Читать книгу Gefährliche Fotos - Louise Roholte - Страница 4
1. Kapitel
ОглавлениеSigne trägt vorsichtig Mascara auf und summt zur Musik mit, während sie darauf achtet, den Mund geschlossen zu halten. Mama hat den Mund immer geöffnet, wenn sie Make-up auflegt, und Signe hat den Verdacht, dass sie auch die Luft anhält. Auf jeden Fall unterbricht sie sich immer wieder und atmet tief ein, bevor sie weitermacht. So will Signe nicht sein, das sieht einfach zu dumm aus. Es ist wichtig, dass sie alle Wimpern sowohl von oben als auch von unten erwischt; um sich besser konzentrieren zu können, hört sie auf zu summen. So, perfekt! Sie schraubt den Deckel auf die Wimperntusche und nimmt die Bürste aus dem Korb. Die Zeitschrift liegt auf dem Tisch vor dem Spiegel. Sie schaut ein letztes Mal auf das Model, dann zieht sie einen Mittelscheitel in ihr blondes Haar. Das Haar soll ganz streng gescheitelt sein. Als sie zufrieden ist, flicht sie auf jeder Seite einen dünnen Zopf, den sie hinter den Ohren mit Haarnadeln fixiert. Nun fehlt ihr nur noch Lipgloss.
Sie beugt sich zum Spiegel und macht einen Schmollmund. Viele der Mädchen aus der Neunten haben solche Fotos bei Facebook mit tonnenweise Mascara, Eyeliner und Grundierung, einige von ihnen tragen bauchfrei. Meistens haben sie die Fotos selbst gemacht, das kann sie am Blitzlicht im Spiegel erkennen. Sie ist mit keinem von ihnen befreundet, aber sie verfolgt ihre Profile, um zu sehen, wann etwas Neues passiert. Besonders das von Celina. Die Jungs aus der Klasse machen das auch. Sie sagen zwar, die Mädchen aus der Neunten sähen aus wie Schminkpuppen, aber sie hat gemerkt, wie sie ihnen hinterher gaffen.
Signe kneift die Augen zusammen, genau wie sie es in der Zeitschrift Topmodel gesehen hat, dann verpasst sie der Frisur eine ordentliche Schicht Lack. Es ist Montagmorgen kurz nach halb acht. Heute werden sie zum ersten Mal Dänisch bei Karen haben. Sie stopft den Lipgloss und das Handy in die Tasche und wirft sie über die Schulter.
„Signe!“ ruft ihre Mutter. „Du musst gleich los.“
„Jaja, ich komme schon.”
Mama steht auf der untersten Treppenstufe und schaut sie an. Sie hat den albernen lila Filzhut aufgesetzt, den Sune ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Er steht ihr nicht, und Signe kann nicht verstehen, warum sie den unbedingt jeden Tag tragen muss. Sune ist Mamas Freund und er ist eigentlich ganz okay, auch wenn er einen schlechten Geschmack hat, was Hüte angeht. Und Klamotten. Und Schuhe, Parfüm und Musik. Aber abgesehen davon ist er ganz nett, und er mischt sich nicht ein, was sie darf und was nicht. Das sollte er nur mal versuchen, denn sie hat schon einen Vater, und das ist mehr als genug. Mama schaut ihr prüfend ins Gesicht, so dass Signe den Blick senkt.
„Hast du nicht ein bisschen zu viel Make-up drauf?“ fragt Mama. „Du bist immerhin gerade erst 13 geworden.“
„Ich hab nur ein bisschen Mascara und Gloss benutzt“, antwortet Signe schnell. „Die anderen benutzen zehn Mal mehr als ich, und du willst ja nicht, dass ich wie ein Junge aussehe, oder?“
„Darüber reden wir später“, seufzt Mama. „Hast du die Schlüssel?“
Signe angelt den Schlüsselbund aus der Tasche und ihre Mutter nickt. „Gut. Bis heute Nachmittag.“
Ihre Mutter wirft ihr eine Kusshand zu und verschwindet durch die Tür. Das mit der Kusshand ist auch etwas, dass sie von Sune hat. Wenn er Mama einen Kuss zuwirft, tut sie so, als ob sie ihn aus der Luft greift. Das sieht bescheuert aus, und Signe hofft, dass die beiden das nicht machen, wenn andere Menschen in der Nähe sind. Sie schließt die Tür, während Mama aus der Einfahrt fährt, geht zu ihrem Fahrrad und zurrt die Tasche auf dem Gepäckträger fest.
