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FOLGE 6 WAS BISHER GESCHAH

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Dr Crıme verhandelt über einen Vertrag.

DUB:

„Meine Damen. Jetzt brauche ich erst einmal ein Stückchen von dieser köstlichen Eierlikörtorte.“

„Nur zu, meine Liebe, Sie sind ja, wie wir alle, in einem Alter, wo einen Fragen nach Idealgewicht und Figur nicht mehr zu beschäftigen brauchen.“

„Sie können sich diese kleinen Bosheiten sparen, mein Herzchen. Ich weiß, dass ich mit meiner Traumfigur keinen Adonis mehr ins Bett locke.“

„Bitte! Wir wollen doch unsere Zeit nicht damit verschwenden, uns gegenseitig mit Nichtigkeiten zu necken – oder?“

„Ganz recht, meine Teure. Aber ich fürchte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt lässt sich noch nicht viel mehr feststellen, als dass wir es hier mit einem Idioten-Duo zu tun haben.“

„Einem selbstverliebten Idioten-Duo.“

„Es ist doch immer wieder erstaunlich, meine Damen, dass die Herren der Schöpfung, uns – den Inbegriff der holden Weiblichkeit – für maßlose Schwätzerinnen halten.“

„Ich stimme Ihnen zu. Wir haben es bei unseren beiden Exemplaren nicht nur mit zwei selten dämlichen, selbstverliebten Egomanen zu tun, sondern auch um Prototypen langweiliger, nur um sich selbst kreisender Dummschwafeler. Nur dass sie nicht miteinander schwafeln, sondern jeder für sich und es gibt niemanden, der ihnen zuhört außer sie selbst.“

„Nicht völlig korrekt: Erstens ist es falsch, dass niemand diesen Müll liest. Wir beispielsweise tun es. Zweitens: Die Dämlichkeit wird übertüncht von einer aufgesetzten Intellektualität. Selbstverliebt, nun das zeigt sich so offenkundig an der ausschließlichen Beschäftigung mit ihren ureigenen Egos. Und daraus ergibt sich, wie langweilig sie sind.“

„Genau, also wer will sich damit beschäftigen? Ich fürchte, wir muten uns hier zu viel des Unguten zu.“

„Da muss ich widersprechen. Wir haben längst bewiesen, dass wir in dieser Hinsicht extrem leidensfähig sind. Viel leidensfähiger, als dass uns diese kleinen Geschichten noch ernsthaft erschüttern könnten. Und außerdem …“

„Bevor Sie weitersprechen, werte Freundin! Jetzt und hier sollten wir auf alle Fälle verhindern, dass wir leiden. Lasst uns deshalb erst einmal was bestellen.“

„Herr Ober! Ein Stück Eierlikör-Torte. Meine Damen, was wollen Sie?“

Dr Crıme:

Nachdem die Eckpunkte besprochen waren, zogen sich die Juristen in ein Nebenzimmer zurück, um an den endgültigen Formulierungen zu feilen. Der Meister und ich standen auf und gingen zu den Fenstern, die zusätzlich durch abhörsichere und blickdichte stählerne Rollos geschützt waren. Die Scheiben bestanden aus schusssicherem Glas. Wir ließen die Rollos hochfahren und genossen die Aussicht aus der bis zum Boden reichenden Fensterfront. Etliche Stockwerke tiefer schob sich die übliche Blechlawine Richtung Plärrer. Unser Blick glitt über sie hinweg zur Nürnberger Altstadt und zur Silhouette der Burg. Wir bedienten uns bei den Leckereien, die vor unserem Treffen auf einem Tisch aufgebaut worden waren. Kleine Sandwiches, Gebäck und Obst, verteilt auf drei Etageren.

„Fehlt nur noch der cream tea“, sagte der Meister.

