur ihm gab, und sobald er ein Sättigungsgefühl verspürte, hörte er mit dem Essen auf. Auch sonst achtete und pflegte er seinen Körper. Das Leben im Wald hatte seine Gesundheit verbessert, wozu die bewusste Ernährung und die frische Waldluft beitrugen.
Eines Tages, während Alfred auf der Jagd war und hinter Bäumen nach Beutetieren Ausschau hielt, sah er zufällig Arnold mit weiteren Geschäftsmännern. Sie trugen schwarze Anzüge, graue Hemden und weiße Krawatten. Neben ihnen standen vier glatzköpfige Leibwächter mit geladenen Pistolen. Sie sahen auf den ersten Blick alle gleich aus, wie Vierlinge. Ihre Nasen waren verformt, weil sie in ihrem Leben schon an unzähligen Schlägereien beteiligt gewesen waren. Keiner der Männer bemerkte ihn. Arnold und die anderen unterhielten sich miteinander und sprachen klar und deutlich, jedoch sehr leise. Im Schutz der Büsche schlich Alfred sich vorsichtig heran, sodass er dem Gespräch unauffällig lauschen konnte. Konzentriert beobachtete er jede einzelne Bewegung der Fremden. Sie sprachen über den Bau einer Privatschule in diesem Waldgebiet. Alfred wollte nicht glauben, was er da hörte.
Arnold war gekommen, um sich einen Überblick über das zu rodende Waldgebiet zu verschaffen. Es wurde auch der Tag festgelegt, an dem die Holzfäller kommen sollten, um mit ihrer Arbeit zu beginnen. Alfred musste sich beherrschen. Er hätte sie gleich auf der Stelle alle umbringen wollen, jedoch konnte er das nicht riskieren. Die Leibwächter waren mit Pistolen bewaffnet, während Alfred nur eine Steinschleuder hatte. Selbst wenn er einen von ihnen traf, würden die anderen ihn sofort erschießen. Er durfte sein Leben nicht aufs Spiel setzen.
Die Geschäftsleute gingen wieder, und Alfred kehrte zu seiner Hütte zurück. Was er soeben erfahren hatte, verdarb ihm gehörig den Tag. Anstatt weiter zu jagen, dachte er über die Neuigkeiten nach und kam zu dem Ergebnis, dass die Unternehmer genügend Platz in der Großstadt hatten, um ihre Schule dort zu bauen. Ärgerlicherweise hatte die Stadtbehörde diesen Bau schon genehmigt. Alfred war außer sich. Wie konnte das sein? Es war eine schreiende Ungerechtigkeit! Hatten die Menschen den Verstand verloren?
Für ihn waren Städte ein grundsätzliches Übel, nirgendwo lebten die Menschen naturfremder als dort. Seit den ersten städtischen Ansiedelungen hatte es unzählige Rodungen gegeben. Aber auch mit Ackerbau und Landwirtschaft war Alfred nicht gut Freund, weil sie den Pflanzenreichtum bedrohten. Warum lebten die Menschen nicht einfach im Einklang mit der Natur? Keine andere Art handelte so gegen die natürliche Ordnung wie sie.
Alfred verstand nicht, warum vielen Wirtschaft, Luxus und monetärer Erfolg wichtiger als die Umwelt waren. Wenn man seine Welt zerstörte, konnte man mit Wohlstand und Reichtum doch gar nichts anfangen! Den Bau dieser neuen Bildungseinrichtung wollte er jedenfalls nicht dulden. Auf keinen Fall durfte hier eine Schule entstehen! Er nahm sich vor, den Bau zu sabotieren und nötigenfalls einen Widerstand zu organisieren. Niemand hatte das Recht, die Natur zu zerstören, fand er: Weil sie uns erschaffen hat und wir ohne sie nicht leben können. Überheblichkeit brachte dem Menschen Selbstzerstörung, davon war Alfred überzeugt.
