Читать книгу Die alten Götter - Luci van Org - Страница 8

Rex Dildo

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y, machssu Stress, oder was?“

„N … nein, nur … also … meine Schwester kommt übers Wochenende und … wir brauchen das Gästezimmer.“

„Ey … kein Problem, ey! Sch … schlaf isch auf Sofa, man!“

Frija, die Huldvolle, atmete durch. Weil es jedes Mal aufs Neue nicht leicht war, die passenden Worte zu finden und weil ihr schon ganz blümerant war, in der qualmgeschwängerten Luft. „Das … meine ich nicht“, ergänzte sie schließlich gepresst. „N … natürlich ist dieses ganze … Gastfreundschafts-Ding uns alles andere als egal, aber … du bist ja jetzt schon mehr als anderthalb Jahrtausende hier und angesichts dieser langen Zeitspanne …“, die oberste Göttin der Asen lächelte etwas gequält, „Angesichts dieser langen Zeitspanne finden auch Wotan und die anderen, dass es bestimmt auch für dich besser wäre, wenn …“

Lautes, langanhaltendes Gurgeln eines tiefen Zuges am grüngläsernen Bong der Marke „Power Tower“. Frija unterbrach ihre Ausführungen, denn während das Blubbern in angestrengtes, auch für geübte Rauschmittelkonsumenten besorgniserregend dauerhaftes Luftanhalten überging, musste sie Halt an der Türklinke suchen, weil ihr vom Zusehen endgültig schwindelig wurde.

Endlich entließen des Logierbesuches Lippen zwei winzige Rauchwölkchen ins nachmittägliche Dämmerlicht. Und drei Worte: „Sch … schwul oder was?“ Empört hüstelnd und mit von der Strapaze knallrotem Gesicht zog Jehova sein Federbett hoch bis ans Kinn und drehte sich zur Wand.


Die Personalkantine des Jobcenters Berlin-Tempelhof-Schöneberg war überfüllt. Wie immer, wenn es Eisbein mit Püree gab, obwohl jedes Mal alle so taten, als würden sie das Zeug nicht mögen.

Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in der Warteschlange wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund.

Kadir und Christoph taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie angesichts der Schweinebeine in der Auslage an ihre Väter denken mussten.

Nicht wegen etwaiger optischer oder gar charakterlicher Ähnlichkeiten.

Aber die Tatsache, dass Christophs alter Herr so gut wie täglich riesige Schweinestücke in sich hineinzustopfen pflegte, wohingegen es Kadirs Vater schon vor Abscheu schüttelte beim bloßen Gedanken an das unreine Ekelzeug, belustigte die Liebenden gleichermaßen und war eine von unzähligen Kleinigkeiten, die sie verband.

Eine andere war, dass Kadirs und Christophs Vater damals vor sechs Jahren beide erst einmal keinen Sohn mehr gehabt hatten, nach Erhalt einer Einladungskarte. „Wir trauen uns“ hatte darauf gestanden, dazu Datum und Uhrzeit einer feierlichen Verpartnerungszeremonie im Standesamt Berlin Tempelhof-Schöneberg.

„Des is net gotgwoildt …!“, hatte Christians Vater nach dem Kirchgang über seinen Teller Wellfleisch gebrüllt. Und Kadirs alter Herr hatte geschrien und gewimmert, wie er das denn dem Imam erklären solle am kommenden Freitag und beide Mütter hatten sich dazu auf die Lippen gebissen, leise geschluchzt und geschwiegen.

Ein Verhalten, das – mal abgesehen von etwaigen theologischen Feinheiten – ja durchaus auf bestehende Gemeinsamkeiten zwischen den Bräutigamseltern hätte hinweisen können. Ebenso wie die Tatsache, dass alle vier sich bis heute nicht entscheiden mochten, ob das Schlimmste eigentlich ihr schwuler Nachwuchs an sich war, oder dass dieser sich ausgerechnet in den Sprössling eines bayerischen Katholiken beziehungsweise eines türkdeutschen Muslimen hatte verknallen müssen.

Trotzdem wurde man in den Familien nicht müde bei jedem nur erdenklichen Anlass auf all die vermeintlich so tiefgreifenden, religionsbedingten Unterschiede zwischen ihren Kulturen hinzuweisen. Und dabei gar nicht zu bemerken, wie sehr doch auch dies eigentlich schon wieder verdächtig nach Gemeinsamkeit roch.