Ich nickte und dachte an die Aussicht, die ich vor kurzem von der Terrasse des Reid’s in Funchal auf Park, Hafen und Meer genossen hatte. Dort wurden cream tea und ähnliche Köstlichkeiten ebenfalls auf Etageren gereicht, während aus den geöffneten Fenstern des Hotels Monk’s Mood ertönte und zwar in einer der Umgebung angepassten, unaufdringlichen Version für betuchte ältere Gäste. Es war gerade diese glattgebügelte, weichgespült-weiße Fassung des Stücks gewesen, die mir auf Madeira die Stimmung eingetrübt hatte. Und ich hätte mir an diesem Nachmittag gewünscht, Coltrane hätte dem verhinderten bleichen Thelonius den Marsch geblasen.

Ich fand es für einen gebürtigen Amerikaner wie den Meister erstaunlich, dass er so etwas typisch Britisches wie cream tea erwähnte. Dessen ungeachtet stand mir der Sinn jedoch nicht nach Small Talk.

„Warum ich?“, fragte ich ihn stattdessen.

„Warum nicht? Du kannst das doch – oder?“

Wenn jemand mit einer Gegenfrage antwortet, bedeutet das normalerweise, dein Gegenüber denkt nicht im Traum daran, dich in die wahren oder vollständigen Hintergründe seiner Entscheidung einzuweihen; sind es aber direkt zwei Gegenfragen, dann wird dir darüber hinaus der Rat erteilt, dass du am besten einfach deinen Job machst, die Kohle kassierst und dich ansonsten aus allem anderen raushältst.

Doch das ist mir schon immer schwer gefallen.

„Deine Auftraggeber“, sagte ich, es war ein Schuss ins Blaue, „beschäftigen eine ganze Armee junger, hochmotivierter Spezialisten, die das genauso gut können wie ich und zudem den Vorteil bieten, wesentlich billiger zu sein, da sie ohnehin auf der Payroll stehen.“

„Erstens habe ich keine Auftraggeber außer meiner eigenen Firma und deren Anleger und zweitens bist du zufällig vor Ort“, erwiderte der Meister und sagte dann auf Deutsch: „Standortvorteil!“

Er grinste breit und schien ein Lob wegen seiner Sprachkenntnisse zu erwarten.

„Als ob es darauf ankommt“, erwiderte ich und setzte ebenfalls ein Grinsen auf, das schon manchen nervös gemacht hatte. Natürlich ohne sichtbaren Effekt beim Meister. Das hatte ich auch nicht erwartet.

Er war ein Mann, der die 60 bereits überschritten hatte, was man ihm aber aus vielerlei Gründen nicht ansah. Da waren die sorgfältig frisierten graumelierten Haare, die im Sonnenlicht leicht glänzten. Vor allem aber war es seine nur als wuchtig, aber durchtrainiert zu beschreibende Figur, die von einem perfekt geschneiderten, zweireihigen Anzug von Martin Greenfield betont wurde. Eine kleine Narbe unter seinem linken Auge kontrastierte mit einem dezenten Diamant-Stecker im rechten Ohrläppchen. Zu unserer Besprechung war er mit einem angemieteten, gepanzerten Mercedes mit getönten Scheiben vorgefahren, den zwei weitere Limousinen unauffällig begleitet hatten. Der größte Teil seiner Entourage war bei den in der Kleinweidenmühle geparkten Wagen zurückgeblieben, während zwei Begleiter im Vorzimmer warteten.

„Well“, sagte er und seine Miene wurde wieder so ausdruckslos wie schon den ganzen Nachmittag, „ich könnte dir jetzt erzählen, dass die Geldgeber – besonders nach den Ereignissen der letzten Jahre – keine Lust haben, ihre eigenen Leute in dieses Projekt einzubeziehen. Du weißt schon, schlechte Presse, alle Welt ist sauer auf sie. Auf einmal stehen sie im Scheinwerferlicht, wo ihre natürliche Umgebung doch die Dunkelheit ist. Ich könnte dir erzählen, dass sie deshalb Angst haben, etwas könnte nach außen dringen, und dann schlittern sie noch viel tiefer in die Scheiße rein, als sie es ohnehin schon sind.“

Er machte eine Pause und trank einen frisch gepressten Fruchtsaft, den eine Assistentin vor der Sitzung in unserem Beisein zubereitet hatte und von dem bis jetzt niemand probiert hatte. „Aber ich will aufrichtig sein“, fuhr er fort.