Er kannte die Hasenwesen, die ein harmonisches Verhältnis mit ihrer Umwelt pflegten. Er war der einzige Mensch, der ebenso respektvoll mit der Natur umging, sodass sie ihn in ihre Gemeinschaft aufnahmen, nachdem er einmal einem jungen Hasenwesen geholfen und es vor einem Raubtier beschützt hatte. Das Junge hatte nicht auf seine Eltern gehört und sich in Gefahr gebracht, als es sich zu weit von seinem Bau entfernte. Ein Fuchs hatte seine Witterung aufgenommen und war kurz davor gewesen, das Kleine zu fressen, da hatte Alfred das Raubtier mit seiner Steinschleuder niedergestreckt. Das junge Hasenwesen war gerettet worden, und Alfred hatte für die nächsten Tage etwas zu essen, denn er nahm den toten Fuchs mit in seine Hütte, häutete ihn und grillte das Fleisch. Es schmeckte nach Wildnis. Er ließ sich beim Kauen Zeit und genoss das eher exotische Mahl.
Nach dieser Rettung hatte sich zunächst eine Freundschaft mit den Eltern des Jungen entwickelt, die sich später auf die ganze Gemeinschaft der Hasenwesen ausdehnte, die Alfred mehr wie hasenartige Menschenwesen vorkamen. So friedlich diese Wesen auch waren, konnte ihre Friedfertigkeit schnell in Gewalt umschlagen, wenn sie sich bedroht fühlten. So war Alfred auf die Idee gekommen, mit ihnen eine Widerstandsbewegung zu organisieren, die auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen bereit sein würde, wenn es um den Schutz ihrer Umwelt ging. So wie durch diese Schule, die bald im Wald gebaut werden sollte.
*
Arbeiter kamen, um die ersten Bäume zu fällen – Arnold hatte sie von seinem Stadtbüro aus in den Wald geschickt. Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten: Mehrere Hasenwesen stellten sich den Holzfällern in den Weg und schützten die Bäume mit ihren Körpern. Damit hatte niemand gerechnet. Die Arbeiter versuchten, die Hasen von den Bäumen zu trennen, und schlugen schließlich sogar auf sie ein, woraufhin die Sache eskalierte: Alfred versammelte nun alle seine Hasenwesenfreunde aus der Widerstandsbewegung und setzte zum Gegenschlag an. Sie beschädigten sämtliche Geräte und verletzten einige Waldarbeiter so stark, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Daraufhin kam es zu Protesten seitens der Arbeiter gegen Arnold und seine Geschäftspartner: »Wir fordern mehr Sicherheit bei der Arbeit!« Arnold konnte gut verstehen, warum die Männer so aufgebracht waren. Er schickte Botschafter zu Alfred, die mit ihm über den beabsichtigten Bau der Naturschule und die umweltschützenden Ziele von Arnold sprachen. Sie betonten, wie gut es der Unternehmer mit der heutigen Jugend meinte.
Alfred hielt Arnolds Pläne für widersinnig. Warum musste der Kerl einen Teil des kostbaren Waldes roden, wenn man genauso gut eine Naturschule in der Stadt bauen konnte? Das wäre viel besser – und dazu dann regelmäßige Ausflüge in den Wald, also Naturverbundenheit lehren, ohne die Natur dabei zu schädigen. Das wäre viel logischer. Zunächst sagte Alfred aber erst mal zu, den Widerstand einzustellen, damit die Leute wieder abzogen, doch er hatte bereits beschlossen, weiterzumachen, wenn der Bau der Schule nicht gestoppt wurde. Dieser Arnold hatte offensichtlich den Verstand verloren, und irgendjemand musste ihn ja aufhalten.
Gleich am nächsten Tag veranlasste Alfred, den Widerstand fortzusetzen. Die Schäden, die er mit seinen Hasenwesen verursachte, waren hoch und trafen Arnold hart. Dieser berief daraufhin eine Versammlung ein, um sich mit den Managern zu beraten, was sie gegen Alfreds Radikalismus unternehmen könnten. Auf diesem Treffen berechneten sie nochmals die angerichteten Schäden. Er war unermesslich wütend und entschied nach langem Überlegen, Alfred zur Strafe selbst in einen Baum zu verwandeln. Er fand, Alfred müsse lernen, in Harmonie mit der Natur zu leben. Dieser selbst ernannte Umweltschützer hatte mitten im Wald Bäume gefällt, um sich eine Holzhütte bauen zu können, und sabotierte nun den Bau einer wichtigen Schule, wodurch er zukünftige Generationen von der Natur fernhalten würde. Arnold wollte diesem Mann auf seine Art und Weise helfen. Wenn Alfred ein Dasein als Baum führen würde, meinte Arnold, dann wäre er durch seine Wurzeln mit Mutter Erde verbunden und könne aus dieser alle Nährstoffe beziehen, die er zum Leben brauche.