Weil elterliche Sehnsucht aber bisweilen stärker war als Gottesfurcht, lud man die Verdammten seit kurzem zumindest ab und zu mal gemeinsam zum Essen ein. Hier zu Schweins- dort zu Lammbraten und an beiden Orten zu Vorhaltungen und Klagen. Darüber, wie oft alle nachts wach lagen vor Gram „ … weil ihr in der Hölle schmoren werdet!“

Schon wieder eine dieser Gemeinsamkeiten. Wobei die eine Hölle natürlich muslimisch und die andere Hölle katholisch war, doch weder Christoph noch Kadir wussten, ob das eigentlich irgendeinen Unterschied machte.

Etwas anderes wussten die zwei Liebenden ebenfalls nicht. Nämlich, dass sie auserwählt waren. Nicht vom Gott der Christen. Auch nicht vom Gott der Muslime. Aber vom Schicksal.

Weil das Schicksal eben tat, was es wollte. Völlig egal, ob das den Göttern, den Menschen oder sonst irgendwelchen Bewohnern der neun Welten nun passte oder nicht.


„Es … reicht!“ Die sommersprossigen Nasenflügel bebend vor Zorn baute Frija, die Huldvolle, sich vor ihrem Göttergatten Wotan Allvater auf. „Wat …?“, ächzte der ein wenig verdattert und ohne von seiner Portion Chickenwings aufzublicken.

„Na alles!“, schnaufte seine Frau. „Wie er da rumliegt und jammert und … und … dieses primitive Gequatsche und dieser süßliche Mief überall.“ Angeekelt schnüffelte sie an ihrem Wollcape. „Es muss etwas passieren. Sofort!“

„Dit fällt Dir ja früh ein …“, entfuhr es dem Allvater leise.

Was er schon im nächsten Augenblick bereute.

Weil Frija, der Allwissenden, natürlich nichts, absolut gar nichts, einfach so einfiel, weder früh noch spät. Wie denn auch? Hatte die Huldvolle doch bereits vor Jahrtausenden alles gewusst, was jemals geschehen war, gerade geschah oder aufgrund desselben noch geschehen mochte bis ans Ende aller Tage, weil das ja nun mal ihre göttliche Superkraft war.

Genau dies würde sie ihrem Mann in spätestens einem Wimpernschlag nun wieder einmal ebenso empört wie besserwisserisch aufs Brot schmieren, verbunden mit der Feststellung, dass sie für ihre Allwissenheit ja nun wohl alles andere als etwas konnte, weshalb es absolut unfair sei, ihr jedwelche Verantwortung zuzuschieben, nur, weil sie die Arschigkeiten ihrer Mitlebewesen immer vor allen anderen auf sich selbst und die Welt zukommen sah, bla, bla, bla, bla …

Dabei hatte Wotan doch nur anmerken wollen, dass Jehova ja nicht erst seit gestern in der oberasischen Behausung logierte! Zugegebenermaßen kein angenehmer Zustand, aber im Laufe der Jahre hatten sich doch alle irgendwie arrangiert mit dem Elend.

„Duu …“, zischelte die Huldvolle. Untrügliches Anzeichen einer direkt bevorstehenden verbalen Detonation, weshalb Wotan noch schnell in einen Hühnerflügel biss, um Frijas Wutausbruch wenigstens nicht mit leerem Magen überstehen zu müssen.

„Du …“, schnaufte es ein weiteres Mal und des Allvaters Schultern wanderten ängstlich ein Stück nach oben in Richtung seiner Ohren. Worüber er sich derart zu ärgern begann, dass er die Sensation zunächst sogar überhörte.

„Du hast ja recht …“

„Was?!“

„Du hast recht. Was dagegen?“

„N … nein! Ich meine nur – So was sagst du doch … sonst nicht.“

„Sonst hast du ja auch nicht recht.“


Die Indoor-Strandbar Mykonos auf dem Fabrikgelände der Schöneberger Motzstraße war überfüllt. Wie immer am Freitagabend, obwohl jedes Mal alle so taten, als wäre der Hype darum, in künstlich aufgeschütteten Sanddünen nackt Cocktails zu schlürfen, zu kiffen und zwischendurch anonymen Safer Sex zu haben, nun wirklich so was von gestern.

Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in der Warteschlange wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund. Sie taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie – angesichts der immer länger werdenden Reihe Wartender – mit geübten Augen den Personalengpass am Kassentresen bemerkten. Nur ein einziger junger Mann versuchte dem Ansturm der unzähligen Gäste Herr zu werden. Schweiß rann von seiner Stirn auf seinen nackten Oberkörper, was recht vielversprechend aussah. Allerdings nur, wenn man seine grünlich-blasse Gesichtsfarbe ignorierte. Typisches Anzeichen schwerer Kreislaufprobleme, sicherlich ausgelöst durch die zum Schneiden dicke, Marihuana geschwängerte Luft, von der jeder Besucher schon beim Betreten der Fabrikshalle eingehüllt wurde.