Wieder grinste ich, doch diesmal nur innerlich. Nach außen verzog ich keine Miene. Ich tat es dem Meister gleich und trank einen Fruchtsaft. Auch damit möchte ich ein hartnäckiges Klischee widerlegen. Ich kenne nur wenige bedeutende Gangster, die während ihrer Arbeit zu harten alkoholischen Drinks greifen. Jedenfalls musste, wer den Meister reden hörte, genau aufpassen. Seine Aussprache war so leise, als wolle er nur mit dem kleinstmöglichen Aufwand sprechen. Er war auch ein Meister in der Ökonomie der verbalen Kommunikation. „Die Menschen und Institutionen, die uns ihr Geld anvertrauen, haben nichts mit den Leuten zu tun, an die du denkst. Nicht, dass sie nicht früher oft und gut mit denen zusammengearbeitet haben. Doch mal ehrlich, wer würde denn heute noch dieser Gurkentruppe etwas anvertrauen? Nachdem sie dermaßen blamiert worden ist? Ich bitte dich!“

Ich nickte erneut, darum bemüht, meinem Gesicht einen zwar nachdenklichen, aber auch einsichtigen Ausdruck zu verleihen. Möglich, dass mir das misslang und ich stattdessen einfach nur beflissen aussah.

Was der Meister sagte, klang plausibel und so sollte es auch wirken. Deshalb tat ich, als hätte ich seine Antwort akzeptiert. Der Meister war mein Auftraggeber. Er würde die einzelnen Phasen des Projekts koordinieren. Dabei hätte mich schon der Name des Forschungsprogramms misstrauisch machen müssen: Helter Skelter. Einerseits der Titel eines Songs der Beatles, andererseits das Motto der Charles Manson-Massaker. Ich vermutete, dass der Meister von seinen Kollegen kontrolliert würde. Jeder von ihnen hatte sich das Recht erworben, Meister genannt zu werden. Ich dagegen war nur ein Teil dieses Projekts, noch dazu ein kleiner, unbedeutender Teil. Da ich ein fürstliches Honorar ausgehandelt hatte, konnte ich mir ausmalen, in welch schwindelerregenden Höhen sich das Gesamtbudget bewegen musste. Ich mochte ein kleines Rädchen sein, die gesamte Maschinerie musste gigantisch sein. Was mich am meisten freute, war, dass wir zwar auch erfolgsabhängige Zahlungen ausgemacht hatten, ich aber – selbst wenn der Meister am Ende nur unbrauchbares Material bekäme – trotzdem voll und ganz auf meine Kosten kommen würde.

Das Gefeilsche um die Höhe der einzelnen Tranchen und ihre Fälligkeit im Beisein der Anwälte war genauso Show gewesen, wie das, was mir der Meister nun unter vier Augen gesagt hatte. Mein Preis hatte schon vorher festgestanden. Das wussten wir beide. Die Geldgeber im Hintergrund kamen auch aus Geheimdienstkreisen, dessen war ich mir nun sicher. Selbstredend nicht von einem deutschen Geheimdienst. Dafür hatten die nicht die Eier. Wenn der Meister so kunstvoll in Abrede stellte, dass ich mit meiner recht naheliegenden Vermutung total danebenlag, dann musste an meiner Vermutung etwas dran sein.

Aber im Grunde war es mir schon immer herzlich egal, wer mich bezahlt. Von mir aus auch die NSA.