Arnold machten sie sich auf den Weg zu einem verlassenen Dorf, um ein Medium um Hilfe zu bitten. Jenes Dorf war vor Urzeiten wegen heftigen Winden von den Menschen aufgegeben worden. Inzwischen war es keiner Stadtbehörde mehr bekannt, und das Medium hatte sich dort niedergelassen, um ungestört seinen mystischen Tätigkeiten nachgehen zu können. Bevor es zu diesem Dorf gefunden hatte, war es, wie Arnold, obdachlos gewesen. Einmal war es so hungrig, dass er in einem Supermarkt etwas zu essen stahl und vor dem Besitzer floh. Zwar wusste dieser, dass man den Obdachlosen nicht verhaften würde, weil es Kosten verursachte, ihn durchzufüttern, aber trotzdem wollte er ihm eine Strafe zukommen lassen, und sei es eine Tracht Prügel, um ihm eine Lektion zu erteilen. Aus Angst, zum Krüppel geschlagen zu werden, fragte das Medium aus Verzweiflung damals den ihm unbekannten Bettler Arnold: »Darf ich mich für einen Augenblick unter deiner Decke bei dir verstecken?«
Sofort hatte Arnold dem zugestimmt: »Ja.« Er wusste nämlich, wie wichtig der Zusammenhalt auf der Straße war. Also versteckte sich das Medium unter Arnolds Decke, sodass der Supermarktbesitzer ihn nicht fand. Nachdem das Medium sicher war, bedankte es sich bei Arnold und schwor: »Wenn du irgendwann meine Hilfe brauchen solltest, lass es mich wissen, und ich werde tun, was ich kann.«
Schon immer war das Medium daran interessiert gewesen, mit Geistern in Kontakt zu treten, weil es die Natur als ein großes Mysterium sah und seiner Ansicht nach eine Verbindung mit dem wahren Sein nur erreicht werden könne, wenn man sich dem Unbegreifbaren widmete und die Dinge so akzeptierte, wie sie waren. Dank seiner beeindruckenden Fähigkeiten, mit Geistern zu kommunizieren, wurde der Mann für die mystische Welt interessant. Darum führten ihn die Geister in das verlassene Dorf, wo alle mystischen Angelegenheiten im Geheimen besprochen wurden.
Seit Jahren hatte sich das Medium gewünscht, seine Schuld bei Arnold begleichen zu können. Als er ihn kommen sah, freute er sich und fragte: »Was kann ich für dich tun?«
Arnold schilderte ihm sein Anliegen, und das Medium erklärte sich bereit, ihm zu helfen, obwohl es wusste, dass es damit verbotenerweise in das weltliche Geschehen eingriff und sich möglicherweise Probleme mit der mystischen Welt einhandelte. Er wollte aber unbedingt seine Schuld begleichen und nahm alles in Kauf.
*
Alfreds Verwandlung ereignete sich, als er in der Nacht seine Hütte verließ, um mit einer Fackel Richtung Baustelle zu gehen und das Gebiet für einen effektiv organisierten Widerstand genauer zu studieren.
Es fing kräftig an zu regnen, und die Fackel ging aus. Da tauchte plötzlich eine dämonische Gestalt vor ihm auf, die ihn mit ihrem grellen Licht blendete. Aus Furcht, zu erblinden, ließ Alfred die Fackel fallen und hielt sich die Augen zu. Im nächsten Augenblick spürte er, wie seine Füße am Erdboden zu kleben schienen. Panisch versuchte er, einen Schritt vor den nächsten zu setzen, aber es war nicht mehr möglich. Keinen einzigen Zentimeter bewegten sich seine Füße mehr und wurden plötzlich zu Wurzeln, während sein Körper sich in einen Baumstamm mit abzweigenden Ästen verwandelte.