Eigentlich, so hatten anfangs alle befürchtet, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Laden nach einer Drogenrazzia würde schließen müssen. Aber irgendwie schien es seitens des männlich-heterosexuellen Teils der Berliner Polizei gewisse Berührungsängste zu geben. Und wenn Homophobie ja auch sonst zu wirklich gar nichts nutze war, so bescherte sie zumindest dem Besitzer des Mykonos seit fast zehn Jahren eine sichere Existenz und halb Schöneberg damit einen entspannten Feierabend.

Probleme hatte der Betreiber trotzdem. Weil es kaum jemand vom Service lange aushielt, zwischen den Sandhügeln. Der Stundenlohn war zwar ordentlich und das Nacktsein in der Hitze fanden viele sogar reizvoll. Dass aber spätestens nach einer halben Schicht die Knöchel schmerzten vom Laufen in den Dünen unterschätzten die meisten ebenso, wie die Auswirkungen einer täglichen Überdosis THC.

Immer wieder gab es deshalb regelrechte Hilferufe ans Jobcenter, weil jemand kurzfristig gekündigt hatte. Doch auch wenn Kadir und Christoph ihren Beruf wirklich ernst nahmen und sich bemühten – so lange es offiziell nicht möglich war „langjähriger Kiffer mit kräftigen Fußgelenken“ in die Liste der geforderten Qualifikationen aufzunehmen, blieb die Vermittlung neuer Servicekräfte ein Lotteriespiel.


„Dann rede halt einfach noch mal mit ihr.“ Wotan Allvater atmete durch. Weil er ja niemanden beleidigen wollte. Aber – da konnte sein Freund und Lehrmeister noch zehnmal den Ruf haben, das weiseste Wesen aller neun Welten zu sein – es gab Dinge, von denen hatte Mimir, der Riese, nun wirklich absolut keine Ahnung!

Was man in gewisser Weise ja hätte voraussehen können. Zwar fand das meiste Weibsvolk Status wichtiger als Optik, aber nur ein Kopf reichte den Damen dann eben doch nicht und etwas anderes war Mimir schließlich nicht geblieben, nach diesem einen verhängnisvollen Schwerthieb im großen Asen-Vanenkrieg.

Dass er sich noch dazu nicht einmal regelmäßig die Haare schneiden oder den Bart stutzen ließ, weil er dererlei „Chi Chi“ vollkommen überflüssig fand, trug ebenfalls nicht gerade zur Erweiterung seines Erfahrungshorizonts im Umgang mit dem anderen Geschlecht bei. Weswegen Mimir wohl tatsächlich glaubte, man könne „noch mal reden“ mit einer Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Ganz im Gegensatz zum Allvater und seinem besten Kumpel Donar Hammerträger, die diesen Sachverhalt nun wirklich beurteilen konnten, nach über viertausend Jahren Ehemännerdasein. „Vergiss es!“, schnauften sie deshalb beide gleichzeitig in Mimirs Richtung, denn da gab es nichts zu diskutieren! Wenn eine Frau beschlossen hatte, es sei Zeit ausgerechnet jetzt ein Problem zu lösen, dann war es Zeit, ausgerechnet jetzt ein Problem zu lösen, selbst wenn das Problem bereits seit über tausendsechshundert Jahren in ihrem Gästezimmer lag.

„Und wenn du einfach mal Klartext mit ihm redest!“

„Ganz tolle Idee …!“, grollte Wotan, der die nicht wenig beschwerliche Reise hierher zu Mimirs Brunnen der Weisheit langsam zu bereuen schien. „Was glaubst du denn, was ich gemacht habe, die letzten tausendsechshundert Jahre?!“

„Echt?“ Der Riese schien ehrlich verwundert. „So: Schluss, aus, pack deine Sachen, du Penner, verpiss dich und so …?“

„Bist du irre?“, fiel Donar Hammerträger dem Weisen ins Wort. „Den darfste nich’ aufregen, Mann! Auf keinen Fall aufregen! Der knallt total durch, der Spacko!“

„Also bitte!“, murrte Wotan verdrossen. Weniger über Donars Bemerkung als darüber, dass ihm auch nichts Vernünftiges einfiel – aber irgendwo musste der Ärger ja hin.

„Ich sach nur, wie’t is“, murrte Donar zurück,

„Trotzdem nennt man so einen nich’ ‚Spacko‘, sondern höchstens ‚Individuum mit gestörter Impulskontrolle‘“, verbesserte der Allvater.