Sie braucht mit dem Rad ungefähr zehn Minuten zur Schule. Obwohl sie sich ab und zu darüber beschwert, ist es aber eigentlich ganz nett, dass sie nicht auf den Bus warten muss. Signe kann den ganzen Weg rollen, und wenn sie genug Fahrt drauf hat, muss sie erst in die Pedale treten, wenn sie in der Mitte der nächsten Steigung ist. Bei der Kirche biegt sie links ab und radelt unter der Autobahnbrücke durch, vorbei an den großen Höfen. Sie ist den Weg schon so oft gefahren, dass sie ihn bestimmt auch mit geschlossenen Augen finden würde. Auf dem letzten Stück überholt sie kleine Gruppen von Zweit- und Drittklässlern. Sie sehen aus, als ob ihre großen, viereckigen Schulranzen sie hintenüber umwerfen könnten. Sie drängeln und schubsen sich und erzählen sich die gleichen Witze, über die sie selbst schon gelacht hat, als sie in dem Alter war.
Michelle wartet am Fahrradschuppen vor dem Schulhof auf sie, als sie um die Ecke biegt, und Signe hebt eine Hand, um zu winken.
„Hi Süße“, ruft Michelle. „Die Frisur steht dir supergut!“
„Danke.”
Sie umarmen sich, dann stellt Signe ihr Fahrrad neben Michelles.
„Ich bin heute Abend allein zu Hause und ich hab gedacht, wir könnten was zu essen machen und so?“
„Das klingt richtig gut“, antwortet Signe. „Ich frag gerade mal meine Mutter.“
Sie kramt das Handy raus, und während sie über den Schulhof gehen, schreibt sie ihrer Mutter eine SMS. Wenige Sekunden später kommt die Antwort.
„Wow, sie ist ganz schön schnell“, sagt Michelle beeindruckt.
„Hmm, dafür liest sie den Text nie durch, bevor sie ihn abschickt, und manchmal muss ich raten, was da steht.“
Signe öffnet die Nachricht.
„Yes, sie schreibt, dass das klar geht.“
„Perfekt.“
Sie gehen in die Klasse. Oliver steht in der Mitte, umringt von seinen Mitschülern, und Signe kann sich ausrechnen, dass er neue Bilder von seiner Freundin zeigt. Sie heißt Jessica und wohnt in Jütland, soweit sie weiß in der gleichen Stadt wie Olivers Vater. Niemand von ihnen hat sie tatsächlich gesehen, aber auf den Bildern wirkt sie unglaublich toll. Signe würde am liebsten so tun, als ob es ihr egal wäre. Trotzdem guckt sie auf den Bildschirm. Das Bild ist ein bisschen verschwommen, aber es sieht so aus, als ob Jessica sich an eine Bühne lehnt. Ihre Bluse ist hochgerutscht und zwischen dieser und der Hose sind ein paar Zentimeter nackte Haut zu sehen.
„Bist du sicher, dass sie erst 13 ist?” fragt Malthe. Oliver nickt.
„Ja, sie hat eine Woche nach mir Geburtstag.“
„Sie sieht aus, als ob sie 16 wäre oder so.“
Das findet Signe auch, aber es kann ja sein, dass die Mädchen in Jütland schon weiter entwickelt sind. Jedenfalls hat in ihrer Klasse keine so große Brüste. Außerdem ist Signe sich ziemlich sicher, dass Mama sterben würde, wenn sie in solchen Klamotten rumlaufen würde wie Jessica. Mama hat ihr gerade erst Mascara und Parfüm erlaubt und das auch nur, weil Signe sie wochenlang damit genervt hatte und sauer war. Als ob ein bisschen Mascara so was Besonderes wäre. Alle benutzen es, und Emilie nimmt sogar Eyeliner und Puder. Michelle sitzt still am Tisch und starrt auf ihre Hände. Signe weiß, dass sie in Oliver verliebt ist. Viele Mädchen sind es, sogar einige aus der Parallelklasse. Signe legt Michelle den Arm um die Schulter und drückt sie. Es muss hart für sie sein, solche Bilder von Jessica zu sehen, wenn sie selbst doch was von Oliver will.
„Alles okay?“
Michelle nickt.
„Ja, es ist nur verwirrend, weil er mir gestern Abend geschrieben hat und …”
Michelle unterbricht sich, weil Karen in die Klasse kommt. Michelle gibt Signe mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie später weiterreden können. Signe schielt zu Oliver, der ihnen schräg gegenüber sitzt. Irgendwie kann sie verstehen, dass die anderen verrückt nach ihm sind. Mit seinen dunklen Haaren und den dunklen Augen sieht er ein bisschen wie Taylor Lautner aus, und er trägt immer die richtigen Klamotten. Er hat nur irgendetwas an sich, weshalb er so gar nicht ihr Typ ist. In der Regel ist er ganz nett, aber das kann sich von einem Augenblick auf den anderen ändern. Außerdem sollen ihn alle jedes Mal anschauen, wenn er den Mund aufmacht. Irgendwie ist er zu smart, und obwohl er behauptet, dass er keine Ahnung hat, wer Taylor Lautner ist, trägt er genau die gleiche Frisur.