Nachdem sich die Metamorphose vollzogen hatte, verschwand die dämonische Gestalt, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommen hätte. Doch das Medium hatte eines nicht berücksichtigt: Alfred die Fähigkeit zu sprechen zu nehmen – das hatte Arnold allerdings auch nicht ausdrücklich bestellt.
Wenngleich Alfred die Bäume des Waldes geliebt hatte, als wären sie ein Teil von ihm, war er doch immer als Mensch zufrieden gewesen und hätte sich niemals gewünscht, ein Baum zu sein. Weil ihm als Mensch viel mehr Handlungsmöglichkeiten gegeben waren, fühlte er sich nun vernichtend geschlagen. Er hatte versagt und konnte diesen herzlosen Geschäftsmann und seinen Managern nichts mehr anhaben.
Die Verwandlung machte ihm zu schaffen, denn seine Hasenfreunde wussten nicht das Geringste davon und vermuteten, dass ihm etwas zugestoßen war. Doch trotz Alfreds Verschwinden setzten sie ihren Widerstand gegen die Arbeiter im Wald fort und waren aggressiver denn je. Dennoch schien die Privatschule Stück für Stück Form anzunehmen. Die Hasenfamilie mit dem Jungtier wusste, dass die Bekämpfung der Arbeiter allein nicht ausreichen würde, um den Bau zu verhindern, aber sie hatten eine Idee: Als Feierabend war, schlichen sie zur Baustelle. Alle Handwerker waren nach einem langen Arbeitstag gegangen und wollten sich für den nächsten Werktag ausruhen. Die Familie kletterte über den Zaun der Baustelle und betrat das unfertige Bauwerk. Während das Vatertier schaute, ob wirklich kein Handwerker mehr da war, nutzte der kleine Hase mit seiner Mutter die Zeit, um in dem Gebäude ein Feuer zu legen. Bald fing es an zu qualmen. Erleichtert, dass niemand der Handwerker zu finden war, kehrte das Vatertier zu seiner Familie zurück, und sie beeilten sich, das Bauwerk zusammen zu verlassen. Die Hasenfamilie freute sich über ihren Erfolg.
Als die Feuerwehrmänner an der Baustelle ankamen, war das Gebäude schon fast vollständig niedergebrannt.
Die Hasenwesen waren stolz auf ihre Hasenfamilie, der es gelungen war, was andere Widerstandskämpfer bisher nicht geschafft hatten: Sie hatten die geplante Bildungseinrichtung zerstört. Dafür wurden sie nun im Wald in aller Öffentlichkeit geehrt. Besonders stolz waren die Eltern auf ihr Jungtier, das alles angezündet und sich in seinem Handeln als sehr reif und selbstbestimmt gezeigt hatte. So erkannte man ihn jetzt als Erwachsenen an, in deren Kreis er durch ein hasentraditionelles Ritual aufgenommen wurde: Vor allen Hasenwesen durfte er ein Feuer anzünden, was als symbolischer Akt des Beschützens galt. Als dies geschehen war, sah der junge Hase einen älteren auf sich zukommen. Sein langer weißer Bart war ein Beweis für all die Jahrzehnte, die er seinem Volk treu gedient hatte. Sie fielen einander in die Arme. Dabei applaudierte das Volk euphorisch. Eine feierliche Stimmung herrschte unter den Hasenwesen, alle tanzten miteinander und freuten sich. Aber es blieb eine Traurigkeit in ihnen, weil Alfred nicht dabei sein konnte. Sie hielten ihn für tot, denn seit Tagen hatte ihn niemand mehr gesehen. Er habe sich zum Wohle des Waldes geopfert, hieß es, und aus Dankbarkeit für seine Taten widmeten sie ihm einen Moment der Stille. Alle Hasenwesen schwiegen gemeinsam.