„Gestör … wat?“ Wotans Wortwahl schien der eher gemütlichen Auffassungsgabe des Hammerträgers nicht unbedingt entgegenzukommen.

„Impulskontrolle, Mann! Wenn … wenn die gestört is’, dann kann man sich nich’ zusammenreißen. Also in nem Streit oder so. Dann macht man halt immer nur das, wonach einem gerade is’. Zum Beispiel eben … voll ausrasten.“

„Aaaah … so“, Donar nickte beflissen, wenn auch noch sichtlich beschäftigt mit dem Verarbeitungsprozess der eingegangenen Information.

„Und was macht der dann so, wenn der ausrastet?“, hakte Mimir nach.

„Na voll rumbrüllen und alles!“ Mit einem Ruck war der Hammerträger aus seiner Denk-Trance erwacht und ehrliche Empörung zerfurchte seine Züge. „Da … da musste nur ma ganz freundlich sowas sagen wie ‚Hey, Jehova, wie wärs’n mal mit aufstehen?’ oder so, dann komm’ da gleich so Sachen, wie ‚Ey, schwul oder was?’ oder ‚Ey, scheiss ich deine Mutter in Briefkasten, Alter!’ Widerlich, Mann! Total widerlich!“

„Das ist alles?!“ Fassungslosigkeit ließ Mimirs Brauengestrüpp zu einem Balken zusammenschnurren, bis er aussah, als habe man ihm eine Gemüsebürste über die Nasenwurzel geklebt.

„Nein, Mann!“, knurrte Wotan und warf Donar einen mitleidigen Blick zu. Es war ja liebenswert, wie des Hammerträgers unschuldiges Gemüt sich schon an derartigen Kleinigkeiten aufrieb. Aber natürlich ging es hier um etwas ganz anderes.

Um Vorsicht und Besonnenheit nämlich, weil dem Wüstengott, schon eine Ewigkeit bevor er an der oberasischen Behausung geklopft und Obdach eingefordert hatte, ein Ruf wie Donnerhall vorausgeeilt war! Ganze Städte habe er einfach mal so in Schutt und Asche gelegt und einen gesamten Kontinent elendiglich ersaufen lassen – nur, weil ihm die Menschen dort nicht genügend untertan gewesen waren. Weswegen die Bewohner Mittel- und Nordeuropas sich dann ja auch tunlichst beeilt hatten, bloß nicht denselben Fehler zu machen – und Wotans Götterkarriere dieser Knick verpasst worden war, von dem sie sich bis heute nur zaghaft erholte.

„Hm …“ Die Gemüsebürste über des Riesen mächtiger Nase wanderte langsam nach schräg links oben bis fast zu seinem struppigen Haaransatz, wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. „Ich weiß ja, was die Menschen über ihn erzählen, aber … seit er bei euch ist, hat er nur geschimpft und gejammert, nichts weiter. Richtig?“

„Ja, richtig“, knurrte Wotan trotzig. „Und das is’ ja wohl auch sehr gut so!“

Schließlich war es ja auch nicht zuletzt Wotans Verdienst!

Hatte doch der Allvater selbst den Wüstengestörten sofort nach dessen Auftauchen vorsorglich mit den beruhigenden Eigenschaften des Hanfrauches bekanntgemacht. Dass Jehova mittlerweile nur noch aus dem Haus ging, um sich Rauschmittel-Nachschub zu besorgen, war natürlich nicht die schönste Begleiterscheinung dieser kleinen Vorsichtsmaßnahme. Aber was war ein bisschen Kiffer-Hängertum schon gegen die Rettung ganz Mittel- und Nordeuropas durch gemilderten Aggressionstrieb?

„Hmm …“, machte der Riese ein weiteres Mal, ließ die Gemüsebürste zur Abwechslung nach schräg rechts oben wandern und eine quälende Pause entstand. Mal ehrlich – für das weiseste Wesen der neun Welten war Mimir heute wirklich beschissen in Form! Entnervt begann Wotan in Gedanken die Zugverbindungen für eine möglichst baldige Rückreise durchzugehen.

„Wasn, wenn wa einfach die Tür zumachen, wenn er das nächste Mal Dope holen geht?“, nuschelte Donar, der die Stille nicht mehr ertrug.

