Читать книгу Hechtsprung ins Liebesglück! - Lucy van Geldern - Страница 4
Kapitel
Оглавление»Hilfe, ich falle!«, schrie Susi. Der hohe Stapel an Tellern, den sie trug, schwankte bedrohlich und klapperte dabei laut. Mit der Zunge zwischen den Zähnen kämpfte sie um ihr Gleichgewicht. Sie hatte Glück. Nach ein paar Momenten stand sie wieder sicher auf beiden Beinen. Verärgert rief sie aus: »Welcher Idiot hat den Läufer zusammengelegt und quer im Flur platziert?«
»Keine Ahnung.« Nicht sonderlich interessiert antwortete Tobias seiner Schwester und verschwand im Kellerabgang.
»Alles in Ordnung?« Besorgt erschien Frau Beck unter der Tür. »Ich sagte dir doch, nicht alle Teller auf einmal.«
»Es ist nichts passiert Mutti, aber der dämliche Läufer ist eine Gefahr für jeden anständigen Bürger.«
Mit Schwung stellte Susi die Teller auf dem Tisch im Wohnzimmer ab. Erleichtert fuhr sie sich mit beiden Händen durch ihr kurz geschnittenes, blondes Haar.
»Susi hast du meine Autoschlüssel gesehen?« Aufgeregt stand Kai, ihr ältester Bruder vor ihr. Sein Blick schweifte ununterbrochen im Zimmer umher. »Ich hatte sie auf den Sofatisch gelegt. Seit einer Viertelstunde suche ich schon - ohne Erfolg.«
»Ist ja gut. Ich helfe dir beim Suchen. Achtzehn wird man nicht alle Tage, dass du aber so den Kopf verlierst ...« Mitleidig schüttelte Susi den Kopf. »Es ist offensichtlich, du wirst senil.« Aufmerksam sah sie sich im Wohnzimmer um. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, ihre hellblauen Augen blitzen auf. Mit ein paar Schritten war sie beim Tisch und hob ein paar Zeitungen hoch. Der Schlüsselbund klingelte leise, als sie ihn hin und her schwenkte. »Hier ist er.«
»Vielen Dank, du hast den Abend gerettet. Stell dir vor, ich will den Wagen vorführen und finde den Schlüssel nicht.«
»Du hast vielleicht Probleme. Wo verwahrst du deinen Reserveschlüssel? Oder hast du den ebenfalls verlegt?« Keck grinste sie ihren Bruder an und verschwand in der Küche.
»Hat Tobias die Stühle schon gebracht?«, fragte Frau Beck. Sie richtete gerade ihren berühmten Kartoffelsalat her. »Zwölf Gäste sind kein Pappenstiel.«
»Nein. Als ich Tobias zum letzten Mal sah, war er auf dem Weg in den Keller. Du kennst ihn ja, immer durstig.« Susi griff nach dem Tablett und stellte es mit Gläsern voll. Dieses Mal war sie vorgewarnt und stieg vorsichtig über den Läufer.
Kai kam ihr entgegen.
»Warte, ich nehme dir das Tablett ab, bevor du dir einen Bruch hebst.«
»Räume lieber diese Stolperfalle aus dem Weg. Das Tablett schaffe ich schon.«
Ein Blick auf die Wohnzimmeruhr belehrte sie darüber, dass ihnen nur noch eine Dreiviertelstunde bis zum Eintreffen der Geburtstagsgäste blieb. Ihr grauste es bei dem Gedanken, was sie alles noch zu richten und ins Wohnzimmer zu schleppen hatten. »Tobias, nein! Den Tisch habe ich eben dahin gestellt. Bitte lass ihn dort stehen! Nichts gegen deinen Ordnungssinn.« Susi stellte das Tablett ab und eilte zu ihrem Bruder, der den Tisch umrückte.
»Entschuldige Susi. Ich wusste nicht, dass es Absicht war.« Tobias sah sie aus seinen hellblauen Augen an. Die Gläser der Brille vergrößerten sie zu riesigen, blauen Murmeln.
»Wenn du dich nützlich machen willst, dann kümmere dich um die Stühle.«
Rasch räumte Susi das Tablett ab und verschwand wieder. Nachdenklich sah Tobias ihr nach. Seine Schwester schuftete, als ginge es um ihren eigenen Geburtstag. Er zuckte mit den Schultern und begab sich auf die Suche nach geeigneten Sitzgelegenheiten. Das Ergebnis seiner Bemühungen schien sie jedoch nicht zufriedenzustellen.