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Erst einen Tag nach dem Brand erfuhr Arnold von dem angerichteten Schaden. Diese Hasen gingen ihm langsam auf die Nerven. Der Wald war groß genug für alle, warum zogen sie sich nicht einfach tiefer in den Wald zurück und lebten dort naturverbunden, anstatt ihm das Leben zur Hölle zu machen? Sie waren gewaltbereiter, als man ihnen zugetraut hatte.
Die durch den Brand verursachten Schäden gingen in die Millionen, dennoch durfte die Regierung der Stadt Silva von den Hasenwesen nichts erfahren, da sie andernfalls das Waldgebiet zum Naturreservat erklären und die Hasenwesen in die Liste der geschützten Arten aufgenommen hätten. Dann würde der Bau der Privatschule komplett unmöglich werden, und die Jugend könnte nicht mehr zurück zur Natur finden, glaubte Arnold. Für eine Weile saß er schweigend in seinem Büro, dann kam ihm eine Idee.
Arnold beauftragte professionelle Jäger, um alle Hasenwesen zu töten. Schon seit Jahren waren die Jäger im Geschäft und jagten auf Wunsch jedes Tier in der Wildnis. Ihre Berufsphilosophie war es, den Menschen gesundes Fleisch zu bringen, weil Wildtiere sich nur von dem ernähren konnten, was für ihren Organismus geeignet war. Hinzu kam auch noch ihre große Bewegungsfreiheit, was die Qualität des Fleisches wesentlich verbesserte und zu riesigen Ersparnissen an Zuchtplätzen führte. Anfangs lehnten die Jäger den Auftrag von Arnold ab, weil es nicht ihrem Ideal entsprach, eine bestimmte Tierart auszurotten; ihr Anliegen war vielmehr eine gewisse Nachhaltigkeit. Dennoch mussten sie den Auftrag letztlich annehmen, weil die Menschen sich lieber billiges und ungesundes Fleisch kauften und sie nicht genug Aufträge bekamen. Es ging nicht nur den Jägern durch das Billigfleisch schlecht, die Menschen wurden davon krank und schadeten auch ehrlichen und nachhaltigen Händlern. Das war für alle von diesem Umstand Beteiligten eine vertrackte Situation, in der Arnold den Jägern eine hohe Summe bot. Durch dieses Geld erhofften sie sich einen Neustart, damit sie mit Wildfleisch wieder werben konnten und so ihrer ursprünglichen Philosophie nachgehen durften, damit die Welt ein besser Ort werden konnte. Damit sie mit gutem Gewissen diesem unmoralischen Auftrag nachgehen konnten, überredeten sich die Jäger gegenseitig, dass sie die Hasenwesen ausrotten mussten, damit die private Naturschule erbaut werden konnte und die junge Generation sich wieder mit der Natur verband. Auf diese Weise könnten sie dann wieder ihr Wildfleisch verkaufen, und am Ende würde alles gut werden.
Allen Jägern gemeinsam war ihre sportliche schwarze Uniform und als Ausrüstung ein gewöhnliches Jagdgewehr. Mehr war auch nicht nötig, um die in steinzeitlichen Verhältnissen lebenden Hasenwesen auszurotten. Arnold wollte seine Privatschule so schnell wie möglich fertig bekommen und endlich das erste Geld verdienen, insofern war ihm jedes Mittel recht. Er interessierte sich für Wohlstand nur insofern, als dass der ihm ermöglichte, seinen Umweltschutz aktiv zu betreiben und Einfluss auf andere potenzielle Sponsoren zu nehmen.
Die Jäger trafen sich zum vereinbarten Zeitpunkt vor dem Eingang der niedergebrannten Schule. Alle waren in ihren schwarzen Uniformen gekommen, nur Malus nicht. Stattdessen erschien er im orangefarbenen Pullover mit schwarzer Jogginghose und dunklen Sportschuhen beim Treffpunkt. Er hatte einen runden Kopf, der auf einem stämmigen Hals saß, und ungekämmte Haare.