Leon:

Man schläft ausgesprochen schlecht, wenn die Umgebung so steril ist wie im Institut. Man schläft noch schlechter, wenn die Liegen, auf die man sich zu betten hat, so schmal, hart und unbequem sind, wie diese Pritschen.

Jeder kennt solche Dinger aus den Arztpraxen der zivilisierten Welt. - Dann machen Sie sich mal frei – ja, alles, auch BH und Slip …, ging mir durch den Kopf, verbunden mit dem Bild der jungen Frau und einem geifernden Pseudo-Mediziner. Ich hab mir wohl zu viele Pornos angesehen. Aber auf solchen Liegen soll der Patient auch nicht einpennen. Hier aber doch!

Man schläft noch viel schlechter, wenn einem eine straff auf der Kopfhaut sitzende Kappe übergezogen wird. Ich werde mir deswegen jedenfalls nicht den Schädel rasieren. Ich bin stolz auf mein perfekt frisiertes Haar. Was machen die Mädels mit ihren Mähnen, Theo mit seiner Matte, Josh mit seinen Rastalocken unter dieser stramm sitzenden Haube? Jedes Mal wenn ich sie wieder abnehmen darf, juckt es, als wäre eine Kompanie Läuse auf dem Vormarsch. Ob wir eine Zulage für das Extra-Shampoo verlangen können?

Von der Kappe führt ein armdickes Kabelbündel zu einer Stecktafel, in die die einzelnen Kabel eingestöpselt werden. Dieses Ding erinnert mich mehr an alte Filme als an moderne wissenschaftliche Forschung. Das Frollein vom Amt. „Bitte verbinden Sie mich!“ – „Mit wem?“ – „Mit Ihnen, gnä’ Frau … Mein Stecker lechzt nach Ihnen!“

Am allerschlechtesten schläft man jedoch, wenn man in die Röhre geschoben wird, deren monotones Klacken teuflisch nervt. Ein Wunder, wenn man dann doch irgendwann wegdämmert.

Ich habe bewusst das unschöne „man“ so ausgiebig verwendet, weil sich diese Erfahrungen verallgemeinern lassen.

Inzwischen habe ich meine Mitschläfer und Mitschläferinnen kennengelernt und alle haben mir bestätigt: Schlafen ist anstrengend. Vor allem dann, wenn du es tun musst. Kein Wunder, dass die einem Geld dafür zahlen. Vielleicht sollte ich wirklich bald das Thema einer Honorar-Erhöhung ansprechen. Was sage ich: vielleicht? Es muss heißen: Ganz bestimmt werde ich bald das Thema Mehr Geld! Meine Träume gibt’s nicht umsonst! zur Sprache bringen.

Der Job ist derart anstrengend und öde, dass ich sogar die Lust auf meine Mitschläferinnen verliere, von denen eine – Michaela – eine hübsche Schnitte ist, die ich gerne, wenn’s sein muss auch im Dienst der Wissenschaft, mal flachlegen würde.

Da frage ich mich in aller Unschuld, warum wir eigentlich an der Sigmund-Freud-Uni sind, wenn hier niemand Sex-Forschung betreibt? So ganz praktisch. Seit Masters und Johnson muss sich auf diesem Gebiet doch was geändert haben – oder? Immerhin liegen bereits Jahrzehnte der sexuellen Revolution zwischen der universitären Vögelei dieser beiden Orgasmus-Forscher und der heute viel hedonistischeren, aber immer noch verklemmt-oberflächlichen Gegenwart. Dafür würde ich mich sogar für kleines Geld zur Verfügung stellen. Aber so was wird in unserem Schnarchladen ja nicht angeboten. Schande!