»Könnt ihr nicht etwas aufpassen? Fast wäre ich schon wieder gestolpert. Und das nur, weil ihr der Meinung seid, Stühle müssten unbedingt vor der Tür stehen.« Susi drehte sich, beladen mit dem Tablett ein wenig zur Seite und betrachtete das Hindernis.
»Ruhig Blut, kleine Schwester«, sagte Kai und lächelte ihr besänftigend zu. »Du siehst doch, dass Tobias und ich alle Hände voll zu tun haben. Wir wissen schon nicht mehr, wohin mit dem vielen Sitzgelegenheiten.« Er stellte einen Stuhl hinter der Tür an die Wand, musterte ihn kritisch und schob ihn dann zurück zu den anderen.
»Hat einer eine Idee, wo die Girlanden sind?« Tobias sah seinen Bruder an.
»Sie liegen auf meinem Schreibtisch. Holst du sie eben?«
»Ja«, sagte Tobias und verließ das Wohnzimmer.
»Ausgezeichnet.« Kai erwischte endlich den richtigen Dreh und verteilte die Stühle rund um die beiden Tische. Jetzt fehlte nur noch die Dekoration.
»Susi sei so lieb und leg die Servietten raus. Ich übernehme die verantwortungsvolle Aufgabe und hole die Bowle.«
Zustimmend nickte Susi und räumte die Packungen aus dem großen Wandschrank.
»Vorsicht, heiß und fettig.« Kai trug den großen Glaskübel herein. Kurz blickte Susi auf und sah ihrem Bruder zu, wie er die Terrine platzierte. In der rosaroten Bowle schwammen Erdbeeren und Kirschen. Sah das lecker aus, versonnen leckte sich Susi die Lippen.
»Geschafft, ohne auch nur einen einzigen Tropfen zu verschütten.« Er wischte sich in einer übertriebenen Geste den Schweiß vom Gesicht. »Was man nicht alles für seine Geburtstagsgäste tut.«
»Sie sind wohl wie du unmittelbar vor dem Verhungern. Jetzt sag schon, wen hast du alles eingeladen?« Susi musterte Kai neugierig.
»Dreimal darfst du raten.«
Diesen neckischen Tonfall kannte sie nur zu gut. Susi ahnte Schlimmes.
»Wozu sollte ich? Schließlich sind es deine Gäste, die zur Fete kommen. Sicher kommt Benny, dein Schulfreund. Die anderen kenne ich nicht näher.«
»Dann wirst du heute Abend eine Überraschung erleben. Marco kommt, und er hat mir gesagt, er freut sich riesig. Natürlich auf dich.«
»Was ... Sag das noch einmal. Du hast deinen Arbeitskollegen eingeladen? Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich mag diesen Dandy nicht.« Susi maß ihren Bruder mit zornigen Blicken. »Sag, dass es nur ein Scherz war.«
»Ich scherze doch nie, Susi.« Kai hob abwehrend die Hände und beobachtete seine Schwester vergnügt. Eine entsprechende Bemerkung, und Susi stand kurz vor einem Vulkanausbruch. »Ehrenwort. Marco kommt, und er fragte mich in einer ruhigen Minute, ob du immer noch solo bist.«
Jedes einzelne Wort brachte Susi mehr in Rage. Erregt knetete sie die Packung mit Servietten in ihren Händen.
»Ich genieße die Zeit ohne Freund! Ob du es glaubst oder nicht.«
»Was ist?« Tobias brachte die Girlanden herein, und legte sie laut raschelnd ab. Er sah Susis zornigen Gesichtsausdruck und murmelte etwas vor sich hin.
»Wir reden über Marco«, sagte Kai. »Susi empfindet es als eine Zumutung, dass er kommt. Dabei versuche ich ihr nahezubringen, wie schön es zu zweit ist.« Verschwörerisch blinzelte er seinem Bruder zu.
»Susi klein, ging allein ...«, begann Tobias ein altes Kinderlied.
Da lief bei Susi endgültig das Fass über. Mit Wucht warf sie die Serviettenpackung nach ihm.