Es war nicht das erste Mal, dass Malus ohne seine Uniform zu den Aufträgen erschien. Hin und wieder zog er seine Uniform als eine Art Protest nicht an. Er verstand kaum, warum alle Jäger so besessen davon waren, die gleiche Uniform anzuziehen. Aus seinen vielen Beobachtungen hatte er gelernt, dass die Natur ausnahmslos auf Einzigartigkeit setzte. Dies war ihm aufgefallen, als er erlegte Hirsche betrachtete. Auf den ersten Blick sahen sie alle gleich aus, doch wenn man genauer hinschaute, sah man kleine Unterschiede in der Gestalt. Seine Jägerkollegen warfen ihm verächtliche Blicke zu und verspotteten ihn: »Der Bauer ist gekommen.« Sie hielten seinen Auftritt für eine Unverschämtheit. Wie konnte man ohne Uniform zu einem solchen Auftrag auftauchen? Dennoch durfte Malus mit auf die Jagd, weil die Jäger wirklich jeden der Angestellten gebrauchen konnten, um die vielen Hasenwesen zu töten.
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Am Ende erschossen alle zusammen eine Unzahl von Hasen. Malus hatte sich besonders hervorgetan und im Vergleich zu seinen Jägerkollegen die meisten getötet. Er war ein erfahrener Jäger. Nur einige wenige Hasen fanden Zuflucht in einer abgelegenen Waldregion, wo sie sich versteckt hielten. Die Jäger hatten zwar den ganzen Wald durchkämmt, aber keine weiteren Hasenwesen mehr gesehen.
Die Hasenfamilie jedoch wurde schließlich noch aufgespürt und zu einem Abgrund gehetzt. Aus Verzweiflung schubsten die Eltern ihr Jungtier in den Fluss. Es geriet in Panik, denn noch nie war es aus so größer Höhe ins Wasser gefallen. Sie selbst waren den Jägern schutzlos ausgeliefert, als die ihre Schusswaffen weglegten und die Messer zogen, aber sie wollten ihre Haut teuer verkaufen. Die Jäger waren jedoch in der Überzahl und trieben die Eltern so dicht an den Abgrund, dass diese schließlich in die Tiefe stürzten. Sie fielen in den Fluss, und die Strömung zog sie zum Wasserfall.
Das Jungtier hatte nach seinem Sturz noch rechtzeitig den ins Wasser hängenden Ast eines Baumes greifen können und hielt sich daran fest, während seine Eltern von der Strömung mitgerissen wurden. Die Jäger dachten, auch das Jungtier wäre weggetrieben worden, und kehrten dem Abgrund den Rücken. Der kleine Hase kletterte am Wasserbaumstamm entlang zum Ufer und rettete sich tief in den Wald.
Seitdem hatte der Hase seine Eltern nicht mehr gesehen. Anfangs glaubte er noch, sie könnten wie durch ein Wunder den Sturz in die Tiefe überlebt haben, und hielt überall Ausschau nach ihnen. Doch er fand sie nicht und verlor schließlich die Hoffnung. Sie waren immer für ihn da gewesen, und jetzt war er plötzlich allein. Der Hase fühlte sich einsam und verlassen. In den ersten Tagen nach dem Tod seiner Eltern hatte er sogar an Selbstmord gedacht, aber etwas hielt ihn davon ab, denn die Elterntiere hatten ihr Leben für ihn geopfert und würden niemals wollen, dass er auch starb. Wenn er sich das Leben nähme, wäre ihr Tod umsonst gewesen. Dann hätten sie auch alle zusammen sterben können. Es begann Hass in ihm zu wachsen, der ihn bald ganz erfüllte. Ich räche den Tod meiner Eltern, nahm er sich vor.
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Die Schule war inzwischen fertig erbaut. Man hatte die Brandschäden beseitigt, und jetzt strahlte ein modernes helles Gebäude durch den Wald, das zu errichten kein Widerstand mehr verhindert hatte. Als er die Schule sah, schwor sich der junge Hase: Ich werde nicht eher ruhen, bis sie wieder in Trümmern liegt.