Die Träume sind zum Teil ganz schön heftig. Liegt wahrscheinlich am Schlafzwang. Eins der Mädels war nach so einem Albtraum total aufgelöst. Hat Rotz und Wasser gelassen, als wäre ihr das, was ihr da in ihrem Köpfchen zugestoßen ist, realiter passiert. Sie ist dann auch aus dem Projekt ausgestiegen, obwohl ihr Frau Professor eindringlich zugeredet hat, in ihrem Zustand nicht alleine zu bleiben. „Im Institut sind wir auf derartige Ereignisse vorbereitet und können Ihnen helfen!“

Ich erwähnte es schon mal, Meltendoncks Stimme ist so laut, dass ich sie durch die geschlossene Bürotür hören konnte. Das Geheule der Kleinen aber auch. Ich hab sie abgepasst, weil ich der perfekte Tröster der Witwen und Waisen bin.

„Hi, Michaela“, sagte ich.

„Ich bin Marianne“, erwiderte sie zwischen zwei Schniefern.

„Oh, pardon! – Äh, hier …“ Ich hielt ihr ein Tempo hin, das sie, ohne mich anzusehen, nahm und sich kräftig schnäuzte.

„Wollen wir irgendwo noch einen Kaffee trinken?“, fragte ich sie.

Sie schüttelte stumm, aber eindeutig verneinend den Kopf. Inzwischen standen wir vor dem Institut.

„Um die Ecke ist …“

„Nein. Ich will jetzt nur noch nach Hause. Sonst nichts.“ Bisher klang sie verheult. Doch jetzt schlich sich ein anderer Ton in ihre Worte. War sie etwa genervt? Nein, das konnte nicht sein, wo ich mich doch so um sie bemühte.

„Okay, gehen wir ein Stück. Ich hab‘ denselben Weg.“

„Du weißt doch gar nicht, wo ich wohne, verdammt noch mal.“

„Ich lerne schnell.“

„Das sehe ich völlig anders.“

Sie war auf Armlänge von mir entfernt (ideal, um sie beim kleinsten Signal tröstend an meine Brust zu ziehen!) und blickte mich zum ersten Mal direkt an.

Wird sie jetzt doch weich?, überlegte ich. Soll ich die Gelegenheit nutzen und sie küssen? Schnell, hart, das lieben sie doch alle! Oder soll ich erst noch ihre blendende Figur loben, die tollen Klamotten, ihren unbestechlich guten Geschmack? Mit anderen Worten noch eine Ladung Schleim absondern? Kann Sie sehen, wie mein Walter stramm steht und aus seinem Gefängnis will? Wie er pocht und darum bettelt, dass ihn jemand aus dieser engen Hose befreit?

Sie senkte ihre Stimme.

„Du bleibst hier und ich gehe – und zwar allein!“ Sie machte eine Pause. Wenn ich von dem absah, was sie gerade gesagt hatte, klang ihre Stimme mit diesem tiefergelegtem, rauchigen Timbre einfach geil.

„Und wenn du noch einen einzigen Schritt näher kommst, fange ich an zu brüllen und zwar so laut, dass man es noch im Institut hört!“

Diesen Satz sprach sie mit einem Ausrufezeichen hinter jedem einzelnen Wort.

„Wie du willst“, murmelte ich. Du hast ja keine Ahnung, was dir entgeht, schickte ich ihr unausgesprochen hinterher.

Schade, aber den Versuch war‘s wert gewesen.

Gutes Zuhören, das totale Verständnis heucheln, haben mich schon mehr als einmal ans Ziel gebracht. Und den Mädels hat es dann im Endeffekt auch immer gefallen.

Okay, das dumme Huhn wollte nicht. Dabei hätte mich schon interessiert, was sie denn geträumt hatte und natürlich auch, wie sich das Mäuschen auf dem Laken gemacht hätte, sobald sie Leons Säusel- und Trosteinflüsterungen erlegen wäre.

Aber ich habe genug Fantasie, um zu wissen, wie böse Träume aussehen. Und ich weiß definitiv, dass böse Träume im Institut weder selten noch unerwünscht sind.

Als ich den Scheiß mit dem Daumennagel geträumt habe, hat mir Meltendoncks Lieblings-Assi, ein schnöseliger Schönling namens Dr. Jörg Evers, am Bildschirm die Hirn-Scans gezeigt und auf einen tiefgrünen Fleck hingewiesen.