Schnell bückte sich Tobias und entging knapp dem Wurfgeschoss. »Vorsicht, Lebensgefahr!«
Laut klatschte es, und ein Sprühregen ging auf die beiden Boys nieder.
»Oha, das Küken hat wieder einmal zugeschlagen.« Tobias wischte sich die klebrigen Tropfen der Bowle von seiner Brille. »Vor kleinen Schwestern wird gewarnt.«
»Das hast du davon. Deine Gäste werden sich sehr wundern, warum die Bowle nach Plastik schmeckt.« Susi betrachtete nachdenklich die roten Flecken auf dem Tischtuch.
Kai griff nach einer Gabel und fischte die träge dümpelnde Packung aus der Bowle.
»Susi hole mir bitte einen feuchten Lappen. Ich versuche, die Flecken zu entfernen. Sonst denkt nachher jeder, dass hier ein Mord geschehen ist.«
Achselzuckend ging Susi in die Küche und holte das Tuch.
*
»Das ist alles nur geklaut. Das ist alles gar nicht meines.«
Leise dudelten der alte Song »der Prinzen« aus dem CD-Player. Tobias hatte den Lampenschirm abmontiert und dafür einen Lampion aufgehängt. Kuscheliges, rotgelbes Licht erhellte das Wohnzimmer.
»Es hat geklingelt.« Mit weiten Sätzen, die jedem Panther Ehre gemacht hätten, sprang Kai zur Haustür.
Das anhaltende Schweigen vor der Tür verriet, wer gekommen war. Langsam bummelte Susi in den Flur.
»Hallo. Habt ihr es aber eilig. Wir haben doch den ganzen Abend sturmfreie Bude. Könnt ihr euch nicht noch ein wenig gedulden?« Lässig lehnte Susi an der Wand und beobachtete das Paar.
»Ist ja gut, kleine Schwester. Sei nicht neidisch«, meinte Kai und legte Mareike liebevoll den Arm um die Schultern. »Du wolltest ja solo bleiben. Nimm dir ein Beispiel an den Prinzen und ihren Fröschen. Bin schon gespannt, wann du anfängst, im Dunkel der Nacht Frösche zu küssen. Immer auf der verzweifelten Suche nach dem Richtigen.«
»Du bist so richtig eklig. Du weißt doch, ich mag keine Frösche, und küssen werde ich sie garantiert nicht!«
»Hallo Susi, lass dir nicht die Stimmung vermiesen. Ich weiß ja selber, wie unmöglich Geschwister sein können.« Mareike ging mit Kai Hand in Hand ins Wohnzimmer. Neugierig sah sie sich um. »Sicher könnt ihr noch Hilfe gebrauchen, oder? Oder sollen die Girlanden auf dem Boden liegen bleiben?«
»Du hast ja sooo recht«, murmelte Tobias. »Tu dir bitte keinen Zwang an.«
»Aber vorher möchte ich wissen, was du in deiner Jackentasche verbirgst.« Kai tippte vorsichtig auf die deutlich sichtbare Ausbeulung.
»Ich werd nicht mehr. Frech und habgierig«, sagte Susi und schüttelte den Kopf. »Mareike, du musst ihn dir besser erziehen.«
»Heute darf er. Er hat eine Sondererlaubnis. Schließlich ist es sein Geburtstag.« Sie griff in ihre Jackentasche und holte ein Päckchen hervor, liebevoll verziert mit Schokoladentäfelchen und Bändchen.
Begeistert nahm Kai es entgegen und zerrte heftig am Papier. Den entgeisterten Gesichtsausdruck seiner Freundin nahm er nicht wahr.
Wieder schellte es an der Tür.
»Hilfe. Haltet euch ran! Klatscht die Dekoration an die Decke. Ich versuche heldenhaft, die Eindringlinge aufzuhalten.«
Kai rannte hinaus, das Päckchen flog achtlos in eine Ecke. Schweigend hob Susi es auf. Wie konnte man zu seinem 18. Geburtstag nur so aufgeregt sein?
»Garantiert gehen alle wieder nach Hause, nur weil die Girlanden noch nicht hängen«, meinte Susi, während sie ins Wohnzimmer ging, und sich nach der ersten Girlande bückte.