„Also echt ma!“, protestierte Wotan. „Ich meine – gibt ja wohl noch sowas wie Gastrecht!“

„Gastrecht?!“ Mimirs Augen weiteten sich zu Tennisbällen vor Empörung. „Unsere Heiligtümer plattmachen, unsere Bräuche klauen, unsere Freunde abmetzeln – verhält sich so’n Gast, oder was?!“

„Aber wir können ihn doch nich’ dafür verantwortlich machen, wenn seine Leute sich schlecht benehmen!“

„Aber doch wohl dafür, dasser sie nich’ dran hindert!“

„Versucht er ja!“, hielt Wotan dagegen. „Ich meine, vielleicht is’ Jehova bisschen irre und so, aber … es is schon so, dass er das echt Kacke findet, wie sich alle beklauen und bekriegen in seinem Namen! Aber die … die hörn ihm ja nie zu, wenn er denen das sagt!“

„Is doch kein Wunder, so wie der redet, Mann!“ Erneut verdüsterte Entrüstung die Miene des Hammerträgers. „’Ey, Lan, stressma nich so krass rum, ey!’ oder ‚Ey, is deine Fresse krass voll Scheiße, Alter!’ Da … da würd ich mir auch nich’ zuhör’n, Mann! Ich meine, das klingt doch … wie’n Drogendealer!“

Wotan entfuhr ein Seufzer. Weil ihm soeben klar geworden war, dass der Fünf-Uhr-Rückreisezug nicht mehr zu schaffen war und weil sein Kumpel Donar ja nun wohl offensichtlich die Tatsachen verkannte.

Hatte doch jahrhundertelang Jehova ganz allein das gesprochen, was heutzutage als „Kiezdeutsch“ in aller Möchtegern-Ghettokids Munde war. „Weil ich krasser Gangster bin, ey!“, war die Antwort gewesen, als der Allvater irgendwann einmal nach dem Grund für diese Eigenart gefragt hatte. Und auch wenn Wotan bis heute rätselte, was das wirklich bedeutete – er musste zugeben, dass dieser Wüstengangster ihn zumindest am Tag seiner Ankunft nach allen Regeln der Kunst kriminell überrumpelt hatte: „Ey, ey …, w … wohn isch ma bei dir, Alter!“ – während Wotan noch gegrübelt hatte, was diese geheimnisvollen Worte wohl bedeuten mochten, war der Fremde ja schon dabei gewesen, im Gästezimmer seine Sachen auszupacken!

Erst viel später, Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, hatten ein paar Haschisch-Dealer im Raum Frankfurt Rödelheim plötzlich aus einer Laune heraus die sprachlichen Eigenarten ihres besten Kunden übernommen und sie zu all ihren anderen Käufern weitergetragen. Mit jedem herumgereichten Joint hatte der alberne Slang sich dann unter sämtlichen Idioten des deutschsprachigen Raums verbreitet, mehr und mehr, bis in den hinterletzten Winkel.

Was das Problem mit dem Gästezimmer aber auch nicht löste.

Während Wotans Miene sich darüber immer weiter zu verfinstern begann, räusperte Mimir ein wenig grünen Schleim aus seinem Halsloch in den Weisheitsbrunnen. So, wie er es immer tat, nach dem Erlangen einer wichtigen Erkenntnis. Angesichts der vorangegangenen Pleiten schien Wotan dies aber alles andere als aufzumuntern.

„Seltsam, seltsam …“, murmelte der Riese davon unbeirrt. „Auch bei den Menschen schimpft und jammert er immer nur rum, wenn er ausrastet, oder?“

„Besser isses!“, grummelte Wotan angriffslustig, weil sie diesen Punkt doch nun wirklich bereits abgehakt hatten.

„Ich meine …“, fuhr Mimir trotzdem fort, „Vielleicht is’ man ja bisschen peaciger drauf als Dauerkiffer – aber, also … wenn er früher ganze Städte plattgemacht hat vor Wut, dann würde es für ne Straße oder n’ Haus doch eigentlich noch reichen. Oder … wenigstens für’n Zimmer …“

„Ja, klar! Is ja auch nich’ dein Gästezimmer!“

„Das meine ich doch gar nicht! Nur – vielleicht hat Jehova gar keine Wahl!“

„Hä?“

„Na, vielleicht kann er das in Wirklichkeit gar nicht. Also das mit dem Plattmachen.“

„Du meinst, er wär so was wie’n Hochstapler? Krass!“ Ehrliches Entsetzen legte sich über Donars Züge.

„Hm“, brummte Mimir erneut. Und diesmal verzichtete Wotan darauf, in der nun entstehenden Stille weitere Rückreisemöglichkeiten auszuloten.