„Dieses Aktivitätsprofil“, so geschwollen drücken die sich hier aus, „ist typisch für Albträume im Verlauf des Helter Skelter-Programms.“

In meinem Traumprotokoll hatte ich kurz zuvor notiert: „Ich bin in einem feuchten Kellerraum, dessen Wände im Halbdunkel liegen. Irgendwer hat mich auf einen Stuhl gesetzt und meine Arme an spezielle Lehnen gefesselt, sodass ich sie nicht mehr bewegen kann. Eine Lampe blendet mich. Es ist offensichtlich eine Verhörsituation. Doch was wollen sie von mir hören? Und vor allem, wer will hier etwas erfahren? Ich sehe auf meine linke Hand. Mein Folterer umklammert sie und presst die Finger auseinander. Er fixiert den Daumen noch zusätzlich mit einem dunkelblauen Klebeband aus Textil. Dann zieht er langsam mit einer Zange den Daumennagel hoch und schält ihn im Zeitlupentempo vom Nagelbett. Ich starre auf die fleischig-blutige Stelle, wo eben noch der Nagel gewesen ist. Ich weiß in diesem Moment, dass ich schreien und dass es höllisch wehtun müsste, aber nichts dergleichen. Als der Folterer den Zeigefinger mit dem Klebeband umwickelt, wache ich auf.“

Ich muss gestehen, als ich aufwachte, riss ich als erstes meine linke Hand hoch, um nachzusehen, ob noch alle Nägel dran sind.

Dr Crime:

Es ist vermutlich diese Passage in Leons Aufzeichnungen, die mir den Vorfall aus dem Jahr 1974 mit Roberto in Erinnerung gerufen hat.

Was ich an Leons Traum spannend finde, ist die Stelle mit dem dunkelblauen Textilklebeband. Nur hier wird er in seiner Beschreibung präzise. So funktionieren Träume. Einzelne, letztlich völlig nebensächliche Details werden genau erinnert, während ansonsten nur ein dumpfer Brei aus vagen Eindrücken und Bildern haften bleibt.

Ich halte es deshalb für wahrscheinlich, dass seine Schilderung tatsächlich einen Traum wiedergibt, den er gehabt hat. Es ist in dieser Anfangsphase des Projekts nicht leicht einzuschätzen, was er sich aus welchen Gründen auch immer einfach aus den Fingern saugt und was echte Traumprotokolle sind.

Zum traurigen Rest des Geschreibsels, das Leon in seinen Anfällen ungehemmter, ungebremster Logorrhoe in die Tasten hämmert, habe ich schon an früherer Stelle angemerkt, dass er ein hoffnungsloser Fall ist. Leon gehört zu den Persönlichkeiten, die sich nicht scheuen, ihr charakterliches Versagen immer wieder aufs Neue unter Beweis zu stellen. Ich neige nicht zu dem Betroffenheitskitsch, der als Fremdschämen bezeichnet wird. Wegen mir darf sich jeder selbst zum Trottel machen, als unverbesserliche Dumpfbacke präsentieren und mit eiserner Penetranz die Rolle des Hampelmanns zum Besten geben. Deshalb kümmert mich auch sein pubertär-anmaßendes Verhalten nicht wirklich. Ich spreche – unschwer zu erraten – von seiner nicht zu unterbietenden Art, Frauen anzumachen und freue mich über die wohl verdiente Abfuhr, die er dabei erhält. Nur schwant mir allmählich, warum der Meister, als ich ihm die ersten Probanden der Testreihe virtuell vorstellte, antwortete: „Leon is propably the best choice of all.“

Leider ist immer noch unbeantwortet, welche Ziele bei der Versuchsreihe im Institut für Traumforschung verfolgt werden …

Dr Crime und die Meister der bösen Träume

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