Die Drei machten sich an die Arbeit und lauschten dabei dem Hallo im Flur. Eine dunkle und sehr männliche Stimme erkannte Susi sofort. Marco! Also kam dieser eingebildete Gockel tatsächlich zur Fete. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie nicht vielleicht doch hinüber zu ihrer Schwimmpartnerin Angela gehen sollte. Aber den Gedanken verwarf sie schnell wieder. Angela würde nicht verstehen, warum sie vor einem Boy floh.
»He!«, fuhr Tobias sie an. »Wenn du jetzt schon schläfst, solltest du bald ins Bett gehen. Du wirst fürs Arbeiten bezahlt!«
»Sorry, ich wusste nicht, dass es dafür Cash gibt.« Sie bückte sich und warf ihn die nächste Girlande zu. Draußen im Flur näherten sich vergnügte Stimmen.
»Oh, sind wir hier verkehrt?« Die ersten Besucher drängten herein. Mit einem Auge schielten sie auf die Girlanden, mit dem anderen auf das Buffet.
»Hallo Norbert und Benny. Hey Diana und Regina.« Susi begrüßte die Neuankömmlinge. Ihnen folgte Kai, der unter dem Stapel von Geschenken fast zusammenbrach.
Ein paar Augenblicke vergingen, noch fehlte jemand. Susi blickte verdutzt zur Tür, hatte sie sich getäuscht? Dann tauchte ER auf. Lässig, mit gestyltem Haar, kam er herein. Sein Blick schweifte über die Anwesenden und blieb dann auf Susi haften. Doch bevor er den Mund aufbekam, nahm Benny Susi in Beschlag.
»Susi, altes Haus. Dass man dich einmal außerhalb des Wassers sieht.« Benny drückte sie an seine mächtige Brust. »Zeig mal deine Hände. Sind dir noch keine Schwimmhäute gewachsen?«
»Scherzkeks. Zum wievielten Mal fragst du mich danach?«
»Also ...«
»Ja, Susi, seit wann machst du Männer an? Darf ich eifersüchtig werden?« Die Worte hinter ihrem Rücken waren wie eine eiskalte Dusche. Sie fuhr herum und starrte den unverschämten Kerl an. Benny murmelte etwas und zog sich zurück. Marco sah ihm zufrieden nach.
»Du kannst eifersüchtig werden, solange du willst. Lass nur mich dabei aus dem Spiel.«
Ein intensiver Geruch drang in ihre Nase und reizte die Schleimhäute. Sie nieste laut.
»Gesundheit. Hast du dich verkühlt?« Mit einem Ausdruck, der doch tatsächlich an Besorgnis grenzte, kam Marco näher. Ein kräftiger Hauch seines Deos schlug Susi entgegen.
»Ich bin erkältet. Jedes Mal, wenn ich dich sehe, bekomme ich kalte Füße. Und die Krönung ist dein sehr großzügig aufgetragenes Deo.«
»Es gefällt dir nicht - oder doch?« Marco hob den Arm und schnüffelte am Stoff. »Also ich finde, dieser männlich herbe Geruch passt zu mir.«
Seine Augen musterten Susi von den Fußspitzen bis zur eng sitzenden Jeans und dem buntgemusterten Baumfällerhemd, das, lässig geknotet, den Bauchnabel freiließ. Unter diesem Blick, der sie regelrecht auszog, wurde Susi rot. Sie bereute es, nicht ihre alten, schlabberigen und wenig figurbetonten Klamotten angezogen zu haben.
»In der Jeans siehst du umwerfend aus, sie betont deine Figur hervorragend. Und dieses Hemd. Du besitzt einen unheimlich sexy Bauchnabel. Sicher trägst du das nur meinetwegen.« Marco beendete seine Musterung und sah ihr in die Augen. »Ich fühle mich geehrt.«
»Seit wann hast du auch nur einen Hauch Ahnung von Mode?«, fuhr sie ihn an. »Ich finde, Wagenschmiere gehört nicht dazu.« Sie deutete auf sein Hemd, das tatsächlich am Ärmel verschmiert war.
»Gehört sich so, die neueste Kollektion für Heimwerker.«
Susis Stimmung sank auf den Nullpunkt. Wenn dieser schleimige Typ ihr den ganzen Abend an den Fersen klebte, sah sie schwarz.