„Phh … ganz ehrlich“, nuschelte der Obergott schließlich, so zaghaft, dass seine Stimme im Plätschern der Weisheitsquelle beinahe unterging, „Jehova selbst hat eigentlich nie gesagt, dasser … Städte plattmacht und so. Das haben immer nur die Menschen …“

„Du … du meinst, die sagen sowas, auch wenn’s gar nich’ stimmt?! Aber das wär doch eine Lüge!“ So fassungslos war der Hammerträger, dass es Wotan die Tränen in die Augen trieb – ob aus Verzweiflung oder doch aus bewunderndem Staunen über die kindliche Unschuld seines Kollegen.

„Vielleicht“, begann Mimir – merklich darum bemüht, des Hammerträgers Weltbild nicht gänzlich zu zerstören – „Vielleicht passt es manchen Menschen einfach … ganz gut in den Kram, wenn andere Menschen Angst haben. Weil … man denen dann leichter Vorschriften machen kann.“

„Jehova wird also“, Wotan fiel es wie eine Schuppe von seinem einen Auge, „Jehova wird also von den Menschen nur benutzt?! Und – und er lässt es die ganze Zeit mit sich machen?!“

„Is’ halt’n Erfolgsmodell, so ne Benutz mich-Nummer! Kurt Kobain, Britney Spears, Michael Jackson, Jehova – alles dieselbe Soße“, ätzte Mimir und Wotan war endgültig baff: „Was’n Weichei!“

„Und ‚Weichei’ is jetzt besser als ‚Spacko’, oder wie?!“, polterte sich Donar verärgert zurück ins Gespräch. „Außerdem is’ man noch lange kein Weichei, nur … nur weil man schwach is’ und sich nich’ wehren kann! Da is’ man höchstens –“ Aufgebracht schnappte der Hammerträger nach Luft und suchte nach einem passenden Wort, ohne es zu finden, „Da is’ man höchstens …“

„Ne arme Sau“, stellte Wotan betreten fest. Und ihm war anzumerken, dass er sich mit einem Mal ein wenig schämte.

„Phh“, schnaufte Mimir abfällig, weil ihm so viel Mitgefühl nun wirklich zu weit ging, „Drei Weltreligionen, Mann! Is halt der Preis des Ruhms. Wer das eine hat, muss das andere mögen!“

„Aber ne Woche heulen, wenn Michael Jackson stirbt!“

„Phh.“

„Nich’, dass Jehova auch so endet.“

„Oder wie Amy Winehouse …“

„Oder wie Rex Gildo!“

„Jetzt reicht’s aber, Allvater! Da is ja Weichei noch besser!“

Doch auch, wenn Wotan sich jetzt noch ein wenig mehr schämte – wegen seiner Frechheit dem armen Jehova gegenüber und noch mehr, weil er ganz offensichtlich tausendsechshundert Jahre lang der miesesten aller Lügen aufgesessen war – dass er mit einem Mal wusste, was er zu tun hatte, erfüllte ihn mit Freude und auch ein wenig mit Stolz.


„Und du glaubst wirklich, das hilft?“

„In allen Ratgebern steht, dass man unnachgiebig sein soll. Einfach durchziehen das Ganze, auch wenn’s schwerfällt.“ Mit grimmiger Miene stopfte Wotan den Bong der Marke „Power Tower“ und Jehovas Gras-Vorräte für die kommende Woche in zwei große, blaue Müllsäcke. Wovon der Wüstengott nichts mitbekam, weil er tief und fest schlief unter seinem Federbett.

Er schlummerte noch immer, als Frija mit einem Ruck beide Vorhänge beiseite zog. Explosionsartig pufften dicke, mehlige Staubwolken links und rechts neben dem dreckstarrenden Fenster aus den Gardinenfalten, mischten sich in der Luft des Gästezimmers mit den Qualmschwaden zu gräulich-weißem Nebel.

Darin eingehüllt Heimdall, göttlicher Wächter der Welten und Virtuose des mächtigen Gjallarhorns, dessen dröhnender Klang die Asen für gewöhnlich vor ungebetenen Eindringen warnte, hoch oben auf der Regenbogenbrücke zwischen Midgard und Asgard.

Heute allerdings stand Heimdall ausnahmsweise mal direkt an Jehovas Kopfende.


Der Flur im dritten Stock des Jobcenters Berlin-Tempelhof-Schöneberg war überfüllt. Wie immer kurz vor Feierabend, obwohl jedes Mal alle so taten, als hätte man das nun wirklich nicht absehen können.

Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander durch die offenen Bürotüren wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund.

Kadir und Christoph taten das, weil sie sich liebten. Und weil der Typ vor Kadirs Schreibtisch schon der dritte Irre in dieser Woche war, der behauptete, Gott zu sein.