Da schickte sich gerade eine Jägertruppe an, den Wald zu verlassen, und freute sich lautstark über ihren Erfolg: »Ja, wir haben es geschafft und unseren Auftrag erfüllt!« Sie waren überzeugt, alle Hasenwesen getötet zu haben, und nun wartete ein schönes Sümmchen auf sie. Die Jäger konnten ihre Belohnung kaum abwarten, als sie plötzlich von Weitem den jungen Hasen entdeckten. Es überraschte sie sehr, hatten sie doch den ganzen Wald durchforstet und kein einziges dieser Wesen mehr entdecken können: »Wie kann es sein?« Der Hase nutzte das Überraschungsmoment und entfernte sich blitzschnell. Zwar versuchten die Jäger, ihn zu verfolgen, und schossen auf ihn, trafen aber nicht, weil er sich schon zu weit entfernt hatte. Das musste nun der einzige Überlebende der Hasenrasse sein, davon waren die Jäger überzeugt und nahmen sich vor, ihn möglichst bald verschwinden zu lassen.
Doch erst einmal wollten Sie nach Hause gehen und sich umziehen, denn der Auftraggeber erwartete sie in einer luxuriösen Gaststätte, schließlich gab es allen Grund zu feiern. Die Privatschule war innerhalb der geforderten Frist erbaut worden und stand nun am gewünschten Ort. Den Jägern war es zu verdanken, dass kein Hasenwesen mehr den Bau gestört hatte.
Die Gaststätte, in der Arnold sie erwartete, befand sich auf einer Erhebung mit Ausblick auf den silvanischen Fluss und gehörte zu den feinsten Lokalen der Stadt. Alle Stühle und Tische waren aus hochwertigem Holz, von Handwerksmeistern in gewissenhafter Handarbeit gefertigt und mit edlen Schnitzereien verziert. Die Türgriffe waren mit echtem Gold überzogen, Gabeln und Messer glänzten im Schein prachtvoller Kronleuchter, die angenehm warmes Licht spendeten. An den Wänden waren unzählige Mosaike, auf denen man Tiere erkennen konnte. Auf den Tischen standen Kerzenleuchter, die auf Wunsch vom Personal angezündet wurden. Neben den Tischen gab es eine riesige Tanzfläche.
Vor dem Eingang kontrollierten Türsteher die ankommenden Gäste und ihre Garderobe, denn nur Besucher im Anzug durften die Gaststätte betreten, alle anderen wurden weggeschickt. Es herrschten strenge Regeln. So durfte auch das Jackett vor Mitternacht nicht ausgezogen werden. Tat dies jemand dennoch vor der erlaubten Zeit, wurde er nicht mehr als einmal höflich gebeten, es wieder anzuziehen und andernfalls des Raumes verwiesen.
Bevor die Jäger etwas aßen, tranken sie Sekt und ließen sich ihre Belohnung auszahlen. Arnold gab ihnen die vereinbarte Summe. Dann bestellten die Jäger Hähnchenkeule. Alle aßen mit Messer und Gabel, nur einer verschlang sie mit bloßen Händen. Wieder einmal war es Malus. Er hatte keine Lust auf diese gestelzten und förmlichen feinen Sachen, schließlich war er ein Naturbursche und wollte das zarte Fleisch mit seinen Händen fühlen können. Die Jägerkollegen fanden sein Benehmen unerhört und beschwerten sich beim Personal: »Der Gast namens Malus isst mit den bloßen Händen.« Daraufhin ging das Personal auf jenen zu und forderte ihm auf: »Mein Herr, verlassen Sie unverzüglich die Gaststätte!« Und so geschah es.
Nach dem Essen wurde getanzt. Musiker aus aller Welt waren gekommen und sangen über die Sehnsucht nach bildschönen Naturlandschaften.