Zum dritten Mal klingelte es, und wieder war es Kai, der zur Tür eilte. Weitere Gäste trafen ein. Der Lärmpegel stieg unüberhörbar.
Susi, erleichtert, einen Grund zu haben, sich nicht mehr mit Marco unterhalten zu müssen, eilte hinaus und begrüßte sie freudig.
»Hallo Holger.«
»Hey Susi, darf ich dir meine Freundin Tamara vorstellen?«
»Hallo, Tamara. Kann es sein, dass wir uns kürzlich gesehen haben? Im Supermarkt?«
»Ja natürlich. Du warst vor mir an der Kasse. Welch ein Zufall.«
Susi nutzte die Gelegenheit, um die perfekte Gastgeberin zu spielen. Heimlich beobachtete sie dabei Marco. Er stand noch immer an derselben Stelle und schien auf sie zu warten. Inbrünstig hoffte Susi, dass Marco endlich jemanden fand, mit dem er sich unterhalten konnte. Aber zu ihrem Leidwesen stellte sie fest, dass alle Freunde von Kai mit Anhang gekommen waren.
»Alle einmal hergehört.« Kais fröhliche Stimme unterbrach Susis düstere Gedanken. »Bevor wir zur allgemeinen Schlacht am kalten Buffet kommen, möchte ich euch mein größtes Geburtstagsgeschenk vorstellen. Leider passte es nicht ins Wohnzimmer. Deshalb müssen wir uns nach draußen begeben.« Zustimmendes Gejohle erklang, der Klatsch war mal wieder schneller gewesen als alles andere. Der Trupp drängte hinaus ins Freie. Susi ließ sich mittreiben in der Hoffnung, dass Marco verloren ging.
Im milden Schein der Außenbeleuchtung stand das Geschenk da. Farbe lila, ein wenig kurz geraten für ihren Geschmack, aber dennoch ein Auto.
»Na, was sagt ihr dazu? Stahlschiebdach, Servolenkung und ABS, Sportfelgen und weiterem technischem Schnickschnack. Allerdings, das Beste steckt innen drin!« Stolz öffnete er die Wagentür. »Sportsitze und ein nussholzverkleidetes Armaturenbrett. Die Verkleidung habe ich in meinem Lehrbetrieb selbst angefertigt. Auch die Hupe erfuhr eine Verbesserung.«
Er drehte den Zündschlüssel im Schloss und drückte gegen das Lenkrad. Eine helle Fanfare ertönte. Ehrfürchtiges Raunen erklang aus den Reihen der Jugendlichen.
»Wie kann man nur auf einen solchen alten Golf stolz sein. In naher Zukunft seht ihr mich hoch zu Roß auf meiner Harley. Und du, allerliebste Susi, darfst als Erste mitfahren.« Von hinten drängte sich Marco immer dichter an sie heran. Sein Atem strich über ihren Nacken. »Susi glaub es mir, ich finde dich wirklich sehr sympathisch. Erwiderst du meine Gefühle wenigstens ein klein bisschen?« Traurig stand er mit hängenden Schultern neben ihr. Schon wollte sie ihm eine freundliche Antwort geben, da sah Susi ihm in die Augen. Dieser Heuchler! In diesem Blick stand alles andere geschrieben als Enttäuschung.
»Versuchst du, jedes Girl mit diesen Versprechungen anzubaggern? Ich bin nicht besonders scharf auf eine gemeinsame Fahrt mit dir. Harley hin oder her.« Fieberhaft suchte sie nach einer Möglichkeit, Marcos Aufdringlichkeit zu entrinnen. Aber Susi sah niemanden, den sie in ein Gespräch verwickeln konnte. Alle konzentrierten sich auf den Wagen und Kai.
»Der Motor dreht auf wie eine Rakete«, fuhr Kai fort und redete sich immer mehr in rage. »Es fehlt nur noch der Turbolader, aber was nicht ist, kann noch werden. Eine Probefahrt fällt für heute flach, die zusätzlich bestellten vier Sitzreihen sind leider nicht rechtzeitig eingetroffen.« Seine Freunde fielen in das laute Wehklagen ein. Kai schloss den Wagen wieder ab.
»Jetzt aber nichts wie ab ans kalte Buffet«, rief Tobias. »Wer zuerst ankommt, kriegt die dicksten Würstchen.«
Übergangslos war das Fahrzeug vergessen. Sie eilten zurück ins Wohnzimmer.