„Nicht Gott! Ein Gott. Das ist schon ein ziemlicher Unterschied“, merkte nun die weibliche Hälfte des Ehepaares an, das den Irren begleitete. „Ein Wüstengott, genau genommen.“

Kadir nickte langmütig und Christoph unterdrückte ein Grinsen. Denn aus welcher Anstalt auch immer diese drei entlaufen waren, sie schienen wenigstens höflich und zurückhaltend und damit eher ein Spaß als gefährlich zu sein. Und, was „Gott“ anging, sogar ziemlich ansehnlich. Ein schmales, markant geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen, der Körper wohlproportioniert und feingliedrig, die hüftlangen Locken dunkelbraun glänzend. An der rechten Schläfe standen sie allerdings wirr wie ein Ball Zuckerwatte vom Kopf ab, weil der Gestörte sich ständig sein Ohr rieb. „Krasser Penner, ey, sag isch dir, Alter!“, murmelte er dabei in sich hinein.

„Kleines … Lärmtrauma“, erklärte sein männlicher Begleiter. „Ein Onkel von ihm spielt Trompete, wissen Sie.“

Prüfend musterte Christoph Unterhuber Kadirs neuen Klienten. Ganz schön blass war der auf den zweiten Blick, die tiefschwarzen, eigentlich sehr apart mandelförmigen Augen gerötet, seine aufgeworfenen, auffällig wohlgeformten Lippen trocken.

Hoffentlich fängste dir nichts ein von dem, tippte Christoph in seine Tastatur und schickte die Nachricht auf Kadirs Rechner. Wieder ein Grinsen.

„Irgendwelche Nachweise über Ausbildungen, Abschlüsse, weitere Qualifikationen?“

„Fick … Fickationen, ey? Schwul oder was?!“

Kadir Unterhuber war ein freundlicher und auch eigentlich sehr beherrschter Mensch – aber er hatte Grenzen!

„Unser Freund, er meint das nicht so. Wissen Sie, das hat nur was … mit seinem mangelnden Selbstbewusstsein zu tun. Deshalb sind wir ja hier.“

Trotzdem bedeckte Christoph Unterhuber nun seine Ohren mit den Handflächen, obwohl der Schreibtisch seines geliebten Mannes gut sechs Meter entfernt stand.

„JA! ICH – BIN – SCHWUL! WAS DAGEGEN?!“

Das Gemurmel im Gang war schlagartig verstummt. Auch „Gottes“ Begleitung und dem Irren selbst hatte es die Sprache verschlagen. Stille.

Bis Kadir Unterhuber sich ungerührt von seinem Stuhl erhob: „Ich denke“, tröpfelte es beißend wie Säure von seinen geschürzten Lippen, „Ich denke, Sie machen erst einmal einen Kurs für angemessene Ausdrucksweise. Und übrigens.“ Eisig grinsend beugte er sich zu „Gott“ herunter und senkte seine Stimme: „Die, die’s am heftigsten abstreiten, haben immer am meisten zu verbergen. Ich seh’ doch auf tausend Meter, dass Sie ne Schrankschwester sind!“

„Schrank … was?“, stotterten der Irre und sein Kumpel gleichermaßen verwundert.

„Schrankschwester“, wiederholte die Frau und Christoph konnte sehen, dass sie ein Grinsen unterdrückte, „Ein nicht gerade charmantes Wort für …“

„Für einen Homo, der Angst hat zuzugeben, dass er n’ Homo is’ und deshalb so tut, als wäre er die Ober-Hete!“, rief Christoph genüsslich hinüber, so laut, dass alle auf dem Gang sich umdrehten. „Weil er denkt, dass so keiner was mitkriegt.“

„Solche Typen“, ergänzte Kadir voll gespielten Mitleids, „Solche Typen enden ja meist entsetzlich tragisch. Fahren in ihrer Verzweiflung mit dem Auto gegen einen Baum, wie Jörg Haider, oder stürzen sich aus dem Fenster, wie Rex Gildo.“

„ACH DU SCHEISSE!“ Wie vom Blitz getroffen schlug „Gottes“ Begleiter sich an die Stirn „Und ich sach’s noch! Rex Gildo!“

„Rex Dildo, ey? Krass schwule Scheiße, Alter!“

„Nu reicht’s aber! Du springst mir nich’ aus’m Fenster! Hast du gehört?!“

Und während „Gott“ sich nun zur Abwechslung beide Ohren rieb vom Gebrüll seines Freundes, drehte dieser sich mit vorwurfsvoller Miene zu seiner Frau um: „Du hast das die ganze Zeit gewusst, oder?! Seit tausendsechshundert Jahren! Ich meine, du hättest doch wenigstens mal ne Andeutung …!“

Die Miene der Angesprochenen verfinsterte sich.