Kurz bevor Arnold die Gaststätte verlassen wollte, wurden er von den Jägern angesprochen. Sie erzählten ihm: »Es konnten nicht alle Hasenwesen erlegt werden. Einer ist uns entkommen.«
Arnold gefiel diese Nachricht überhaupt nicht. Er hatte sich zu früh gefreut und forderte die Jäger auf: »Findet den Überlebenden und tötet ihn. Schließlich habe ich für die Erlegung aller bezahlt.« Die Jäger sahen sich verpflichtet, den letzten Hasen aufzuspüren und ihn zu erlegen, denn sie wollten unter allen Umständen ihre Seriosität beibehalten: »Ja, wir werden ihn finden!«
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Derweilen träumte der in einen Baum verwandelte Alfred des Nachts von drei Abiturienten. Sie standen vor ihm und betrachteten ihn. Es gab etwas an dem Baum, das sie bezauberte. Da sahen sie plötzlich am Horizont einen Regenbogen. Die Farbenvielfalt spiegelte die bunte Schönheit der Welt wider. Wie aus dem Nichts trat eine engelhafte Gestalt daraus hervor, die den Abiturienten vom Menschendasein des Baumes erzählte. Als die engelhafte Gestalt sah, dass die Schüler interessiert aufhorchten, fragte sie: »Wollt ihr, dass der Baum wieder in einen Menschen zurückverwandelt wird?« Alle drei antworteten einstimmig mit Ja, woraufhin der Baum seine ursprüngliche Gestalt annahm und als Alfred vor ihnen stand. Es war ein unglaublich schönes Gefühl, das Verlorene wiederzuerlangen. Er war nicht mehr blind und konnte die Welt wieder mit den Augen sehen.
Tage vergingen, und Alfred erinnerte sich an diesen Traum, als habe er ihn gerade erst geträumt. Er wollte nicht aus seinen Gedanken weichen. Oft fragte er sich, ob es diese Abiturienten tatsächlich gab, von denen er geträumt hatte. Denn obgleich er fest an einem Platz verwurzelt stand und sich nicht bewegen konnte, war ihm eine Sehnsucht geblieben: sich mit den Hasenwesen zu vereinen, um ihren Widerstand gegen jene Schule fortzusetzen. Aber er wusste nicht einmal, ob seine Freunde noch lebten, hatte er doch die bewaffneten Jäger bemerkt, die auf der Jagd nach den Hasen an ihm vorbeigeschlichen waren. Alfred hoffte inständig, dass nicht alle erschossen worden waren. Ohne sie war er machtlos.
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Lange hatte der junge Hase Alfred nicht mehr gesehen. War er wirklich im Kampf gegen die Schule gefallen? Ziellos lief er im Wald umher. Vor einem Baum hielt er plötzlich an und betrachtete ihn genauer. Irgendetwas an diesem Baum war anders, das hatte der junge Hase sogleich gespürt und ohne es zu ahnen den verwandelten Alfred gefunden.
Alfred wusste sofort, wer der Hase war, und sprach ihn an: »Schön dich zu sehen, mein Lieber.«
Das junge Hasenwesen wiederum erkannte Alfred an der Stimme und war glücklich: Er lebte! »Warum bist du ein Baum geworden?«, fragte der junge Hase überrascht.
Alfred erzählte nun von dem ihm zugefügten Leid: »Ein unheimliches Wesen hat mich in einen Baum verwandelt.« Anfangs konnte der Hase die Geschichte nur schwer glauben, weil sie so märchenhaft klang. Aber schließlich gab es keinen anderen sprechenden Baum im Wald, also musste es wohl stimmen. Noch etwas anderes beschäftigte den jungen Hasen sehr: Nachdem er sich ans Ufer des rauschenden Flusses hatte retten können, konnte er nicht nur seine Eltern nicht mehr finden, sondern war auch sonst keinem Hasenwesen mehr begegnet. Ob er der einzige Überlebende seiner Art war? Überall war er auf seinem Weg den Jägern ausgewichen, die durch die Wälder streiften, aber vielleicht gab es irgendwo noch andere wie ihn, welche die Jäger auch nicht aufgespürt hatten?
Der junge Hase hielt an seiner Hoffnung fest und nahm sich laut vor: »Ich werde nach weiteren Überlebenden suchen und sie zu einer neuen Widerstandsgruppe vereinen.«
Alfred bestärkte ihn darin: »Solange es noch Entkommene gibt, können wir gewinnen. Kämpfe weiter!« Sie wollten ihre Welt retten.