»Komm Susi, ich hole dir etwas zu essen. Allerdings sollten wir warten, bis der erste Andrang abgeklungen ist.« Unermüdlich umschwärmte Marco sie. Vertraulich ergriff er ihre Hand und zog sie hinaus in den Flur.
»Ich bin kein Kleinkind. Was soll das?« Verärgert riss sie sich los, und funkelte ihn wütend an.
»Entschuldige, wenn ich persönlich werde. Ist mit Absicht.« Offensichtlich beeindruckte ihn die Abfuhr nicht. Er grub in den Taschen seiner Jacke und holte ein Päckchen hervor.
»Verehrte Susi, darf ich dir diese Aufmerksamkeit überreichen? Zu schönen Girls gehört auch ein entsprechendes Outfit.«
Er drückte ihr das Geschenk in die Hand. Bevor Susi reagieren und es ihm zurückgeben konnte, vergrub er seine Hände in den Hosentaschen. Unsicher befühlte sie das Päckchen. Es fühlte sich leicht und weich an.
»Ich kann das Geschenk nicht annehmen. Falls du dir Hoffnungen auf eine Freundschaft machen solltest ...« Verlegen stand sie da. Was sollte sie nur mit diesem Präsent anfangen?
»Es ist für dich. Lange Zeit bin ich durch die Geschäfte gelaufen, immer in Gedanken an dich, und suchte nach etwas Außergewöhnlichem.«
Susi blieb nichts anderes übrig, als das Geschenk anzunehmen. Eine Szene wollte sie auf keinen Fall machen. Schließlich war es Kais Geburtstagsfeier. Fieberhaft suchte sich nach ein paar passenden Worten.
»Also, dann vielen Dank auch, Marco.«
»Ist gern geschehen. Bekomme ich einen Kuss?« Erwartungsvoll streckte Marco ihr die Lippen hin und schloss in sehnsüchtiger Erwartung die Augen.
Susi stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Marco flüchtig auf die Wange. Angeekelt wischte sie sich danach mit dem Handrücken über ihre Lippen, in der stillen Hoffnung die Rückstände des Rasierwassers so zu entfernen.
»Schade, ich meinte eigentlich einen richtigen Kuss.« Marco blickte sie enttäuscht an.
»Die ersten Gäste haben sich vom Buffet verzogen.« Susi versuchte so gut wie möglich, von dem verfänglichen Thema abzulenken. Soweit kam es noch! »Ich gehe jetzt und hole mir etwas. Wie ist es mit dir?«
Das Geschenk stopfte sie in ihre Hosentasche. Während sie die verschiedensten Salate auf ihren Teller häufte, überlegte sie fieberhaft, wie sie das kleine Päckchen am schnellsten wieder los wurde.
Auf der Suche nach einem Sitzplatz streifte ihr Blick den Gabentisch. Dutzende von Glöckchen läuteten übergangslos in ihrem Kopf.
Rasch warf sie einen Blick in die Runde. Alle Besucher waren beim Essen oder unterhielten sich. Marco stand noch vor dem Buffet und wählte zögerlich von den angebotenen Delikatessen aus. Unauffällig näherte sie sich dem Tisch und schmuggelte das Präsent dazwischen. Erleichtert atmete sie auf, keiner hatte etwas bemerkt.
Beruhigt, das Geschenk gut entsorgt zu haben, begann Susi zu essen. Nun schmeckte es ihr endlich.
Schließlich hielt Kai es nicht länger aus. Er erhob sich und blickte in die Runde.
»Esst ruhig weiter. Ich nutze die Gelegenheit und packe die Geschenke aus.«
Er begab sich unter den aufmerksamen Blicken der Gästeschar zum Gabentisch. Nachdenklich stand er da unschlüssig, wo er anfangen sollte.
»Enemenemu, und raus bist du.« Er legte einzelne Pakete beiseite. Am Schluss blieb ein kleines, flaches Etwas übrig, das er ergriff.
»Nun mach schon«, rief Benny. Die anderen pfiffen und klatschten zustimmend, während er das Papier aufriss.
Kai hielt das Geschenk hoch, eine CD mit seiner Lieblingsband. Nacheinander wickelte er die Präsente aus und bedachte sie mit liebenswerten Kommentaren.