Immer mehr.

„Darf ich dich daran erinnern, dass ich für meine Allwissenheit ja nun wohl alles andere als etwas kann!”, explodierte sie schließlich. „Wes-halb es ab-so-lut un-fair ist, mir auch nur einen Funken an Verantwortung zuzuschieben, nur weil ich jeden verdammten Scheiß immer vor allen anderen auf mich zukommen sehe! Das allein ist ja wohl schon anstrengend genug! Was du natürlich nicht versteht, weil du ja grundsätzlich immer … ”

Und während die Frau redete und redete und die Schultern ihres nun auffallend hilflos wirkenden Mannes höher und höher in Richtung seiner Ohren wanderten, buffte der Irre seinem Kumpel in die Seite.

„Ey, lassma die Alte und lass ma ein’ Kiffen, ey.“

„Gottes” Begleiter reagierte nicht.

Aber Kadir und Christoph. Wissend grinsten sie einander zu. Weil sie sich liebten. Und weil beiden plötzlich das Wort „Wüstengott“ wieder in den Sinn gekommen war.

„Hatten Sie gerade … Kiffen gesagt?“, mit aufmunterndem Lächeln schob Christoph den Langhaarigen zurück in Kadirs Büro.


Die Indoor-Strandbar Mykonos auf dem Fabrikgelände der Schöneberger Motzstraße war überfüllt. Wie immer am Freitagabend, obwohl jedes Mal alle so taten, als wäre der Hype darum, in künstlich aufgeschütteten Sanddünen nackt Cocktails zu schlürfen, zu kiffen und zwischendurch anonymen Safer Sex zu haben, nun wirklich so was von gestern.

Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in ihren Liegestühlen wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund. Sie taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie, angesichts des splitternackten, blendend aussehenden Gläsersammlers, der wendig wie ein Wüstenfuchs vor ihnen durch Sanddünen und THC-Qualm tanzte, Lady Ga Ga’s „Born this Way“ auf den vollen Lippen und ein seliges Strahlen in den tiefschwarzen Augen, sogleich an ihre Väter denken mussten.

Nicht wegen etwaiger optischer oder charakterlicher Ähnlichkeiten.

Aber wie würden die alten Herren wohl reagieren, wenn man ihnen erzählte, dass Gott, anstatt alle Schwulen wegen Unzucht zu strafen, hier in der Strandbar Mykonos endlich der sein durfte, der er wirklich war. Frei, unbeschwert und glücklich. Er hatte sogar aufgehört zu kiffen und machte jetzt regelmäßig Abstecher in den Mykonos-Fitnessbereich.

Wobei natürlich nicht klar war, ob es sich um den muslimischen oder um den katholischen Gott handelte. Aber sowohl Christoph als auch Kadir vermuteten, dass das möglicherweise gar nicht so einen großen Unterschied machte.

„Nicht ‚Gott’“, grinste Kadir, „Ein Gott. Weißt du nicht mehr?“

„Ach ja …“, kicherte Christoph. „Hatte gestern auch schon wieder zwei von der Sorte. Wobei … eine war nur die Jungfrau Maria, hat sie gesagt. Aber scheint umzugehen gerade. Überall Götter, hehe …“

Was Wotan durchaus bestätigen konnte. Grinsend zwinkerte er von seinem Liegestuhl aus dem splitternackten Hammerträger in der Sanddüne zu. Natürlich waren die letzten anderthalb Jahrtausende kein Spaziergang gewesen – aber eigentlich auch kein allzu hoher Preis für ihren nun so fröhlichen Wüstenkollegen.

Und für die Entdeckung dieses erholsamsten aller Orte, zu dem Frauen keinen Zutritt hatten. Schon gar keine allwissenden Frauen, die beschlossen, dass es Zeit war, ein Problem zu lösen – oder ihre Erkenntnisse zum Thema göttliche Superkraft loswerden wollten.

Wofür Du mir eigentlich dankbar sein solltest, kicherte Frija, die natürlich schon seit Anbeginn gewusst hatte, dass Wotan gerade jetzt genau dies denken würde.

Und weil sie nicht nachtragend war, beschloss sie, einfach die häusliche Ruhe zu genießen und das Bett im Gästezimmer frisch zu beziehen.

Nicht für Jehova. Der wohnte jetzt in Schöneberg.

Aber es konnte ja immer sein, dass überraschend jemand vorbeikam.


Die alten Götter

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