Susi saß ganz weit hinten. Mit Schrecken dachte sie an ihr Päckchen, das dazwischen lag. Ein rascher Blick zeigte ihr, dass Marco in einer anderen Ecke saß.
»Oh, dieses Päckchen fühlt sich weich an. Das ist wohl der versprochene Schal für den Winter?«
Alle schwiegen, ihre Geschenke waren schon ausgepackt. Was kam jetzt? Der erste Stoffzipfel erschien in Lachsrosa.
»Kein Schal. Schade. Und diese Farbe, die steht mir doch gar nicht.« Kai schüttelte den Kopf und riss den letzten Fetzen Papier ab. Vor den Augen der verblüfften Besucherschar entfaltete sich ein hauchdünnes, spitzenbesetztes Top.
»Was ist denn in euch gefahren? Wer geht davon aus, dass ich solche Unterhemden trage?« Kai hielt das Top mit Fingerspitzen fest, als ob es giftig wäre. In seinen Augen zeichnete sich Überraschung ab, und seine Gesichtsfarbe wurde immer blasser.
»Damit ihr nicht anfangt, auf dumme Gedanken zu kommen. Ich bin nicht falsch gepolt. Mareike kann das bezeugen.«
Während Kai unter dem Gelächter der Anwesenden das Top schnell unter dem Papierhaufen verschwinden ließ, sah Susi hinüber zu Marco. Dieser starrte sie wütend an. Sein Mund zuckte, als ob er etwas sagen wollte, doch dann drehte er sich um und schwieg.
»Dieses Geschenk scheint eindeutig für eine weibliche Person bestimmt zu sein. Mareike freut sich garantiert.«
Als Susi ein paar Minuten später zu Marcos Sitzplatz sah, entdeckte sie ihn nicht mehr. Diese ruppige Abfuhr war wohl zu viel für ihn gewesen. Den ganzen Abend dachte Susi an Marco. Obwohl sie ein nicht ganz reines Gewissen hatte, war sie doch darüber erleichtert, dass er gegangen war.
*
Am Sonntagmorgen sah das Wohnzimmer sehr nach einem Schlachtfeld aus. Kai griff sich einen klebrigen Stuhl und wischte ihn mit einem feuchten Lappen ab. Susi sammelte eifrig die Fetzen der Girlanden vom Teppichboden auf.
»Die Fete war echt toll. Aber diese Aufräumarbeiten danach, das bringt keinen Spaß.« Susi strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Es ist unglaublich, wie viel Dreck und Unordnung nach einer solchen Feier zurückbleibt.«
»Dafür hatten wir unseren Spaß. Hast du eigentlich eine Ahnung, warum Marco ohne ein Wort gegangen ist?« In seiner Arbeit innehaltend sah er seine Schwester an. »Vielleicht kannst du mir auch erklären, warum dieses lachsrote Etwas auf meinem Gabentisch lag?« Susi musterte aufmerksam ihren Bruder. Offensichtlich hatte Kai sie schon längst durchschaut.
»Ja, ich weiß, warum Marco unauffällig verschwand. Er schenkte mir dieses Top, und ich wollte es nicht. Da habe ich es zu deinen Geschenken gelegt.«
»Was hat dir Marco getan, dass du so unhöflich zu ihm bist? Marco muss tief enttäuscht sein, sonst wäre er nicht so früh gegangen.«
»Ich habe ihm mehr als einmal gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Dieser Fummel hat das Fass zum Überlaufen gebracht.« Susi hörte auf, die Papierschnipsel einzusammeln und sah ihren Bruder entrüstetet an. »Das war ja wohl die Höhe. Ich gehe jede Wette ein, dass Marco vorher die ganze Nacht davon geträumt hat, wie ich darin aussehe.«
»Kein Grund, sich über ihn lustig zu machen.« Kai griff nach einem Stuhl und trug ihn zurück in sein Zimmer. Susi sammelte weiter die kleinen Papierfetzen ein. Als Kai zurückkam, nahm er das Gespräch wieder auf.
»Am Montag rede ich mit ihm und erkläre ihm dein Verhalten. Vergessen wir das Thema Marco. Er ist halt der Meinung, jede Frau müsste sofort auf ihn fliegen.«
Zustimmend brummte Susi und warf die letzten Papierfetzen in den Mülleimer. Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war schon spät.
»Du hattest mir eine Probefahrt versprochen. Bist du so nett und bringst mich zum Schwimmbad? Ich muss trainieren.«
Bevor Kai antworten konnte, ging die Wohnzimmertür auf, und Tobias betrat, bekleidet mit einem Morgenmantel, das Zimmer.
»Guten Morgen«, sagte er und sah sich im aufgeräumten Wohnzimmer um. »Ich komme wohl gerade recht, ihr seid mit Aufräumen fertig.«
»Pech auf der ganzen Linie. Das Zimmer muss gesaugt werden, aber das erledigst du doch sicher mit links. Vermeide aber jeden überflüssigen Lärm - Mutti und Vati liegen noch im Bett.« Kai drückte dem verdutzten Tobias den Staubsauger in die Hand.
»Susi und ich, wir machen eine Probefahrt zum Schwimmbad. Du entschuldigst uns doch sicher.«
»Ich glaube, ich steh im Wald«, fing Tobias an zu klagen. »Es ist noch nicht einmal zehn Uhr, und Susi lässt sich ins Schwimmbad fahren. Und das am Sonntag.«
»Na und? Allein trainieren ist doch nichts Schlimmes, oder?«
Tobias ergriff die Hand seiner Schwester und betrachtete sie von allen Seiten.
»Fängst du jetzt auch damit an?«, schimpfte sie und zog die Hand zurück.
»Alles klar. Ich danke dir. Mein Verdacht hat sich nicht bestätigt.« Versonnen betrachtete Mike seine Fingernägel, wohlweislich verzichtete er darauf, seiner Schwester in die Augen zu sehen. »Ich hatte schon den schlimmen Verdacht, dass du Schwimmhäute zwischen den Fingern bekommst.«
»Der Witz hat so einen Bart.« Mit diesen Worten ließ Susi Tobias stehen. »Kai, ich hole nur meine Schwimmsachen, danach können wir los.«
Susi ging in ihr Zimmer und griff nach der Sporttasche. Zusammen mit Kai verließ sie kurz darauf das Einfamilien-Haus und kletterte in den Wagen.
»Guten Tag. Hier spricht Ihr Pilot. Wir starten in wenigen Augenblicken. Bitte anschnallen.«
Aufmerksam beobachtete Susi ihren Bruder, wie er den Wagen in Gang setzte, hinaus auf die Straße und durch die City fuhr.
»Nicht schlecht«, meinte sie nach einer Weile. »Das Schalten geht ja wie geschmiert.«
»Ist doch bei dieser Verkehrslage kein Problem. Abends beim Fahrunterricht war der Verkehr viel schlimmer.«
Entspannt lehnte sich Susi zurück und genoss die Fahrt. Es war doch um einiges bequemer, als mit dem Fahrrad zum Schwimmbad zu fahren.
»Halt, das war die falsche Abzweigung.« Susi schreckte aus ihren Träumen hoch und sah ihren Bruder an. Unbeirrt fuhr dieser auf der zweispurigen Umgehung weiter.
»Nein, es ist schon die richtige. Warte es nur ab.«
Kai hörte auf zu reden und konzentrierte sich aufs Fahren. An der nächsten roten Ampel blickte er nach links.
»Das ist fein. Neben uns steht noch einer.« Freundlich grüßte Kai den Fahrer im Geländewagen.
»Halte dich fest, Susi. Von null auf hundert in drei Sekunden.« Begeistert starrte Kai auf die Ampel.
Mit dröhnendem Motor fuhr er an. Neben ihm hielt sich der Geländewagen auf gleicher Höhe. Flott schaltete Kai in den zweiten Gang und gab Gas. Unermüdlich kletterte die Tachonadel. Kurz darauf kuppelte er erneut und suchte den nächsten Gang.
Ein lautes Knirschen unterbrach die Aktion, das Getriebe reklamierte die Misshandlung. Hektisch schaltete Kai erneut. Währenddessen rauschte der Geländewagen an ihnen vorbei. Der Fahrer winkte ihnen zu.
»So ein Mist. Ich habe den dritten Gang nicht reinbekommen.«
»Mit dem Gasgeben allein ist es eben nicht getan. Was kostet ein neues Getriebe?«